Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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XXXVI.

Bei der Königin.

Als die Königin das Cabinet Ludwigs XVI. verlassen hatte, untersuchte sie die ganze Tiefe der Gefahr, die sie gelaufen war.

Sie wußte zu würdigen, mit welcher Zartheit und Zurückhaltung Jeanne bei ihrer improvisirten Angabe zu Werke gegangen war, sie wußte auch den wahrhaft merkwürdigen Takt zu schätzen, mit dem sie nach dem günstigen Erfolge im Schatten blieb.

Jeanne, die durch ein unerhörtes Glück mit dem ersten Schlag in jene vertraulichen Geheimnisse eingeweiht worden war, nach denen die Höflinge zehn Jahre lang jagen, ohne sie zu erreichen, und folglich sicher darauf rechnen konnte, fortan von großem Gewicht an einem für die Königin bedeutungsvollen Tage zu sein, verrieth hierüber nicht jene Freude, welche die hoffärtige Empfindlichkeit der Großen auf den Gesichtern von Untergeordneten zu errathen weiß.

Statt das Anerbieten Jeanne's, der Königin ihre Ehrfurcht zu bezeigen und dann wegzugehen, anzunehmen, hielt daher Marie Antoinette Frau von La Mothe durch ein liebenswürdiges Lächeln zurück und sagte zu ihr:

»Es ist ein wahres Glück, Gräfin, daß Sie mich abgehalten haben mit der Prinzessin von Lamballe bei Mesmer einzutreten, denn sehen Sie die Anschwärzung, man hat mich bei der Thüre oder im Vorzimmer gesehen und dieß zum Anlaß genommen, um zu behaupten, ich sei in dem gewesen, was Sie den Saal der Crisen nennen, nicht so?«

»Den Saal der Crisen, ja, Madame.«

»Aber,« sprach Frau von Lamballe, »wie kommt es, daß, wenn die Anwesenden wußten, die Königin sei da, die Agenten des Herrn von Crosne sich getäuscht haben? Darin liegt das Geheimniß meiner Ansicht nach; die Agenten des Policeilieutenants versichern in der That, die Königin sei im Saale der Crisen gewesen.«

»Das ist wahr,« sprach die Königin nachdenkend. »Und es waltet kein Interesse von Seiten des Herrn von Crosne ob, der ein ehrlicher Mann ist und mich liebt, doch die Agenten können bestochen worden sein, meine liebe Lamballe. Ich habe Feinde, wie Sie sehen. Dieses Gerücht muß indessen immer auf etwas beruhen. Sagen Sie uns die einzelnen Umstände, Gräfin. Vor Allem stellt mich die schändliche Broschüre berauscht, bezaubert, dergestalt magnetisirt dar, daß ich alle weibliche Würde verloren haben soll. Was ist Wahrscheinliches hieran? Ist wirklich an jenem Tag eine Frau dort gewesen? ...«

Jeanne erröthete. Das Geheimniß stellte sich hier abermals dar, das Geheimniß, von dem ein einziges Wort ihren unseligen Einfluß auf das Geschick der Königin zerstören konnte.

Enthüllte Jeanne dieses Geheimniß, so verlor sie die Gelegenheit, Ihrer Majestät nützlich, sogar unentbehrlich zu sein. Diese Lage richtete ihre Zukunft zu Grunde; sie blieb zurückhaltend, wie das erste Mal.

»Madame,« sagte sie, »es war wirklich eine sehr bewegte Frau dort, die sich durch ihre Verdrehungen und ihr Delirium ungemein zur Schau stellte. Doch mir scheint ...«

»Es scheint Ihnen,« fiel die Königin rasch ein, »diese Frau war eine Frau vom Theater oder das. was man ein Weltmädchen nennt, und nicht die Königin von Frankreich, nicht wahr?«

»Gewiß nicht. Madame.«

»Gräfin, Sie haben dem König sehr gut geantwortet, und nun ist es an mir, für Sie zu sprechen. Lassen Sie hören, wie weit sind Sie mit Ihren Angelegenheiten? zu welcher Zeit gedenken Sie Ihre Rechte zur Anerkennung zu bringen? Doch ist nicht Jemand hier, Prinzessin?«

Frau von Misery trat ein.

»Will Eure Majestät Fräulein von Taverney empfangen?« fragte die Kammerfrau.

