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Als Lilith spät am Vormittag erwacht, findet sie ein großes Paket an ihrem Bett.
Sie reißt es auf ... Kimonos, Seidenstrümpfe, Pyjamas, hauchzarte Seidenwäsche, Parfümflakons, Toilettewasser und ähnliche angenehme Kleinigkeiten sind der Inhalt. Auf dem Tisch steht ein elegantes Necessaire, das alle nötigen Überflüssigkeiten enthält ...
Das Frühstück wird rasch erledigt.
Nun soll Lilith vom Kopf bis zu den Füßen gekleidet und ausgestattet werden. Die ersten Geschäfte sind bald festgestellt, und nun geht es im Auto zu ihnen.
Madame Gaby für Hüte, Zwieback für Kleider, Braun für Wäsche, Reschovski für Schuhe – kurz, die ersten Firmen müssen von ihrem Vorrat liefern, um Lilith rasch zu verwandeln.
In immer neuen Kleidern kommt sie aus den Ankleidekabinen. In Casha, in Crêpe, in Atlas – im Trotteurkostüm, im Abendkleid, in Federpelerine und pelzverbrämtem Mantel.
Als armseliges Tippmädel ist Lilith vormittags um halb elf Uhr fortgefahren, als hochelegante junge Dame kehrt sie um zwei Uhr zum Lunch ins Hotel zurück.
Sie ist heiter und ausgelassen wie ein Kind. Vor jedem Spiegel bleibt sie stehen und kann es nicht glauben, daß sie es wirklich ist.
Auch nicht ihr flüchtigster Gedanke wendet sich nach Hause, nach Berlin, den Eltern zu. Das Telegramm ist abgegangen – Antwort liegt noch keine vor. Hoffentlich bleibt sie überhaupt aus!
Lobositz ist nicht ganz so zuversichtlich. Er wird ein peinliches Gefühl nicht los. Irgend etwas ist sicher noch zu erwarten.
Lilith lacht ihn aus.
»Wie kann man so altvaterisch und bedenklich sein!«
Beim Lunch, den sie im großen Saal nehmen, wird vereinbart, daß Lobositz nachmittags zu seinem Wiener Rechtsanwalt geht. Lilith bleibt zu Hause. Ein Reisekoffer soll kommen und so manches andere noch. Sie soll Ordnung in ihre Schätze bringen und alle die Dinge, die ins Haus geflogen kamen, nachprüfen, bewundern und noch einmal probieren. Auch will sie zum Friseur – kurz, sie ist versorgt und beschäftigt – und in ihrem Element.
»Ja, richtig – maniküren auch!«
Ach, sie hat so viel zu tun.
Sie lernt rasch, sich aufs neue Leben umzustellen, das von ihr derzeit nichts verlangt, als schön zu sein, zu genießen und dem Freunde, den sie gefunden, Freude zu machen.
Und lernen – immer wieder lernen!
Dankbar streichelt sie ihm unter dem Tisch heimlich die Hand.
»Heute abend gehörst du mir –«, flüstert er ihr ins Ohr.
Es schüttelt sie leise – die schönen Schultern zucken. Ganz geben ... heute ...
Sie fühlt es, wie sie diesen Mann an sich ketten wird – der vielleicht drüben ein unerhörter Kaufmann gewesen sein mag – aber ihr gegenüber doch nur ein Schwächling ist – wie jeder, dessen Herz nicht alt und kalt werden will, sondern immer wieder aufflammt.
Dieses Männerherz hat, allem Anschein nach, zwanzig Jahre geschwiegen und ist doch jung geblieben und sehnsüchtig.
Ein süßer Schauer berührt sie.
Oh, sie wird ihm alles ablauschen an Wissen und Geist und Weltkenntnis und Leidenschaft. Sie ist unersättlich – im Nehmen!
»Woran denkst du, Lilith?«
»An heute abend«, sagte sie offenherzig.
»Und bangt dir?«
»Ich freue mich ...«
»Süßes, Liebes ... Ersehntes ...« flüstert Lobositz wie ein verliebter Knabe.
»Jung bist du – jung ... Zehnmal jünger als alle die Buben, die mir immer nachgelaufen sind ...«
Lobositz wird rot und drückt Lilith dankbar die Hand.
Dann werden sie wieder vernünftig.
Zum Fünf-Uhr-Tee will Lobositz zurück sein.
