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Neunundzwanzigstes Kapitel

Aber heftig fühlte sie sich hinweggerissen. «Nachtbrennerin, nie soll er dir vergeben! Komm Witichis, mein Witichis. Folge mir! Du bist frei.» Der König sprang auf, von dieser Stimme wie aus Betäubung geweckt. «Rauthgundis! Mein Weib! Ja du logst nie! Du bist getreu. Ich hab' dich wieder.» Und tief aufatmend, jauchzend aus voller Brust, breitete er die Arme aus. Sein Weib flog an seine Brust, und sie weinten beide süße Tränen der Liebe und der Freude.

Mataswintha aber, die sich erhoben hatte, wankte gegen die Mauer. Sie strich sich langsam die roten, losgegangenen Haare aus der Stirn und blickte auf das Paar, das der Mondstrahl, der durch die Turmluke fiel, hell beleuchtete.

«Wie er sie liebt! Ja, ihr würd' er folgen in Freiheit und Leben. Aber er muß ja bleiben! Und sterben – mit mir.»

«Säumt nicht länger!» mahnte von der Kerkertüre her die Stimme Dromons.

«Ja, rasch fort, mein Leben!» rief Rauthgundis. Sie zog einen kleinen Schlüssel aus dem Busen und tastete an den Ketten, des Schlosses kleine Öffnung suchend.

«Wie? Soll ich wirklich noch mal hinaus?» fragte der Gefangene, halb in seine Betäubung zurücksinkend.

«Ja, hinaus in die Luft und Freiheit», rief Rauthgundis und warf die losgeschlossenen Armfesseln zur Erde. «Hier Witichis, eine Waffe! Ein Beil! Nimm!»

Begierig ergriff der gotische Mann die Axt und holte kräftig damit aus: «Ah! die Waffe tut dem Arm, der Seele wohl!»

«Das wußte ich, mein tapfrer Witichis!» rief Rauthgundis, kniete nieder und schloß die Kette auf, die seinen linken Fuß an den Steinblock gefesselt hielt. «Nun schreite aus! Denn du bist frei.»

Witichis tat, das Beil in der Rechten hebend, hoch sich reckend, einen Schritt gegen die Türe.

«Und sie darf seine Ketten lösen!» flüsterte Mataswintha.

«Ja, frei!» sprach Witichis, hoch aufatmend. «Ich will frei sein und mit dir gehen.»

«Mit ihr will er gehen!» rief Mataswintha und warf sich dem Gatten in den Weg. «Witichis – leb' wohl – geh! – Nur sage mir nochmal – daß du mir vergibst.»

«Dir vergeben?» rief Rauthgundis. «Nie! Niemals! Sie hat unser Reich zerstört. Sie hat dich verraten. Nicht der Blitz des Himmels – ihre Hand hat deine Speicher verbrannt!»

«O so sei verflucht!» rief Witichis. «Hinweg von dieser Schlange der Hölle!» Und sie von der Pforte hinwegschleudernd, schritt er über die Schwelle, gefolgt von Rauthgundis.

«Witichis!» rief Mataswintha, «höre mich noch einmal! Witichis!»

«Schweig!» sprach Dromon, ihren Arm ergreifend. «Du wirst ihn verderben.»

Aber Mataswintha, ihrer nicht mehr mächtig, riß sich los und folgte die Stufen hinauf in den Gang.

«Halt!» rief sie, «Witichis! Du darfst nicht so hinweg. Du mußt mir verzeihn.» Da brach sie ohnmächtig zusammen.

Dromon eilte an ihr vorbei, den Fliehenden nach.

Aber schon hatte das gellende Rufen den Mann des leisesten Schlafes geweckt.

Cethegus trat, das Schwert in der Hand, nur halb gegürtet, aus seinem Schlafgemach auf den Gang, dessen offne Bogen in den viereckigen Palasthof blickten.

«Wachen», rief er, «unter die Speere!» Auch Soldaten waren merksam geworden. Kaum hatten Witichis, Rauthgundis und Dromon den Gang und die Gangtüre durchschritten und, gerade dieser gegenüber, die Gemächer Dromons erreicht, als sechs isaurische Söldner laut lärmend in den Gang hineinstürmten.

Rasch sprang Rauthgundis aus der Halbtür, sprang auf die schwere eiserne Gangtür zu, warf sie klirrend ins Schloß, drehte den Schlüssel um und zog ihn heraus. «Die sind geborgen und unschädlich!» flüsterte sie.

