Hans Dominik
Das stählerne Geheimnis
Hans Dominik

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Die dritte Nacht ging zu Ende; zum vierten Mal, seitdem Roddington und seine Leute mit der Absenkung des Riesenstranges begannen, hob sich die Morgensonne aus der See. Eine Nacht höchster Aufregungen war es, welche die Nerven aller Beteiligten nicht weniger anspannte als die gewaltigen Strahltrossen. Stunden lagen hinter den Ingenieuren und Werkleuten, während deren Trossen und Nerven zu reißen drohten.

Wie es Dr. Wegener vorausgesehen und in die Rechnung gestellt hatte, begannen die tragenden Holzzylinder des Stranges bei dreizehn Kilometer Tiefe unter dem Wasserdruck zusammenzubrechen. Das volle Stahlgewicht einer Rohrlänge von zweitausend Meter hing an den Kabeln, eine zusätzliche Riesenlast von vierzigtausend Tonnen zu all dem anderen, was die gewaltigen Seile schon zu tragen hatten. Merklich tiefer lag jetzt die ganze Plattform, schwer ächzten die mächtigen Räder, über welche immer neue Trossen abliefen, um das enorme Gewicht des Stranges mittragen zu helfen. Splitternd riß hier und dort ein einzelner Stahldraht und verriet durch seinen Bruch, daß die Beanspruchung des Materials bis an die äußerste Grenze ging.

Anders sahen auch die Rohre aus, die jetzt mit dem Strang verschraubt und verschweißt wurden. Reichlich fünfzehn Meter stark waren die Holzmäntel, die sie umgaben, gewaltig Schwimmkraft und Auftrieb, die daraus resultierten. Jedes Rohr, was jetzt hinzukam, half das Gewicht des Stranges mit zu tragen und ihn in senkrechter Stellung zu halten.

Das hundertfünfzigste Rohr wurde angefügt. Dr. Wegener stand dabei, als es geschah, das Gesicht gerötet, die Augen wie im Fieber glänzend. Er allein von allen den vielen, die hier schafften, war während der letzten zweiundsiebzig Stunden nicht zur Ruhe gekommen. Mit hastiger Hand griff er nach dem Becher mit schwarzem Kaffee, den ihm ein Steward brachte, und stürzte das starke Getränk in einem Zuge hinunter. Dann ging sein Blick wieder zu den Werkleuten und Ingenieuren und zu den Skalenscheiben der Dynamometer.

»Das hundertfünfzigste Rohr, Roddington! Wenn unsere Lotungen richtig sind, müssen wir mit ihm den Seeboden erreichen.«

Wie ein ungeheuerlicher Turm, hundert Meter hoch und dreißig Meter dick, reckte sich das Rohr in die Luft. Ein Kommando – und die Kranmaschinen liefen an, langsam versank es in die Tiefe. Wie an einem Magneten hingen die Blicke des Doktors am Zeiger des nächsten Dynamometers.

»Sehen Sie, Roddington! Sehen Sie! Der Zeiger zuckt nach unten. Der Strang hat den Boden des Ozeans berührt.«

Er packte Roddington am Arm und zog ihn näher an das Meßinstrument heran, während er weitersprach.

»Nur noch wenig mehr als vierzigtausend Tonnen. Tausend Tonnen fängt der Seeboden schon ab.«

Das einhunderteinundfünfzigste Rohr wurde angesetzt, und wieder ließen die schweren Winden neue Trossenlängen aus. Fieberhaft, aufgeregt gestikulierend, wie ihn Roddington bisher noch nie gesehen, verfolgte Dr. Wegener den Weitergang der Dinge.

»Sehen Sie, Roddington! Sehen Sie nur! Die Zeiger sinken! Fünfunddreißigtausend Tonnen . . . dreißigtausend Tonnen . . .«

Das hundertzweiundfünfzigste Rohr wurde montiert, und noch einmal fuhr der ganze Riesenstrang um hundert Meter in die Tiefe. Nur noch zehntausend Tonnen hatten jetzt die Trossen zu tragen. Den Rest der gewaltigen Last trug der Seeboden, in dem der Strang nun bereits zweihundert Meter tief eingedrungen war.

Das hundertdreiundfünfzigste Rohr kam an die Reihe, und noch einmal, zum letztenmal, gingen die Winden an, um Kabel auszulassen. Nur langsam sank die Riesenmasse tiefer. Noch fünfzig Meter, jetzt noch vierzig Meter ragte das letzte Rohr über den Wasserspiegel heraus, da wurden die gigantischen Trossen, die unter dem Riesengewicht so lange Stunden bis zum Brechen gespannt waren, plötzlich schlaff. Die Zeiger der Dynamometer sanken auf den Nullstrich zurück.

