Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Meersburg den 4ten Mai 1842.Hiermit setzen Annettens Briefe ein.

Es muß meinem guten Jungen, an den ich doch fortwährend denke, wohl sehr unerwartet sein, daß ich erst heute den ersten Brief an ihn beginne, und doch ist nichts Schuld daran, als der Wunsch, ihm nur einen recht guten, recht erfreulichen zu schreiben, worin ich von vielen langen und schönen Gedichten prahlen und aus dieser Ferne in einem hübschen Nimbus leuchten könnte. Bis jetzt habe ich aber nur ein sehr schwaches Scheinchen um mich, bin eigentlich erst in den letzten Tagen recht fleißig gewesen und darf mit der Antwort nicht warten, bis die Glorie sich gehörig ausgebildet hat. Weshalb ich so spät wieder an die Arbeit komme? Hör zu! In den ersten acht Tagen war ich todbetrübt und hätte keine Zeile schreiben können, wenn es um den Hals gegangen wäre; ich lag wie ein Igel auf meinem Kanapee und fürchtete mich vor den alten Wegen am See wie vor dem Tode; dann kam Louise Streng, die mich fast keine Minute allein ließ, mich immer hinauszog, und binnen der ganzen Woche, die sie hier blieb, mich auf eine freilich keineswegs angenehme Weise, durch ihre werthe Begleitung und aus endlosen Fragen bestehende Unterhaltung, über die schwersten Momente gewaltsam wegspazierte. Jetzt kam aber eine andere Noth: Dein Brief von Ellingen hätte längst da sein können – d. h. der versprochene, gleich nach der Ankunft – und du nachlässiger Schlingel bist es wirklich gar nicht werth, wie wir uns um Dich geängstigt haben. Jeden Morgen habe ich an der Treppe dem Postboten aufgelauert, und Jenny und Laßberg waren fast ebenso bekümmert als ich. Letzterer war schon entschlossen dem Fürsten zu schreiben, bei seiner Umständlichkeit gewiß ein großer Beweis von Liebe und Sorge – »ob denn bewußter Jüngling wirklich angekommen sei, oder ob man seine betrübten Reste in einem See, Hohlwege oder sonstigem Mordloche aufzusuchen habe?« als Dein Ellinger Brief ankam. Da war denn große Freude im Hause! obwohl Laßberg wohl den ersten Brief für sich erwartet hätte; für den zweiten erwartete ich selber seine Adresse und sage Dir hiermit an, daß Du Dich nur auf der Stelle hinsetzen und das Versäumte nachholen magst; denn Du darfst nicht undankbar scheinen für die seltne Anhänglichkeit und wahrhaft väterliche Liebe, die dieser alte Mann Dir zugewendet hat. Deine Entschuldigung im vorigen Schreiben, wo Du Dich für simpel erklärst, hat er nur für den Augenblick gelten lassen, und wirklich kann Dich auch nichts von der Verpflichtung, ihm wenigstens einmal zu schreiben, lossprechen; also nur frisch und gleich ans Werk! Jetzt weiter in meiner einfachen Chronik. Gleich nach Empfang Deines Briefes, als ich eben die Federn spitzte, um mit frischem Muthe an die Arbeit zu gehn, kam Gaugreben, entführte mich nach Berg, erkältete sich auf dem See, mußte sich gleich am Abende mit geschwollenem Halse legen, und ich habe vierzehn Tage nichts Anderes thun können, als von einem Bette zum andern wandern, in dem einen die lahme Frau, im andern der dem Ersticken nahe Mann. Vor zehn Tagen nun bin ich unter Donner und Blitz zurückgekehrt und habe seitdem zwei Fahrten – nach Heiligenberg und Langenargen –– und zwei Besuche –– Wessenberg und Starzen – abmachen müssen. NB. Auch die beiden Brenken waren hier; sie kamen gleich nach Deiner Abreise und blieben zehn Tage; ich weiß nichts davon zu erzählen, als daß sie mir in meiner damaligen Stimmung furchtbar lästig waren. Du kannst denken, daß ich unter diesen Umständen nicht viel habe arbeiten können; doch habe ich grade jetzt einen guten kräftigen Anlauf genommen und seit einigen Tagen das angenehme Gefühl wieder etwas zu leisten, habe aber heute, mit Deinem Briefe zugleich, einen von der Mama bekommen, der mich bestimmt, alles Andre bei Seite zu legen, um unverzüglich meinen Antheil an Deinen Beiträgen fürs »Deutschland im 19ten Jahrhundert« auszuarbeiten. Meines Bleibens hier wird nämlich nur noch kurze Zeit sein; Mama schreibt, daß sie sich sehr nach mir sehne und einsam fühle, und daß ich deshalb mit den Fräulein von Wintgen, die den Rhein hinauf bis nach Meersburg reisen, am 15ten Juni bei uns eintreffen und von da zurückreisen würden, zu ihr heimkehren möge. Ich bleibe also nicht volle sechs Wochen mehr hier, und da meine Muße so sehr von Umständen abhängt, muß ich drauf denken, das durchaus Nothwendige vorerst zu vollenden; mit dem Andern komme ich dann so weit es geht. Vielleicht schicke ich Dir das zweite Manuscript – die Gedichte – noch von hier, vielleicht erst von Rüschhaus, das erste –– Deutschland –– schicke ich jedenfalls von hier ab, sobald es fertig ist.

