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Wir beginnen unsere Erörterung der parapsychologischen Theorien diesmal auf paraphysischem Gebiet, denn wir wollen vom Leichteren zum Schwierigeren fortschreiten, und die Dinge liegen in der Tat auf paraphysischem Gebiet ein wenig »leichter« als auf dem paramentalen. Ich weiß, daß viele das mit einem gewissen Erstaunen lesen werden, denn das mentale Gebiet unserer Wissenschaft erfreut sich im allgemeinen größerer Zustimmung und größeren Vertrauens als das physische. Das ist auch ganz in der Ordnung, soweit die Sicherheit des Tatsächlichen in Frage kommt, wie wir selbst ausgeführt haben. Theoretisch bleibt es aber dabei, wie man sogleich sehen wird, daß sich das Paraphysische oder doch wenigstens der Teil von ihm, der in seiner Tatsächlichkeit als einigermaßen wahrscheinlich gelten kann, als leichter »verständlich« erweist als das Paramentale.
Ich denke hier an dasjenige Paraphysische, was sich, wenn wir seine Tatsächlichkeit annehmen, im Anschluß an den Leib einer lebenden Person abspielt, und das wir auf Seite 80 als »Materialisation im Anschluß an den Leib eines Lebenden« zusammengefaßt haben, wobei wir das Wort »Materialisation« in sehr weitem Sinne, die Telekinese einschließend, nahmen.
Deswegen sind diese Dinge verhältnismäßig »leicht« verständlich, weil sie sich an Tatsachen, die aus der Biologie und der Psychophysik im normalen Sinne bekannt sind, immerhin anschließen, wenn auch natürlich neue »Seiten« der in Frage kommenden Grundprinzipien in Frage stehen – sonst würde es sich ja gar nicht um Dinge handeln, die, heute wenigstens, als »para«-normal zu bezeichnen sind.
Die Biologie neigt heute in immer bestimmterer Weise dem sogenannten Vitalismus zu, das heißt der Lehre, daß das organische Leben nicht aus den Eigenschaften dessen, was »Materie« genannt wird, gleichgültig wie man es fasse, verstanden werden könne, daß der Begriff des ganzmachend Wirkenden – (populär: des »Zielstrebigen«, »Zwecktätigen«) – als etwas ganz Neues der unbelebten Welt gegenüber hier einzuführen sei. Das Organische, anders gesagt, läßt sich nicht aus den Wirkungen der letzten Teile der Materie aufeinander und aus den dabei auftretenden »Resultanten«bildungen – (man denke hier an das »Parallelogramm der Kräfte«) – verstehen.
Wir wollen hiermit nicht sagen, daß heute alle Biologen, wie der Verfasser dieser Schrift, überzeugte Vitalisten seien. Aber alle besonnenen Biologen geben heute doch eine Grenze der sogenannten »mechanischen« Erklärbarkeit des Lebendigen zu, wenn sie sich auch scheuen, etwas Positives über diese Grenze, oder vielmehr über das, was dahinter liegt, auszusagen und es ein bloßes X bleiben lassen. Das jüngst erschienene Sammelwerk über die biologischen Grundprobleme zeigt das aufs deutlichste Das Lebensproblem (herausgegeben von H. Driesch und H. Wolfereck), Leipzig, Quelle & Meyer, 1931..
Scheut man sich aber nicht, über jenes X etwas Positives auszusagen, so kommt es stets und bei allen, die über das Problem gedacht haben, dazu, daß man es nach Analogie dessen faßt, was man bei sich selbst als Seelisches kennt, wenn es sich auch um eine andere Form des Seelischen handeln würde, als um die von jedem bei sich selbst gekannte. Und auf der anderen Seite ist auch die reine Psychologie, die nur die Gesetzlichkeit des Eigenseelischen in seinen Ablauf untersucht, gezwungen, anderes Seelische als, kurz gesagt, das »Ich-Seelische« in Form des Un- und Unterbewußten zuzulassen, will sie das, was sie untersucht, überhaupt verstehen Vgl. meine Grundprobleme der Psychologie, 2. Aufl., 1929..
Hier haben wir also schon im Normalen den Urbruch im Bereiche der Naturlehre, nämlich den Bruch mit dem Mechanismus vor uns, den wir parapsychologisch brauchen. In diesem Sinne habe ich einmal Presidential address 1926, in Proc. S. P. R. 36, 1926, S. 171. Auch deutsch in Zeitschrift für Paraps., 1926, Oktoberheft. von einer »Brücke« gesprochen, die der Vitalismus zu den Feldern der Parapsychologie gebaut habe.
