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Früh am andern Morgen wogte sowohl in Rom als in dem Lager der Goten geschäftige Bewegung.
Mataswintha und Syphax hatten zwar einiges entdeckt und gemeldet: – – aber nicht alles. Sie hatten von dem Gelübde der drei Männer gegen Belisar erfahren und den früheren Plan eines bloßen Scheinangriffs gegen das Sankt-Pauls-Tor, um von dem Gedanken an Belisars Geschick abzulenken. Aber nicht hatten sie erfahren, daß der König, in Änderung jenes Planes eines bloßen Scheinangriffs, für diesen Tag der Abwesenheit des großen Feldherrn einen in tiefes Geheimnis gehüllten Beschluß gefaßt hatte: es sollte ein letzter Versuch gemacht werden, ob nicht gotisches Heldentum doch dem Genius Belisar und den Mauern des Präfekten überlegen sei. Man hatte sich im Kriegsrat des Königs nicht über die Wichtigkeit des Unternehmens getäuscht: wenn es wie alle früheren, vereinzelten Angriffe – achtundsechzig Schlachten, Ausfälle, Stürme und Gefechte hatte Prokop während der Belagerung bis dahin aufgezählt – scheiterte, so war von dem ermüdeten, stark gelichteten Heer keine weitere Anstrengung mehr zu erwarten. Deshalb hatte man sich auf Tejas Rat endlich verpflichtet, über den Plan gegen jedermann ohne Ausnahme zu schweigen.
Daher hatte auch Mataswintha nichts vom König erfahren, und selbst ihres Mauren Spürnase konnte nur wittern, daß auf jenen Tag etwas Großes gerüstet werde; – die gotischen Krieger wußten selbst nicht was.
Totila, Hildebad und Teja waren schon um Mitternacht mit ihren Reitern geräuschlos aufgebrochen und hatten sich südlich von der valerischen Straße bei dem Grabmal der Fulvier, an dem in einer Hügelfalte Belisar vorbeikommen mußte, in Hinterhalt gelegt; sie hofften, mit ihrer Aufgabe bald genug fertig zu sein, um noch wesentlich an den Dingen bei Rom teilnehmen zu können.
Während der König mit Hildebrand, Guntharis und Markja die Scharen innerhalb der Lager ordnete, zog um Sonnenaufgang Belisar, von einem Teil seiner Leibwächter umgeben, zum tiburtinischen Tor hinaus. Prokop und Severinus ritten ihm zur Rechten und Linken: Aigan, der Massagete, trug sein Banner, das bei allen Gelegenheiten den Magister Militum zu begleiten hatte. Constantinus, dem er an seiner Statt die Sorge für den «belisarischen Teil» von Rom übertragen, besetzte alle Posten längs der Mauern doppelt und ließ die Truppen hart an den Wällen unter den Waffen bleiben. Er übersandte den gleichen Befehl dem Präfekten für die Byzantiner, die dieser führte.
Der Bote traf ihn auf den Wällen zwischen dem paulinischen und dem appischen Tor. «Belisar meint also», höhnte Cethegus, während er gehorchte, «mein Rom ist nicht sicher, wenn er es nicht behütet. Ich aber meine: Er ist nicht sicher, wenn ihn mein Rom nicht beschirmt. Komm, Lucius Licinius», flüsterte er diesem zu, «wir müssen an den Fall denken, daß Belisar einmal nicht wiederkehrt von seinen Heldenfahrten: dann muß ein andrer sein Heer mit fester Hand ergreifen.»
«Ich kenne die Hand.»
«Vielleicht gibt es alsdann einen kurzen Kampf mit seinen in Rom belassenen Leibwächtern: in den Thermen des Diokletian oder am tiburtinischen Tore. Sie müssen dort in ihrem Lager erdrückt sein, ehe sie sich recht besinnen. Nimm dreitausend meiner Isaurier und verteile sie, ohne Aufsehen, rings um die Thermen her: auch besetze mir vor allem das tiburtinische Tor.» – «Von wo aber soll ich sie fortziehen?» – «Von dem Grabmal Hadrians», sagte Cethegus nach einigem Besinnen. «Und die Goten, Feldherr!» – «Bah! Das Grabmal ist fest, es schützt sich selbst. Erst müssen vom Süden her die Stürmenden über den Fluß: und dann diese eisglatten Wände von parischem Marmor hinan, meine und des Korinthers Freude. Und zudem», lächelte er, «sieh nur hinauf: da oben steht ein Heer von marmornen Göttern und Heroen: sie mögen selber ihren Tempel schirmen gegen die Barbaren. Siehst du, ich sagte es ja – es geht nur hier gegen das Sankt-Pauls-Tor», schloß er, auf das Lager der Goten deutend, aus welchem eben eine starke Abteilung in dieser Richtung aufbrach.
