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Die kulturellen Bestrebungen der Deutschamerikaner während des 19. Jahrhunderts und ihr Einfluß auf die amerikanische Bevölkerung.

Die Gründung der deutschen Turnvereine und ihr Einfluß auf die körperliche Entwicklung der amerikanischen Bevölkerung.

Dem Scharfblick zweier amerikanischer Ärzte waren die ungewöhnlichen Erfolge nicht entgangen, welche Friedrich Ludwig Jahn, der Vater der deutschen Turnerei, erzielte, indem er zu Anfang des 19. Jahrhunderts Deutschlands Jugend durch systematische körperliche Übungen zu einem Geschlecht von wehrhaften, mit nationalem Sinn erfüllten Männern erzog, die imstande waren, in den großen Jahren des Befreiungskrieges das Joch der napoleonischen Fremdherrschaft abzuschütteln.

Diese Mediziner waren die in Boston lebenden Professoren John G. Coffin und John C. Warren, von welchen der letzte an der Harvard-Universität zu Cambridge über die Gesetze der Gesundheit las. Durch George Bancroft, Daniel Webster und andere hervorragende Geister jener Zeit kräftig unterstützt, befürworteten sie die Einrichtung öffentlicher Turnplätze, wo die Studenten eine körperliche Erziehung nach deutschem Vorbild empfangen sollten. Warren versuchte sogar »Vater Jahn, den hervorragenden Philosophen und Gymnastiker«, für das Bostoner Gymnasium zu gewinnen. Dieser Plan scheiterte jedoch an der unerschütterlichen Weigerung desselben, sein geliebtes Vaterland zu verlassen.

Dagegen gelang es, drei als politische Flüchtlinge nach Amerika verschlagene junge Gelehrte zur Übersiedlung nach Massachusetts zu bewegen, die Doktoren Karl Beck, Karl Follen und Franz Lieber. Alle drei waren echte Gesinnungsgenossen Jahns und als Studenten eifrige Turner gewesen. Zugleich waren sie hochgebildete, begeisterungsfähige Männer und zur Durchführung des geplanten Werks hervorragend geeignet.

Beck wurde sofort an die von Bancroft und Cogswell gegründete Round-Hill-Schule in Northampton, Massachusetts, berufen, wo er nach dem Vorbild der Jahnschen Turnschulen die erste Turnanstalt in den Vereinigten Staaten einrichtete. Follen gründete im Mai 1826 an der Harvard-Universität ein Gymnasium. Lieber übernahm den Turnunterricht an der Tremont-Schule in Boston, und so begannen die drei bedeutendsten deutschen Gelehrten, die je nach Amerika dauernd übersiedelten, ihre neuweltliche Laufbahn als aktive Turner.

Beck gab auch dem Turnunterricht in Amerika die erste systematische Grundlage, indem er im Jahre 1828 Jahns »Deutsche Turnkunst« ins Englische übersetzte, um durch ihre Einführung als Leitfaden für den Turnunterricht in Privatschulen Propaganda zu machen.

In dieser »Abhandlung über Gymnastik« äußerte Beck sich über den Wert gymnastischer Übungen folgendermaßen: »Für eine Republik bestehen die Vorteile gymnastischer Übungen darin, daß sie die verschiedenen Klassen ihres Volkes in einer gemeinschaftlichen Tätigkeit vereinigen und auf diese Weise für diejenigen, die durch ihre verschiedene Erziehung und ihre verschiedenen Lebensstellungen voneinander weit getrennt sind, ein neues Band bilden.«

Lieber fügte diesem Ausspruch in seinem berühmten Werk über »Politische Ethik« hinzu: »Wenn Turnanstalten überall nötig sind, so sind sie es ganz besonders in diesem Lande. Das amerikanische Klima mit seinem plötzlichen Wechsel von Hitze und Kälte, die Leichtigkeit des Reisens ohne körperliche Anstrengungen, unsre freien Institutionen, unsre Abhängigkeit von der großen Masse des Volks zur Verteidigung des Landes verlangen gebieterisch solche Gymnasien.«

Aus zahlreichen schriftlichen und gedruckten Nachrichten jener Zeit wissen wir, daß der Turnunterricht von der studierenden Jugend Amerikas mit Begeisterung aufgenommen wurde und für ihre körperliche Entwicklung die besten Folgen hatte.

Nicht lange blieben die obengenannten Pioniere der Turnerei vereinzelt; befanden sich doch in der mächtigen Flutwelle freiheitsliebender deutscher Elemente, die in dem Zeitraum von 1825 bis 1850 die Vereinigten Staaten überschwemmte, tausende und abertausende von Jünglingen und Männern, die den berühmten Turnerwahlspruch »Frisch! Fromm! Fröhlich! Frei!« im Herzen trugen und der Überzeugung lebten, daß ein gesunder Körper die Vorbedingung zu einem gesunden Geist bilde.

Bestrebt, die eigene Spannkraft zu erhalten und auf ihre Kinder zu übertragen, vereinten sich diese Jünglinge und Männer in allen größeren Orten zur Pflege körperlicher und geistiger Ausbildung, so wie sie dieselbe im alten Vaterlande von Jahn und seinen Aposteln empfangen hatten.

Der erste deutsche Turnverein auf amerikanischem Boden erstand am 21. November 1848 in Cincinnati. Und zwar auf Anregung des berühmten badischen Freiheitsstreiters Friedrich Hecker. Eine bescheidene Bretterhütte diente als erste Behausung.

