Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erläuterungen und Bemerkungen zu einzelnen Werken

… und entschuld'gen
Mag mich der neue Stoff, schweift hier
die Zung' ab.

Dante, Inf. XXV.

Erläuterungen? Besser: Vermutungen. Erläutern wollen wäre Überhebung. Die Logik der Musik ist nicht die der Sprache. Sie gleicht dem Zauberbild, das vor dem Erklärer in die Wand hinein weicht, sich ihm entziehend, je näher er zu kommen glaubt.

Man hat Behelfe an den kühlen Handwerksausdrücken: Kopfthema, Seitensatz, Schlußgruppe, Durchführung – Abbreviaturen der Grammatiker, Siegel für formales, architektonisches Geschehen, wohinter sich das Musikgeheimnis erst recht verbirgt. Oder man bedient sich poetisierender Bilder, sucht das Bild mit dem Bild, Gleichnis mit dem Gleichnis zu »erläutern« und sieht vielleicht, daß alles in den subjektiven Nebel rinnt, ins Haltlose des Auch-anders-sein-könnens, das aber der Unkundig-Buchstabengläubige doch für das Sosein und Soseinmüssen nimmt, schon um sich bei irgend etwas zu beruhigen.

Das musikalische Rätsel –! Wenn es sich in Worte ballen ließe, brauchte man nicht jedesmal die 80 Musiker der großen Orchester zu Festlichkeiten aufzubieten. Das Unfaßliche, das in kein Wort der Sprache eingehen will, macht Musik erst zum Erlebnis.

Nur einmal wird sie aufschlußreicher: wenn man sie als Gebärdenkunst betrachtet, aus ihren Zügen, Profilen, Charakteren, Gewohnheiten auf Züge, Profil, Charakter, innere Lebensform dessen schließt, der sie schuf. Denn die Musik ist gestaltgewordene Gebärde. Was im Gesellschaftsleben unterdrückt oder gedämpft, entstellt, verheuchelt, »beherrscht« erscheint, so daß wir eigentlich als Unsichtbare umhergehen, und was nur in den Schreien höchster Augenblicke, in Einsamkeiten, im Eros oder in der Überraschung einmal sichtbar wird –, diese Wahrheiten der Haltung verbirgt die Musik nicht, kann sie nicht verbergen. Der Teplitzer Beethoven nahm Goethen den Gesellschaftston sehr übel, gewohnt, als Musiker, d. i. als Unbeherrschter, zu handeln. Sich selbst erlebend, formen die Musiker ihr Urwesen, und aus den starren Notenlinien blickt ihr unverhülltes Antlitz.

In dieser Richtung glaubt nun der Verfasser näher an das Bild zu kommen. Er will dabei den technischen, den gleichnishaften Ausdruck nicht verschmähen; doch er möchte nicht, mißverstehend, mißverstanden sein: nicht prahlen, Brucknersche Gebärde nun zu »wissen«, noch sibyllinisch wahrsagen, was Bruckner wohl »gemeint« hat. Auch hier gibt es letzte Rätsel, ein Ignorabimus.

Die Zitate geschehen nach der kleinen Partitaturausgabe der Universal-Edition, Wien, die sich zu Studienzwecken vorzüglich eignet. Gleiches läßt sich naturgemäß von den zweihändigen Klavierauszügen nicht behaupten, da sie die Vielstimmigkeiten Bruckners vereinfachen, zusammenziehen oder durch Umstellen unkenntlich machen, ja oft ganz brucknerfremde Arpeggien anbringen oder (wie am Schluß des ersten Satzes der Romantischen Sinfonie statt der hörnerverstärkenden dritten Trompete) – ein Baßtremolo setzen! Als ergänzend kommt für Einzelfragen in Betracht der mit Notenbeispielen versehene Brucknerführer (Meisterführer Nr. 4) der Schlesingerschen Musikbibliothek, dessen Verfasser Karl Grunsky, Willibald Kaehler, Walter Niemann, Siegfried Ochs und Adolf Pochhammer sind. Die Kirchenmusik hat Max Auer ebenso sachkundig wie warm in der Musica Divina (Jahrg. 1913-15) behandelt.

Kirchenmusik

Die 1. Messe, in d-moll, entstanden 1863/64 in Linz, wird daselbst im alten Dom zuerst aufgeführt, in der Wiener Hofkapelle 1867 von Herbeck. Die erste Konzertaufführung veranstaltet Gustav Mahler am 30. März 1893 in Hamburg (Stadttheater), die nächste Richard v. Perger am 17. Jan. 1897 im Wiener Gesellschaftskonzert als Trauerfeier für den Meister.

Die (jetzt als 2. bezeichnete) achtstimmige Messe in e-moll ist komponiert 1868/69 in Linz. Die Enge des Raumes in der Votivkapelle des neuen Linzer Domes zwang den Meister zu einem verkleinerten, nur aus Bläsern bestehenden Orchester. Die erste Konzertaufführung fand in Wien erst nach Bruckners Tod statt, und zwar am 17. März 1899 im Wiener Akademischen Gesangverein (Dirigent: Jos. Neubauer).

