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Erinnern sich unsere Leser, in welcher schwierigen Lage wir Herrn von Charny verlassen haben, so werden sie uns vielleicht einigen Dank wissen, wenn wir sie in das kleine Vorzimmer der Gemächer von Versailles zurückführen, in welches dieser brave Seemann, den weder die Menschen, noch die Elemente je eingeschüchtert hatten, geflohen war, um nicht vor drei Frauen: der Königin, Andrée und Frau von La Mothe, unwohl zu werden.
Als Herr von Charny sich mitten im Vorzimmer befand, sah er ein, daß es ihm unmöglich war, weiter zu gehen. Er streckte, ganz schwankend, die Arme aus. Man bemerkte, daß ihn seine Kräfte verließen, und man kam ihm zu Hilfe.
Da wurde der junge Offizier ohnmächtig; nach einigen Augenblicken kam er aber wieder zu sich, jedoch ohne zu vermuthen, daß die Königin es gesehen, und daß sie vielleicht in einer ersten Bewegung der Angst herbeigelaufen wäre, wenn nicht Andrée, mehr noch durch eine glühende Eifersucht, als durch ein kaltes Gefühl der Schicklichkeit, sie zurückgehalten hätte,
Es war indessen gut für die Königin, daß sie auf den von Andrée gegebenen Rath in ihrem Zimmer blieb, welches Gefühl auch diesen Rath dictirt haben mochte, denn kaum war die Thüre hinter ihr zugemacht, als sie durch dieselbe den Ruf des Huissier: »Der König!« vernahm.
Es war in der That der König, der aus seinen Gemächern nach der Terrasse ging und, vor der Sitzung des Rathes, seine Jagdequipagen, die er seit einiger Zeit etwas vernachlässigt fand, besichtigen wollte.
Als der König, dem einige Officianten seines Hauses folgten, in das Zimmer eintrat, blieb er stehen; er sah einen Mann, der auf ein Fenstergesimse zurückgelehnt war, in einer Lage, welche zwei Leibwachen, die ihm beisprangen, nicht wenig beunruhigte, denn sie waren nicht gewohnt, einen Offizier um nichts in Ohnmacht fallen zu sehen.
Während sie Herrn von Charny unterstützten, riefen sie:
»Mein Herr, was haben Sie denn?«
Doch die Stimme versagte dem Kranken, und es war ihm unmöglich zu antworten.
An diesem Stillschweigen die Bedeutung des Nebels erkennend, beschleunigte der König seine Schritte.
»Ja,« sagte er, »ja, es ist Einer, der das Bewußtsein verliert.«
Bei der Stimme des Königs wandten sich die zwei Leibwachen um und ließen durch eine maschinenmäßige Bewegung Herrn von Charny los, der, nur noch durch einen Rest von Stärke unterstützt, auf die Platten sank.
»Oh! mein Herr,« sagte der König, »was machen Sie denn?«
Man stürzte herbei. Man hob Herrn von Charny, der gänzlich das Bewußtsein verloren hatte, sachte auf und legte ihn auf einen Lehnstuhl.
»Ah! es ist Herr von Charny!« rief plötzlich der König, als er den jungen Offizier erkannte.
»Herr von Charny!« riefen die Umstehenden.
»Ja, der Neffe des Herrn von Suffren.«
Diese Worte brachten eine magische Wirkung hervor. Herr von Charny war in einem Augenblick von Riechwasser übergossen, nicht mehr, nicht minder, als befände er sich unter zehn Frauen. Ein Arzt wurde gerufen, er untersuchte rasch den Kranken.
Neugierig bei jeder Wissenschaft und mitleidig bei jedem Uebel, wollte der König sich nicht entfernen; er wohnte der Consultation bei.
Die erste Sorge des Arztes war, daß er die Weste und das Hemd des jungen Mannes zurückschob, damit die Luft seine Brust berührte; während er aber dieß that, fand er, was er nicht gesucht hatte.
»Eine Wunde,« sagte der König, seine Theilnahme verdoppelnd, indem er so nahe hinzutrat, daß er mit seinen eigenen Augen sehen konnte.
»Ja, ja,« murmelte Herr von Charny, der sich zu erheben suchte und mit geschwächten Augen umherschaute, »eine alte Wunde, die sich wieder geöffnet hat. Es ist nichts ... nichts ...«
Und seine Hand drückte unmerklich die Finger des Arztes.
Ein Arzt begreift Alles und muß Alles begreifen. Dieser war aber kein Hofarzt, sondern ein Wundarzt von Versailles. Er wollte sich ein Ansehen geben und erwiderte:
»Oh! alt ... das beliebt Ihnen zu sagen; die Lefzen sind zu frisch, das Blut zu hochroth: diese Wunde ist nicht vierundzwanzig Stunden alt«
Charny, dem dieser Widerspruch seine Kräfte wiedergab, stellte sich auf seine Füße und sprach:
»Ich denke, Sie werden mich nicht lehren, mein Herr, in welchem Augenblick ich meine Wunde bekommen habe; ich sage Ihnen und wiederhole, daß sie alt ist.«
In diesem Moment erkannte er den König. Er knüpfte seine Weste zu, als schämte er sich, daß er einen so erhabenen Zuschauer bei seiner Schwäche hatte.
