Felix und Therese Dahn
Kaiser Karl und seine Paladine
Felix und Therese Dahn

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Die Haimonskinder kehrten wieder einmal heim von der Jagd, auf vier Rossen führten sie das erlegte Wild daher. Als sie am Fuße von Montalban anlangten, sahen sie auf den Burgzinnen fremdes Volk stehen: »Was mag das bedeuten?« sagte Reinald, »mich überfällt böse Ahnung.«

In der Burg fanden sie Ivo, der von dem Hoftag kam; er ging Reinald entgegen und sprach: »Eidam, jetzt brauch' ich dich. Der Kaiser hatte mich nach Paris beschieden, euretwegen: ich hab' es dahin gebracht, daß er euch verzeihen will; barfuß, im Wollenkleid sollt ihr nach Falcalone ziehen und vor ihm knieen.«

Reinald wollte Ivo vor Freuden umarmen. »Küsse mich nicht,« sprach der, »mich schmerzt der Kopf.«

310 »Ich ziehe hin,« sprach Reinald, »aber ich nehme eine Kriegsschar mit, dann bin ich sicher vor Verrätern.«

»Das geht nicht, Sohn: auf aragonischen Maultieren, ohne Wehr und Waffen, ohne Bayard, in Demut müßt ihr kommen.«

»Dann will ich zuvor Clarissa, mein Gemahl, fragen,« antwortete Reinald und ging zu ihr.

»Lieber Reinald,« sprach Clarissa, »trau' nicht zu viel: ich sah heut' Nacht im Traum Schloß Montalban zerstört, Bayard verwundet. Sende zuvor einen Späher nach Falcalone, oder bitte unsern Vater, daß er dich mit Heeresmacht begleite.«

Aber Ivo antwortete auf dies Ansinnen: »Eidam, das kann nicht sein; wie ich's mit Karl bedungen, so muß es ausgeführt werden. Ich werde hier dein Schloß hüten.«

Als Clarissa dies erfuhr, bat sie Reinald: »Geh' nicht, – mein Vater hat euch verraten.«

»Wie magst du das vom eignen Vater sagen! Ich vertraue ihm, denn ich war ihm allezeit getreu; – wir ziehen nach Falcalone.«

Und als sie zur Reise gerüstet standen, brachte Clarissa Richard heimlich vier Schwerter: »Birg sie unter deinem Mantel, daß Reinald sie nicht gewahre; ich fürchte, ihr werdet sie brauchen zu Falcalone.«

Unterwegs fing Reinald an zu singen, Adelhard verwies es ihm: »In trüben Zeiten singt man nicht.«

»Mir ist aber das Herz so schwer, laßt mich singen,« antwortete Reinald.

Und als sie nach Falcalone kamen, sah er ein Banner wehen und sprach: »Wir reiten in den Tod: denn ich sehe Karls Banner fliegen.«

»Laß uns fliehen, Clarissa sagte wahr: Ivo hat uns verraten,« rief Adelhard.

311 »Ich kann's nicht glauben,« antwortete Reinald; aber da sprengte schon ein Reiter daher, in Eisen gekleidet, ein Zug Berittener folgte ihm langsam. Er schrie: »Jetzt hilft kein Widerstand, Reinald, gebt euch gefangen, ich führ' euch zu Karl, der läßt euch hängen.«

»Graf Folkwin?« rief Reinald als er den Sprecher erkannte. »Das wirst du nicht tun: versöhne mich lieber dem Kaiser. Laß mich frei zu Karl gehen, ich will ihm zu Füßen fallen.«

»Dein Flehen ist umsonst, ich darf nicht anders: ergib dich, Ivo hat dich verkauft.«

Da erzürnte Reinald. »Das, hoff' ich, lügst du, Graf; lieber fall' ich hier, als daß ich mich gefangen gebe.«

Folkwin warf seinen Speer auf Reinald, der ließ sich schnell von seinem Maultier gleiten, der Speer streifte seine Seite. Adelhard erschrak, aber Richard sprang vor, schwang sein Schwert und drückte dem am Boden liegenden Reinald eines in die Hand: »Das schickt dir Clarissa.«

»Dank der Treuen,« rief Reinald aufspringend, »nun fürcht' ich nichts.«

Während Richard auch Adelhard und Wichard ihre Schwerter reichte, hatte Reinald mit einem Hieb Folkwins Speerholz zerhauen, und ehe noch der Graf das Schwert gezogen, schlug er mit dem zweiten Hieb auf Folkwins Helm, daß der Graf mit gespaltenem Kopfe vom Rosse fiel.

Reinald sprang eilig in den leeren Sattel. »Laß uns fliehen,« sprachen seine Brüder, »es sind zu viele.«

»Ich fürchte sie nicht,« rief Reinald.

Da waren des Grafen Reiter zur Stelle und griffen die Haimonskinder an; die wehrten sich, wie umstellte Bären tun. Bald lagen ein paar fränkische Herren am Boden.

»Nehmt ihre Waffen und Rosse, dieweil ich euch die 312 andern vom Leib halte,« sprach Reinald, und so kamen die drei in Brünnen und auf Rosses Rücken: Helme und Schilde fanden sich auch, waren sie gleich zerhackt. Dann lösten sie Reinald ab und er rüstete sich ebenso. Da langte Werin, Folkwins Bruder an und stürmte mit aller Kraft. Adelhards Schwert zersprang, Wichard wurde schwer verwundet und gefangen. Vierundzwanzig Berittene mußten ihn nach Falcalone führen.

»Hilf Reinald, Wichard ist gefangen,« schrie Adelhard, »wir müssen fliehen: mein Schwert ist dahin, Wichard totwund, er wird sterben, es ist doch besser, Wichard verloren, als wir alle.«

»Wie? Wollen wir so Treue halten?« antwortete Reinald vorwurfsvoll; er stieß sein feuriges Roß mit dem Sporn, sprengte hinter den Vierundzwanzig drein, fuhr unter sie wie ein Teufel: den ersten hieb er in zwei Teile, zwei andre auf den zweiten Schlag zu Tode: die übrigen verlangten seine Hiebe nicht und rannten davon.