In demselben Monat entstand auch die New Yorker Turngemeinde. Ähnliche Vereine bildeten sich in rascher Folge in Philadelphia, Boston, Newark, Baltimore, Peoria, Indianapolis, Louisville, Chicago, St. Louis, San Francisco und zahlreichen anderen Städten.

Leicht war es allerdings nicht, der Turnerei in den Vereinigten Staaten einen Boden zu schaffen. Außer materiellem Druck mußten blindem Fremdenhaß entsprungene Vorurteile überwunden werden. Ja, an mehreren Orten war man gezwungen, direkte Angriffe des damals in üppiger Blüte stehenden amerikanischen Rowdytums mit kräftigen Fäusten abzuwehren. Aber zähe Ausdauer führte auch hier zum Ziel. Der jahrelange Kampf wurde siegreich zu Ende geführt und deutschen Sitten und Gebräuchen Duldung und Anerkennung verschafft.

Der Gedanke, zwischen den über das ganze Land verstreuten Vereinen eine engere Verbindung herzustellen und eine Grundlage zu gemeinschaftlichem Handeln zu gewinnen, führte im Oktober 1850 zur Gründung des » Nordamerikanischen Turnerbundes«. Die in den verschiedensten Städten abgehaltenen Bundes-Turnfeste desselben nahmen einen alle Erwartungen übertreffenden günstigen Verlauf und machten auch auf das amerikanische Publikum guten Eindruck.

Die bei diesen Festen an die Sieger verteilten Auszeichnungen bestanden altgriechischem Vorbild gemäß nur aus einfachen Eichenkränzen und Diplomen; eine Sitte, die bis heute streng eingehalten worden ist.

Den von edler Begeisterung und ungestümer Freiheitsliebe durchglühten deutschen Flüchtlingen, welche die Turnvereine Amerikas ins Leben riefen, schwebten aber noch höhere Ziele vor. Der Turnerbund sollte nicht bloß der körperlichen Kräftigung der Jugend dienen, sondern auch ein Bollwerk politischer, religiöser und sozialer Freiheit werden und die Jugend für den Fortschritt auf allen Lebensbahnen begeistern. Zu diesem Zweck kultivierte man durch Gründung einer vorzüglich geleiteten » Turnzeitung«, durch Errichtung guter Bibliotheken, durch Veranstalten von Diskussions-, Vortrags- und Unterhaltungsabenden das sogenannte » geistige Turnen«, um den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, ihren Gesichtskreis zu erweitern und auf allen Gebieten menschlichen Wissens unterrichtet zu bleiben. Bereitwilligst stellten sich zahlreiche, geistig hochbegabte Männer in den Dienst dieser hohen Sache. Ferner zog man berühmte Literaten, Naturforscher, Künstler und Weltreisende heran. Alfred Brehm, Robert von Schlagintweit, Ludwig Büchner, Friedrich Bodenstedt und andere wurden auf diese Weise einem großen Teil der deutschamerikanischen Bevölkerung bekannt. So wurden die deutschamerikanischen Turnvereine zugleich Bildungsstätten, von wo reichster Segen über das ganze Land ausströmte.

Die Zukunft des Turnerbundes berechtigte bereits zu den schönsten Hoffnungen, als plötzlich, zu Ende der fünfziger Jahre, alle Errungenschaften mit einem Schlage in Frage gestellt wurden. Und zwar durch die. politischen Wirren, die wie die Schwüle eines Gewitters dem Bürgerkriege vorausgingen.

Entschlossen nahmen die Turnvereine Stellung zu den großen Fragen jener Zeit und fügten bereits auf den Versammlungen in Buffalo (1855) und Detroit (1857) Erklärungen in ihre Grundsätze ein, in denen sie sich gegen die Sklaverei, hauptsächlich aber gegen ihre Ausbreitung in freien Territorien erklärten, da die Sklaverei einer Republik unwürdig sei und freien Prinzipien schnurstracks zuwiderlaufe. Die Turner müßten Sklaverei, Nativismus und jede Art von Rechtsentziehung bekämpfen, welche sich auf Hautfarbe, Religion, Geburtsort oder das Geschlecht beziehe und sich mit einer weltbürgerlichen Anschauung nicht vereinigen lasse.

In derselben entschiedenen Weise erklärten die Turner sich, als die Südstaaten ihren Austritt aus dem Staatenbunde ankündigten, für die unbedingte Aufrechterhaltung der Union. Sie seien bereit, sowohl die bestehende Regierung wie die Unzertrennlichkeit der Vereinigten Staaten zu verteidigen und Gut und Blut für sie hinzugeben.

Und als die Entscheidung näher rückte, da wurden Reck und Barren beiseite geschoben und die Turnhallen in Kasernen und Waffenhallen verwandelt, wo das Exerzieren begann.

In einem anderen Kapitel ist erzählt, mit welcher Begeisterung und Selbstverleugnung die Turner Lincolns Aufruf zu den Waffen folgten. Die Turnplätze verödeten; zahlreiche Vereine gingen ein, weil sämtliche Mitglieder als aktive Soldaten unter den Fahnen standen. Auch die Bundesorganisation geriet durch den alle Interessen in Anspruch nehmenden Krieg so in Verfall, daß sie später, im Jahre 1865, aufs neue ins Leben gerufen werden mußte.

