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Wenige Schritte bevor der Boulevard Haussmann in die weitaus vornehmere Avenue Friedland übergeht, erhebt sich das kleine, überaus luxuriöse Hotel Mogador, welches sich eine gefeierte Dame des zweiten Empire erbauen ließ. Ihre Onyxbadewanne war seinerzeit berühmt, ebenso wie die Rosenmarmortreppe mit der Bronzebalustrade von dem jungen Arplanx entworfen, der für den Entwurf als einziges Honorar das Recht erhielt, eine Nacht bei der gefeierten Besitzerin des Hotels zu verbringen.
Das Hotel hat seinen Besitzer seit damals oft gewechselt. Zur Zeit gehört es einem stadtbekannten holländischen Juwelier von der Place Vendome, dem es nicht genügt, seine pompösen Brillantendiademe und Armbänder an Schauspielerinnen auf Kredit zu verkaufen, um sie sich dann vom jeweiligen Freund bei passender Gelegenheit um fünfzig Prozent überzahlen zu lassen. Er hat zu ebener Erde seine Geliebte installiert und in den Prunksälen des ersten Stockes eine Spielbank errichtet, die in ganz Paris berühmt geworden ist – teils wegen einer glänzend geführten Küche, teils eines aufsehenerregenden Selbstmordes wegen, den ein junger englischer Herzog, der zuerst Unsummen verspielt hatte, in halbtrunkenem Zustande auf der Schlafzimmerschwelle der Geliebten des Juweliers und Bankhalters verübt hat.
Die Bank ist außerdem bekannt dafür, daß sein Besitzer prinzipiell nur mehr oder weniger herabgekommene Aristokraten als Croupiers, Kammerdiener, Köche und dergleichen anstellt.
Die Geliebte des Juweliers ist trotz ihrer vierzig Jahre noch immer eine herrliche Frau von statuenhafter Schönheit. Als junges Mädchen war sie zuerst Modell bei den Malern oben auf Montmartre. Dann war sie in Revuen zu sehen. Ganz Paris kannte ihre Schönheit bis ins kleinste Detail.
Der alte holländische Juwelier, in dessen Besitz die schöne Frau bereits seit mehr als zehn Jahren war, gestattete ihr nicht mehr aufzutreten und hatte sie der Kunst entfremdet. Wohl aber hatte er ihr die Funktionen der Hausfrau in seinem Spielsalon übertragen, wo sie mit königlicher Würde die Honneurs machte und noch immer die Herzen bezauberte – und zum Spiel animierte.
Für die Pariser war sie längst abgetan, aber für die Fremden war sie noch immer ein Magnet und galt ihnen als der Typus der Grande Cocotte, wenn sie auch für dieses Metier eigentlich lange nicht intelligent und gebildet genug war. Aber so gut sprachen die Fremden selten französisch, um das bemerken zu können. Für die Südamerikaner und Halbwilden aber war sie noch immer überlegen genug, um die zweihunderttausend Franks, die der Juwelier jährlich für sie ausgab, hereinzubringen. Außerdem war er ein gefälliger Freund und drückte gelegentlich ein Auge zu, wenn sie es nicht gar zu auffällig machte und den äußeren Schein wahrte.
Wirklich böse wurde er nur, wenn er sie auf einer Liebschaft ertappte, die nichts einbrachte, sondern bloß kostete; wenn sie an einem der hübschen Schlepper – ›tenaciers‹ genannt –, deren Aufgabe es war, in Hotels, Bars und Kabaretts Fremde in sein Haus einzuführen, Gefallen fand.
Der erklärte Liebling der Hausfrau ist ein bildhübscher schlanker Bursche von sieben- oder achtundzwanzig Jahren – von einem wunderschönen slawischen Typus mit dunklen, warmen Augen, langen Wimpern, blendenden Zähnen und geschmeidigem Wuchs. Zu seiner Schönheit kommt eine gewisse weiche und lässige Liebenswürdigkeit, eine Faulheit, die wie die unbewußte Grazie eines schläfrigen Raubtieres wirkt, das sich nur selten entschließt, seine Pranken zu gebrauchen. Eigentlich ein Mensch, der gestoßen werden muß, statt selbst zu stoßen – und mit dieser Apathie vielleicht mehr erreicht, wie so mancher aktive Mensch – denn um seiner Schönheit willen fühlt sich jeder bemüßigt, sich seiner anzunehmen und für ihn zu arbeiten, was er lächelnd duldet. Mit einem Minimum von Anstrengung ein Maximum von Wohlleben zu erzielen, war sein System.
Die Frauen verwöhnten den schönen Grafen Jan Tamowski – und er ließ es sich gefallen und nützte sie aus, hetzte eine gegen die andere und wartete, welcher er als Preis zufiel.
Angst hatte er eigentlich nur vor einem einzigen Menschen – das war sein Kammerdiener. Dem gehorchte er aufs Wort und wagte nicht aufzumucken.
Dieser Kammerdiener war ein älterer hagerer Mensch mit stahlblauen, harten Augen, die tief eingebettet in braunen Höhlen lagen, und einer scharf vorspringenden Hakennase mit beweglichen Flügeln und einem feinen schmalgeschnittenen Gesicht, das aber seltsamerweise, im Augenblick des Redens einen untrüglich gemeinen Ausdruck gewann.
Es schien, als ob er den Grafen schon von Kindheit an kennen würde – denn: ›Herr Graf‹ sagte er zu ihm nur vor den Leuten – unter vier Augen duzte er ihn ohne weiteres und behandelte ihn nicht nur als seinesgleichen, sondern sogar mit einer gewissen brutalen Überlegenheit.