Ob ich mich freue nach Haus zu kommen? Nein, Levin, nein – was mir diese Umgebungen vor sechs Wochen noch so traurig machte, macht sie mir jetzt so lieb, daß ich mich nur mit schwerem Herzen von ihnen trennen kann. Hör, Kind! Ich gehe jeden Tag den Weg nach Haltenau, setze mich auf die erste Treppe, wo ich Dich zu erwarten pflegte, und sehe, ohne Lorgnette, nach dem Wege bei Vogels Garten hinüber. Kömmt dann Jemand, was jeden Tag ein paarmal passirt, so kann ich mir, bei meiner Blindheit, lange einbilden, Du wärst es, und Du glaubst nicht, wie viel mir das ist. Auch Dein Zimmer habe ich hier, wo ich mich stundenlang in Deinen Sessel setzen kann, ohne daß mich Jemand stört, – und den Weg zum Thurm, den ich so oft Abends gegangen bin, – und mein eignes Zimmer mit dem Kanapee und Stuhl am Ofen – ach Gott, überall! – kurz, es wird mir sehr schwer von hier zu gehn, obendrein noch zweihundert Stunden weiter als wir jetzt schon getrennt sind. Solltest Du es wohl recht wissen, wie lieb ich Dich habe? Ich glaube kaum.

Von ElisenElise Rüdiger, geb. 1812, Tochter des Frh. L. v. Hohenhausen und der Schriftstellerin Elise v. H., Gattin des Oberregierungsrats Rüdiger in Münster. Sie war mit Annette v. D. eng befreundet und hat in spätern Jahren unter dem Namen Fr. v. Hohenhausen vieles über die Dichterin veröffentlicht. habe ich zwei Briefe, den ersten schon vor einigen Wochen; doch mir fällt eben ein, daß Du noch hier warst und ich ihn Dir mitgetheilt habe. Jetzt nun habe ich einen zweiten, vom 18ten April; er betrifft den jungen Braun, den sie gern zu Deinem Nachfolger machen möchte. Der ganze Brief ist fast ausgefüllt mit der Lebensgeschichte, den Verhältnissen, Kenntnissen &c. dieses jungen Mannes; es war mir äußerst leid, ihr diesen Wunsch so unbedingt zerstören zu müssen, daß ich nicht einmal mit Laßberg davon habe reden mögen; Du weißt selbst, wie wenig man Jemand zweihundert Stunden weit zu dem noch übrigen Restchen Arbeit und Einnahme einladen kann. Jenny, mit der ich doch, um Elisen wenigstens möglichst gefällig zu sein, davon sprach, meinte auch, die Sache sei so gänzlich unmöglich, daß es bei Laßberg nur mein sanum judicium in Mißcredit bringen würde, wenn ich davon anfinge. Ich habe also der guten Elise, die eine ganz falsche Ansicht von diesem Geschäft hat, was sie für eine bleibende Versorgung zu halten scheint und »die Bibliothekarstelle bei Ihrem Herrn Schwager« nennt, gleich geantwortet und alle ihre schönen Pläne mit ein paar Federstrichen zerstören müssen. Du weißt, sie schrieb schon im vorigen Briefe so obenhin von dieser Idee, und hat sie zur selben Zeit ihrer Mutter mitgetheilt, die nun nichts eiliger zu thun wußte, als mit erster Post den Braun zu benachrichtigen, aus dessen Antwort mir Elise einen Auszug gemacht hat, der mich wirklich betrübt; so voll Jubel und Glückseligkeit ist der arme Mensch über die Aussicht zu einer festen Versorgung, wofür er das offenbar hält. Da sieht man, was aus einer Sache werden kann, wenn sie durch mehrere Hände, respective Federn, geht; sowohl Du wie ich haben doch Elisen die Verhältnisse dieser Stellung deutlich genug mitgetheilt, und nun ist sie schon in der dritten Feder zu einem förmlichen Amte geworden. Übrigens schreibt Elise sehr gefaßt, kritisirt meine – ihr von Dir geschickten – Gedichte, unter denen ihr »Die junge Mutter« am Besten gefällt, aufs Ausführlichste, schreibt von Büchern, die sie gelesen &c. Ferner schreibt sie: »Lutterbeck ist nun auch fort, als Professor nach Siegen, wie Sie im Merkur werden gelesen haben; er soll sehr froh sein. Die arme Bornstedt hat ihr Quartier gekündigt, ihre Möbeln anderwärts untergebracht und sich selbst für den ganzen Sommer nach Herbern exilirt. Der Schweizer scheint abermals umgeschlagen zu sein, doch soll sie noch immer auf die Heurath im Herbste hoffen. Die Einladung der Gräfin Bocarmé war auch nicht weit her, und so mag die Arme denn verstimmt und bedauernswerth genug sein. Schlüters sind wieder in Grefrath. Annchen Junkmann sagte neulich seufzend: Ja, wenn man nur immer jung bleiben könnte, dann wollte ich gewiß lieber nicht heurathen!« ( NB. Levin, Du weißt doch schon daß Annchen den Schulte, ihres Bruders Freund, heurathet?) »Hierbei fällt mir ein, daß ich schon seit langer Zeit einen alten Brief von Junkmann an Schücking für Sie zurecht gelegt habe; wenn dieser nicht zu dick dadurch wird, will ich ihn beilegen.