Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Hülshoff den 27sten December 1842.

Es ist schon fast dunkel, lieber Levin, und ich fange doch noch an Ihnen zu schreiben; denn die Augenblicke sind rar. Schon mehrere Tage vor dem fünfzehnten mußte ich nach Münster, um meine Tante Ludowine zu pflegen, die dort recht krank geworden ist und erst gestern hat hieher gebracht werden können; deshalb meine Zögerung und die wahrscheinliche Kürze dieses Briefes; ich werde jetzt hier bleiben bis zum h. Dreikönigstage, auf den Ludowinens Abreise festgesetzt ist. In Münster traf ich Schlüters am Umziehen; der alte Scheffer, Arnold Schlüters Schwiegervater, ist vor ein paar Monaten gestorben, seine Tochter Marie dadurch ganz einsam gestellt und so trostlos, das elterliche Haus zu verlassen, daß Arnold die Seinigen bewogen hat, zu ihr zu ziehn, damit sie anständig bleiben kann. In Zukunft müssen Sie sich also diese guten Leutchen aus dem alten Steinwege denken und Marie Scheffer als stehendes Familienglied. Unser armer Professor hat ungern daran gewollt und wird sich noch manche Beule holen. Das Local ist auch, obwohl hübsch, besonders ungünstig, voll Krümmen, Winkel und Schrankecken; vor Allem macht mir eine tückische Stiege, grade neben seiner Thür, Sorge; er sah auch ängstlich und beklommen aus, und doch anderseits kregel, weil es was Neues gab, – sein Leben ist so einförmig! Grüßen Sie ihn doch in Ihrem nächsten Briefe; ich theilte ihm aus Ihrem letzten Einiges mit und sah mit Betrübniß, wie er auf ein freundliches Wort für sich lauerte, was leider nicht darin stand.