»Sie! sicherlich. Oh! das ceremoniöse Ding! nie würde sie sich gegen die Etikette verfehlen. Andrée! Andrée! kommen Sie doch.«

»Eure Majestät ist zu gut gegen mich,« sprach diese, indem sie sich anmuthig verbeugte.

Und sie erblickte Jeanne, welche, da sie die zweite Dame vom Unterstützungsbureau erkannte, eine Röthe und eine Bescheidenheit auf Kommando sich zu Hilfe rief.

Die Prinzessin von Lamballe benützte die Verstärkung, die der Königin zugekommen, um nach Sceaux zum Herzog von Penthièvre zurückzukehren. Andrée setzte sich an die Seite von Marie Antoinette und heftete ihren ruhigen, forschenden Blick auf Frau von La Mothe.

»Nun! Andrée,« sagte die Königin, »hier ist die Dame, die wir am letzten Tage des Eises besuchten.«

»Ich habe sie erkannt,« erwiderte Andrée sich verneigend.

Schon hochmüthig, beeilte sich Jeanne, auf den Zügen Andrée's ein Symptom von Eifersucht zu suchen, doch sie fand nichts als völlige Gleichgültigkeit.

Andrée, mit denselben Leidenschaften, wie die Königin, Andrée, eine Frau und erhaben über alle Frauen an Güte, an Geist und an Großmuth, wenn sie glücklich gewesen wäre, Andrée verschloß sich in ihre undurchdringliche Verstellung, welche der ganze Hof für die stolze Schamhaftigkeit der jungfräulichen Diana hielt.

»Wissen Sie,« sprach die Königin zu ihr, »wissen Sie, was man dem König über mich sagte?«

»Oh! man mußte ihm Alles sagen, was es Schlimmes gibt,« erwiderte Andrée, »gerade weil man ihm nicht zu sagen vermöchte, was Gutes an Ihnen ist.«

»Das ist das schönste Wort, das ich gehört,« sprach Jeanne einfach. »Ich sage, das schönste, weil es in seiner ganzen Stärke das Gefühl wiedergibt, welches das meines Lebens ist, und das mein schwacher Geist nie so auszudrücken vermocht hätte.«

»Ich werde Ihnen die Sache erzählen, Andrée.«

»Oh! ich weiß sie,« sagte diese; »der Herr Graf von Provence hat sie so eben erzählt, und eine Freundin von mir hat zugehört.«

»Das ist ein glückliches Mittel, die Lüge zu verbreiten, nachdem man der Wahrheit gehuldigt hat,« sprach zornig die Königin. »Doch lassen wir das. Ich war eben mit der Gräfin an der Auseinandersetzung ihrer Lage. Wer protegirt Sie, Gräfin?«

»Sie, Madame,« erwiderte Jeanne muthig, »Sie, die Sie mir erlauben, Ihnen die Hand zu küssen.«

»Sie hat Gemüth, und ich liebe ihre Ergüsse,« sagte Marie Antoinette zu Andrée.

Andrée antwortete nicht.

»Madame,« fuhr Jeanne fort, »wenige Personen haben es gewagt, mich zu protegiren, als ich in der Noth und in der Dunkelheit war; nun aber, wenn man mich einmal in Versailles gesehen, wird sich alle Welt um das Recht streiten, der Königin, ich will sagen, einer Person angenehm zu sein, die Ihre Majestät eines Blickes zu würdigen die Gnade gehabt hat.«

»Wie!« rief die Königin, indem sie sich setzte; »Niemand war muthig oder verdorben genug, Sie zu protegiren?«

»Ich hatte Anfangs Frau von Boulainvilliers,« antwortete Jeanne, »eine wackere Frau; dann Herrn von Boulainvilliers, einen verdorbenen Beschützer; doch seit meiner Verheirathung Niemand, oh! Niemand!« sagte sie mit einer äußerst geschickten Uebergehung. »Oh! verzeihen Sie, ich vergaß einen braven Mann, einen edelmüthigen Prinzen ...«

»Einen Prinzen! wen denn, Gräfin?«

»Den Herrn Cardinal von Rohan.«

Die Königin machte eine ungestüme Bewegung gegen Jeanne.

»Mein Feind!« sagte sie lächelnd.

