Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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XXXIII.

Das Haupt der Familie Taverney.

Während diese Dinge sich in der Rue Neuve-Saint-Gilles ereigneten, ging Herr von Taverney, Vater, in seinem Garten spazieren, gefolgt von zwei Lakaien, die einen Lehnstuhl schoben.

Es gab in Versailles und gibt vielleicht noch einige jener alten Hotels mit französischen Gärten, die, durch eine knechtische Nachahmung des Geschmackes und der Ideen des Gebieters, im Kleinen an das Versailles von Le Nôtre und Mansard erinnerten.

Mehrere Höflinge, Herr de la Feuillade war das Muster von ihnen, hatten sich in verjüngtem Maßstäbe eine unterirdische Orangerie, einen Schweizer-Teich und Apollo-Bäder bauen lassen.

Man fand auch den Ehrenhof und die Trianons, Alles in einem fünfhundertstels Maßstab: jedes Bassin war von einem Eimer Wasser dargestellt.

Herr von Taverney hatte dasselbe gethan, seitdem von S. M. Ludwig XV. die Trianons beliebt worden waren. Das Haus in Versailles hatte seine Trianons, seine Obstgärten und seine Blumenbeete bekommen. Seitdem S. M. König Ludwig XVI. seine Schlosserwerkstätte und seine Drechselbank eingerichtet, besaß Herr von Taverney seine Schmiede und seine Hobelbank. Seitdem Marie-Antoinette englische Gärten, künstliche Flüsse, Prairien und Schweizerhütten gezeichnet, hatte Herr von Taverney in einer Ecke seines Gartens ein Trianon für Puppen und einen Bach für junge Enten gemacht.

In dem Augenblick, wo wir ihn auffassen, schlürfte er indessen die Sonne in der einzigen Allee vom großen Jahrhundert ein, die ihm blieb, in einer Allee von Linden mit den langen Fasern, so roth wie der Eisendraht, der aus dem Feuer kommt. Er ging in kurzen Schritten, die Hände im Aermel, und alle fünf Minuten näherte sich ihm der Stuhl, der von den Bedienten geschoben wurde, um ihm nach der Leibesübung Ruhe anzubieten.

Er genoß, der großen Sonne zublinzelnd, diese Ruhe, als vom Hause ein Portier herbeilief und ihm zurief:

»Der Herr Chevalier!«

»Mein Sohn!« sagte der Greis mit stolzer Freude.

Dann wandte er sich und sprach, als er Philipp erblickte, der dem Portier folgte:

»Mein lieber Chevalier!«

Und durch eine Geberde entließ er die Bedienten.

»Komm, Philipp, komm,« fuhr der Baron fort, »Du erscheinst zu rechter Zeit, mein Geist ist voll freudiger Gedanken. Ei! was für ein Gesicht machst Du denn? Du schmollst?«

»Ich, mein Vater, nein.«

»Du weißt schon das Resultat der Sache?«

»Welcher Sache?«

Der Greis wandte sich um, als wollte er sehen, ob man horchte.

»Sie können sprechen, Niemand horcht, mein Herr,« sagte Philipp.

»Ich meine die Geschichte vom Ball.«

»Ich begreife noch weniger.«

»Vom Opernball.«

Philipp erröthete, der boshafte Greis bemerkte es.

»Unkluger!« sagte er, »Du machst es wie die schlechten Seeleute: sobald sie günstigen Wind haben, setzen sie alle Segel ein. Auf, setze Dich auf diese Bank und höre meine Moral.«

»Mein Herr ...«

»Du treibst Mißbrauch, Du schneidest zu scharf durch; während Du einst so schüchtern, so zart, so zurückhaltend warst, compromittirst Du sie jetzt.«

Philipp stand auf.

