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Wiederum einmal hielt Kaiser Karl Hoflager zu Paris. Der Papst, gekrönte Könige, zwölf Herzöge, viele Grafen und Edelleute, Bischöfe und Äbte, Frauen und Jungfrauen waren da versammelt um den Kaiser und die Kaiserin. An zahlreichen Tischen, in Hallen und Sälen aufgestellt, saßen sie nieder zum Mahl. Da war auch gekommen Graf Haimon aus den Ardennen; er hatte für Karl manchen Schlag gegen die Heiden geschlagen, war ein gewaltiger, strenger Mann, gefürchtet von Freund wie Feind; an Gold und Burgen war er reich. In des Kaisers Saal saß er tafelnd an einem Tisch mit Haimerich, einem Enkel Garins, und mit Hugo, dem Schwestersohn Haimerichs, und mit vielen Edelleuten ihrer Gefolgschaften. Hugo war ein schöner Jüngling, mit goldfarbenen Locken, gewandt in der Rede und in höfischen Dingen. Er stand nun auf, ging zum Kaiser, grüßte ihn ehrerbietig und sprach: »Gnädiger Herr Karl und Kaiser, wisset, daß meine Vettern Haimon und Haimerich gekommen sind. Sie haben Euch gar wackere Dienste gegen die Heiden getan und oft ihr Leben eingesetzt. Lohn aber habt Ihr ihnen dafür noch nicht gegeben; heute nun begehren wir solchen.«
263 Mit verhaltenem Unmut antwortete Karl: »Spar' deine Worte, Hugo, sie haben ihre Pflicht getan, damit sei's gut. Burgen und Länder geb' ich ihnen weiter nicht. Ist's nicht genug, daß ich Haimons trotzigen Bruder, Doon von Mainz, aus der Verbannung zurückberufen und wieder in sein Lehen gewiesen habe?«
»Doch ungerächt ließt Ihr den Mord, den Euer Wehrmann beging an Bovo, Haimons anderm Bruder.«
»Niemand kennt den Mörder,« antwortete Karl mit drohender Stimme, »ich und Haimon, wir haben uns darum vertragen.«
Doch Hugo entgegnete keck: »Treue Dienste unbelohnt lassen, Herr Kaiser, wahrlich, das bringt Euch keine Ehre.«
Zornig faßte Karl sein eingescheidetes Schwert und tat einen Schlag nach Hugo, ihn zu züchtigen: der Jüngling wollte ausweichen, er fiel ungeschickt zu Boden, schlug mit der Schläfe auf einen Stein und verschied. Blut strömte über den Estrich. Graf Haimon und Haimerich sprangen auf, reckten die Finger empor und schwuren mit lauter Stimme: »Hör's, großer Karl! So helfe uns Gott: wir rächen Hugos Tod, und ginge das Frankenreich darüber zu Grunde.«
Alle Gäste ließen die Sitze, – die Tische wurden umgestoßen – und unter großem Lärm drängten sie zu den Türen hinaus.
Graf Haimon rüstete sogleich; so tat auch Kaiser Karl, ließ sein Banner fliegen und zog mit starkem Heer in Haimons Gebiet im Ardennerwald.
Der Graf hatte nur eine kleine Schar; sie zogen aus seiner Burg Pierrelepont, ließen alle Heerhörner zugleich ergellen, daß es wie Donner hallte, und griffen Karls 264 Lager an. Das Kämpfen dauerte bis in die Nacht. Auf beiden Seiten waren viel Vornehme und Knechte gefallen.
Da sprach Kaiser Karl: »Schied uns auch heute die Finsternis, ich will die Empörer nicht länger dulden in meinem Reiche.«
Er berief in selbiger Nacht seine Räte, die mußten das Urteil finden Haimon und seinen Anhängern.
Da sprachen sie über die Empörer die Acht: Landesverwiesen, recht- und schutzlos sollten sie sein.
Als Haimon diese Botschaft erhielt, wählte er achthundert seiner besten berittenen Krieger und Gold und Gerät soviel sie führen konnten und räumte mit ihnen das Land. Kaiser Karl aber verteilte der Geächteten Güter unter seine Getreuen.
Graf Haimon und seine Anhänger hausten in Wäldern; bald wurden sie aber dessen überdrüssig und sie brachen hervor in Gehöfte, Burgen und Klöster, alles davonschleppend, wie Räuber, was sie erbeuten konnten.
Die Paladine mußten nun so oft zu Felde ziehen, als es Graf Haimon gefiel, Recht und Ordnung zu brechen. Endlich gingen sie zu Karl und baten bescheiden: »Gnädiger Herr und Kaiser, der lange Krieg mit Haimon verdirbt das Land: darum bitten wir Euch, erbarmt Euch Eures Volkes und gebt dem Grafen Frieden.«
Der Kaiser saß sinnend; Unwillen und gütige Sorge beschwerten ihn lange, bis er der Bitte nachgab. »Wohlan, meine tapferen Herren, gehet denn hin und sehet zu, wie ihr das Land zur Ruhe und den Grafen zum Gehorsam bringt.«
Graf Haimon lag wieder zu Pierrelepont, dort trafen ihn Karls Boten mit dem Anerbieten: der Kaiser wolle ihm des erschlagenen Hugo Gewicht neunmal mit Gold aufwägen, um des Friedens willen.
265 »Das Anerbieten acht' ich für Spott,« brauste der Graf auf, »geht heim, sagt eurem Herrn: Graf Haimon will keinen Frieden mit Karl, sondern Krieg, so lang' es nur angeht; Hugos Tod kann er nicht vergessen.«
Der große Kaiser hörte schweigend die Antwort und sandte ein zweites Schreiben ab: darin bot er dem Zürnenden seine Schwester Agia zur Frau, auch sollten die Geächteten all ihr Land und Lehen zurückbekommen und künftig als freies Erbgut behalten.