Aber nachdem die deutsche Turnerei nun auch in Amerika ihre Bluttaufe erhalten und die Probe glänzend bestanden hatte, nahm sie rasch wieder glänzenden Aufschwung und hat sich seitdem stetig weiter entwickelt. Im Jahre 1908 betrug die Zahl der dem »Nordamerikanischen Turnerbund« angehörigen Vereine 236 mit nahezu 40 000 Mitgliedern. Der Gesamtwert des Vereinseigentums belief sich auf 5 160 131 Dollar und das schuldenfreie Vermögen auf 3 644 037 Dollar.
Außer diesen Bundesvereinen gibt es eine große Zahl unabhängiger Turnvereine.

Zu diesem Aufschwung trug in erster Linie das Bemühen bei, das System der körperlichen Ausbildung zu verbessern. Man gründete im Jahre 1860 ein Turnlehrer-Seminar, das bis 1907 mit dem in Milwaukee bestehenden Lehrer-Seminar verbunden, dann aber nach Indianapolis verlegt wurde. Es stellt sich die Aufgabe, sorgfältig geschulte Fachmänner heranzuziehen, die das. deutsche System in alle Schichten der amerikanischen Bevölkerung tragen und den Tatendrang der Jugend in solche Bahnen lenken sollen, wo er Gutes und Nützliches zu stiften vermag.

Zum Aufschwung der deutschen Turnerei trugen auch die glänzenden Bundesfeste bei, die seit der Reorganisation des Bundes in fast allen Teilen der Vereinigten Staaten abgehalten wurden. Mit den von tausenden von Jünglingen und Männern ausgeführten Massenübungen, den anziehenden Darbietungen der Kinder- und Damenklassen, den erstaunlichen Leistungen der Musterriegen gestalteten sich diese Feste zu mächtigen Demonstrationen, die den Amerikanern das Geständnis abnötigten, daß die deutsche Turnerei über der brutalen amerikanischen Klopffechterei und dem einseitigen Athletentum doch himmelhoch erhaben sei.

Durch die bei allen diesen Festen bewahrte musterhafte Ordnung und durch das frische, freie Benehmen sämtlicher Turner und Turnerinnen wurden auch die früheren Vorurteile der amerikanischen Bevölkerung rasch in herzliche Teilnahme und freundliches Entgegenkommen verwandelt. Zahlreiche junge Amerikaner traten deutschen Turngemeinden bei oder gründeten ähnliche Vereinigungen, wobei sie sich der Anleitung deutscher Turnlehrer versicherten. Die Bundesregierung, welche den ungeheuren Nutzen der jeden Muskel des Körpers gleichmäßig ausbildenden und darum jedem anderen Sport überlegenen Turnerei anerkannte, beeilte sich, dieselbe in den Unterrichtsplan der Kriegs- und Marine-Akademien zu West Point und Annapolis einzuführen, und zwar mit Hilfe deutscher Fachlehrer, die sie vom Seminar des Nordamerikanischen Turnerbundes berief. Das Turnlehrerseminar des Nordamerikanischen Turnerbundes ist sowohl das älteste wie das einzige in den Vereinigten Staaten, das sich die doppelte Aufgabe stellt, Turnlehrer für den Turnerbund, dessen offizielle Sprache die deutsche ist, als auch Turnlehrer für die öffentlichen Schulen, deren Hauptsprache Englisch ist, auszubilden. Im Jahre 1907 waren in 39 amerikanischen Städten 96 vom Turnerbund ausgebildete Turnlehrer tätig. Turnunterricht wurde in den öffentlichen Schulen von 60 Städten erteilt, in denen Bundesvereine bestehen.

Seitdem folgten fast sämtliche Universitäten und Hochschulen des Landes diesem Beispiel und erhoben das Turnen zu einem obligatorischen Unterrichtszweig, von dem nur Krüppel, ganz schwächliche und kranke Personen befreit sind.

Alle diese Erfolge berechtigen zu der Hoffnung, daß der Nordamerikanische Turnerbund auch sein höchstes Ziel, die Einführung des obligatorischen Turnens in den öffentlichen Schulunterricht, erreichen wird. Wird dann die Pflege und Erhaltung der Turnkunst von den Staaten übernommen, so dürfen die deutschen Turner sich schmeicheln, ein Stück Kulturarbeit verrichtet zu haben, deren Nutzen für das amerikanische Volk sich gar nicht abschätzen läßt.

Römischer Wagenlenker. Skulpturwerk von Friedrich G. Roth, White Plains, New York.

Der Einfluß des deutschen Erziehungswesens auf die Lehranstalten der Vereinigten Staaten.

Benjamin Franklin.

Seit langer Zeit genießt Deutschland den Ruhm, das Land der großen Denker, Philosophen und Wissenschaftler zu sein. Seine Bildungsanstalten sind die Resultate unermüdlicher, über ein ganzes Jahrtausend sich erstreckenden Arbeit, hingebender Studien und der dabei gewonnenen Erkenntnisse. Infolgedessen sind Gründlichkeit und gediegene Lehrmethoden die Lichtseiten des deutschen Erziehungswesens.