»Von wem sprechen Sie, mein Herr?«

»Von ihr, bei Gott, von ihr.«

»Wer ist das?«

»Ah! Du glaubst, ich wisse nichts von Deinem muthwilligen Streich, von dem Streich, den Ihr Beide auf dem Opernball machtet? das ist hübsch.«

»Mein Herr, ich betheure Ihnen ...«

»Aergere Dich nicht; was ich Dir sage, sage ich Dir zu Deinem Besten; Du hast keine Vorsicht, was Teufels, man wird Dich erwischen! Man hat Dich dießmal mit ihr auf dem Ball gesehen, man wird Dich ein anderes Mal anderswo sehen.«

»Man hat mich gesehen?«

»Bei Gott! hattest Du, ja oder nein, einen blauen Domino?«

Taverney wollte aufschreien, er habe keinen blauen Domino, und man täusche sich, er sei nicht auf dem Ball gewesen, er wisse nicht, welchen Ball sein Vater meine; aber es widerstrebt gewissen Herzen, sich bei so delicaten Umständen zu vertheidigen; nur diejenigen vertheidigen sich energisch, welche wissen, daß man sie liebt, und daß sie, indem sie sich vertheidigen, dem Freund, der sie anschuldigt, einen Dienst thun.

»Wozu soll es nützen, daß ich meinem Vater Erklärungen gebe?« dachte Philipp, »überdieß muß ich Alles wissen.«

Er neigte das Haupt, wie ein Schuldiger, der gesteht.

»Du siehst wohl,« fuhr der Greis triumphirend fort, »Du bist erkannt worden, dessen war ich sicher. Herr von Richelieu, der Dich ungemein liebt, und der, trotz seiner einundachtzig Jahre, auf dem Ball war, Herr von Richelieu forschte nach, wer der blaue Domino sein könnte, dem die Königin den Arm gab, und er fand nur Dich, den er im Verdacht haben konnte; denn er hat alle andern gesehen, und Du weißt, ob er sich darauf versteht, der Herr Marschall.«

»Daß man mich im Verdacht gehabt hat. begreife ich,« erwiderte Philipp mit kaltem Tone; »daß man aber die Königin erkannt hat, das ist noch viel auffallender.«

»Es war nicht schwer, sie zu erkennen, da sie die Maske abnahm! Oh! siehst Du, das übersteigt jede Einbildungskraft. Eine solche Verwegenheit! Diese Frau muß rasend in Dich verliebt sein.«

Philipp erröthete. Weiter zu gehen und das Gespräch im Gang zu erhalten, war ihm unmöglich geworden.

»Wenn es nicht Verwegenheit ist,« fuhr Taverney fort, »so kann es nur ein sehr ärgerlicher Zufall sein. Nimm Dich in Acht, es gibt Eifersüchtige, und zwar Eifersüchtige, die zu fürchten sind. Es ist ein beneideter Posten, der Posten des Günstlings der Königin, besonders wenn die Königin der wahre König ist,« fügte Vater Taverney bei.

Und er nahm langsam eine Prise Tabak.

»Du wirst mir meine Moral verzeihen, nicht wahr, Chevalier? Verzeih' sie mir, mein Lieber. Ich hege Dankbarkeit gegen Dich, und ich möchte es gern verhüten, daß der Hauch des Zufalls, da es nun einmal der Zufall ist, das Gerüste zerstöre, welches Du so geschickt aufgebaut hast.«

Philipp erhob sich in Schweiß gebadet, die Fäuste krampfhaft zusammengezogen. Er schickte sich an wegzugehen, um das Gespräch abzubrechen, mit der Freude, mit der man einer Schlange das Wirbelbein abbricht; doch ein Gefühl hielt ihn zurück, ein Gefühl schmerzlicher Neugierde, eine jener wüthenden Begierden, das Schlimme zu erfahren, ein unbarmherziger Stachel, der die liebevollen Herzen antreibt.

»Ich sagte also, man beneide uns,« sprach der Greis; »das ist ganz einfach. Wir haben indessen den Gipfel noch nicht erreicht, zu dem Du uns hinaufsteigen machst. Dir gebührt der Ruhm, Dir haben wir es zu verdanken, daß der Name Taverney über seine demüthige Quelle emporgesprungen ist. Nur sei klug, sonst werden wir nicht zum Ziele gelangen und Deine Pläne werden unter Wegs scheitern. Es wäre in der That Schade. Wir gehen wacker voran.«

Philipp wandte sich ab, um den tiefen Eckel, die blutige Verachtung zu verbergen, die seinen Zügen in diesem Augenblick einen Ausdruck verlieh, worüber der Greis erstaunt, vielleicht erschrocken wäre.