« Dieser Brief lag nun wirklich bei, und ich schicke ihn Dir; steinalt ist er, aber schön –– denn ich habe, nachdem ich aus dem auf der einen Seite von Elisen Hinzugefügten gesehn, daß sie ihn gelesen, mir gleichfalls diese Freiheit genommen; der Junkmann ist doch ein ganz eigentümlich liebenswürdiges Naturproduct! Von den darin berührten Gedichten ist mir aber nichts zugekommen; hast Du sie schon auf anderm Wege erhalten, oder liegen sie noch in Elisens Schreibtisch? Es ist ein kleiner schlauer Streich von Elisen, Dir auf diese Weise indirect zu schreiben. Sie ist ein liebes Herz, und ich habe ihr auch gleich Alles von Deiner Abreise, und aus Deinem Briefe so viel mitgetheilt, als ich ohne Indiscretion glaubte thun zu können, und ihr noch dabei eingeknüpft, Niemanden zu sagen, wenn ich ihr schreibe, und noch weniger eine Silbe aus meinen Briefen, wem es auch sei, mitzutheilen. Obwohl ich nun viel Vorsicht gebraucht und in dem Auszuge sehr Vieles fortgelassen habe, wünschte ich doch von Dir, liebes Herz, in Zukunft angemerkt, was ich ihr nicht sagen soll. Nach unserer Uebereinkunft bei Deiner Abreise sollte ich ihr eigentlich Alles zu wissen thun, was Deine Lage beträfe, da Du früher doch wohl gewohnt warst Dich vollkommen auf ihre Verschwiegenheit zu verlassen, und es war nur mein eigner Instinct, der mich veranlaßte Manches nicht zu berühren. In Deinem letzten Briefe scheint aber der Ausdruck »Keinem, wer es auch sei«, auch Elise von mancher Mitwissenschaft ausschließen zu wollen; ich wünsche also, daß Du fortan dasjenige, auf Deine Lage und Stimmung Bezügliche, was auch sie nicht wissen soll, mir durch Einklammern bezeichnest. – Ich freue mich darauf, Elisen das Filigranbüchschen zu geben, von dem ich ihr schon geschrieben, des lockigen Inhalts aber nicht erwähnt habe, theils aus Vorsicht, theils um ihr noch eine Überraschung aufzuheben. Von der Versetzung ihres Mannes schreibt sie nichts dieses Mal, – hoffentlich ein Zeichen, daß dieser Plan gescheitert ist, was mir sowohl um ihret- als meinetwillen sehr lieb wäre; mag sie anderwärts ihr mehr zusagenden Umgang als den meinigen finden – möglicher Weise – sie wird doch Niemanden finden, dem sowohl natürliche Neigung als Verhältnisse es so zur Pflicht und Vorsatz gemacht haben, unter allen Umständen an ihr zu halten. Auch würde ich sie selbst sehr schwer entbehren; besonders jetzt, wo von Allem, woran ich mich vier Jahre erfrischt und geistig genährt habe, sie und Schlüters mir allein geblieben sind. Gott, was können ein paar Monate Alles mitnehmen! Ich habe wohl Recht, an jedem Neujahrstage zu schaudern. Man findet zwar in jedem Jahre wohl irgend etwas Gutes und Ungeahndetes, – wie Du Deine Stelle, den Reuchlin, Uhland, alle die Stuttgarter Freunde, und Deine zwei lieben Jungens, – aber weiß Gott, man verliert auch, was Einen ganz niederdrücken würde, wenn man es so mit einem Male voraus wüßte. Aber man kann doch ungeheuer viel vertragen, wenn es allmählig kömmt, und man arbeitet sich doch durchs Leben voran, ungefähr wie durch den Winter, wenns mit dem Sommer ab und alle ist. Levin, wenn Du kannst, wenn Du immer kannst, bleib bei Deinem Plane, in zwei Jahren nach Münster zu kommen; meine Gesundheit ist jetzt nicht so übel, ich werde dann wohl noch am Leben sein. Hörst Du? Denke, daß ich alle Tage zähle. Es ist schlimm, daß ich den Winter nicht hier bleiben kann; aber ich will auch nicht in Rüschhaus bleiben, sondern nach Hülshoff, und mir täglich Bewegung machen, dann denke ich wird es schon gehen. Wenigstens einmal wirst Du mir doch noch hieher schreiben? Es muß aber wieder auf dem alten Fuße sein; Laßberg bekömmt alle Briefe zuerst in die Hände und ist viel zu begierig nach Nachrichten von Dir, als daß ich ihn mit trocknem Munde könnte abziehn lassen; aber verkürze den officiellen Bericht und laß dieses dem privaten zu Gute kommen. Schreib mir aber nicht eher nach Rüschhaus, bis ich Dir von dort meine Ankunft gemeldet; eine so weite Reise kann hundert Zufällen und Verzögerungen unterworfen sein. NB. Mama schreibt mir von einem dicken Briefe, der für mich von Bielefeld von einem Buchhändler – woraus sie dieses schließt, sagt sie nicht – angekommen, und ob sie mir ihn nachschicken solle? Antwort: ja. Was könnte das sein? Weißt Du etwas davon?

