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Ungeachtet der großen Vorsicht des Herzogs und der Herzogin von Bellamont hatte es das Schicksal bestimmt, daß der kräftige Arm des Oberst Brace ihrem Sohne bei seinem ersten Kampfe nicht beistehen sollte und daß auch Dr. Roby gerade jetzt, wo er von einer schweren, vielleicht tödlichen Krankheit befallen war, weit von ihm entfernt war. Dies ist ein neues Beispiel für die oft sich wiederholende Tatsache, daß die weiseste und fürsorglichste Voraussicht mitunter nichts nützt; daß, wenn man jemand braucht, er nicht da ist, und daß nichts so eintrifft, wie man es erwartet hat. Doch vielleicht war an all diesem Unglück jene dritte und recht unfähige Persönlichkeit schuld, die die Eltern Tancreds, mit Aufgebot großer Mühe und Kosten zum Reisebegleiter und Ratgeber Tancreds bestellt hatten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn die theologische Bildung des Herrn Pastor Bernard eine etwas tiefere und umfangreichere gewesen wäre, Lord Montacute vielleicht nicht darauf bestanden hätte, diesen neuen Kreuzzug zu unternehmen und schließlich die Wildnis des Sinai zu besuchen. Wie dem auch immer sein mag, eins ist ganz sicher, daß Tancred verwundet wurde, ohne daß auch nur ein einziger Säbel der Bellamont Yeomanry zu seiner Verteidigung aus der Scheide flog, daß er jetzt lebensgefährlich krank in einem Araberzelt daniederlag, ohne daß ihm auch nur die kleinste ärztliche Hilfe zuteil werden konnte, und daß er jetzt vielleicht aus der Welt zu scheiden im Begriffe war, nicht nur, ohne von einem Priester seines Glaubens Zuspruch zu erhalten, sondern sogar inmitten einer Schar von Ketzern und Ungläubigen.
»Wir haben niemals einen von den Wilden an Mylord herangelassen,« sagte Freeman zu Baroni, »als er von der Reise zurückgekehrt war.«
»Ausgenommen den blonden, jungen Herrn,« fügte Trueman hinzu, »und der ist ein Christ oder etwas, was ebensogut ist.«
»Er ist ein Fürst,« sagte Freeman vorwurfsvoll. »Habe ich dir das nicht schon zwanzigmal gesagt? Er ist, was man hierzulande einen »Hemir« Die niederen englischen Klassen setzen vor jeden Vokal ein H. nennt und er wohnt in einem Schlosse, auf das er sogar unseren Mylord eingeladen hat. Wenn er nur mit Mylord auf den Sinai gegangen wäre, wäre die Sache nicht so schlimm geworden.«
»Er hat sich aber gegen Mylord die ganze Zeit sehr aufmerksam erwiesen,« sagte Trueman, »er hat ihn Tag und Nacht nicht verlassen und ist erst aus dem Zelte gegangen, als er von der Rückkehr der Karawane gehört hatte.«
»Ich habe ihn gesprochen,« sagte Baroni; »aber wir wollen jetzt in das Zelt gehen.«
Tancred lag, in ein syrisches Gewand des jungen Emirs gekleidet, zwischen einer Menge von Kissen auf dem Diwan ausgestreckt. Sein Gesicht war totenblaß, seine Augen waren offen und starrten ins Leere und schienen die Eintretenden gar nicht zu bemerken. Fakredin hatte seinen Arm, der vom Diwan heruntergeglitten war, auf eine Unterlage von Mänteln und Kissen gelegt. Tancreds Antlitz hatte sich sehr verändert, seitdem Baroni ihn das letzte Mal gesehen hatte, er sah sehr ermüdet aus, nur die Augen glänzten in überirdischem Feuer.
»Er hat die ganze Zeit nicht geschlafen«, sagte Freeman im Flüstertone.
»Die ersten zwei Tage hat er weiter nichts getan, wie mit sich selber gesprochen,« sagte Trueman, »aber seit gestern ist er ruhiger.«
Baroni ging von hinten auf den Diwan zu, so daß ihn der Kranke nicht sehen konnte, kauerte dann geräuschlos auf dem Teppich nieder und berührte mit leisem Finger Lord Montacutes Puls.
