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XX

Es war am Vorabend des Narzissenfestes in Montreux. Die ganze Genfer Riviera von Lausanne bis Chillon war in fiebernder Aufregung.

Am Marktplatz von Montreux ging es hoch her. Die Markthalle, ein offenes Gebäude, das auf gußeisernen Säulen ein Dach trägt, war zur Bühne umgestaltet worden. Tribünen waren erbaut worden, die mit roten Tüchern theatermäßig drapiert wurden. Kränze von Narzissen schwangen sich über Lichtmaste und Häuserfronten und jedes freie Fleckchen verkleidend. Der Grande Rue entlang waren flache, aber hohe Tribünen errichtet, an denen der Korso der geschmückten Wagen und Autos vorüberrollen sollte.

Im improvisierten Theater am Marktplatz sollte das Pariser Ballett der Großen Oper eine Pantomime spielen, die den Kampf des Winters gegen die Frühlingsblumen und den Sieg des Frühlings verherrlichte.

Die Damen der Gesellschaft rasten zwischen Schneidern und Friseuren hin und her. Es wurde gesteckt, probiert, versprochen und gezankt. Es wurde onduliert, manikürt, gefärbt und entfärbt.

Die Hotels waren überfüllt.

Es wurden Schulden aufgenommen und für eine Toilette fürs Narzissenfest Zugeständnisse gemacht – und gehalten – die sonst nie zu erreichen gewesen wären. Jede mußte die Schönste, die Eleganteste sein und das Kostbarste an sich tragen. Selbst wenn es im Augenblick unerschwinglich war. Es galt den ersten Toilettenpreis, es galt den ersten Wagenpreis zu erringen und alle anderen blaß vor Wut zu ärgern.

Gegen Abend verließ Graf Lobositz eine halbe Stunde vor dem Diner das Palacehotel, um sich zum Gärtner zu begeben. Er wollte die Ausschmückung des Wagens persönlich kontrollieren. Er hatte ein zweirädriges Kabriolett kommen lassen, an das zwei, schwer erstandene, weiße Lippizaner aus dem ehemaligen Besitz der kaiserlichen spanischen Reitschule in Wien hintereinander gespannt werden sollten. Die stolze Gangart dieser feinen Rassetiere war berühmt, und es war sicher, daß sie hier ungeheures Aufsehen erregen würden.

Wenige Schritte, ehe er zum Marktplatz kam – an der Embarcadere – blieb Graf Lobositz plötzlich wie angewurzelt stehen.

Vor einem Plakat des Programms von morgen stand ein Mann, hager und von eleganter Figur. In tiefgebräunten Augenhöhlen lagen helle Augen, eine scharfe, dünne Hakennase mit beweglichen Flügeln sprang energisch hervor.

Graf Lobositz hatte einen Moment das Gefühl, sich selbst gealtert vor sich zu sehen – oder seinen Vater, so wie er ihn innerlich vor Augen hatte – nur mit einem Ausdruck von hämischer Niedrigkeit, der ihm fremd und neu war.

Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Zunge und Gaumen verdorrten ihm.

Er wollte auf den Mann zutreten und ihn fragen: Herr, wer sind Sie?

Aber die Beine versagten ihm den Dienst. Er konnte nur starren ... starren ... wie auf ein Gespenst.

Der Mann vor dem Plakat schien den Blick zu fühlen, denn er wandte sich plötzlich dem Menschen zu, von dem er fühlte, daß er ihn anstarre.

Es war nur ein Moment – aber auch dem Mann gab es einen mächtigen Ruck.

Ein Blick traf den Grafen, in dem eine Welt des Hasses lag – und mit einer heftigen Bewegung, die dem Grafen unheimlich bekannt erschien, verschwand der fremde Mann in der flutenden Menge, die sich über den Marktplatz schob.

Graf Lobositz war aus seiner Starrheit erwacht und eilte in die Richtung, in die der Mann verschwunden war. Er mußte das Rätsel dieser Erscheinung lösen.

Aber er suchte vergebens.

Der Mann war wie von der Erde verschluckt – wie nie dagewesen.

Graf Lobositz wurde fast an sich selbst irre. ›War das eine Vision? Oder habe ich mich selbst gesehen?

Abergläubische behaupten: wenn man sich selbst begegnet, bedeutet das ... Unsinn! Vielleicht hat der Mann nur in dem unsicheren Licht so ausgesehen, und bei schärferer Beleuchtung hätte ich vielleicht gefunden, daß die Ähnlichkeit gar nicht so groß ist, wie es mir im ersten Moment vorgekommen ist.‹


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