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Viertes Kapitel

Es war vom Schicksal bestimmt, daß Napoleon niemals Rom und Mohammed niemals Damaskus betreten sollte. Was war der Grund hiervon? Die beiden hatten doch noch ein ganz besonderes Interesse an jenen Städten, die alle zu sehen wünschen. Aber in ihrer nur auf das Hauptsächlichste und Nächste gerichteten Leidenschaft versagten sich die beiden Helden einen ihrer höchsten und innigsten Herzenswünsche, den sie in der Folgezeit trotz all ihres Ruhmes, all ihrer Macht, all ihres Erfolges nicht mehr befriedigen konnten. Und welche Moral lehrt uns diese Geschichte? Die, daß wir uns nie eine Gelegenheit entgehen lassen sollten. Gelegenheit ist etwas Mächtigeres als Eroberer und Propheten.

Die älteste Stadt der Welt weist keine Spuren ihres Alters auf. Damaskus ist älter als viele Ruinen, und doch ist in der Stadt kein einziges, äußeres Anzeichen ihrer langen Vergangenheit zu entdecken. Vergebens hat sie erobert und ist ihrerseits wieder erobert worden. Keine einzige Trophäe, keine einzige Säule, kein einziger Triumphbogen erinnert uns mehr an die große kriegerische Vergangenheit. Hier wurden einst sowohl unbekannten Göttern wie den offenbarten Religionen Tempel errichtet – aber alle sind vom Erdboden verschwunden. Keine Spur von einem Palaste, von einem Gefängnis, einem öffentlichen Bade oder einem Justizgebäude kann man mehr in dieser wunderbaren Stadt entdecken, wo alles zerstört, aber nichts untergegangen ist.

Die Menschheit von heute hat es sich zur Gewohnheit gemacht, auf Ruinen ihre Moralbetrachtungen anzustellen, oder wenn nicht dies, doch im Taumel und Lärm ihrer blühenden Städte von heute jene alten prophetischen Warnungen künftiger Verödung sich wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. London erscheint ihr so als das moderne Babylon; Paris erinnert sie an das kaiserliche Rom, dem einst dasselbe traurige Schicksal beschieden sein könnte. Aber was können diese weisen Leute von Damaskus sagen? Es hatte seine städtischen Rechte schon in den Tagen, da Gott mit Abraham sprach. Seit jener Zeit haben alle Könige der großen Monarchien es überrannt; der Grieche und der Römer, der Tartar, der Araber und der Türke sind durch seine Tore eingezogen – und noch lebt und blüht die Stadt, noch ist sie voll des Lebens und des Luxus. Wahrlich, es ist eine Stadt, die den Stein der Philosophen besitzt und von jenem magischen Elixir, das ewigen Reichtum und ewige Jugend verschaffte, getrunken hat. Bis heute haben die Verkünder der »Entwicklungstheorie« und des »Fortschritts« kein anderes Beispiel für solche merkwürdige Frische gefunden, als Damaskus – aber das macht nichts: man erzählt sich, sie hätten dafür großes Vertrauen in die »Entwicklung« von Birkenhead. Eine kleine Stadt am Mersey, Liverpool gegenüber gelegen.

Die Menschheit liebt es, auf Ruinen ihre Moralbetrachtungen anzustellen; und wenn die Katastrophe eingetreten ist, so entdeckt sie gewöhnlich auch den Grund des Niedergangs. Das ist eine echt europäische Mode, denn der Europäer, der ein Mann ohne große Phantasiebegabung ist, sucht seine Zuflucht in der Vernunft und schließt somit erst das Tor, wenn das Pferd aus dem Stalle gestohlen ist. Ein Staat ist zugrunde gegangen, und die Ursachen davon sind natürlich entweder die Religion oder die staatlichen Einrichtungen. Die Konstitution des betreffenden Staates besaß keine genügende Bremsvorrichtung, heißt es dann; oder die Verteilung der Stimmberechtigung war nicht gleichmäßig genug, oder die verantwortlichen Stellen haben merkwürdigerweise versagt, oder sie hatten zu wenig oder zu überspannte Ideale. Und dennoch gibt es keine Regierungsform, die Damaskus nicht gehabt hätte, ausgenommen die parlamentarische; es gibt keinen Glauben, zu dem es sich nicht bekannt hat, ausgenommen den protestantischen. Trotzdem die Stadt also die einzig wahre Regierungsform und den einzig wahren Glauben hat entbehren müssen, wird sie noch heute, und mit Recht, von arabischen Dichtern als »eine in Smaragden gefaßte Perle« bezeichnet.