Die große Messe in f-moll, vollendet zu Weihnachten 1868, vor der e-moll-Messe, wurde später als Nr. 3 bezeichnet und im Juni 1872 in der Wiener Augustinerkirche zum erstenmal aufgeführt. Ihre erste Konzertaufführung leitete Jos. Schalk im Wagnerverein am 23. März 1893. Im Gesellschaftskonzert erschien sie am 4. November 1894 unter Gericke. Deutsche Konzertaufführungen sind u. a. die 1896/97 in Tübingen von Emil Kauffmann und die mit großartiger Besetzung (1000 Sänger) und Wirkung am 13. April 1903 auf dem Mannheimer Musikfest von Mottl.

Das Tedeum (geschaffen 1883/84) wird am 10. Januar 1886 im Gesellschaftskonzert von Hans Richter aufgeführt, Mitte April 1886 in München, 1891 in Berlin von Siegfried Ochs, 15. April 1892 von Gustav Mahler in Hamburg, am 26. Mai 1892 in Cincinnati mit 800 Sängern und vor 7000 Zuhörern von Thomas, in Karlsruhe von Mottl 1897/98, in Leipzig von Nikisch u. a. m.

Der 150. Psalm, komponiert für die 1892 geplante, aber nicht zustande gekommene Tonkünstler-Versammlung des A. D. M. V. in Wien, wird zum erstenmal im Gesellschaftskonzert von Gericke am 13. November 1892 aufgeführt.

*

Bruckners Messen stehen am Anfang seines reifen Schaffens. Die Träume des Knaben auf dem Chor kleiner Dorfkirchen, das Barockerlebnis von Sankt Florian finden hier erste Erfüllung. Alle drei Messen sind in Linz geschrieben, in Wien entstand keine einzige mehr, was bei einem Tiefgläubigen wie Bruckner gewiß auffallend ist. Aus der Wiener Zeit ragt ein einziges größeres Kirchenwerk hervor, das Tedeum, dem nur der 150. Psalm als Gelegenheitsarbeit folgt. Zwischen der f-moll-Messe und dem Tedeum liegen sechs Sinfonien, also Profanmusik im edlen Sinn. Wenn Beethovens Missa solemnis sich bestimmend in das Gesamtwerk eingliedert und die Neunte Sinfonie sowie Folgewerke beeinflußt, so sind die Messen Bruckners seine Ausgangswelt. In ihrer Form bringt er sich dem Herrgott zuerst dar. Seine christliche Kraft kommt hier, liturgisch bestimmt, zur reinsten Gebärde, und jene heidnische Geste, die wir in seinen sinfonischen Sturz- und Druckthemen, in den Dörperszenen des Scherzos, in den Riesenschlachten seiner Durchführungen erblicken werden, ist völlig ins Katholische gelöst. Kein Konflikt nötigt hier zur Entladung der eingeborenen sinnlichen Naturkraft. Im Tedeum gewinnt die Sehnsucht nach einem konfliktlosen Gottesbekenntnis, nach reinem Gottschauen, schrankenlosem Bezeugen und Auferstehungsglauben noch einmal Gestalt: er schob die sinfonischen Partituren beiseite und sammelte sein gläubiges Herz zu einem großen Hymnus.

In den Messen wird Bruckner entweder bekennend oder schildernd. Er bezeugt sich oder begleitet ausmalend die heilige Handlung, überall beseelt von der gleichen ungeheueren Ehrfurchtsgewalt. Man kann zwei Grundgebärden seiner Kirchenmusik unterscheiden, die Verzückungs- und die Misereregebärde. In den »Phantasien über die Kunst« spricht Wackenroder einmal über die verschiedenen Arten der Kirchenmusik. Er verwirft die »munteren, fröhlichen Töne«, in denen manche Künstler Gott wie einen guten Vater am Geburtstag loben – meint er vielleicht Haydn? – und wendet sich den Bildnern des Erhabenen zu: »… diese Musik schreitet in starken, langsamen stolzen Tönen einher und versetzt dadurch unsere Seele in die erweiterte Spannung, welche von erhabenen Gedanken in uns erzeugt wird und solche wieder erzeugt. Oder sie rollt auch feuriger und prachtvoller unter den Stimmen des vollen Chors, wie ein majestätischer Donner im Gebirge, umher. Die Musik ist jenen Geistern ähnlich, welche von dem allmächtigen Gedanken an Gott so ganz über alle Maße erfüllt sind, daß sie die Schwäche des sterblichen Geschlechts darüber ganz vergessen und dreist genug sind, mit lauter, stolzer Trompetenstimme die Größe des Höchsten der Erde zu verkündigen. Im freien Taumel des Entzückens glauben sie, das Wesen und die Herrlichkeit Gottes bis ins Innerste begriffen zu haben; sie lehren ihn allen Völkern kennen und loben ihn dadurch, daß sie mit aller Macht zu ihm hinaufstreben und sich anstrengen, ihm ähnlich zu werden.«

Dann aber spricht Wackenroder noch von einigen stillen, demütigen, allzeit büßenden Seelen: – »diese liegen mit stets gefalteten Händen und gesenktem Blick betend auf den Knieen – diesen gehört jene alte choralmäßige Kirchenmusik an, die ein ewiges Miserere mei Domine! klingt und deren langsame, tiefe Töne gleich sündenbeladenen Pilgrimen in tiefen Thälern dahinschleichen – – – –«.

