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Zwölftes Kapitel

Da flog Syphax die Mauertreppe hinauf. Streng hatte ihm sein Herr verboten, sich am Kampf zu beteiligen: «Die Barbaren sollen dich nicht töten und auch dich nicht erkennen, – du bist unersetzlich als Sklave Mataswinthens und Kundschafter des Königs Witichis», hatte Cethegus gesagt.

«Wehe, wehe», schrie er so überlaut, daß es seinem Herrn, auffiel, der des Mauren kluge Ruhe kannte, «welch ein Unglück!» – «Was ist geschehen?» – «Constantinus ist schwer verwundet. Er wollte einen Ausfall führen aus dem salarischen Tor und stieß sogleich auf die gotischen Sturmreihen. Ein Schleuderstein traf sein Gesicht. Mit Mühe rettete man ihn auf den Wall. Dort fing ich den Sinkenden auf: er ernannte den Präfekten zu seinem Vertreter. Hier ist sein Feldherrnstab.»

«Das ist nicht möglich!» schrie Bessas, der auf Syphax' Ferse folgte. Er hatte in Person selbst neue Verstärkungen verlangen wollen und kam eben recht, die Nachricht zu hören. «Oder er war schon sinnlos, als er's tat.»

«Hätte er dich bestellt, jedenfalls», sprach Cethegus, ruhig das Zepter ergreifend und dem schlauen Sklaven mit einem raschen Wink des Auges dankend. Mit einem wütenden Blicke sprang Bessas von der Brüstung und eilte davon. «Folg' ihm Syphax, und beacht' ihn wohl», flüsterte der Präfekt.

Da eilte ein isaurischer Söldner herbei: «Verstärkung, Präfekt, ans portuensische Tor. Herzog Guntharis hat zahllose Leitern angelegt.» Da sprengte Cabaol, der Führer der maurischen berittnen Schützen heran: «Constantinus ist tot. Vertritt du Constantinus.»

«Belisar vertret' ich», sprach Cethegus stolz: «fünfhundert Armenier ziehet ab vom appischen Tor und schickt sie ans portuensische Tor.»

«Hilfe, Hilfe ans appische Tor! Alle Verteidiger auf den Zinnen sind erschossen!» meldete ein persischer Reiter, «die Vorschanze ist halb verloren, vielleicht ist sie noch zu halten: aber schwer! Aber unmöglich wär's, sie wieder zu nehmen!»

Cethegus winkte seinem jungen Juriskonsulten, Salvius Julianus, jetzt seinem Kriegstribun: «Auf, mein Jurist: ‹beati possidentis›! – Nimm hundert Legionäre und halte die Schanze um jeden Preis, bis weitere Hilfe kommt.» –

Und er sah von der Mauerkrone wieder hinab. Unter seinen Füßen tobte das Gefecht, donnerte der Mauerbrecher Hildebrands. Aber ihn kümmerte mehr die rätselhafte Ruhe, in welcher der König im Hintergrund unbeweglich stand. «Was hat er nur vor?»

Da dröhnte von unten ein furchtbar krachender Stoß und lauter Siegesjubel der Barbaren: Cethegus brauchte nicht zu fragen: in drei Sprüngen war er unten.

«Das Tor ist eingestoßen!» riefen ihm entsetzt die Seinigen entgegen. «Ich weiß es: jetzt sind wir selbst der Riegel Roms.» Und den Schild fester andrückend, trat er hart an den rechten Torflügel, in dem in der Tat ein breiter Riß klaffte: und schon stieß der Widder an die splitternden Platten neben der Öffnung. «Noch ein solcher Stoß, und das Tor liegt ganz», sagte Gregor, der Byzantiner. «Richtig, deshalb darf es nicht mehr dazu kommen. Her zu mir, Gregor und Lucius: stellt euch, Milites! Die Speere gefällt! Fackeln und Brände! Zum Ausfall! Winke ich, so öffnet das Tor und werft Widder und Schirmdach und alles in den Graben.»

«Du bist sehr kühn, mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, entzückt neben ihn springend.

«Ja, jetzt hat die Kühnheit Vernunft, mein Freund!»