Jawohl: die Bäche Damaskus' fließen und sprudeln noch immer durch und um jene Stadt, die einst den Verwalter des Scheiks Abraham zu ihren Mitbürgern zählte. Diese Bäche haben die Stadt mit üppigen Gärten und erfrischenden Springbrunnen beschenkt. Und sie blinken aus ihren Fruchthainen auf, sie winden sich beifällig murmelnd durch die üppigen Wiesen, sie glitzern inmitten ewig blühender Blumengärten, sie stürzen von den Stadtmauern herunter, sprudeln in den Höfen der Häuser, schießen im Freudentanze durch die Straßen: von überallher vernimmt man ihre jubelnde Stimme, überall bemerkt das Auge ihren blendenden Schimmer, überall verschaffen sie der Stadt erfrischende Kühlung und wohlgefälliges Leben. Bei dem Anblick dieser blendenden Wasserstreifen, bei ihrem plötzlichen Erscheinen an jeder Straßenecke und auf jedem öffentlichen Platze denkt man unwillkürlich daran, daß sie die Schutzengel dieser Stadt sind. »Nun,« so wirft jetzt unser Utilitarier ein, »da haben sie ja den Grund für das hohe Alter und die ewige Jugend von Damaskus: Dieser Grund ist die vorteilhafte Lage der Stadt, die eben außerordentlich gut mit Wasser versorgt ist.« So? Wirklich? Aber neben dieser Stadt befinden sich Ruinen, die noch heute ebenfalls sehr gut mit Wasser versorgt sind. Hat der Nil Theben gerettet? Und der Tigris Ninive? Oder der Euphrat Babylon?

Unsere Geschichte spielt in einem großen und prächtigen Gemache weiter. Der Leser stelle sich einen großen Saal vor, eine Art langgestreckten, aber gut proportionierten Vierecks. Sein Dachgewölbe erglüht in Gold- und Scharlachfarben und ist reichlich mit jenem sarazenischen Schnitzwerk versehen, das wir heute in den Palästen des maurischen Spaniens sowie in der Nekropolis der Mameluckensultane in Kairo bewundern. Das Dach ist von Säulen weißen Marmors gestützt, die der Form des Palmbaumes nachgeahmt sind und die in Arkadenform rund um den Saal herumgehen. Unterhalb dieser Arkaden läuft ein wunderschöner Diwan in grüner und silberner Seide, und das Holzgetäfel der arabeskengeschmückten Wände ist von den besten Münchener Künstlern mit herrlichen historischen Bildern geschmückt worden. Der marmorne Fußboden, reichlich mit Mosaik ausgelegt, ist, wie die weißen Marmorsäulen, von italienischen Künstlern ersten Ranges hergestellt, doch bereitete die Besichtigung der verschiedenen, schönen Muster gerade jetzt eine gewisse Schwierigkeit, da eine Unzahl prächtiger Teppiche und farbiger Kissen darüber ausgebreitet lag. Im Zimmer befinden sich außerdem viele Arten von Möbeln, die man sonst selbst in den Gemächern reicher und gebildeter Orientalen kaum anzutreffen pflegt: Indische Tische, chinesisches Porzellan und Körbe aus Achat, die mit duftenden Blumen angefüllt waren. An der einen Seite des Saales ist ein großes sarazenisches Fenster, das hingegen nicht mit einer Glasscheibe versehen ist, sondern nur gelegentlich mittels einer grünsilbernen Gardine geschlossen werden kann. Diese ist jetzt gerade zurückgeschlagen und gewährte einen freien Ausblick auf einen prächtigen Garten, der mit mächtigen Bäumen und großen Blumenbeeten geschmückt ist. Überall in diesem Eden blitzen lebhaft sprudelnde Fontänen auf, die aber sämtlich von jener mächtigen Quelle in der Mitte des Salons gespeist werden, allwo vier schwarze Marmorneger ihre erfrischenden Gewässer aus großen Perlenschalen in ein mächtiges Jaspisbassin hinabsprudeln lassen.