»Er hat nicht zu viel Blut«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»Sie halten es doch nicht für hoffnungslos?« fragte Freeman mit weinerlicher Stimme.
»Nach all den großen Festlichkeiten bei Mylords Majorennerklärung muß uns so etwas passieren!« rief Trueman aus. »Damals saßen ihrer einhundertachtundneunzig Leute eine ganze Woche lang am Dienerschaftstische des Schlosses!«
Baroni gab ihnen einen Wink, das Zelt zu verlassen. »Gott meiner Väter!« sagte er, als er so mit über der Brust gekreuzten Armen auf dem Teppich dasaß und Tancred mit seinen blitzenden schwarzen Augen ansah, »Gott meiner Väter, das ist eine schöne Geschichte! Das ist Tod oder Verrücktheit, vielleicht beides! Was wird Herr von Sidonia dazu sagen? Er hält nicht viel von Leuten, denen etwas fehlschlägt. Er wird mir schöne Vorwürfe machen und mich nicht mehr weiter empfehlen. In Europa würden sie ihn zur Ader lassen und ihn vielleicht damit töten – hier werden sie ihn nicht zur Ader lassen und er wird so sterben. Das ist Medizin und das ist Leben! Wenn ich jetzt nur so viel Opium hätte, um eine Mandarinenpfeife auszufüllen, so könnte man etwas machen. Gott meiner Väter! Dies ist eine schreckliche Geschichte!«
»Sein Gehirn hat sich überarbeitet,« sagte Baroni weiter zu sich selber. »Ich habe ihn ja oft selbst beobachtet, wie er während der Seereise auf dem Deck auf und ab ging; ich habe niemals jemand in tieferes und längeres Nachdenken versunken gesehen. Er denkt ebensoviel nach wie M. de Sidonia und ist dabei viel empfindlicher. Da liegt seine Schwäche. Die Stärke des Herrn von Sidonia liegt darin, daß er über alle Gefühle erhaben ist. Keine Gefühle und ein großes Gehirn – solchen Leuten gehorcht die Welt. Keine Gefühle und ein kleines Gehirn – aus solchem Stoff macht man elende Schufte. Aber ein großes Gehirn und ein großes Herz – was gibt das? Ah! Ich weiß es nicht! Vielleicht stumpft so ein großes Herz mit der Zeit sich ab! Und doch wünschte ich, ich könnte diesen jungen Mann retten, denn ich habe mich stets zu ihm hingezogen gefühlt.«
Baroni blieb eine Zeitlang in Nachdenken versunken auf dem Teppich sitzen und überlegte, ob er nicht irgend etwas zur Rettung Tancreds tun könnte, aber es wollte ihm nichts einfallen. Er wurde durch den Ton einer Stimme, die ihn leise beim Namen rief, aus seinen Gedanken aufgestört und als er sich umsah, erblickte er den Emir Fakredin, der auf den Zehenspitzen hereingekommen war und seinen Finger auf den Mund gelegt hatte. Baroni stand auf, Fakredin winkte ihm, aus dem Zelte herauszukommen und traf draußen die Dame seiner Karawane an.
»Ich möchte gerne, daß die Rose von Saron Ihren Lord einmal besucht,« sagte der junge Emir mit besorgtem Blicke, »denn sie gilt als ein großer Hakim unter unserem Volke.«
»Vielleicht bin ich in der Wüste, wo kein anderer Arzt zu haben ist, etwas wert«, sagte Eva bescheiden.
»Wir haben nur noch schwache Hoffnung«, sagte Baroni traurig.
»Oh, rette ihn, Eva, rette ihn!« rief Fakredin pathetisch aus.
Eva legte ihren Finger auf ihre Lippen.
»Oder ich sterbe ebenfalls,« fuhr Fakredin fort, »wenn er tot ist, hat das Leben auch für mich keinen Zweck mehr.«
Eva wechselte mit leiser Stimme einige Worte mit Baroni, dann schob sie den Vorhang des Zeltes zurück und trat ein.