Von diesen beiden Arten der Kirchenmusikwelt besaß Bruckner etwas: die gottverkündende mit der stolzen Trompete, und die büßende des flehenden Pilgrims. Die Wackenroderschen Züge, vermischt mit Zwischenhaltungen, zeigen das Ethos des Künstlers an, und aus der Messenmusik gingen sie in die Sinfonie hinüber.

Bruckner hat keine Liederhefte hinterlassen, keine Oper begonnen: was er an Lyrik und Dramatik besaß, fingen die Messen auf und bewahren es im geistlichen Gewande. Er erreicht nicht die Fülle Haydns, nicht Mozarts Reichtum an Messen, Motetten, Litaneien, Orgelsonaten: auch auf dem Gebiet ungehemmter Glaubensfreudigkeit sehen wir den Spätentwickelten, Langsamschreitenden, Schwererobernden, den Engen und Breiten seiner vormärzlichen Jugend hemmend und fördernd bestimmend. Je dürftiger die Chor- und Orchesterverhältnisse von Windhaag und Kronstorf, desto gewaltiger die Sucht nach Entfaltung in massigem Pomp und florianischer Größe. So ist seine Kirchenmusik mehr tief als breit. Er sammelt seine Gläubigkeit in wenigen Lebenswerken, alle beladen mit den reifsten Gedanken, gestaltet von einer Ehrfurcht, die den modernsten Ausdruck mit alter Gediegenheit vereint.

»Wenn ihnen nichts einfallt, so nennen sie's kirchlich«, pflegte er über die Erzeuger von Durchschnittsmessen zu spotten. Als Qualitätskomponist, an seinem Kinderglauben festhaltend, die Seele voll süßer Himmelsbilder, gab er dem Katholizismus neue Zungen.

 

Seine Messen sind in erster Linie liturgisch gedacht; auch die Möglichkeit und Wirkung der Konzertaufführung ändert daran nichts. Es sind dienstbare Werke, die den Priester am Altar, den von Andächtigen gefüllten Raum, das Hochamt voraussetzen. Es lag außerhalb der Brucknerschen Ethik, den Messentext als dichterische Grundlage zu betrachten: er brauchte keine Brücke zum Glauben. Das heilige Wort lebt in ihm, er will sein Diener sein.

Alle drei Messen, von denen wir die in f-moll als die bedeutendste heraushebend durchsprechen, stehen, nach der Tonart des Kyrie, in Moll. Bruckner geht dem Ursinn des Ausrufs nach: Erbarme Dich, Herr; er empfindet sich als die sündige Seele, und klagt in der Gestik des Miserere. In der e-Messe beginnt der Frauenchor zagend, schmerzlich dissonierend, und die Männerstimmen sprechen es ehrfürchtig nach. In der f-moll wie in der d-moll hat das einleitende Instrumentalmotiv die gebeugte Wackenrodersche Haltung und wird sogleich in Imitationen verdichtet.

Dann nehmen es (in der f-moll) die Frauenstimmen auf, kurze zwei- oder viertaktige Anrufungen verrinnen mutlos im pp des ersten Halbschlusses, beginnen von neuem, drängen, begehren, schwingen sich auf – aber selbst die ersten melodischen Breiten des Chorals wagen noch nichts. Der Anfang klingt überhaupt nach verzagtem Nichtwissenwohin – und doch ist er schön geordnet: dreimal wird der Herr, dreimal wird Christus angerufen, und diese liturgische ist die formale Gliederung des Satzes.

Die Anrufungen Christi, As-dur mit Violinsolo, bilden den Seiten- oder Gesangsatz des Kyrie. Bruckner denkt bei aller Inbrunst sehr klar, ja, seine Inbrunst steigert den Willen zur Klarheit. Er erfindet Lichtgegensätze zum Kyriedunkel, die engelhaft hereinsingenden Sopransoli, die zarte Violinstimme, die spielenden Figuren, wie zu seiner Lyrik immer diese Dinge der Zartheit gehören: Violinsolo, Figurenschmuck und die geschwellte Brust der Melodik.