In diesem Augenblicke befanden sich gerade viele Besucher in dem geschilderten Saale. Die Mehrzahl von ihnen waren Gäste; der eine war der Besitzer der Marmorstatuen und Säulen, ein Mann weit über Mittelgröße und von genau so ebenmäßiger Proportion wie sein prächtiges Gemach. Dies war Adam Besso. Das prächtige syrische Gewand, das er heute trug, war durchaus seines Palastes würdig: ein cremefarbiger, weißer Schal umgab seine edle Stirn in breitem Faltenwurf, ein Schal, der so fein war, daß der Kaufmann, der ihn über den Ozean und durch die Wüste gebracht hatte, ihn in der ausgehöhlten Schale eines Granatapfels unterbringen konnte. In seinem Gürtel steckte ein Handschar, dessen Scheide in lebhaften Farben emailliert und dessen Heft über und über mit Diamanten besetzt war.

In ernster Unterhaltung mit Besso begriffen, bemerkte man einen mittelgroßen Mann, der aber durch die hohe Gestalt seines Gegenübers bedeutend kleiner erschien, als er wirklich war. Er trug mehrere Orden auf einer Uniform von fränkischem Schnitt, aber sein Kopf war glatt rasiert, und es schmückte ihn nicht etwa der Turban, sondern der Fes. Der Gast war Signor Elias de Laurella, ein reicher, jüdischer Kaufmann aus Damaskus, der gleichzeitig österreichischer Konsul honoris causa war, dessen diplomatische, wie kaufmännische Geschicklichkeit gleichmäßig berühmt waren, und dem man nachsagte, daß er die orientalische Frage von Grund aus verstünde. Sein großes Ansehen wurde aber noch durch die eine wichtige Tatsache erhöht, daß er der Vater der beiden hübschesten Mädchen aus der Levante war.