Da erkannte Haimon des Kaisers friedlichen Sinn, er berief Haimerich und andre seiner Freunde und teilte ihnen den Brief mit.
»Damit sind wir gern zufrieden,« sprach Haimerich, »wenn uns noch dazu Hugos Gewicht sechzigmal in Gold aufgewogen wird.« Zwei Neffen Haimons trugen das Antwortschreiben nach Paris. Sie gingen gleich zu Hof, verbeugten sich vor dem Kaiser und überreichten den Brief, welchen Karl von zwei Räten laut lesen ließ. Dann wandte er sich den Gesandten zu und sprach: »So entbietet nun Graf Haimon samt seinen Freunden nach Senlis, dort will ich Frieden mit ihm schließen und ihm meine Huld wieder geben.«
In Senlis ging der Kaiser dem Grafen entgegen, umarmte ihn und sprach: »Haimon, vergiß nun, daß ich deinen Vetter Hugo im Zorn erschlagen habe, und laß Frieden zwischen uns sein. Was ich dir darum geboten habe, will ich alles erfüllen.« Graf Haimon beugte das Knie vor seinem Herrn und gelobte aufs neue Treu' und Gehorsam.
In der Kirche zu Senlis wurde die Braut mit dem Grafen eingesegnet, Roland schritt an ihrer einen Seite, der Erzbischof Turpin an der andern, der Graf ging im Geleite des Kaisers und seiner Paladine. Als dann das 266 hochzeitliche Mahl bereitet stand, wünschte Haimon, daß Karl mit den Hofherren dem Fest bis zum Ende beiwohnen sollte. Der Kaiser schlug die Bitte ab und ritt mit seinem Hofgefolge sogleich nach Paris zurück. Darüber geriet Haimon in heißen Zorn, nahm sein Weib, zog nach Pierrelepont und feierte dort seine Hochzeit vierzig Tage lang. Und als das Trinken und Feiern zu Ende ging, nahm der Graf sein Schwert und schwur darauf: »Und dennoch will ich Hugos Tod rächen und alles töten, was von des Kaisers Geschlecht und Herkommen ist.«
Darüber erschrak Frau Agia, der Graf aber blieb nicht lange daheim, sondern zog gegen die Saracenen in den Krieg. Da machte die Gräfin eine Wallfahrt in ein Frauenkloster und gebar dort einen Knaben, den sie Richard taufen ließ. Erzbischof Turpin und Graf Wilhelm von Orange wurden seine Paten. Sie nahmen das Knäblein in ihre Obhut und hielten es vor allen Leuten geheim, denn die Mutter fürchtete, Haimon werde es töten nach seinem Eid.
Darauf eilte sie zurück auf ihre Burg und da war niemand, der dem heimkehrenden Haimon die Geburt seines Sohnes hätte verraten können.
So gebar Agia bald nacheinander noch zwei Knaben, Wichard und Adelhard, und ließ sie mit dem ersten heimlich ausziehen.
Da blieb der Graf einmal sieben Jahre aus: Agia hielt ihn für tot und beklagte ihn laut; darüber kam der Graf in den Burghof geritten. Er blutete ans sieben Wunden, und saß doch aufrecht im Sattel, in Wehr und Waffen, siegesstolz, denn er hatte Land und Leute gewonnen. Frau Agia eilte ihm entgegen, küßte ihn und hieß ihn willkommen. Haimons Herz wurde froh bei ihrem Anblick trotz der sieben Wunden.
267 Noch im selben Jahr gebar die Gräfin heimlich einen vierten Sohn; sie nannte ihn Reinald und schickte ihn dahin, wo die andern waren. Er wuchs heran, größer, schöner und stärker als seine Brüder, die er mit fünfzehn Jahren weit überragte, wie der Falke den Sperber.
Zu dieser Zeit war Ludwig, des Kaisers Sohn, wehrfähig geworden und Karl wollte ihn mit dem Schwert umgürten und zum König von Aquitanien krönen. Deshalb berief er Roland und dessen Genossen, Bischöfe, Herzöge und alle Vasallen seines Reichs nach Paris und tat ihnen seinen Willen kund.
»Gnädiger Herr,« sprach Turpin, »das kann nicht sein, es fehlt einer Eurer Vasallen: ein kühner, stolzer Held, der sein Land nur von Gott zu Lehen will.«
»Haimon,« rief Karl, »der sich wider mich empört und meinem Geschlecht den Tod geschworen hat!«
»Ja, Herr Kaiser; aber er bekriegt unablässig die Heiden und er hat der Erfüllung seines sündhaften Schwures gar nicht obgelegen,« sprach der Erzbischof.
»Ein Trotzkopf ist er! – Aber ein tapferer Degen. wohlan, Bischof, wir wollen ihn herbescheiden: Sicherheit und frei Geleit sag' ich ihm zu.«
Graf Roland, Wilhelm von Orange, Bertram und Bernhard wählte der Erzbischof von den Paladinen aus und der Kaiser entsandte sie nach Pierrelepont, das der Graf gegen Karl siegreich behauptet hatte. Er schenkte jedem ein schöngeschirrtes Roß, eine Hutschnur mit Edelsteinen und einen Mantel als Botenlohn und gab ihnen einen Ölzweig in die Hand. Sie sprangen in den Sattel und ritten ohne Waffen nach Pierrelepont.