Danach wiederholt er den Hauptsatz in f-moll, nicht, um ihn zu wiederholen, sondern ihn zu steigern –, jetzt erst wagt der Chor etwas, jetzt erst wird die Bitte stürmisch, das Orchester erwacht zu Bewegung, die Stimmen ballen sich, das Hauptmotiv verkehrt seine Linien, sie steilen sich auf, drängen dem Himmel zu, vor den Augen der Gläubigen öffnen sich die seligen Fluren, der Inbrunstakkord von E-dur (Quartsext) braust in Herrlichkeit, die Weiterführung geschieht in hohen melodischen Wellungen, die Frauenstimmen werfen sich frohlockend empor, so schön, wie es nur Frauenstimmen vermögen, in deren Höhe immer der Enthusiasmus mitklingt, die Bewegung wird bewegter, erregte Solostimmen rufen dazwischen –, da bricht das Orchester ab: – ganz hochgelagert flüstert plötzlich der a-cappella-Chor in äußerster Innigkeit, wie wenn das Pianissimo eindringlicher sei als das stärkste Forte – aber ihrer Niedrigkeit immer heftiger bewußt, sinken die Stimmen in Erschlaffung zurück: sie haben alle Grade durchmessen, alles versucht, nun bleibt nur noch die Gnade des Herrn.

Das Cello nimmt das Klagemotiv des Anfangs auf, und zuletzt bebt der Chor der Beter murmelnd, psalmodierend, auf der einen unbeweglichen Quint C zum f-moll-Abschluß des verhallenden Orchesters.

So vielfältig klingt die Brucknersche Kyriebitte: als Flehen der Demut, Werbung, Zuversicht, Hymnus, Überschwang und Litanei. Er weicht dabei von der Wiener Messenüberlieferung ab, die namentlich für Festtage ein helles, freudevolles Kyrie kennt, woraus sich Haydns frohe Miene erklärt, ja zum Teil noch Beethovens majestätisch strahlendes D-dur. Er hält sich an das wahrhaft katholische Kyrie, ja an das Choralkyrie, wie es etwa die schöne Choralmesse Nr. 9 unter ähnlicher Dreiteilung und höher gelagertem Christe zeigt. Seine liturgische Denkweise hält den normalen Gang ein: von erstem zagenden Bitten bis zum Vertrauen, das aus voller Brust und Kehle singt. Dabei läßt die Kirche den musikalischen Notwendigkeiten volle Freiheit, erlaubt die sinfonischen Möglichkeiten, erlaubt auch Wortwiederholungen, die nur nicht bis zum Übermaß gehen sollen (wie bei Palestrina, dessen Sanctuswiederholungen ihm manchen kirchlichen Tadel zuzogen).

Das Gloria schildert in fast nervöser Erregung den Ruhm des Herrn. Der Text gehört, aus dem Griechischen stammend, zu den ältesten Bestandteilen der Messe: ein künstlerischer Preisgesang auf Gott. Die Ungeduld des Künstlers, dem der Hymnus von Jugend auf geläufig ist, entzündet sich daran und macht den Satz zum Allegro der Messensinfonie. Als gläubiger Katholik empfindet er auch die innere Schwere der wie Hammerschläge niedersausenden Epitheta: domine – rex coelestis – pater – aufs lebendigste, Dinge, die für den Durchschnittsmusiker nur Wortschälle bleiben –, daher der Anfang mit dem verkündigenden Frauenchor, in der Höhe, dem C-dur, das nach f-moll doppelt hell klingt, dem gleich Bläsern zusammengeballten Männerchor »Gloria in excelsis!« Die Chorstimmen werden von einem Erlebnis ins andere geschleudert: zerdehnen sich und kauern beim Adoramus ehrfürchtig zusammen; raffen sich zum Glorificamus mit einem hartnäckigen Enthusiasmus auf, wiederholen und wiederholen die Viertelnoten von Dreiklängen, als seien sie die vervielfachte Brucknersche Stimme selbst.

Das Gratias, den zweiten Teil einleitend, schwebt aus Frauenmund über vorsichtig schreitenden Instrumentalterzen dahin, sein a-moll gibt Gegensatz, seine größere innere Ruhe ist herkömmlich. Aber bald folgt in wachsendem Gefühl eine viel breitere, höhere Lobpreisung, als sei die erste Danksagung (Gratias) nur schüchterner Ansatz gewesen. In oktavigem Sturzmotiv singen die imitierenden Stimmen, einander überbietend, das Domine, rex coelestis; die Inbrunst verkürzt die Oktavrufe zu ungeduldigen Schreien (»Domine!«), spannt dann zur bildhaften Anschauung des Pater omnipotens die Notenwerte über zwei Takte aus, flüstert den zarten Namen Christi, um endlich im einmütigen Unisono anzuschließen: Filius Patris.

Bei alledem bekundet das Orchester seine Freudenunruhen durch die Unermüdlichkeit seiner Achtelfiguration, die es durch ein Trillerstoßmotiv (das sich auch in den sinfonischen Werken findet) erhöht: das Abbild der innern Teilnahme des Komponisten.