Mesdemoiselles de Laurella, Therèse und Sophonisbe mit Vornamen, hatten gerade ihre Erziehung, teilweise in Smyrna und das letzte Jahr in Marseille vollendet. Die in letzterer Stadt genossene Ausbildung hatte ihnen vollkommen den Kopf verdreht; die beiden Mädchen hatten in der Fremde sich eine Art Verachtung für Syrien angeeignet, deren Bitterkeit nur hinter einer Art eleganter, europäischer Nonchalance sich verbarg, einer Nonchalance, die sie meisterhaft zu handhaben wußten, und die vielleicht unser einziges Gegenstück zu der Ruhe der Orientalen ist. Die Demoiselles de Laurella waren hochgebildete Damen, die entzückend singen, sowie Früchte und Blumen malen konnten, und die außerdem die etwas merkwürdige Gabe hatten, inmitten ihrer jetzigen, wilden Umgebung Anspielungen auf unerhörte Ballfestlichkeiten zu machen, die sie leider heute mit Schmerzen entbehren müßten! Sie trösteten sich über dieses unvermeidliche Verhängnis mit einer Art hochmütigen und für Unparteiische sehr erheiternden Benehmens hinweg, das auch äußerlich ihre Überlegenheit über ihre traurige Umgebung an den Tag legen sollte. Aus diesem Grunde trugen sie auch ausschließlich fränkische Kleidung, die selbst ihr Vater nur in seiner offiziellen Eigenschaft anlegte, und die kein einziges weibliches Mitglied ihrer Familie früher getragen hatte, obwohl Damaskus im übrigen eine genügende Anzahl Laurellas aufzuweisen hatte. Alle die kühnsten Träume und Erfindungen der Madame Carson, Madame Camilles und anderer fashionabler Schneiderinnen waren nichts, verglichen mit den Kostümen der Demoiselles Laurella an einem Ballabende. Der Gipfel der Möglichkeit wurde von den Damen bei dieser Gelegenheit erreicht: etwas Höheres konnte man sicher nicht bieten, ja nicht einmal sich vorstellen. Der Geschmack, den die beiden Schwestern dann an den Tag legten, war freilich so auserlesen, daß er schon ein wenig in den schlechten überschlug, und ihre Toiletten wurden der bewundernden Mitwelt mit mehr Steifheit als Würde, mit mehr affektierter Verachtung als natürlicher Anmut vorgeführt. Die beiden Damen waren sich im übrigen sehr ähnlich: sie hatten dieselbe Figur und dieselben, nur durch den Teint verschiedenen Gesichter: aufgestülpte, aber keineswegs häßliche Nasen, große, mit schönen Wimpern umsäumte Augen, schwellende Lippen und hübsche Zähne, sowie eine Menge feinen Haares; nur die Oberlippen waren etwas zu lang und die Wangenknochen etwas zu hoch, und der allgemeine Gesichtsausdruck der Damen hatte, wenn er nicht affektiert war, etwas mehr Munteres als Intelligentes an sich. Therèse war eine Brünette, aber ihr Auge ließ, ebenso wie die blauen der blonden und blendenden Sophonisbe etwas Weiches vermissen. Im übrigen hatten Kunst und Natur sich vereint, um die Erscheinungen der beiden Mädchen so schön wie möglich zu machen, und wer wollte leugnen, daß Kunst und Natur – wie immer, wenn sie zusammenwirken – auch hier etwas Bewundernswertes zustande gebracht hatten?

Es war dieses der erste Besuch, den die Demoiselles Laurella der Familie Bessos abstatteten, denn sie waren erst am Anfange des Jahres aus Marseille zurückgekehrt, und ihr heutiger Gastgeber war erst im Spätsommer nach Damaskus gekommen. Natürlich kannten sie vom Hörensagen sehr wohl jenes große jüdische Haus, dessen Chef der Besitzer des Palastes war. Man hatte sie in Achtung vor ihm erzogen, denn dieses Haus war in der Tat eine Hauptstütze und Schmuck ihrer Rasse und Religion. Aber Mesdemoiselles Laurella schämten sich ihrer Rasse und waren gleichzeitig dabei ihrer Religion gegenüber etwas gleichgültig, dieser Religion, die, wenn vielleicht auch wahr, doch sicherlich gleichzeitig recht unmodern war. Therèse, die etwas weniger sanguinischen Temperamentes wie ihre Schwester war, tat so, als ob ihr die Schmach ihres Volkes sehr zu Herzen ginge, eine Haltung, die ihr erlaubte, mit einer Art wohleinstudierter Offenheit ihren Glaubensgenossen allerlei unangenehme Dinge ins Gesicht zu sagen. Die lebhaftere Sophonisbe, die im Gegenteil stets gegen Vorurteile anzukämpfen pflegte, war fest davon überzeugt, daß die Juden nicht so unbeliebt sein würden, wenn man sie nur besser kennen würde, und daß sie aus diesem Grunde soviel wie möglich Sitten und Gewohnheiten der Völker, unter denen sie gerade wohnten, annehmen müßten. Sie war von der Meinung durchdrungen, daß mit dem Fortschritt schließlich die religiösen Gegensätze sich abschleifen würden, und daß schließlich ein anständiger Jude, der sich zu kleiden und zu benehmen verstünde, sehr wohl, ohne aufzufallen oder gar als Jude bemerkt zu werden, sich in Gesellschaft bewegen könnte. Das war ihrer Meinung nach das würdige Ziel, das der Schöpfer dieser Welt für sein geliebtes Volk in Aussicht genommen hatte!