Ich gehe jetzt täglich ins Museum, setze mich auf Deinen Stuhl am Fenster und sehe, was das Morgenblatt bringt. Vorgefunden: erstens Dein Gedicht auf die Meersburg, was mir aber schon eine schöne Verlegenheit zugezogen hat, und zwar eine wohlverdiente, da die Idee, den guten Laßberg nebst Uhland auszumerzen zwar nicht von mir ausgegangen, aber doch approbirt worden ist; und jetzt fiel es mir wie ein Stein aufs Herz: Gott, das sieht ja ganz aus, als ob Levin sich öffentlich seiner schämte, als zu unbedeutend für ein Gedicht; und nun grade im Morgenblatt, das Laßberg gleich vor Augen kömmt! Es währte auch nicht lange, so waren die Puppen am Tanz; von allen Seiten wurde dem alten Herrn die schmeichelhafte Nachricht von Levin Schückings schönem Gedicht auf seine Dagobertsburg zugetragen, schriftlich und mündlich; Pfeiffer, Baumbach, Stanz, die Meersburger Honoratioren, – Jeder wollte ihn zuerst darüber becomplimentiren, und ich wußte mir nicht anders zu helfen, als indem ich gestand es gelesen und von der Redaction des Morgenblattes – die ja auch von Deinem »Jagdstreit« über die Hälfte eigenmächtig gestrichen – auf eine Weise verkürzt gefunden zu haben, daß alle Strophen, die sich nicht auf das bloß Landschaftliche und Historische bezogen, ausgelassen worden. Der arme Laßberg, der so kindisch froh war, sich vor aller Welt besungen zu sehn, daß er mich fast aus dem Bette ins Museum gejagt hätte, um »das Blatt seiner Glorie« zu holen, war, wie mir schien, fast dem Weinen nah, als er dies hörte, und sagte mit der kläglichsten Stimme von der Welt: »Wenn auf diese Art vielleicht Uhland und ich auch ausgemerzt sein sollten, so sollte mich das sehr freuen; denn ich mag nicht, daß man von mir spricht.« Er dauerte mich ordentlich, aber ich glaube nicht, daß er Verdacht auf Deine eigne lieblose Hand hat; Jenny eben so wenig, die auch ganz grimmig auf die perfide Redaction ist; ich weiß aber auch wirklich nicht, wo wir Beide unsre Gedanken gehabt haben, da wir doch Laßberg so gut kannten und dies Alles an den Fingern abzählen konnten. Um desto nöthiger ist es, daß Du ihm jetzt gleich schreibst, und zwar recht herzlich. Das menschliche Gefühl geht wunderliche Wege! Laßberg fühlt sich, aus Veranlassung Deines Gedichts, geärgert und gleichsam beleidigt, und ich meine, davon wird immer ein kleiner Schatten auf Dich zurückfallen, wenn Du dem nicht durch einen Beweis Deiner Hochachtung und anhänglichen Erinnerung zuvor kömmst. Am Besten wäre es, wenn Du das Gedicht, in seiner ersten Gestalt, noch einem andern Blatte, was Laßberg vor Augen oder wenigstens nach Meersburg kömmt, – z. B. dem Unterhaltungsblatt des Merkur oder der Didaskalia, – gäbst; dann wäre das Unglück ziemlich reparirt und allem etwa nachträglichen Verdachte vorgebeugt. Ferner fand ich im Morgenblatt mein Gedicht an Junkmann, was sich ganz gut macht; und dann füttert es seit 10–12 Tagen sein Publikum so unbarmherzig mit meiner Erzählung –– von Hauff »Die Judenbuche« getauft –, daß alle Dichter, die sich gedruckt sehen möchten, mich verwünschen müssen; denn ich und noch ein anderer Prosaist haben vorläufig das Blatt unter uns getheilt und werden wohl in diesem ganzen Monat auch nicht ein fremdes Hälmchen aufkommen lassen.

Ich finde, daß sich meine gedruckte Prosa recht gut macht, besser und origineller als die Poesie, aber anders wie ich mir gedacht, und Dein früheres Urtheil hat sich, im Gegensatz zu dem meinigen, bestätigt. Der Dialog – dem ich jetzt einsehe durch Betonung beim Vorlesen sehr nachgeholfen zu haben – ist gut, aber doch unter meiner Erwartung und keineswegs außerordentlich; dagegen meine eignen Gedanken und Wendungen, im erzählenden Stile, weit origineller und frappanter als ich sie früher angeschlagen, und ich hoffe darin mit einiger Übung bald den Besten gleich zu stehn, – wenigstens nach meinem Geschmacke, der freilich immer ein Privatgeschmack bleibt, aber übrigens mir nicht schmeichelt, und nur mit dem zufrieden sein wird, was ihn auch bei Andern völlig befriedigen würde. Lachst Du mich aus, impertinenter Schlingel? Wer zuletzt lacht, lacht am Besten! Es wird doch etwas Tüchtiges aus mir. Aber Du mußt zuweilen per Feder nachschieben – weiß der Henker, was Du für eine inspirirende Macht über mich hast; seit ich bei diesem Briefe sitze, brennts mir ordentlich in den Fingern, sobald das Siegel darauf ist, wie eine hungrige Löwin über die mir zugewiesenen Stoffe – Deutschland im 19ten Jahrhundert – herzufallen, und dann, meine ich, müsse es nur so in einem Strome fortgehen: Gedichte, Lyrisches, Balladen, Drama, was weiß ich Alles, – das leibhaftige Eiermädchen! Wärst Du noch hier, mein Buch wäre längst fertig, denn jedes Wort von Dir ist mir wie ein Spornstich.

