Felix und Therese Dahn
Kaiser Karl und seine Paladine
Felix und Therese Dahn

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Nun waren es sieben Jahre, seit die Haimonskinder Mutter und Heimat hatten verlassen müssen. Reinald konnte die Sehnsucht nicht länger ertragen, er sprach zu Adelhard: »Bruder, mein Herz ist traurig; wenn ich unsre Mutter nicht bald wiedersehe, muß ich sterben.«

»Wie soll das enden?« antwortete Adelhard, »du weißt doch, was unsre Eltern Karl eiden mußten.«

»Den Eid fürcht' ich nicht, Mutterliebe ist stärker. Aber was auch komme, ich muß die Mutter wiedersehen, oder sterben.«

»Dann wollen wir es klug anfangen,« sagte Adelhard, »wir wollen im Wald an der Heerstraße Pilgern auflauern und mit ihnen heimlich unsre Kleider tauschen, und wir ziehen als Pilger nach Pierrelepont.«

So lagen die vier Haimonskinder denn im Wald, bis sie einiger Pilger ansichtig wurden. Der erste wehrte sich und drohte, in Paris beim Kaiser zu klagen, aber die andern beruhigten ihn. Und die Pilger zogen in den schönen, ritterlichen Kleidern davon, die Haimonskinder aber bargen ihre Schwerter unter den grauen Kutten und pilgerten zu Fuß mit Muschelhut und Stab ihrer Heimat zu. Als sie ans Tor von Pierrelepont klopften, schaute der graue Torwart zum Turm heraus und fragte nach ihrem Begehr. Reinald antwortete:

286 »Laß uns arme Pilger ein, um Gotteswillen, wir leiden Hunger und Durst.«

»Das darf ich nicht,« sprach der Wärter, »um unsrer jungen Herren willen; wir hörten, sie seien in den Ardennen gesehen worden; wir wollen sie nicht fangen. Und Ihr seht dem Reinald gar ähnlich; hättet Ihr nicht den langen Bart, ich sagte: Ihr wäret der stolze Reinald.«

»Laß uns nur ein, Torwart, möge Gott deine vier Herren erretten aus des Kaisers Hand, oder – wo sie auch weilen – vor Karl schützen.«

Die Worte erweichten des Alten Herz; er schob den Riegel zurück und ließ die Pilger in die Burghalle vor die Gräfin treten. Die stand auf und dankte höflich für der Pilger Gruß.

»Wir kommen von Rom und Sankt Jakob,« sprach Reinald, »wir sind ganz erschöpft von Hunger und Durst; deshalb bitten wir Euch, edle Frau, gebt uns Speise und Trank, um Gottes willen.«

»Davon sollt ihr genug haben, kommt und setzt euch hier an den Tisch.«

Da aßen die Haimonskinder nach Herzenslust in ihrem Elternhaus. Frau Agia nahm eine Silberschale, goß sie voll Wein und reichte sie Reinald. Nachdem er getrunken, sprach er: »Edle Frau, wer noch mehr hätte des guten Weins!«

»Wenn euch der Wein schmeckt, trinkt frei davon alle vier, ich will euch genug davon geben.«

Reinald trank in seiner Freude soviel, bis er trunken war. Die Gräfin wunderte sich; ihr deuchte, der Pilger tränke für zehn Mann. Aber Reinald sprach: »Frau, gib mir noch einen Trunk, dann fürcht' ich Karl, meinen Ohm, nicht!« Adelhard erschrak, stieß Reinald mit der Hand an, daß der Weinmüde aufs Polster zurücksank. Da 287 erkannte die Mutter ihre Söhne; sie kniete nieder, umhalste Reinald und ließ nicht ab, ihn zu küssen.

Das sah ein Mann, der dem Kaiser allzu eifrig dienen wollte: er trat hinzu und sprach:

»Frau Gräfin, das sind Reinald und seine Brüder: gedenket nun Eures Eides und überliefert sie Herrn Karl, oder ich reite hin und zeig' es ihm an.«

Zornig rief die Gräfin: »Pfui über dich, Zeit deines Lebens issest du mein Brot. Und müßt' ich Karl noch einen solchen Eid schwören, ich schickte ihm meine Kinder doch nicht, daß er sie töte.«

Der Gescholtene lief hinaus vor das Burgtor und suchte Graf Haimon: »Herr, Eure Söhne sitzen in Eurem Saal und tafeln und trinken mit ihrer Mutter; sie ist eine eidbrüchige Frau, darum mahn' ich Euch: fangt Eure Söhne und überliefert sie dem Kaiser, wie Ihr's geeidet, sonst zeig' ich's ihm an; dann kann Herr Karl gleich die Alten mit den Jungen richten.«

Graf Haimon faßte einen Baumast, der am Wege lag, und schlug den Frechen auf den Kopf, daß er tot umfiel: »Du wirst es dem Kaiser nicht melden,« sprach er, ging in den Burghof und befahl seinen Kriegsmannen: »Nehmt die Waffen und fangt mir meine Söhne oben in der Halle: nun kam's dahin, daß ich den greulichen Eid ausführen muß.«

Adelhard hatte Haimon und die Bewaffneten nahen sehen: »Helf uns Gott und Sankt Marie,« rief er, »hier kommen unser Vater und seine Dienstmannen; Mutter, weißt du keinen Rat? Reinald ist trunken.«

»Tragt ihn dort in das Gemach, und verteidigt den Eingang, es ist das festeste im ganzen Schloß.«