Schnell eilten nun die beiden Gatten von dem Gemache Dromons dem großen Ausgang zu, der aus dem Schloßhof auf die Straße führte. Mit gefälltem Speer trat hier der letzte Mann der Wache, der hier zurückgeblieben, ihnen entgegen. «Gebt die Losung», rief er. «Rom und? –»

«Rache!» sprach Witichis und schlug ihn mit dem Beile nieder.

Laut schreiend fiel der Söldner und warf noch den Speer den Flüchtigen nach: er durchbohrte den letzten der drei – Dromon.

Über die Marmorstufen des Palastes auf die Straße hinabspringend, hörten die Gatten die eingesperrten Soldaten donnernd gegen die feste Eisentüre schlagen, auch einen lauten Befehlruf hörten sie noch. «Syphax! Mein Pferd!»

Dann nahm sie Nacht und Dunkel auf.

Wenige Minuten darauf schimmerte der Palasthof von Fackeln, und Reiter flogen nach allen Toren der Stadt.

«Sechstausend Solidi wer ihn lebend, dreitausend wer ihn erschlagen bringt!» rief Cethegus – sich in den Sattel seines schwarzen Hengstes schwingend. «Nun auf, ihr Söhne des Windes, Ellak und Mundzuch, Hunnen und Massageten. Jetzt reitet, wenn ihr je geritten!»

«Aber wohin, Herr?» fragte Syphax, an seines Herrn Seite aus dem Palasttor sprengend.

«Das ist schwer raten. Aber alle Tore sind geschlossen und besetzt. Sie können nur etwa zu den Mauerbreschen hinaus.»

«Zwei große Mauerbreschen sind's.»

«Sieh dort den Jupiter, der eben aus der Wolke tritt im Ost. Er winkt mir. Ist nicht dort –?»

«Der Mauersturz am Turme des Aëtius.»

«Gut! Dort hinaus! Ich folge meinem Stern!»

*

Glücklich hatten inzwischen die Gatten, hindurchgelassen von Paulus, dem Sohn des Dromon, die nur halb ausgefüllte Mauerlücke durcheilt und in dem nahen Pinienhain der Diana Wachis, den Getreuen, und zwei Pferde gefunden. Wallada nahm die Gatten auf den Rücken.

Der Freigelassene ritt rasch voran, dem Ufer des hier sehr breiten Flusses zu. Witichis hielt Rauthgundis vor sich, hinter dem Hals des Rosses. «Mein Weib! Mit dir hatte ich alles verloren! Leben und Lebensmut. Aber nun will ich's noch einmal wagen um das Reich. Oh, wie konnte ich dich von mir lassen, du Seele meiner Seele.»

«Dein Arm ist wund vom Druck der Kette! So! Leg' ihn hier auf meinen Nacken, o du mein alles.»

«Vorwärts, Wallada! Rasch! Es gilt das Leben.»

Da bogen sie aus dem Dickicht des Hains ins Freie. Das Ufer des Flusses war erreicht. Wachis trieb sein bäumendes Pferd in die dunkle Flut. Das Tier scheute und widerstrebte. Der Freigelassene sprang ab. «Er geht sehr tief, sehr reißend. Es ist Hochwasser seit drei Tagen. Die Furt ist nicht zu brauchen. Die Gäule müssen schwimmen, und stark rechts abwärts wird's uns reißen. Und es sind Felsen im Fluß. Und das Mondlicht wechselt sooft und täuscht.» – Ratlos prüfte er am Ufer hin und her.

«Horch, was war das?» fragte Rauthgundis. «Das war nicht der Wind in den Steineichen.»

«Pferde sind's», sagte Witichis. «Sie nahen in Eile. Ja, wir sind verfolgt. Waffen klirren. Da – Fackeln. Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben. Aber leise!»

Und er führte sein Pferd am Zügel in die Flut.

«Kein Bodengrund mehr. Die Gäule müssen schwimmen. Halte dich fest an der Mähne, Rauthgundis, Vorwärts, Wallada!»

Schnaubend, zitternd, blickte das Tier in die schwarze Flut – die Mähne flog wirr kopfüber – die Vorderfüße vorgestreckt, den Hinterbug zurückgestemmt.

«Vorwärts, Wallada!» Und leise rief Witichis dem treuen Roß ins Ohr: «Dietrich von Bern!» Da setzte das edle Tier in stolzem Sprung willfährig in die Flut.