Tancreds Gesicht bot noch immer denselben Anblick dar, aber als sie auf ihn zukam, begann er zu sprechen. Baroni kauerte sich wieder auf seinem alten Platze nieder, Fakredin fiel auf seine Knie und Tancreds Augen wurden nur Evas ansichtig. Sein Blick war weniger unstät als zuvor, denn er sah ihr aufmerksam ins Gesicht. Aber selbst unter gewöhnlichen Umständen hätte er sie wohl nicht erkannt, denn da sie jetzt in der Tracht der Beduinenmädchen war, sah sie ganz anders aus wie damals, als er sie zum ersten Male in ihrem Garten sah. Ein Ledergürtel über einem blauen, weiten Gewande, ein paar Goldmünzen im Haar, dazu eine mit Fransen besetzte Kafia war jetzt ihre einfache Kleidung, die an Stelle des Prachtgewandes in Bethanien getreten war.
Aber der Eindruck, den ihr plötzliches Erscheinen auf Tancred machte, war nur ein vorübergehender. Sein Blick glitt wieder von ihr ab und wurde unstät, seine Worte wurden lauter und unzusammenhängender. Plötzlich wurde er etwas ruhiger und sagte mit vollkommener Deutlichkeit und Bestimmtheit: »Ich werde von Engeln bewacht.«
Fakredin warf einen Blick auf Eva und Baroni, wie um sie an das zu erinnern, was er ihnen vorher gesagt hatte.
Nach einer Weile wurde er wieder etwas aufgeregter und wollte seinen verwundeten Arm in der Luft herumschwenken, aber Baroni, der seinen Herrn von hinten her nicht aus den Augen ließ, legte seine Hand auf ihn und Tancred ließ es sich gefallen. Dann begann er wieder, aber ruhiger und ernster, von seinen Engeln zu sprechen.
»Du siehst selbst wie ein Engel aus«, dachte Eva, als sie sein durchgeistigtes Antlitz, das in übermenschlichem Feuer erstrahlte, betrachtete.
Nach einigen Minuten gab sie Baroni ein Zeichen, daß sie das Zelt zu verlassen wünschte. Dieser stand auf und begleitete sie hinaus. Fakredin, dem die Tränen reichlich über die Backen flossen, stand ebenfalls auf und machte das Zeichen des Kreuzes.
»Vergib mir,« sagte er zu Eva, »aber ich kann nichts dafür. Wenn ich traurig bin, so fällt mir immer ein, daß ich ein Christ bin.«
»Ich wünschte, du wärest dir dessen beständiger bewußt,« sagte Eva, »dann wäre uns allen heute wohler.« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern sagte zu Baroni: »Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein. Wenn wir ihm keinen künstlichen Schlaf verschaffen können, so wird er bald den ewigen schlafen.«
»Oh, verschaffe ihm Schlaf, Eva,« sagte Fakredin und rang dabei seine Hände, »du kannst alles, was du willst.«
»Ist es ganz unmöglich, sich hier etwas Opium zu verschaffen?« fragte Baroni.
»Vollkommen unmöglich, die Leute hier kennen diese Droge überhaupt nicht«, antwortete Eva.
»Dann lasse sie doch von El Kuds kommen«, sagte Fakredin.
»Gänzlich unmöglich!« sagte Baroni, »hier ist jede Stunde von Wert, und wir können nicht tagelang warten.«
»Aber ich werde mich selber auf den Weg machen,« rief Fakredin aus; »Sie wissen nicht, was ich auf meinem besten Dromedar leisten kann! Ich werde –«
Eva legte, ohne ihn überhaupt anzusehen, ihre Hand auf seinen Arm und unterhielt sich dann weiter mit Baroni. »Als wir durch die Schlucht kamen, bemerkte ich stellenweise eine kleine, weißgelbe Blume. In der Ebene sah ich sie nicht mehr, aber ich glaube, sie ist auch am Ufer des Flusses zu finden. Wenn es, wie ich glaube – denn ich habe leider nicht genau Acht gegeben – die Blume des Berges Arnica ist, so könnte ich aus ihr ein Präparat herstellen, das einen wunderbar heilsamen Einfluß auf die Nerven hat.«
»Ich bin sicher, es ist die betreffende Blume, und du wirst ihn sicher damit heilen«, sagte Fakredin.