Trotz ihrer wohleingeübten Nonchalance fühlten sich die Demoiselles Laurella ein wenig verschüchtert, als sie Bessos Palast betraten, und ihre Verlegenheit nahm noch mehr zu, als sie dem Herrn des Hauses vorgestellt wurden, dessen natürliche und uneinstudierte Art und Weise sofort ihre Überlegenheit geltend machte. Eva, die sie ebenfalls zum ersten Male sahen, empfing sie wie eine Königin und in einer Robe, die zu ihren modernen Kleidern in demselben Gegensatz stand, wie ihr herrliches Antlitz zu ihren nur hübschen und lebhaften Gesichtern.

Madame Laurella, die Mutter dieser jungen Damen, würde man in Europa noch für im jugendlichen Alter stehend angesehen haben. Sie war aus Smyrna gebürtig und ehemals eine große Schönheit gewesen. Die Rose hatte sich seit jener Zeit etwas zu üppig entfaltet, aber noch heute würde sie mit ihren schwarzbemalten Augenwimpern, rotgeschminkten Wangen und hennageschmückten Fingernägeln sowie mit ihrem juwelenbedeckten Turban auf dem Kopfe die allgemeine Aufmerksamkeit erregt haben, selbst wenn sie nicht über und über mit einem Schatze strahlender Juwelen bedeckt gewesen wäre. Die Existenz dieser Dame ging ganz in ihren wertvollen Edelsteinen auf. Fast alle Frauen der Levante haben im übrigen eine übergroße Neigung zu derartigen Extravaganzen, und die Menge von Juwelen, die sie mit der Zeit ansammeln, ist weit größer, als man sich bei uns vorzustellen pflegt. Madame Laurella besonders hatte in dieser Beziehung alle ihre Nebenbuhlerinnen geschlagen und war auch fest entschlossen, ihren Vorrang auf dem Gebiete zu behaupten; Diamanten allein genügten ihr darum nicht, und mächtige Smaragde, taubeneigroße Rubinen, unendliche Perlenreihen schmückten und umwanden ihr reiches Festgewand. Jeder Finger erstrahlte in magischem Glanze, und unter den lose herabfallenden Ärmeln leuchteten die herrlichsten Armbänder auf. In schweigsamer Pracht saß sie so auf einem Diwan, bewegte stolz ihren Federfächer hin und her, betrachtete mit Kennerblicken die Juwelen ihrer Freunde und warf hin und wieder einen höchst befriedigten Blick auf ihre eigenen.

Ein junger, hübscher Mann in orientalischer Kleidung tänzelte in etwas affektierter, flinker, mehr französischer als syrischer Weise in dem Saale von einer Dame zur andern, erzählte ihnen eine Menge gleichgültiger Sachen mit der größten Wichtigtuerei und zuckte zur Bekräftigung derselben beständig mit den Achseln. Dies war Hillel Besso, der älteste Sohn Bessos von Aleppo, den man Eva zum Gatten bestimmt hatte. Auch Hillel hatte die Welt kennen gelernt, denn er hatte eine Saison in Pera verbracht, wo er fränkische Kleider zu tragen gelernt und sogar in den gesellschaftlichen Zirkel des Österreichischen Botschafters eingeführt worden war. Auch er hatte Erfolg gehabt und sich dementsprechend in der großen Welt gut gefallen. Aber er hatte sich nicht in der Fremde jenen Abscheu gegen Syrien angeeignet, mit dem die Damen Laurella vom Auslande zurückgekehrt waren. Hillel schämte sich weder seiner Rasse noch seiner Religion: er war im Gegenteil mit diesem Leben vollkommen zufrieden und hatte weder gegen die Familie Bessos im allgemeinen, noch gegen sich selber im besonderen irgend etwas einzuwenden. Hillel war ein Mann von Bildung, er hatte Voltaire gelesen und glaubte sich durch diese Lektüre von gewissen Vorurteilen befreit zu haben und nun selber imstande zu sein, sich richtige Urteile bilden zu können. Mit Lächeln und ohne ein Wort zu sagen, hörte er Evas Bemerkungen von der Macht und Überlegenheit ihrer Rasse an, nickte wohl mit dem Kopfe, wenn sie den Wunsch nach der Wiederherstellung ihres nationalen Ruhmes aussprach und pflegte dann einem nahestehenden Freunde das leicht hingeworfene Wort ins Ohr zu flüstern: »Dabei geht es uns heute besser, wie je zuvor.«

