Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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»Acht Mutterschiffe . . . sie werden zusammen eine imposante Plattform für die Arbeiten Roddingtons bilden«, diese Worte, die Kyushu vor einer Woche sprach, kamen Oburu wieder in die Erinnerung, als er jetzt den Kopf von den Okulargläsern des Periskoprohres zurückzog.

»Sie haben recht«, sagte er zu dem Major, der neben ihm in der Zentrale des U-Kreuzers »Karawa« stand, »imposant wirken die amerikanischen Mutterschiffe mit der darüberliegenden Plattform.«

Major Kyushu war inzwischen an das Periskop getreten. Die stark vergrößernde Optik des Instruments ließ die amerikanischen Schiffe, die etwa zehn Kilometer von dem japanischen U-Boot entfernt auf der See lagen, fast greifbar nahe erscheinen. In der Form eines achtstrahligen Kreuzes waren die Flugzeugmutterschiffe zusammengefahren, so daß in der Mitte zwischen ihren Vordersteven nur noch ein freier Raum von wenigen Metern blieb. Durch starke eiserne Fachwerkkonstruktionen waren ihre Plattformen, auf denen sonst Flugzeuge starteten und landeten, zu einer einzigen großen Arbeitsbühne verbunden. So bildeten die acht Schiffe gewissermaßen eine schwimmende Insel mit einer Tragkraft von zweihunderttausend Tonnen, auf der sich Riesenkräne zu schwindelnder Höhe emporreckten.

Dunkel und drohend wie ein Symbol zusammengefaßter Kraft und Energie hob sich die Gruppe der so zu einer Einheit verbundenen Schiffe gegen den tiefblauen Hintergrund der See und des Himmels ab. In engeren und weiteren Kreisen um sie herum patrouillierten vierundzwanzig Zerstörer der amerikanischen Kriegsmarine. An eine Meute scharfer Hunde mußte Kyushu bei ihrem Anblick denken, die unermüdlich auf der Hut sind, bereit, jedem die Zähne zu zeigen, der das von ihnen bewachte Gut bedrohen könnte. Mit Befriedigung erinnerte er sich daran, wie Kapitänleutnant Hatama, der Kommandant der »Karawa«, das obere Ende des Periskopes sorgsam durch ein Bündel Seetang tarnen ließ, bevor sie tauchten. Das gab die Sicherheit, daß nicht blinkendes Metall oder Glas den Amerikanern die Nähe des japanischen Bootes verriet. Ein wenig auf der stillen See treibender Tang konnte nicht auffallen, und im Vertrauen auf solche Unsichtbarkeit hatte sich das Boot bis auf wenige hundert Meter an die äußere Linie der Zerstörer herangepirscht.

Sollte man es wagen, noch weiter vorzudringen, um aus nächster Nähe zu beobachten, was Roddington jetzt mit seinen Ingenieuren und Werkleuten auf der großen Plattform unternahm? Noch überlegte es Kyushu, als er von den Vorgängen dort aufs neue gefesselt wurde.

Eins jener ummantelten Rohre hatten die Kräne gepackt, hoben es empor, richteten es auf, bis es senkrecht stand und wie ein mächtiger, hundert Meter hoher Turm in die Höhe ragte. Doch nicht lange stand es so. Deutlich konnte Major Kyushu sehen, wie der mächtige, im vollen Sonnenlicht grell gelb schimmernde Schaft an Höhe verlor, niedriger und immer niedriger wurde, bis nichts mehr von ihm zu sehen war. Aber da stieg an einem andern Kran schon ein zweites Rohr in die Höhe, stellte sich steil und immer steiler, ein neuer Turm stand senkrecht auf der Plattform.

Kyushu preßte die Kiefer zusammen, daß seine Zähne knirschten, und ließ die Augen für kurze Zeit vom Periskop.

»Unmöglich, Oburu, von hier aus zu sehen, was sie auf der Plattform treiben.«

Oburu preßte sein Gesicht gegen das Okular und drehte an den Linsen, um sie noch schärfer einzustellen.

»Wenn ich nicht irre, Kyushu, dreht sich das Rohr um seine Längsachse.«

»Dann verschrauben sie es mit dem ersten«, sagte der Major nach kurzem Überlegen . . . überlegte wieder, sprach zögernd weiter: »Wird das Gewinde gegen den ungeheuren Druck dichthalten? Ob Roddington auch daran gedacht hat?« –

Die Vorgänge unmittelbar auf der Plattform lagen für die »Karawa« im toten Sichtwinkel. Weder Kyushu noch Oburu konnten verfolgen, was dort vorging. Nur darin hatte Oburu richtig gesehen, daß das obere Rohr sich um seine Längsachse drehte. James Roddington und seine Ingenieure, die auf der Plattform unmittelbar neben der Verbindungsstelle der beiden Rohre standen, konnten die Dinge aus nächster Nähe weit besser beobachten.