»Feind Eurer Majestät! Er! der Cardinal!« rief Jeanne. »Oh! Madame!«

»Man sollte glauben, Gräfin, Sie wundern sich darüber, daß eine Königin einen Feind hat. Wie sieht man doch, daß Sie nicht bei Hofe gelebt haben!«

»Madame, der Cardinal betet Eure Majestät an, wenigstens glaubte ich das zu wissen, und wenn ich mich nicht getäuscht habe, so kommt seine Ehrfurcht für die erhabene Gemahlin des Königs seiner Ergebenheit gleich.«

»Oh! ich glaube Ihnen, Gräfin,« erwiderte Marie Antoinette, die sich wieder ihrer gewöhnlichen Heiterkeit überließ, »ich glaube Ihnen theilweise. Ja, so ist es, der Cardinal betet mich an.«

Und so sprechend wandte sie sich mit einem treuherzigen Gelächter gegen Andrée von Taverney.

»Nun! Gräfin, ja, der Cardinal betet mich an, und darum ist er mein Feind.«

Jeanne von La Mothe heuchelte das Erstaunen einer Frau aus der Provinz.

»Ah! Sie sind der Schützling des Herrn Prinzen Erzbischofs Louis von Rohan?« fuhr die Königin fort. »Erzählen Sie uns das, Gräfin.«

»Das ist ganz einfach, Madame. Seine Excellenz hat mich auf die großmüthigste, zarteste Weise mit der geistreichsten Freigebigkeit unterstützt.«

»Sehr gut. Der Prinz Louis ist verschwenderisch, das kann man ihm nicht streitig machen. Denken Sie nicht, Andrée, der Herr Cardinal könnte wohl auch einige Anbetung für diese hübsche Gräfin fühlen? Wie? Gräfin, sagen Sie es uns.«

Marie Antoinette fing wieder ihr freudiges, treuherziges, glückliches Gelächter an, wozu indeß die fortwährend ernste Andrée sie nicht ermuthigte.

»Diese geräuschvolle Heiterkeit muß nothwendig bloß scheinbar sein,« dachte Jeanne. »Wir wollen sehen.«

»Madame,« sprach sie mit einer ernsten Miene und einem Ausdruck inniger Rührung, »ich habe die Ehre Eure Majestät zu versichern, daß Herr von Rohan ...«

»Es ist gut, es ist gut,« unterbrach die Königin. »Da Sie so eifrig für ihn sind ... da Sie seine Freundin sind ...«

»Oh! Madame,« machte Jeanne mit einem köstlichen Ausdruck von Schamhaftigkeit und Ehrfurcht.

»Gut! liebe Kleine, gut,« fuhr die Königin mit einem sanften Lächeln fort; »aber fragen Sie ihn doch einmal, was er mit gewissen Haaren gethan, welche er mir durch einen Friseur hat stehlen lassen, den dieser Spaß theuer zu stehen kam, denn ich jagte ihn fort.«

»Eure Majestät setzt mich in Erstaunen,« sagte Jeanne. »Wie! Herr von Rohan hätte dieß gethan?«

»Ah! ja ... die Anbetung, immer die Anbetung. Nachdem er mich in Wien verwünscht, nachdem er Alles angewendet, Alles versucht hatte, um die zwischen dem Könige und mir beabsichtigte Heirath abzubrechen, bemerkte er eines Tages, daß ich Frau und seine Königin war; daß er, ein großer Diplomat, eine Schule durchgemacht, und daß er immerhin mit mir viel zu kämpfen bekommen würde. Da hatte er bange für seine Zukunft, der liebe Prinz, und er machte es dann, wie alle Leute von seinem Gewerbe, die denjenigen am meisten schmeicheln, vor welchen sie sich am meisten fürchten; und da er wußte, daß ich jung war, da er mich für albern und eitel hielt, so verwandelte er sich in den Seladon. Nach den Seufzern und den schmachtenden Gesichtern hat er sich in die Anbetung versetzt, wie Sie sagen. Er betet mich an, nicht wahr, Andrée?«

»Madame!« erwiderte diese sich verbeugend.

»Ja. Andrée will sich auch nicht gefährden; doch ich, ich wage es; das Königthum muß doch zu etwas nütz sein, Gräfin; ich weiß und Sie wissen, daß der Cardinal mich anbetet. Das ist eine abgemachte Sache; sagen Sie ihm, sagen Sie ihm, ich grolle ihm darum nicht.«

Diese Worte, welche eine bittere Ironie enthielten, berührten tief das brandige Herz Jeanne's von La Mothe.

