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Ging es im vorigen Abschnitt gegen die »Gläubigen«, so geht es jetzt gegen eine gewisse Gruppe von »Skeptikern«, nämlich gegen die Skeptiker um jeden Preis – (zu den kritischen Skeptikern rechnen wir uns selbst).
Man wird vielleicht fragen, weshalb es nicht auch gegen den radikalen Negativisten gehe, das heißt, gegen den Mann, der da sagt, daß es paranormale Phänomene »gar nicht geben könne«. Gegen den aber braucht es hier nicht zu gehen, da er ja, wenn wirklich radikal, eben alles für endgültig erledigt hält und sich, wenn er folgerichtig handelt, überhaupt in gar keine Diskussion einläßt. Ob es wirklich ganz überzeugte »Negativisten« gibt? Sie diskutieren, sie »widerlegen« eben doch gern! Die meisten dürften nur sehr scharfe Skeptiker sein, vielleicht weil sie den Gegenstand für so verwickelt und schwierig halten, daß sie praktisch an seiner Lösung verzweifeln; es sei doch immer noch ein unverstopftes Täuschungsloch da. Echte Negative sind solche Leute nicht.
Bei vielen Skeptikern und natürlich bei Radikal-negativen, falls es sie gibt, spielt die allgemein logische und erkenntnistheoretische Haltung eine Rolle. Sie sind entweder Materialisten echter Art oder »Mechanisten« im Sinne gewisser (nicht aller) neukantischer Schulen. Sie pflegen meist zugleich Gegner der vitalistischen Biologie und Freunde des sogenannten psychophysischen Parallelismus zu sein, der da die Existenz der »Seele« als eines selbständigen (empirischen) Wesens bestreitet und nur »seelische Phänomene« kennt, welche die Mechanik des Gehirns »von innen gesehen« sein sollen.
Diese logisch und erkenntnistheoretisch Beschränkten kann man grundsätzlich – (falls sie unbefangenen Geistes sind) – dadurch überzeugen, daß man ihre Einstellung als »dogmatisch«, das heißt als: grundlos geglaubt, nachweist. Das aber geschieht durch Klärung der Begriffe Natur und Kausalität Vgl. meine Ordnungslehre, 2. Aufl., 1923, S. 190 ff..
Übertriebene Sicherungserwägungen der Skeptiker in Dingen der Parapsychologie sind nun diese:
Man könne alle als echt behaupteten parapsychischen Phänomene betrügerisch imitieren, und deshalb seien sie alle betrügerisch; nur was grundsätzlich nicht imitiert werden könne, sei echt. Abgesehen von der formalen Falschheit dieses »Schlusses«, muß hierzu gesagt werden, daß man in der Tat jedes Experiment, auch jedes chemische oder physikalische, imitieren kann, wenn einem volle Freiheit der Bedingungen gewährt ist. Aber unter vorgeschriebenen Bedingungen kann man durchaus nicht alles betrügerisch imitieren. Die gegebenen Bedingungen sind das Wesentliche; und auch unter ihnen muß, um Unechtheit wahrscheinlich zu machen, nachgemacht werden, nicht nur werden » können«. Berechtigterweise kann also nur gesagt werden: man möchte wohl vieles, wenn die Bedingungen frei stehen, imitieren können, also sichere man sich hinsichtlich der Versuchsbedingungen so, daß Betrug wirklich objektiv unmöglich ist. Diesen Standpunkt vertreten wir selbst.
Dabei ist freilich bei parapsychologischen Versuchen eine zweifache Vorsicht nötig, weil eben mindestens zwei Menschen hier in Frage kommen, worüber schon früher (Seite 7 f.) gesprochen wurde: der Versuchsleiter und der Paranormale (und die Beisitzer). Ein Versuchsleiter nun »kann« bei jedem Versuch, auch auf dem Boden »normaler« Wissenschaft, etwa der Chemie oder Biologie, betrügen. Stets müssen wir ihm seine Ehrlichkeit »glauben« – nicht nur auf dem Boden der Parapsychologie. Wir sind ja bisher nicht schlecht bei diesem Glauben gefahren; Betrug seitens eines Versuchsleiters auf irgendeinem Gebiete der Wissenschaft hat es nur in ganz seltenen Fällen gegeben. Was aber den »zweiten«, den »Objekt«-menschen, also den Metagnom, angeht, so ist der eben durch die von uns angegebenen Sicherungen so zu kontrollieren, daß sein Betrug objektiv ausgeschlossen ist. Verwirklichen läßt sich das, wenn es auch, wenigstens auf paraphysischem Gebiete, heute in ganz restlos zufriedenstellender Weise noch nicht verwirklicht worden ist.