»Wichard, bist du so wund, daß du dich nicht besser wehren konntest?« fragte er.

»Mein Roß stürzte mir, und ehe ich auf ein andres kam, verwundeten und fingen sie mich.«

Indem kam Werin gerannt mit gesenktem Speer und rief: »Reinald, du hast meinen Bruder erschlagen, du sollst an den Galgen.« Aber Reinald hieb ihm sogleich über den Kopf, tot fiel er aus dem Sattel.

Die Franken griffen noch einmal an. Der Graf von Châlons erstach Reinalds Roß, Reinald schlug ihn aus dem Sattel, der Graf rollte unverletzt ins Graf, Reinald schwang sich auf das leere Roß, stürmte in die Feinde und trennte ihre Reihen. Das Streiten dauerte lang. Wichard war ermüdet und lag erschöpft am Boden.

Der Graf von Châlons war wieder auf ein Roß 313 gekommen, sammelte seine Reiter und griff von neuem an: da mußten die Haimonskinder weichen. Reinald nahm Wichard auf den Rücken und floh auf einen hohen Berg, während seine Brüder ihm den Rücken deckten. Der Berg war steil und von Marmelstein, ein schmaler Pfad führte hinauf und nur immer einer konnte durch den Paß. Châlons folgte nach und hoffte sie dort zu fangen. Die Haimonskinder warfen mit Steinen herab, und jeder, der in den Paß kam, blieb tot. –

Ogier war auch unter den Franken, er hielt aber fern auf seinem Roß und hob keine Hand gegen die Haimonskinder. »Ogier,« sprach Châlons, »Ihr habt dem Kaiser doch stets treu gedient, was rührt Ihr Euch nicht? Ihr seid ein Verräter!«

»Das lügst du, glattzüngiger Hund! Wär's nicht um Herrn Karls willen, ich haute dich nun in Stücke. Ein Verräter wär' ich an Reinald, wollt' ich ihn fangen helfen. Eins will ich tun: hinausreiten und fragen, ob er sich ergeben will oder weiter fechten.«

Châlons zog sein Volk von dem Engpaß zurück, Ogier ritt hinauf: »Haltet ein mit dem Steinwerfen,« rief er, »ich habe mit Reinald zu reden: der Graf von Châlons fragt an, ob ihr euch ergeben wollt?«

Reinald trat an den Felsen, einen Stein in der Hand, und rief: »Ogier, willst du mich auch dem Kaiser verraten? Weiche, oder ich werfe dich mit dem Roß zu Tode.«

»Ich habe heute den Arm nicht gerührt, Freund: dein Unglück ist mir leid.«

»Das lohn' dir Gott! Hilf uns, und verschaff' uns freien Abzug.«

»Das kann ich nicht, Herrn Karls und meiner Dienstpflicht wegen; aber eins rat' ich euch: weichet nicht von dem Berge, dort seid ihr sicher.«

314 Dann ritt er zurück und rief: »Châlons, hüte du den Engpaß, ich zieh' dort auf die Höhe, daß den Grafen kein Entsatz komme.« –

Nun lebte in Montalban ein Reinald ergebener Jüngling, der war erfahren in der Sternkunde und betrachtete den Nachthimmel: da sah er Reinalds Bedrängnis. Er suchte am frühen Morgen Malegis und fand ihn, da er gerade dem Küchenwart befahl, ein Mahl für den Abend zu bereiten für die heimkehrenden Grafen.

»Ach, Malegis,« sprach der Sternkundige, »von den Speisen wird Reinald nichts genießen: ich habe in den Sternen gelesen, daß er in Gefahr ist.«

»Schweige davon vor Ivo,« antwortete Malegis, »ich will mit Bewaffneten nach Falcalone ziehen und ihm Bayard bringen.«

Das Roß biß und schlug nach Malegis. »Verflucht mußt du sein!« rief der. »Was sperrst du dich? Und sollst doch deinen Herr retten.«

Da wurde das Roß willig und nahm Malegis auf den Rücken. Mit fünfhundert Bewaffneten ritt er heimlich aus der Burg. Bayard lief einige Pfeilschüsse weit allen voraus.

Reinald erspähte den Hengst zuerst vom Berge herab. »Nun wird alles gut: ich sehe Bayard mit Malegis daherrennen: mich wundert, daß er allein kommt,« sprach er.

»Richtet mich auf, daß ich Bayard noch einmal schaue,« sprach Wichard, und als er's sah: »Mich dünkt, ich bin von meinen Wunden genesen.«

Malegis mußte zuerst an Ogier vorüber, er rannte ihn so gewaltig an, daß sein Speer zerbrach. Dann schlug er ihm mit dem Schwert auf den Helm, daß Ogier Hören und Sehen verging, und als der Däne den Streich zurückgab, entwich Bayard und rannte gerade auf den Berg 315 Falcalone zu. Da sahen die Haimonskinder auch ihr Kriegsvolk heranziehen.

»Nun laßt uns hinab, als wollten wir uns ergeben,« sagte Reinald, »Châlons kann die Unsrigen noch nicht sehen.«

Als sie den Engpaß herabstiegen, dachte Châlons: »Nun hab' ich sie.« Da kam Bayard gerannt, erblickte seinen Herrn, warf Malegis ab und sprang mit gewaltigen Sätzen vor Reinald hin. Malegis besann sich nicht lange, stieß einen Franken aus dem Sattel, schwang sich auf dessen Roß und suchte mitten durch Châlons Heer in den Engpaß zu kommen. Reinald ritt ihm entgegen und sie schlugen sich durch den Feind zu ihrem Volk, das wacker stritt. Malegis ersah sich Châlons selber und stach ihn mitten durchs Herz. Die übrigen waren bald in die Flucht getrieben.

Ogier stand mit seinen Reitern untätig an seinem Hügel; als er Reinald siegen sah, zog er ab über ein Wasser. Richard rief ihm noch nach: »Dank für deinen guten Rat! Sage dem Kaiser: er habe sein Gold übel vergeudet an Verräter und Häscher.«

Ogier zog nach Paris, die Haimonskinder nach Montalban. »Ivo muß an den Galgen,« sprach Reinald unterwegs.