Nun folgt die übliche langsame Kontrastgruppe: der Adagiosatz des Qui tollis: der du die Sünden der Welt auf dich genommen hast. Ein Dreivierteltakt – der erste der Messe – mit klopfenden Achteln, überschwebender Violinfiguration, imitierenden Choralkantilenen und verkürzten Chorausrufen »Suscipe!« Man fühlt die Unmittelbarkeit der Bitte durch. Alles ist lebendige Gegenwart: das Sichaufschwingen der Flehbitte in polyphoner Führung, die breite choralartige Ballung in der Triumphtonart E-dur, mit Hörner- und Trompetenglanz – das muß zum Himmel dringen! – und das verstörte, furchterfüllte Psalmodieren: »miserere …!«, dann die Fermate des Mutschöpfens und die Erneuerung, das eindringliche Ans-Herzlegen des Miserere, womit das Adagio im Chor ausklingt. Man ist geneigt, hier die Abkunft jener Dreiviertelsätze zu erblicken, die Bruckner gern in das Sinfonieadagio einbaut.

Der Mittelteil Quoniam tu solus nimmt Motivik und Bewegung des Gratias wieder auf; aber das Cum sancto spiritu reißt die Stimmen zum ekstatischen Unisonoruf empor, aus der physischen Anspannung, gleich Beethoven in der Neunten, den Grenzausdruck erzwingend: über sechs Takte ist das g ausgespannt, ein Gloria, worin die ewige Unveränderlichkeit mit Bewußtsein gemalt wird. Hierauf das Brucknersche Vor-sich-selbst-Erschrecken und Einsinken – ein tiefer Einschnitt – und nun stimmt er, alle Kräfte verdichtend, den Abgesang seines Gloria an, die große Amenfuge (In gloria Dei patris Amen).

Wieder geht er, als wahrhafter musikalischer Liturge, dem Ursinn des Worts nach. Amen bedeutet: es soll geschehen! Und dieses Amen stimmt die eine Chorhälfte an. Um aber der Gemeinde das Was, den Inhalt des Geschehensollens anzudeuten, stimmt die andere Hälfte an: In gloria patris – die Ehre Gottes soll Tat werden! So bekommt durch die Fuge das Gloria erst seinen ethischen Abschluß. Das Thema ist lapidar. Urschrittig beginnend (Oktav, Quint), stürzt es in verminderter Sept ab, und bricht willenerfüllt, trillerrollend in die Höhe zurück. Die polyphone Arbeitslust lebt sich in Engführung, Umkehrung, Vergrößerung aus, die modernste Chromatik wird fugenfähig; zuletzt ist das Thema wie zu einer ungeheuern Inschrift im Sopran verbreitert, und der innere Jubel der Fuge nimmt unter Streichertremolo und Ergießen in harmonische Überraschungswelten geradezu Strettaformen an: alle Möglichkeiten des Prunks müssen herbei, um die Verklärungsgestik »mit der stolzen Trompete« zu vollenden.

Das Gloria war ein lyrischer Teil der Messe; das Credo ist sein epischer. Alle kirchengeschichtlichen Erinnerungen werden dabei im katholischen Herzen wach, alle Kämpfe des Glaubens seit den Tagen der Synoden von Nikäa und Konstantinopel, alle Siege über Widerstände von Arianern, Gnostikern, Donatisten, Manichäern ziehen vorüber –, das Credo kam denn auch verhältnismäßig spät in die Messe, nicht ohne Betonung der Absicht, ja wurde in Rom anfänglich nur vom Kleriker am Altar gesungen: als gläubige Zustimmung zu dem aus dem Evangelium Gehörten und als Grundlage der folgenden Opferung, die eben im Glauben ihre tiefste Wurzel hat.

Gewöhnlich beginnt der Priester mit dem nikäanisch-tridentinischen Bekenntnis: Credo in unum deum, worauf der Chor fortfährt: patrem omnipotentem … In der d- und in der e-Messe hält Bruckner wie die Wiener Klassiker an dieser Gewohnheit noch fest; in der f-moll wiederholt er, abweichend, das volle Bekenntnis des Priesters.

Das Fortissimo, die Markigkeit der Linie, die Festigkeit der Prägung machen das Credomotiv zu einem Hauptereignis der Messe: es bezeugt in seinem Ausdruck die fides firma, die fides intrepida, die felsenfeste Unerschütterlichkeit. In schweren Viertelnoten schreitende Orchesterbässe geben der Chormasse Flugkraft, es sind die zur fides viva, zur Glaubens tat drängenden Stimmen. Fast als Dogmatiker hat Bruckner das tridentinische Credo gestaltet. Wenn er später in der Des-dur-Pracht aller Bläser in breitester Chormelodie und wahren Verzückungsausdruck Jesus als deum verum de deo vero bekennt, dann steigert er den Glauben zur welterobernden Macht.

Das Credo-Motiv wirkt auch insofern formal-gestaltend auf den musikalischen Ablauf ein, als es bei jeder der drei göttlichen Personen, Vater, Sohn, Heiliger Geist von neuem angestimmt wird. Dazwischen malt die Ehrfurcht deren Attribute aus, so den Schöpfer der sichtbaren Dinge, und, im Halbton sinkend, den der Unsichtbaren (Unisono-Flüstern des Chors in der Fremdnote Cis), das lumen de lumine (lichtstrahlendes Aufgehen von vier Solostimmen im pp, C-dur), schweigende Anbetung des Unfaßbaren im herabgleitenden Unisono (natum ante omnia saecula), Tiefsprünge der Oktave beim Descendit, und erwartungsvolles Abbrechen.

