Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Rüschhaus den 29sten September 1844.

Lieber Levin! Erst gestern Abend hier angekommen, und mit einem Kopfweh, von dem mir die Augen überlaufen, schreibe ich Ihnen doch schon heute, um die Realisirung des Wechsels nicht aufzuhalten, da die Bestätigung meines Meersburger Kaufs noch immer sich verzögert, und es deshalb möglich wäre, daß das Geld noch grade recht zum Zahlungstermine käme, was mir sehr angenehm wäre, weil sonst Laßberg für mich eintreten muß. Beeilen Sie deshalb, ich bitte, die Auszahlung und Absendung möglichst; Jenny wünscht dieses auch. Leider sehe ich eben, daß ich bei Endossirung des Wechsels statt »Rüschhaus bei Münster« bloß »Rüschhaus« geschrieben habe; ich hoffe, das bringt doch keine Schwierigkeiten? Jedenfalls ist's nicht mehr zu ändern. Das Bücherpacket habe ich noch nicht erhalten, kann dieses aber schon abwarten, um so mehr, da ich weiß, daß kein Brief von Euch Lieben beigeschlossen ist.

Lieber Levin, Sie sehen also jetzt der allerwichtigsten Veränderung Ihres häuslichen Lebens entgegen; ich freue mich herzlich darüber und weiß, daß es grade für Sie ein unbeschreiblich festes Band an Frau und Haus sein wird. Jetzt geht erst das rechte Glück an und bringt freilich auch erst die rechten Sorgen mit, die aber noch Niemand mit dem Glücke zugleich hätte los sein mögen. Es wäre ein Wunder, wenn die in Ihrer Familie ohnedies schon erbliche Poesie jetzt nicht doppelt aufschießen sollte. Sechs schriftstellernde Schückinge giebt es schon, Ihre Eltern, Sie und Louise, Alfred und Pauline; das wird werden wie bei den Grafen von Reuß, »Schücking XVII.–XVIII.« Hüten Sie Louisen jetzt nur wie Ihren Augapfel; Sie müssen bedenken, daß sie selbst noch unerfahren ist, nicht weiß, was ihr gut oder schädlich sein könnte, und ihr keine Mutter mit Rath zur Hand geht. Vor Allem lassen Sie sie nichts Schweres heben und überhaupt nie über sich hinauf heben oder langen; es soll schaden, wenn man es nicht für möglich hielt und gar keine Anstrengung fühlte.

Ich habe in Meersburg noch allerlei namhafte Leute kennen gelernt, unter Andern Guido Görres, der mit seiner eben angetrauten Frau, einer Tochter der berühmten Metzger-Vespermann, drei Flitterwochen bei uns verlebte. Er hat eine ungeheure Ähnlichkeit mit meinem Onkel August Haxthausen, und zwar, auf den ersten abord, nicht von der vortheilhaftesten Seite, gewinnt aber ungemein im Umgange, wo er bedeutenden Geist nebst großer Gutmüthigkeit und Offenheit entwickelt. Sie ist blutjung, hat la beauté du diable, und nichts Bedeutendes, aber so viel Kindliches und Neulingartiges in Physiognomie und Benehmen, daß Einem dadurch Alles, was sie sagt, auch das mitunter recht Gescheute, fast kindisch vorkömmt. Wir hatten sie gern, und ihr schüchternes Gemüth hatte sich uns so angeschlossen, daß sie beim Abschiede bitterlich weinte. Seltsam macht sich zu ihrem kleinen blonden Figürchen ein ausgezeichnetes musikalisches Talent; sie spielt nicht nur süperbe Clavier, sondern phantasirt auch ganz hinreißend und war eben daran, eine Sammlung sehr schöner Liedercompositionen auf Texte ihres Mannes heraus zu geben. Sie arbeiten überhaupt gern gemeinschaftlich; Görres machte ein Gedicht auf die alte Meersburg, und nach einer halben Stunde war ihre Komposition mit Klavierbegleitung fertig; zu einem Gedichte, das er mir niederschrieb, setzte sie sogar in einem Morgen die durch alle Strophen gehende Musik. Es ist sonderbar, daß unter allen Talenten grade die Musik, das zarteste und unkörperlichste von allen, sich häufig bei scheinbar unbedeutenden Persönlichkeiten einquartiert; denn so lieb und gut die Görres ist, kann ich sie doch unmöglich für durchgängig genial halten.