Da sandte Malegis heimlich einen Boten voraus mit der Meldung an Ivo: »Mache dich davon, wenn Reinald dich in Montalban findet, läßt er dich hängen.«

Ivo erschrak und floh augenblicks in das Kloster Beaurepos. So entging er Reinalds Rache, wurde Mönch und büßte seinen Verrat in strenger Regel.

Als Ogier in Paris dem Kaiser berichtete, wie es zu Falcalone ergangen war, schalt ihn Roland: »Du hast Malegis herbeigerufen, du bist ein Verräter.«

316 Ogier zog sein Schwert.

»Das sollst du widerrufen, oder gleich mit mir fechten.« Aber der Kaiser trennte sie, zornig sprach er: »Laß die eitlen Scheltworte, Neffe Roland. Versöhnt euch. Malegis ist ein schlauer Wicht.«

»Dann will ich hinziehen,« rief Roland, »und Ivo an den Galgen hängen; denn er hat dem Kaiser das Gold mit Betrug abgelistet.«

Seine Genossen wollten alle mit ihm fahren. Als sie in die Gascogne kamen und hörten, daß Ivo Mönch geworden zu Beaurepos, sagte Roland: »Laßt uns gleich hinreiten und ihn aus dem Kloster holen.«

Ivo erschrak, als sie das Kloster belagerten, und schrieb einen Brief an Reinald: »Lieber Eidam, ich hab' den Tod verdient, als ich dich verkaufte, darum geb' ich mich in deine Gewalt: komm, rette mich vor Roland, der mir den Galgen geschworen hat.«

Reinald las und sprach: »Mag man den Dieb hängen, er hat's zwiefach verdient.«

Clarissa stand neben ihm, ihr jüngstes Knäblein auf dem Arm: sie herzte und küßte es, weinte und klagte: »Ach armes Kind, wie sollst du die Schande überleben, wenn man deinen Großvater hängt.«

Da sprach Reinald gerührt: »Liebes Weib, hör' auf zu jammern: ich will versuchen, ob ich den argen Mann vor Roland erretten kann.«

Sofort ließ er Bayard satteln und ritt nach Beaurepos. Als er hinkam, hatte Roland Ivo schon gefangen und führte ihn gerade gebunden hinter sich auf dem Roß davon. Reinald rief ihn an: »Freund Roland, überlaß mir den Verräter: er wird niemand mehr verraten.«

»Nichts da, Vetter: Ivo muß hängen,« antwortete Roland.

317 »Nein, meiner Kinder Großvater soll nicht an den Galgen: gib ihn mir gutwillig, oder ich hole ihn mit Gewalt.«

Roland befahl seinen Leuten: »Nun hängt ihn mir gleich an den nächsten Baum!«

Da wurde Reinald sehr zornig: »Ich kenne niemand, der mir das wagt.«

»Das wollen wir sehen,« gab Roland zurück und warf selbst den Strick über den Ast. Aber Reinald zog sein Schwert Flamberg und durchhieb den Strick, dann faßte er Ivo, hob ihn auf sein Roß und entfloh. Roland stieß seinem Roß Veillantif den Sporn ein und wollte Reinald nach. Als er aber Bayard nicht einholen konnte, rief er mit heller Stimme: »Steh' und kämpfe mit mir, oder du bist ein Verräter.«

»Eurer sind zu viele,« erwiderte Reinald, »ihr könntet mich leicht fangen, willst du aber allein meiner warten, so will ich den Streit mit dir ausfechten.«

»Ich komme,« antwortete Roland.

Als Roland seinen Genossen das Geschehene mitgeteilt hatte, schalt ihn Turpin:

»Weshalb fingst du solchen Streit an? Erschlägst du mir deinen Vetter, sollst du ihn nicht drei Tage überleben.«

»Ja wahrlich,« sprach Graf Richard, »lasse dich nicht mehr im Frankenreich blicken: es geht dir ans Leben.«

Ogier hob drohend die Hand und schwur: »Aus eurem Zweikampf wird nichts.«

Aber Roland antwortete: »Euer Schelten wird mir zuviel: ich habe mein Wort gegeben, das muß ich halten. Und mich gelüstet's, mich einmal mit diesem Recken zu messen.«

318 Und in Montalban antwortete Reinald auf die Vorwürfe seiner Brüder: »Ich habe mein Wort verpfändet, mag es gehen wie es will, – das muß ich auslösen.«

Als Reinald nach Beaurepos kam, wartete Roland schon seiner. Reinald stieß seinen Speer in die Erde, band Bayard daran fest, legte seinen Schild auf des Rosses Rücken, gürtete sein Schwert ab und warf es in den Schild, band den Helm ab, schnallte die Sporen los, zog die Brünne und den Waffenrock aus und kniete nieder und mit zusammengelegten Händen rutschte er auf den Knien Roland entgegen und sprach:

»Roland, du bist von meinem Blut: ich bitte dich, versöhne mich mit dem Kaiser: Bayard will ich dir zu eigen geben.«

Roland wandte sein Haupt, weinte und sprach: »Steh auf, Reinald, ich bin hier, mit dir zu kämpfen, weil du mir Ivo entführt hast.«

»Vetter, ich fürchte dich nicht,« antwortete nun zornig Reinald.

»Das erweise, geh' hin und waffne dich.«

Reinald ging hin und legte seine Waffen an, saß auf und schüttelte grimmig seinen Speer; Roland betete leise: »Herr Gott im Himmel, hilf, daß ich ihn nicht umbringe.«

Sie stießen zusammen, daß Roland mit seinem Roß zur Erde fiel.

»Gott Dank,« sprach er, »daß ich dir das nicht getan habe. Solchen Stoß hab' ich noch nie bekommen.«

Als er wieder im Sattel saß, zog er Durendal; Reinald hielt Flamberg in der Hand, so ritten sie gegeneinander, aber Reinald wich aus und wandte Bayard zur Flucht, denn er sah Rolands Genossen heranreiten.

»Vetter,« rief er noch, »du hast mich betrogen.«

319 Zornig wandte sich Roland: »Was stört ihr den Zweikampf?«

Da rief Turpin mit gebietender Stimme: »Ihr sollt nicht das Schwert zucken wider einander: gemeinsam sollt ihr es schwingen gegen die Heiden.«

Da zog Roland nach Sankt Jakob, dort zu beten, die andern kehrten zurück zum Kaiser nach Paris.