Schon war die Kolonne gestellt, schon wollte der Präfekt das Schwert zum Zeichen des Angriffs erheben –: da erscholl vom Rücken her ein Lärm, größer selbst als der der stürmenden Goten. Wehegeschrei und Pferdegetrappel, – und Bessas drängte sich heran: er faßte den Arm des Präfekten: seine Stimme versagte.

«Was hemmst du mich in diesem Augenblick?» rief dieser und stieß ihn zurück. – «Belisars Truppen», stammelte entsetzt der Thraker, «stehen schwer geschlagen vor dem tiburtinischen Tor, – sie flehen um Einlaß, – wütende Goten hinter ihnen – Belisar ist in einen Hinterhalt gefallen: – er ist tot.»

«Belisar ist gefangen!» schrie ein Türmer vom tiburtinischen Tor, atemlos heraneilend. «Die Goten! Die Goten sind da! Sie stehn vor dem nomentanischen und vor dem tiburtinischen Tor!» scholl's aus der Tiefe der Straße. «Belisars Fahne ist genommen! Prokop verteidigt seine Leiche!» – «Laß das tiburtinische Tor öffnen, Präfekt!» drängte Bessas, «deine Isaurier stehen plötzlich dort. Wer hat sie dorthin geschickt?»

«Ich!» sagte Cethegus, überlegend.

«Sie woll'n nicht öffnen ohne deinen Befehl! Rette doch seine – Belisars – Leiche!»

Cethegus zauderte – er hielt das Schwert halb erhoben – er schwankte. «Die Leiche», dachte er,»rett' ich gern.«Da flog Syphax heran.»Nein, er lebt noch!» rief er seinem Herrn ins Ohr, «ich hab' ihn gesehen von der Zinne: er regt sich noch: aber er ist gleich gefangen: die gotischen Reiter brausen heran: – Totila, Teja, gleich sind sie bei ihm!»

«Gib Befehl, laß das tiburtiner Tor öffnen!» mahnte Bessas. Aber des Präfekten Auge blitzte: sein Antlitz überflog jener Ausdruck stolzer, kühner Entschlossenheit, der es mit dämonischer Schönheit verklären konnte. Er schlug mit dem Schwert an den zertrümmerten Torflügel vor sich: «Auf, zum Ausfall. Erst Rom: dann Belisar! Rom und Triumph!» Das Tor flog auf.

Die stürmenden Goten, schon des Sieges sicher, hätten alles eher erwartet als dies Wagnis der, wie sie wähnten, ganz verzagten Byzantiner. Sie waren ohne Fechtordnung um das Tor herum zerstreut, wurden völlig überrascht und durch den Anlauf der fest geschlossenen Reihe rasch in den hinter ihnen klaffenden Graben geworfen.

Der alte Hildebrand wollte seinen Widder nicht lassen.

Sich hoch aufrichtend, zerschmetterte er Gregor, dem Byzantiner, mit seinem Steinhammer den hochgeschweiften Helm und das Haupt. Aber gleichzeitig fast stieß ihn selber Lucius Licinius mit dem Schildstachel in den Graben. Cethegus zerhieb mit dem Schwert die Seile der Maschine, die krachend auf den Alten stürzte.

«Jetzt Feuer in die Holzmaschinen, die noch stehen», befahl Cethegus. Rasch loderten deren Balken auf in Flammen. Sogleich kehrten die siegreichen Römer zurück in die Wälle. Da rief Syphax dem Präfekten entgegen: «Gewalt, Herr, Aufruhr und Empörung! Die Byzantiner gehorchen dir nicht mehr! Bessas rief sie auf, das tiburtinische Tor mit Gewalt zu öffnen. Seine Leibwächter drohen, Marcus Licinius anzugreifen und deine Legionäre und Isaurier zu schlachten durch die Hunnen.»

«Das büßen sie!» rief Cethegus grimmig. «Wehe, Bessas! Ich will's ihm gedenken! Auf, Lucius Licinius, nimm den halben Rest der Isaurier! Nein, nimm sie alle! alle! du weißt, wo sie stehn: fasse die Leibwächer des Thrakers von Porta clausa her im Rücken. Und stehn sie nicht ab, – so hau' sie nieder, ohne Schonung, Hilf deinem Bruder! Ich folge gleich!»

Lucius Licinius zauderte. «Und das tiburtinische Tor?» – «Bleibt geschlossen.» – «Und Belisar?»