Rasch taten die drei Brüder nach ihrer Weisung. Dann zogen sie ihre Schwerter, standen vor der Tür und 288 Adelhard rief, als die Gewaffneten in den Saal traten: »Keiner von euch, ihr Herren, komme uns zu nahe: wir schlagen jeden nieder.« Sie stritten tapfer, bis Reinald aus seinem Rausch erwachte: er sah seine Brüder gegen Vater und Dienstmannen kämpfen: flugs sprang er auf, faßte sein Schwert und drängte seine Brüder zurück: »Ruhet euch ein wenig aus: – ich schone niemand und wär' es mein Vater, darum bleib' er mir fern,« rief er laut. Und er sprang mitten in das Kriegsvolk und schlug so gewaltig zu, daß alle fliehen mußten. »Reinald ist tapferer als all mein Volk,« lachte Haimon, »diesmal fangen wir ihn nicht, laßt uns abziehen.«

Reinald und seine Brüder verfolgten sie und als Reinald an seinen Vater kam, wollte er ihn in seiner Wildheit erschlagen. Adelhard fiel ihm in den Arm: »Halt ein, Bruder, werde nicht zum Mörder am eignen Vater: das wär' uns ewige Schande und Sünde: weder Gott noch Menschen würden uns das verzeihen.«

»Ich will ihn lehren, seine eignen Kinder fangen,« rief Reinald. Und er packte Haimon, der wehrte sich nicht viel, band ihn, setzte ihn auf ein gutes Roß und befahl einem Troßbuben: »Führe Roß und Mann zu Kaiser Karl.«

»Graf Haimon ist mein Herr, Ihr habt mir nichts zu befehlen, das tu' ich nicht,« antwortete der Knabe fest.

Da bekam er Schläge von Reinald, daß er gern gehorchte: »Und zu Kaiser Karl sollst du sprechen: diesen Mann schickt dir Graf Reinald und sagt: solche Greuel geschehen, weil du den Vater wider seine Söhne gehetzt hast.«

Der Knabe führte seinen Herrn nach Paris. Der Torwart fragte: »Wer ist der Gefangene?« »Graf Haimon,« antwortete der Knabe finster; der Graf sagte: »Tue das 289 Tor auf und laß mich zum Kaiser, daß ich ihm klage, was mir geschehen ist.«

Als Karl ihn in die Pfalz reiten sah, erkannte er den Grafen, stieg in den Hof hinab, löste ihm selbst die Bande und fragte: »Haimon, wer hat dir das angetan?«

»Meine Söhne, Herr Kaiser, weil ich sie dir fangen wollte in Pierrelepont: sie wehrten sich tapfer, viel Volks ist mir dabei erschlagen worden.«

»Haimon, du bist ein treuer Mann,« sprach Karl, »bleibe jetzt hier in meiner Pfalz.« Dann ließ er sofort eine Schar rüsten und zog nach Pierrelepont, die Haimonskinder selbst zu fangen.

Reinald sah von der Burgzinne aus den Kaiser nahen und Lagerzelte aufschlagen Er sprach zu seiner Mutter: »Jetzt steht's schlimm, liebe Mutter, der Kaiser wird uns belagern; bezwingt er die Burg, müssen wir alle darin sterben. Weißt du einen Rat?« Sie sann eine Weile, dann antwortete sie: »Reinald, dich haßt der Kaiser, darum ziehe dein Pilgerkleid wieder an und ich will dich zu einem Pförtlein hinauslassen. Allein wirst du dich leicht durchschleichen und retten.«

Traurig nahm er Abschied von Mutter und Brüdern; er schlüpfte in der Nacht zu dem Pförtlein hinaus, schlich sich durch Zelte und Wachen und eilte nach Montalban, wo er Bayard gelassen hatte.

Zu den drei andern sprach die Mutter: »Euch weiß ich nichts weiter zu raten, als daß ihr barfüßig vor dem Kaiser niederfallt und um Gnade bittet. Euch wird er wohl auf Fürbitte Rolands, Turpins und Naimes verzeihen.«

Adelhard, Wichard und Richard machten sich gleich auf den schweren Gang.

290 »Und wo ist Reinald?« fragte sie der Kaiser, als sie vor ihm knieten.

»Wir wissen es nicht,« antworteten sie.

»So bleibt ihr gefangen, bis ich ihn dazu habe: – dann werdet ihr vier zusammen gerichtet.« – Und der Kaiser nahm sie gefangen mit nach Paris.

Als Reinald in Montalban angekommen war und seiner Brüder Schicksal erzählt hatte, war große Trauer in der Stadt. Er ließ sogleich Bayard satteln und ritt nach Paris; denn Leib und Leben wollte er für seiner Brüder Rettung einsetzen. Eine Tagesreise vor Paris kam hinter ihm ein Jüngling gelaufen mit eisenbeschlagener Keule.

»He Bursch,« rief Reinald ihn an, »läufst du etwa so, um mich dem Kaiser zu verraten?«

»Nein, Graf, ich heiße Regant und ziehe in Geschäften nach Paris.«

»Magst du mir eine Botschaft an den Kaiser ausrichten? Ich zahle dir guten Lohn dafür.«

»Ich bin Euch gern zu Diensten, Herr,« antwortete Regant. Nun unterrichtete ihn Reinald, was und wie er es zu sagen habe, und wo er ihn erwarten wolle. »Doch laß dir zuerst vom Kaiser frei Geleit zusagen, bevor du meine Botschaft meldest,« mahnte er, und entließ ihn des Weges nach Paris. Am andern Tage traf Regant dort ein, wanderte gleich ins Palatium und wartete, bis der Kaiser aus seinem Gemach schritt, gefolgt von einigen Paladinen. Regant legte seine Keule hin und sank ins Knie: »Gnädiger Herr Kaiser, ich bring' Euch gute Botschaft.«

291 »Gute Botschaft ist mir lieb, steh' auf und sage, was du bringst.«

Regant erhob sich: »Ehe ich's Euch melde, Herr Kaiser, wollet mir sicher Geleit zusagen.«

»Sprich nur,« sagte Karl, »dir soll kein Leid widerfahren, ich setze dir Roland zum Bürgen.«

»Verzeiht, Graf Roland, ich möchte lieber einen andern Bürgen,« sprach Regant.