Licinius gehorchte und führte alsbald dreitausend Isaurier, etwa die Hälfte der Deckung, ab: von dem Grabmal über den Fluß und den Viminalis hinab gegen die Thermen Diokletians. Belisars Armenier am tiburtinischen Tor löste er dann auch durch dreihundert Isaurier und Legionäre ab.
Cethegus aber wandte sich nach dem salarischen Tor, wo jetzt Constantinus als Vertreter Belisars hielt. «Ich muß ihn aus dem Wege haben», dachte er, «wenn die Nachricht eintrifft.» – «Sobald du die Barbaren zurückgeworfen», sprach er ihn an, «wirst du doch wohl einen Ausfall machen müssen? Welche Gelegenheit, Lorbeeren zu sammeln, während der Feldherr fern ist!» – «Jawohl», rief Constantinus, «sie sollen's erfahren, daß wir sie auch ohne Belisarius schlagen können.»
«Ihr müßt aber ruhiger zielen», sagte Cethegus, einem persischen Schützen den Bogen abnehmend. «Seht den Goten dort, den Führer zu Pferd! Er soll fallen.» Cethegus schoß; der Gote fiel vom Roß, durch den Hals geschossen. «Und meine Wallbogen, ihr braucht sie schlecht! Seht ihr dort die Eiche? Ein Tausendführer der Goten steht davor, gepanzert. Gebt acht!» Und er richtete den Wallbogen, zielte und schoß: durchbohrt war der gepanzerte Gote an den Baum genagelt.
Da sprengte ein sarazenischer Reiter heran: «Archon», redete er Constantinus an, «Bessas läßt dich bitten, Verstärkungen an das Vivarium, das pränestinische Tor zu senden, die Goten rücken an.»
Zweifelnd sah Constantinus auf Cethegus. «Possen» sagte dieser, «der einzige Angriff droht an meinem Tore von Sankt Paul, und das ist gut gehütet, ich weiß es gewiß. Laß Bessas sagen: er fürchte sich zu früh. Übrigens, im Vivarium habe ich noch sechs Löwen, zehn Tiger und zwölf Bären für mein nächstes Zirkusfest! Laßt sie einstweilen los auf die Barbaren! Es ist auch ein Schauspiel für die Römer dann!»
Aber schon eilte ein Leibwächter den Mons Pincius herab: «Zu Hilfe, Herr, zu Hilfe! Constantinus, dein eignes, das flämische Tor! Unzählige Barbaren! Ursicinus bittet um Hilfe!»
«Auch dort?» fragte Cethegus ungläubig.
«Hilfe an die gebrochene Mauer, zwischen dem flämischen und dem pincianischen Tor!» rief ein zweiter Bote des Ursicinus.
«Diese Strecke braucht ihr nicht zu decken! Ihr wißt, sie steht unter Sankt Peters besonderem Schutz, das reicht!» sprach, beruhigend Constantinus. Cethegus lächelte: «Ja, heute gewiß: denn sie wird gar nicht angegriffen.»
Da jagte Marcius Licinius atemlos heran. «Präfekt, rasch aufs Kapitol, von wo ich eben komme. Alle sieben Lager der Feinde speien Barbaren zugleich aus allen Lagerpforten: es droht ein allgemeiner Sturm gegen alle Tore Roms.»
«Schwerlich», lächelte Cethegus. «Aber ich will hinauf. Du aber, Marcus Licinius, stehst mir ein für das tiburtiner Tor. Mein muß es sein, nicht Belisars! Fort mit dir! Führe deine zweihundert Legionäre dorthin!»