Auf dem Heimweg von seiner frommen Fahrt überraschte Roland im Bordelaiser Wald seinen Vetter Richard auf der Jagd. Er griff dem Roß in die Zügel, Richard zückte sein Jagdmesser, aber Roland sprach: »Sperr' dich nicht, ich habe dich schon: wir Vettern sollen das Blutverspritzen meiden, sagt Turpin;« und er schlug ihm das Jagdmesser aus der Faust: »Gib dich gefangen und zwinge mich nicht zu Hieben.«

Der waffenlose Richard ergab sich getrost in sein Geschick. Nun war auch Malegis im Wald und suchte Kräuter, er hörte den Lärm, lief hin und sah noch die beiden davonreiten. In aller Eile rief er Reinald von Montalban zu Hilfe. Bayard wurde gesattelt, »Malegis, du mußt mir den Weg weisen, sitz hinter mir auf,« sprach Reinald, und bald hatten sie Roland eingeholt. Reinald rief, den Speer erhebend:

»Gib meinen Bruder heraus.«

»Geht nicht, Vetter,« antwortete Roland, »er begleitet mich zum Kaiser,« und Richard sprach: »Fort mit deinem Speer, Bruder! Fange um mich keinen neuen Bluthandel an, ich will einmal nach Paris und den Kaiser um Frieden bitten.«

»So laß ihn ziehen,« flüsterte Malegis Reinald ins Ohr, »ich werde vor ihnen in Paris sein und Richard 320 helfen.« So schieden die Vettern. Malegis kehrte in den Wald, Reinald nach Montalban zurück.

Am Abend trat ein alter Pilger im rauhen Mantel in seine Halle und bat um Gaben. Reinald reichte ihm zehn Goldgulden.

»Was nützt mir Gold? Das wär' jüngerem Mann nützer, gebt mir Besseres,« antwortete der Alte.

Die Rede verdroß Reinald gewaltig, er sah dem Pilgrim scharf ins Gesicht, dann rief er: »Malegis, bist du's oder nicht? Ich kann's wahrlich nicht sehen.«

»Ich bin's, lieber Vetter.«

»Ei,« schalt Reinald, »und ich glaubte dich längst auf dem Weg nach Paris, Richard zu helfen; – ich sehe wohl, ich selbst muß hin.«

»So ist es, lieber Vetter, und deine Brüder nimm hübsch mit und am Falkenberg, wo man zu hängen pflegt, erwartet mich.« Und schon war der Schalk zur Halle hinaus.

In solcher Gestalt trat er zu Paris in Herrn Karls Saal zur Stunde, da reich und arm ihr Recht forderten. »Gott segne Euch, Herr Karl,« sprach er.

Der schlug nach ihm mit einem Stabe: »Weg mit dir! Seit Malegis unter die Pilger ging, trau' ich keinem mehr.«

»Ach gnädiger Kaiser,« flehte Malegis, »ich bin wahrhaftig hergepilgert, Euch mein Unglück zu klagen: mich haben fünf Herren ausgeraubt auf der Heerstraße; Malegis hört' ich den einen nennen, das war der ärgste.«

Karl reichte ihm zehn Goldstücke zum Trost, aber Malegis wies sie zurück: »Gebt mir lieber zehn Schillinge, die sind armem Manne sicherer und laßt mir Speisen reichen: mich hungert.«

»Du magst dort an meinem Tisch essen,« antwortete 321 der fromme Kaiser, saß nieder neben dem Waller und schob ihm selber einen Brocken gebratenen Pfaus in den Mund. Malegis dachte: »Deinen Schlag sollst du wieder fühlen« und biß dem Kaiser in den Daumen.

»Gott straf' dich, Pilger,« sprach der, »nun suche dir deine Speise selber.«

Da trat Roland herein und führte Richard vor Karl. Der fragte: »Bringst du ihn gefangen, oder kommt er nur auf sicher Geleit?«

»Er ist dein Gefangener,« antwortete Roland.

»Dann fort mit ihm, auf den Falkenberg, an den Galgen!« befahl der Kaiser.

Herzog Naimes sprach: »Das wäre zuviel der Strafe.« Der Kaiser erwiderte: »Ich habe das Urteil gesprochen: wer von euch, ihr Herren, wird es vollziehen?«

Er blickte die Paladine der Reihe nach an: sie erbleichten und standen schweigend vor ihm, keiner wollte Hand legen an Richard, und Karl sprach mit fester Stimme: »Herr Raspe, Ihr sollt es tun!«

Da lief Malegis nach dem Falkenberg, wo er seine Vettern fand. »Wie ist's ergangen?« fragte Reinald.

»Trefflich, der Kaiser schenkte mir zehn Schillinge.«

»Danach frag' ich nicht; was ist mit Richard?«

»Der Kaiser ließ mir auch Speise reichen: er schob mir selber einen guten Brocken in den Mund.«

»Danach frag' ich noch weniger, Malegis: laß deine Späße! Wo ist Richard?«

»Er wird gleich hier sein.« Und Malegis erzählte, was in der Pfalz geschehen war. Sie legten sich in Hinterhalt hinter Waldesdicht, um Richard mit Gewalt wieder zu befreien: aber Müdigkeit überwältigte sie, und alle schliefen ein.

Da kam Herr Raspe mit ein paar Berittenen daher 322 und führte Richard unter den Galgen. »Nun bete noch einmal, ich lasse dir Zeit,« sprach er. Richard tat ein langes Gebet und hoffte auf Malegis, und als er zu Ende gebetet und keine Hilfe sah, sprach er: »In Gottes Namen, Raspe, tue, was du mußt.« Der legte ihm mit eigner Hand die Schlinge um den Hals und Richard stieg die Leiter hinauf. Da gewahrte ihn aus dem Hagedicht Bayard: hellauf wieherte der Hengst und scharrte mit dem Fuß, daß Reinald erwachte: er sah seinen Bruder auf der Leiter stehen. »Wacht auf, Genossen!« rief er, sprang auf Bayards Rücken und ritt dem Galgen zu.