Ihre Uhren in der Hand, verfolgten Roddington, Dr. Wegener und Frank Dickinson das Arbeiten der neuen Spezialmaschine, die während der letzten Monate in Trenton nach den Zeichnungen des Doktors entstanden war.

Eine Art von stählerner Riesenzange hielt das obere Ende des unteren Rohres, das noch bis zur Höhe der Plattform aus dem Wasser ragte. Eine andere Vorrichtung, die entfernt an eine mächtige Karusselldrehbank erinnerte, umfaßte das untere Ende des oberen Rohres, ließ das ganze Rohr um seine Längsachse rotieren und verschraubte es dabei mit dem Unterrohr.

Ein kurzes Knirschen und Rucken. Mit der Kraft eines fünfhundertpferdigen Motors war die Verschraubung zusammengewürgt.

»Fünf Minuten«, sagte Roddington.

»Vier Minuten und fünfzig Sekunden«, verbesserte ihn Dr. Wegener.

Noch während die beiden um die Zeit stritten, schoben sich kranzförmig hundert Schweißbrenner an die Verschraubungsstelle heran. Brausend und zischend beleckten ihre blauen Flammen die stählerne Rohrwand, der an dieser Stelle der Holzmantel auf eine kurze Strecke fehlte. Schon leuchtete das Metall unter den Flammen hell auf, begann weiß zu glühen, zu tropfen, zusammenzufließen.

»Sieben Minuten, dreißig Sekunden«, sagte Dr. Wegener und gab mit der Hand ein Zeichen. Die Flammen wurden klein, die Brenner wurden zurückgezogen, die erste Verschraubung war druckdicht verschweißt. Schweigend warteten die Ingenieure und Werkleute auf neue Befehle, während die Minuten verstrichen. Erst noch in Gelbglut, jetzt nur noch schwach rot leuchtete die Schweißnaht auf dem Rohr. Jetzt war sie dunkel.

»Sieben Minuten, dreißig Sekunden. Absenken!« rief Dr. Wegener dem neben ihm stehenden Ingenieur Scott zu. Der brachte eine Pfeife an die Lippen und gab ein Signal. Kranmotoren liefen an und ließen schenkelstarke Stahldrahttrossen aus. Um hundert Meter senkte sich der gelbe Turm in die Tiefe in die unergründliche See. Schon liefen die Motoren eines andern Krans, um ein drittes Rohr aufzurichten.

»Achtundzwanzig Minuten im ganzen«, konstatierte Dr. Wegener mit einem Blick auf den Sekundenzeiger seiner Uhr. »Zwei Minuten unter der errechneten Zeit.«

»Das würde bedeuten?« fragte Roddington.

»Daß wir nicht fünfundsiebzig, sondern nur siebzig Stunden brauchen, um den Grund zu erreichen . . . wenn es so bleibt«, erwiderte der Doktor.

»Liegt dir soviel an einer Zeitersparnis von fünf Stunden?« wandte sich Dickinson an Roddington.

»Es kann viel davon abhängen, Frank. Wie sind die Wettermeldungen, Doktor Wegener?«

»Bis jetzt gut, Mr. Roddington. Trotzdem betrachte ich jede Stunde, die wir früher ans Ziel kommen, als einen Gewinn.« –

Die Stunden verstrichen, und unaufhörlich fügte sich eins der Riesenrohre an das andere. Immer länger wurde der Strang, der senkrecht in die tiefe See hineinstach. Immer zahlreicher, immer schwerer wurden die Drahtseiltrossen, an denen die Riesenlast hing. Wie ein Feuerball versank die Sonne im Westen in die See, da flammten Hunderte von Starklichtlampen auf der großen Plattform und den anderen Schiffen auf, und in ihren grellen Schein ging die Arbeit rastlos weiter.

Immer neue Schiffe kamen von Davao her an, passierten den Kreis der Zerstörer, machten an der schwimmenden Insel fest und luden neue Rohre aus. Und nicht nur Rohre allein, sondern bisweilen auch riesenhafte kugelförmige Stahlgußstücke, stählerne Hohlkugeln mit einem Durchmesser von mehr als sechs Meter. –

Kyushu sah es durch das Periskop der »Karawa«, und eine Falte bildete sich auf seiner Stirn.

