Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Augsburg den 20sten December 1844.

Sollten Sie denken, liebes Mütterchen, daß ich in einer Kinderstube sitze und diesen Brief unter dem Geschrei eines Prachtstücks von einem Buben anfange? Gestern Abend sieben Uhr ist Louise niedergekommen; hauptsächlich seit ein Uhr – obwohl schon um drei Uhr in der Nacht zur Hebamme geschickt war – litt Louise gewaltig, denn die Geburt war eine schwere, doch ganz regelmäßige. Der Bube wurde mit 'ner Haube geboren, an Louisen's Glückstag, dem 19ten, und hatte die Discretion, sich erst durch die Wehen grade in dem Augenblicke anzukündigen, als das Mädchen die letzte Hand an die Herrichtung der Wochenstube legte. Er ist auffallend groß und stark, und lange Hände, Füße und Ohren kündigen an, daß er in die Familie der baumlangen Galls schlagen will. Tant mieux! Auch sein Gesichtchen gleicht Louise, und eine Stimme zum Criölen hat er – ich sage Ihnen, wie'n Alter! Sie können sich meine Freude denken! Gott erhalte ihn nur und laß ihn mir nur recht gesund werden! Und Sie – Mütterchen, Sie müssen ihn lieb haben und ihn segnen, das wird ihm gut thun, wissen Sie, und da Sie nun doch sein Großmütterchen sind, so müssen Sie ihm ein Gedicht in seine Wiege legen als Talisman! Wenn Sie sich ihn dazu vorstellen wollen, so denken Sie sich nur einen kleinen rothen Chinesen, der schon seine eignen eigensinnigen Allüren hat, obwohl er nicht vierundzwanzig Stunden alt ist, und der fürchterlichen Appetit besitzt.

Sie haben mir geschrieben, ich sollte Ihnen einen kleinen Jungensbrief schicken – und sehen Sie, da haben Sie einen im eigentlichsten Sinne der Rede; ich könnte Ihnen den ganzen Brief vollschreiben von allen seinen Künsten, Manieren und Eigenschaften. Louise ist fürchterlich stolz auf ihn – ich bin es auch, und Kolb, der für sein Mädchen ums Leben gern einen Buben hätte, beneidet uns überaus.

Jetzt, liebes Mütterchen, müssen Sie auch bald zu uns kommen, damit ich Ihnen mein Prachtstück zeigen kann!

Aus dem Kerl, denk' ich, soll was Rechtes werden, vor allen Dingen ein braver Mensch und kein Genie! Ne vous en déplaise! Sie wissen aber auch Beides zu vereinigen, und das wissen nicht Alle!

Schreiben Sie mir doch, was Sie von Freiligrath und seinem Glaubensbekenntniß halten. Das fällt mir bei Genie ein. – Auch, daß Sie durchaus Stifters »Studien« (Pesth bei Heckenast) lesen müssen.

Was hören Sie über Ihre Gedichte? Werden sie viel gekauft? Die Kritik in der Allgemeinen Zeitung war von Zedlitz; jetzt wird noch eine von Kühne kommen; Sie haben doch jene gelesen? Die Urtheile, die ich höre, stimmen darin überein, daß Sie am größten in den kleinen ernsthaften Gedichten sind, auchAn dieser Stelle ist die untere Hälfte des Blattes abgeschnitten.  . . . . .

Sie müssen mir recht bald schreiben, wie es Ihnen geht, liebes Mütterchen, denn nach Ihrem letzten Brief bin ich beunruhigt darüber. Sie sollten doch so vernünftig sein und keinen Winter mehr in Westphalen zubringen – es ist ja eine Sünde von Ihnen. Den folgenden Winter wohnen Sie bei uns in Augsburg, das sag' ich Ihnen hiermit feierlich an! Nicht wahr, Sie thuen's?

Ihr treuester Levin.


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