Frau Agia sah vom Fenster aus sie kommen, erkannte 268 sie und sah auch, daß sie Friedensboten waren. Eilends schickte sie einen Diener entgegen mit Geschenken, »das beste für Roland«.
Haimon war daheim, er hatte wie stets eine große Zahl Gewappneter bei sich. Als die Boten in die Burghalle geführt wurden, saß der Graf da mit seinen Edelherren, und jeder hatte ein nacktes Schwert auf den Knien. Stolz blickte Haimon, als hätte er die ganze Heidenschaft schon bezwungen. Niemand bot einen Willkommgruß. Roland begann mit freundlichem Sinn: »Graf Haimon, wir sind Boten Kaiser Karls: er entbietet Euch nach Paris, wo er seinen Sohn Ludwig zum König krönen will. Um Euretwillen ist die Feier vierzig Tage verschoben: erkennet daran des Kaisers Milde.«
Haimon erblaßte vor Zorn, er sprach kein Wort, am liebsten hätte er alle vier erschlagen. Roland redete ihn zum andernmal an: »Graf Haimon, bescheidet uns, wollt Ihr Ludwig krönen helfen?« Aber Haimon schwieg. Traurig sahen die Boten einander an. Frau Agia füllte einen Becher voll Wein und reichte ihn Roland: »Nimm, lieber Neffe, und trinke, ich heiße dich willkommen.«
Da nahm Roland den Becher, trank und reichte ihn auch seinen Gefährten. Die Gräfin trat an ihren Eheherrn heran und sprach: »Haimon, ich bitte dich sehr, gib den Boten eine Antwort.« Da riß der verhaltene Zorn den Grafen hin, er schlug mit der Faust gegen sie und traf ihr Antlitz.
Blut floß über ihren Schleier; – keiner der Burgleute wagte, ihr beizuspringen, nur mit Gewalt hielten die Boten an sich und waren um die Gekränkte bemüht. Die Gräfin wies sie fort, neigte sich wieder zu Haimon, küßte seinen Mund und sprach: »Lieber Herr, ich bitte dich nochmals, gib meinen Vettern eine Antwort.«
269 Des Grafen Zorn war verraucht: »Du gutes Weib, herzliebe Frau, verzeih' meine Untat!« sprach er. »Was soll ich antworten? Ich bin der unseligste Mann, wie du das unseligste Weib unter der Sonne.«
»Das mein' ich nicht, Haimon, weshalb klagst du so?«
»Weil wir in all den Jahren unsrer Ehe nicht Sohn noch Tochter gewonnen haben, die einst unsre Erben würden.«
»Und wenn wir Kinder hätten, wolltest du sie nicht umbringen, nach jenem fürchterlichen Schwur, den du in unsrer Hochzeitsnacht geeidet hast?«
»Bei meiner Treu, nein; ich wollte sie lieben.«
»Aber dein Eid?« forschte Agia.
»Ein böser Eid ist kein Eid; hätt' ich Kinder, wie wollt' ich fröhlich sein.«
»Schwör' mir's, daß du unsern Kindern kein Leid tun wirst, dann will ich dir deine vier Söhne zeigen.«
Erstaunt blickte Haimon auf: »Das eid' ich dir: aber ich kann's nicht glauben, was du da sprichst.«
Sie faßte ihn an der Hand: »Komm nur mit und siehe sie erst.« Haimon stand auf und ihr folgend sprach er zu Roland: »Seid willkommen und wartet ein wenig; ich muß erst meine vier Söhne sehen, dann geb' ich euch gute Antwort.«
Die vier Haimonskinder waren heimlich zu ihrer Mutter in die Burg gekommen und in einem großen Gemach beisammen. Vor der Tür blieb der Graf mit seiner Frau stehen und hörte innen sprechen: das war Reinald, der sagte: »Dem Küchenmeister weiß ich keinen Dank, schlecht ist seine Speise; hätte ich ihn hier, wollte ich ihn Zucht lehren mit meinen Fäusten.«
Adelhard entgegnete: »Bruder, lärme nicht: Bat uns nicht die Mutter, stille zu sein? Denn, ach, kennen wir 270 auch unsre Mutter, wissen wir doch nicht, wer unser Vater ist. Graf Haimon brächt' uns um, schlügen wir seinen Küchenwart.«
»Ich fürchte den grauen Haimon mit all seinen Gewappneten nicht: mit nackter Faust schlüg' ich drauf ein.«
»Der ist gewiß mein Sohn,« flüsterte Haimon seiner Frau zu, »aber die andern will ich einmal versuchen.« Und er stieß mit dem Fuß die Tür ein; Reinald fuhr auf ihn los, packte ihn und warf ihn über eine Bank auf den Boden: »Ist das eine Art, alter Graubart? Was hast du hier zu suchen? Wir haben hier eine recht schlechte Mahlzeit gehalten.« Die andern drei nahmen gleich Reinald drohende Gebärden an: der Graf fürchtete sich sehr.