Die dem ganzen Volke innewohnende Liebe zur Wissenschaft zeichnete, wie wir in einem früheren Abschnitt dartun konnten, auch die während der Kolonialzeit nach Amerika gekommenen Deutschen aus, von denen manche, wie z. B. der edle Pastorius, die Prediger Mühlenberg und Schlatter, die Lehrer Schley, Dock und andere die im alten Vaterland genossenen Unterrichtsmethoden auch in den von ihnen gegründeten Schulen anwendeten. Mit welchem Erfolg, ersahen wir aus der Geschichte des Lehrers Dock, des »deutschamerikanischen Pestalozzi«.

Niemand erkannte den Wert dieser Methoden mehr als Benjamin Franklin, der große Philosoph und Staatsmann, in dessen Druckerei die Deutschen viele ihrer Schulbücher herstellen ließen. Franklin war es auch, der, nachdem er im Jahre 1766 auf einer Reise durch Deutschland die vortrefflichen Einrichtungen der Universität zu Göttingen kennen gelernt hatte, den Anstoß dazu gab, die in Philadelphia bestehende Public Academy in eine nach dem Muster der Göttinger Universität geleitete Hochschule, die heutige Universität von Pennsylvanien umzuwandeln. Das geschah noch vor Beendigung des Unabhängigkeitskrieges, im Jahre 1779. Daß seine frühere Abneigung gegen die Deutschen sich in das direkte Gegenteil verwandelt hatte, beweist die Tatsache, daß er dem von ihm entworfenen Lehrplan eine von dem Professor Wilhelm Craemer geleitete deutsche Abteilung einfügte und so der deutschen Sprache Eingang unter den gebildeten Amerikanern verschaffte.

Franklin unterstützte auch lebhaft die Gründung der von den Deutschen Pennsylvaniens geplanten » Franklin-Hochschule« zu Lancaster. Er steuerte nicht bloß 1000 Dollar zum Bau derselben bei, sondern unternahm noch als 81 jähriger Greis die sehr beschwerliche Reise dorthin, um der Grundsteinlegung beizuwohnen.

Außer jener Hochschule unterhielten die in Pennsylvanien lebenden Deutschen, namentlich die rasch zu Wohlstand gelangten Mennoniten und Herrnhuter, vortrefflich geleitete Schulen. Diejenigen zu Bethlehem und Nazareth bezeichnet Payne in seiner »Universal Geography vom Jahre 1798« als die besten ganz Amerikas.

In Bethlehem bestand seit 1749 auch bereits ein Lehrerinnen-Seminar. Wie weit voraus die Herrnhuter damit den Puritanern Neu-Englands waren, beweist die Tatsache, daß, als im Jahre 1793 der Vorschlag gemacht wurde, eine ähnliche Anstalt in Plymouth, Massachusetts, zu gründen, man dort das Projekt bekämpfte, »weil in einer solchen Schule Frauen gelehrter als ihre zukünftigen Ehemänner werden könnten!«

Ein freierer Geist griff erst Platz, als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche geistig hochstehende Amerikaner »Entdeckungsreisen« nach dem Lande der großen Denker unternahmen, um dort ihre Studien fortzusetzen oder zu vollenden. Sie lernten dabei die Einrichtungen der deutschen Schulen und Universitäten so schätzen und lieben, daß sie gleich Franklin für die Umgestaltung des amerikanischen Erziehungswesens nach deutschem Muster eintraten.

Am nachdrücklichsten taten dies die Professoren John Griscom von New York, Alexander D. Bache von Philadelphia und Calwin E. Stowe von Ohio. Diese hervorragenden Pädagogen bereisten Europa zu dem speziellen Zweck, um die dort angewandten Erziehungsmethoden kennen zu lernen. Griscom traf während der Jahre 1818 und 1819 mit Pestalozzi zusammen und hatte Gelegenheit, die nach dessen System geleitete Anstalt in Hofwyl bei Bern zu studieren. Ihre Einrichtungen entzückten ihn dermaßen, daß er schrieb: »Ich kann nur meine Hoffnung aussprechen, daß diese Art der Erziehung, wo landwirtschaftliche und mechanische Fertigkeiten mit literarischem und wissenschaftlichem Unterricht verbunden sind, rasch und in ausgedehntem Maß in den Vereinigten Staaten angenommen werde.«

Seine Beobachtungen veröffentlichte Griscom später in dem zweibändigen Werk »Two years in Europe«, von welchem der berühmte amerikanische Pädagoge Barnard sagt, daß kein Buch einen so mächtigen Einfluß auf das amerikanische Erziehungswesen ausgeübt habe, als dieses. Thomas Jefferson benutzte die darin gegebenen Winke beim Einrichten der Universität von Virginien.

Alexander Bache, erster Präsident des von Stephen Girard in Philadelphia gestifteten »Girard College« verwertete seine während der Jahre 1837 und 1838 in Preußen gemachten Erfahrungen beim Entwurf der Regeln der von ihm geleiteten hochberühmten Anstalt.

Calwin Stowe besuchte Deutschland während des Jahres 1836, und zwar im Auftrag der Regierung des Staates Ohio. In dem Bericht, welchen er nach seiner Rückkehr erstattete, sagt er über das preußische Schulsystem: »In der Tat, ich halte dieses System in seinen großen Zügen für nahezu so vollkommen, als menschlicher Scharfsinn und menschliche Geschicklichkeit es zu machen imstande sind. Manche Einrichtungen und Einzelheiten mögen noch verbessert werden. Natürlich sind auch Änderungen nötig, um es den Verhältnissen anderer Länder anzupassen.«

Seinem, die kleinsten Details berücksichtigenden Bericht fügte Stowe eine Übersetzung der preußischen Schulverordnungen bei, welche bei der Neugestaltung der Schulgesetze Ohios als Grundlage dienten.