Sagt man weiter, normal naturwissenschaftliche Beobachtungen und Versuche seien doch im Gegensatz zu parapsychischen stets beliebig wiederholbar und daher überprüfbar, so stimmt das erstens gar nicht einmal immer; im Astronomischen, im Geophysikalischen zum Beispiel stimmt es nicht. Und auch sonst sind, zum Beispiel im Biologischen, die Objekte oft nicht weniger »kapriziös« als die Medien.
Falsch ist ferner der Satz: Dieses Medium hat einmal betrogen, also wird es stets betrügen. Das ist wieder ein logisch falscher Schluß. Und ebenso falsch ist der »Schluß«: Dieses Medium hat heute nichts ergeben, »also« ist es betrügerisch.
Gewiß, sehr vorsichtig darf, ja, muß uns ein einmal der Täuschung überführtes Medium machen, und auch ein gelegentlich versagendes zwingt, obschon in geringerem Grade, zu Behutsamkeit in der Deutung. Man wird sich eben in besonderer Strenge sichern, darf aber nicht, und hier hat die Gegenpartei der »Gläubigen« recht, so weit gehen, zu fordern, daß nun unter allen und jeden Bedingungen, zumal seelischer Art, die Sache gelingen müsse, zum Beispiel auch dann, wovon wir ja geredet haben, wenn man das Medium grob anfährt und von vornherein merken läßt, man halte es für betrügerisch.
Daß alle Verdachtsmomente, zu denen eben auch die Beleuchtungsfrage gehört, nach Möglichkeit beseitigt werden müssen, haben wir selbst gesagt. Freilich wissen wir leider nicht immer, was hier »Möglichkeit« ist. –
Weiter wird die Seltenheit der Metagnomen von den Skeptikern ins Feld geführt. Aber gut Hypnotisierbare sind auch recht selten und, zum Glück, sind noch seltener solche, die an Bewußtseinsspaltungen, von Wahnsinn gar nicht zu reden, leiden. Aber diese Dinge »gibt es« darum, und zwar allgemein anerkanntermaßen, doch.
Natürlich wäre es sehr erwünscht, könnte man die Zahl der Metagnomen erhöhen, ja, könnte man wohl gar jeden Menschen »medial« machen. Vielleicht gelingt das einmal, sei es durch Suggestion, sei es durch Anwendung von chemischen Stoffen Dem mexikanischen Peiyotl werden bekanntlich solche Eigenschaften zugeschrieben.. Unmöglich a priori erscheint es nicht; im Gegenteil, es erscheint a priori als unwahrscheinlich, daß es, abgesehen von den bekannten psychologischen »Typen«-unterschieden, zwei ganz grundsätzlich verschiedene Menschenformen, Normale und Medien, geben sollte. Vielleicht liegt nur ein quantitativer Unterschied, nämlich ein solcher der Bewußtseinsschwelle, zwischen Normalmenschen und Metagnomen vor. Und dieser wäre vielleicht auszugleichen.
Ganz allgemein sei endlich noch der Grundsatz hingesetzt, daß im gesamten Gebiet der Wissenschaft, also auch parapsychologisch, negative Fälle positive nie annullieren. Gerade wer, wie ich, selbst biologisch experimentell gearbeitet hat, weiß, daß es gelegentlich »nicht geht« und dann wieder »geht«.
Gewiß dürfen daher kritische Skeptiker auf Negatives hinweisen; aber sie dürfen nie das Positive übersehen und sollten daher, zumal in populären Darstellungen, nicht bloß Negatives oder sehr Unbestimmtes aus dem Gesamtmaterial herauspflücken, ohne die guten positiven Fälle zu erwähnen.