»Haltet nur ein, ihr jungen Recken,« rief er, »ich bin euer Vater und will euch noch heute mit Schwertern umgürten.«
Da halfen sie ihm aufstehen, Reinald bat um Verzeihung, daß er ihn geschlagen hatte. Der Graf schaute seine Söhne an: die drei ältesten glichen der Mutter mit ihren lichten Augen und braunem Schlichthaar; Reinald aber hatte das rote Gelock seines Vaters geerbt und die dunkelblauen Augen blickten trotzig wie die Haimons. Der Vater küßte einen nach dem andern, dabei drückte er Reinald so heftig an sich, daß dem Jüngling die Nase blutete, was ihn wieder sehr ergrimmte. Schöne Kleider und Waffen hielt die Mutter schon bereit, die Halle wurde festlich geschmückt und die Jünglinge traten vor den Vater hin. Richard war der erste, dem der Graf das Schwert verlieh: »Geh' hin, Sohn Richard,« sprach er, »dieses Schwert sollst du gegen die Heiden führen, Land und Erbe erstreite dir von ihnen!«
Der zweite hatte den Sporn schon am Fuß und trug 271 das Schwert in der Hand: »Sohn Adelhard, ererbtes Geld und Gut machen den Edelmann nicht: drum geb' ich dir nichts andres, als was du dir mit deinem Schwerte von den Heiden gewinnst.«
Wichard geschah wie den andern, aber der stolze Reinald kam zuletzt vor den Vater. Der umgürtete ihn mit dem Schwert Flamberg, das hatte Weland einst geschmiedet, und sprach: »Sei immer mutig und tapfer, lieber Reinald: dir schenk' ich Schloß Pierrelepont, Montagut und Falkenstein; wo du sie antriffst, sollst du die Heiden schlagen.«
Als man im Hof den Jünglingen Rosse vorführte, war keines stark genug für Reinald. »Sei nicht traurig,« lachte Haimon, »ich weiß eins in meinem Stall, das hat von neun Rossen Stärke, es läuft wie der Pfeil von der Sehne schießt, ist groß und rabenschwarz, hat funkelnde Augen, heißt Bayard und niemand darf ihm nahen, so zornig ist es.«
»Ei, Vater, das wäre ein Roß für mich! Wo ist der Gaul?«
»Lege deine Wehrkleider an und versuche, ob du es bezwingst. Aber hüte dich wohl: es zerbeißt Steine wie andre Rosse Heu.«
»Gegen einen Hengst mich wappnen, das wäre mir Schande,« rief Reinald, aber er tat doch nach seines Vaters Rat, dann nahm er eine Keule und folgte in den Stall. Frauen und Edelherren, Knechte und Mägde drängten nach. Bayard schlug ihn gleich vor den Kopf, daß er auf den Boden fiel. »Wehe,« rief Agia, »mein Sohn ist tot.«
»Beruhige dich, Frau,« sprach der Graf, »Reinald wird sich schon erholen, er ist von meiner Art: steh' auf, Sohn, bezwinge das Roß.«
272 Als Reinald seine Sinne wieder fand, sprang er beschämt auf, faßte seine Keule und wollte das Roß damit angehen. Das packte ihn mit den Zähnen an der Schulter und warf ihn vor sich in die Krippe, daß Brünne und Halsberg barsten: aber Reinald hatte es schon beim Nacken gefaßt, ließ nicht los und schwang seinen Knüttel. Bayard blies aus den Nüstern, biß, schlug und wehrte sich greulich: bald lag Reinald oben, bald unten, zuletzt zwang er ihm das Gebiß ins Maul, zäumte es, schwang sich ihm auf den Rücken und ritt zum Stall hinaus. Die Umstehenden stoben schreiend auseinander. Auf der Weide gab Reinald Bayard den Sporn und ließ den Zügel schießen: er saß darauf, wie angewachsen. Er ließ ihn über breite Gräben springen und tummelte das gespenstige Roß so lange, bis sie beide müde geworden; dann ritt er's zurück in den Stall, putzte und striegelte es. Bayard stand zitternd vor ihm und war ganz gezähmt: wollte Reinald aufsteigen, legte er die Vorderfüße zusammen und neigte sich vor seinem Herrn.
Der Graf war nun bereit, an den Hof zu reiten mit seinen Söhnen und Edelherren. Gerüstet als ging's in den Krieg folgten sie den Gesandten nach Paris. Ehe sie einritten, erhielt Karl davon Kunde: er schickte sofort einen Boten: der Graf und seine Freunde sollten die Waffen ablegen und in friedlichen Gewanden zu Hofe kommen. Dazu waren alle bereit. Kaiser Karl ging mit seinen Hofherren dem Grafen entgegen. Dem jungen Ludwig schien das zuviel Ehre, er stand abseits. Als Roland ihn aufforderte, Haimon und seine Söhne zu grüßen, sprach er: »Was gehen sie mich an?« Und als alle sagten, Reinald sei der größte und schönste Jüngling 273 am Hof, entgegnete Ludwig: »Wo hat man je gehört, daß Haimon Kinder habe? Die Vetterschaft will ich zuerst prüfen.« Und er trat zu Reinald hin: »Willkommen Vetter; was für ein herrliches Roß du hast, schenk' es mir.«
»Mit Leib und Leben will ich dir gern dienen, Vetter, aber Bayard kann ich dir nicht geben, er gehört meinem Vater, und kein andres Roß trägt mich.«
»Dann will ich dir auch nichts geben, bin ich erst Herr,« sprach Ludwig und wandte sich seinen Freunden zu: »Da seht ihr's, daß er von niedriger Herkunft ist.«
Als man zu Tische ging, hatte Ludwig anbefohlen, den Haimonskindern nichts zu bieten. Man reichte Handwasser umher, wies die Plätze an, Speisen wurden aufgetragen, aber der Haimonskinder achtete niemand. Ei, dachte Reinald, essen wollen wir, ob's Ludwig gefällt oder nicht. Er stand auf, stieß die Küchentür ein und nahm eine große Schüssel. »Laß sie stehn,« zankte der Koch, »sonst« – er hob drohend seinen Bratspieß. Erzürnt schlug ihn Reinald mit seiner starken Faust und trug die Speise seinen Brüdern zu. Der Koch blieb tot liegen, das kam vor den Kaiser und: »Reinald hat ihn niedergeschlagen,« riefen die Ankläger.