NB. Die Cölner Zeitung kömmt Dir wohl nicht zu Gesichte? Es steht eine anonyme Recension Deines »Doms« darin, die ich Dir abschreiben will; das Blatt kann ich nicht schicken, da Laßberg jetzt die Cölner Zeitung auch aufhebt. Also: »Der Dom zu Cöln« &c. Die Anzeige dieses vortrefflichen Büchleins, welches als Vorläufer des von Tag zu Tag sich immer großartiger kund gebenden Nationalinteresses für den Ausbau des Cölner Doms erschien, kommt etwas spät; der Verfasser dieser Zeilen hatte, aufrichtig gesprochen, nichts Anderes erwartet, als daß des geistreichen Schücking Schrift in Cöln, wo sie der Natur der Sache nach am Lebhaftesten anklingen mußte, ja, wo sie gedruckt worden ist, von der dortigen Tagespresse nicht unbeachtet bleiben würde. Da dieses nun doch bis jetzt der Fall war, so kömmt auch unsere Anzeige noch immer nicht zu spät, – eine Anzeige, die nicht zum Zwecke haben kann, die Eigentümlichkeit des Autors in allen Phasen seiner reichen Ideenentwicklung zu beobachten und zu zeigen, wie seine dichterische Weltanschauung das Thema nach allen Seiten hin auf eine geistreiche und glänzende Weise beleuchtet, sondern sie gewisser Maßen bloß einzuregistriren in das Zeitbuch, worin alle Bestrebungen für einen großen religiösen und nationalen Zweck verzeichnet sind; es wäre eine Ungerechtigkeit, stände Levin Schückings Name nicht darin, und diese Ungerechtigkeit wäre um so größer, da dieser Autor in seiner Schrift sein religiöses Lebenselement, das katholische nämlich, nicht verläugnet. Wie schön z. B. weiß er die Symbolik der Kirchenbaukunst nachzuweisen! Wie wahr sind und bleiben die Worte, mit denen er die lebendige Idee von der bloßen Mode, von der Ostentation zu trennen versteht, die sich leider bereits hier und da in die Dombausache mengt. Es ist nicht genug, sagt Schücking, ein dürftig Almosen herzugeben, um mit der Idee sich abzukaufen &c.« (hier folgt ein kurzer Auszug bis zu »das Himmelreich für eine That!«) »Wahrlich, dieses Büchlein sollte in der Kajüte jedes Dampfschiffs zu finden sein, und jeder Deutsche, der den Rhein befährt, sollte, wenn er der heiligen Stadt ansichtig wird, wenn der Krahn auf dem Dome vor ihm auftaucht, das herrliche Eingangsgedicht Schückings »Der Bettler am Rhein« lesen, welches wir seiner Vortrefflichkeit wegen zum Schlusse unserer Anzeige vollständig mittheilen. Wir sind überzeugt, daß er dann, wenn er gelandet, gewiß seine Gabe, sei sie groß oder klein, in den Gotteskasten legt!« (Dann folgt »Der Bettler am Rhein«). NB. Ich bemerke eben, daß der Auszug aus dem Deinigen, den ich aus Faulheit nicht abgeschrieben, nur einzelne Phrasen enthält, vielleicht weit getrennte, ich will ihn also nachholen. »Es ist nicht genug,« sagt L. S., »ein dürftig Almosen herzugeben, um mit der Idee sich abzukaufen, um desto ruhigeren Gewissens dann das ganze Sein der Materie zuzuwenden. Ihr sollt aus innerem Drange und aus Liebe um des Glaubens willen euer Opfer bringen; ihr sollt euer bestes Silbergeräth in den Tiegel werfen, um den Klang der neu zu gießenden Glocke des deutschen Geistes wohl und volltönender zu machen . . . Alle sollen ihren Namen in das Buch des Lebens schreiben, das mit sieben Siegeln verschlossen war, und das die dreiste Hand des Jahrhunderts vor ihnen aufreißt. Eine That, eine That! Das Himmelreich für eine That!« – Lachst Du über meinen Eifer, Dir dies kleine Stückchen Lorbeerkranz zu schicken? Du steckst es doch ganz gern in Dein Strohdach zu dem Übrigen! Auch in der Constanzer Zeitung (leider ist das Blatt zerrissen) beklagt ein anonymes Genie – ich denke, es ist der Baumbach – von Meersburg datirend »die Abreise des geistreichen Verfassers des Doms &c., Levin Schücking, den wir so glücklich waren während der Dauer des Winters in unsern Mauern, in der Dagobertsburg unseres Laßberg, zu besitzen, und der jetzt einem ehrenvollen Rufe nach Bayern gefolgt ist« – es sind nicht genau die Worte, aber doch der Inhalt –, und der Merkur –– man hält also auch in Münster die Constanzer Zeitung –– hat sich beeilt es aufzunehmen, so daß wir es jetzt schon zweimal verspeist haben. NB. Mein Gedicht »An die Weltverbesserer« ist auch, zuerst von der Carlsruher Zeitung, dann vom Merkur abgedruckt worden; das macht wohl die Tendenz – oder ist es so viel besser als die übrigen?