Es geschah dies zur selben Zeit, wo auch in anderen Staaten aus Deutschland eingewanderte Schulmänner, wie Franz Lieber, Karl Follen, Karl Beck, Franz Joseph Grund und andere deutsche Lehrmethoden an amerikanischen Hochschulen praktisch anwendeten. Sie wurden darin später durch zahlreiche in Amerika geborene Gelehrte unterstützt, die in Deutschland studierten und nach ihrer Heimkehr als Lehrer in amerikanische Schulen und Universitäten eintraten, um die gesammelten Erfahrungen den amerikanischen Studenten zu übermitteln.

Professor Ira Remsen, Präsident der berühmten, ganz nach deutschem Muster eingerichteten John Hopkins-Universität zu Baltimore, schildert diesen Vorgang in folgenden Worten:

»Seit einem Jahrhundert besuchen Amerikaner deutsche Universitäten, von wo sie jenen Geist mitbrachten, der für diese Hauptsitze der Gelehrsamkeit so bezeichnend ist. Viele der bedeutendsten Professoren an amerikanischen Universitäten und Hochschulen erhielten ihre Schulung in Deutschland und die Hörer solcher Männer nehmen viel von dem Geist, den sie dort empfingen, auf, um ihn weiter über alle Welt zu verbreiten. Gerade hier wünschte ich statistische Angaben einschalten zu können. Es würde nicht nur interessant, sondern auch nützlich sein, festzustellen, wie viele Professoren an etwa einem Dutzend der leitenden Universitäten Amerikas in Deutschland studierten. Und ferner zu wissen, wie viele jener, die nicht dort studierten, unter solchen Personen arbeiten, die dieses Vorzugs teilhaftig wurden. Soweit ich die Lehrkörper mehrerer der wichtigsten Universitäten persönlich kenne, weiß ich, daß die meisten ihrer Mitglieder entweder in die eine oder die andere Kategorie gehören. Dabei brauchen wir uns nicht auf die größeren Hochschulen zu beschränken. Die gleichen Zustände bestehen auch an vielen kleineren und wenig bekannten. Sie beziehen ihre Professoren größtenteils von Universitäten der ersten Klasse, und auf diese Weise wird deutsche Gelehrsamkeit über das ganze Land verbreitet.

Aber es genügt nicht, den Einfluß Deutschlands auf unser akademisches Leben nur auf diese Weise festzustellen, da der Prozeß zu unbestimmt wäre. Wir kommen weiter, wenn wir zeigen, wie der Einfluß Deutschlands sich in bezug auf die Organisierung unsrer Universitäten kundgibt. – Bis zum Jahr 1876 bildete das »College« (Gymnasium) die höchste Stufe der Erziehungsanstalten unsres Landes. In manchen dieser Colleges befanden sich einige vorgeschrittene Studenten, sogenannte »post graduates«, für welche keine besonderen Vorkehrungen getroffen waren. Sie standen außerhalb des Systems und ihre Anwesenheit hatte auf das Lehrpensum der Anstalten geringe Wirkung. Falls ein solcher Student höhere als die vom Lehrplan vorgesehenen Arbeiten zu verrichten wünschte, so riet man ihm stets, nach Deutschland zu gehen. Und viele wandten sich dorthin.

Der erste ernstliche Versuch, der in Amerika angestellt wurde, um solche vorgeschrittene Studenten zu fördern, geschah seitens der »John Hopkins-Universität« zu Baltimore im Jahre 1876. Präsident Gilman, welcher diese Universität organisierte, erklärte aufs bestimmteste, daß es der Wille ihrer Behörden sei, eine wirkliche Universität zu besitzen, die zur Weiterbildung vorgeschrittener Studenten geeignet wäre. Die Tatsache, daß so viele derselben nach Deutschland zogen, hatte gezeigt, daß ein Verlangen nach höherem Studium bestand, als wie es bisher auf den Colleges geboten wurde. Diese Tatsache bestimmte Präsident Gilman, seinen Plan zu fassen. Die Einzelheiten wurden nicht von Anfang an genau ausgearbeitet. Man wählte einen Lehrkörper, mit dem der Präsident gemeinschaftlich das gesteckte Problem lösen könne. Drei Mitglieder dieser Fakultät waren Engländer, die anderen Amerikaner, welche in Deutschland studiert hatten. Auch von jenen Lehrkräften, die späterhin der Fakultät zugefügt wurden, hatten die meisten in Deutschland studiert. In unseren Bemühungen, den zu uns kommenden vorgeschrittenen Studenten weiter zu helfen, fanden wir, daß wir manche der an deutschen Universitäten bestehenden Einrichtungen annahmen. Das kann nicht überraschen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Universitäten Englands damals so wenig wie heute für die Bedürfnisse vorgeschrittener Studenten besonders eingerichtet waren, und daß die deutschen Universitäten die einzigen in der Welt vorhandenen Vorbilder sind. Wir kamen bald dahin, auf dem Unterricht in methodischen Untersuchungen als einem der wichtigsten Teile der Arbeiten jedes vorgeschrittenen Studenten zu bestehen. Und obwohl wir unsere eigenen Regeln für die Anleitung der Kandidaten für Doktoren der Philosophie aufstellten, ähnelten dieselben doch im allgemeinen den Regeln der deutschen Universitäten. Über ein Vierteljahrhundert hat die »John Hopkins-Universität« die Ideale deutscher Gelehrsamkeit hochgehalten. Sie ist nicht irgendeiner besonderen Methode der deutschen Universitäten blindlings gefolgt, aber sie hat die Wichtigkeit gründlicher Forschung aufs nachdrücklichste betont und damit einen starken Einfluß auf die höhere Erziehung Amerikas ausgeübt. Das von der »John Hopkins-Universität« gegebene Beispiel wurde von vielen anderen Erziehungsanstalten dieses Landes nachgeahmt und die Methoden, welche von den neueren Universitäten angenommen wurden, haben vieles mit jenen der »John Hopkins-Universität« gemeinsam. In allen tritt der Einfluß Deutschlands klar zutage.«