»Dem Tropf ist recht geschehen,« sprach Karl, »wie wagt er's, meinem Neffen Speise zu verweigern?« Da bekamen die Brüder genug und übergenug. Der Marschalk ging aber zu Reinald und sprach: »Hör, Reinald, deine Tat mißfällt mir, wäre der Koch von meiner Sippe, ging dir's schlecht.«
Reinald antwortete: »Rühmt Euch nicht eines Dinges, wozu Euch der Mut fehlt.«
Der Marschalk fuhr auf und schlug Reinald, der gab 274 ihm den Schlag zurück, nur daß der arme Marschalk davon tot niederfiel und bis vor des Kaisers Tisch rollte.
Großer Lärm entstand: »Vater,« schrie Ludwig heftig, »willst du solchen Übermut noch länger dulden?« Zornig schallte des Kaisers Stimme: »Schaffet den Toten hinaus, niemand kränke Reinalds Recht! Ruhe und Frieden gebiete ich, bei meinem Zorn.«
Geiger und Flötierer mußten ihr Spiel wieder beginnen, und die Kurzweil nahm ihren Fortgang bis zum Abend. Da waren, als alles zur Ruhe ging, keine Lagerstätten für die Haimonskinder bereitet. Das hatte Ludwig anbefohlen. »Wir wollen die besten Polster haben,« sagte Reinald, machte argen Lärm, jagte die Kämmerer aus den Betten und in die besten legten sich die vier Brüder. Die Aufgescheuchten klagten am andern Morgen beim Kaiser. Der schalt sie: »Was laßt ihr alle euch von dem einen davonjagen? Dafür kann ich Reinald nicht strafen, er hat recht getan.« Und zu Haimon sprach er: »Ich will deinen Söhnen höchste Ämter verleihen. Du, Reinald, sei mein Truchseß, Adelhard mein Mundschenk, Richard mein Kämmerer und Wichard mein Marschalk.«
Inmitten der vier Haimonskinder schritt Ludwig zur Kirche vor Sankt Mariens Altar. Erzbischof Turpin sang die Messe, der Patriarch von Jerusalem diente dabei und wie es zur Opferung ging, legte Ludwig einen Goldgulden auf die Schale, Reinald aber zwei. Da fügte Ludwig seinem einen noch zwei hinzu: als Reinald das sah, warf er noch zwei auf den Teller.
»Du bist zu guter Stunde geboren,« sprach der alte Haimon, »ich wollt', ich hätt' all mein Gut in Goldgulden hier, du solltest sie alle opfern.«
275 Zur Salbung fehlte das heilige Öl: Karl betete zu Gott, und eine Taube kam geflogen und brachte es vom Himmel; da wurde Ludwig feierlich gekrönt, und der Kaiser gürtete ihm ein nacktes Schwert um und sprach: »Ein Schirmherr des Rechts sollst du sein.«
In der kaiserlichen Pfalz stand die Mahlzeit schon bereitet: die vier Haimonskinder walteten ihrer Ämter, daß jedermann zufrieden war. Dann folgte Reigen und Saitenspiel, und der junge König teilte Gaben aus und verlieh Lehen. Den Haimonskindern gab er nichts. Das verdroß Graf Haimon, er ging und klagte seinen Unmut dem Kaiser. »Deine Söhne sollen nicht leer ausgehen,« antwortete Karl, »führe sie mir einmal her.« Und der Kaiser belehnte die vier mit stolzen Burgen und reichen Landen. Ludwig aber sagte Haimon ins Gesicht: »Die Lehenträger mißbehagen mir, ich muß zu gelegener Zeit die Lehen zurückgewinnen. Und nun laßt uns einmal sehen, wie meine jungen Edelherren das Waffenwerk verstehen: folgt mir in den Baumgarten. Wir wollen's an einem Steinwurf versuchen: ich vermesse mich, der Stärkste zu sein von allen.«
Darauf antwortete niemand, und Ludwig tat die Ruhmrede noch einmal. Haimon hielt nicht länger an sich: »Danke Gott für deine Stärke, König Ludwig, und rühme dich nicht so sehr: ich weiß einen Jüngling, der mehr Kraft hat als du!«
»Bring' ihn nur her, deinen Reinald, dann will ich dich Lügen strafen an ihm.«
Ludwig warf einen schweren Stein zwölf Fuß weit, die Edelleute warfen einer nach dem andern und blieben alle dahinter zurück. »Wo ist nun Reinald,« rief Ludwig hoffärtig, »von dem Ihr so prahltet, Graf Haimon? Wie ein Lügner steht Ihr da.«
276 Haimon liefen die Tränen in den weißen Bart vor Zorn, er ging hinweg zu Reinald, dem er den Grund seiner Kümmernis sagen mußte.
»Vater,« sprach Reinald, »Ludwigs eitle Rede kann dich nicht kränken, er ist noch ein Kind, aber ich will nichts mit ihm zu schaffen haben.«
»Und willst du mich als prahlenden Lügner gegen Ludwig dastehen lassen? Geh und zeige was du kannst, dann will ich dir Bayard zu eigen geben.«
Reinald schritt neben seinem Vater in den Garten, nahm den Stein und warf ihn einen Fuß weiter, als Ludwig es getan. Ergrimmt riß der König seinen Mantel ab, ließ sich den Stein bringen und warf ihn noch weiter als Reinald.
Da raffte Reinald den Stein wieder auf und schleuderte ihn so weit, als er für genügend hielt.