Andrerseits muß freilich ein gutes Protokoll auch alles Negative und Mäßige enthalten. Für die Erforschung der intimen Bedingungen des Geschehens kann das sogar von Bedeutung sein, so daß Negatives und Unsicheres hier geradezu zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen kann – wie in »normalen« Wissenschaften auch. –
Auf dem internationalen Kongreß für psychische Wissenschaften in Athen habe ich in einer Diskussion einmal gesagt:
»Besser neunundneunzig tatsächlich echte Phänomene wegen ungenügender, Betrug nicht absolut ausschließender Bedingungen ablehnen als ein einziges unechtes Phänomen zu Unrecht als echt annehmen.«
Dieser Satz ist oft entstellt zitiert worden – (99 Phänomene, nicht 99 Medien Denn ich vertrete ja doch gerade die Ansicht, daß nicht von dem »gelegentlich Betrügen« auf das »immer Betrügen« geschlossen werden dürfe. habe ich gesagt) –, noch öfter wurde er nicht ganz in meinem Sinne verstanden:
»Ablehnen« heißt hier soviel wie »noch nicht als gesichert gelten lassen«; es heißt nicht ohne weiteres »als unecht brandmarken«. Und das ist ein gewaltiger Unterschied. Gewiß, das, was ich in Berlin bei der Valiantine-Sitzung sah, lehne ich im zweiten Sinne ab, und auch Besterman, Lambert, W. Prince haben mit guten Gründen, wie ich glaube, vieles, was sie sahen, in gleichem Sinne abgewiesen. Aber sehr vielem gegenüber, das ich selbst sah oder aus der Literatur kenne, nehme ich diesen rigorosen Standpunkt nicht ein. Hier sage ich nur: möglicherweise echt, aber versuchstechnisch nicht genug gesichert um in das eigentliche Arsenal der Tatsachen aufgenommen und nun für die Theorienbildung verwertet zu werden. Leider muß ich heute diesen Standpunkt allem »Physischen« gegenüber einnehmen. Denn hier ist wirklich alles »nicht genug« gesichert; es sind überall noch Lücken in den Bedingungen, die Betrug möglich machten, auch bei dem Besten, was vorliegt: den Versuchen von Schrenck Das Gesagte bezieht sich auf die Versuche mit den Gebrüdern Schneider; gegen Eva C. habe ich sehr starke Bedenken. – Über die Palladino habe ich kein Urteil, obwohl ich zugebe, daß der Bericht der Kommission der S. P. R. über die Versuche in Neapel sehr überzeugend klingt, (Proc. S. P. R. 23). und Price. Also lehne ich einstweilen noch ab – in der ersten der Bedeutungen, die ich diesem Wort gab: ich warte mit dem Endurteil, obwohl ich vielleicht subjektiv stark beeindruckt bin. Ostys neue, auf Seite 29 genannten Versuche, die ja weitergeführt werden, werden, wie ich hoffe, mein »Warten« stark abkürzen.
Der hier dargelegte Standpunkt scheint mir für den Wissenschaftler die einzig mögliche Haltung zu sein; angenehm ist sie für ihn selbst nicht. Aber der Wissenschaftler ist eben intellektueller Asket. Und die Wissenschaft ist bei dieser Askese bisher gut gefahren.
Um also ganz persönlich zu sprechen: ich »glaube«, ich »vermute«, daß manches echt ist von dem, was mein wissenschaftliches Gewissen mir befiehlt, einstweilen noch »abzulehnen« als »nicht genug gesichert«. Mir scheint, jener verdiente von den Gläubigen so wenig geliebte »unerfahrene junge Mann« in London, Herr Besterman, denkt hier ganz ähnlich wie ich selbst: ein Negativist ist der ganz gewiß nicht; aber er ist sehr kritisch.
Es gibt eben nicht nur zwei Einstellungen zur Parapsychologie, die »positive« und die »negative«, sondern es gibt noch eine dritte: die kritische. Und sie allein ist etwas wert.