Das Diner soll im Hause genommen und im Salon serviert werden. Heute keine Menschen, kein Theater, kein Bummel – das alles hat Zeit bis morgen ... Heute ist die Nacht der Erfüllung, in der das Leben hoch aufsteigen soll, von Rausch und Seligkeit durchbrandet und erfüllt.
Lobositz führt Lilith dem Ausgang zu.
Mit tiefer Verbeugung grüßt ihn der alte Oberkellner:
»Jessas, daß ich den jungen Herrn Grafen noch einmal sehen werd', hätt' ich mir auch nicht gedacht!«
Lobositz stutzt.
Wahrhaftig, es ist der alte Herzog, der Oberkellner von anno dazumal, der den Kavaliertisch bedient – und ihn manchmal bei Gelegenheit, in aller Freundschaft und Ergebenheit ein bißchen ausgeplündert hat.
»Ja, Herzog, Sie leben noch? Nein, ist das eine Überraschung! Und daß Sie mich gleich erkannt haben – nach so vielen Jahren ...!«
»Aber der Herr Graf sind ja der ganze Herr Papa – wie aus dem Gesicht geschnitten ... Jessas, waren das Zeiten, wie ich noch den Tisch gehabt hab' mit den Fürsten und Grafen und mit dem einzigen Juden, dem Baron Singer, den sie bei sich am Tisch gelitten haben ... Na, und jetzt haben wir gar keine Kavaliere mehr – und nur lauter G'lumpert, das sich die Preise leisten kann. Die eleganten Fremden kommen zu uns nicht – na, und was da vom Balkan und von neuen Großstaaten kommt – das benimmt sich, daß man sich schämen muß. Das frißt mit den Fingern und brüllt über drei Tische weit. Es gfreut mich gar net mehr. Grad, wenn noch ein alter Bekannter von früher sich daher verirrt, daß einem noch das Herz aufgeht. – Bleiben der Herr Graf jetzt in Wien?«
»Vielleicht ein paar Tage. Ich muß mir doch alles ansehen.«
»Da werden der Herr Graf net viel Freud' erleben. Mit uns geht's bergab. Wir sind fertig in Wien. Eine Zeitlang hat es so ausgeschaut, als ob was ›los wär‹ – wie die Börs' so hoch oben war und die Fremden hier umeinand geschoben haben –, aber jetzt stockt es an allen Ecken und Enden. Um den Ring herum merkt man's net so – aber wie man in die Vorstadt 'nauskommt, geht der Jammer los. Alle miteinander sind wir verkracht, und mit jedem Tag wird's ärger. Wer kann, geht weg – und wenn ich net so alt wär, ich ging auch davon. Zwei richtige Parteien haben wir: die Christlichsozialen und die Roten. Jede denkt nur an sich und was sie der anderen antun kann. Und die Steuerzahler müssen's ausbaden. Auf unserem Buckel wird die Rauferei ausgetragen ... Na, nix für ungut, Herr Graf – es tut einem ordentlich wohl, wenn man sich einmal so ordentlich aussprechen kann, einem alten Bekannten gegenüber, der es einem net übel nimmt.«
Und der alte Herzog machte sein schönstes Kompliment und verschwand mit schlürfenden Schritten über den roten Velourläufer.
»Siehst du, Lilith, jetzt kennen wir uns aus. Übrigens, ich habe ganz vergessen, dich zu fragen: Kennst du eigentlich Wien?«
»Nein, ich habe nur von der Mutter so viel erzählen gehört. Die war immer begeistert. Und der Vater hat immer gesagt: schlappe Leute! Sehr begabt – aber schlapp! Müßten in strenge Schule genommen werden, dann könnten sie Vorzügliches leisten.«
»Sie haben beide recht«, meint Lobositz. »Ich darf es ja sagen. Ich kenne diese Stadt. Ich habe unter ihr gelitten – und bin auf und davon. Ich liebe und hasse sie zugleich. Wie sie jetzt ist, ich kenne sie so wenig wie du. Mir ist sie fremd geworden. Mir ist sie so eine Art Jugendtraum, wo sich Wahrheit und Dichtung mischen. Gefällt es uns hier, bleiben wir – gefällt es uns nicht, gehen wir weiter ... Übrigens regnet es, und windig ist es auch. Das ist kein hübscher Anfang – dieser Schirokko, der einem auf die Nerven geht ... Ich werde doch lieber fahren, statt gehen.«