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Karl und der Norden, Nordosten und Nordwesten: Nordslaven, Dänen und Angelsachsen.
Die freundlichen und feindlichen Beziehungen Karls zu diesen Völkern stehen zu gutem Teil in engstem Zusammenhang mit seinen Sachsenkriegen.
Seitdem die Germanen, welche dereinst alles Land auch östlich der Elbe und der Weichsel bis an den Pregel im Nordosten, und die Donau entlang bis an das Schwarze Meer im Südosten beherrscht hatten, in der sogenannten Völkerwanderung, richtiger aber schon seit 88 ca. 150 n. Chr., sich weiter nach Westen gezogen hatten, waren ihnen die ungezählten slavischen Horden, welche von jeher östlich hinter den Germanen gewohnt oder gewandert, auf dem Fuße gefolgt und hatten allmählich ganz Osteuropa überflutet bis gegen die Elbe hin: abgesehen von den Finnen und Esthen im Norden, den mongolischen Avaren im Südosten.
Die merowingischen Könige hatten nur vorübergehend friedliche oder auch feindliche Berührungen mit den Slaven in Böhmen gehabt. Erst Karl hat die Überlegenheit germanischer Begabung an Geist und Charakter sowie die Überlegenheit germanischer Bildung und Gesittung den Slaven gegenüber dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er diese Horden schafweidender Wanderhirten, – »Wenden« nannten sie deshalb die Germanen, d. h. »die Weidenden« – soweit irgend seines Reiches Sicherung dies erheischte, unterwarf oder zu friedlicher Nachbarschaft zwang.
Für Karl kommen – im Norden – folgende slavische Völkerschaften in Betracht: die Abodriten im heutigen Mecklenburg, südöstlich von diesen die Wilzen (Welatabi), auch Liutizen genannt, von der Küste bis gegen die Oder hin zwischen Rostock und Stettin, zumal auf beiden Ufern der Peene, südwestlich von diesen die Sorben auch auf dem Nordufer der Elbe, dann in Böhmen die Tschechen.
Wir sahen bereits (S. 81), daß unter diesen Völkerschaften die Abodriten früh zu abhängiger Bundesgenossenschaft von Karl gewonnen wurden, desgleichen die Sorben, gegen welche jedoch einmal (806) zu Felde gezogen werden mußte: die Abodriten waren der Lage ihres Landes nach gegen die Sachsen, Abodriten und Sorben gegen die Wilzen vortrefflich zu verwenden. Diese letzteren waren die ersten von Karl bekämpften Slaven: sie 89 beunruhigten durch Räubereien Karl befreundete andre Slaven und dem Reich bereits einverleibte Sachsengaue. Karl sendet auch gegen sie seine altbewährte Feldherrnkunst des Angriffs von allen verfügbaren Seiten zugleich an. Auch diesmal mußte man zwar auf einen Angriff von Osten her verzichten: die Ostnachbarn der Wilzen waren Karl völlig unerreichbare, fast gänzlich unbekannte Horden, deren weite Gebiete man unter dem Gesamtnamen »Wendenland« (Winidonia) zusammenfaßte.
Aber die verfügbaren drei Seiten wurden auch diesmal zu dreifachem Angriff verwertet: die Abodriten erhielten Befehl, vom Norden her, die Sorben (zwischen Saale und Elbe) erhielten Befehl, vom Süden her in das Land der Wilzen einzudringen, diese also in die Mitte zu nehmen, während Karl vom Westen her – er überschritt den Rhein bei Köln – vom Sachsenland aus mit einem Heere von Franken und von Sachsen den Hauptstoß führte. Hier hat er auch zum ersten Male – was er in der Folge bei gebotener Möglichkeit nie unterließ – außer den Landwegen sich der Wasserstraßen zum Eindringen in das Land des Feindes bedient, nämlich der Elbe und der Havel (Havola)Daß dies die Yssel sein solle, ist sprachlich, wie geographisch und strategisch gleich unmöglich.. Die wasservertrauten Friesen sollten nun ihre Segelkundigkeit im Heerdienste des Reiches bewähren: sie wurden aufgeboten, auf ihren Schiffen die Elbe zu Berg zu fahren, dann in die Havel einzubiegen und auf dieser ebenfalls, soweit diensam, zu Berg zu segeln. Einige fränkische Scharen teilte Karl auch diesmal den Friesen (wie meistens nichtfränkischen Aufgeboten) zu. Vielleicht darf man aus der Verwendung von Wasserstraßen in späteren Fällen schließen, daß auch damals auf 90 diesem Wege besonders Lebensmittel und andre Vorräte dem Heere zugeführt werden sollten. Nach der Vereinigung mit dieser Abteilung an der Elbe (?) schlug Karl zwei Brücken über diesen Strom – die eine sicherte er auf beiden Ufern durch je einen Brückenkopf aus Erdwerk und Pfahlwerk – und drang nun in das Land der Wilzen. Vielleicht – doch ist das ungewiß – wiederholte er auch hier, wie 773 gegen die Langobarden, taktisch im kleinen das strategische Prinzip des Doppelangriffs, indem er auf zwei Wegen – deshalb die zwei, doch wohl nicht am selben Ort errichteten Brücken – von West nach Ost vordrang bis an die Peene (Pana). Auch hier wirkte die großartige Machtentfaltung und die Umklammerung von drei Seiten so überwältigend, daß die Wilzen, obwohl sehr kriegstüchtig und volkreich, jeden Widerstand aufgaben und sich unterwarfen. Schon oft hat nun Karl vor unsern Augen vollen Erfolg erzielt, fast ohne oder ganz ohne eigne Verluste: das ist eines großen Feldherrn Kennmal und Lob.