»Der König!« sagte er.
»Ja, Herr von Charny, ja, ich selbst, und ich segne den Himmel, daß ich hierher gekommen bin, um Ihnen ein wenig Erleichterung zu bringen.«
»Eine Schramme, Sire,« stammelte Charny, »eine alte Wunde, Sire, nichts Anderes.«
»Alt oder neu,« erwiderte der König, »diese Wunde hat mich Ihr Blut sehen lassen, das kostbare Blut eines wackeren Edelmannes.«
»Dem zwei Stunden im Bette seine Gesundheit wiedergeben werden,« fügte Charny bei, und er wollte aufstehen, doch er hatte ohne seine Kräfte gerechnet. Sein Kopf war schwer, seine Beine wankten, und kaum hatte er sich erhoben, als er in den Lehnstuhl zurückfiel.
»Ah!« sagte der König, »er ist sehr krank.«
»Oh! ja,« versetzte der Wundarzt mit einer feinen, diplomatischen Miene, die nach einer Eingabe um Beförderung roch, »doch man kann ihn retten.«
Der König war ein redlicher Mann; er hatte errathen, daß Charny etwas verbarg. Dieses Geheimniß war ihm heilig. Jeder Andere hätte es von den Lippen des Arztes, der es so höflich anbot, aufgefangen: Ludwig XVI. aber zog es vor, dieses Geheimniß seinem Eigenthümer zu lassen.
»Herr von Charny soll sich nicht durch seine Rückkehr nach Hause einer Gefahr aussetzen,« sagte der König. »Man pflege Herrn von Charny in Versailles; man rufe seinen Oheim, Herrn von Suffren, und hat man diesem Herrn gedankt,« er bezeichnete den dienstfertigen Wundarzt, »so rufe man meinen Leibarzt, den Doctor Louis. Er hat, glaube ich, den Dienst.«
Ein Offizier eilte weg, um die Befehle des Königs zu vollziehen. Zwei andere bemächtigten sich des Herrn von Charny und trugen ihn an das Ende der Gallerie in's Zimmer des Officiers der Garden.
Diese Scene ging rascher vor sich, als die zwischen der Königin und Herrn von Crosne.
Herr von Suffren wurde benachrichtigt, und der Doctor Louis an die Stelle des Ueberzähligen gerufen.
Wir kennen diesen redlichen, weisen und bescheidenen Mann, einen weniger glänzenden, als nützlichen Verstand, diesen muthigen Bearbeiter des unermeßlichen Feldes der Wissenschaft, wo derjenige mehr geehrt ist, der das Korn erntet, wo derjenige nicht minder ehrenwerth ist, welcher die Furche öffnet.
Hinter dem Arzte, der sich schon über seinen Kunden neigte, erschien in aller Eile der Bailli von Suffren, dem eine Staffette die Nachricht überbracht hatte.
Der berühmte Seemann begriff diese Ohnmacht, dieses plötzliche Unwohlsein durchaus nicht.
Als er Charny's Hand ergriffen und seine trüben Augen angeschaut hatte, sagte er:
»Seltsam! seltsam! Wissen Sie, Doctor, daß mein Neffe nie krank gewesen ist?«
»Das beweist nichts, Herr Bailli,« erwiderte der Doctor.
»Die Luft von Versailles ist also sehr schwer, denn ich wiederhole Ihnen, ich habe Olivier zehn Jahre auf der See gesehen, und er war immer kräftig und aufrecht, wie ein Mastbaum.«
»Es ist seine Wunde,« sagte einer der anwesenden Officiere.
»Wie, seine Wunde!« rief der Admiral; »Olivier ist in seinem Leben nicht verwundet worden.«
»Oh! verzeihen Sie,« erwiderte der Officier, auf den gerötheten Batist deutend, »doch ich glaubte ...«
Herr von Suffren sah Blut.
»Es ist gut, es ist gut,« sagte der Doctor, der dem Kranken den Puls gefühlt hatte, mit vertraulicher Barschheit, »wir wollen uns nicht über den Ursprung des Uebels streiten. Wir haben das Uebel, begnügen wir uns damit und heilen wir dasselbe, wenn es möglich ist.«
Der Bailli liebte Aussprüche, die keine Widerrede gestatteten; er hatte die Wundärzte seiner Schiffe nicht daran gewöhnt, ihre Worte zu wattiren.
»Ist es sehr gefährlich, Doctor?« fragte er mit einer stärkeren Gemüthsbewegung, als er zeigen wollte.
»Ungefähr wie der Schnitt eines Rasirmessers am Kinn.«
»Gut. Danken Sie dem König, meine Herren. Olivier, ich werde Dich wieder besuchen.«
Olivier bewegte die Augen und die Finger, als wollte er zugleich seinem Oheim, der ihn verließ, und dem Doctor, der ihn in seine Hände nahm, danken.
Glücklich in seinem Bette zu sein, glücklich sich einem Manne von Verstand und Milde überlassen zu sehen, stellte er sich dann, als entschliefe er.