Er stieg zu Pferd und ritt zunächst gegen das Kapitol zu, um den Fuß des Viminal. Hier traf er auf Licinius und seine Isaurier. «Feldherr», sprach ihn dieser an, «es wird ernst da draußen, sehr ernst! Was ist's mit den Isauriern? Bleibt es bei deinem Befehl?»
«Habe ich ihn zurückgenommen?» sagte Cethegus streng. «Lucius, du folgst mir und ihr andern Tribunen. Ihr Isaurier rückt unter eurem Häuptling Asgares zwischen die Thermen des Diokletian und das tiburtiner Tor.»
Er glaubte an keine Gefahr für Rom. Meinte er doch zu wissen, was allein in diesem Augenblick die Goten wirklich beschäftigte. «Dieser Schein eines allgemeinen Angriffs soll», dachte er, «die Byzantiner nur abhalten, ihres bedrohten Feldherrn vor den Toren zu gedenken.»
Bald hatte er einen Turm des Kapitols erreicht, von welchem er die ganze Ebene überschauen konnte. Sie war erfüllt von gotischen Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel. Aus allen Lagertoren wogte die ganze Streitmacht des gotischen Heeres heran, die ganze Ausdehnung der Stadt umgürtend. Der Angriff sollte offenbar gegen alle Tore zugleich unternommen werden und war nach einem Gedanken entworfen.
Voran in dem ganzen, zu drei Vierteln geschlossenen Kreise schritten Bogenschützen und Schleuderer, in leichten Plänklerschwärmen, die Zinnen und Brustwehren von Verteidigern zu säubern, Darauf folgten Sturmböcke, Widder, Mauerbrecher aus römischen Arsenalen entnommen oder römischen Mustern, wiewohl oft ungeschlacht genug, nachgebildet, mit Pferden und Rindern bespannt, bedient von Truppen, die, fast ohne Angriffswaffen, nur mit breiten Schilden sich und die Bespannung gegen die Geschosse der Belagerten decken sollten. Dicht hinter ihnen schritten die zum eigentlichen Angriff bestimmten Krieger: in tiefen Gliedern, mit voller Bewaffnung, zum Handgemeng mit Beilen und starken Messern gerüstet, und lange, schwere Sturmleitern schleppend. In großer Ordnung und Ruhe rückten diese drei Angriffslinien überall gleichmäßigen Schrittes vor: die Sonne glitzerte auf ihren Helmen: in gleichen Zwischenräumen erschollen die langgezogenen Rufe der gotischen Hörner.
«Sie haben etwas von uns gelernt», rief Cethegus in kriegerischer Freude. «Der Mann, der diese Reihen geordnet hat, versteht den Krieg.» – «Wer ist das wohl?» fragte Kallistratos, der, in reicher Rüstung, neben Lucius Licinius hielt. «Ohne Zweifel Witichis, der König», sagte Cethegus. – «Das hätte ich dem schlichten Mann mit den bescheidnen Zügen nie zugetraut.» – «Die Barbaren haben manches Unergründliche.»
Und vom Kapitol herab ritt er nun, über den Fluß nach der Umwallung am pankratischen Tor, wo der nächste Angriff zu drohen schien, und bestieg mit seinem Gefolge den dortigen Eckturm.
«Wer ist der Alte dort, mit dem wehenden Bart, der mit dem Steinbeil den Seinen voranschreitet? Er sieht aus, als hätte ihn der Blitz des Zeus vergessen in der Gigantenschlacht», forschte der Grieche.
«Es ist der alte Waffenmeister Theoderichs; er rückt gegen das pankratische Tor», antwortete der Präfekt.
«Und wer ist der Reichgerüstete dort, auf dem Braunen, mit dem Wolfsrachen auf dem Helm? Er zieht gegen die Portuensis.» – «Das ist der Herzog Guntharis, der Wölsung», sprach Lucius Licinius. «Und sieh, auch drüben auf der Ostseite der Stadt, überm Fluß, soweit man schauen kann, gegen alle Tore, rücken Sturmreihen der Barbaren», sagte Piso.
«Aber wo ist der König selbst?» fragte Kallistratos.