Dem Vorgang der »John Hopkins-Universität« folgten zunächst die im Jahre 1890 gegründete »Universität zu Chicago« und die im Jahre 1891 gestiftete »Leland Stanford-Universität« in San Francisco. Ihnen schlossen sich später die älteren Schwestern Harvard in Cambridge, Yale in New Haven und Columbia in New York an. Diesen Beispielen folgten zahlreiche andere Hochschulen, seitdem Deutschland auf den Weltausstellungen zu Chicago und St. Louis sein Unterrichts- und Erziehungswesen in umfassender Weise veranschaulichte und dadurch dem Studium aller amerikanischen Pädagogen zugängig machte.

Die Größe und Bedeutung des so vom deutschen Erziehungswesen auf die Lehranstalten in Amerika direkt und indirekt ausgeübten Einflusses lassen sich natürlich weder statistisch noch anderweitig feststellen. Aber sicher treffen die Worte zu, welche eine anerkannte Autorität, Andrew D. White, der ehemalige Präsident der »Cornell-Universität« zu Ithaka, einst sprach:

»Mehr als irgendein anderes Land hat Deutschland dazu beigetragen, die amerikanischen Universitäten zu dem zu machen, was sie jetzt sind: zu einem gewaltigen Faktor in der Entwicklung der amerikanischen Kultur.«

*

Eine ebenso eigenartige wie bedeutungsvolle Neuerung im amerikanischen Erziehungswesen wurde in der jüngsten Zeit durch Kuno Francke Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Harvard-Universität eingeleitet. Er befürwortete, daß zwischen den Universitäten Deutschlands und der Vereinigten Staaten ein regelmäßiger Austausch von Professoren vorgenommen werden möge, damit durch den so bewirkten direkten Gedanken- und Meinungsaustausch nicht nur eine innigere Verschmelzung deutscher und amerikanischer Wissenschaft und eine geistige Verbrüderung zwischen dem deutschen und amerikanischen Volke herbeigeführt, sondern zugleich der großen Masse der amerikanischen Studenten das gewährt werde, was gegenwärtig nur einer bevorzugten Minderzahl, die den Besuch ausländischer Universitäten nicht zu scheuen brauche, zu genießen möglich sei: die persönliche Berührung mit hervorragenden, scharf markierten, wissenschaftlichen Persönlichkeiten, wie sie für das deutsche Gelehrtentum so bezeichnend sind. Der deutsche Gelehrte, so betonte Francke, setze sich ein für seine Sache, er gehe auf in seiner Wissenschaft und sei erfüllt vom Glauben an dieselbe. Viele besäßen eine eigenartige Kampfnatur, die Selbständiges leisten wolle, sich durch nichts beirren lasse und nach den höchsten Idealen strebe. Die von solchen Personen ausgehende Anregung müsse sowohl auf die Studierenden wie auf die Lehrer der amerikanischen Hochschulen einen außerordentlich belebenden Einfluß ausüben.

Kuno Francke.

Dieser von Professor Francke im Jahre 1902 erhobene Vorschlag fand sowohl diesseits wie jenseits des Ozeans begeisterte Zustimmung. Namentlich seitens Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm II. und des Präsidenten Theodore Roosevelt, welche die Ersprießlichkeit eines engeren freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten längst erkannt und, jeder nach seiner Weise, seit geraumer Zeit für ein solches gewirkt hatten. Es kam infolgedessen im November 1904 zwischen der Universität Harvard und dem preußischen Kultusministerium ein ganz dem Sinne des Franckeschen Vorschlags entsprechender Vertrag zustande, demgemäß sich Professor Francis G. Peabody von der Harvard-Universität im Winter 1905 nach Berlin begab, um an der dortigen Universität eine Reihe von Vorträgen über soziale Ethik im allgemeinen und über die sozialen Probleme Amerikas im besonderen zu absolvieren. Um die gleiche Zeit reiste der Leipziger Professor Wilhelm Ostwald nach Cambridge, Mass., um an der Harvard-Universität im Auftrag der preußischen Regierung über Naturphilosophie und physikalische Chemie Vortrag zu halten. Ihm folgte im Herbst 1906 als zweiter deutscher Austauschprofessor der Literaturhistoriker Eugen Kühnemann aus Breslau mit Vorträgen über das moderne deutsche Drama. An Stelle Peabodys trat hingegen Professor Theodore W. Richards, der im Frühjahr 1907 an der Berliner Universität einen Kursus über Chemie eröffnete. Diesen Leuchten der Wissenschaft schlossen sich in der Folgezeit manche andere namhafte Gelehrte an.