Sie fragen nach Junkmann? Schlüters? Lieber Freund, wir sind gestern bei stockfinstrer Nacht durch Münster gekommen, und ich weiß noch von nichts. Über Johanna Droste aber kann ich Ihnen genaue Auskunft geben; denn mein Bruder ist hier, und der Mund ihm noch warm vom Erzählen. Die Sache ist unläugbar und auch durch die Kraft des Glaubens bewirkt, die freilich aber noch kein Wunder bedingt. Die verstorbene Gräfin Droste war sehr schwächlich und hat – außer einem – lauter schwächliche Kinder hinterlassen, einen blindgeborenen Sohn und vier Töchter, von denen bereits drei, durch allerlei Übel, Lähmungen, Nervenschwäche &c. gepeinigt, abgezehrt und gestorben sind. Johanna ist die letzte Überlebende, achtzehn Jahr alt, und schon seit Jahren am Beine gelähmt, was zugleich im Knie bereits ganz krumm gewachsen und verknorpelt war; auch im Übrigen war ihre Gesundheit höchst elend, und man legte ihr schon seit zwei Jahren immer nur wochen-, höchstens monatsweise Lebensfristung zu. Dennoch brachte man sie diesen Sommer in ein Bad am Rhein, – welches, habe ich schon vergessen, obwohl ich es erst eben hörte, – ohne Hoffnung, nur um Alles versucht zu haben. Dort hörte sie von der Ausstellung des heiligen Rockes (Christi) in Trier, einer Reliquie, die für gewöhnlich in einer Nische vermauert ist und nur nach beträchtlichen Zwischenräumen – ich glaube alle fünfzig Jahr – in der aufgebrochenen und vergitterten Nische auf einige Wochen ausgestellt wird. Sie sah das beständige Vorüberfahren der Wallfahrter in Kähnen und auf großen Flößen, mit aufgepflanztem Kreuze in der Mitte, und in ihr setzte sich die Überzeugung fest, sie werde vor dem heiligen Schreine unfehlbar geheilt werden. Ihre Begleiter waren gegen dies Unternehmen, das weit über ihre Kräfte zu gehn schien: als aber die Ärzte erklärten, keine Anstrengung könne ihr so schaden wie diese unbefriedigte Sehnsucht, ward sie mit großer Beschwerde nach Trier transportirt, in die Kirche getragen und dort vor dem Schreine auf ihr gesundes Knie niedergelassen. Daß sie dann mit großer Inbrunst und Aufregung gebetet hat, läßt sich denken. Man hatte ihr erlaubt, die Reliquie zu berühren; es kam aber nicht dazu, weil grade eine Prozession in die Kirche zog. Dennoch kömmt ihr auf einmal unter dem Beten die Überzeugung, sie sei geheilt; sie richtet sich an ihren Krücken auf, streckt das gekrümmte Bein aus, stellt sich dann grade hin und ruft: »Jesus Maria, ich stehe auf beiden Füßen!« Man springt zu, sie zu stützen; aber sie weist Alle zurück, lehnt sich nur leicht auf den Arm ihrer Großmutter, der alten Erbdrostin, und die ganze Gesellschaft verläßt laut weinend die Kirche, nachdem Johanna ihre Krücken dort zurück gelassen hat. Seitdem ist das krumme Knie ganz grade, gelenkig und so brauchbar wie das andere; nur hinkt sie stark, da sich der eine Fuß jetzt als bedeutend kürzer als der andre ausgewiesen hat, und ist auch sonst fortwährend ein schwaches Persönchen geblieben. Indessen ist die Streckung und Wiedergelenkigkeit eines bereits ganz verknorpelten und verkrümmten Gliedes etwas, bei dem sich bis jetzt sowohl die Macht der Arzneikunst als die der Phantasie als gänzlich erfolglos bewiesen haben, und der Fall gehört jedenfalls unter die alleraußerordentlichsten. Dies ist der wahre Hergang einer Begebenheit, die fast in jedem Munde variirt und selbst in öffentlichen Blättern so seltsam entstellt worden ist.

Lieber Levin, ich kann diesen Brief nicht beendigen; wir haben uns mit der Bückersche brouillirt und deshalb nur zufällige Gelegenheit nach Münster, und die heutige will auf der Stelle fort. Adieu, Adieu; das nächste Mal schreibe ich mehr und Sie mehr Interessirendes, dann auch, wie es mit dem Doctoriren in Münster steht, wornach ich mich jetzt natürlich noch nicht habe erkundigen können. Tausend Liebes an Louisen, Gott segne Euch Beide.

Mit alter Treue
Eure Annette.          

PS. Wenn meine Gedichte sollen recensirt werden, so ists allerdings besser, wenn dies von einem Andern als Sie ausgeht. – Liebes Kind, dieser Brief ist kurz und hölzern; aber theils kann ich vor Kopfweh kaum einen Gedanken fassen, theils dachte ich, das rechte Schreiben solle noch erst angehn, und muß nun unversehends abbrechen. Das nächste Mal solls besser werden, jetzt bin ich zu kaput und zu eilig.


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