Denken Sie sich das Malheur: die Bornstedt kömmt wieder!! und ich möchte schreien wie Frau Kratzefoot im Reineke de Voß: O waih, o waih, se is allerdinge do! Da ist sie zwar noch nicht, aber wir können sie jede Stunde erwarten, und ich glaube jetzt beinahe, daß sie schon lange im Klaren ist und nur gehofft hat, die desperaten Umstände durch eine vom Könige ersungene Pension noch heurathbar zu machen; Sie wissen, daß sie bei der Anwesenheit desselben sich in Neufchatel eingestellt, mit scharfen Recommandationen dem General Pfuhl ein Gedicht übergeben, und dieser ihr dafür hundert Thaler vom Könige verschafft hat. Zum Dank dafür hat sie ihm jetzt einen groben Brief geschrieben: »So seis nicht gemeint gewesen! was ihr die lumpigen hundert Thaler helfen könnten? Sie hätte wohl eine Pension verdient, und er hätte sie ihr auch verschaffen können! Wie die Umstände jetzt wären, würde wohl aus ihrer Heurath nichts werden und sie nach Münster zurückkommen« &c. Gegen die Madame Glaß hat sie allmählicher eingelenkt; zuerst ein Brief voll Überdruß der Schweiz: »die Alpen machten ihr Blut erstarren, das Clima sie krank und noch melancholischer wie in Münster«; dann einer: »die Verwandten ihres Nicolaus seien fatale, habgierige Leute, die Hindernisse aufthürmten, er selbst aber beharre in heißer, standhafter Liebe und bemühe sich mit allen Kräften um ein Amt«; und zuletzt vor vierzehn Tagen: »es sei ein Familienrath gehalten, wo man herausgebracht, daß sie wohl kein sicheres Einkommen habe; somit sei, wenigstens vorläufig, Alles aus, und sie werde wahrscheinlich nach Münster zurück kommen«. Sie dauert mich doch vom Herzen; wovon soll das arme Ding leben, da ihre paar Stunden jetzt längst besetzt sind! Und ihre Möbel sind auch hin, für so elendes Spottgeld, daß sie nicht mal ihren müden Körper dafür wieder in ein Bette bringen kann. Daß sie sich der schweren und dabei nutzlosen Aufgabe unterwirft, wieder in Münster aufzutreten, wo sie weder Brod noch Freunde findet, kann ich mir nur daraus erklären, daß ihr Flügel noch dort steht, – ihr Wagen und Pflug, ohne den sie gradeweg betteln oder verhungern muß, und zu dessen Transport sie gewiß kein Geld hat; denn sie lebt schon lange nicht mehr bei Verwandten in spe sondern im Gasthofe. Der Schrecken in Münster ist so allgemein, daß Einem überall wie ein Freimaurergruß entgegenkömmt: »Haben Sie schon gehört! Um Gotteswillen, die Bornstedt kömmt wieder!« Alle, die, so lange sie hier war, aus Barmherzigkeit noch gut von ihr sprachen, haben nachher ihr Herz so derb ausgeschüttet, daß sie sowohl ihrer eignen Reden als dessen, was sie jetzt von Andern erfahren, wegen sich nicht mehr mit ihr befassen können; kurz, sie ist in der öffentlichen Meinung gänzlich ruinirt und fortan ein so armes Geschöpf, daß man viel schlimmer sein müßte als sie selbst, um ihr etwas nachzutragen. Umgehen werde ich nicht mehr mit ihr, aber – wird mein gutes Kind mir böse, nennt es mich eine langweilige, inconsequente Person, wenn ich wieder auf den alten Velhagenschen Plan zurück komme? Sie ist so gar arm, und mein Beutelchen sonst viel zu klein! Wollte mir Cotta ein ordentliches Honorar geben, so könnte ich dieses an Velhagen schicken mit der Bitte, es der Bornstedt unter der bewußten Rubrik einzuhändigen, und das Versprechen einer späteren Arbeit für seinen Verlag hinzufügen. So wäre der Sache nach allen Seiten genug gethan; aber Cotta wird mir nichts geben! Jedenfalls muß ich erst abwarten, ob die Bornstedt wirklich kömmt, wie sich ihre Lage gestaltet, und ob sie die Unterhandlung mit Velhagen wieder aufnimmt; durch Nanny Scheibler erfahre ich das Alles, d. h. indirect, durch die Rüdiger, denn Nanny weiß natürlich nichts von meinem Plane.

Bis dahin arbeite ich rüstig voran, und zur Ostermesse kann jedenfalls das Buch erscheinen. Ich habe soeben ein größeres Gedicht beendigt von ohngefähr 600–700 Versen, »Der Spiritus familiaris des Roßtäuschers«, sieben Abtheilungen, eine Grimmsche Sage zum Grunde; sie gefällt sehr. Meine späteren Gedichte sind fast alle zu lang, um Ihnen eins davon zu schicken; ich habe mich Ihrer Mahnung erinnert, die Sammlung durch einiges recht Hervorstechende zu completiren. NB. Die Auflage bei HüfferGedichte von Annette Elisabeth v. D . . . . H . . . . Münster, 1838. ist vergriffen, und Werner meint, ich soll jetzt Alles zusammen herausgeben; was meinen Sie? Den Grafen von Thal mal gewiß, auch die Schlacht im Loener Bruch; ich hätte aber auch Lust, die andern Sachen durchzuarbeiten und nur die geistlichen Lieder fortzulassen. Qu'en dites-vous? Im Morgenblatte sind noch zwei Gedichte von mir erschienen, »Junge Liebe« und »Am Thurme«, also sieben im Ganzen, und fehlen nur noch zwei, »Der Corse« und »Am See« – mehr haben wir nicht geschickt –; legt mir dieses eine Verbindlichkeit auf, jene zwei nicht drucken zu lassen?