Schon jagten die verfolgenden Reiter aus dem Wald, voran Cethegus, ihm zur Seite Syphax, eine Fackel hebend. «Hier, im Ufersand, verschwindet die Spur, o Herr.»

«Sie sind im Wasser! Vorwärts, ihr Hunnen!»

Aber die Reiter zogen die Zügel an und rührten sich nicht.

«Nun, Ellak? Was zögert ihr? Sofort in die Flut!»

«Herr, das können wir nicht. Ehe wir zur Nachtzeit in fließend Wasser reiten, müssen wir Phug, den Wassergeist, um Verzeihung bitten. Wir müssen erst zu ihm beten.»

«Betet nachher, wenn ihr drüben seid, solang ihr wollt, nun aber –»

Da fuhr ein stärkerer Windstoß über den Fluß und verlöschte alle Fackeln. Hochauf rauschte die Flut.

«Du siehst, o Herr, Phug zürnt.»

«Still! Saht ihr nichts? Da unten, links?»

Der Mond war aus dem jagenden Gewölk getaucht.

Er zeigte Rauthgundis helles Untergewand; den braunen Mantel hatte sie verloren.

«Zielt rasch dorthin.»

«Nein, Herr! Erst ausbeten.»

Da war es wieder dunkel am Himmel. Mit einem Fluch riß dem Hunnenhäuptling Cethegus Bogen und Köcher von der Schulter.

«Nun rasch vorwärts!» rief leise Wachis, der schon fast das rechte Ufer gewonnen hatte, zurück – «ehe der Mond aus jener schmalen Wolke tritt.»

«Halt, Wallada!» rief Witichis, abspringend, die Last zu erleichtern, und sich an der Mähne haltend. «Da ist ein Fels! Stoße dich nicht, Rauthgundis.»

Roß, Mann und Weib stockten einen Augenblick an dem ragenden Stein, wo in gurgelndem, tiefem Wirbel das Wasser reißend zog.

Da ward der Mond ganz frei. Hell beleuchtete er die Fläche des Stroms und die Gruppe am Felsen.

«Sie sind es!» rief Cethegus, der schon den gespannten Langbogen bereit hielt, zielte und schoß. Schwirrend flog der lange, schwarzgefiederte Pfeil von der Sehne.

«Rauthgundis!» rief Witichis entsetzt. Denn sie zuckte zusammen und sank nach vorwärts auf die Mähne des Rosses, aber sie klagte nicht.

«Bist du getroffen?» – «Ich glaube. Laß mich hier. Und rette dich». – «Niemals! Laß dich stützen.»

«Um Gott, Herr, duckt euch! Taucht! Sie zielen!»

Die Hunnen hatten jetzt ausgebetet. Sie ritten bis hart an den Strom, bis in sein Uferwasser, bogenspannend und zielend.

Laß mich, Witichis! Flieh, ich sterbe hier.» – «Nein, ich lasse dich nie mehr!» Er wollte sie aus dem Sattel heben und sie auf dem Stein bergen. In hellem Mondlicht stand die Gruppe.

«Gib dich gefangen, Witichis!» rief Cethegus, sein Roß bis an den Bug in das Wasser spornend.

«Fluch über dich, du Lügner und Neiding.»

Da schwirrten zwölf Pfeile auf einmal. Hoch auf sprang das Roß Theoderichs und versank für immer in die Tiefe.

Aber auch Witichis war auf den Tod getroffen. «Bei dir!» – hauchte noch Rauthgundis. Fest mit beiden Armen umfing sie Witichis. – «Mit dir!»

Umschlungen verschwanden sie im Fluß.

Jammernd rief drüben Wachis im Schilf des Ufers noch dreimal ihren Namen. Er erhielt keine Antwort. Da jagte er davon in die Nacht.

«Schafft die Leichen ans Land!» befahl Cethegus düster, sein Roß wendend. Und die Hunnen ritten und schwammen bis an den Stein und suchten.

Aber sie suchten vergebens. Der rasche Strom hatte sie mit fortgerissen und die wieder vereinten Gatten mit sich hinausgetragen ins tiefe, freie Meer.

*

Am gleichen Tage war Prinz Germanus von Ariminum in den Hafen von Ravenna zurückgekehrt, bereit, demnächst Mataswintha nach Byzanz zu führen.

