Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Die Kabine Dr. Wegeners auf der »Blue Star« hatte in der letzten Zeit immer mehr das Aussehen eines Laboratoriums angenommen. Flaschen mit verschiedenen Säuren und Laugen, Reagenzgläser und allerlei andere Hilfsmittel eines Chemikers bedeckten den großen Mitteltisch, dessen Politur dadurch nicht besser wurde. In numerierten Holzkästchen lagen Dutzende von Gesteinsproben, nach der Tiefe geordnet, in der sie unten im Felsstollen gebrochen waren. Unermüdlich war Dr. Wegener bei der Arbeit, diese Brocken zu analysieren. Ein Plan an der Wand zeigte den Stollen im Aufriß; an mehr als fünfzig Stellen war die Zeichnung mit der krausen Bleistiftschrift des Doktors bedeckt. Namen von Gesteinen waren es, die sich da entziffern ließen. Granit, Quarz, Gneiß, Granit, Basalt, Gneiß, Basalt, vulkanisches Magma, diese und ähnliche Bezeichnungen waren in die Darstellung des Stollens eingetragen, der vom Ende des stählernen Schachtes mit einem Gefälle von 45 Grad nach unten verlief.

Dr. Wegener griff nach der letzten Probe, die er erst vor einer halben Stunde erhalten hatte. Nachdenklich betrachtete er das kleine Stück, das tiefschwarz und glasig glänzend in seiner Hand ruhte. »Immer noch Magma!« Er erkannte es, ohne erst eine chemische Analyse zu machen. Das, was er suchte, was er mit Sicherheit zu finden hoffte, war es immer noch nicht. Vulkanisches Magma, in den Jugendjahren unseres Erdballes einmal aus feurigem Fluß zu festem Gestein erstarrt, mußte nach seiner Theorie über dem Mineral liegen, dem er nachging. Aber wie stark war diese Magmaschicht? Mußte der Stollen noch Hunderte oder gar Tausende von Metern in die Tiefe vorgetrieben werden, bevor man endlich auf das Ersehnte stieß? Das war die große Frage, die einzige unbekannte Größe in der Rechnung des Doktors, die in allem übrigen bisher stimmte.

Mit einem leichten Seufzer ließ er sich in einen Sessel fallen. Ein Gefühl der Entmutigung wollte ihn beschleichen, wie es einen Feldherrn oft am Vorabend einer großen Schlacht überkommt. Im Geiste ließ er die Ereignisse der letzten Monate an sich vorüberziehen.

Fast über jedes Erwarten und Hoffen hinaus war bisher alles gut gegangen. Der stählerne Schacht hatte dem ungeheuren Druck der von dem zweiten Seebeben herangeschobenen Gesteinsmassen standgehalten. In glücklichster Weise bewirkten diese Massen einen dichten Abschluß des Schachtes gegen den ungeheuren Wasserdruck der Tiefe. Ohne Zwischenfälle war bisher der Vortrieb des Stollens verlaufen. Noch hielt die Nähe der eiskalten Tiefsee die Temperatur in ihm niedrig, noch störte kein Bergdruck den Stollenbau. Aber würde das alles so bleiben, wenn man noch Tausende von Metern in dem Urgestein vordringen mußte?

Eine tiefe Falte bildete sich auf der Stirn des Doktors, während er die Frage überdachte. Zu außergewöhnlich, zu sehr von allem Hergebrachten abweichend war ja das, was Roddington und er hier unternahmen. In einer bisher unbekannten Tiefe gingen die Arbeiten vor sich. Man konnte sich dabei auf keinerlei Erfahrungen stützen, mußte sich ganz und gar auf sein gutes Glück verlassen und zu jeder Stunde gewärtig sein, daß eine Katastrophe hereinbrach. –

Dr. Wegener war nicht der einzige an Bord der »Blue Star«, den an diesem Vormittag Sorgen drückten. Auch Roddington saß mit zergrübelter Miene an seinem Tisch. Vor ihm lagen die Aufstellungen seines Generalbevollmächtigten Roger Blake, die ein Flugzeug vor kurzem gebracht hatte. Lange Zahlenreihen, welche die Summen aufwiesen, die das Unternehmen bisher verschlungen hatte. Zahlen, die für ein Unternehmen von der Größe des Trenton-Werkes auch dann ungewöhnlich hoch gewesen wären, wenn ihnen entsprechende Einnahmen gegenübergestanden hätten. Hier aber gab es nur Ausgaben, nur Unkosten, nur eine Debetseite, der kein Kredit die Waage hielt.

Nur zu berechtigt war die Frage in dem Begleitschreiben Blakes, wie Roddington für die nächsten Monate finanziell weiter disponieren wolle. Ebenso begründet die zweite, welche Zeit und welche Mittel die Arbeiten am Schacht voraussichtlich noch in Anspruch nehmen würden. Welche Zeit und welche Mittel? Nur Dr. Wegener vermochte darüber vielleicht Auskunft zu geben. Er raffte seine Papiere zusammen und suchte den in seiner Kabine auf. –

Der Doktor beobachtete über ein Reagenzglas gebeugt, wie die scharfe Säure darin ein schwarzes Stückchen Mineral auflöste. Sorgfältig verfolgte er den Vorgang und prüfte das Gas, das schäumend emporperlte, als Roddington bei ihm eintrat. Mit halbem Ohr hörte er dessen Bericht und merkte erst schärfer auf, als die Schlußsummen und die Fragen Blakes zur Sprache kamen.