Jetzt stand er einen Augenblick still und suchte Therèse Laurella in eine Konversation zu verwickeln. Diese war zunächst sehr zugeknöpft, und erst als sie ausgefunden hatte, daß er ein Besso sei und nachdem sie zwei Anekdoten mit angehört hatte, die eine persönliche Bekanntschaft nicht allein mit Gesandten, sondern sogar mit deren Damen verrieten, wurde sie etwas zugänglicher. Im allgemeinen jedoch sprachen die Damen nicht, sondern flüsterten sich nur mitunter gegenseitig einige Bemerkungen ins Ohr, denn, was man bei uns Konversation benennt, ist kein besonders gangbarer Artikel in diesen Gegenden, wo die Weiblichkeit im allgemeinen damit zufrieden ist, sich gegenseitig ihre Juwelen vorzuführen. Besonders fiel eine enorm starke Dame auf, die mit dem gutmütigen Lächeln ihres breiten Antlitzes und ihren vergnügt blinzelnden Äuglein wie ein immenses chinesisches Götzenbild aussah; sie war die Frau des Signor Jakob Picholoroni, der ebenfalls ein Konsul, aber kein Generalkonsul honoris causa war. Außer ihr bemerkte man noch die Murad Farhis und die Nassim Farhis, sowie Moses Laurella und seine Frau, die durch ihre Verwandtschaft mit den großen Laurellas glänzten, dabei aber sehr angenehme, taktvolle und diensteifrige Leute waren, was alle Reisenden mit Vergnügen bestätigen werden. Moses Laurella war übrigens der Vizekonsul seines Bruders. Die Farhis hatten keine diplomatischen Auszeichnungen aufzuweisen, aber sie waren große Kaufleute, die an allen großen Unternehmungen des Hauses Besso mit beteiligt waren. Sie hatten zwei Schwestern, die gleichzeitig auch ihre Cousinen waren, geheiratet. Madame Murad Farhi stand gerade in der Blüte ihrer berühmten Schönheit und sah in ihrem smyrnaischen Prachtgewande, mit ihrem schmachtenden und doch auffallenden Gesichte wie ein Panthertier aus, das sich gerade behaglich in der Sonne streckt. Auch ihre Schwester hatte diese berückende Schönheit und dazu eine Figur, schlank wie ein Palmenbaum und eine Stirne, auf der Schönheit und Intelligenz sich zu paaren schien. Madame Nassim war eine fein gebildete Dame, die für ihr Volk und ihre Rasse begeistert war, und die sich deswegen in innigster Freundschaft mit Eva Besso verbunden fühlte.

Außerdem spielten im Saale noch drei oder vier Kinder von auffallender Schönheit und solcher bestrickenden Grazie herum, daß keine Feder oder Pinsel ihre engelgleichen Züge und unnachahmlichen feinen Bewegungen wiedergeben könnte. Mitunter waren sie vom Herumlaufen so erschöpft, daß sie nicht mehr weiter herumtollen konnten, bald aber ging die gewöhnliche Kinderneckerei unter ihnen wieder von neuem los; ein laut lachendes Mädchen mit großen, schelmischen, grauen Augen und Haaren so lang, daß sie den Boden berührten, warf sich auf einen kleinen Knirps, der dabei zu Boden fiel und beim Wiederaufstehen nicht recht wußte, ob er weinen oder lachen sollte. Jetzt zupften sie an den weiten Gewändern Bessos, der gerade zu jemand sprach und sich um die Unterbrechung gar nicht zu kümmern schien; jetzt liefen sie wieder zu ihren Müttern oder zu Eva, um sich einen Kuß geben zu lassen; jetzt stellten sie sich alle um die fette Dame herum, sahen ihr mit verwundertem Ernste in das bemalte Gesicht und stoben, in ein lautes Lachen ausbrechend, nach allen Richtungen auseinander. Diese Kinder gehören einer Schwester Hillel Bessos, die man des Luftwechsels wegen nach Damaskus gebracht hat. Ihre Mutter ist ebenfalls anwesend und sitzt mit Eva auf demselben Diwan: sie ist eine Frau mit ernsten und doch weichen Gesichtszügen, die die Kinder mütterlich-sorgsam überwacht oder ihnen ab und zu mit ihrer schöngeformten, weißen Hand freundlich zuwinkt.