Den 5ten. Guten Morgen, Levin! Ich habe schon zwei Stunden wachend gelegen und in einem fort an Dich gedacht; ach, ich denke immer an Dich, immer. Doch punctum davon, ich darf und will Dich nicht weich stimmen, muß mir auch selbst Courage machen und fühle wohl, daß ich mit dem ewigen Thränenweiden-Säuseln sowohl meine Bestimmung verfehlen als auch Deine Theilnahme am Ende verlieren würde; denn Du bist ein hochmüthiges Thier und hast Einen doch nur lieb, wenn man was Tüchtiges ist und leistet. Schreib mir nur oft, mein Talent steigt und stirbt mit Deiner Liebe; was ich werde, werde ich durch Dich und um Deinetwillen; sonst wäre es mir viel lieber und bequemer mir innerlich allein etwas vorzudichten. Sobald ich diesen Brief geschlossen, gehts con furore ans Werk; ich bin wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die Gedanken und Bilder mir ordentlich gegen den Hirnschädel pochen und mit Gewalt ans Licht wollen, und denke Dir die Beiträge sehr bald schicken zu können, obwohl gewiß der Psalm wieder um zwei Drittel zu lang werden wird, die Du dann mit wahrer Chirurgen-Kälte amputirst. Mich dünkt, könnte ich Dich alle Tage nur zwei Minuten sehn, – o Gott, nur einen Augenblick! – dann würde ich jetzt singen, daß die Lachse aus dem Bodensee sprängen, und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! Wir haben doch ein Götterleben hier geführt, trotz Deiner periodischen Brummigkeit! Ob ich Dir bös bin? Ach Du gut Kind, was habe ich schon für bittere Thränen darüber geweint, daß ich Dir noch zuletzt so harte Dinge gesagt hatte! Und doch war viel Wahres darin. Aber mich vergißt Du doch nicht, was die Zeit auch daran ändern mag; wenn der eine Haken bricht, so hält der andre: Dein Mütterchen bleibe ich doch, und wenn ich auch noch vierzig Jahre lebe; nicht wahr, mein Junge? mein Schulte, mein kleines Pferdchen, – was hängen alles für Erinnerungen, die nie verlöschen können, an diesen Titeln! Schreib mir, daß Du mich lieb hast; ich habe es so lange nicht ordentlich gehört und bin so hungrig darauf, Du dummes, nichtswürdiges kleines Pferd! Aber an Laßberg mußt Du auch schreiben, an Laßberg, ich kann Dich nicht dringend genug antreiben. Jenny war schon zweimal hier aus demselben Grunde, da sie weiß, daß ich Dir grade schreibe; das arme Ding ist ordentlich kümmerlich darüber, in der doppelten Noth um Laßbergs Betrübniß – ich kann dir sagen, er ist betrübt, denn er hat Dich wirklich lieb – und um Deine Unehre; also: &c. –

Ich habe Dir schon gesagt, daß Wessenberg hier war. Seine Persönlichkeit ist jetzt weder angenehm noch bedeutend; indessen habe ich ihn zu spät kennen gelernt, da er offenbar schon sehr stumpf ist. Man sagt, er behandle Frauen gewöhnlich mit großer Geringschätzung und fast wie unmündige Kinder; mit mir hat er aber eine ehrenvolle Ausnahme gemacht, und nachdem er mir schon durch Baumbach viel Verbindliches über meine Gedichte und den Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen, hatte zukommen lassen, trat er mir jetzt, ziemlich taktlos und geziert, mit den Worten entgegen: »Sie sind also die Dichterin! Wahrlich, Sie haben eine herrliche Ader, von seltner Kraft! &c.«, und Du glaubst nicht, mit welcher koketten, kleinlichen Ostentation er mich den übrigen Tag, halb protegirend, halb huldigend, zu unterhalten suchte, was ihm offenbar bitter schwer wurde; denn er muß jeden fremden Gedanken einige Minuten verarbeiten, ehe er ihn capirt, und kömmt dann hintennach mit seinem schallenden Beifalle, wenn längst von Anderm die Rede ist. Zudem scheint er mir unbegrenzt eitel; jede Miene, jede Kopfbewegung hat etwas Gnädiges; sein Gespräch ist durchspickt mit Hindeutungen auf seine litterarische und kirchliche Stellung, erlebten Verfolgungen &c., und er bringt, passend oder unpassend, überall »seinen intimen Freund, den Erzbischof Spiegel« an, dem er sich auch so genau im Äußern nachgebildet hat, daß die Ähnlichkeit wirklich frappant ist, nur daß der angeborne unnachahmlich schlaue Blick in Jenes Gesichte in diesem sich fast lächerlich ausnimmt, weil die natürlichen Züge dagegen protestiren. Kurz, ich meine, diese große Eitelkeit und die allzeit damit verbundene Kleinlichkeit und Schwäche müssen Wessenbergs Bedeutendheit doch immer sehr geschadet haben, und ich kann mich, seit ich ihn gesehen, nicht enthalten, weit mehr diese für das Motiv seiner auffallenden Schritte zu halten als irgend etwas Anderes. Er hat mich, bei meiner nächsten Fahrt nach Constanz, aufs Höflichste zu Tische geladen; ich werde aber wohl keinen Gebrauch davon machen. Und doch – soll ich es gestehn? – doch habe ich mich bemüht, liebenswürdig und geistreich vor ihm zu erscheinen, des Rufes wegen, den er nun einmal hat. So sind wir Menschen; wir lassen uns auch eine papierne Krone gefallen, wenn wir wissen, daß Andere sie für Gold halten.