Nun folgt das Glaubensgeheimnis: et incarnatus est in der Verklärungsform. In E-dur eine Solotenorstimme in süßer Kantilene, mysteriöse hohe Bläserachtel und die verherrlichende Solovioline: alle Farben zarter Verehrung und keuschen Meldens sind vereint. Und den Absätzen des Tenor-Ariosos folgt im Abstand, zweimal wie bejahend, ein Nachgesang der Posaunen: so ist es …

Schwer keuchende Violinsynkopen zeigen die wachsende Angst des Künstlers beim Crucifixus: er ist als Zuseher am Leiden und Sterben Jesu Christi erlebend beteiligt: – was wird nun geschehen …? Er schildert nicht einen realen Vorgang wie in der d-Messe – er will persönlich zum Mitleiden auffordern. Das Baßsolo ruft das Passus in Schmerzvorhalten, der Chor wiederholt es voll Erschütterung, das Orchester erstarrt vor dem Ungeheuern, der a-cappella-Chor bohrt sich in die Vorstellung des Gelittenhabens ein: versteht man, daß ein Gottmensch leiden kann – für uns leiden, die wir Sünder waren? (Römerbrief, V. 10).

Darauf eine Szene voll Glanz: Et resurrexit, Jesu Auffahren in den Himmel. Bruckners gothische oder domige Begleitungsfiguren steigen aus der Stufe, domig, weil sie nur lapidare Schritte, keine profane Passagenlust kennen. Und darauf erheben sich die Marmorsäulen des Triumphakkordes E-dur. Schilderte Bruckner die Auferstehung in der d-Messe naturalistisch, so zeigt er hier nur seine Jubelgebärde über das Geschehnis selbst, seine Technik hat an Vergeistigung gewonnen. Beim Ascendit in coelum werden die Chordreiklänge achtstimmig: das Reich Christi, des Königs, ist gegründet, und der Künstler preist die objektive Sicherheit des Bleibens, das Erhabene und Dauernde der Herrschaft. Christus wird aber wiederkommen im Ruhm, um zu richten die Lebendigen und die Toten: einander ablösende und zurufende Stimmen, drohende Bässe verkünden diese Wiederkunft, ein furchtbares Tremolo der hohen Streicher durchzittert den Raum, Des-dur bricht herein, und das Bild des »cum gloria« thronenden ewigen Richters selbst geht auf, ein Gewalteindruck, den die Kunst nur in Michel Angelos Jüngstem Gericht und sonst selten erreicht hat. Tiefe pp-Soprane, die plötzlich in die ff-Oktave aufschauern, sprechen von der Angst der Herzen, die zackigen Baßstimmen von der Wucht des Gerichts.

Das folgende gilt der musikalischen Ausmalung des endlosen Königtums Christi, worauf (Buchstabe L) der Schlußteil beginnt, der sich mit dem vollen Credomotiv der dritten Person zuwendet. Das gleiche Motiv deutet die Gleichheit der drei Personen an, die streng katholische Anschauung wirkt formend auf den Satz. Mit den Worten et vitam venturi saeculi amen (Buchstabe P) wäre der Messetext zu Ende. Nun folgt aber eine grandiose Zusammenfassung des Ganzen.

Eine Art Coda beginnt. Die einzelnen Stimmen versuchen zur Melodie des Credomotivs das vitam venturi anzustimmen; schon scheint sich daraus ein fugierter Satz zu entwickeln; aber höher als polyphone Leidenschaft steht dem Künstler das Bekenntnis. In alles Geschehen, Ansetzen, Beabsichtigen, kurz in alle Pläne ruft der zu Stein zusammengewachsene Chor sein Credo, nichts als Credo! Zuletzt werden alle Stimmen zu einer einzigen breiten Machtstimme, die an den Schluß den Anfang setzt, das Alpha zum Omega, das Credo. Deutlich spricht der Künstler in die Welt: unum necessarium, Eins tut Not, der Glaube!

Bruckner bekennt hier, über den Anlaß hinausgehend, sein Individualethos der Gläubigkeit als Herold und Kämpfer.

Das Sanctus hat in der »Handlung« der Messe eine bestimmte Funktion: die Präfation hat eben mit der Zitierung der Engel aufgehört, der Priester richtet an Gott die Bitte, der Gemeinde zu erlauben, ihre Stimmen unter die der Engel zu mischen. Unmittelbar darauf stimmt die Gemeinde nun ihr »Sanctus« an, getragen, leise geschwellt, ehrfürchtig, wie es sich in Gegenwart der Engel geziemt, deren seraphische Stimmen das hochgelagerte, ganz zart instrumentierte Orchester andeutet. Erst beim Dominus Deus Sabaoth erhebt die Chormasse die volle Stimmenkraft, um sogleich im »Sanctus« pp zu erschauern. Um die Wahrhaftigkeit zu bekräftigen, klingt aber das Deus Sabaoth entfernt an das C-dur des Credo an.

