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Nun herrschte König Karl mit starker Hand über alles Reich, das der fränkischen Krone unterstand; den großen Karl hieß ihn das Volk. Er war von mächtigem und ebenmäßigem Körperbau, maß sieben seiner eignen Füße, sein Gürtel maß acht Faustlängen ohne das, was außer der Schnalle hing. Er spaltete mit einem Schwerthieb einen geharnischten Reiter mitsamt dem Rosse in zwei Teile. Drei Hufeisen bog er mit einem Griff und hob einen eisengekleideten Mann auf seinen Händen bis zur Kopfeshöhe empor. Sein schönes Angesicht mit der geraden Nase umwallte braunes Haar, das Kinn ein langer Bart, sein großes lebendiges Auge schien dem Freunde mild und heiter, dem Feinde schrecklich. Einst lobte er einem Bischof den Halleluja-Gesang eines jungen Geistlichen. Der Bischof, nichts vom Singen verstehend, hielt Karls Worte für Scherz und antwortete: »Ja, so etwas kann jeder Bauer seinen Ochsen am Pflug vordröhnen.« Zornig blickte Karl ihn an, und der Bischof stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden. Mit seinen hohen Schultern überragte der König alle seine Paladine: man brauchte ihn nicht erst zu 183 zeigen, wollte ihn ein Unwissender sehen. Er kleidete sich nach fränkischer Weise: in ein Leinenhemd und in ein Wams, mit Seide geziert, die Füße staken in Schuhen, bunte Bänder umschnürten die Beine, welche scharlachfarbene Hosen umhüllten, und im Winter schützte die Brust ein Rock aus Zobelpelz und Fischotter, von den Schultern aber wallte ein blauer Mantel, und nie fehlte an seiner Seite das Schwert, dessen Helze aus Gold oder Elfenbein gefertigt war. Nur zu Festzeiten schritt er einher in golddurchwirkten Gewanden, mit köstlichen Steinen besetzt und auf dem Haupte die Goldkrone, darein leuchtende Edelsteine saßen.
Er richtete das Recht auf, befahl Äbten und Bischöfen verfallene Klöster und Kirchen wieder herzustellen und ging ihnen mit gutem Beispiel voran: denn er war tapfer, gerecht, weise und fromm, und Gott tat Wunder für ihn. Leicht floß ihm vom Mund die Rede, hell ertönte dabei seine Stimme. Er war gütig, doch auch streng und zornig: mit offenen Händen gab er Vornehmen und Geringen. Seine Sendboten zogen durch alles Land und sahen, daß des Königs Befehle auch vollzogen wurden. Gotteshäuser und Paläste ließ er erbauen, so zu Aachen die Muttergotteskapelle. Er schmückte sie mit Gold und Silber, mit ehernen Gittern, mit Marbelsäulen, aus Rom und Ravenna herbeigeschafft. Aber als sie halb fertig war, erwies sich's, daß der Baumeister des Königs sie zu klein bemessen hatte. Karl betete zu Gott um Abhilfe, und siehe, die Säulen wuchsen und trugen das Gewölb empor, und die Mauern dehnten sich aus, so daß nun alle Gläubigen seines Hofes darin Platz fanden. Aus Gold und Silber ließ er die heiligen Gefäße fertigen und priesterliche Gewänder für alle – auch den geringsten – Kirchendiener. Dann setzte er Priester ein und ließ mit großer Sorgfalt den 184 Chorgesang pflegen. In der Pfalz, welche er sich zu Aachen erbauen ließ, umstanden zwölf Schlösser für Paladine und Gefolgen, Diener und Leute allerlei Art seines Hoflagers die Königsburg, auf deren Giebel ein Adler saß, die goldenen Flügel ausgebreitet: daran erkannte man weithin Karls Anwesenheit. Denn im Kriege thronte der Adler auf seinem Zeltknauf. Der Bau dieser Pfalz war aber so kunstvoll eingerichtet, daß Karl durch das Gitter seines Söllers das Ganze überschauen konnte und auch die anscheinend verborgene Tat seinen Blicken klar lag. Vierzehn Grafen waren zu Hütern der Pfalz gesetzt. Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte oblagen in ihr dem heiligen Dienst, ja oft war der Papst dort ein Gast und sang die Messe. Von allen seinen Pfalzen weilte Karl am liebsten in der zu Aachen. Den Erzengel Gabriel hatte Gott zu Karls Schutz befohlen: er stand unsichtbar am Fußende seines Bettes, behütete seinen Schlaf und segnete ihn beim Erwachen. Einhundertundzwanzig Gläubige wachten jede Nacht an ihres Herrn Lager: vierzig von ihnen das erste Drittel der Nacht, die andern je vierzig das zweite und letzte: zehn zu seinen Häupten, zehn zu seinen Füßen, zehn zu seiner Rechten, zehn zu seiner Linken, in der Rechten das nackte Schwert haltend, in der Linken eine brennende Fackel. Frühmorgens hörte er die Messe und schenkte zur Opferung stets der Kirche etwas. Auch Armen und Bettlern reichte er da Gaben. Von dort schritt er in das Palatium und saß im Rat mit seinen Paladinen und Baronen, sei's nun in dem hohen Saal, sei's im Garten unter einem Baum. Vor allen ward Herzog Naimes von Bayern, im gleichen Jahr wie Karl geboren, sein Vertrauter und sein Freund. Naimes hatte Karls Hilfe angerufen gegen seinen Oheim und Mundwalt Tassilo von Bayern, der dem schwertreifen Jüngling das 185 Vatererbe vorenthielt. Karl bekriegte Tassilo und gab Naimes das Erbe zurück und machte ihn zum Herzog von Bayern. Seitdem mochte Naimes nimmer von Karl scheiden. Er war voll kriegerischen Mutes, doch weise bedacht und milde: nie riß ihn wilder Jähzorn hin, wie Herrn Karl. Stolz trug er sein Haupt, von braunem Haar und Bart umwogt, auf breiten Schultern. Zutrauen weckend blickten seine blauen Augen. Er hielt Herrn Karl den Steigbügel, wann dieser Tencendur, den graufarbenen Hengst, bestieg: er hemmte seines Herrn rasche Faust und heißes Zornwort durch weisen Spruch. Zu Pfingsten hielt Karl Hoftag in einem seiner Paläste zu Montloon (Laon), Paris, Aachen oder Ingelheim. Dann saß er auf seinem Faltestuhl aus Gold und Elfenbein, in königlichem Schmuck, stolzen Blickes mit hochragendem Leib.
Einst, zu Paris: da speisten an seinem Tische siebzehn Könige, dreißig Bischöfe, ein Patriarch und tausend Priester, der Herzöge und Grafen zu geschweigen.
Junge Edelinge, an hundert, in Hermelin und bunten Pfellel gekleidet, dienten den Gästen beim Mahle. Hinter Karls Stuhl standen drei Fürstensöhne, ihm aufzuwarten. Siebenhundert Gold- und Silberbecher glänzten auf seiner Tafel. Er war maßvoll: nur dreimal trank er während eines Mahles, aß stets gebratenes Fleisch, aber, seinem Wuchs angemessen, auf einmal einen Hasen oder eine Gans oder einen Pfauen oder einen Kranich oder ein Viertel eines Hammels, dazu ein wenig Brot und Obst.
Dann ließ er arme Ritter herzugehen und teilte Kleider, Waffen, Falken, Rosse und goldene Heller unter sie aus mit freigebiger Hand.
Nach dem Essen spielten die Vornehmen Schach und Brettspiel, die Jungen fochten und Karl schaute ihnen zu von seinem Faltestuhl herab. Und die kraftstolzen Recken 186 riefen jubelnd: »Heil dir, Karl, gebiete, Herr, und wir gewinnen dir alle Reiche der Welt!«
Vor allen Freuden liebte er die Jagd, allein oder in großem Gefolge durchstreifte er die Wälder, vornehmlich die um Aachen.
Auf solch einsamem Ritt mag es geschehen sein, daß er eine Elbin fand in verschwiegenem Waldesdicht. Er liebte sie zärtlich und hielt sie in Verborgenheit. So oft er zu ihr kam, empfing sie ihn glückstrahlend, ging er aber von ihr, erstarrte sie und harrte wie leblos seiner Wiederkehr. Einst, als er mit ihr scherzte, fiel ein Sonnenstrahl ihr in den lachend geöffneten Mund, und Karl sah ein Goldkörnlein unter ihrer Zunge kleben; er streifte es mit seinem Finger heraus: alsofort starb die Elbin, und wie ein Traumbild zerrinnt, wandelte sich Karls Liebe in Vergessen.
Dem König durfte die Gemahlin nicht fehlen. Bald nach Galianens Tod vermählte er sich wieder, und er hat nacheinander mehrere Frauen heimgeführt. Die seinem Herzen am nächsten gestanden, war Hildigard, die Schwester Gerolds von Schwaben. Söhne und Töchter wuchsen ihm bald heran.