»Nimm Oliver noch dazu, dann bist du ganz sicher,« lächelte der Kaiser. Aber Regant sprach: »Die Grafen sind sicher genug, aber ich hätte doch lieber andern Bürgen.«

»Du bist schwer zufrieden; so geb' ich dir dort den Erzbischof Turpin als dritten.«

»Ach, gnädiger Herr Kaiser, die Herren sind alle gut und ehrenreich, aber ich möchte ganz andern Bürgen.« Und so sagte er bei jedem Namen: »Ei, Bote,« sprach da der Kaiser, »so will ich selbst dir Bürge sein, kein Leids soll dir widerfahren, bei meinem Haupt.«

»Einen besseren wünsch' ich nicht, habt Dank, Herr Kaiser.«

»Und deine Botschaft?« fragte Karl.

»Mein Herr läßt Euch in Demut grüßen, er ist der traurigste und beste Mann, den die Sonne je beschien.«

»Wer ist der Mann?«

»Graf Reinald von Montalban: was er wider Euch gefehlt, will er sühnen: einen goldenen Mann will er Euch schmieden lassen, so groß als König Ludwig war, eine Kirche erbauen und fromme Stiftung dabei errichten, Schloß Montalban und sein Roß Bayard will er Euch schenken und jederzeit zu Eurem Dienst bereit sein; und wenn Ihr ihn nicht vor Augen sehen möget, so will er über See fahren in ein fremdes Land. Dafür, Herr Karl, 292 sollt Ihr ihm und seinen Brüdern Frieden geben.« Regant hielt zögernd inne.

»Was mehr?« fragte der Kaiser streng.

»Sagt Ihr nein, so wird er in Euer Land brechen, Höfe, Kirchen und Klöster berauben.« Wieder schwieg Regant.

»Sonst nichts hieß dich dein Herr sagen?« forschte finstern Blicks der Kaiser.

»Ja, noch eins: wollt Ihr denn gar nicht von Eurem Zorn lassen, so will Graf Reinald Euch nachstellen allenthalben: – mit Euch zu tun, wie mit Ludwig.«

»Wahrlich, solche Botschaft kann mir nicht gefallen,« sprach der Kaiser drohend. »Bote, du warst klug, als du dir sicheres Geleit erbeten hast, sonst müßtest du jetzt sterben. Hast du weiter nichts zu melden?«

»Dem Kaiser nichts,« antwortete Regant, »doch euch, ihr Herren: Roland, Oliver, Naimes, Turpin, Ogier, Richard und allen, die Graf Reinald Freund oder verwandt sind: euch bittet er um Schutz für seiner Brüder Leben. Und will der Kaiser sie mit Gewalt hinrichten lassen, wird Reinald Leib und Leben dran wagen, sie zu befreien.«

»Neffe Reinald führt eine kecke Sprache,« rief Karl zürnend, »laßt sehen, ihr Herren, wer von euch sich mir widersetzen will?«

»Ich helfe meinem Vetter Reinald,« sprach der stolze Roland.

»Und ich will sein Freund immer bleiben,« sagte Turpin.

»Für so tapfere Recken baut man keine Galgen, solang ich's hindern kann,« grollte Ogier.

»Ich möchte Reinald mit Herrn Karl versöhnen,« sprach der alte Naimes. Und jeder der anwesenden Paladine hatte einen andern Grund, für Reinald einzustehen, und 293 keiner verleugnete ihn. Kaiser Karl sprach zu Regant: »Du bist verständig und mutig und hast deine Botschaft ausgerichtet, wie sich's gebührt; wann hast du Reinald zuletzt gesehen?«

»Gestern auf seinem Roß Bayard,« antwortete Regant.

»Willst du mir sagen, wo der Graf ist, so schenk' ich dir fünf Saumtiere, beladen mit Gold und schütze dich vor allen Verfolgern.«

»Nein,« rief der Jüngling, »das tu' ich nicht, und bötet Ihr mir tausendmal soviel. Mit Leib und Leben steh' ich zu meinem Herrn.« Schweigend winkte ihm da der Kaiser hinweg.

Graf Reinald harrte im Wald auf Regants Rückkehr; der blieb länger aus als Reinald erwartet hatte: Sorge, Trauer und Müdigkeit bedrückten ihn, bis ihn Schlaf überfiel. Er band Bayard an einen Baum, legte sich ins Graf und schlief ein. Bayard bekam Hunger, er roch das frische Waldgras, machte sich frei und lief auf die Waldwiese zum Grafen.

Nun hatten gerade an dem Tage zwanzig Königsknechte ihr Vieh auf die Waldweide getrieben. Sie sahen das Roß und sprachen untereinander: »Das ist Bayard, das große Roß, auf dem Reinald damals ritt, als er unsern jungen König erschlagen hatte. Laßt's uns fangen und dem Kaiser bringen, der gibt uns wohl reichen Lohn dafür.« Mit Weidenschlingen und Baumzweigen umringten die Knechte das Roß, fingen es glücklich und führten es nach Paris in des Kaisers Burghof. Der Kaiser nahm es gern an und ließ den Knechten einen Lohn geben, der für ihr Leben ausreichte. Bayard aber schenkte er gleich Roland.

»Ich wollte,« sprach der bei sich, »daß mein Vetter 294 das Roß wieder hätte, die Diebe, die es ihm gestohlen haben, aber am Galgen hingen.«

Als am Hofe kund ward, daß Roland Bayard habe geschenkt erhalten, liefen Frauen und Jungfrauen herbei und baten: Graf Roland möge das Roß einmal reiten, von dem sie soviel Wunderbares vernommen hätten.

»Da muß ich zuvor den Kaiser um Erlaubnis fragen,« gab er stolz zur Antwort.