Laßberg hat mich nach HeiligenbergSchloß Heiligenberg, ehemalige Besitzung der Fürstin-Witwe Elisabeth von Fürstenberg, geborene Fürstin von Thurn und Taxis. Sie starb 1822. geführt, – eine kalte, schlechte Partie! – überall nichts Merkwürdiges dort zu sehn; das Schloß recht schön, aber gewöhnlich, die Anlagen unbedeutend, Regenwetter, die Aussicht völlig bewölkt, in den leeren Sälen eine wahre Kellerluft, und obendrein mußte ich den ganzen Tag die Kinder hüten, weil Jenny zu Hause geblieben war. Laßberg dagegen war höchst bewegt, was mich halb stieß, halb rührte. Er führte mich durch alle Appartements, die seine Fürstin nach einander bewohnt, zog alle Schiebläden los, die sie gebraucht, und berührte, ich möchte sagen liebkoste Alles, was er als ihr früheres Eigenthum erkannte. Endlich, in einem kleinen Kabinette, fragte ich ihn: »Wo ist die Fürstin Elisabeth gestorben?« ich meinte, es sei in Italien gewesen. Da sah er mich starr an; legte die Hand in eine kleine Mauernische neben uns, sagte: »Hier! hier lag ihr Kopf!« und hinkte fort, so schnell er konnte. Später zeigte er mir ein hübsches, freundliches Haus, mit einer breiten Linde davor: »Dort habe ich vierzehn Jahre lang mit meiner Frau gewohnt; die oberen Fenster dort waren unser Wohn- und Schlafzimmer; unter dem Baume haben meine vier Jungens den ganzen Tag gespielt.« Es war sonderbar, daß ihn diese Erinnerung äußerst friedlich und wohlthuend zu berühren schien; es mußte das Bewußtsein des Rechtmäßigen, vor Gott und Menschen Ehrenwerthen des Verhältnisses sein, was so alles Andere versöhnend wirkte.

Einige Tage später fuhren wir über Friedrichshafen nach Langenargen, acht Stunden von Meersburg, dieses Mal Jenny mit. Wie habe ich da an Dich gedacht, altes Herz, wie hundertmal habe ich Dich hergewünscht! Da hättest Du erst erfahren, was ein ächt romantischer Punkt am Bodensee ist. Von so etwas habe ich durch hier noch gar nicht mal eine Idee erhalten. Denk Dir den See wenigstens dreimal so breit wie bei Meersburg, ein ordentliches Meer, so breit, daß selbst ein scharfes Auge, Laßberg z. B., von jenseits nichts erkennen kann als die Alpen, die nach ihrer ganzen Länge, sogar die Jungfrau mit, in einer durchaus neuen und pittoresken Gruppirung wie aus dem Spiegel auftauchen. Du sitzest auf dem sehr schönen Balkone eines stattlichen Hauses – früher Kloster, jetzt Gasthof –, hinter Dir die Flügelthüren des ehemaligen Refectoriums geöffnet, was seiner ganzen Länge nach mit den lebend großen Bildern der alten Grafen von Montfort, in schweren goldenen Rahmen, wie getäfelt ist; unter Dir, über ein Stückchen flachen Strandes weg, die endlose Wasserfläche, wo Du 10–12 Kähne und Fahrzeuge zugleich segeln siehst, denn hier ist die Fahrt anders belebt wie bei Meersburg; links der sehr reiche und städtisch elegante Marktflecken; tief im See ein Badehaus, zu dem ein äußerst zierlicher schmaler Steg führt, der sich im Wasser spiegelt, und gleich dahinter ein Seebusen, voll Segel und Masten, ganz wie ein Hafen, aber ohne das unangenehme Gemäuer; und endlich rechts, nicht zweihundert Schritte vom Gasthofe, der Hauptpunkt, die herrliche Ruine Montfort, auf einer Landzunge, die schönste, die ich je gesehn habe, mit drei Thoren, zackichten Zinnen und einer dreifachen Reihe durch ihre Höhe und Tiefe ordentlich imponirender Fensternischen, in denen die herrlichste Stuccaturarbeit dem Winde und Regen noch zum Theil widerstanden hat und man sie so mit einem Male, über die Nischen streifend, wie eine grandiose Stickerei übersehen kann. Die Ruine ist als solche noch nicht alt, obwohl sonst ein sehr altes Gebäude. Vor fünfzig Jahren wohnte noch ein Schaffner darin; dann ward das Schloß zum Abbruch verkauft, und nachdem das Dach und die innern Mauern niedergerissen waren, kam ein Befehl von Stuttgart – es ist württembergische Domaine – damit inne zu halten. Seitdem steht es nun in seiner verfallenden Pracht und läßt sich nach und nach von den Wellen