»Richard, dir kommt Hilfe, schau um!« rief Herr Raspe, »ich will dich nicht hängen.«

»Nun wärest du besser zu Haus geblieben,« lachte Richard und sprang von der Leiter.

Malegis, Adelhard und Wichard waren rasch Reinald gefolgt: sie fuhren mit Schwert und Speer unter die Berittenen und trieben sie davon. Reinald hieb mit Flamberg Herrn Raspe einen zornigen Schlag auf den Kopf: tot fiel der unter den Galgen. Richard zog Raspes Wehrkleider an, schloß den Helm, sprang auf des Toten Roß und sprach: »Nun reit' ich zum Kaiser und fordere Herrn Raspes Lohn.«

Am Fuße eines Hügels traf er Ogier, der hielt Courtaine in der Hand und wollte Raspe erschlagen.

»Steck' ein dein Schwert, Raspe liegt tot am Falkenberg, ich bin Richard,« rief das Haimonskind, band den Helm auf und zeigte sein Antlitz.

»So flieh', dort kommt Karl geritten, fürchte seinen Zorn,« antwortete Ogier und wandte Braiefort, aber Richard floh nicht. Der Kaiser mit seinen Kriegern ritt den Berg hinunter und er sprach: »Raspe, du stehst unter meinem Schutz, ich will deinen Gehorsam belohnen.«

323 »Herr Kaiser, spart Eure Müh',« antwortete Richard, »Raspe liegt unterm Galgen.« Und mit eingelegtem Speer rannte der Graf seinen Herrn an. Karl fing den Stoß ab mit Joyeuse und zerhieb den Speer in zwei Stücke. Das sah Reinald, kam auf Bayard geritten und warf den Kaiser mit einem Speerstoße aus dem Sattel. Aber rasch half er ihm wieder auf und sprach: »Verzeiht den Fall, gnädiger Herr, reitet zurück, ich bin's, der Raspe erschlagen hat.«

»Montjoie, ihr Herren, heran! Fangt mir die Empörer!« gebot der Kaiser mit lauter Stimme. Die Haimonskinder wehrten sich grimmig: Kämmerer und Hofdiener wurden niedergeschlagen, aber Reinald fürchtete, zu unterliegen: er rief seine Brüder heran, nahm sie auf Bayards Rücken und jagte davon. Malegis war im Hagedicht verschwunden.

Am Tage danach ritt Oliver jagend im Wald von Paris und kam auf einen Berg; da sah er unter sich in einer Schlucht am Wildwasser einen Mann in rauhem Mantel und breitem Hut, Kräuter sammelnd. Scharf spähte der Graf hinab und erkannte Malegis. Sofort ritt er hinunter und ergriff ihn beim Mantel und rief: »Steh', du böser Zauberer, gib dich gefangen.« Malegis sprang zurück, riß sein Schwert von der Seite und stellte sich zur Wehr, aber Oliver schlug ihm so hart mit dem Jagdspeer auf die Faust, daß ihm das Schwert entfiel. Als Malegis sich wehrlos sah, rief er: »Ich gebe mich gefangen, führ' mich zum Kaiser.«

Der saß beim Mahle, als die beiden in den Saal traten. Zornig sprach er: »Du falscher Pilger, arger Zauberer: deiner bösen Kunst ward zuviel, fort mit dir an den Galgen.«

324 »Ach,« flehte Malegis, »laßt mich nur noch bis morgen leben.«

Der Kaiser schenkte ihm die Frist und Roland spracht »Setz' dich zu mir, Malegis, und iß.«

Als die erste Schüssel aufgetragen wurde, fing Malegis an, ein schönes Lied zu singen.

»Magst du heut' noch singen und mußt morgen sterben?« fragte Karl.

»Ach Herr, ich bin so lustig, weil ich noch bis morgen leben kann,« antwortete Malegis.

»Du loser Vogel! Denkst dich mit einem Lied vom Tode zu lösen: die Hoffnung laß fahren,« sprach der Kaiser und ließ ihm Ketten anlegen und befahl, ihn in den Kerker zu führen. Als Malegis sah, daß es Ernst war, drohte er: »Herr Kaiser, laßt mich frei, oder ich entlaufe Euch mit Gewalt.«

»Wenn du's kannst, magst du's tun.«

»Herr, dann bin ich noch vor Mitternacht frei.«

»Das möcht' ich wohl erleben,« lachte Karl und stand vom Mahl auf.

Im Kerker gebrauchte Malegis seine Kunst: er zog die Hände aus den Eisenringen, und mit Wort und Haselrute und Eschenstäbchen tat er das Tor auf, schritt in den Vorsaal, schläferte Diener und Paladine ein, erschloß Schreine und Kisten, nahm goldenes Gerät und Edelgestein, schob in seinen Sack, soviel er tragen konnte, und eilte davon gen Montalban.

Schon am frühen Morgen schritt der Kaiser dem Kerker zu; er fand das Tor offen, die Paladine schlafend. »Wacht auf, Barone!« rief er laut, »Malegis ist davon! Ich mach' ein Ende: wir zieh'n nach Montalban.«

325 Der Kaiser sammelte sein Heervolk und zog nach Montalban. Noch einmal versuchten die Paladine Gnade für die Haimonskinder zu erbitten, Turpin sollte ihr Sprecher sein: er trat vor den Kaiser, hielt Almace in der Hand und begann: »Herr Karl, Ihr wißt, Kastell Montalban ist uneinnehmbar. Was hilft's, daß Land und Stadt verderben. Es wäre besser, Ihr machtet Frieden mit den Haimonskindern und sie stritten mit uns gegen die Saracenen.«

»Nimmermehr,« antwortete Karl, »reite hinaus, Roland, frage: ob sie, ihr Volk zu schonen, sich meinem Gericht unterwerfen wollen.«

»Nimmermehr,« antwortete Graf Reinald. »Entscheide zwischen uns die Schlacht.«

Da ließ Karl seine Heerhörner gellen. Und Reinald zog auf Bayard seinem Wehrvolk voran und hinab in das Tal zum Kampf. Hinter ihm auf andalusischen Streitrossen ritten seine Brüder. Karl rief: »Montjoie, Barone folgt mir alle gegen Reinald, bei meinem Zorn!«

Der Kaiser ritt dem Grafen von Montalban mit gefälltem Speer entgegen, da lenkte Reinald zur Seite, seinen Kaiser zu meiden, aber Karl rief: »Hierher, Reinald! Wehre dich gegen mich.«

»Wie Ihr befehlt,« antwortete der, und sprengte so gewaltig auf ihn an, daß Karl schier zur Erde fiel. Aber Roland kam dem Kaiser zu Hilfe.