Nach dem Pleni sunt coeli löst sich aus dem Chor eine einzelne, helle Sopranstimme: Hosanna in excelsis. Es ist der frische, fröhliche Kinderjubel, der bei Jesu Einzug in Jerusalem ertönte, die Kinder reißen auch die Alten mit, alle Stimmen bekommen die Jubelgebärde, die Soprane werden von der Ekstatik des Künstlers bis zum hohen B geschleudert, und das Stück schließt mit dem verbindenden Wohlgefühl der Lobpreisenden.

Als Kirchenlyriker steht Bruckner am höchsten im Benedictus. Die Wandlung ist vorbei, die Herzen haben nur noch eine Sehnsucht, die der Anbetung. Bei Bruckner ist diese Sehnsucht persönlich gesteigert. Er hatte in Krankheit gelegen, ein Irrender und Leidender: nun gab ihm Gott die Kraft zur Arbeit zurück, und er verströmt sich in einem großen, schwärmenden Gesang des Genesenen. In voller Seligkeitsgebärde beginnt er in As-dur, der Seligkeitstonart, eine Melodik von Innigkeit und Ritterlichkeit, deren zweiter Teil, f-moll, mit dem Baßsolo beginnend, die Innigkeit zur mystischen Beschauung wandelt. Nirgend hat er solche lyrische Tiefen, nirgend solchen Reichtum des Gedankens entwickelt, wie hier in diesem fließenden, klar gegliederten Lied der Anbetung. Bei der letzten Wiederholung entführt Überschwang des Herzens die Benedictusmelodik in fremde Tonarten, hebt sie auf den heimatlichen Terzquartakkord und läßt sie in frohlockenden, himmlischen Schalmeien verklingen (was im Andante der Vierten Sinfonie wiedererklingt). Vielleicht darf man annehmen, daß etwas von der Benedictusmystik in die sinfonischen Adagios übergegangen ist, auch wenn sie nicht motivisch zitiert wird, wie im Andante der Zweiten Sinfonie. Das Kinderhosanna aus dem Sanctus schließt dieses Herzstück der ganzen Messe ab.

Das Agnus wird liturgisch vom flehentlichen Gedanken bestimmt und führt, im Großen betrachtet, zur Misereregebärde des Kyrie zurück. Es steht auch im Kyrie-Moll. (Für den Musiker bemerkenswert sind Terzengänge zum Halbschluß, wie sie sich im Adagio der Dritten Sinfonie finden, sowie Sextengänge von Mozartscher Lieblichkeit.) Zuletzt aber erhellt sich der Himmel, und das Kyriethema erscheint im sanften Licht von F-dur zum Dona nobis pacem, zur Friedensbitte. Es ist dies nicht geradezu Bruckners Erfindung, aber er betont in sinnvoller Schönheit die Einheit des Messegedankens, zumal wenn er dem Dona noch das Motiv der Amenfuge unterlegt, ja zuletzt das Credo als Hauptmotiv anklingen läßt: das beseligende Bekenntnis, still vor sich hin wie im Kämmerlein gesungen, faßt das Gläubigkeitsethos zusammen –, damit entläßt der Künstler den Hörer.

 

Die Messe des Katholizismus hat eine schöne dreiteilige Gliederung: ein Teil umfaßt Introitus, Kyrie, Gloria und Credo; ein zweiter Offertorium, Sanctus, Wandlung, Benedictus und Agnus; zuletzt folgt Communio und Segen. Der erste Abschnitt führt steigernd weiter, die Linie der Messe erreicht den Hochpunkt in der Wandlung und sinkt dann langsam dem Ende zu. Diese domhafte Form hält auch die Brucknersche Messenmusik ein.

Eine andere Absicht und Gestalt hat das Tedeum. Sein Text ist der Hymnus, den Ambrosius, der Bischof von Mailand, mit dem heiligen Augustinus zusammen geformt haben soll: ein Preisgesang auf Gott, durchbrochen von Gebeten. Bruckner beginnt den Hymnus mit der in Vollkraft vereinten Stimme des modernen Orchesters (3 Trompeten, 3 Posaunen, Kontrabaßtuba), dem Orgel- und Chorfortissimo, ein Einsatz, der selbst schon einen Höhepunkt zu bedeuten scheint. Und so verhält es sich auch. Die seelische Lage des Tedeumkomponisten ist ungefähr diese: er steht unter dem Druck einer Erlebnismacht, er hat nach Worten gerungen, von neuem gesucht und nichts gefunden –, auf einmal brechen die Schleusen seiner Seele, und es strömt das einzige heraus, das aufgestapelte Erregung löst: Tedeum laudamus – der Gottespreis!