Der Doctor schickte Jedermann weg.
Olivier entschlief nun in der That, doch nicht ohne dem Himmel für Alles, was ihm begegnet, oder vielmehr für das Schlimme, was ihm unter so ernsten Umständen nicht begegnet war, zu danken.
Das Fieber hatte sich seiner bemächtigt; jenes wunderbare, die Menschheit wiedergebärende Fieber, ein ewiger Saft, der im Blute des Menschen treibt und, den Absichten Gottes, das heißt der Menschheit dienend, die Gesundheit im Kranken keimen läßt, oder den Lebendigen mitten in der Gesundheit wegrafft.
Als Olivier mit jener Hitze der vom Fieber Befallenen die Scene mit Philipp, die Scene mit der Königin, die Scene mit dem König gründlich überlegt hatte, verfiel er in jenen furchtbaren Kreis, den das wüthende Blut wie ein Netz über den Verstand wirft ... Er delirirte.
Drei Stunden später hätte man ihn von der Gallerie aus hören können, wo einige Wachen auf und ab gingen; als der Doctor dieß bemerkte, rief er seinen Bedienten und befahl ihm, Olivier in seine Arme zu nehmen. Olivier stieß einige Klageschreie aus.
»Wickle ihm die Decke über den Kopf,«
»Wie soll ich das machen?« sagte der Bediente. »Er ist zu schwer und vertheidigt sich zu sehr. Ich will einen von den Herren Garden um Beistand bitten.«
»Du bist ein Hasenfuß, wenn Du Dich vor einem Kranken fürchtest,« entgegnete der Doctor.
»Herr Doctor ...«
»Und findest Du ihn zu schwer, so bist Du nicht so stark, wie ich geglaubt habe. Ich werde Dich nach Auvergne zurückschicken.«
Die Drohung wirkte. Schreiend, heulend, heftig sich geberdend und delirirend, wurde Charny von dem Auvergnaten wie eine Feder im Angesicht der Leibwachen aufgehoben.
Diese umgaben Louis und befragten ihn.
»Meine Herren,« sagte der Doctor, der stärker schrie, als Charny, um dessen Schreie zu übertäuben, »Sie begreifen, daß ich nicht alle Stunden eine Meile machen werde, um den Kranken zu besuchen, den mir der König anvertraut hat. Ihre Gallerie liegt am Ende der Welt.«
»Wohin bringen Sie ihn, Doctor?«
»Zu mir, da ich ein träger Mensch bin. Ich habe hier, wie Sie wissen, zwei Zimmer, ich lege ihn in eines derselben, und übermorgen, wenn Niemand mit ihm verkehrt, werde ich Ihnen Bericht erstatten.«
»Aber, Doctor,« sagte der Officier, »ich versichere Sie, daß der Kranke hier sehr gut gewesen wäre, wir lieben Alle Herrn von Suffren, und ...«
»Ja, ich kenne diese Pflege des Cameraden für den Cameraden. Der Verwundete hat Durst, man ist gut gegen ihn; man gibt ihm zu trinken, und er stirbt. Zum Teufel mit der guten Pflege der Herren Garden! Man hat so zehn Kranke getödtet.«
Der Doctor sprach noch, als schon Olivier nicht mehr gehört werden konnte.
»Ah! ja,« fuhr der würdige Arzt fort; »das ist sehr wohl gethan, das ist sehr verständig. Dabei ist nur ein Unglück, daß der König den Kranken wird sehen wollen ... Und wenn er ihn sieht, wird er ihn hören ... Teufel! da ist nicht zu zögern. Ich will die Königin benachrichtigen. Sie wird mir einen guten Rath geben.«
Nachdem der gute Doctor diesen Entschluß mit der Raschheit des Menschen gefaßt hatte, dem die Natur die Secunden abzählt, übergoß er das Gesicht des Verwundeten mit frischem Wasser und legte ihn auf eine solche Art in ein Bett, daß er sich nicht tödtete, wenn er sich heftig bewegte oder fiel. Er schloß die Läden mit einem Vorhängeschloß, drehte den Schlüssel der Zimmerthüre zweimal um, steckte diesen Schlüssel in die Tasche und begab sich zu der Königin, nachdem er sich, außen horchend, versichert hatte, daß keiner von den Schreien Olivier's vernommen oder verstanden werden konnte.
Es versteht sich von selbst, daß zu größerer Vorsicht der Auvergnat mit dem Kranken eingeschlossen war.
Er traf gerade vor dieser Thüre Frau von Misery, welche die Königin abgeschickt hatte, um sich nach dem Verwundeten zu erkundigen.
Sie wollte durchaus hinein.
»Kommen Sie, kommen Sie, Madame,« sagte der Doctor, »ich gehe weg.«
»Aber, Doctor, die Königin wartet.«
»Ich gehe zur Königin, Madame.«
»Die Königin wünscht ...«
»Die Königin wird so viel erfahren, als sie zu wissen wünscht; das sage ich Ihnen, Madame. Gehen wir.«
Und er nöthigte die Kammerfrau Marie Antoinette's zu laufen, um zu gleicher Zeit mit ihm an Ort und Stelle zu kommen.