»Vorwärts, Gascogner, der Sieg ist unser!« rief Reinald. Da ward der Kaiser Malegis gewahr und erstach ihm das Roß unter dem Leibe. Malegis wehrte sich tapfer und kam bald wieder in einen andern Sattel. Die von Montalban erschlugen dem Kaiser viel Volks und zogen, damit zufrieden, wieder in ihre Burg hinauf.

Der Kaiser ließ zum Sturm rüsten: Stein- und 326 Feuerschleudern, Mauernbrecher und Sturmleitern wurden herbeigeschafft. Reinald machte Ausfälle, die Vorbereitungen zu stören: dann ritten die Herren ungestüm zusammen, daß Speere brachen, Schilde barsten, die Rosse unter ihren Schenkeln niederfielen.

Einmal ritt Malegis auf Karl zu und wollte ihn erschlagen; Oliver und Ogier fingen den Todesstreich ab, Roland aber schlug dem Zauberer aufs Haupt, daß er besinnungslos aus dem Sattel taumelte. Hurtig sprang Roland ab, band ihm Hände wie Füße und führte ihn mit fort. Herr Forcier gedachte, Raspes, seines Vetters Tod zu rächen und stieß auf Richard: unverletzt fielen beide ins Gras. Ein Graf aus der Bretagne und Adelhard rannten zusammen: die Speere brachen, Adelhard schlug den Bretagner vom Roß. Forcier hatte sein Roß wiedergefunden und griff Wichard an, der stach ihm den Speer mitten ins Herz. Karl sah ihn fallen: »Montjoie! mir nach!« rief er laut und lenkte auf Wichard; der rannte ihm ungestüm entgegen. Des Kaisers Roß stürzte in die Knie: er trieb's empor und fuhr unter Reinalds Volk: auf jeden Hieb, den er mit Joyeuse tat, fiel ein Mann.

»Hie Montalban,« schrie Reinald, »zurück! Herr Karl ist übergewaltig!« Und er floh mit seinem Volk den Berg hinauf nach Montalban. –

Als der Kaiser im Lager Malegis gefangen sah, befahl er Herrn Griffon: »Laß einen hohen Galgen erbauen und noch ehe die Sonne sinkt, hänge Malegis daran.«

»Gnädigster Herr,« bat der Gefesselte, »laßt mir Zeit bis morgen, damit ich meine Sünden bereuen kann.«

»Nein, Malegis,« antwortete Karl, »dann erging' es wieder wie damals in Paris.«

»Ich schwör's Euch zu, ich will Euch nicht davonlaufen, 327 es sei denn,« – setzte Malegis zögernd bei – »Ihr ginget selber mit mir nach Montalban.«

Darüber mußte Karl gewaltig lachen und sprach: »Bis morgen will ich dir Frist gewähren.«

Malegis gebrauchte seine arge Kunst: um Mitternacht trat er in Karls Zelt, wo der schlafend lag und sprach: »Herr Karl, Ihr sollt mich nach Montalban begleiten.«

Der Kaiser erwachte, sah den Zauberer an seinem Bette stehen und wußte nicht, was ihm geschah: denn Malegis hatte ihn bezaubert, er sprach: »Ich wollte, wir wären schon auf dem Weg.«

»So steht auf, wir wollen gleich gehen.«

»Laßt mich noch ein wenig schlafen,« antwortete Karl und schlummerte ein. Da hob Malegis mit starken Händen den Kaiser auf seine breiten Schultern und trug den Schlafenden hinauf nach Montalban. Er legte ihn in der Halle auf ein Ruhebett und rief die Haimonskinder herbei: »Reinald,« sprach er leise, »Karl ist dein Gefangener.« Die Haimonskinder standen da und sprachen kein Wort, des Kaisers Schlaf nicht zu stören. Als der erwachte und sie stehen sah, sprach er: »Das hat mir Malegis getan, seine Kunst ist ungeheuer. Gott wird ihn darum strafen.«

Reinald sank ins Knie und bat um Frieden. »Nimmermehr,« antwortete Karl.

Da ergrimmte Richard jäh und rief: »Dann sollst du jetzt sterben,« und er zog sein Schwert.

Ruhig blickte Karl ihn an und sprach: »Willst du Hand an deinen Kaiser legen?«

Aber Reinald fiel dem Bruder in den Arm und sprach: »Karl ist unser Herr, heilig sein Leben!«

»Tu' auf dein Burgtor,« gebot Karl, »ich will zurück in mein Lager.«

328 Noch einmal baten die Haimonskinder um Gnade, aber der Kaiser sprach »nein«.

»Es ist alles vergebens,« klagte Malegis, »ich will fürder keine Hand mehr heben gegen Herrn Karl. Behüt' euch Gott, Vettern, ich zieh' in öde Wildnis und büße meine Sünden.« Und er eilte gleich fort von Montalban.

Reinald sprach aber: »Herr Kaiser, geht wohin es Euch gefällt, wir haben Euch nicht gefangen, wir halten Euch nicht.« Er geleitete ihn noch bis vor das Tor der Burg.

Im Lager angekommen befahl Kaiser Karl, den Sturm zu erneuern. »Die Haimonskinder sehen bleich und abgemagert aus,« sprach er zu Roland, »der Hunger wird sie bald zur Übergabe zwingen.«

Und in Montalban waren alle Lebensmittel verbraucht. Die Rosse im Schloß waren schon verzehrt. Reinalds Gemahlin und Kinder lagen elend in der Marmorhalle und weinten vor Hunger.