»Bayard ist dein freies Eigentum, und man muß den Frauen was zu Gefallen tun,« lachte der Kaiser. »Dann will ich das Roß am nächsten Sonntag reiten vor der Stadt, auf dem Roßanger: euch zulieb, schöne Damen,« sprach der Graf und verneigte sich vor den Frauen.

Als Reinald erwachte und Bayard nicht mehr fand, ward er schier sinnlos vor Gram. »Ein Unglück kommt nie allein,« klagte er, »erst meine Brüder verloren, nun mein Roß! Ich wollt', ich läge tot. Gott im Himmel, du liebst Karl allzusehr: darum kann niemand ihn zwingen, weder mit Tat noch Rat.« Er legte die Sporen ab, »was sollen mir die nützen, da ich Bayard nicht mehr habe!« Da trat ein steinalter Mann aus dem Hagedicht, er hatte einen langen, weißen Bart bis auf den Gürtel, die buschigen Augenbrauen hingen ihm tief über die grauen Augen, auf dem Rücken trug er einen Sack; er ging gebückt an einem Stabe und wünschte Reinald einen guten Tag.

»Ich habe zeitlebens noch keinen guten Tag gehabt, so wird mir dein Wunsch auch nicht frommen,« antwortete Reinald.

»Gott kann alles wenden und aus jeder Not helfen.«

»Ach, mir ist nicht zu helfen; ich bin Reinald von 295 Montalban, meine Brüder hält der Kaiser in Paris gefangen, und während ich hier schlief, ist mir mein Roß Bayard gestohlen.«

»Betet nur zu Gott, er kann helfen. Ich bin ein armer Mann, schenkt mir etwas, dann will ich in meinem Gebet Euer gedenken.«

»Ich habe nichts, Alter; doch wart', da nimm die goldenen Sporen, meine Mutter hat sie mir geschenkt, als mich der Vater mit dem Schwert umgürtete; sie sind wohl zehn Gulden wert.«

Der Alte dankte, nahm die Sporen und schob sie in seinen Sack.

»Herr,« fing er wieder an, »habt Ihr der Gaben nicht noch mehr? Ich will dann noch fleißiger für Euch beten.«

»Treibst du Spott mit mir?« fragte Reinald; »ich sagte dir schon: ich habe nichts. Wärst du nicht so alt, wollt' ich dich mit Schlägen vertreiben.«

»Ach Herr, wenn mich alle schlügen, die ich anbettle, wär' ich vor hundert Jahren schon gestorben.«

»Das ist wahr,« sagte Reinald, »wer Not leidet, muß bitten.«

»So schenkt mir noch etwas und ich will zu Gott beten, daß er alles Leid von Euch nehme.«

Reinald reichte ihm seinen Mantel: »Davon kannst du lange zehren, nimm ihn um Gottes willen.« Der Alte faltete den Mantel zusammen und schob ihn in seinen Sack.

»Habt Ihr vielleicht noch etwas, so gebt es mir, ich ersetze Euch alles mit Beten.«

Nun wurde Reinald aber zornig. »Hast du noch nicht genug, du Gauch!« rief er und schlug mit dem Schwert nach ihm. Geschickt wich der Bettler zur Seite und hielt Reinald mit dem Eschenstabe zurück. »Schlagt nicht, 296 Reinald, es gereut Euch: ich wehre mich.« Reinald lachte verächtlich, aber der Alte fuhr fort: »Gewiß, gewiß, Herr! Ihr wißt wenig, was ich alles kann.«

Reinald schlug zum zweiten Male, aber der Alte stand plötzlich da als ein zwanzigjähriger Jüngling und gab den Streich zurück. Reinald erschrak: »Hat mich das Glück denn ganz verlassen? Meine Brüder gefangen, mein Roß gestohlen, mich will Karl hängen und jetzt kommt der Teufel selber daher!« Er schwang sein Schwert nach dem Unheimlichen, um ihn zu töten, der sprang auf die Seite und rief: »Vetter Reinald, kennst du mich denn nicht? Ich bin's ja: Malegis.«

»Meiner Treu, Malegis! Wie kommst du daher? Ich kannte dich wahrlich nicht. Zürne darum nicht, Vetter; hilf mir vielmehr mit deiner Kunst: du bist meine letzte Hoffnung.«

Malegis, kaum älter als Reinald, war Haimons Brudersohn. Und er war zauberkundig: bei seiner Pflegemutter Gloriande im Feenreich hatte er die ungeheure Kunst erlernt und in Toledo unter den Saracenen und Heiden. Er sprach nun: »Vetter, ich komme aus Spanien und suchte dich in Montalban, wo ich dein Schicksal erfuhr; ich schaffe dir mit meiner Zauberkunst dein Roß wieder, aber du mußt alles tun, was ich dir sage.«

»Das will ich, sei's mir noch so sauer.«

Malegis nahm aus seinem Sack einen weiten Frauenmantel, den mußte Reinald über seine Rüstung umlegen, zerlumpte Hosen über seine Beinschienen ziehen, und einen alten, durchlöcherten Hut stülpte er ihm auf den Kopf. Dann gebrauchte er seine Kunst und verzauberte Reinald in einen alten, kranken, ungestalten Mann. Er selber nahm seine Bettlergestalt wieder an, so daß sie jeder für elende Pilger halten mußte. Sie schritten an den 297 Waldessaum hinaus und ruhten unter einem Baum. Da sahen sie vier Mönche auf Maultieren die Straße von Paris herabreiten.

»Warte hier ein wenig,« sprach Malegis, »ich will den Mönchen beichten.«

»Tu' das, Vetter, es möchte gut sein,« antwortete Reinald.

Malegis schritt auf die Straße und grüßte die Mönche. »Wie seid Ihr so bergesalt, Mann!« sprachen sie.