Ihre Gedichte in der Europa – glaub ich – habe ich gelesen, sie machen sich sehr gut und finden großen Beifall. Vom »Paul«Auf welches Werk L. Schückings sich diese Äußerungen beziehen, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen, sie passen aber durchaus auf »Paul Bronckhorst,« der freilich erst 1859 veröffentlicht wurde. habe ich bis jetzt nur das erste Blatt erhalten. Sie nehmen einen prächtigen Anlauf; können Sie es so durchhalten, dann giebt es ein sehr schönes Buch, das Beste, was ich in Prosa von Ihnen kenne. Nur die Anekdote vom tapfern Rekruten, der sich wundert, daß der Feind scharf ladet, hätte ich, – da sie hübsch ist, – anderwärts angebracht gewünscht, wozu sich gewiß noch Gelegenheit gefunden hätte; hier fühlt man ihr das gewaltsame Einschalten an; mein Junge ist immer eiliger wie sein Pferd, und wenn er was Nettes weiß, so hat die arme Seele keine Ruhe, bis er es auf den ersten besten Zaun gehängt hat. Deshalb drängen Ihre Erzählungen auch leicht übereilt dem Ende zu; der»Paul« z. B. läßt sich jetzt so gemächlich an wie ein dreibändiger Roman, und ich fürchte, Sie schlagen uns mit einem Male die Thür vor der Nase zu, wenn wir meinen, es solle erst recht angehn. Bitte, schlagen Sie dieses nicht in den Wind; Ihr StiftsfräuleinDiesen Titel führte Schückings erster, 1843 in den »Dombausteinen« abgedruckter Roman; er erschien als »Eine dunkle That« als Buch. (Leipzig 1846.) leidet auch etwas an dem Fehler, hundert Federn in den Gang zu setzen und sich dann davon zu machen, ehe die Maschine ihre gehörige Wirkung hat thun können. Beim Paul haben Sie jetzt noch alle Fäden in der Hand, lassen Sie keinen fallen; ich weiß, Sie verstehn es recht gut, Jedem seinen wirksamen Platz im Gewebe anzuzeigen, wenn Sie sich nur Zeit und Ruhe dazu gönnen. Ich bin sehr begierig auf den Paul, der Anfang ist wirklich köstlich. –

Die TabouillotMathilde v. Tabouillot, geb. Giesler, 1817 geboren, war in erster Ehe mit dem Weinhändler A. v. T. zu Mülheim und in zweiter mit dem Artillerieleutnant Annecke zu Münster verheiratet, mit dem sie 1850 nach Amerika auswanderte. Sie gab neben Übersetzungen aus dem Englischen einen Damenalmanach sowie zwei Gebetbücher heraus. hat neulich ein Stück auf die Bühne gebracht; den Titel habe ich vergessen, es ist ein Männername,* der Held Architekt, baut eine Cathedrale, die von seinen Neidern untergraben wird und zusammenstürzt; es soll über alle Beschreibung erbärmlich gewesen sein. Das Publikum ist outrirt, dennoch hat es ihr Alles gebracht, was sie wünschen konnte: ein volles Haus, Lob und Geld. Sie hatte das Manuscript einem etwas obscuren Verleger, ich glaube in Detmold oder Minden, angeboten und die Übereinkunft getroffen, daß, falls sie es zur Ausführung bringen könne und dann der allgemeine Beifall sich heraus stelle, er ihr zweihundert Thaler dafür geben, widrigenfalls aber Jeder das Seine behalten solle. Das Erste gelang ihr durch Hegels, mit denen sie durch Amelunxens scharf liirt worden ist. Der Verleger kam also zur Aufführung herbei, das wußte die ganze Stadt, und Jeder interessirte sich mehr für die arme Tabouillot wie für den dummen Teufel von Verleger, der dem Stücke nicht selbst ansehn konnte, was daran war. Das Haus füllte sich zum Ersticken, ihre besten Freunde nahmen hinter dem guten Schafskopf Platz und wurden fast ohnmächtig vor Entzücken, alle Andern klatschten sich die Hände wund. Am andern Morgen erschien eine lobende Recension; kurz, mein Verleger hat von seinem Geldsacke scheiden müssen und wird, zur Vermeidung größeren Schadens, am Besten thun, sein heilloses Manuscript in den Ofen zu stecken. Mein Bruder hatte auch, um Gotteswillen, Billets für sich und die Seinigen genommen und sagt, er wisse nicht, was kolossaler gewesen sei, die Dummheit oder Langweiligkeit des Stücks.