Wäre sie edel, rein und redlich gewesen, so hätte sie hierin nichts gesehen, als die stolze Verachtung der Frau mit dem erhabenen Herzen, die gänzliche Geringschätzung einer großen Seele gegen die niedrigen Intriguen, die sich unter ihr bewegen. Diese Art von Frauen, diese so seltenen Engel vertheidigen ihren Ruf nie gegen die Hinterhalte, die ihnen auf Erden gelegt werden.

Sie wollen ihn nicht einmal ahnen, den Koth, an dem sie sich beschmutzen, den Vogelleim, an dem sie die glänzendsten Federn ihrer Flügel hängen lassen.

Jeanne, eine gemeine und verdorbene Natur, erblickte einen großen Aerger bei der Königin in der Kundgebung dieses Zornes über das Benehmen des Herrn Cardinals von Rohan. Sie erinnerte sich der Gerüchte des Hofes, Gerüchte mit ärgerlichen Sylben, die sich aus dem Innern des Schlosses bis in die Tiefe der Vorstädte von Paris verbreitet und so viel Echo gefunden hatten.

Der Cardinal, der die Frauen wegen ihres Geschlechtes liebte, hatte zu Ludwig XV., welcher die Frauen auch auf diese Art liebte, gesagt, die Dauphine sei nur eine unvollständige Frau. Man kennt die seltsamen Ausdrücke Ludwigs XV. im Augenblick der Verheirathung seines Enkels und seine Fragen an einen gewissen neuen Botschafter.

Jeanne, eine vollständige Frau, wie es nur eine geben konnte, ein Weib vom Scheitel bis zu den Zehen, eitel auf ein einziges von ihren Haaren, die sie auszeichneten, Jeanne, die das Bedürfniß zu gefallen und durch alle ihre Vorzüge zu siegen empfand, konnte nicht glauben, eine Frau denke anders, als sie, über diese zarte Materie.

»Ihre Majestät hat einen Aerger,« sagte sie zu sich selbst. »Wenn sie aber einen Aerger hat, so muß noch etwas Anderes obwalten.«

Bedenkend, daß der Anstoß die Einsicht erzeugt, fing sie an, Herrn von Rohan mit all dem Geiste zu vertheidigen, mit dem die Natur als gütige Mutter sie so reichlich begabt hatte.

Die Königin hörte zu.

»Sie hört zu,« sagte Jeanne zu sich selbst.

Und getäuscht durch ihre schlimme Natur, bemerkte Jeanne nicht einmal, daß die Königin aus Edelmuth zuhörte, weil es bei Hofe gebräuchlich ist, daß nie ein Mensch Gutes von denjenigen spricht, von denen der Gebieter Schlimmes denkt.

Dieser Eingriff in die Traditionen, dieses Abgehen von den Gewohnheiten des Schlosses machten die Königin zufrieden und beinahe glücklich.

Marie Antoinette sah ein Herz da, wohin Gott nur einen trockenen, verdorbenen Schwamm gelegt hatte.

Das Gespräch ging so auf dem Fuße wohlwollender Vertraulichkeit von Seiten der Königin fort. Jeanne war auf Nadeln, sie fühlte sich verlegen, denn sie wußte nicht mehr, wie sie wegkommen sollte, ohne entlassen zu werden; sie, die so eben noch diese schöne Rolle der Fremden hatte, welche um Abschied bittet; doch plötzlich erscholl eine muntere, geräuschvolle, junge Stimme im anstoßenden Cabinet.

»Der Graf von Artois!« sagte die Königin.

Andrée stand sogleich auf. Jeanne schickte sich an, wegzugehen, aber der Prinz war so rasch in das Zimmer, wo sich die Königin befand, eingedrungen, daß der Abgang beinahe unmöglich wurde. Frau von La Mothe that jedoch das, was man auf dem Theater einen Abgang nehmen nennt.

Der Prinz blieb stehen, als er diese hübsche Person sah, und grüßte sie.

»Die Frau Gräfin von La Mothe,« sagte die Königin, Jeanne dem Prinzen vorstellend.

»Ah! ah!« versetzte der Graf von Artois. »Ich will Sie nicht vertreiben, Frau Gräfin.«

Die Königin machte Andrée ein Zeichen, und diese hielt Jeanne zurück.

Das Zeichen wollte besagen: Ich hatte Frau von La Mothe ein Geschenk zu machen; ich habe nicht die Zeit dazu gehabt, verschieben wir es auf später.

»Sie sind also von der Wolfsjagd zurückgekehrt?« sagte die Königin, indem sie dem Prinzen nach der englischen Mode, die damals schon in Gunst kam, die Hand reichte.