Die Männer hingegen standen im allgemeinen getrennt von den Frauen und sprachen miteinander wie auf der Börse.

Aus den benachbarten kleinen Sälen, die übrigens alle ebenfalls aufs Glänzendste ausgestattet waren, kam jetzt eine Anzahl Diener herein, von denen zwei einen umfangreichen Korb von silberner Filigranarbeit trugen, in dem mit Myrtengrün umwickelte Palmbaumzweige lagen, während ein anderer einen goldenen Korb hereinbrachte, der mit gerade gesammelten Zitronen bis an den Rand gefüllt war. Sie gingen mit den beiden Körben von Gast zu Gast und ein jeder wählte sich aus ihnen einen Palmenzweig, den er in die rechte und eine Zitrone, die er in die linke Hand nahm. Die Unterhaltung Bessos mit Elias Laurella wurde durch diese Prozedur unterbrochen, und einige Minuten später sah der Herr des Hauses sich mit einem bezeichnenden Blicke um, hielt seinen Palmenzweig in die Höhe und schüttelte ihn so, daß er einen schwirrenden Ton von sich gab, worauf Eva sofort an seiner Seite erschien.

Die Tochter Bessos trug eine Taille aus weißer Seide, die sich eng an ihre Formen anschloß und bis zu den Knien herunterfiel; diese war mit großen Diamanten besetzt, die gleichzeitig als Knöpfe dienten und wurde über der Taille mit einem Perlengürtel zusammengehalten. Dazu trug sie weite Mameluckenhosen aus rosenfarbiger Seide, unter denen hier und da eine Fußspange aus Diamanten aufblitzte und zwei mit Diamanten besäte Pantöffelchen neugierig herauslugten. Über der Taille hatte sie die syrische Jacke, die aus kirschfarbenem Sammet verfertigt war, und deren geschlitzte Ärmel und Rückseite reichlich mit Stickereien besetzt waren. Diese kamen allerdings nicht recht zur Geltung, weil ein anderer Umhang sie noch verdeckte, ein Umhang, der aus indischem, mit Gold durchwirktem Brokat bestand, dessen Überladenheit aber durch die leichte, blaue Farbe und die blendende Schönheit des Musters sich nicht zu störend geltend machte. Um die Taille herum war dies Gewand mit einer maurischen Schärpe von dunkelorangener Farbe befestigt, die ihrerseits einen breiten Besatz mit kostbaren Steinen aufwies. Ihre Kopfbedeckung war dieselbe als damals, als wir zuerst im Kiosk von Bethanien ihre Bekanntschaft machten, nur daß ihre syrische Kappe auf dem Hinterkopfe heute reichlich mit Diamanten besetzt war, von denen einige ebenfalls in ihrem langen dunklen Haare aufleuchteten.

»Sie kommen wohl doch nicht,« sagte Besso zu seiner Tochter. »Es war wahrscheinlich nur wieder eine von seinen Ideen. Wir wollen nicht länger warten.«

»Ich bin ganz sicher, lieber Vater, daß sie kommen werden«, sagte Eva ernst. Sie war ihm zur Seite getreten und hielt in ihrer rechten Hand, die auf ihrem Busen ruhte, ebenfalls einen Palmenzweig. In demselben Augenblick traten auch die Diener wieder herein und geleiteten zwei Gäste in den Saal, die soeben angekommen waren. Der eine war ein Ausländer, ein junger Mann in europäischem Gewande, der andere wurde sofort von allen Anwesenden als der Emir von Canobia erkannt.


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