* Jetzt fällt mirs ein: Oithono.

Fraling hat neulich einen Hahnenkampf mit einigen Schauspielern gehabt – von der hiesigen Truppe –, die er in einem Leipziger Blatte grundschlecht gemacht hatte, grade als sie von der Truppe abgingen, Engagements suchten und deshalb nirgends ankommen konnten. Sie sind zurückgekehrt, haben ihn überall aufgesucht, anfangs aber nicht finden können, weil seine Eltern, ehrliche Bauersleute aus Nordwalde, ihn beim Kragen genommen und zu Hause eingespundet hatten. Endlich bittet er seine Mutter so lange, daß sie ihn einmal mit nach Münster nimmt; da grade packen ihn die Komödianten auf der Straße, und es ist ein Lärm gewesen, daß alle Fenster und Thüren aufgeflogen sind. Die alte Frau hat bitterlich geweint und immer gerufen: »Frans, ik bidde Di um Goertswillen, schwyg still!« und er dagegen: »Moder, Moder, Jy wiettet dat nich; ik mott kritiseren oder sterven!« Jetzt will er nach Bremen, wo er auf eine Lehrerstelle hofft. –

Den 29sten. Erst heute komme ich dazu, meinem guten Jungen mal wieder guten Tag sagen zu können; das Haus wimmelt wie ein Bienenstock, gestern sind sechs Gäste abgezogen, und es hilft noch nicht viel; ich behaupte, die Zimmer werden ordentlich finster von alle den Köpfen, die zwischen Mauer und Licht stehn. Zuerst also: den Auftrag für Prosper habe ich in so weit erfüllt, daß ich ihm in Ihrem Namen ein hübsches Reißzeug geschickt habe, aber nicht aus dem Laden, sondern mein pröperliches Eigenthum, womit mich die Mertens mal beglückt hat, und was, da ich bisher keine Anstellung als Geometer finden konnte, noch nagelneu ist. Leg also Deine zwei Thaler nett in Dein Sparbeutelchen, mi fili; ich wollte, ich könnte Heckthaler daraus machen, id est ich wollte, ich hätte den Muth dazu; denn können kann ich es, vermöge eines greulichen Schweinsleders, das mir neulich in die Hände gefahren ist, fürchte mich aber vor dem Klauenkasper, dem gläumigenglühenden. In der Volkssprache ist »gläumig« stehendes Eigenschaftswort des Teufels. Kuhschwanz. Ferner: Mein Conterfei ist und bleibt Dein eigen, mein lieb Herz, nur hängt die gute Elise so sehr daran, daß sie es nicht uncopirt abgeben will, und kann doch in diesem Augenblicke keinen Maler herbei hexen. Die Wenning verändert sehr unter dem Copiren und ist theuer dazu; es kann aber nicht fehlen, daß bald irgend ein vacirendes Genie einrückt, und dann, lieber Levin, wissen Sie selbst wohl, daß mich darnach verlangt, mich, wenigstens gemalt, mal wieder recht freundlich von Ihnen ansehn zu lassen; es ist mir ganz betrübt, wenn ich denke, Sie könnten vergessen, wie Ihr Mütterchen aussieht. Neulich traf ich bei der Rüdiger den neuen französischen Lion, M. Cherouit; das Bild wurde umher gezeigt, und Monsieur meinte, »die Züge seien da, die Seele aber fehle«. Der Mann hat sich in einem Male dadurch bei mir ruinirt; wollte Gott, ich sähe so edel aus wie das Bild! Aber der geistreichste Franzose meint, Damen gegenüber zuweilen fade werden zu müssen. Dieser gute Mann, Hofmeister des Prinzen Hatzfeld, macht jetzt in manchen Kreisen Regen und Sonnenschein. Daß er sehr geliebt wird, glaube ich kaum; denn er ist scharf, sentenziös, sehr moquant, dabei ziemlich alt und garstig; aber sein Urtheil, dem der feinste Geschmack zugeschrieben wird, stellt die geistige wie moralische Renommee der Damen fest, und es ist deshalb eine Ehrensache, ihm zu gefallen. Er schließt sehr vom Äußern – Stimme, Haltung, Kleidung – aufs Innere: ob zu gesucht oder zu nachlässig, zu modern oder zu altfränkisch; und ich glaube, daß keine Dame aus jenen Kreisen, bei Du-Vigneaus, Scheiblers &c. – sich mit gleicher Ängstlichkeit für einen keimenden Liebhaber putzt wie für das funkelnde Inquisitorauge des Herrn