»Die Zeit drängt,« sagte Eva zu Baroni. »Nehmen Sie sich meine Mädchen mit und suchen Sie zuerst die Flußufer ab.«
Während so die anderen eifrigst auf die Suche gingen, blieb Fakredin zurück und verbrachte seine Zeit teils damit, Tancred zu beobachten, teils damit, zu weinen, teils damit, seine Schulden zu berechnen. Diese letztere Beschäftigung war für ihn stets von unerschöpflichem Interesse. Sein phantasievolles Gehirn war denn auch bald in die schönste Träumerei versunken. Er stellte sich Tancred genesen vor, er hatte ihn sich vollkommen zum Freunde gemacht und schwelgte in unerhörten Plänen, Taten und Hilfsmitteln. Dann erinnerte er sich plötzlich wieder, daß er selber daran schuld war, daß dieses kostbare Leben in solche Gefahr geraten war und begann zur Abwechslung sich wieder zu verfluchen. Er war zwar daran gewöhnt, sich in allerlei schwierigen Lagen zu befinden und auch zurechtzufinden – aber seine gegenwärtige Verlegenheit war sicherlich eine, die allen seinen früheren den Rang ablaufen konnte.
Er sollte sich den Mann zum Busenfreunde gewinnen, der durch seinen Anschlag in Gefangenschaft und Lebensgefahr geraten war; er mußte zu diesem Zwecke Amalek dazu zu überreden versuchen, auf das Lösegeld zu verzichten, aber nur die Aussicht auf dieses Lösegeld hatte den Scheik dazu bewogen, die syrischen Weiden zu verlassen, und die Gefangennahme selber hatte das Leben einiger der besten seines Stammes gekostet! Auf der anderen Seite kam der Neumond, an dem der junge Emir in Gaza Scheriff Effendi zur Begleichung seiner Schuld und zur Empfangnahme der Waffen treffen sollte, bedenklich näher und er hatte kein anderes Geld zur Verfügung, wie seinen eventuellen Anteil an dem Lösegeld. Sein wirrer Kopf dachte über dieses und jenes nach und entschied sich bald für das eine und bald für das andere, bis er schließlich, des Nachdenkens müde, seine Nargileh kommen ließ und in seiner magischen Röhre, wie gewöhnlich, Trost suchte und fand. In dieser Weise waren mehr als drei Stunden verflossen, der junge Emir hatte sich wieder von seinem Kummer erholt und war gerade dabei, die Durchschnittsrate der verschiedenen Zinsen in allen syrischen Städten, von Gaza bis Aleppo, zu berechnen, als Baroni mit einer Vase in seiner Hand zurückkam.
»Haben Sie die Kräuter gefunden?« fragte Fakredin.
»Jawohl, edler Emir. Schade, daß der Heiltrank nicht während des Neumonds zubereitet werden kann. Jetzt fehlt uns nur noch zweierlei: erstens, daß Mylord ihn auch trinkt und zweitens, daß er ihn auch wiederherstellt.«
Tancred nahm den Heiltrank noch am Vormittag zu sich. Es bereitete keine Schwierigkeit, ihm denselben einzuflößen, aber er war anscheinend noch nicht bei vollem Bewußtsein. Als die Sonne am höchsten stand, versank er in einen tiefen Schlaf. Fakredin eilte sofort mit der guten Nachricht zu Eva, die jetzt in die innerste Abteilung von Amaleks Zelt sich zurückgezogen hatte; Baroni hingegen verblieb beständig bei seinem Herrn.