Auch als 812 nochmal ein Feldzug gegen die Wilzen nötig wird, sendet der Kaiser – er also hat den Plan gemacht – drei Heere zugleich auf wenigstens zwei, vielleicht drei verschiedenen Straßen. Das eine Heer geht durch das Land der befreundeten Abodriten – also von Norden her – wahrscheinlich deren Hilfsscharen an sich ziehend, in das Gebiet der Wilzen; ausdrücklich heißt es dann weiter: »die zwei andern Heere rückten jenem (Nord)Heer gerade entgegen in jene Mark«, also von Süden nach Norden, wohl durch das Land der jetzt ebenfalls wieder befreundeten Sorben. Abermals wirkt das altbewährte Mittel den oft wiederholten Erfolg: von zwei Seiten, wie mit der Zange, gepackt, unterwerfen sich die Bedrohten sofort, jeden Widerstand aufgebend. Aber auch 91 als einmal früher (800) die Sorben zwischen Saale und Elbe sich empört hatten, brachte sie der jüngere Karl durch einen Doppelangriff rasch zur Unterwerfung, indem er sie zugleich von Norden und von Süden faßte: im Norden sandte er kleinere Scharen ihnen in den Rücken über die Elbe, während er selbst von Thüringen aus die Hauptmacht über die Saale führte und sie vom Süden her angriff.
Bei dem Avarenfeldzug von 793 (s. unten S. 107) wollte Karl auch durch Böhmen ein Heer von Nordwest nach Südost senden. Zu diesem Behufe hatte der weit vorschauende Staatsmann und Feldherr schon lange vorher die Verstattung freien Durchzugs erzwungen oder erhandelt von den damaligen Einwohnern. Es waren slavische Horden, welche sich nach dem Abzug der Markomannen (späteren Bayern) in dem schönen bergwaldumgürteten Viereck (das nach den keltischen »Boiern« damals wie heute noch hieß und heißt) eingenistet hatten.
Sie hießen und heißen Tschechen. Wegen ihrer Diebereien an der Grenze mußte Karl sie später (805) züchtigen. Die »eigenartige slavische Kultur«, welche diese Völkerschaft soll entfaltet haben, bestand so wenig, daß, als die deutschen Könige seit dem 10. Jahrhundert das Land kultivierten, sie die Tschechen, welche ein halbes Jahrtausend hier gehaust hatten, noch in rohester Barbarei antrafen.
Der Kaiser (also der Vater Karl) befahl (805), drei Heere sollten auf drei Straßen in das Land der Feinde dringen: das eine, vom Frankenkönig Karl selbst geführt, zog von Westen her durch Ostfranken (etwa über Bamberg) und den Böhmerwald gegen Osten (auf Eger): das zweite – der Heerbann der Bayern – zog von Süden nach Norden (etwa von Passau aus) gegen Pilsen: das dritte (wahrscheinlich ebenfalls Franken, dann 92 Hessen und Thüringe) erhielt den Befehl, die Sachsen und die Karl unterworfenen slavischen Hilfsvölker (Abodriten und besonders Sorben) an sich zu ziehen und dann von Norden her nach Süden durch das Erzgebirg (etwa in der Richtung von Annaberg auf Pilsen) in Böhmen einzudringen. Man sieht: es kehrt ganz genau stets der alte Gedanke Karls wieder: der Feind wird von allen verfügbaren Seiten zugleich gefaßt; nur der Osten entzieht sich auch diesmal und aus dem alten Grunde der fränkischen Bedrohung.
