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Sankt Florian

Die geistlichen Stifte, namentlich die des Donautals wie Klosterneuburg, Melk, Hochgöttweih, aber auch Seitenstetten, Herzogenburg, Kremsmünster, gehören zum schönsten Kulturbesitz Alt-Österreichs. Landbeherrschend, auf Hügeln gralsburghaft aufsteigend, stehen sie als geistliche Riesenschlösser, abgewandt und verklärt, einsam und anheimelnd, mit den rhythmischen Reihen ihrer vielgefensterten Fassaden eine Stadt umschließend, über die die Türme der Stiftskirche als Zeichen ragen. Ausgedehnte Höfe, edelgestimmte Plätze empfangen den Eintretenden, blendend weiße, saubere Gänge geleiten ihn, während geheimnisvolle Stille das immer festliche, weiträumige Gebäude durchfließt, eine entrückte Feierlichkeit, von irgendwoher schwebend, diese Innenwelt durchklingt.

So auch in Sankt Florian, dem ältesten Stift des Landes. Steile Dorfgassen emporklimmend, sieht man im Torausschnitt die ungeheure weiße Stirnwand durch den Park schimmern. Unter seiner Erde liegt die Römerwelt. Die Adler der Legionen zogen hier vorbei nach Laureacum, der Soldatenstadt, heute Lorch; hier starb der Oberst Florianus für den neuen Glauben in der Enns den Tod des Blutzeugen; hier begann die Christlichkeit des Landes. Der Leib des Heiligen verlor sich, sein Name weihte den Boden. Nach den Türkenkriegen haben Augustiner Chorherren die barocke Pracht des Stifts erbaut, sechzig Jahre schufen sie an seinen riesenhaften Ausmaßen, als sollte nun der Raum sich selbst verherrlichen. Hell und freudenrein wölbt sich das weiße Stiegenhaus mit dem Blumen- und Rankenspiel seiner Stuckdecken, lange Fluchten von Prunkzimmern, heute unbenützt, durchqueren den Bau, und man steht sehr klein in dieser perspektivisch sich verlierenden Ausdehnung, durchschreitet wortlos das grüne, blaue, gelbe, das Papst-, das Prinz Eugen-, das Kaiser-Zimmer mit ihren spiegelnden Fußböden, Gemälden, Sprüchen, Seidentapeten, Gobelins, Gewaltöfen, Prunkmöbeln – eine Pracht, die nicht prahlt, Räume, die nicht profane Eile kennen, nur gemessenes Durchschreiten kaiserlichen, fürstlichen, päpstlichen Schritts.

Durch die hohen Fenster dringt die Donaulandschaft herein, der Stadtturm von Enns, der Kirchturm von Lorch, Kornfeld, Wiese, Obstgarten drängen an die Mauern, und drunter duckt sich mit den Giebelhäusern der Markt, der unterm Krummstab wohnt. Überall wandeln die Chorherren in schwarzer Sutane und weißem Rochetstreifen, das Kind, das sie sieht, das alte Weib, das vorübergeht, bückt sich zum Handkuß, die Klostersuppe, die den Armen gereicht wird, ist nicht bloß Suppe, und die Armen sind nicht bloß Arme: Chorherrnmilde fühlt in jedem Gast den Herrn Jesus selbst nahen.

Kurz vor Bruckners Eintritt besuchte (1835) der Klosterneuburger Stiftsherr Albin Bukowski auf seiner Biedermeierreise Sankt Florian, findet die Kirche vom schönen, kräftigen Schlag der Bauersleute erfüllt, bewundert den Herrn Stiftskellermeister, der ein Weinchen von anno 1783 kredenzt, schildert die Herrn Kapitularen, vor allem den »kavaliermäßigen« Herrn Gastmeister Mayer, den großen Naturforscher Schmidtberger, den obderennsischen »Tacitus« Kurz, staunend, welch gelehrte und unterrichtete Männer Sankt Florian zu den Seinen zähle. Und der knorrige Hansjakob, der den gastherrlichen Klosterpalast auf seinen letzten Fahrten, ein paar Jahre nach Bruckners Tod, besuchte, mochte im Speisesaal »eigentlich nur Marzipan essen und Schampagner trinken« und fragt, ob nicht auch der lebenslustige Barockstil, der diese Herren überall umgibt, zur allgemeinen Jugendfrische der St. Florianer beitrage.