»Möcht' ich nur solange leben, bis ich meine Sünden gebeichtet habe; ich bitte euch, ehrwürdige Herren, wollet meine Beichte hören, um Gottes willen.«

»Wir haben keine Zeit,« antworteten sie, »gehe zu einem Pfarrherrn.«

»Ihr seht, ich bin ein alter Mann, schickt mich nicht in den Tod mit meinen Sünden. Ich habe noch vier Goldgulden, – da, nehmt die, und hört meine Beichte.«

Das schien den Mönchen gut; sie nahmen das Gold, hörten seine Beichte und sprachen ihn seiner Sünden los.

Dann fragte Malegis: »Gibt's nichts neues in Paris? Ist kein Hoftag angesetzt?«

Da erzählten die Mönche, daß Roland am nächsten Sonntag Bayard reiten werde, und danach sollten die Haimonskinder gerichtet werden. Reinald sei in Acht und Bann getan.

»Sind sie noch nicht gehangen, können sie auch noch mit dem Leben davonkommen,« sagte Malegis und ging zurück zu Reinald.

»Vetter,« rief er, »nun auf, nach Paris!«

Gerade als die Messe ausgesungen war und Graf Roland Bayard reiten sollte, langten sie an der 298 Seinebrücke vor Paris an. Malegis nahm aus einer offenstehenden Scheune Stroh und richtete auf der Brücke ein Lager her für Reinald. Einen Mann, der des Weges gegangen kam, rief er an: »Helft mir, meinen kranken Gesellen auf das Stroh bringen, er kann das Stehen nicht vertragen.« Dem Mann schien Reinald der elendeste Bettler zu sein, er half ihm freundlich auf das Stroh, schenkte ihm einen Heller und bot Malegis noch sein Haus zur Nachtherberge an. Malegis setzte sich nun zu Reinald, nahm aus seinem Sack eine Silberschale, geziert mit bunten Steinen, so groß, daß man einen Säugling darin baden konnte, und stellte sie zwischen sich und Reinald. Er nahm aus einem Krug Wein, allerlei Kräuter und braute einen Zaubertrank; wer davon genoß, der mußte Malegis Willen untertan sein. Dann gab er Reinald die goldenen Sporen zurück: »Binde sie an, Vetter und ziehe die Hosen darüber, ich schaffe dir jetzt Bayard wieder; merk: wenn man dich auf seinen Rücken hebt, läßt du dich zweimal auf der andern Seite herunterfallen, das dritte Mal aber bleibe sitzen.«

Nun kamen aus der Pfalz die schön geschmückten Frauen und Jungfrauen geschritten, und während die Höflinge und Paladine über die Brücke reiten mußten, stritten sie darüber, wer der Schönste sei; ein Mägdlein sprach: »Ach, ich weiß einen, der ist schöner als alle, ihr kennt ihn nicht: es ist Graf Reinald; er darf nicht ins Frankenreich kommen.« Die Vettern auf dem Stroh hörten die Worte und Reinald lachte hell auf; Malegis stieß ihn ärgerlich mit dem Ellbogen und flüsterte: »Reinald, du mußt hier nicht lachen, wenn dir dein Leben lieb ist.«

Nun kam der Kaiser auf die Brücke geritten, sah die alten Bettler und die kostbare Schale zwischen beiden 299 stehen. »Sieh einmal dorthin, Neffe Roland,« sprach er, »in meinem ganzen Schatz ist kein solch schönes Gerät.«

»Fürwahr, Oheim,« antwortete Roland, der auf Bayard ritt, »wir wollen die einmal darum befragen.« Er lenkte das Roß hin; Bayard beschnupperte den einen Bettler, erkannte seinen Herrn und tat gar zutraulich.

»He, Alter,« rief Roland, »woher hast du die schöne Schale?«

»Nicht geraubt, gnädiger Herr, weither aus fremdem Lande mitgebracht, und ich hoffe, sie auch hier nicht zu verlieren; denn, Dank sei Herrn Karl, in seinem Reiche findet armer Mann sein Recht, so gut als reicher.«

Da sprach der Kaiser: »Darum sorge dich nicht, Pilger, ich möchte nur wissen, woher die Schale stammt.«

»Ach, Herr,« antwortete Malegis und stellte sich, als kenne er den Kaiser nicht, »das Geld dazu habe ich vor vielen Jahren in Kirchen und Klöstern erbettelt: das ist die Schüssel, aus welcher Christus mit seinen Jüngern das Nachtmahl aß. Der Papst hat sie gesegnet, wer daraus trinkt, der trinkt sich Heil an Leib und Seele.«

Kaiser Karl dachte: sie sind zwei Engel Gottes, denn Bayard, das Tier, erweist ihnen Ehrfurcht. Malegis schlug nach dem Roß mit seinem Stabe: »Herr, laßt das große Roß hinwegführen, ich fürchte mich davor.«

Der Kaiser winkte Roland fort, warf Malegis einen Goldgulden zu und sprach: »Das duftet süß aus deiner Schale, reiche sie mir, und laß mich einen Trunk daraus tun, – daß ich meiner Sünden entledigt werde.«

»Das steht nicht in meiner Macht, – doch mögt Ihr trinken, wenn Ihr mir den Kaiser zeigt.«

»Der bin ich.«

»Herr Kaiser, so zürnt nicht, daß ich zu frei mit Euch redete.«

300 »Das deut' ich dir nicht so schlimm; gib nur her die Schale.«

»Ihr müßt aber zuvor Euren Feinden verzeihen.«

»Das tu' ich allen, nur nicht Reinald und Malegis, dem Schelm, der mit seiner bösen Kunst im Reiche herumfährt; die möcht ich beide hängen lassen. Wer ist denn der Bergesalte, der auf dem Stroh liegt?«

»Ach, der ist blind und taub und stumm; das Unglück kam über ihn in einer Nacht und eine weise Frau, die mit Kranken umzugehen weiß, sagte mir gestern, sie wisse einen Rat: wenn wir hinzögen, wo Graf Roland Bayard reiten wolle, da sollten wir bitten, daß der Arme auch einmal auf dem wunderbaren Roß reiten dürfe: – das könne ihm helfen.«

»Ei, da seid ihr zur rechten Stunde hergekommen. Graf Roland soll deinen Gesellen auf das Roß heben. Nun laß mich aber trinken,« sprach Karl drängend, und sog begierig den starken Duft ein, der aus der Schale aufstieg.