Dies erklärt den Kraftanfang des Werks, sein geballtes Chorunisono, den schmetternden Einklang des Posaunen- und Trompetenchors mit dem Hauptmotiv, sein paukendurchdonnertes Festlichkeits-C-dur, die Jubelgestik dessen, der den erleuchteten Dom und den Bischof im Ornat als Diener des Unfaßbaren vor sich sieht. Die lapidaren Begleitungsfiguren der Streicher wurden als »Riesenschaukel« verhöhnt, sind aber wie die in der f-moll-Messe unprofane Passagen, rein katholisch empfunden.

Dieser Gewaltsatz, dessen Rhythmik sich wenig ändert, und dessen Festlichkeit alle Farbenwechsel harmonischen Reichtums unterstützen, endet beim Te Ergo, dem ersten der beiden Gebete. Das Te Ergo hat die schon in der f-moll-Messe auftretende verklärende Gebetsform: die melodische Solostimme, die klopfenden Begleitachtel und die verherrlichende Solovioline in Sechszehntelfiguren. Darauf das hymnische Aeterna fac mit den verkürzten Oktavschreien des Tenors, wie sie ebenfalls schon jene Messe kennt, und als zweites Gebet das Salvum fac in der gleichen Anlage und Gestalt wie das Te Ergo. An lyrischer Formerfindung scheint der Künstler nicht gleich reich zu sein wie an melodischer und rhythmischer.

Mit dem Per singulos dies beginnt der Schlußteil, der das kurze Werk zu den Höhen der Finalekstatik führt. Ein ethischer Gedanke, der der unbesieglichen Hoffnung auf Gott, hat hier zwei musikalische Gestaltungen gefunden: den Gewaltchoral Non confundar in aeternum, der erst in einsamer Stellung angestimmt, noch nicht voll entwickelt, gleichsam ein Eingangstor bildet zu der Fuge, und das Thema eben dieser Fuge: In te Domine speravi.

Der Künstler steht vor den letzten Steigerungen seines Werks. Wird er das würdige Instrumentum dei sein? Seine Kraft zum wahren Gotteshymnus ausreichen? Und mit welchen letzten Mitteln? Er hat mit Steigerungen begonnen, nach denen bei anderen nur Erschöpfungen folgen können; er hat Erfindung und Technik, aber die Kraft des Glaubens wird sie zur Übererfindung, zur Übertechnik steigern, er wird nicht zuschanden werden.

Zunächst war die Homophonie des Anfangs leicht zu überbieten, und zwar durch die Polyphonie, und die Summe seiner kontrapunktischen Wissenschaft aus den Sechterjahren ziehend, quadert er eine Fuge auf, die die Lyrik der Sänger zur forttreibenden Handlung macht und dem Tedeum die Innenmächte verleiht: ein Brokatmantel, nicht auf den Schultern eines Bettlers, sondern eines Königs. Hätte sein Zeitgenosse Hugo Wolf diese Riesentechnik besessen, dann wäre sein geistliches Oratorium »Christnacht« zu einem höheren Schluß gekommen.

Und dann erfindet die Phantasie eines Unerschöpflichen einen Choral von einer Inbrunstgewalt, wie sie nur die frühchristlichen Erfinder der Urchoräle hatten – hier triumphiert der Enkel des Mittelalters – das Gebilde steigt als neue Welt ans Licht – und nun steht man im unmittelbaren Erlebnis des um die Ekstatik ringenden Künstlers.

Er zwingt die Stimmen bis an die Grenzen, er treibt den Tenor über Regel und Gewohnheit zu Hochtönen, die, als Vorhalte betrachtet, geistig schon über dem Sopran liegen, und den Chor mit unerhörter Druckkraft erfüllen. Und doch alles so, als zwänge er seine eigene Stimme zu diesen letzten körperlichen Möglichkeiten, die erst dann aufhören dürfen, wenn er die Antwort Gottes zu hören glaubt. Er läßt die Chorkraft abnehmend zurückgehen, die Höhen aber nicht sinken: er hält die Stimmen wie mit zitternden, Fäusten in ihren Mühen und Spannungen fest, schiebt sie höher und drängt unter das B des Soprans noch dissonierende Akkorde, die die seltsamste Konsonanz ergeben – bis eine Bresche in den Himmel gesungen ist, wohinein nun die Kolonne des Chorunisono in Allebreve-Freude stürmt: non confundar in aeternum!

Der Hoffende hat den Schemel Gottes erreicht, der Hymnus seine Höhe erkämpft.

Bruckner, der, um einen einzigen merkwürdig gelagerten Vorhaltston zu hören, die Wagnersche Götterdämmerung aufsuchte, hat, oben auf der Galerie des Opernhauses sitzend, künstlerische Vorstudien zu dieser Tedeum-Extase getrieben. Niemand hätte in dem simpeln Zuhörer einen Schwerarbeitenden vermutet, dessen ergreifendes Kämpferbild der Schlußsatz des Tedeums zurückließ. Nur wer solches Ethos selbst erprobte, durfte verkündigen: Ich werde nicht verworfen in Ewigkeit!


 << zurück weiter >>