Ganz besonders anschaulich schildern in diesem Falle die Quellen die strategische Wirkung: nachdem die drei Heere den Bergkranz, der Böhmen umgibt, getrennt überschritten, vereinigen sich alle drei, von allen Seiten zusammentreffend, in dem böhmischen Talgrund; »in dem böhmischen Flachland«, heißt es wörtlich (in planitie Behemi) an der Eger (Agara). Hier schlugen sie drei große Lager, nahe nebeneinander, überschritten darauf die Moldau, ja sogar die Elbe und kehrten, da die Tschechen, jedem Kampf ausweichend, in die Waldberge des Ostens geflüchtet, erst als ihnen die Vorräte ausgingen, zurück. Der umsichtige Kaiser aber, stets bemüht, durch alle Mittel den Erfolg zu sichern, jede Störung zuvorkommend zu beseitigen, hatte gleichzeitig noch ein viertes Heer ausgesandt. Die Gefahr lag nahe, daß die den Franken feindlichen Wilzen (s. o. S. 88) ihren slavischen Brüdern, den Tschechen, zu Hilfe kamen und namentlich dem fränkischen Nordheer bei seinem Einmarsch in Böhmen in gefährlichster Weise in den Rücken fielen, seine Rückzugslinie völlig abschnitten. Dies zu verhüten und die Wilzen im Zaum zu halten, hieß Karl ein viertes Heer (wohl wieder Friesen, wie oben S. 89) die Elbe zu Berg fahren bis Magdeburg.
93 Diese Ortsangabe ist sehr lehrreich: ein Blick auf die Karte zeigt, daß gerade hier ein Vorstoß der Wilzen in den Rücken des fränkischen Nordheeres am sichersten aufgefangen werden konnte, bevor die Wilzen Elbe und Saale überschritten. Daher landeten die Friesen hier und nahmen unter Verwüstung des Wilzenlandes Stellung, wahrscheinlich bis das Nordheer sicher nach Hause gezogen war. Daß wieder einmal eine Wasserstraße verwertet werden konnte, gereichte dem alten Helden gewiß zu besonderem Behagen: es war das sein Lieblingsmittel. Auch bei dem mit viel geringeren Kräften im folgenden Jahre (806) unternommenen zweiten Feldzug Karls des Jüngeren wider die »Beheimi«, d. h. Tschechen, werden drei Scharen aufgeboten: aus Bayern, ans Alamannien, aus Burgund. Doch erfahren wir diesmal nichts über die Straßen, die Bewegungen und die Vereinigung der drei Abteilungen. Der Zweck ward erreicht; die tschechischen Horden unterwarfen sich; bei der Reichsteilung von 817 werden sie wie Bayern, Kärnten, Avarenland als zum Reiche gehörig aufgezählt und Ludwig dem Deutschen zugeteilt.
Daß den Abodriten zur Belohnung für ihre Waffenhilfe wider die Sachsen alles Land der Nordsachsen nördlich der Elbe eingeräumt wurde, haben wir schon gesehen (S. 82).
Neuangelegte Burgen bei Magdeburg an der Elbe, bei Halle an der Saale 806, zwei 808 (nördlich der Elbe) darunter wohl Hohbuki, unbestimmbarer Lage, 810 von den Wilzen zerstört, 811 wiederhergestellt, sollten die Slaven der Nachbarschaft bändigen. Die großartige Herrscher- und Heldengestalt Karls, dieses echten Germanen, hat den staunend und geblendet zu ihm emporschauenden Slaven so gewaltigen, so ehrfurchtaufzwingenden Eindruck 94 gemacht, daß ihre Sprache bis heute den Begriff des Königs nur mit Karls Namen ausdrückt (»Kral«).