Und noch einmal schwang Ludwig den Stein mit all seiner Kraft, Blut lief ihm aus Nase und Mund, aber Reinalds Stein lag weit voraus. – Männer wie Frauen gaben ihm Preis und Lob. Graf Haimon lachte: »Nun gehört dir Bayard zu eigen, Sohn: aber ich meine, du hättest den Stein leicht noch viel weiter werfen können.«
Ludwig ging beschämt von dannen und grollte dem ganzen Haimonsgeschlecht.
In solch finsterm Unmut begegneten ihm Ganelon, Harderich und Macarius aus dem Mainzer Geschlecht, die alle, obwohl Karl sie in hohen Ehren hielt, gar oft verräterische Gedanken ausheckten. »Wie ist das Wettspiel ausgefallen, gnädiger Herr?« fragte Ganelon und da Ludwig schwieg, fuhr er fort: »Ich merke schon, Reinald hat Euch besiegt. Ich will Euch einen guten Rat geben. Gehet zurück, umarmt Haimon und sagt: Graf, Ihr seid ein glücklicher Mann, daß Ihr einen Sohn habt wie Reinald. 277 Dann ruft den Adelhard in Eure Kammer zum Schachspiel, weigert er sich, dann wisset, er hat sich gerühmt, Euch im Schachspiel zu besiegen und ruft nur uns zu Zeugen dafür auf. Wer aber siegt, der soll des andern Haupt gewinnen.«
Leichtgläubig folgte Ludwig Ganelons Rat und ließ Adelhard rufen; denn er hielt sich für den besten Brettspieler im ganzen Reich. Adelhard eilte, seinem Amte nach, mit Wein herbei, aber Ludwig ließ ihn zornig an: »Ich bin nicht durstig: du sollst mit mir Brett spielen, da du dich vermessen hast, es besser zu verstehen als ich.«
Adelhard half kein Wehren und Weigern, Ganelon und seine Genossen standen da und sagten gegen ihn aus: »Er hat sich dessen gerühmt.«
»Wenn's denn nicht anders sein kann,« sprach er, »mag's geschehen.«
»Es gilt den Kopf!« sprach Ludwig, »merk' auf: wer fünf Spiele nacheinander gewinnt, mag dem andern das Haupt abschlagen.«
»Nein, Herr Ludwig, um solchen Gewinn spiel' ich nicht: – wählt andern Preis.«
»Bei meiner Ehre nein! Wir spielen um unser Haupt: – ich will's.«
»In Gottes Namen, so muß ich's wohl zufrieden sein.«
Ludwig gewann drei Spiele und lachte grimm: »Hab' ich auch gegen Reinald verloren, hier gewinn' ich und schlage dir den Kopf ab.«
»Wenn ich das Spiel verliere,« fragte Adelhard, »wollt Ihr dann nicht gestatten, daß ich mein Haupt mit Gold oder anderm Gut auslöse?«
»Nein, und bötest du mir einen Berg von Gold, ich nehme nur dein Haupt.«
»Gnade mir Gott,« dachte da Adelhard und spielte 278 weiter und gewann ein Spiel und bald das andre, dann das dritte, das vierte und das fünfte dazu. Da war er froh und sprach: »Lieber Vetter und König, Euer Haupt gehört nun mir, aber ich will es nicht und bitte Euch nur: setzet es nie wieder beim Spiel zu Pfand. Wer Euch das riet, den hat Euer Leben verdrossen.«
»Behalte deine Weisheit für dich,« rief Ludwig zornig, ergriff das goldene Schachbrett und schlug Adelhard damit ins Gesicht, daß das Blut herausquoll. Der Jüngling sprang auf und lief in den Stall, wo Bayard stand, Schmach und Ärger zu verbergen. So fand ihn Reinald und fragte: »Wer hat dich geschlagen?«
»Niemand.«
»Das lügst du, dein Gesicht ist voller Blut.«
»Ich habe mich gestoßen.«
Reinald merkte, daß es nicht so war, hielt sein Schwert in der Hand und sprach zornig: »Ich durchsteche dich, Bruder, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst.«
Da gestand Adelhard alles und Reinald sagte finster: »Ein so teuer gewonnenes Haupt geb' ich nicht her.«
Graf Haimon aber, als er von alledem erfuhr, wollte fort aus Paris. »Rüstet in aller Stille Rosse und Waffen, wir reiten sonder Abschied,« befahl er; denn er fürchtete Reinalds Zorn.
Sie waren vor der Stadt versammelt, da sprach Reinald zu Adelhard: »Ludwigs Haupt gehört uns, ich will es holen, koste es, was es wolle.« Er ging mit Adelhard zurück in die Pfalz, das Schwert unter dem Mantel. Da standen Ludwig und Kaiser Karl in einem Saal und teilten Gaben aus. Die Haimonskinder grüßten den Kaiser und Reinald ergriff Ludwig bei den Locken, hieb ihm mit raschem Schlag das Haupt ab und reichte 279 es Adelhard: »Da nimm, mein Bruder, was du gewonnen hast!« und beide schritten hinaus.
Kaiser Karl schwanden die Sinne; als er wieder zu sich kam, rief er laut: »Auf, Barone und Vasallen, rächt meines Sohnes Blut!« Sofort bewehrten sich zweihundert Söldlinge und suchten Reinald. Als dieser die Verfolger spürte, eilten er und Adelhard aus der Stadt zu ihrem Vater: »Wo ist Bayard?« rief Reinald, »wir müssen fliehen; denn ich habe Ludwig das Haupt abgeschlagen; Kaiser Karl ist nun unser Feind.«
Aber Haimon antwortete: »Sohn Reinald, das war eine frevle Zornestat! Doch ich fliehe nicht, sondern erwarte den Kaiser: will aber einer von meinem Geschlecht davonlaufen, so laß ich ihn zuvor hängen.«
Das gefiel Reinald; und als der Kaiser mit seinen Baronen geritten kam, gab es ein wildes Fechten. Die Haimonskinder fuhren unter ihre Feinde wie junge Falken. Haimon mit seinem Haufen wurde umzingelt: die Rosse fielen, da wehrten sie sich zu Fuß, bis der letzte Mann lag.