»Ja, meine Schwägerin, und ich habe eine gute Jagd gemacht, denn ich habe sieben erlegt, und das ist ungeheuer,« erwiderte der Prinz.

»Sie haben selbst so viel erlegt?«

»Ich bin dessen nicht ganz sicher,« rief er lachend, »doch man hat es mir gesagt. Wissen Sie indessen, meine Schwägerin, daß ich siebenhundert Livres verdient habe?«

»Bah! und wie?«

»Sie werden wissen, daß man hundert Livres für jeden Kopf von diesen furchtbaren Thieren bezahlt. Das ist viel, doch ich gebe von ganzem Herzen zweihundert für jeden Kopf von einem Zeitungsschreiber. Und Sie, meine Schwägerin?«

»Ah!« sagte die Königin, »Sie wissen schon die Geschichte?«

»Herr von Provence hat sie mir erzählt.«

»Nun sind es drei,« versetzte Marie Antoinette: »Herr von Provence ist ein unerschrockener, unermüdlicher Erzähler. Sagen Sie uns das doch ein wenig.«

»So daß Sie weißer scheinen als Hermelin, weißer als Venus Aphrodite. Es gibt wohl noch einen andern Namen, der mit ène endigt, die Gelehrten könnten Ihnen denselben sagen, mein Bruder von Provence z. B.«

»Es ist darum nicht minder wahr, daß er Ihnen das Abenteuer erzählt hat?«

»Vom Zeitungsschreiber? Ja, meine Schwägerin. Doch Eure Majestät ist mit Ehren daraus hervorgegangen. Man könnte sogar, wenn man einen Calembourg machen wollte, wie Herr von Bièvre jeden Tag macht, sagen: Die Sache der Kufe ist gewaschen.«

»Oh! das abscheuliche Wortspiel.«

»Meine Schwägerin, mißhandeln Sie nicht einen Paladin, der seine Lanze und seinen Arm zu Ihrer Verfügung gestellt hat. Zum Glück brauchen Sie Niemand. Ah! liebe Schwägerin, Sie haben ein wahres Glück.«

»Sie nennen das Glück! Hören Sie ihn an, Andrée.«

Jeanne lachte; der Graf, der sie unablässig anschaute, verlieh ihr Muth. Man sprach zu Andrée, Jeanne antwortete.

»Das ist Glück,« wiederholte der Graf von Artois, »denn es konnte am Ende wohl sein, meine liebe Schwägerin, erstens daß Frau von Lamballe nicht bei Ihnen gewesen wäre.«

»Würde ich allein dahin gegangen sein?«

»Zweitens daß Frau von La Mothe sich nicht dort vorgefunden hätte, um Sie am Eintritt zu verhindern.«

»Ah! Sie wissen, daß die Frau Gräfin dort war?«

»Meine Schwägerin, wenn der Herr Graf von Provence erzählt, so erzählt er Alles. Es konnte endlich sein, daß sich Frau von La Mothe zu geeigneter Zeit nicht in Versailles befunden hätte, um Zeugschaft abzulegen. Ohne Zweifel werden Sie mir sagen, die Tugend und die Unschuld seien wie ein Veilchen, das nicht gesehen zu werden braucht, um gekannt zu werden; doch was das Veilchen betrifft, meine Schwägerin, so macht man Sträuße daraus, wenn man es sieht, und man wirft es weg, wenn man seinen Wohlgeruch eingeathmet hat. Das ist meine Moral.«

»Sie ist schön.«

»Ich nehme sie, wie ich sie finde, und ich habe Ihnen bewiesen, daß Sie Glück gehabt.«

»Schlecht bewiesen.«

»Soll ich es besser beweisen?«

»Das wird nicht überflüssig sein.«

»Ei! Sie sind ungerecht, daß Sie das Schicksal anklagen,« sagte der Graf, der sich um und um drehte, um auf einen Sopha neben der Königin zu fallen, »denn am Ende gerettet bei dem bekannten Sprung aus dem Cabriolet ...«

»Eins,« sagte die Königin, an ihren Fingern zählend.

»Gerettet bei der Kufe.«

»Gut, ich zähle das. Zwei. Weiter?«

»Und gerettet bei der Geschichte auf dem Ball,« sagte er ihr in's Ohr.

»Welchen Ball meinen Sie?«

»Den Opernball.«

»Wie beliebt?«

»Ich sage den Opernball, meine Schwägerin.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

Er lachte.