»Hurra, Roddington! Der Strang steht!« schrie Dr. Wegener. Dann wurde es ihm schwarz vor Augen, erschöpft bis zum Niederbrechen ließ er sich taumelnd in einen Stuhl fallen. Die in der Nähe Stehenden hatten seine Worte gehört, und wie ein Lauffeuer gingen sie weiter von Mund zu Mund, bis aus zweihundert Kehlen ein donnerndes Hurra von der Plattform her über die See brauste.

»Champagner her! Gebt unserm Doktor Sekt zu trinken!« Irgendeiner aus der Menge der Ingenieure und Werkleute hatte es gerufen, und wenige Augenblicke später war ein Steward mit dem Verlangten zur Stelle. Ein Pfropfen knallte. Der Wein schäumte ins Glas. Roddington drückte es Dr. Wegener an die Lippen. Einen tiefen Zug tat der und überwand die Ohnmacht, die ihn angewandelt hatte.

»Das Rohr steht«, waren seine ersten Worte, als er wieder zu sich kam. Was er sagte, traf zu. Starr und unbeweglich stand der gewaltige, mehr als zwei geographische Meilen lange Strang aus eigener Kraft lotrecht an der tiefsten Stelle des Weltmeeres. Nur langsam noch und immer langsamer bohrte er sich weiter in den Grund, bis er nach Stunden zur völligen Ruhe kam. Da ragte sein oberes Ende noch zwanzig Meter über die See hinaus, zweihundertachtzig Meter tief war das untere in den Meeresboden eingedrungen.

Der erste Akt des gewaltigen technischen Dramas, das James Roddington durch die Kraft seiner Millionen abrollen ließ, war zu Ende. Würden die folgenden ebenso glücklich verlaufen, wie er sie geplant, wie seine Gehilfen es erhofften? Das blieb die große, die brennende Frage, auf die erst die kommenden Wochen und Monate eine Antwort geben konnten. –

MacLane und Bancroft hatten Roddington zu seinem Erfolge beglückwünscht und waren dann an Bord von A 17 zurückgekehrt. Auch sie waren übernächtig und wie in leichtem Fieber, aber die innere Erregung ließ sie noch nicht an Ruhe denken. Auf dem Achterdeck trafen sie Kapitän Ferguson, den Kommandanten des Zerstörers, der von dort aus die Vorgänge auf der Plattform durch sein Glas verfolgt hatte.

»Hallo, Ferguson! Haben Sie einen trinkbaren Sekt an Bord?« begrüßte ihn Bancroft.

Ferguson lachte.

»Unsere Messe führt eine gute Marke, Bancroft. Kommen Sie in meine Kabine, Gentlemen, wir wollen den Stoff versuchen. Die Stunde ist es wert.«

Zu dritt saßen sie in der Kabine des Kommandanten und ließen die Pfropfen knallen, als Ferguson ein Funkspruch gebracht wurde. Er las ihn einmal und noch einmal und schob ihn dann Bancroft hin. Nach einem kurzen Blick darauf sagte der: »Derselbe kann's nicht sein, Ferguson. Der Bursche hat von A 17 ein Ding abbekommen, daß ihm wohl die Lust zu weiteren Taten vergangen ist.«

»Wenn es nicht derselbe ist, dann ist es eben ein anderer«, erwiderte Ferguson bedächtig. »Japan besitzt mehr als einen U-Kreuzer. Kommen Sie mit auf die Brücke. Wir wollen sehen, ob wir etwas finden.«

Der Funkspruch, der diese Unterredung veranlaßte, kam von einer amerikanischen Luftjacht, die im Anflug auf Roddingtons Flotte begriffen war. Aus der großen Höhe hatte man von dort aus deutlich den Rumpf eines U-Kreuzers erkannt, der untergetaucht nur wenige hundert Meter von A 17 entfernt, bewegungslos auf einer Stelle lag, und in der nicht grundlosen Vermutung, daß es sich um einen unerwünschten Zuschauer handeln könnte, die Beobachtung an die amerikanischen Zerstörer gefunkt.

Ferguson suchte die See in der angegebenen Richtung mit seinem Glas ab, und dann spielte der Maschinentelegraph in seiner Hand. Es waren die gleichen Kommandos, die er vor mehr als sechsunddreißig Stunden schon einmal gegeben hatte. Wie ein Pfeil brach A 17 plötzlich aus der Linie der anderen Zerstörer heraus und schoß auf irgend etwas Dunkles zu, das Ferguson durch sein scharfes Glas gesehen hatte.

Wieder ein Rammstoß, doch diesmal traf er mehr als ein schwaches Periskoprohr. So heftig war der Anprall, daß MacLane und Bancroft gegen die vordere Reling der Brücke geschleudert wurden. Ein Knirschen und Dröhnen klang aus der Tiefe empor. Dann glitt A 17 auf seinem Kurs ruhig weiter. Hinter ihm brodelten Luftblasen auf und Öl, das sich weit über die glatte Meeresfläche verbreitete.