Reinald mußte seine drei Brüder hinter sich auf Bayard nehmen und davonrennen, während Haimon zu Fuß tapfer weiter focht. Turpin rief ihn an: »Graf, gib dich auf Sicherung mir gefangen.«
»Ja, Erzbischof, in deine Hand will ich mich geben,« antwortete er. Da nahm ihn Turpin in seine Hut gefangen. Der Kaiser bannte die vier Haimonskinder aus dem Reich: »dem Grafen baut sogleich den Galgen,« rief er, »und seiner Frau, die solche Mörder und Übeltäter zur Welt gebracht hat, den Holzstoß.«
»Gerechter Kaiser,« antwortete Turpin, »ich habe Haimon meinen Schutz gelobt, als er sich mir ergab, und 280 ehe ich eine solche Schande an ihm geschehen ließe, eher helfe ich ihm!«
»Das tue auch ich,« sprach der stolze Roland.
»Und dennoch müssen beide sterben,« grollte der Kaiser.
»Das lassen wir niemals zu,« rief Roland; und Naimes sprach: »Herr, was können denn die Eltern für des Kindes Schuld?«
Da wurde der Kaiser milder: »Wohlan, Haimon; gelobe mir, deine Söhne auszuliefern, wann du sie in deine Gewalt bekommst: dann magst du frei und jeder Strafe los sein.«
Turpin überredete Haimon. So tat Graf Haimon den schweren Schwur und sagte sich los von seinen Söhnen.
Die Haimonskinder ritten nach Pierrelepont und erzählten ihrer Mutter alles Geschehene.
»Weh, ihr armen Kinder! und weh mir: Haimon werde ich nie wiedersehen. Fliehet, so schnell Bayard rennen kann, vor Karls Zorn.« Sie gab ihnen einen kleinen Schatz mit an Gold und Edelsteinen und schaute weinend vom Söller herab dem gespenstigen Rosse nach, wie es ihre Söhne davontrug durch den Ardennerwald.
Die Brüder ratschlagten, daß sie nach Aquitanien zum Saracenenkönig Saforet ziehen wollten, der mit Gewalt in Karls Reich Land und Volk unter sich brachte. Die Haimonskinder trafen ihn in Toulouse. Als sie über die Schloßbrücke geritten waren, gaben sie sich zu erkennen. »Und was ist euer Begehr?« fragte Saforet.
»Wir wollen in deine Dienste treten.«
»Wollet ihr auch Mohammed bekennen und sein Gesetz halten?« fragte Saforet weiter.
281 Aber Reinald antwortete sogleich: »Nein, König, das tun wir nicht.«
»Auch gut,« antwortete der Ungläubige, »wenn ihr so tapfer seid, als ihr ausseht, will ich euch reichen Lohn zahlen und ihr mögt bei eurem Glauben bleiben. Doch welches Pfand eurer Treue bietet ihr?«
Da gaben sie ihm ihren Schatz: »Dies ist alles was wir haben.« Saforet nahm den Schatz und wies ihnen einen Turm zur Wohnung an. »Ich will den Schatz verwahren,« sprach er, »und ziehet ihr einmal weiter, so geb' ich ihn euch zurück; das schwör' ich euch zu bei Mohammed.«
Die Haimonskinder dienten dem König drei Jahre treu und tapfer, aber von dem Heidenvolk wurden sie wenig geachtet. Saforet gab ihnen nichts, ihre Mittel gingen zu Rande. Reinald bat um Herausgabe des Schatzes. Saforet sagte ja, tat es aber nicht. Als nun Reinald sah, daß der König seinem Wort die Tat nicht folgen ließ, wurde er sehr zornig und sprach:
»Nun auf, Brüder, waffnet euch, und führt Bayard vor die Stadt. Du, Adelhard, begleite mich zum König, ich will selber unsern Schatz fordern, oder Saforets Haupt dafür nehmen.«
»Ich nehme etwas Besseres,« meinte Adelhard und Reinald antwortete: »Es ist freilich nicht viel wert, aber ich kühle mir den Mut.«
Reinald trat in den Saal, wo der Saracene beim Mahle saß, und forderte sein Recht.
Saforet blickte ihn nicht einmal an; er antwortete: »Macht nicht so viele Worte, ich gebe euch nicht einen Heller und stündet ihr eine Ewigkeit da.«
»Packt euch,« fiel ein hochmütiger Wali dem König 282 ins Wort, »ihr habt Kaiser Karls Sohn, euren Vetter erschlagen: Mördern geben wir nichts wieder heraus.«
»Dann hol' ich mir's,« rief Reinald, zog sein Schwert unter dem Mantel hervor, schlug dem argen König das Haupt ab und gab's Adelhard: »Bind's an unsern Sattel, Bruder, wir müssen's für unsern Schatz annehmen.«
In der Burg entstand ein Auflauf, Saforet zu rächen. Reinald und Adelhard liefen, was sie laufen konnten vor ihren Verfolgern zur Stadt hinaus und sprangen auf Bayard.