»In einiger Zeit wirst Du eine hohe Stelle verlangen,« sagte der Greis, sich belebend. »Du lässest mir irgendwo, doch nicht zu fern von Paris, eine königliche Lieutenance geben; Du lässest sodann Taverney-Maison-Rouge zu einer Pairie erheben; Du lässest mich bei der nächsten Promotion des Ordens in die Liste aufnehmen. Du kannst Herzog, Pair und Generallieutenant werden. In zwei Jahren lebe ich noch, dann lässest Du mir ...«

»Genug! genug!« brummte Philipp.

»Oh! wenn Du mich für befriedigt hältst, ich bin es nicht. Du hast ein ganzes Leben; ich habe nur ein paar Monate. Diese Monate müssen mir die traurige, mittelmäßige Vergangenheit bezahlen. Uebrigens habe ich mich nicht zu beklagen, Gott schenkte mir zwei Kinder. Das ist viel von einem Mann ohne Vermögen; doch wenn meine Tochter für unser Haus unnütz geblieben ist, so machst Du es wieder gut. Du bist der Baumeister des Tempels. Ich sehe in Dir den großen Taverney, den Helden. Du flößest mir Respekt ein, und siehst Du, das ist etwas. Allerdings ist Dein Benehmen gegen den Hof bewunderungswürdig. Oh! ich habe noch nichts Geschickteres gesehen.«

»Was denn?« versetzte der junge Mann, den es beunruhigte, daß er sich von dieser Schlange gelobt sah.

»Dein Benehmen ist herrlich. Du zeigst keine Eifersucht. Du lässest das Feld scheinbar Jedermann frei und behauptest es in Wirklichkeit. Das ist stark, aber es zeugt von Beobachtung.«

»Ich verstehe nicht,« entgegnete Philipp, immer mehr gereizt.

»Keine Bescheidenheit, siehst Du, das ist Wort für Wort das Benehmen des Herrn von Potemkin, der die Welt durch sein Glück in Erstaunen setzte. Er sah, daß Katharina die Eitelkeit besonders bei ihren Liebschaften liebte; daß sie, wenn man sie frei ließe, von Blume zu Blume flattern und dann zu der fruchtbarsten und schönsten zurückkehren würde; daß sie, wenn man sie verfolgte, über jeden Bereich hinaus entfliehen würde. Er faßte seinen Entschluß. Er war es, der der Kaiserin die neuen Günstlinge, die sie auszeichnete, angenehmer machte; indem er sie auf einer Seite gelten ließ, behielt er sich ihre verwundbare Seite vor; er ermüdete die Fürstin mit den vorübergehenden Launen, statt sie seiner eigenen Vorzüge überdrüssig zu machen. Indem er das ephemere Reich der Günstlinge, die man ironisch die zwölf Cäsaren nennt, vorbereitete, machte Potemkin seine Herrschaft ewig, unzerstörbar.«

»Aber das sind unbegreifliche Schändlichkeiten,« murmelte der arme Philipp, indem er seinen Vater erstaunt ansah.

Der Greis fuhr unstörbar fort:

»Nach Potemkins System wirst Du indessen einen kleinen Fehler begehen. Er gab die Ueberwachung nicht zu sehr auf, und Du erschlaffst. Freilich ist die französische Politik nicht die russische.«

Bei diesen Worten, mit einer Affectation von Feinheit gesprochen, die selbst den stärksten diplomatischen Kopf aus seinem Gange gebracht hätte, glaubte Philipp, sein Vater delirire, und antwortete nur mit einem nicht ehrfurchtsvollen Achselzucken.

»Ja, ja,« sagte der Greis, »Du glaubst, ich habe Dich nicht errathen? Du sollst es sehen.«

»Sprechen Sie, mein Herr.«

Taverney kreuzte sich die Arme.

»Wirst Du mir etwa sagen,« sprach er, »daß Du Deinen Nachfolger nicht heranziehest?«

»Meinen Nachfolger?« versetzte Philipp erbleichend.