«Bleibt draußen.» – «Teja und Totila sind schon heran.» – «Desto weniger kann man öffnen. Erst Rom: dann alles andere. Gehorche, Tribun!»

Cethegus blieb noch, die Ausflickung des pankratischen Tores anzuordnen. Das währte sehr geraume Zeit. «Wie ging es, Syphax?» fragte dieser leise. «Lebt er wirklich?» – «Er lebt noch.» – «Tölpel, diese Goten!»

Da kam ein Bote von Lucius. «Dein Tribun läßt melden: Bessas gibt nicht nach: – schon ist das Blut deiner Legionäre am tiburtiner Tor geflossen. Und Asgares und deine Isaurier zögern, einzuhauen. Sie zweifeln an deinem Ernst.» – «Ich will ihnen meinen Ernst zeigen!» rief Cethegus, warf sich aufs Pferd, verließ diesen Teil der Stadt und jagte wie der Sturmwind davon.

Weit war sein Weg: über die Tiberbrücke des Janiculum, am Kapitol vorbei, über das Forum Romanum, durch die Sacra Via und den Bogen des Titus, die Thermen des Titus rechts lassend, über den Esquilin hinaus, endlich durch das esquilinische Tor an das tiburtinische Außentor: – ein Weg vom äußersten Westen an den äußersten Osten der weitgestreckten Stadt.

Hier, hinter dem Tore, standen die Leibwächter von Bessas und Belisar mit gedoppelter Front. Die eine Schar schickte sich an, die Legionäre und Isaurier des Präfekten unter Marcus Licinius an der Torwache zu überwältigen und das Tor mit Gewalt zu öffnen, während die zweite Front mit gefällten Speeren der Masse der andern Isaurier gegenüberstand, die Lucius vergeblich zum Angriff befehligte.

«Söldner», rief Cethegus, das schnaubende Roß dicht vor deren Linie anhaltend, «wem habt ihr geschworen: mir oder Belisar?» – «Dir, Herr», sprach Asgares, ein Anführer, vortretend, «aber ich dachte.» – Da blitzte das Schwert des Präfekten, und tödlich getroffen stürzte der Mann. «Zu gehorchen habt ihr, eidbrüchige Schurken, nicht zu denken!»

Entsetzt standen die Söldner. Aber Cethegus befahl ruhig: «Die Speere gefällt! Zum Angriff! Mir nach!» Und die Isaurier gehorchten ihm und nun, – ein Augenblick noch, und es begann in Rom selbst der Kampf.

Aber da erscholl von Westen, von der Richtung des aurelischen Tores her ein furchtbares, alles übertäubendes Geschrei: «Wehe, Wehe, alles verloren! Die Goten über uns! Die Stadt ist genommen!»

Cethegus erbleichte und blickte zurück. Da sprengte Kallistratos heran, Blut floß ihm über Gesicht und Hals. «Cethegus», rief er, «es ist aus! Die Barbaren sind in Rom! Die Mauer ist erstiegen.» – «Wo?» fragte der Präfekt tonlos. «Am Grabmal Hadrians!» – «O mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, «ich habe dich gewarnt.»

«Das war Witichis!» sagte Cethegus, die Augen zusammendrückend.

«Woher weißt du das?» staunte Kallistratos. «Genug, ich weiß es.» Es war ein furchtbarer Augenblick für den Präfekten.

Er mußte sich sagen, daß er, rücksichtslos seinen Plan zum Verderben Belisars verfolgend, eine Spanne Zeit Rom übersehen hatte. Er biß die Zähne in die Unterlippe.

«Cethegus hat das Grabmal Hadrians entblößt! Cethegus hat Rom ins Verberben gestürzt!» rief Bessas an der Spitze der Leibwächter.

«Und Cethegus wird es retten!» rief dieser, sich hoch im Sattel aufrichtend. «Mir nach, alle Isaurier und Legionäre.» – «Und Belisar?» flüsterte Syphax. – «Laßt ihn herein. Erst Rom, dann alles andre! Folgt mir!» Und im Sturmflug sprengte er zurück, des Weges, den er gekommen. Nur wenige Berittene konnten ihm folgen: im Laufe eilte sein Fußvolk, Isaurier und Legionäre, nach.


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