unterminiren, die schon viele Fuß tief in die Mauern gewühlt haben und, wenn man drinnen ist, wie unterirdisch brausen, weshalb auch ein Anschlag vor dem Hineingehen als gefährlich warnt; man thuts aber doch. Jetzt hat sich ein armer Blumenhändler mit Frau und Kind dort angesiedelt; in der nothdürftig hergestellten Pförtnerstube unter dem Thorgewölbe hockt die Familie zusammen; auf den Mauern und Basteien, wo nur ein Fleckchen Erde ist, steht alles voll Blumen in Beeten und Töpfen; aus einem der Kellerlöcher meckert eine Ziege, und ein halbes Dutzend weißer Kaninchen schlüpft zu den untern Fensternischen aus und ein. Du kannst Dir das Malerische des Ganzen nicht denken; es ist so romantisch, daß man es in einem Romane nicht brauchen könnte, weil es gar zu romanhaft klänge, und ein fremder Kaufmann, den wir gestern beim Figel trafen, und der grades Weges aus dem südlichen Frankreich durch Italien und in letzter Station von Langenargen kam, war ganz entzückt davon und sagte, er könne es nur den schönsten Aussichten bei Genua und Neapel vergleichen. Auch ich kann Dir nicht sagen, wie klein und armselig mir seitdem die hiesige Landschaft vorkömmt. Wenn Du mit Deinen Zöglingen übers Jahr kömmst, versäume ja Langenargen nicht. Laßberg meint, in höchstens ein paar Jahren werde die Unterminirung vollendet sein, und an einem schönen Tage die ganze Ruine zusammenprasseln. Lieber Himmel, warum habe ich einen so schönen Tag ohne Dich genießen müssen! Ich habe immer, immer an Dich gedacht, und je schöner es war, je betrübter wurde ich, daß Du nicht neben mir standest und ich Deine gute Hand fassen konnte und zeigen Dir – hierhin – dorthin – – Levin, Levin, Du bist ein Schlingel und hast mir meine Seele gestohlen; Gott gebe, daß Du sie gut bewahrst. Aber Du hast mich auch lieb und denkst auch an mich an Deiner Donau, – suchst Muscheln, die wahrscheinlich nicht da sind, und hast schon Pflanzenabdrücke und zwei Steine für mich zusammen gehütet, – so ists recht! und wären es am Ende auch simple Kiesel, so soll man immer für einander denken und schaffen, um die Liebe in sich selbst frisch zu erhalten; ich will auch für Dich zusammenscharren, geschnittene Steine, Pasten, Rococo, wie ich nur kann. Sobald man soviel zusammen hat, daß man es auf die ordinaire Post geben kann, ist es das Porto immer leicht werth, und es ist eine gar zu große Freude, das Empfangen wie das Geben. Du altes Herz, Deine Müschelchen, die Du mir hier gesucht und in den Schwefelholzkästchen gegeben hast, kann ich kaum ohne Thränen ansehn, und sie sind mir lieber wie alle die schönen seltnen Meermuscheln in meinem Glasschranke zu Rüschhaus. Adieu, Levin, behalt Dein Mütterchen lieb, stelle Dir oft vor, daß ich bei Dir wäre und Du mir Alles erzähltest und vertrautest, wie da wir zusammen waren; bitte, denk das oft, so wird in Deinem Herzen nie eine Falte gegen mich kommen; ich will Dir auch immer Alles sagen. Adieu, lieb Herz. Was Du von der Beichte und Kommunion sagst, ist gewiß sehr richtig, und es liegt ein großes, tiefes Heil in dieser unumwundenen Selbsterforschung und Anklage; meinst Du, ich fühlte das nicht? An der Heilsamkeit habe ich nie gezweifelt, und auch der Glaube an die Heiligkeit kömmt häufig wie eine unwiderstehliche Gewalt über mich. Adieu!

Hier ist Alles beim Alten; aber in Münster ist der alte Bürgermeister Münstermann gestorben, sonst Niemand, den Du kennen könntest. – Laßberg, Jenny, die Kinder grüßen herzlich. – Ich habe bei meiner alten Trödlerin für einen Gulden ein altes Leben Christi mit fünfundvierzig herrlichen Kupfern von Sadeler, demselben, von dem die Eremiten in Rüschhaus sind, gekauft. – Schreib mir doch, was Du vom Vater hörst, auch von Freiligrath, und wo er sich am Rhein aufhält; ich reise sonst durch und weiß es nicht. Hast Du ihm schon die fünf Thaler geschickt? Ich fürchte, Du vergißt es bei dem unruhigen Leben, und er ist gewiß in Noth darum.


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