Cherouit. Nur Elise macht eine rühmliche Ausnahme, giebt sich unbefangen, wie sie ist, und wird ihm deshalb ohne Zweifel am Besten gefallen, d. h. nächst Nanny Brockhausen, die er so vorzieht, daß Jedermann die Beiden wie ein Brautpaar en herbe betrachtet. Ich muß Ihnen doch von jenem Abende bei Elisen erzählen, wo ich viele Leute kennen gelernt, Nanny Scheibler, ihre schöne Schwester Frau v. Tabouillot (Schwägerin der schreibenden), Nanny Brockhausen und M. Cherouit. Ich wollte ein paar stille, gemüthliche Stunden mit Elisen und Tante Ittchen zubringen, war im ordinairsten Costüm, dabei noch verregnet und verpluddert; an der Treppe kömmt mir Elise hastig entgegen, führt mich durch die Küche ins Kabinetchen, wo mir schon der französische caquet vom Saale entgegen schallt, und bittet mich vom Himmel zur Erde nicht umzukehren; Gott behüte! linksum kehrt Euch! Tante Ittchen und Nanny Scheibler werden zur Hülfe gerufen, und ich fahre endlich in den Saal, grimmig wie eine wilde Katze, unter der Bedingung, mir Niemanden vorstellen zu lassen und kein Wort französisch zu sprechen. So pflanze ich mich möglichst weit ab zwischen Tante Ittchen und Nanny Scheibler, drehe den ganzen Abend dem Franzosen den Rücken zu und mache zur Rechten deutsche Konversation, während er zur Linken französische. Das war zu viel für einen Lion! Mit en Mal läßt er seine Damen sitzen und plumpt wie ne Bombe in unser Gespräch, mit dem halsbrechendsten Deutsch. Ich gerieth in eine wahre Bärenlaune, antwortete ihm nur grade das Nöthigste und war aus Malice desto freundlicher gegen alle Übrigen. Als die Gesellschaft auseinander gegangen war, thaten Elise und Tante Ittchen doch ein bischen kleinlaut; an dem Cherouit war ihnen nichts gelegen, aber sie fürchteten seine Zunge für mich – und was geschah? Hören Sie mein Urtheil! Ich sei »une véritable dame de qualité«, habe »l'air noble d'une reine«, habe (hört! hört!) in meiner Kleidung »une simplicité du meilleur goût« und sei überall la femme la plus aimable et intéressante qu'il eût jamais vue«. Nichts natürlicher als das! Der Franzose war durch alle die Augendienerei bis ins Mark blasirt, ergo! Nanny Scheibler gefällt mir sehr wohl; sie ist eine idealisirte Louise Delius, gleich liebevoll und begeisterungsfähig wie diese und weit gescheuter und selbstständiger; sie ist von großer Ressource für Elisen, der sie mit Leib und Seele zugethan ist. Ihre Schwester ist eine frische Schönheit, soll mitunter schnippisch und hochmüthig sein können, war aber an diesem Abende das Gegentheil, natürlich, freundlich und fast demüthig, so daß ich ein recht liebenswürdiges Bild von ihr bekommen habe. Nur daß sie so auf ihre Schwägerin hackte, mißfiel mir, und ich verfocht das arme Ding deshalb, so viel man es unbekannter Weise kann; ich dachte, sie hielt mit dem Schwager zu, aber Gott behüte! sie findet ihn abscheulich, sein Betragen gegen die Frau gräßlich. Der durchgefallene Oithono ist aber schlimmer wie ein Laster; das hat mich denn doch empört! Nanny Brockhausen muß mal recht schön gewesen sein; gegen ihren Franzosen war sie sehr redselig, wovon ich aber nichts verstanden habe; nachher war sie still, sprach wenig und in etwas gesuchten Ausdrücken, hat mir aber doch einen sehr anständigen und fast würdevollen Eindruck gemacht; sie sieht wahrhaft vornehm aus. Louischen Delius hatte Kopfweh und hielt sich den ganzen Abend so still wie ein Heimchen im Herdloche. Tante Ittchen war dagegen sehr aufgeregt und gab eine Menge mitunter recht guter Bemerkungen von sich, die aber leider nicht gemeinnützig wurden, da ihr Grillenstimmchen in dem caquet förmlich verdunstete; hätte ich nicht neben ihr gesessen und mein Gehör angestrengt, so wäre Alles für die Hunde gegangen.