»Gar gern,« antwortete Malegis und reichte die schwere Schale dem Kaiser hinauf; der trank einen langen Zug, in dem Wahn, einen Segenstrunk zu tun. Die Bettler hinkten nun dahin, wo Roland mit Bayard stand.

»Teurer Neffe,« bat der Kaiser, »setze diesen kranken Pilger einmal auf dein Roß, ob es ihm Heilung bringe.«

Roland stieg ab, rief die Knechte herbei, welche den Hengst zu hüten hatten, und hob den Mann auf Bayards Rücken, aber der Kranke fiel zur andern Seite herunter; der Graf half ihm noch einmal hinauf, da fiel er von der andern Seite wieder hinab.

»Ach, Herr,« schrie Malegis, »treibt kein loses Spiel mit dem Armen, das Roß ist greulich hoch, fällt er oft herunter, bleibt er tot.«

301 »Ei, Neffe,« schalt der Kaiser, »so halte den Mann fest, bis er sitzt.«

Roland setzte den Alten zum dritten Mal hinauf, da blieb er sitzen, schob seine Fußspitzen in die Steigbügel und sprach zu den Knechten, welche Bayards Zügel hielten: »Laßt mich einmal allein reiten.«

Gnädig winkte der Kaiser, die Knechte gaben Reinald die Zügel in die Hand und langsam ritt der vorwärts.

»Geselle,« rief Malegis, »du hast die Sprache wieder? Kannst du auch sehen und hören?«

»Ja,« antwortete Reinald mit verstellter Stimme, »ich bin mein Übel losgeworden.« Und wie er sah, daß man auf ihn nicht besonders achtete, gab er Bayard den Sporn. Das Roß merkte seinen Herrn, wieherte hell und sprang in gewaltigen Sätzen davon. Die Roßknechte erschraken, weil sie, bei Lebensstrafe, das Roß zu hüten hatten. Malegis schrie aus: »Weh, Herr Kaiser, weh, mein armer Geselle wird herunterfallen und sterben; seht, das Roß gebärdet sich wie toll mit ihm.«

Da befahl der Kaiser Roland und seinen Freunden: »Nach, ihr Herren! Fangt mir das Roß mit dem Alten wieder ein.«

Aber Malegis gebrauchte seine Kunst und gab Reinald seine eigne Gestalt und Kraft zurück.

Die Befohlenen ritten hinterdrein. Als Reinald sie folgen sah, zog er sein Schwert, wandte Bayard, hielt, bis sie ihm nahekamen, und rief: »Sagt, ihr Herren, habt ihr mir den Tod geschworen, weil ihr mir so nachjagt!«

Anfangs erkannten sie ihn nicht, bis Roland sprach: »Wie, Vetter Reinald, du bist's?«

Turpin rief verwundert: »Willkommen, Freund, wie kommst du hierher?«

302 Oliver sagte: »Nun dank' ich Gott, weil ich dich am Leben sehe.«

Und Ogier fragte: »Wer ist denn der andre dort bei dem Kaiser?«

»Malegis, mein Vetter, er treibt ein wenig Scherz mit dem Kaiser, aber ich bitte euch, verratet ihn nicht, und schützet – dich, Erzbischof Turpin, bitt' ich vor allen – schützet meiner Brüder Leben. Ich kann nun hier nicht länger verweilen. Lebt wohl!«

»Reite zu, Vetter, unsrer Treue bist du sicher,« lachte Roland und kehrte langsam mit seinen Freunden zurück, während sie beratschlagte, was für Bescheid sie geben wollten.

»Bringt ihr Bayard?« fragte der Kaiser sie gleich.

»Nein, lieber Oheim, das Roß war zu flink,« sprach Roland, »die Knechte, welche das Roß führten, hätten besser darauf achten sollen. Sie verdienen die Weidenschlinge.«

Nun waren diese Knechte jene, welche Bayard im Walde gestohlen hatten, und als sie gleich zum Galgen geführt wurden, sprach Roland: »Solches gebührt Roßdieben.«

Malegis aber sagte ganz traurig zum Kaiser: »Ich fürchte, mein Geselle ist heruntergefallen und hat den Hals gebrochen; ich will eine Wallfahrt über See tun und für seine Seele beten.« Und er nahm Urlaub von dem Kaiser; der winkte seinen Kämmerer heran und ließ Malegis hundert Goldgulden geben.

Malegis dankte sehr und wanderte weg von Paris.

Nun wurden die Haimonskinder gebunden, mit verdeckten Augen auf den Anger geführt, denn Kaiser Karl wollte sie richten. Bei ihrem Anblick erbarmte sich Turpin ihrer und sprach:

303 »Gnädiger Herr Kaiser, stelle die Gefangenen erst vor ein Gericht; sie sind ja von deinem Fleisch und Blut.«

»Sie sind Empörer und der Galgen ist schon für sie erbaut,« antwortete Karl. »Willst du dich auch wider mich auflehnen, Erzbischof?«

»Nein, aber keiner von den Herren hier wird dulden, daß die Haimonskinder gehängt werden.«

»Wie?« fragte Karl zürnend, »Folkwin, Graf von Paris, sprich du einmal.«

»Ihr wißt selbst am besten Recht zu sprechen,« antwortete der, »ist Turpin andrer Meinung als Ihr, und Ihr laßt die Empörer nicht hängen, wird man sagen: Herr Karl wurde dazu gezwungen.«

Aber der Erzbischof rief heftig dagegen: »Ich sag' Euch, Herr Kaiser, Ihr sollt ihnen das Leben lassen, ob Ihr wollt oder nicht.«

Darüber zürnten der Kaiser und Turpin gewaltig gegeneinander; Karl zog das Schwert, der Bischof wollte ihm an die Gurgel, die Paladine drängten Turpin zurück.