»Nun mußt du sterben, Bayard,« sprach Reinald und schritt in den Stall, aber Richard schob ihm die Hand weg von Bayards Hals. »Nein,« sprach er, »den Hengst sollst du nicht töten.« Das Roß hatte die Rede verstanden, legte die Vorderfüße zusammen und neigte sich vor seinem Herrn: da konnte Reinald ihm kein Leids antun. Nach Adelhards Rat zapften sie dem Roß täglich etwas Blut ab und zehrten davon. So lebten sie vierzehn Tage. Bayard wurde dabei elend und mager.

Die Hungersnot wuchs: in den Straßen der Stadt riefen die Kinder Reinald an, wann er vorüberschritt: »Brot, Herr, gib uns Brot.«

Erzbischof Turpin und Roland erbarmten sich des Jammers. Sie erbaten es sich vom Kaiser, den Vorkampf zu tun während des Sturmes, und als die von Montalban mit Roland zusammentrafen, erhielten sie statt 329 Wunden und Hiebe Wein, Brot und Korn vom Erzbischof zugeführt. Da ward Bayard das Korn ungemessen vorgeschüttet.

Die Haimonskinder aber berieten untereinander: »Dem Kaiser ist's allein um uns,« sprach Reinald, »wir wollen die Vorräte dem Volk und Weibern und Kindern überlassen und auf Bayard in den Ardennerwald nach Pierrelepont entfliehen.«

Weinend nahm er Abschied von Clarissa und seinen Kindern, dann sattelte er das Roß und ließ seine Brüder hinter sich sitzen. Um Mitternacht ritten sie aus: durch ein Wassertor in einen unterirdischen Graben; lang ritten sie unter der Erde fort, am Fuße des Steinfelsens kamen sie wieder auf die Oberfläche: hell schien der Mond. Da sahen fränkische Wachen das schwarze, gewaltige Roß aus der Erde aufsteigen: sie machten Lärm, ein Zug Bewaffneter, voran ein Führer, ein Markgraf, jagte wie toll darauf zu. Reinald stieß dem Anprallenden mit einem Falkenstoß seinen Speer durch Schild und Brünne bis ins Herz. Dann gab er Bayard den Sporn und ließ ihn rennen: so entkamen sie nach Pierrelepont. Mit dem Schwertknauf schlugen sie ans Tor. »Wer pocht?« fragte der Burgwart, und als er sie erkannt hatte, schob er den Riegel zurück: »Willkommen, meine Jungherren, das Schloß ist leer. Eure Mutter zog nach Paris; wo Graf Haimon im Felde steht, wissen wir nicht.«

»Je länger je mehr erzürnen mich die Haimonskinder,« sprach Kaiser Karl und er selbst mit einer Heeresschar folgte den Entfliehenden bis in den Ardennerwald.

In Pierrelepont fanden die Haimonskinder nur geringe Lebensmittel und wenige waffenkundige Knechte: da 330 erkannten sie Karls Gewalt. Der ritt, sobald er angelangt war, dicht an die Burg, rief Reinald auf die Mauer und fragte: »Willst du dich mir jetzt ergeben?«

»Ja, Herr Karl, ich ergebe mich in deine Gewalt und in dein Gericht,« antwortete der Graf und stieg von der Zinne herunter. In dem Augenblick lief ein Diener Karls herzu und meldete: »Herr Kaiser, Euer Gemahl und Eure Schwester sind im Lager angekommen.«

Karl lenkte sein Roß zurück und fragte nach der Frauen Begehr: da ging seine Schwester Agia ihm entgegen, geführt von Hildigard der Kaiserin, fiel ihm zu Füßen, umfaßte seine Knie und bat um Gnade für ihre Söhne.

»Liebe Schwester,« antwortete er und hob sie auf, »wahrlich, du tust, wie eine Mutter tun soll: und ich gewähre deine Bitte. Bayard aber muß in meine Gewalt kommen, geh' und melde das deinen Söhnen.«

Reinalds Brüder sprachen gleich: »Lieber sterben im Kampf gegen Karl, als ihm das Roß ausliefern.« Aber Reinald entgegnete traurig: »Kaiser Karl ist übergewaltig: allzulang haben wir ihm getrotzt, allzuviel Blutes ist darum geflossen! Bayard, du bist zu guter Stunde geboren, da du uns Karls Huld wiedergewinnen kannst.«

Dann ließ er das Roß vor sich herführen, er schritt mit seinen Brüdern dahinter zum Burgtor hinaus über die Maasbrücke ins Lager vor den Kaiser und fiel ihm zu Füßen.

»Steht auf, edle Grafen,« sprach Karl, »ich habe euch verziehen.«

Reinald faßte Bayard am Halse und übergab ihn Karl:

»Hier ist mein Hengst, tut mit ihm, was Euch beliebt.«

Da wurden dem Roß zwei Mühlsteine an den Hals gebunden und es mußte von der Brücke in den Strom 331 springen. Bayard sank unter, kam aber wieder empor, fing an zu schwimmen, schlug die Steine ab, kam ans Land und lief seinem Herr zu, laut wiehernd, als wollt' er sagen: »Warum tust du mir das?«

»Es muß doch sterben,« sprach Karl, ließ ihm zwei Mühlsteine an den Hals und an jeden Fuß einen binden und wieder ins Wasser stoßen.

Bayard kam wieder empor, zerschlug die Steine, sprang ans Ufer und lief auf seinen Herrn zu. Doch Karl sprach zum dritten Male: »Reinald, gib mir das Roß: ich will, daß es sterbe.«

Adelhard rief grimm: »Verflucht, Bruder, wenn du das tust. Bayard, so lohnt man dir treuen Dienst!«

Aber Reinald führte das Roß dem Kaiser zu und traurig sprach er: »Herr, kommt es noch einmal heraus, so fange ich es nicht wieder: es tut meinem Herzen weh.«

Da wurden dem Roß zwei Steine an den Hals und zwei an jeden Fuß gebunden und als es im Wasser lag, sprach der Kaiser: »Reinald, verhülle dein Haupt, es kann nicht sinken, solang es dein Auge sieht.«

Reinald deckte mit dem Mantel sein Haupt und weinte. Bayard sank und hielt den Kopf über Wasser, spähte nach seinem Herrn, als solle der ihm helfen, und da das treue Roß sein Auge nicht mehr sah, ging es unter und verschwand in den Wellen der Maas.