Durch Unterwerfung dieser Gebiete waren die Franken nun unmittelbare Nachbarn der heidnischen Dänen geworden: es ging aber damals unter den Völkern ein Wahrwort im Schwang, »den Franken habe zum Freund, nicht zum Nachbar«. Die Dänen waren die natürlichen Verbündeten der Sachsen in dem Kampfe für die alten Götter und die alte Freiheit gewesen. Wiederholt hatte Widukind Zuflucht bei ihnen, bei dem König Sigfrid, gefunden (s. oben S. 75, 76). Jetzt, nach Unterwerfung der Sachsen und Abodriten, erschien 804 ein andrer Dänenkönig, Göttrik, – Fürst der jütischen Gaue – mit seiner ganzen Flotte und Reiterei bei Schleswig, Sliesthorp (S. 82), seiner Grenzburg wider die Franken; er wollte wohl dem zu Hollenstedt (s. oben S. 83) lagernden Kaiser zeigen, über welche Macht er gebiete. Den Plan eines Besuches zu Hollenstedt gab er auf Warnung der Seinigen auf, die von Karl verlangte Auslieferung sächsischer Flüchtlinge scheint der Däne geweigert zu haben.
Bald darauf verband sich Göttrik mit den Karl feindlichen (S. 89) Wilzen gegen die dem Frankenreich untergebenen Abodriten und errang entschiedene Vorteile: er fing den einen Häuptling, Godelaib (germanischen Namens), und hing ihn an den Galgen, vertrieb den andern, den Karl treu ergebenen Thrasuch (S. 82), der der Gesinnung seiner Horden nicht mehr trauen durfte: wirklich brachte Göttrik zwei Gruppen der Abodriten zur Schatzungspflicht, – auch die benachbarten slavischen Linonen und Smeldinger (S. 81) vom Elbufer unterhalb der Mündung der Havel östlich gegen den Münig-See hin. Doch hatte er bei Bezwingung einiger 95 Burgen seine tapfersten Heerleute, darunter seinen Bruderssohn Reginald, verloren und zog sich vor dem jüngeren Karl, der zur Abwehr herbeigeeilt war, in sein Gebiet nach Schleswig zurück: ja er zerstörte selbst eine seiner eignen Hafenstädte Rerik (Rerich bei Wismar? oder zwischen Lübeck und Schleswig?), die ihm reiche Zolleinnahmen gewährt hatte, und verpflanzte die dortigen Kaufleute in das Innere seines Landes, vermutlich, weil er verhindern wollte, daß sich Abodriten und Franken darin festsetzten, die Vorteile der Lage nun für sich ausnutzten und ihn von da aus bedrohten: wahrscheinlich ward der Ort nur entfestigt und seiner reichen Bewohner entvölkert: denn er wird auch im nächsten Jahre (809) noch genannt.
So ängstlich besorgte der Jüte damals den fränkischen Angriff, – er versuchte durch Gesandte bei Karl sein Vorgehen zu entschuldigen, sonder Erfolg – daß er zur Deckung seines Gebietes jene berühmte Befestigung anlegen ließ, die unter dem Namen »Danewirke« bis auf unsre Tage (1849, 1864) eine Rolle gespielt hat in den Kämpfen zwischen Dänen und Deutschen. Durch sein Heer unter Leitung der Feldherren ließ er eine ununterbrochene Reihe von Schanzen bauen, welche von der Ostsee (Ostarsalt) bis zur Nordsee (Westersalt) das ganze Nordufer der Eider (Ägidora) gegen Süden absperrte: nur eine Lücke ward gelassen, ein Tor, gerade weit genug, Reiter und Kriegswagen aus- und einzulassen. Gemeint ist unter der Eider entweder die Treene, jetzt ein Zufluß von Norden her in die Eider, damals ein Arm der Eider selbst, oder vielleicht ein von den jetzigen Verhältnissen verschiedener noch mehr nördlicher Wasserlauf; von da zog sich das Danewirk nach Osten gegen die Schlei.