»Welch ein Dummkopf bin ich, daß ich mit Ihnen von einem Geheimniß spreche!«

»Ein Geheimniß! In der That, mein Schwager, man sieht, daß Sie vom Opernball sprechen, denn ich bin ganz verwirrt.«

Die Worte: Ball, Oper, trafen Jeanne's Ohr, und sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeit.

»Stille davon!« sagte der Prinz.

»Nein, nein, durchaus nicht! Erklären wir uns,« erwiderte die Königin. »Sie sprechen von einer Geschichte im Opernhause; was ist das?«

»Ich flehe Ihr Mitleid an, meine Schwägerin.«

»Graf, ich beharre darauf, daß ich es wissen will.«

»Und ich beharre darauf, daß ich schweige.«

»Wollen Sie mich ärgerlich machen?«

»Keines Wegs. Ich denke, ich habe genug gesagt, daß Sie begreifen.«

»Sie haben gar nichts gesagt.«

»Oh! nun quälen Sie mich, mein Schwesterchen ... seien Sie aufrichtig.«

»Bei meinem Ehrenwort, ich scherze nicht.«

»Wollen Sie, daß ich spreche?«

»Auf der Stelle.«

»Nicht hier, anderswo,« sagte er, auf Jeanne und Andrée deutend.

»Hier! hier! es können nie zu viel Leute für eine Erklärung anwesend sein.«

»Nehmen Sie sich in Acht, meine Schwägerin.«

»Ich will es wagen.«

»Sie waren nicht auf dem letzten Opernball?«

»Ich!« rief die Königin; »ich auf dem Opernball?«

»Ich bitte, leise.«

»Oh! nein, schreien wir das, mein Schwager! ich sei auf dem Opernball gewesen, sagen Sie?«

»Gewiß, ja, Sie waren dort.«

»Sie haben mich vielleicht gesehen?« versetzte sie mit Ironie, aber bis dahin scherzend.

»Ich habe Sie gesehen.«

»Mich! mich!«

»Sie! Sie!«

»Das ist stark.«

»Das habe ich mir auch gesagt.«

»Warum behaupten Sie nicht auch vollends, Sie haben mit mir gesprochen? das wäre noch drolliger.«

»Bei meiner Treue, ich war eben im Begriff, Sie anzureden, als ein Schwarm von Masken uns trennte.«

»Sie sind verrückt!«

»Ich war fest überzeugt, Sie würden mir das sagen. Ich hätte mich dem nicht aussetzen sollen, das ist mein Fehler.«

Die Königin stand plötzlich auf und machte in großer Aufregung ein paar Schritte im Zimmer.

Der Graf schaute sie mit erstaunter Miene an.

Jeanne drückte sich die Nägel in's Fleisch, um eine gute Haltung zu beobachten.

Die Königin blieb wieder stehen und sagte zu dem jungen Prinzen:

»Mein Freund, scherzen wir nicht, ich habe einen so schlimmen Character, daß Sie sehen, ich verliere schon die Geduld; gestehen Sie geschwind, daß Sie sich auf meine Kosten haben belustigen wollen, und ich werde sehr glücklich sein.«

»Ich gestehe Ihnen das, wenn Sie wollen, meine Schwägerin.«

»Seien Sie ernst, Carl.«

»Ernst wie ein Fisch.«

»Ich bitte inständig, sagen Sie mir, nicht wahr, Sie haben dieses Märchen geschmiedet?«

Er schaute blinzelnd die Damen an und antwortete dann:

»Ich habe geschmiedet, wollen Sie mich entschuldigen.«

»Sie haben mich nicht verstanden, mein Schwager,« wiederholte die Königin mit großer Heftigkeit. »Ich frage Sie, ja oder nein, nehmen Sie vor diesen Damen zurück, was Sie gesagt haben? Lügen Sie nicht, schonen Sie mich nicht.«

Andrée und Jeanne verschwanden hinter der Gobelinstapete.

»Nun! meine liebe Schwägerin,« sprach der Prinz mit leiser Stimme, als sie nicht mehr da waren, »ich habe die Wahrheit gesagt; warum warnten Sie mich nicht früher.«

»Sie haben mich auf dem Opernball gesehen?«

»Wie ich Sie jetzt sehe, und Sie haben mich auch gesehen?«

Die Königin stieß einen Schrei aus, rief Jeanne und Andrée, lief selber weg, um sie von der andern Seite der Tapete zu holen, nahm jede von ihnen bei einer Hand und zog sie rasch Beide herein.