»Den haben wir richtig gefaßt, der geht bestimmt auf Grund«, sagte Ferguson. »Der wird nichts mehr verraten.« –

Schwer havariert erreichte die »Karawa« den Hafen von Babeldaob mit den letzten Resten ihres Triebstoffes. Die Laune ihres Kommandanten war nicht rosig, fast noch düsterer die von Major Kyushu und Vicomte Oburu. Vergeblich hatten sie ein gutes Schiff ihrer Flotte in Gefahr gebracht. Es war ihnen nicht gelungen, die Dinge zu sehen, um deretwegen sie das Abenteuer riskiert hatten und über die man in Tokio so brennend gern genaue Nachrichten zu haben wünschte.

Verdrossen gingen Kyushu und Oburu in Babeldaob an Land, um ihre Berichte für Tokio zu schreiben, und noch verdrossener verglichen sie schließlich, was sie unabhängig voneinander zu Papier gebracht. Übereinstimmend war es das gleiche Rätselhafte, Unerklärliche.

An einer Stelle innerhalb der amerikanischen Hoheitsgrenze, wo die Seekarte knapp sechs Kilometer Tiefe angab, lag die Flotte Roddingtons. Dort senkte sie einen Rohrstrang ab, der nach der Feststellung der beiden japanischen Offiziere bereits länger als zehn Kilometer sein mußte, als der Rammstoß des amerikanischen Zerstörers ihre Beobachtungen unterbrach.

Unzufrieden mit sich selbst machten sie ihre Berichte fertig, um sie dem Postschiff nach Tokio mitzugeben. Dasselbe Schiff nahm auch das Abschiedsgesuch Hatamas mit. In offener seemännischer Weise schilderte der Kommandant darin den Vorgang, der fast zum Untergang der »Karawa« geführt hätte; berichtete, wie es ihm nur im letzten Moment noch gelungen war, dem plötzlichen Angriff des amerikanischen Zerstörers mit knapper Not zu entgehen. Das Schriftstück schloß mit der Bitte, ihn seines Postens zu entheben, weil er ein Schiff seines kaiserlichen Herrn nicht heil aus der Gefahr herausgeführt hatte.

Die Antwort auf dieses Gesuch würde in mehr oder minder ungnädiger Form der Abschied sein, darüber hatte Hatama kaum einen Zweifel. Etwas weniger sicher waren sich Major Kyushu und Vicomte Oburu über den wahrscheinlichen Erfolg ihrer Berichte. Nur daß auch hier die Antwort nicht sehr angenehm sein, daß man sie vielleicht sogar von ihren Posten abberufen würde, glaubten sie voraussehen zu können.

Qualvoll langsam verstrichen die nächsten Tage. Niemand in Babeldaob kümmerte sich um die Sorge der drei, denn die Flottenstation hatte andere, viel größere Sorgen. Wieder und immer wieder versuchte man Verbindung mit der »Gerana« zu bekommen. Alle Bemühungen blieben vergeblich, und längst war die Zeit überschritten, die der U-Kreuzer im Verlauf einer normalen Übung unter Wasser bleiben konnte.

Die »Gerana« blieb stumm. Zwei Meilen unter dem Meeresspiegel ruhte ihr vom Kiel des amerikanischen Zerstörers zerrissener Rumpf auf dem Meeresgrund, ein schauerlicher Sarg, zusammengedrückt und bis zur Unkenntlichkeit deformiert von dem ungeheuren Druck der Tiefe. –

In der Flottenstation von Babeldaob zweifelte man nicht mehr daran, daß dem U-Kreuzer ein ernster Unfall zugestoßen sei, denn wenn das Schiff aufzutauchen vermochte, dann konnte es auch funken, dann hätte es sich in der langen Zeit einmal melden müssen. Nur die Frage blieb offen: War der »Gerana« ein Betriebsunfall zugestoßen, irgendein Maschinen- oder Pumpendefekt, oder war sie das Opfer einer feindlichen Einwirkung geworden? Nach den Erlebnissen Hatamas lag die zweite Möglichkeit nicht allzu fern. Was Hatama nicht wußte, das wußte man in der Flottenstation, denn von dort aus hatte man die »Gerana« vierundzwanzig Stunden nach dem Auslaufen der »Karawa« mit dem Auftrag in See geschickt, ebenfalls die Arbeiten Roddingtons zu beobachten. Ein ungesundes Gewässer für japanische Schiffe schien die See in der Umgebung von Roddingtons Flotte zu sein, das merkte man jetzt in Babeldaob und kam auch bald in Tokio zu der gleichen Erkenntnis. Ihren größten modernsten U-Kreuzer mußte die japanische Marine als verschollen und verloren aus ihren Listen streichen.

*


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