Ein ähnliches Kartell wurde bald darauf auch zwischen der Columbia-Universität zu New York und dem preußischen Kultusministerium geschlossen, aber mit dem Unterschied, daß dank der hochherzigen Stiftung eines früheren Studenten der Columbia-Universität, des New Yorker Bankiers James Speyer, in Berlin ein permanentes » Amerikanisches Institut«, verbunden mit einer » Roosevelt-Professur« geschaffen wurde. In diesem Institut sollen die bedeutendsten Denkmäler der amerikanischen Wissenschaft, Literatur und Kunst allmählich gesammelt und aufbewahrt werden.

Als erster Inhaber der »Roosevelt-Professur« begann im Oktober 1906 Professor John W. Burgess mit Vorlesungen über die Verfassungsgeschichte der Vereinigten Staaten. Ihm folgten später der Nationalökonom Professor Arthur Hadley von der Yale-Universität, Felix Adler, der Gründer der »Ethical Culture Society« und Professor an der New Yorker Columbia-Universität und der Geschichtsprofessor Charles Alphonse Smith von der Universität von Nordkarolina. Die deutsche Regierung hingegen entsandte die Professoren Hermann A. Schumacher aus Bonn (Nationalökonomie und Staatswissenschaften), Rudolf Leonhard aus Breslau (Rechtswissenschaften) und Albrecht F. Penck aus Berlin (Geologie). Ähnliche Kartelle wurden auch seitens der Universitäten zu Chicago und Madison, Wisc, eingeleitet.

Obwohl seit der tatsächlichen Verwirklichung des hochinteressanten Experiments nur kurze Zeit verstrichen ist, liegen für seine Ersprießlichkeit doch bereits die glänzendsten Beweise vor. Denn hüben wie drüben drängten sich lernbegierige Studenten, Professoren, Lehrer, Journalisten, Staatsmänner und andere im öffentlichen Leben stehende Personen zu Hunderten herbei, um die, neuen Botschaften gleichkommenden Eröffnungen entgegenzunehmen, welche von den beredten Lippen jener, einer befreundeten Nation entstammenden Sendlinge, flossen. Daß man in der Auswahl der letzteren auf beiden Seiten glücklich gewesen, zeigten die in Berlin wie in Cambridge und New York gehörten Worte schmerzlichen Bedauerns, daß man so berufene Vertreter echter Wissenschaft nicht zu dem ständigen Lehrpersonal zählen dürfe.

»Unser einziges Bedauern ist nur, daß wir ihn nicht beständig hier behalten können«, so berichtete der mit der Leitung der preußischen Universitätsangelegenheiten im Kultusministerium betraute Geheimrat Dr. Althoff über Professor Peabody nach Harvard. Und dort empfand man in gleicher Weise, daß die Besuche der Professoren Ostwald, Kühnemann und anderer Ereignisse waren, die auf die gesamte dortige Studentenschaft tiefe, unauslöschliche Eindrücke hinterließen.

Da sowohl die amerikanischen wie die deutschen Austauschprofessoren während ihres Verweilens in dem befreundeten Lande auch Besuchsreisen nach anderen dort bestehenden Universitäten unternahmen und daselbst Vorträge hielten, so blieb ihr befruchtender Einfluß nicht auf einen engeren Kreis beschränkt, sondern erstreckte sich über große Teile der beteiligten Nationen.

Welche Anregungen diesem fortgesetzten Austausch von Gelehrten fernerhin entsprießen mögen, das läßt sich zurzeit noch nicht absehen. Aber schon jetzt darf man die im schönsten Sinne kosmopolitische Idee als einen vollen Erfolg bezeichnen, der sowohl für Amerika wie für Deutschland von hoher Bedeutung zu werden verspricht. »In dem Austauschgedanken,« so äußerte sich Professor Kühnemann über das Experiment, »drückt sich in einer edlen Weise das Gefühl der Verwandtschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volke aus, etwas wie eine Zusammengehörigkeit, die zu dem Bedürfnis führt, sich wahrhaft kennen zu lernen und dadurch wahrhaft näherzutreten, dadurch, daß man die Lehrer der fremden Jugend das Wesen des eignen Volkes erklären hört. Ja, noch mehr, man möchte beteiligt sein am Leben des anderen großen Volkes, indem man mitarbeitet an der Seele seiner Jugend. Jeder dieser ins Ausland gehenden Professoren – das ist gewiß – kommt zurück als ein Mittelpunkt freundschaftlicher Gefühle für die Fremden. Ward je in gleich starker Weise der Professor aus der Enge seiner Gelehrtenstube hinausgeführt? Ward er je stärker daran erinnert, daß auch er ein Glied ist im Dienst der öffentlichen geschichtlichen Aufgaben seines Volks? Eine neue Klasse dieser internationalen Professoren wird sich bilden, die sich untereinander verbunden fühlen als Mitarbeiter an einem gemeinsamen Werk. Der Austausch von Gelehrten ist ein wahrhaft kosmopolitischer Gedanke – nur daß dieser Kosmopolitismus die nationale Eigenart nicht auslöscht, sondern geradezu voraussetzt und steigert.«