Eine zweite Brücke hat die Psychophysik in bezug auf das Problem »Leib und Seele« gebaut, indem sie den sogenannten »psycho-physischen Parallelismus« abwies. Diese Lehre, die besser »psycho-mechanischer Parallelismus« heißen sollte, behauptete bekanntlich, das bewußte Erleben eines Menschen sei »dasselbe« wie die Mechanik seines Gehirns, nur »von der anderen Seite«, nämlich von »innen« gesehen. Diese Lehre ist auf zwei Wegen geradezu ad absurdum geführt: einmal dadurch, daß gezeigt wurde, der Mensch sei bei seiner Handlung, bei seinem Benehmen (»behavior«), schon wenn man ihn rein »objektiv«, nämlich als »bewegten materiellen Körper« betrachtet, ganz und gar nicht »mechanistisch« verständlich; zum anderen dadurch, daß dargetan ward, es sei sowohl allgemeiner Bautypus wie Mannigfaltigkeit auf der »bewußten« und auf der »mechanischen« Seite ganz und gar verschieden und inkommensurabel, so daß das eine nicht gut »dasselbe« wie das andere, nur »anders gesehen«, sein könne Leib und Seele, 3. Aufl., 1923 und Grundprobleme d. Psych..
Durch Abweisung des psycho-mechanischen Parallelismus ist nun aber das, was man Seele nennt, wieder als selbständiges Wesen ( »Ens«) neben dem materiellen Leib auf den Thron gesetzt, und das ist gerade, was die Parapsychologie braucht.
Sie braucht es auf allen ihren Gebieten, nicht nur auf dem physischen, und insofern sind die jetzt gepflogenen Erörterungen eine Einleitung für alles in diesem Abschnitt noch Folgende.
Es gibt also vom Normalen her »Brücken« zur Parapsychologie. Es gibt aber noch mehr, das nun gerade die physische Parapsychologie an »normal« Bekanntes anknüpft.
Wir kennen sogenannte physiologische Wirkungen der Suggestion: leichte Entzündungen, Blutstillungen, »Stigmata«, Verdauungsmodifikationen und vieles andere, ja Schwangerschaftsphänomene, können suggestiv, das heißt vom Seelischen her hervorgerufen werden, wobei freilich nicht die »Ich-Seele«, sondern eben das Unterbewußte in Frage steht. Wir wissen also, daß das Seelische im eigentlichen Sinne, nicht nur jenes Seelenartige, das die vitalistische Biologie unter dem Namen der Entelechie einführt, die materielle Seite des organischen Leibes zu beeinflussen fähig ist.
Wir kennen da also wiederum schon aus dem Normalen etwas, das die physische Parapsychologie braucht.
In der Tat haben wir nur nötig, den Aktionsbereich von Seele auf Leibesmaterie zu erweitern, um das zu verstehen, was paraphysisch dann vorliegen würde, wenn wir Phänomene »im Anschluß an den Leib eines Menschen« als tatsächlich zulassen.
Materie ist überall im Raum. Normal-biologisch greift, bei der Formbildung und Regeneration, das »vitale Agens« ordnend in das Getriebe der Materie ein Philos. d. Organ., 4. Aufl., 1928, zumal Seite 290 ff.; bei der Handlung und bei physiologischen Suggestivwirkungen tut das die »Seele«, bewußt oder unterbewußt.
Beides sind dem Mechanismus gegenüber, der nur zwischen den Teilen der Materie wirkende Kräfte kennt, schon »Para«phänomene. Ja, das einfachste »Paraphänomen« in diesem Sinne ist sogar schon jene Grundlage des organischen Getriebes, welche »Stoffwechsel« heißt: Materie, welche nicht unter der Kontrolle des vitalen ganz machenden Agens war, kommt bei der »Assimilation« unter sie; Materie, welche unter ihr war, wird bei der Dissimilation, dem Gegenstück der Assimilation, wieder aus ihr entlassen.
Das ist schon »Materialisation« einfachster Form. Denn durchaus nicht braucht es sich ja bei dem, was paraphysisch so heißt, um »Schöpfung« von Materie zu handeln. Materie, so sagten wir, ist »überall im Raum«. Nur um Ordnung von vorhandener Materie würde es sich auch hier handeln.