Das Herz des Ganzen aber ist die Kirche. Über Katakomben, worin die ersten gotischen Mauern wie Kadaver ruhen, erhebt sich weiß und festlich das hochgewölbte Schiff mit seiner Säulen- und Raumpracht. Man rät auf italienische Barockkünstler, und in der Tat haben Carlo und Bartolomeo Carlone aus Mailand, zwei Brüder, diesen Bau (von 1687 bis 1700) ausgeführt. In Freuden Gott dienen … das könnte Segensspruch der hellen Kirche sein. Die Symbolik von Wänden und Portal, die bunten Freskomalereien der Decke, die heiteren Emporen, der Hochaltar, von dem die himmelfahrende Madonna des Römers Ghezzi leuchtet, die schwarze Kanzel aus Lilienfelder Marmor, das tiefbraune Chorgestühl, das Gold und Silber der Geräte, die geometrische Grundlage des Raumganzen, das aus Gegenwart und Leben ins Zeitlose strebt, die weitlaufenden, sich aufschwingenden, in Bögen zurückrauschenden Linien, die die Himmelskuppel nachzubilden scheinen – das alles muß mit seiner Wucht befreiend, nicht bedrückend, auf Bruckners junges Gemüt gewirkt und ihm seine Gewalt für immer zurückgelassen haben: der Geist einer weihevollen, traditionserfüllten Kulturstätte der Provinz gab dem Mann ein unverlierbares Gut mit.

Dem Hochaltar gegenüber aber steht die große Orgel, selbst ein Altar der Musik. Sie ist ein Werk des Laibacher Priesters Krismann, der sie im Auftrag des Propstes Matthäus des Zweiten 1771 mit einer bestimmten Bedeutung errichtete. Dieser lebensfrohe Kirchenfürst – sein Bild in der Gemäldesammlung zeigt einen Herrn von fast grütznerischem Ausdruck – hatte in Rom studiert und fand, zurückkehrend, Aug' und Seele von Kunst erfüllt, nichts mehr zu bauen und zu schmücken – da verwirklichte er einen barocken Traum und ließ die Kirche mit einer Orgel versehen, die seinen Namen den künftigen Mitgliedern des Stifts täglich in hundert Zungen verkündete. So entstand die weißumbaute Orgel, die, mit ihren 92 Registerzügen und 78 klingenden Stimmen, nach wechselvollen Schicksalen von Mauracher in Salzburg ausgebaut, eine Berühmtheit unter ihren königlichen Schwestern geworden ist.

Sie steigerte alle Brucknerschen Orgel-Erlebnisse. Wenn er als Sängerknabe seine Stimme in den Raum ausschickte, wenn er später selbst die Orgel spielte, dann mußte der Tönend-Betende in der andächtigen Gemeinde seine ersten Zuhörer erblicken, und, als Mensch mit größeren musikalischen Raumvorstellungen geboren, sich öffnen für Pracht und Wölbung, Stimmenfülle und Verklärtheit einer feierlichen Raummusik, die als einziger großer Gesang zwischen Diesseits und Jenseits schwebte. Hier, nicht im Konzert-Orchester Josef Haydns, fand die sinfonische Empfängnis des Künstlers statt.

In den Kreis der weithin wirkenden Stiftsherren, deren Propst damals Michael Arneth, ein Bruder des Wiener Altertumsforschers Josef Arneth war, trat Bruckner freilich zunächst nur als Benjamin und Lehrling. Gewiß hat er oft den Marmorsaal betreten, den Altomonte schmückte, die Bücherei, die Handschriften gesehen, die Münzen, Kupferstiche und Gemälde, kurz alles, was edles Sammeln und Genießenwollen häufte. Seine Mutter wohnte eine Stunde weit in Ebelsberg, wo 1809 die Franzosen marschierten, heute noch Brunnen und Haus von Napoleon erzählen, wo die Traun blaugrün vorüberschäumt und der Rüssel des fernen Traunstein sichtbar wird. Sein Geburtsort Ansfelden lag ganz nahe, das Auge der Heimat ruht auf ihm, und älter werdend wächst er in diese Gemeinschaft, als wäre er deren freiwilliges Mitglied, ihr innerer Bruder, und findet hier sein geistiges Zentrum, die bergende Insel im Strom der Welt.