»Meine Damen, der Herr Graf von Artois behauptet, er habe mich im Opernhause gesehen,« sagte sie.

»Oh!« murmelte Andrée.

»Es ist nicht mehr Zeit zurückzuweichen,« fuhr die Königin fort. »Beweisen Sie, beweisen Sie ...«

»Hören Sie,« sprach der Prinz. »Ich war mit dem Marschall von Richelieu, mit Herrn von Calonne, mit ... mein Gott, mit einer ganzen Gesellschaft. Ihre Maske ist abgefallen.«

»Meine Maske!«

»Ich wollte Ihnen sagen: das ist mehr als verwegen, meine Schwägerin! da waren Sie verschwunden, fortgezogen von dem Cavalier, der Ihnen den Arm reichte.«

»Der Cavalier! Oh! mein Gott! Sie machen mich toll.«

»Ein blauer Domino,« fügte der Prinz bei.

Die Königin fuhr mit ihrer Hand über die Stirne.

»An welchem Tag war dieß?« fragte sie.

»Am Sonnabend, am Tag vor meiner Abfahrt zur Jagd. Sie schliefen noch am Morgen, als ich aufbrach, sonst hätte ich Ihnen da schon gesagt, was ich Ihnen so eben gesagt habe.«

»Mein Gott, mein Gott! Um welche Stunde haben Sie mich gesehen?«

»Es mochte zwischen zwei und drei Uhr sein.«

»Es ist entschieden, entweder bin ich verrückt oder sind Sie es.«

»Ich wiederhole Ihnen, daß ich es bin; ich werde mich getäuscht haben ... doch ...«

»Doch? ...«

»Kümmern Sie sich nicht so sehr, man hat nichts erfahren ... Einen Augenblick glaubte ich, Sie wären mit dem König, doch Ihr Begleiter sprach Deutsch, und der König versteht nur Englisch.«

»Deutsch ... ein Deutscher! Oh! ich habe einen Beweis, mein Schwager. Am Sonnabend legte ich mich um eilf Uhr zu Bette.«

Der Graf verbeugte sich lächelnd wie ein ungläubiger Mensch.

Die Königin läutete.

»Frau von Misery wird Ihnen Alles sagen.«

Der Graf lachte.

»Warum rufen Sie nicht auch Laurent, den Portier? er wird auch Zeugschaft ablegen. Ich habe diesen Lauf gegossen, Schwesterchen, schießen Sie nicht auf mich.«

»Oh!« rief die Königin voll Wuth. »Oh! daß man mir nicht glauben will!«

»Ich würde Ihnen glauben, wenn Sie weniger in Zorn geriethen. Doch wie ist das möglich! sage ich Ihnen ja, so werden Andere, wenn sie kommen, nein sagen.«

»Andere? welche Andere?«

»Bei Gott! diejenigen, welche gesehen haben, wie ich.«

»Ah! das ist wahrlich seltsam! Es gibt Leute, die mich gesehen haben. Wohl! so zeigen Sie mir diese Leute.«

»Sogleich ... ist Philipp von Taverney da?«

»Mein Bruder!« sagte Andrée.

»Er war dort, mein Fräulein,« antwortete der Prinz: »wollen Sie, daß man ihn befrage, meine liebe Schwägerin?«

»Ich bitte inständig darum.«

»Mein Gott!« murmelte Andrée.

»Was?« machte die Königin.

»Mein Bruder zur Zeugschaft berufen!«

»Ja, ja, ich will es.«

Und die Königin rief; man lief, um Philipp zu suchen, bis zu seinem Vater, den er eben nach der von uns geschilderten Scene verlassen hatte.

Herr des Schlachtfeldes bei seinem Duell mit Charny, ging Philipp, der der Königin einen Dienst geleistet hatte, freudig nach dem Schlosse Versailles.

Man fand ihn auf dem Weg, theilte ihm den Befehl der Königin mit, und er eilte, zu gehorchen.

Marie Antoinette stürzte ihm entgegen, stellte sich gerade vor ihn und rief:

»Mein Herr, sind Sie im Stande, die Wahrheit zu sagen?«

»Ja, Madame, ich bin unfähig, zu lügen,« erwiderte er.

»So sagen Sie ... sprechen Sie offenherzig, ob ... ob Sie mich seit acht Tagen an einem öffentlichen Orte gesehen haben.«

»Ja, Madame.« antwortete Philipp.