Im nächsten Jahre (809) griff nun aber der vertriebene 96 Thrasuch im Bunde mit den Sachsen Wilzen und Smeldinger an, eroberte eine Stadt der letzteren, zwang die von ihm abgefallenen Horden zum Rücktritt und gelangte bis Rerik, wo ihn Göttrik ermorden ließ; der Kaiser aber ließ zum Schutz wider die Dänen an dem Flusse Stör eine Burg erbauen und von Sachsen besetzen, welche damals Esesfelth genannt wurde: es ist das jetzige Itzehoe. Während noch zwei Jahre vorher der Däne sich zu entschuldigen und nur fränkischen Angriff abzuwehren getrachtet hatte, war ihm nun, wir wissen nicht warum, der Kamm gewaltig geschwollen: er erinnerte sich jetzt seiner unbestrittenen Überlegenheit zur See: – die Franken hatten erst angefangen, sich eine Kriegsflotte zu bauen, die wenigen hergestellten Schiffe fanden reichlich Beschäftigung gegen die Araber im Mittelmeer (s. oben S. 53): – mit 200 Segeln suchte der Normann verheerend alle Friesland vorgelagerten Inseln heim, landete auf der Küste des Festlandes, schlug in drei Treffen die friesischen Aufgebote, legte Friesland wie einer dänischen Provinz Schatzung auf und erhob hiervon wirklich bereits 100 Pfund Silber. Ja der kecke Däne berühmte sich prahlredig, er werde demnächst den Kaiser in offener Feldschlacht aufs Haupt schlagen, ganz »Germanien« (das Land östlich vom Rhein) sich unterwerfen: Friesland und Sachsen wie die Abodriten seien ihm ja schon untertan; bald werde er mit starker Heeresmacht Einzug halten in des Kaisers Pfalz zu Aachen. Und die Zeitgenossen meinten, es sei ihm bittrer Ernst damit. Das war dem alten Heldenkaiser doch zu frech: zornig über solche Keckheit in Wort und Tat eilte er selbst – trotz seiner achtundsechzig Jahre – noch einmal aus seinem Palast in Aachen zum Kampfe gegen den Nordmann – seit 804 zum ersten Male wieder, und es sollte seine letzte Heerfahrt werden. Zugleich erneuerte 97 er die Befehle, auf allen Strömen Deutschlands und Frankreichs Schiffe zu rüsten zu diesem »Nordmannen-Krieg« und überall Seewehren gegen die Raubschiffe der Vikinge anzulegen, zumal an den Mündungen der Flüsse (S. 54): auch Wachttürme ließ er bauen und auf denselben Strandwächter Nacht und Tag ausspähen nach den feindlichen. Segeln. Ist es auch nur Sage, so ist es doch höchst bezeichnende Sage, daß Karl geweint habe, da er die ersten Nachrichten von diesen Normannenzügen erhielt: ahnungsvoll habe er gerufen: »Solang ich lebe, hat es keine Not, aber wehe den kommenden Geschlechtern!« Selbstverständlich ist ihm das erst in den Mund gelegt, eben von jenem »kommenden Geschlecht«, welches unter der Geißel der normannischen Raubfahrten so unsagbar zu leiden hatte. Diesmal sollte es aber gar nicht zum Kampfe kommen: im Lager zu Verden an der Aller, bis wohin Karl dem Nordmann entgegengeeilt war, erhielt er die Nachricht, der hochfährtige König sei von einem seiner Gefolgen ermordet worden: sein Neffe und Nachfolger, Hemming, suchte alsbald den Waffenstillstand – derselbe ward auf die Waffen beschworen – und Frieden bei dem Kaiser, der die von den Wilzen (810) zerstörte Burg Hohbuki an der Elbe (811) wieder herstellen ließ und (812) diese Slaven aufs neue unterwarf.
Auch zu den christlichen Königreichen der Angelsachsen in England hatte Karl mannigfaltige Beziehungen: König Offas von Mercia Tochter sollte einmal einem Sohn Karls vermählt werden: als aber der Klein-König zur Bedingung machte, daß auch eine Tochter Karls einem Sohn Offas verlobt werde, erzürnte das Karl – der keine seiner schönen Töchter von seiner Seite ließ – so heftig, daß er nicht nur jene Verlobung aufhob, sondern ein Handelsverbot gegen die Kaufleute aus Mercien erließ 98 (789). Später ward aber wieder gutes Vernehmen hergestellt: Karl beschenkte (795) Offa wie vielleicht auch Äthilbert von Northumberland aus der den Avaren abgenommenen Beute. Ein aus seinem Reiche vertriebener späterer König von Northumberland, Eardulf, fand Zuflucht bei Karl in Nimwegen und Aachen und wurde ohne Waffengewalt lediglich durch vermittelnde Gesandtschaften vom Kaiser (und vom Papst) wieder auf seinen Thron zurückgeführt (809). Weltliche Oberherrschaft über diese angelsächsischen Reiche nahm Karl auch als Kaiser nicht in Anspruch: nur in geistlichen Dingen griff er auch hier ein, um die Satzungen der Kirche zu wahren, als deren »von Gott berufenen Verteidiger allüberall« er sich betrachtete.