Die Lombard hat vielen Verdruß von ihren Buben, die weder lernen noch sonst gut thun wollen; vielleicht ist sie deshalb noch starrer wie früher. Mit der Bornstedt hat sie zuletzt impertinente Briefe gewechselt, wo beide mal die gründliche Wahrheit, leider wohl ohne Nutzen, gehört haben. Eifersucht wegen Cherouit, um dessen Votum sich Beide mit gleich wüthendem Ehrgeize beworben haben, ist der eigentliche unsichtbare und doch allbekannte Zankapfel gewesen und an keinen Rückschritt zu denken; denn die Bornstedt hat die Lombard »langweilig« und diese jene »lächerlich« genannt, – das sind Sünden, die selbst der Papst nicht vergeben kann. Jetzt verheurathet das Gerücht die Lombard mit einem gewissen Franzius; es soll aber von beiden Seiten nichts daran sein. Ebenso macht es ein Paar aus Nanny Scheibler und Schnittger, auch ohne Grund und zu Elisens Ärger, der dies Gerücht für Nanny lange nicht brillant genug ist. Da die Zeitungen jetzt nichts Wichtiges enthalten, müssen die Leute sich mit Klatschen behelfen. NB. – aber dieses ist ein großes Geheimniß – die Lombard schriftstellert, daß es pufft, nur anonym, und Übersetzungen erbaulicher Werke aus dem Französischen, die ihr aber ein horrendes Geld einbringen, mehr wie uns jemals alle unsre Original-Kleinodien; sie kömmt mir vor wie Hüffer, der durch Fastendispensen und Katechismen ein reicher Mann geworden ist.

Junkmann bekomme ich dieses Mal nicht zu sehn, obwohl er unfehlbar zu den Weihnachtsferien in Münster ist. Ihr allerliebstes Gedicht habe ich Annchen übergeben, die das artigste Ladenröschen von der Welt darstellt und anfängt, förmlich Furore zu machen, so daß Alles hinströmt pour ses beaux yeux«; sie ist auch wirklich wieder recht hübsch, scheint recht zufrieden und macht sich in ihrer neuen Stellung so keck, originell und zugleich bescheiden, daß ihr Mann immer in Bewunderung steht und mit leuchtenden Augen ihre Triumphe einerntet. Ihr Laden ist in dem Gäßchen vom Markte zum Domplatze, grade zwischen Coppenrath und Kellermanns ehemaliger Bude.