»Wir sind schlecht bedient worden, Oburu«, sagte er, »von der Herstellung dieser Stücke haben uns unsere Agenten aus Trenton nichts gemeldet.« –

»Irgendwer denkt an mich«, sagte in diesem Augenblick Frank Dickinson auf der Plattform. »Mir klingt das rechte Ohr.«

Er hatte es nur scherzhaft gemeint und unbewußt doch das Richtige gesagt, denn mit Verdruß und Ärger dachte Kyushu in diesem Augenblick an die rigorosen Maßregeln, durch die Dickinson jeden Kundschafter von der alten Halle in Trenton ferngehalten hatte, in der diese stählernen Hohlkörper gegossen wurden. Vergeblich hatten Kyushus Agenten alle Künste spielen lassen, um bis dorthin vorzudringen. Ohne Ausnahme wurden sie schon auf halbem Wege erwischt und verschwanden auf unbestimmte Zeit in amerikanischen Gefängnissen. Nicht die geringste Meldung über das, was in der alten Halle geschah, drang in die Außenwelt, obwohl Kyushu Wochen hindurch mit Ungeduld auf solche Nachrichten wartete.

Erst hier von Bord des U-Kreuzers aus sah er die eigenartigen Stücke zum erstenmal.

»Es ist so, wie ich es erwartete«, wandte er sich an Oburu. »Nach jedem fünfundzwanzigsten Rohr schalten sie da drüben eine Kugelschleuse in den Strang ein. Es wäre auch anders kaum denkbar. Wie wollte Roddington sonst Förderanlagen bis auf den Seegrund in seinen Rohrschacht einbauen. Wie wollte er ohne die Schleusen den Luftdruck in der Tiefe meistern.«

Eine Seekarte in der Hand trat der Kommandant Hatama zu Kyushu und Oburu. Ein Kreuz auf der Karte markierte die Stelle, an der die schwimmende Insel Roddingtons lag. Hatama deutete mit dem Finger darauf.

»Ich habe Ihre Mitteilungen dahin verstanden, Herr Major Kyushu, daß die Yankees ein druckfestes Stahlrohr bis in die tiefste Meerestiefe absenken wollen.«

Kyushu nickte. »Ganz recht, Herr Kapitän. Das ist nach allem, was wir in Erfahrung brachten, die Absicht Roddingtons und seiner Leute.«

Hatama hielt ihm die Karte hin und wies auf die eingetragenen Tiefen, während er weitersprach.

»Aber diese Stelle hier ist keineswegs die tiefste. Die Karte gibt für sie nur sechs Kilometer an. Hundert Seemeilen weiter nach Osten über der ›Emdentiefe‹ wurden zehn Kilometer gelotet.«

Prüfend betrachtete Kyushu die Karte. Kopfschüttelnd erwiderte er.

»Sie haben recht . . . Warum läßt sich Roddington vier Kilometer entgehen? . . . ich wüßte nur einen einzigen Grund dafür. Hier befindet er sich noch innerhalb der Dreißigmeilenzone. Seine Anlage liegt im Hoheitsgebiet der Union und steht unter dem Schutz der amerikanischen Wehrmacht. Weiter draußen auf der freien See wäre die Lage völkerrechtlich ganz anders.«

Oburu hatte inzwischen die Karte auch betrachtet.

»Sechs Kilometer in der Tat«, sagte er, während er sie an Hatama zurückgab. »Was will Roddington dann mit den vielen Rohren? Wir haben sichere Nachricht, daß mehr als hundertundfünfzig Stück davon nach Davao gebracht wurden.«

Vergeblich versuchten die Offiziere an Bord der »Karawa« eine Antwort auf diese Frage zu finden. Trotz allem, was die japanischen Agenten über die Angelegenheit in Erfahrung gebracht hatten, enthielt das Unternehmen Roddingtons immer noch unlösbare Rätsel für sie. Auch jetzt, da sie die Arbeiten Schritt für Schritt fast greifbar nahe verfolgen konnten, wurde das Geheimnis für sie nicht lichter.

»Das eine wissen wir jedenfalls sicher«, versuchte Kyushu ein Fazit zu ziehen, »jedes dieser verteufelten Rohre ist hundert Meter lang. Im Augenblick versenken die Yankees da drüben das fünfzigste Rohr. Der Strang ist demnach bereits fünf Kilometer lang. Mit noch mal zehn Rohren müßten sie nach Ihrer Karte, Hatama, den Grund erreichen. Wir können vorläufig nichts anderes tun, als ruhig liegenbleiben und das Ende der Arbeiten abwarten.« –

Licht kam im Osten auf, ein neuer Tag brach an, die Lampen auf der schwimmenden Insel erloschen. Unablässig ging die Arbeit auf ihr weiter. Turm erhob sich nach Turm, wurde verschraubt, verschweißt und abgesenkt.

Blaß und übernächtig standen Kyushu und Oburu am Periskop und sahen dem Schauspiel zu. Längst mußte nach ihren Beobachtungen und Aufzeichnungen der Seegrund erreicht sein, doch immer wieder kamen die großen Frachter von Davao her und luden weitere Rohre auf der Plattform aus. Rätselhafter, unbegreiflicher wurde für die Gelben von Stunde zu Stunde, was Roddington und seine Leute dort trieben.

*


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