»Wirst Du mir sagen, Du wissest nicht, welche Entschiedenheit in den Liebesgedanken der Königin liegt, wenn sie besessen ist, und in der Voraussicht der Veränderung von ihrer Seite wollest Du nicht völlig geopfert, aus dem Besitze gesetzt werden? was immer bei der Königin geschieht, denn sie kann nicht die Gegenwart lieben und die Vergangenheit dulden.«

»Sie sprechen hebräisch, mein Herr Baron.«

Der Greis brach in jenes scharfe, unheimliche Gelächter aus, das Philipp, wie der Ruf eines bösen Geistes, beben machte.

»Du wirst mich glauben machen, daß es nicht Tactik sei, Herrn von Charny zu schonen?«

»Charny?«

»Ja, Deinen zukünftigen Nachfolger, den Mann, der Dich, wenn er einmal regiert, verbannen lassen kann, wie Du die Herren von Coigny, von Vaudreuil und Andere verbannen lassen kannst.«

Das Blut stieg Philipp gewaltig zu den Schläfen, und er rief noch einmal:

»Genug, mein Herr! genug; ich schäme mich in der That, daß ich so lange zugehört habe! Wer sagt, die Königin von Frankreich sei eine Messaline, der ist ein verbrecherischer Verleumder.«

»Gut! sehr gut!« rief der Greis. »Du hast Recht, das ist Deine Rolle; doch ich versichere Dich, daß uns Niemand hören kann.«

»Oh!«

»Und was Charny betrifft, Du siehst, daß ich Dich ergründet habe. So geschickt auch Dein Plan sein mag, siehst Du, das Errathen liegt im Blute der Taverney. Fahre fort, Philipp, fahre fort. Schmeichle Charny; besänftige, tröste ihn, hilf ihm sanft und ohne Unannehmlichkeit vom Zustande des Grases zum Zustande der Blume übergehen und sei versichert, er ist ein Edelmann, der Dir später, wenn er in der Gunst steht, vergelten wird, was Du für ihn gethan hast.«

Nach diesen Worten machte Herr von Taverney, ganz stolz auf die Auseinandersetzung seiner Scharfsicht, einen kleinen Luftsprung, der an den jungen Mann, und zwar an den durch sein Glück frech gewordenen jungen Mann erinnerte.

Philipp packte ihn beim Aermel, hielt ihn wüthend auf und rief:

»So ist es, wohl! mein Herr, Ihre Logik ist bewunderungswürdig.«

»Ich habe errathen, nicht wahr, und Du bist mir deßhalb böse? Bah! Du verzeihst mir meiner Aufmerksamkeit wegen. Ich liebe übrigens Charny, und es freut mich sehr, daß Du so gegen ihn verfährst.«

»Ihr Herr von Charny ist zu dieser Stunde so sehr mein Günstling, mein Liebling, mein von mir geätzter Vogel, daß ich ihm in der That soeben einen Fuß von dieser Klinge durch die Rippen gestoßen habe.«

Und Philipp zeigte seinem Vater seinen Degen.

»Wie!« versetzte Taverney, erschrocken bei dem Anblick dieser flammenden Augen, bei der Kunde von diesem kriegerischen Ausfall, »sagst Du nicht, Du habest Dich mit Herrn von Charny geschlagen?«

»Und ich habe ihn gespießt! Ja.«

»Großer Gott!«

»Das ist meine Manier, meine Nachfolger zu besänftigen, zu pflegen und zu schonen,« fügte Philipp bei; »nun, da Sie dieselbe kennen, wenden Sie Ihre Theorie auf meine Praxis an.«

Und er machte eine verzweifelte Bewegung, um zu entfliehen. Der Greis klammerte sich an seinen Arm an.

»Philipp! Philipp! sage mir, daß Du scherztest.«

»Nennen Sie das einen Scherz, wenn Sie wollen, doch es ist geschehen.«

Der Greis schlug die Augen zum Himmel auf, murmelte ein paar zusammenhangslose Worte, verließ seinen Sohn und lief bis in sein Vorzimmer.

»Geschwind! geschwind! ein Berittener! man eile zu Herrn von Charny, der verwundet worden ist, man erkundige sich nach ihm und vergesse nicht, zu sagen, man komme in meinem Auftrage! Dieser Verräther Philipp,« sprach er, während er in seine Wohnung zurückkehrte, »ist er nicht der Bruder seiner Schwester! Und ich, der ich ihn für gebessert hielt! Oh! es gab nur Einen Kopf in der Familie, den meinigen.«


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