Einen Augenblick sank seine Gestalt tiefer in sich zusammen, als ob sie die schlimmen Neuigkeiten nicht mehr zu tragen vermöchte. Dann straffte sie sich zu frischem Widerstand.

»Wie lange es noch dauert? Wieviel es noch kosten wird? Ich kann es Ihnen nicht sagen, Roddington. Nur das eine ist sicher: Wir haben mit dem Stollen die Magmaschicht erreicht . . .«

»Die Magmaschicht, Doktor Wegener? Haben wir sie wirklich schon erreicht?«

Der Doktor deutete auf das Reagenzglas. »Was hier in der Säure brodelt, ist vulkanisches Magma. Wir sind bereits fünfzig Meter tief in die Schicht eingedrungen.«

»Das überrascht mich, Doktor. Nach Ihrer Theorie müßte das Magma erst in sehr viel größerer Tiefe unter dem Seeboden beginnen.«

»Sie vergessen die Verschiebungen, Roddington, die das erste große Seebeben bewirkt hat. Wenn ich's jetzt genau betrachte, war es ein unerhörter Glückszufall für uns; es hat uns mehrere Kilometer Urgestein aus dem Wege geräumt.«

»Aber wenn der Stollen jetzt schon im Magna steht, Doktor Wegener, dann müßten wir doch dicht vor dem Ziele sein.«

Dr. Wegener zuckte mit den Achseln. »Vielleicht stoßen unsere Leute vor Ort schon in den nächsten Stunden darauf, vielleicht dauert es noch Wochen . . . Monate . . . vielleicht machen die Gewalten der Tiefe alle unsere Pläne und Arbeiten noch in der letzten Minute zuschanden . . .«

Roddington stützte den Kopf in die Hände und atmete schwer. Dr. Wegener sprach weiter.

»Wir müssen der schlimmsten Möglichkeit furchtlos ins Auge sehen, Roddington, und unverzagt weiterarbeiten. Treffen Sie Ihre Dispositionen auf möglichst lange Sicht. Richten Sie sich so ein, daß wir noch für mehrere Monate durchhalten können. Erreichen wir unser Ziel früher, um so besser für uns.«

Roddington blickte müde auf.

»Die Anlagen in Davao wären jetzt entbehrlich, aber es dürfte sich kaum ein Käufer dafür finden. So bleibt mir nur noch das Trenton-Werk. Die Corporation würde es jederzeit übernehmen. Blake müßte mit Price deswegen in Verbindung treten.«

»Das Trenton-Werk verkaufen, Roddington? Wir werden es wieder brauchen, sobald wir gefunden haben, was wir suchen. Ich möchte nicht dazu raten. Haben Sie nicht noch andere Möglichkeiten, sich das Betriebskapital für die nächsten Monate zu beschaffen?«

»Möglichkeiten wohl, Doktor Wegener, aber sie sind nicht so ergiebig wie ein glatter Verkauf. Was wir später noch an Stahlguß brauchen, könnten wir schließlich auch von den neuen Besitzern des Trenton-Werkes beziehen . . .«

». . . und drei- oder vierfach bezahlen! Mr. Price ist ein Halsabschneider erster Klasse. Er würde uns gehörig hochnehmen, sobald er erkennt, daß wir auf schnellste Lieferfristen angewiesen sind. Wenn es sich irgendwie machen läßt, wollen wir das lieber vermeiden.«

Roddington stand aus. »Gut, Doktor Wegener, ich will die Einzelheiten Blake überlassen. Der Verkauf soll nur die letzte Möglichkeit bleiben, wenn alle anderen Mittel versagen.« –

Während der nächsten Stunden fand ein lebhafter Depeschenwechsel zwischen der »Blue Star« und Roger Blake statt. Der Zeitunterschied zwischen den Philippinen und New York brachte es mit sich, daß man Blake für den Empfang des ersten Funkspruches aus dem besten Morgenschlaf reißen mußte. Dann aber wurde er sehr munter, und ein halbes Dutzend Radiogramme gingen über den halben Erdball hin und her.

»Sie wissen, daß die ›Morning Post‹ Sie und Doktor Wegener totgesagt hat und daß man Sie in New York jetzt noch für tot hält?« stand in einem Funkspruch Blakes.

»MacLane hat mir den Unsinn erzählt. Wie kommen Sie jetzt darauf?« antwortete Roddington.

»Diese Falschmeldung kann bei den bevorstehenden Transaktionen vielleicht nützlich sein«, funkte Blake zurück.

Dr. Wegener las die Depesche, und zum erstenmal nach Tagen kam wieder ein Lachen aus seinem Mund.

»Blake ist ein schlauer Fuchs«, rief er vergnügt, »lassen Sie ihn nur machen, Roddington. Er wird Mr. Price schon nehmen, was er wert ist.«

Über dem Atlantik rötete sich bereits der Horizont und malte mit seinem Widerschein die Wolkenkratzer der Hudsonmetropole rosig an, als Blake endlich Zeit fand, sich noch für ein paar Stunden aufs Ohr zu legen.

*


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