»Nun renne,« sprach ihm Reinald zu, »jetzt gilt's das Leben.« Und das Roß tat, als hätte es seinen Herrn verstanden; es griff aus, schlug um sich und biß nach jedem, der ihm den Weg sperren wollte: die Brüder wehrten sich tüchtig mit ihren Waffen und so entkamen sie ihren Verfolgern mit mancher Wunde in eine verbergende Felsschlucht. »Wohin nun?« fragte Adelhard, während sie einer den andern verbanden, »die Feinde werden uns hier bald finden.«
»Ist denn die Welt so klein,« sprach Wichard, »daß wir darin nicht einen Platz finden könnten?« Und Richard antwortete: »Wenn ihr's nicht findet, ich weiß es: wir ziehen nach Tarascon zu König Ivo, dem Saforet Vater und Bruder erschlagen hat.«
»Ja,« sprach Reinald »und wir bringen ihm Saforets Haupt, das mag ihn freuen.«
So ritten sie nach Tarascon. König Ivo stand auf seines Schlosses Söller und sah sie nahen und rief: »Ei sehet, dort kommen vier Recken auf einem Hengst; das ist das größte Roß, das ich je gesehen habe; was mögen die bringen?« Er ging hinab, den Ankommenden entgegen.
Die Haimonskinder sprangen von Bayards Rücken und 283 beugten ihre Knie. Reinald nahm das tote Haupt und bot es dem König dar: »Sei gegrüßt, König Ivo, dies ist Saforets Haupt, nimm es gnädig an als ein Geschenk: wir begehren, dir zu dienen.«
König Ivo freute sich sehr über seines bösen Feindes Tod, er ließ sogleich ein Mahl zurichten und sprach: »Seid mir willkommen, Fremdlinge, setzt euch gastlich an meinen Tisch und nennt mir euer Geschlecht und Namen.« Da gaben sie ihm Auskunft.
König Ivo war Christ: er behandelte die Haimonskinder, als wären es seine eignen. Bald ließ er rüsten, sich an Saforets Land zu entschädigen für dessen einstige Gewalttaten. Reinald sattelte Bayard, die vier Brüder setzten sich darauf und warfen jeden Feind nieder, der vor sie kam. So stritten sie wacker für Ivo drei Jahre lang. Da war er Herr seiner Feinde geworden, baute feste Burgen und die Ungläubigen fürchteten ihn gewaltig. Die Haimonskinder blieben bei ihm in hohen Ehren.
Endlich aber erfuhr Kaiser Karl, wo sie waren. Er sandte einen höflichen Boten nach Tarascon mit der Bitte, Ivo sollte die Haimonskinder dem Kaiser ausliefern, denn sie hätten seinen Sohn erschlagen. Der König erschrak, er mochte sich aber nicht trennen von den Haimonskindern.
Er ließ Reinald gleich vor sich kommen, zeigte ihm den Brief und sprach: »Ich will dir den grauen Felsen an der Garonne schenken und Gold und Gut, eine Burg darauf zu bauen. Und meine liebe Tochter Clarissa sollst du zur Frau haben, wenn ihr Haimonskinder mir treu sein wollt.«
Da dankte Reinald für des Königs Gnade und Huld. Er wurde gleich mit Clarissa eingesegnet, und als die Hochzeit vorüber war, ließ Reinald Baumeister, 284 Zimmerleute und Steinmetzen berufen. Die bauten ihm auf der steilen Klippe an der Garonne ein starkes schönes Schloß aus Marmelstein, mit hohen Mauern ringsum. Und er nannte es Montalban.
Danach verkündeten Ausrufer: »Wer kommen will nach Montalban, und daselbst wohnen, den wird Graf Reinald beschützen und frei lassen von allen Abgaben und Zinspflichten.«
Da kamen ungefähr fünfzehnhundert Mann dahin und siedelten sich an. Und Reinald lud König Ivo auf sein Schloß und als der alles gesehen hatte, sprach er:
»Lieber Sohn, du hast dir eine stolze Burg gebaut, Gott gebe dir Frieden und Glück darin.«
Zu dieser Zeit zog Kaiser Karl mit kleinem Geleit auf Pilgerfahrt nach Sankt Jakob in Spanien; als er an die Ufer der Garonne kam, erblickte er auf hohem Felsen ein Schloß, das ihm uneinnehmbar deuchte. Er fuhr mit seinen Paladinen über den Strom in Reinalds Gebiet und sprach: »Wem mag das stolze Schloß gehören?« Roland fing einen Bauersmann und fragte ihn, wer der Schloßherr wäre? »Ein Graf, Herr; er hat es erbaut, um sich gegen seine Feinde zu wehren,« antwortete der Mann.
»Wie heißt der Graf?« fragte Roland wieder.
»Reinald, Herr, er hat noch drei Brüder; Schloß und Stadt ringsum heißen Montalban.«
Als Roland Herrn Karl dies berichtet hatte, ward er zornig und schickte den Neffen sogleich nach Montalban zu Reinald: er solle dem Kaiser Schloß und Stadt und seine Brüder ausliefern, sich selbst ergeben in des Kaisers Gnade oder Ungnade: – dann wolle Karl verzeihen. Sonst aber ihn mit Krieg überziehen, die Stadt zerstören, Schloß 285 Montalban niederbrechen und die Haimonskinder an den Galgen hängen. Roland wurde höflich empfangen und richtete seine Botschaft aus.
Reinald aber antwortete: »Ich gebe nicht eine Kirsche um Kaiser Karl, und läg' er sieben Jahre im Land.«
»Dann fürchte Karls Zorn, der rostet nicht,« antwortete Roland und schied von seinen Vettern.