Von der armen Adele habe ich einen recht trüben Brief; sie ist noch in Bonn; Wolff, der ihr Übel immer am Günstigsten beurtheilte und in einer Kur zu heben hoffte, hat jetzt leider diese Ansicht aufgegeben und schiebt sie von sich ab, wie die Übrigen, dem Carlsbade zu. Ich fürchte mit ihr, daß an Heilung nicht zu denken ist, nur an Hinhalten, vielleicht Lindern, auf längere oder kürzere Zeit; es geht mir sehr nahe. Vielleicht kömmt sie auf einige Zeit nach Rüschhaus; Mama hat sie wenigstens dringend einladen lassen, und der Umweg ist unbedeutend; ich wünsche es natürlich sehr. Sie hat mir von eigner Hand ein wunderschön gemaltes Blatt geschickt, Randgemälde: ein Blumenkranz mit den zierlichsten Insekten durchsprenkelt, Alles in Gold und brennenden Farben; es ist das Schönste, was ich je in dieser Art gesehn, und so mühsam ausführlich, daß ich mich eben so viel darüber betrübt wie gefreut habe. Aber so lange sie ihre armen kranken Hände noch rühren kann, wird sie es für Andre thun. Weiß Gott, sie hat bei einigen zwar auffallenden aber harmlosen Schwächen doch ein großes Theil vom Engel in sich! Auch den zweiten und leider letzten Band des selig entschlafenen Frauenspiegels schickt sie. Er ist etwas besser wie der erste, hauptsächlich durch eine ganz hübsche Erzählung von Adelen selbst, – etwas im Tieckschen Stil, wie man sie vor zwanzig Jahren würde himmlisch gefunden haben, jetzt ein wenig veraltet, doch mit guter Charakterzeichnung. Ich glaube, in Prosa könnte Adele etwas ganz Artiges leisten: beliebte Damenlectüre, von Männern freilich wenig beachtet; etwa so viel wie Caroline Pichler, doch in anderm Genre, weniger verständig, aber geistreicher. Kraft hat sie nicht, aber Geschmack, und jene minutiöse Zierlichkeit, die Frauen eben so anziehend wie der männlichen Kritik fatal ist. Kennen Sie Laubes Roman »Die Gräfin von Chateaubriand«? Adele empfiehlt mir ihn zu lesen und warnt dagegen vor der Paalzow neuestem Product (Thomas – &c. – nescio), was übrigens wieder fureur macht, worin die Böhmen sämmtlich Rheinländer seien, sogar im Dialect. Nach Ihnen frägt sie mit großem Interesse. Jetzt habe ich Ihnen so viel vorgeklatscht, lieber Levin, daß mir kaum Raum zu viel Lieberem und Nöthigerem bleibt. Vorerst: Wollen Sie nicht mal einen kleinen offnen Zeddel an Elisen einlegen? Einen Brief erwartet sie nicht und wünscht ihn wohl kaum, da die Correspondenz, wie Sie selbst fühlen, vorläufig noch etwas Peinliches haben würde und sie durch meine Briefe viel ungenirter au courant Ihrer Lage bleibt; aber dieses wäre doch eine Freundlichkeit. Zwingen sollen Sie sich indessen nicht; beengt es Sie, so lassen Sie es. Dann eine Bitte, mein Kind: Du hast Deinen Brief zerrissen, um mir das Herz nicht schwer zu machen; meinst Du, daß mir etwas schwerer auf dem Herzen liegen könnte wie die Angst ohne bestimmten Gegenstand, wenn Du mir nicht offen mehr schreibst? Ein Glück magst Du allenfalls für Dich behalten, aber Deine Prüfungen will ich theilen und mit tragen, wie es einer ehrlichen Mutter zukömmt. Und nun segne Dich Gott, mein liebes, liebstes Kind, meine Gedanken sind immer bei Dir. Adieu.

Mein Brief wird jetzt gegen den 5–6ten ankommen; am Besten ists, mir wechseln nun: Sie schreiben am fünfzehnten, ich fortan am ersten. Leider habe ich Ihre Adresse nach Mondsee vergessen; der Brief, in dem sie steht, liegt in Rüschhaus; ich muß Elisen bitten, sie zu berichtigen. Adieu.

Von der Gall habe ich noch nichts gelesen; schreibt sie gut? Auch hübsche Briefe? Und ists dieselbe Dame, von der Ihnen Freiligrath mal schrieb? Schreiben Sie mir doch etwas Genaueres über sie; wie sind Sie mit ihr bekannt geworden?


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