So wäre denn also paraphysische Materialisation mit allen ihren Abarten (Telekinese, Levitation (?), Materialisation engsten Sinnes usw.) gar nichts Neues? Gewiß wäre sie »Neues«, sonst wäre sie kein »Para«-phänomen im engeren. Sinne. Aber sie wäre Neues, das sich, bereichserweiternd, an Altes anschließt; eine neue »Seite« des Wirkens würde an einem schon bekannten Agens aufgedeckt.
Wo immer es sich um physische Phänomene im Anschluß an den Leib eines Para-begabten handelt – die Tatsächlichkeit ex hypothesi zugegeben –, hätten wir also anzunehmen, daß das Unterbewußt-Seelische dieses Menschen die Fähigkeit habe, bei seiner ordnenden Wirkung auf die Materie über den Bezirk seines »normalen« Wirkens hinauszugreifen – vielleicht bis zu mehreren Metern hin, aber immer »im Anschluß« an den Leib. Materialisation wäre dann ordnende Assimilation auf weites Bereich. In der Tat: nur der Bereich des Wirkens wäre der normalen ordnenden und formbildenden Assimilation gegenüber, wie sie etwa bei Regenerationen zutage tritt, erweitert – (»klein« und »groß« sind stets relative Begriffe). Materialisation wäre gleichsam paranormale Embryologie.
So wäre wohl dem Paraphysischen der Stachel des Absurden genommen, weil ihm eben das Odium des »ganz und gar« Unglaublichen und Neuen genommen ist.
Paraphysische Phänomene wären bei unserer Auffassung vitale Aktionen, ja, da sie von Menschen ausgehen, könnte man geradezu sagen:
»Handlungen«, freilich von unterbewußter Art. Paranormal wäre bei ihnen, nicht »daß«, sondern »wie« gehandelt wird. Anders gesagt, paranormal wäre nicht, daß überhaupt gehandelt wird – wenn wir »Handlung« allgemein eine von Menschen hervorgebrachte Veränderung der materiellen Welt nennen –, sondern wäre die Ausführungsart, der Weg der Handlung. Im Normalen geschieht das Handeln mittelst der Gliedmaßen; im Paranormalen – anders.
»Verstehen« im eigentlichen Sinne des Wortes tun wir weder das eine noch das andere! Schon die einfachste Willensverwirklichung ist ja doch ein Rätsel: Ich »will« einen Federhalter ergreifen – weiß »ich«, wie man das »macht«: bestimmte motorische Nerven erregen? Und es muß doch offenbar geschehen, obwohl »ich«das gar nicht »will«. »Ich« will nur den Federhalter ergreifen.
Wer »macht's«? –
Freilich gilt alles, was wir gesagt haben, nur da, wo es sich um Geschehnisse »im Anschluß« an den Leib eines Menschen handelt. Der »Anschluß« mag recht weitgreifend, aber er muß einigermaßen wahrscheinlich zu machen sein.
Ist das nicht der Fall, wie bei objektivem Spuk, der nicht an eine bestimmte Person gebunden ist, oder bei echten Phantomen, so würde in der Tat ganz und gar Neues vorliegen Vgl. hierzu das auf S. 79 ff. über die »Sicherung zweiter Ordnung« dieser Dinge Gesagte. – falls wir diese Dinge überhaupt als tatsächlich zugeben.
Geistiges würde als ab origine, gleichsam im Sinne dessen, was biologisch Urzeugung genannt zu werden pflegt, eingreifend gedacht werden müssen. Wir wären beim »Weltgeist« (oder auch auf dem Boden des Spiritismus) gelandet.
Die »Tatsachen« selbst sind aber heute noch allzu problematisch, um hier, und erst recht angesichts der sogenannten »Apporte«, theoretische Erörterungen mit einiger Aussicht auf Nutzen weiterzuspinnen. Gilt es hier ja doch, zunächst einmal das ganz Grobe, die pure Tatsache, sicherzustellen. Mit wirklichem Gewinn, zum mindesten als Anregung für spezifisch eingestellte Beobachtung, werden sich Lehren wie die vom Weltbewußtsein oder vom persönlichen Überleben erst später erörtern lassen. Dann allerdings, nämlich angesichts der mentalen Paraphänomene, werden sie es.