»Laßt sehn,« sprach der Kaiser ruhig, »wer Hand an seinen König legen will?« Alle schwiegen. »Und nun will ich wissen, wer des Bischofs Meinung ist?«

Da traten die Paladine einer nach dem andern an Turpins Seite: Graf Wilhelm, Herr Dietrich, Graf Richard, Oliver, Ogier und Roland, Bertram, Herzog Naimes, Graf Walter und wer ihrer da war.

Folkwin aber rief: »Habt acht, Herr Karl, in allen Landen wird man sagen: Kaiser Karl wurde gezwungen.«

»Schweig', falscher Ratgeber,« fuhr Ogier empor, ging hin und band die Gefangenen los; er wollte sie nicht länger in Fesseln sehn.

»Wer will nun die drei Grafen hängen?« fragte herausfordernd Turpin, »ich denke, so kühn wird keiner sein.«

304 »Bischof, du bist gar trotzig,« mahnte der Kaiser.

Da rief Turpin in kriegerischem Übermut: »Ich sag' dir's frei, Kaiser Karl, wenn ich's wollte, könnte ich Land und Leute dir abgewinnen.«

Schweigend blickte Karl ihn lange an: da schritt der Bischof hin, band die drei wieder, führte sie vor Karl und sprach: »Herr, nimm deine Gefangenen, sprich ihnen gerechtes Urteil; ich aber, dein Diener, mahne und bitte dich: gewähre Verzeihung!«

»Was tust du mir an, Bischof? Hab ich nicht ihren Tod geschworen, Ludwig zu rächen?«

»Die Rache sei Gott des Herrn!« antwortete demütig Turpin, »und von solchem Eid entbindet dich der Papst.«

Graf Roland sprach: »Hör' mich, lieber Ohm, ich rate, halte die Grafen noch in Gewahrsam, überleg' dein Urteil: – vielleicht wendet sich's zum besten.«

Da strich der Kaiser den weißen Bart, nickte schweigend und lenkte Tencendur zurück in die Stadt. Die Empörer wurden zurückgeführt in den Turm.

Malegis, der Schelm, war bald wieder zurückgekehrt nach Paris; mit Hilfe seiner Zauberkünste gelang es ihm, zur Nacht in den Kerker der Gefangenen zu kommen, er schob den Riegel weg, trat hinein und rief die Haimonskinder an: »Folgt mir sogleich und haltet euch still, ich bin kein Henker, sondern Malegis.« Er führte sie auf die Brücke vor der Stadt, dann sprach er: »Liebe Vettern, wartet hier auf mich, ich habe euch auf eigne Faust hierher geholt, nun will ich zurück ins Palatium und den Kaiser um seine Erlaubnis dafür bitten.«

»Was fällt dir ein, Malegis?« sagte Richard, »laß uns doch gehen, wie sollte Karl dazu ja sagen?«

Aber Malegis hörte nicht, eilte zurück und kam durch seine Künste vor Karls Lager: »Gott grüß Euch, großer 305 Kaiser!« sprach er, »ich habe meine Vettern aus dem Kerker weg auf die große Brücke vor Paris geführt. Geh's wohl oder übel, ich bitte, bewilligt, daß ich sie nach Montalban geleite.«

Der Kaiser schlief und antwortete im Schlaf: »Nimm deine Vettern und tue was du willst.« Aber er wußte nicht, was er redete: denn Malegis zwang ihn mit Zauber dazu.

Malegis wollte ein Pfand mitnehmen, sah sich um und nahm eine Armspange und Wehrgehäng, und der Kaiser schaute zu, als müßte es so sein. Malegis eilte hinaus, wo die Haimonskinder warteten, und geleitete sie nach Montalban zu Reinald.

Als der Kaiser am Morgen erwachte, wußte er nicht, ob er alles geträumt oder erlebt hatte. Aber der Kerker war leer, Bauge und Schwertfessel waren weg und als er's Roland erzählte, lachte der herzlich: »Lieber Oheim, wenn du's Malegis erlaubt hast, mußt du dich nicht wundern, daß er's getan hat.«

»Graf Roland ist der tapferste Held, gewinnt er ein Roß, groß und rasch wie Bayard, schirmt er allein Euer Land vor den Haimonskindern.«

So sprach Herr Dunamel aus Rolands Gefolge zum Kaiser, als sie aus einem Krieg gegen die heidnischen Sachsen, die wieder einmal aufgestanden waren, heimkehrten.

»Und ich wüßte wohl Rat, das beste Roß zu bekommen,« fuhr er fort. »Setzt Eure Krone als Preis aus und laßt verkünden: wer darum rennen will, soll Ostern nach Paris kommen. Dem Gewinner wiegt Ihr die 306 Krone viermal mit Gold auf als Lösegeld, und für sein Roß zahlt Ihr den höchsten Kaufpreis.«

Der Vorschlag gefiel dem Kaiser und seine Boten zogen rufend durchs Reich.

Auch Reinald hörte die Kunde in Montalban. »Wo gäb's ein Roß wie Bayard?« sprach da Malegis. »Vetter, ich hab's: wir wollen nach Paris reiten, und du sollst den Preis gewinnen.« Er ging gleich mit Reinald in den Krautgarten und pflückte allerhand Kräuter, die preßte er aus und rieb mit dem Saft Reinald ein: der gewann davon das Aussehen eines schmucken, bartlosen Knaben, daß seine Brüder über ihn lachten. Darauf salbte Malegis Bayard mit einer Salbe und veränderte seine schwarze Farbe in schneeweiße.