Die Sonne ging unter; derselbe Rosenschimmer fiel auf die Tempelgräber und Mauern der Stadt wie an dem ersten Abend ihrer Ankunft – und Tancred schlief noch immer. Die Kamele kamen vom Flusse zurück, die Lichter flammten im Halbkreise der schwarzen Zelte auf – und Tancred schlief noch immer. Er schlief den ganzen Tag über, er schlief durch die Dämmerung hindurch, und als die Nacht kam, schlief er noch immer. Die silberne, mit Palmöl gespeiste Lampe warf ihr zartes, weißes Licht auf das Sofa, auf dem er lag. Stumm, aber mit großer Aufmerksamkeit beobachteten Fakredin und Baroni das Gesicht ihres Herrn und Freundes – und Tancred schlief noch immer.
Die Nacht schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Als das erste Morgenlicht das Zelt zu erhellen anfing, sahen die beiden Wachenden einander an und jeder bemerkte auf dem Gesicht des andern einen Ausdruck des Unbehagens, ja der Angst. Denn Tancred schlief noch immer weiter, bleich und bewegungslos lag er in derselben Haltung und mit demselben Gesichtsausdruck auf seinen Kissen. Schlief er wirklich, oder? – Baroni betastete sein Handgelenk, aber er konnte keinen Puls entdecken; Fakredin hielt ihm seinen blanken Dolch vor den Mund, aber er blieb vollkommen unbeschlagen. Aber Tancreds Körper war nicht kalt.
Die Stirne Baronis wies tiefe Sorgenfalten auf und sein Auge hing noch immer ängstlich an dem Patienten. Fakredin, den die Angst übermannte, rannte zu Eva.
»Ich bin besorgt, weil du besorgt bist,« sagte Fakredin, »und dich bringt doch sonst nichts außer Fassung. O Rose von Saron! Warum bist du so blaß?«
»Es wird eine ewige Schande über unsere Zelte bringen, wenn dieser junge Mann stirbt«, sagte Eva mit leiser Stimme und versuchte dabei, ruhig zu erscheinen.
»Und was wird es erst über mich bringen!« rief Fakredin in Verzweiflung aus. »Ich werde wie ein Kain gebrandmarkt sein! Ich werde nie mehr Damaskus oder irgend eine der Küstenstädte betreten können! Ich werde alle meine Schlösser meinem Vetter Francis El Kazin übergeben, unter der einen Bedingung, daß er meine Gläubiger nicht bezahlt. Ich werde mich nach Mar Hanna zurückziehen und die Menschen fürderhin gänzlich meiden.«
»Beruhige dich, Fakredin, noch ist Hoffnung und meine Verantwortung ist sicherlich nicht leichter, wie die deinige.«
»Ah, du hast ihn nicht gekannt, Eva!« rief Fakredin mit leidenschaftlicher Stimme, »du hast seinen Worten nie zugehört, wie ich! Er kann dir nie so am Herzen liegen wie mir. Ich liebte ihn!«
Sie preßte ihren Finger auf die Lippen, denn sie waren vor Tancreds Zelt angelangt. Der junge Emir trocknete seine überquellenden Augen und trat zuerst ein, dann kam er zurück und bat Eva, näherzutreten. Sie traten beide an Tancreds Ruhelager. Der Ausdruck des Leidens, des Kummers, der schmerzlichen Spannung, der den geistreichen Ausdruck seines Gesichtes gestern zwar nicht beeinträchtigt, aber doch beeinflußt hatte, war heute verschwunden. Wenn das der Tod war, so war der Tod schön. Seine Züge sahen sanft und ruhig aus und seine Stirne war die eines unsterblichen Gottes.
Eva sah mit liebevoller, tiefer Melancholie auf das Gesicht des Kranken. Fakredin und Baroni sahen einander bedeutungsvoll an. Plötzlich machte Tancred eine Bewegung, stieß einen schweren Seufzer aus und öffnete seine dunklen Augen. Das unnatürliche Feuer, das noch gestern in ihnen geleuchtet hatte, war verschwunden. Ruhig und freundlich blickte er auf die Umstehenden und sagte dann: »Ah! die Dame von Bethanien!«