In den Ardennen aber geht die Sage, Bayard sei wieder aus dem Strom und in den Wald gekommen. Und wem die Geister hold, der mag dort noch heut' zur rechten Stunde Bayards Wiehern schallen hören, und seinen Huf schlagen aus Fels und Gestein.

332 Als Bayard versunken war, tat Reinald einen Schwur: daß er nie mehr auf Rosses Rücken reiten, noch Schwert schwingen werde. Er ließ seine Brüder bei dem Kaiser und zog nach Montalban. Er setzte seinen ältesten Knaben Emmerich zum Herrn ein über Schloß und Land, den andern teilte er, was sein Vater ihm einst geschenkt hatte. Er küßte Clarissa wieder und wieder: und um Mitternacht, als alle schliefen, schritt er traurigen Herzens von Montalban hinweg und pilgerte in die Wildnis zu einem Einsiedler. Der legte ihm auf: er solle nach Jerusalem fahren und dem Patriarchen seine Beichte tun, auf dem Wege dahin aber arme Pilger gegen die Heiden beschirmen. »Statt des Schwertes führe einen Baumast,« schloß der fromme Mann.

Da fuhr Reinald über See und als er nach Acre kam, stieß sein Vetter Malegis zu ihm; der hatte, seit er von Montalban entwichen war, im Walde gehaust, von Kräutern und Wurzeln lebend, und tat nun gleiche Buß-Reise wie Reinald. Die Vettern umarmten und küßten sich und zogen vereint mit vielen Christen nach Jerusalem, Reinald im Wallerkleid, die Brust von einem Harnisch geschützt, in der Hand schwang er einen wilden Pflaumenbaum. Bald wurden sie von Saracenen angegriffen. Sie teilten sich in drei Häuflein: die Vettern stritten im Vorderkampf: da sank viel Heidenvolk. Malegis sah den Scheich reiten und tat einen Fehlhieb nach ihm und der Scheich warf ihn mit dem Rohrspeer vom Roß, aber Malegis sprang auf und spaltete mit einem guten Hieb des Saracenen Schädel. Die Angreifer stoben davon auf ihren raschen Rossen und die Christen zogen weiter, täglich um ihr Leben streitend mit dem Wüstenvolk.

Dicht vor Jerusalem fiel Malegis: ein Schleuderstein zerdrückte ihm das Herz.

333 Als Reinald heimlich davongegangen war und niemand wußte, wohin, betrübte sich Kaiser Karl. Er ließ Emmerich zu sich rufen, umgürtete ihn mit dem Schwert und belehnte ihn mit Schloß Montalban. Er behielt ihn, da er noch ein Knabe war, an seinem Hof, liebte ihn sehr und zog ihn andern vor. Deshalb haßten ihn Folkwins Söhne und alle, welche Reinald einst verfolgt hatten; und sie verleumdeten ihn bei Karl: in gerichtlichem Kampf tötete der junge Emmerich seinen Ankläger und Karl hatte ihn lieber als zuvor.

Als dies geschah, war Reinald von Jerusalem zurückgekommen und trat im Pilgerkleid ins Palatium zu Paris. Emmerich jubelte, Kaiser Karl umarmte ihn, bot ihm Amt und Lehen, aber Reinald wies alles zurück: »Noch einmal will ich Weib und Kinder, Eltern und Brüder umarmen,« sprach er, »und dann in Armut mein Leben beschließen.«

Clarissa war gestorben: seine Söhnlein standen in Karls Schutz: seine Eltern und Brüder waren ausgezogen, ihn zu suchen, und hatten geschworen, nicht zurückzukommen, bis sie ihn gefunden hätten.

Da schied Reinald heimlich aus der Kaiserpfalz, ging unter Ackervolk, das ihn nicht kannte, teilte ihre Arbeit und kam nach Köln, zur Zeit, als Bischof Hildibald ausrufen ließ: Zimmerleute und Steinmetzen sollten zu ihm kommen und ihm helfen, eine Kirche erbauen zu Ehren St. Peters. Da meldete sich auch Reinald. Der Bischof setzte ihn den Werkleuten als Vorarbeiter; Reinald tat mehr, als fünf Arbeiter zusammen. Während die andern ruhten und speisten, trug er Steine und Mörtel herbei; er aß nur Brot, trank nur Wasser, Nachts schlief er auf den Steinen und nahm nur einen Heller Taglohn. Er sagte nicht, wer er sei und woher er gekommen; da nannten 334 sie ihn Sankt Peters Werkmann. Der Baumeister lobte seinen Fleiß und schalt der andern Trägheit. Darum wurden ihm die Arbeitsleute feind und beschlossen seinen Tod. Sie warteten auf ihn an einer Stelle nahe dem Rhein, wo er vorüberzugehen pflegte, überfielen ihn mit Steinwürfen und zerschlugen ihm das Haupt. Den Toten beschwerten sie mit Steinen und versenkten ihn in den Strom. Aber der Ermordete stieg wieder empor: man hörte auf dem Wasser süßen Gesang schallen wie von Engelsstimmen, und zur Nacht ging ein Licht aus von der Stelle.

Der Erzbischof eilte hin, gefolgt von großer Menschenmenge: man zog den Körper ans Land, erkannte den frommen Werkmann Sankt Peters und die Steinmetzen als seine Mörder. Man wollte den Toten beisetzen: aber als er auf der Bahre lag, Bischof und Volk sich zum Zuge geordnet hatten, fing der Wagen zu laufen an, ohne Roß und Führer davor, und stand nicht früher still, bis zu Pierrelepont. Alle folgten, und wo der Zug an einer Kirche vorbeikam, fingen die Glocken von selbst zu läuten an. Der Abt von Pierrelepont schlug das Bahrtuch zurück von des Toten Haupt und erkannte den Grafen Reinald von Montalban.

Als Herrn Karl der Tod seines Neffen angezeigt wurde, weinte er und sprach den Steinmetzen das Urteil: sie starben den Wassertod im Rhein.


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