»So,« sprach er, »jetzt erkennt niemand weder Roß noch Reiter, nun laßt uns nach Paris reiten.«

Sie rüsteten eine Kriegsschar und zogen aus.

Nun ward aber durch einen Späher dem Kaiser verraten, Reinald komme nach Paris. Alle Stadttore wurden gesperrt und von Bewaffneten gehütet, um Reinald, wenn er wirklich geritten käme, zu fangen.

Kurz vor Paris trennten sich Reinald und Malegis von den Ihren, Adelhard blieb als Führer bei den Wehrleuten zurück, und sie verabredeten ein Hornzeichen, auf welches er mit den Brüdern und dem Kriegsvolk in die Stadt zu Hilfe eilen sollte. Als nun Reinald und Malegis vor Paris ankamen, fanden sie schon viele Herren und Knechte auf Einlaß wartend davor. Sie pochten ans Tor, Malegis steckte den Kopf durchs Guckloch und sah einen Bewaffneten dahinter stehen.

»He, Freund,« rief er, »warum sind die Tore gesperrt? Glaubt denn der Kaiser schon alle guten Rosse 307 darin zu haben? Hier außen ist eines, das ist das beste, das er je zu sehen bekommt.«

Der Tormeister antwortete: »Es ist uns nur um Reinald zu tun: wir müssen ihn fangen.«

»Weiter nichts?« sagte Malegis, »der ist, so hört' ich, in Montalban und trachtet gewaltig nach des Kaisers Schaden an Land und Leuten.«

Indem sie so sprachen, drängte sich ein Knecht durch Menschen und Rosse und sprach: »Wenn ich Graf Reinald je gekannt habe, so sehe ich ihn jetzt; der hier ist's, auf dem großen Roß.«

Da schlug Bayard mit dem Hinterfuße aus und traf ihn vor die Brust; er fiel rücklings zu Boden und war tot.

»Das Roß hat den Knecht erschlagen,« sprach Malegis zu den Herren.

»Das hat es recht getan,« antwortete einer, »warum hat er's verlogen. Bayard ist schwarz, dies hier schneeweiß und Reinald muß nun fünfundzwanzig Jahr' alt sein; dieser Jüngling scheint kaum fünfzehn alt.«

Endlich schoben die Wachen die Riegel zurück und ließen alle die Herren ein. Malegis lenkte nach der besten Herberge; ihre Rosse wurden in den Stall geführt und sie selber gut bewirtet. Um Mitternacht stand Malegis auf, ging in den Stall und verzauberte Bayard derart und verband ihm den Fuß, daß er elend, müde und mager aussah. Am frühen Morgen sattelten die Vettern und ritten auf den zum Rennen bestimmten Anger, wo schon viele auf den Kaiser warteten.

Als sie Reinald erblickten, verhöhnten sie ihn wegen seines elenden Rosses.

Um Mittag ritt der Kaiser mit seinen Baronen auf den Platz: die Krone wurde am Ziel aufgesteckt, und das 308 Rennen begann. Rasch stieg Malegis ab, band Bayard den Fuß los und das Roß gewann seine Kraft wieder. »Vetter, nun tu' dein Bestes, daß du die Krone gewinnst,« sprach er, »ich reite zurück durch die Stadt und warte auf dich am andern Ufer der Seine.« Damit schied er. Die Renner waren schon weit voraus, Reinald aber flüsterte dem Hengst ins Ohr: »Jetzt greif' aus, Bayard, wir müssen siegen.« Da rannte der Hengst pfeilgeschwind über den grünen Plan.

»Seht das Roß,« rief der Kaiser, »wie es läuft, als wär's Bayard. Das will ich dir kaufen, Roland.«

»Es ist ebensogut als Bayard,« sprach Roland: da war Reinald schon der erste bei der Krone, er nahm sie von der Stange, legte sie dem Roß auf den Hals, ließ es durch die Seine schwimmen und kam so ans andere Ufer.

»He, Freund, hierher mit der Krone,« schalt der Kaiser, »ich löse sie aus und kaufe dein Roß, was du auch verlangst.«

Reinald rief über den Strom zurück: »Dies Roß ist mein, und ich will es behalten. Ein gleiches Roß aber findet Ihr nicht, denn es ist Bayard und ich bin Reinald. Die Krone geb' ich nicht wieder her, Kaufleuten ziemt keine Krone, und Ihr, Herr Kaiser, dünkt mich, wollt ein Roßtäuscher werden.«

Da kam Malegis geritten: »Hast du die Kronen«

»Ich habe sie, Dank deiner Kunst,« lachte Reinald.

»Traun,« sprach der Kaiser, »bist du's, Malegis? Sag' deinem Vetter, daß er die Krone herausgibt.«

»Kommt nur über den Strom, Herr Karl, dann wollen wir sie Euch gern geben,« antwortete der Schalk, »aber es folge Euch ja keiner der Herren Barone, wenn ihnen das Leben lieb ist.«

309 »Nein, du arger Schelm, ich komme nicht,« antwortete Karl, »du möchtest mich wohl wieder betrügen, wie damals in der Nacht?«

»Das wäre wohl möglich,« rief Malegis über die Seine zurück und ritt mit Reinald davon, so schnell die Rosse laufen konnten zu ihrem Kriegsvolk. Unangefochten kamen sie nach Montalban zurück.

Kaiser Karl aber hob drohend die Faust und berief einen Hoftag zu Pfingsten nach Paris.

Dahin mußte auch Ivo kommen, Karl zu huldigen. Und Ivo verkaufte um vier Saumtiere Goldes seinen Eidam an den Kaiser: »Ich liefere Euch die vier Haimonskinder auf Maultieren ohne Waffen nach Falcalone,« sprach er, »doch dürft Ihr sie nicht wieder nach Montalban entlassen, daß ich meines Lebens sicher bin.«

»Geh' und sorge nicht darum,« sprach der Kaiser und schaute unmutig dem falschen Manne nach.


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