Als er später nach Wien kommt, geht er dahin gleichsam wie die andern geistlichen Abgesandten, die als Professoren oder Archivare wirkten, innerlich von Sankt Florian abhängig, trägt Sitten und Gewohnheiten der Stiftsherren, ihr Frommsein, ihre katholisch-genießerische Art mit sich (soweit seine Zech- und Bierfreuden dazu gehören) – die ganze patriarchalisch gestimmte Lebensführung, das Handkuß- und Bücklingswesen nimmt er von dort mit sich, ja bis in seinen altgeistlich gefärbten Briefstil hinein klingt Sankt Florian (wenn er den Empfänger »edler Freund« anspricht, wie aus dem Lateinischen übersetzt), und, aus den Wirren der Stadt wie aus dem Land der Heiden flüchtend, sucht er im Sommer immer wieder den heiligen Boden auf, seine Stiftsfamilie, die ihn mit Himmel und Welt verbindet.

In den ersten Jahren freilich hat er noch nicht viel Verbindung mit dem Stiftsleben selbst. Er besucht, wie erwähnt, die Volksschule im Markt – als Dreizehnjähriger, in einem Alter, wo heutzutage die Volksschule gewöhnlich verlassen wird – und wohnte bei dem Schulleiter, Michael Bogner, der die Sängerknaben beaufsichtigte und verköstigte. Seine Lehrer waren nicht Chorherren, sondern Stiftsbeamte, und zwar in erster Linie der tüchtige Stifts-Organist Kattinger für Orgel- und Klavierspiel, dann der Regens Chori Schäffler; im Violin-, Klavierspiel und Gesang überdies noch Gruber, der, am Wiener Konservatorium ausgebildet, als Schüler des berühmten Quartettisten Schuppanzigh eine gewisse Beethoven-Überlieferung mitbrachte.

Der Schulgehilfe Steinmayr ist es aber, der Bruckner für den sogenannten Präparandenkurs vorbereitet, denn der junge Bruckner will der überlieferten Linie folgen und Lehrer werden. Nach der alttheresianischen Schulordnung von 1775, die ihrem Wesen nach noch galt, waren die in den Provinzialhauptstädten befindlichen Normalschulen mit Präparandien verbunden, das ist mit Kursen zur Heranbildung von Volksschullehrern. Ein solcher Kurs dauerte drei oder sechs Monate, später etwas länger, was hinlänglich erschien, um einen fertigen Lehrer auszubacken. Auch in Linz gab es eine Präparandie, und nachdem Steinmayr im Sommer 1840 seinen Zögling zur Ablegung der Aufnahmeprüfung nach Steyr geführt hatte, ging der sechzehnjährige Bruckner im Herbst darauf nach Linz, um »auf den Schulgehilfen zu studieren«. Er wohnte in der Bethlehemstraße bei einer Greislerin; ärmlich war auch sein Studium. Gräflinger hat die Gegenstände veröffentlicht, die der künftige Bauernkinderlehrer »erlernte«, und die Noten beigefügt, die der Lehramtskandidat bei der Prüfung im Herbst 1841 erhielt; Religionslehre, Kurrent-, Latein- und Kanzleischrift, Rechtschreibung, Vortrag, Sprachlehre, Rechnen, Schreibart, Geographie, wozu noch das »Verfahren« kam, das ist offenbar die Methodik. Alles wurde »gut« oder »sehr gut« bestanden und Bruckner hierauf als Gehilfe für Trivialschulen (das ist für die gewöhnlichen Volksschulen) geeignet befunden.

Außerdem hört er während des Präparandenkurses Vorlesungen über die Harmonie- und Generalbaßlehre und über das Orgelspiel, wie ein Zeugnis vom 30. Juli 1841 besagt. In zwei Linien bewegt sich seine Entwicklung, nach dem Lehrer kommt der Musiker. Im Oktober 1841 wird der so »Ausgebildete« zum Schulgehilfen (Unterlehrer) in Windhaag an der Maltsch ernannt.


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