«Siehe, dort in der Mitte ragt die gotische Hauptfahne: dort hält er, oberhalb des pankratischen Tors», erwiderte der Präfekt. «Er allein steht regungslos mit seiner starken Schar, weit, um dreihundert Schritt zurück, hinter der Linie», sprach Salvius Julianus, der junge Jurist. «Sollte er nicht mit kämpfen?» meinte Massurius. «Wäre gegen seine Weise. Aber laß uns vom Turm auf den Wall hinab: das Gefecht beginnt», schloß Cethegus. «Hildebrand hat den Graben erreicht.» – Dort stehen meine Byzantiner, unter Gregor. Die Gotenschützen zielen gut. Die Zinnen am pankratischen Tor werden leer. Auf, Massurius, schicke meine abaskischen Jäger und vor den römischen Legionären die besten Pfeilschützen dorthin: sie sollen auf die Rinder und Rosse der Sturmböcke zielen.»
Bald war der Kampf auf allen Seiten entbrannt: und mit Verdruß bemerkte Cethegus, daß die Goten überall Fortschritte machten. Die Byzantiner schienen ihren Feldherren zu vermissen: sie schossen unsicher und wichen von den Wällen, indes die Goten heute mit besonderer Todesverachtung vordrangen. Schon hatten sie an mehreren Stellen den Graben überschritten, und Herzog Guntharis hatte sogar schon Leitern angelegt an den Wällen bei dem portuensischen Tore, während der alte Waffenmeister einen starken Widderkopf herangeschleppt und denselben durch ein Schirmdach gegen die Feuergeschosse von oben gesichert hatte. Bereits donnerten die ersten Stöße laut durch das Getümmel des Kampfes gegen die Balken des pankratischen Tors. Dieser wohlbekannte Ton erschütterte den Präfekten, der eben hier anlangte: «Offenbar», sagte er zu sich selbst, «machen sie jetzt bittern Ernst, nachdem der Scheinversuch so gut gelungen.»
Und wieder ein dröhnender Stoß. Gregor, der Byzantiner, sah ihn fragend an. «Das darf nicht lange währen!» rief Cethegus zürnend, entriß dem nächsten Schützen Bogen und Köcher und eilte auf den Mauerkranz an dem Tore: «Hierher, ihr Schützen und Schleuderer! Mir nach!» rief er, «schafft schwere Steine bei. Wo ist der nächste Ballist? Wo die Skorpionen? Das Schirmdach muß entzwei.»
Unter dem Schirmdach aber standen gotische Schützen, die eifrig durch die Schießscharten nach den Zacken der Mauerzinnen lugten. «Es ist umsonst, Haduswinth», schalt der junge Gunthamund, «zum drittenmal leg' ich vergeblich an! Es wagt ja keiner nur die Nase über die Brustwehr.» – «Geduld», sagte der Alte, «halte den Bogen nur gespannt! Es kommt schon einer, den der Fürwitz plagt. Auch mir leg' einen Bogen bereit. Nur Geduld.» – «Die hat man leichter mit deinen siebzig als mit meinen zwanzig Jahren.»
Inzwischen hatte Cethegus die Wallzinne hier erreicht, er warf einen Blick in die Ebene: da sah er den König, in der weiten Ferne, unbeweglich, im Zentrum der gotischen Scharen stehen, auf dem rechten Tiberufer. Das störte und beunruhigte ihn. «Was hat er vor? Sollte er gelernt haben, daß der Feldherr nicht fechten soll? Komm, Gajus», rief er dem jungen Schützen zu, der ihm kühn gefolgt war, «deine jungen Augen sehen scharf, blick' mit mir über die Zinne hier – was treibt der König dort?» Und er beugte sich über die Brustwehr, Gajus folgte, eifrig spähend, seinem Beispiel.
«Jetzt, Gunthamund!» rief Haduswinth unten. Zwei Sehnen klangen, und die beiden Späher fuhren zurück.
Gajus stürzte, in die Stirn geschossen, nieder: und unter des Präfekten Helmdach zersplitterte klirrend ein Pfeil. Cethegus strich mit der Hand über die Stirn.
«Du lebst, mein Feldherr?» rief Piso, heranspringend.
«Ja, Freund. Es war sehr gut gezielt. Aber die Götter brauchen mich noch: nur die Haut ist geritzt», sprach Cethegus und schob den Helm zurecht.