Die Herzen schlugen im Zimmer, daß man sie hätte hören können.

»Wo haben Sie mich gesehen?« fragte die Königin mit einer furchtbaren Stimme.

Philipp schwieg.

»Oh! seien Sie ohne Schonung, mein Herr, mein Schwager hier behauptet, er habe mich auf dem Opernball gesehen; und Sie, wo haben Sie mich gesehen?«

»Wie Monseigneur der Graf von Artois, auf dem Opernball, Madame.«

Die Königin sank, wie vom Blitze getroffen, auf den Sopha.

Dann erhob sie sich wieder mit der Raschheit eines verwundeten Tigers und rief:

»Das ist nicht möglich, da ich nicht dort gewesen bin. Hüten Sie sich wohl, Herr von Taverney, ich bemerke, daß Sie hier Puritaner-Manieren annehmen; das ist gut in America bei Herrn von Lafayette, doch in Versailles sind wir Franzosen, und höflich und einfach.«

»Eure Majestät verletzt Herrn von Taverney,« sprach Andrée, bleich vor Zorn und Entrüstung. »Wenn er sagt, er habe gesehen, so hat er gesehen.«

»Sie auch!« rief Marie Antoinette: »Sie auch! Es fehlt wahrhaftig nur noch, daß Sie mich auch gesehen haben. Bei Gott! wenn ich Freunde habe, die mich vertheidigen, so habe ich auch Feinde, die mich ermorden. Ein einziger Zeuge gibt kein Zeugniß, meine Herren.«

»Sie erinnern mich daran,« sprach der Graf von Artois, »daß ich in dem Augenblick, wo ich Sie sah, und wo ich wahrnahm, der blaue Domino sei nicht der König, glaubte, es sei der Neffe des Herrn von Suffren. Wie heißt er doch, der brave Officier, der die Heldenthat auf der See vollführt hat? Sie haben ihn eines Tags so gut empfangen, daß ich glaubte, er sei Ihr Ehrenritter.«

Die Königin erröthete; Andrée wurde bleich wie der Tod. Beide schauten sich an und bebten, als sie sich so sahen.

Philipp wurde bleifarbig.

»Herr von Charny,« murmelte er.

»Charny! so ist es.« fuhr der Graf von Artois fort. »Nicht wahr, Herr Philipp, die Tournure dieses blauen Domino hatte Aehnlichkeit mit der des Herrn von Charny?«

»Ich habe es nicht bemerkt, Monseigneur,« erwiderte Philipp, beinahe erstickend.

»Aber,« fuhr der Graf von Artois fort, »ich habe bald bemerkt, daß ich mich getäuscht, denn Herr von Charny bot sich plötzlich meinen Augen, er war da, bei Herrn von Richelieu, Ihnen gegenüber, meine Schwägerin, in dem Augenblick, wo Ihre Maske fiel.«

»Und er hat mich gesehen?« rief die Königin mit Hintansetzung aller Klugheit.

»Wenn er nicht blind ist,« erwiderte der Prinz.

Die Königin machte eine verzweifelte Geberde und schüttelte abermals die Glocke.

»Was machen Sie?« sagte der Prinz.

»Ich will auch Herrn von Charny befragen, den Kelch bis auf die Hefe leeren.«

»Ich glaube nicht, daß Herr von Charny in Versailles ist,« murmelte Philipp.

»Warum nicht?«

»Man hat mir, glaube ich, gesagt, er sei ... unpäßlich.«

»Oh! die Sache ist ernst genug, daß er kommen muß, mein Herr. Ich bin auch unpäßlich, und dennoch würde ich mit bloßen Füßen bis an's Ende der Welt gehen, um zu beweisen ...«

Mit zerrissenem Herzen näherte sich Philipp Andrée, welche durch das Fenster schaute, das auf die Blumenbeete ging.

Plötzlich konnte sich Andrée eines Schreies nicht erwehren.

»Was gibt es?« fragte die Königin, indem sie auf Andrée zuging.

»Nichts, nichts ... Man sagte, Herr von Charny sei krank, und ich sehe ihn.«

»Du siehst ihn?« rief Philipp an's Fenster laufend.

»Ja, er ist es.«

Alles vergessend, öffnete die Königin mit einer außerordentlichen Stärke das Fenster, und rief mit lauter Stimme:

»Herr von Charny!«

Dieser drehte den Kopf um, und wandte sich dann, ganz bestürzt vor Erstaunen, nach dem Schlosse.


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