Diese war aus ihrer Betäubung erst durch die Hammerschläge der Werkleute geweckt worden, die das Mauerwerk neben der Gangtür durchbrachen, die eingesperrten Söldner zu befreien. Man fand die Fürstin auf den Kerkerstufen zusammengebrochen. Sie ward in vollem Fieber in ihre Gemächer hinaufgetragen, wo sie auf den Purpurpolstern ohne Laut und Regung, aber mit starr geöffneten Augen lag.

Gegen Mittag ließ sich Cethegus melden. Sein Blick war finster und drohend, sein Antlitz von eisiger Kälte. Er trat dicht an ihr Lager. Mataswintha sah ihm ins Auge.

«Er ist tot!» sagte sie dann ruhig.

«Er wollte es nicht anders. Er – und du. Dir Vorwürfe machen ist zwecklos. Aber du siehst, was das Ende wird, wenn du mir entgegen handelst. Das Geschrei von seinem Untergang wird unfehlbar die Barbaren in neue Wut treiben. Schwere Arbeit hast du mir geschaffen. Denn nur du hast ihm Flucht und Tod bereitet. Das mindeste, was du zur Sühne tun kannst, ist: meinen zweiten Wunsch erfüllen. Prinz Germanus ist gelandet, dich abzuholen. Du wirst ihm folgen.»

«Wo ist die Leiche?»

«Nicht gefunden. Der Strom hat ihn davongetragen. Ihn und – das Weib.»

Mataswinthens Lippe zuckte. «Noch im Tode! Sie starb mit ihm?»

«Laß diese Toten! In zwei Stunden werde ich mit dem Prinzen wieder kommen. Wirst du bis dahin bereit sein, ihn zu begrüßen?»

«Ich werde bereit sein.»

«Gut. Wir wollen pünktlich sein.»

«Auch ich. Aspa, rufe alle Sklavinnen herbei. Sie sollen mich schmücken: Diadem, Purpur, Seide.»

«Sie hat den Verstand verloren», sagte Cethegus im Hinausgehen. «Aber die Weiber sind zäh. Sie wird ihn wiederfinden. Sie können fortleben mit aus der Brust gerissenem Herzen.»

Und er ging den ungeduldigen Prinzen zu vertrösten.

Noch vor Ablauf der bedungenen Zeit kam eine Sklavin, beide Männer zur Königin zu entbieten.

Germanus eilte mit raschem Fuße über die Schwelle ihres Gemaches. Aber gefesselt von Staunen blieb er stehen. So schön, so prachtvoll hatte er die Gotenfürstin nie gesehen.

Sie hatte das hohe, goldne Diadem auf das leuchtende Haar gesetzt, das, gelöst, in zwei dichten Wellen auf ihre Schultern und von den Schultern bis über den Rücken floß. Das Unterkleid, von schwerster weißer Seide mit goldnen Blumen durchwirkt, war nur unterhalb der Knie sichtbar. Denn Brust und Schoß bedeckte der weite Purpurmantel. Ihr Antlitz war marmorweiß, ihr Auge loderte in geisterhaftem Glanz. «Prinz Germanus», rief sie dem Eintretenden entgegen, «du hast mir von Liebe geredet? Aber weißt du, was du geredet? Lieben ist sterben.»

Germanus sah fragend auf Cethegus.

Dieser trat vor. Er wollte sprechen.

Aber Mataswintha hob mit heller Stimme wieder an:

«Prinz Germanus, sie rühmen dich den Feinstgebildeten an einem weisen Hof, wo man sich übt in spitzer Rätsel Ratung. Auch ich will dir eine Rätselfrage stellen: sieh zu, ob du sie lösest. Laß dir nur helfen dabei von dem klugen Präfekten, der sich so ganz auf Menschengemüter versteht. Was ist das? Weib und doch Mädchen? Witwe und doch nie Weib? Vermagst es nicht zu deuten? Hast recht. Der Tod nur löst alle Rätsel.»

Rasch zur Seite warf sie den Purpurmantel. Ein breites, starkes Schwert blitzte. Mit beiden Händen stieß sie sich's tief in die Brust.

Aufschreiend sprangen Germanus von vorn, Aspa von rückwärts hinzu. Schweigend fing Cethegus die Sinkende auf Sie starb, sowie er das Schwert aus der Wunde zog. Er kannte das Schwert. Er hatte selbst ihr es einst gesendet.

Es war das Schwert des Königs Witichis.


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