Und Professor Peabody fügte dem hinzu: »Der Besuch eines Professors ist eine vorübergehende Episode eines Semesters. Was von viel größerer Wichtigkeit ist, als die unmittelbare Wirkung eines einzelnen Vorlesungskursus, das ist die kumulative Wirkung dieser neuen Gelegenheit auf den Ehrgeiz und die Wünsche der jungen Leute. Viel wirksamer, als ein Austausch von Professoren an sich, wäre die Möglichkeit, durch den Austausch von Professoren die Mehrung des Austausches von Studenten zu fördern und den weiterblickenden, unternehmungslustigeren Studenten beider Länder die Erweiterung ihrer Lerngelegenheiten nahezulegen. Der Strom der studentischen Wandrung von den Vereinigten Staaten nach Deutschland ist bereits bedeutend, aber er bedarf sowohl der weiteren Ausdehnung wie der Direktion, welche ein frisch vom Mittelpunkt deutscher Wissenschaft gekommener Ratgeber geben könnte. Auf der anderen Seite könnte eine Gegenwandrung deutscher Studenten nach den Vereinigten Staaten und in soziale Verhältnisse, in denen Initiative und Fortschritt einen von Deutschland so scharf verschiedenen Lauf nehmen, lehrreich genug sein, um eine so kühne intellektuelle Entdeckungsreise zu rechtfertigen. Für die Vereinigten Staaten wenigstens liegt hierin die größte Bedeutung des akademischen Austausches. Der zunehmende Gedankenaustausch und Verkehr der jungen Gemüter in beiden Ländern würde eine Garantie für die Zukunft und die Bürgschaft internationaler Duldsamkeit, Freundschaft und Friedensliebe bedeuten. In Deutschland erwarten den amerikanischen Studenten viele Lehren, die er getrost nach Hause tragen kann, ohne einen Prohibitivtarif auf den wertvollsten deutschen Export fürchten zu müssen. Aber bei diesem Aneignen deutschen Wissens kann der Amerikaner zwei tiefere Lehren erhalten, welche sein Land noch sehr notwendig hat. Die erste dieser Lehren betrifft die Natur der Universität als einer Schöpfung, nicht des Geldes oder lediglich aus Gebäuden bestehend, oder aus ihrer Einrichtung, sondern groß durch die Gelehrsamkeit, die sie fördert, durch die Liebe zur Wissenschaft, welche sie erzieht, als eine Heimat des Idealismus, die sie darbietet. Die zweite Lehre, die sie erteilt, besteht in der Gelehrtennatur, in der Freude an dem selbständigen, fleißigen und zufriedenen Suchen nach Wahrheit, in dem Freisein von Selbstsucht und Ehrgeiz, in welchen Eigenschaften sich noch immer der schönste Typus deutschen Gelehrtentums kennzeichnet.«

Der an den Universitäten bemerkbare Einfluß deutscher Methoden strahlt natürlich auch auf die anderen Lehranstalten und Volksschulen über, die bekanntlich einen großen Teil ihrer Lehrkräfte von den Universitäten beziehen.

Die ausgezeichneten Ergebnisse des gegenseitigen Professorenaustauschs veranlaßten im Jahre 1908 den Verwaltungsrat der Carnegie-Stiftung zur Förderung des Unterrichtswesens mit dem preußischen Kultusministerium Verhandlungen betreffs eines preußisch-amerikanischen Lehreraustauschs einzuleiten Diese Verhandlungen kamen zum Abschluß, und es ward vereinbart, daß Preußen einen Oberlehrer und sechs Kandidaten entsenden solle, die in New York, Boston, New Haven, Worcester, Chicago und Exeter amtieren sollen. Die Vereinigten Staaten sollen zwölf Lehrer nach Preußen schicken, die hauptsächlich in den Universitätsstädten untergebracht werden. Zweifellos dürfte auch dieser Austausch von großem erzieherischen Wert sein.

Der Einfluß deutscher Methoden erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Kindergärten, jene von dem großen Menschenfreund Friedrich Fröbel angebahnte Neuerung, die man mit Recht zu den bedeutendsten Errungenschaften der modernen Pädagogik zählt.

Es war Fröbel klar geworden, daß zwischen der Kinderstube, in welcher das Kind zwanglos schalten und walten darf, und dem unerbittliche Anforderungen stellenden Schulzimmer ein Übergang fehle, der dem Kind die Angewöhnung an die Pflichten und Gesetze der Schule erleichtere. Gerade die besten und talentvollsten Kinder, die eine Fülle von Lebenslust bekunden, empfinden den schroffen Wechsel von dem einem zum andern am schwersten. Die Kluft zu überbrücken, schuf Fröbel den Kindergarten, dessen Lieder, Spiele und unterhaltende Beschäftigungen das Kind unbewußt in das ernste Leben hinüberleiten.

Der erste Kindergarten in den Vereinigten Staaten wurde bereits im Jahre 1858 von der Hannoveranerin Karoline Louise Frankenberg, einer Schülerin Fröbels, in Columbus, Ohio, gegründet. Fröbel selbst hatte schon im Jahre 1836 in seiner Broschüre »Wiedererweckung zum Leben« auf die Vereinigten Staaten als dasjenige Land hingewiesen, welches vermöge seines freiheitlichen Geistes und reinen Familienlebens am besten dazu geeignet sei, um seine Gedanken einer idealen Kindererziehung zu verwirklichen und aus derselben moralischen Nutzen zu ziehen. Wahrscheinlich durch diese Worte ihres Meisters angeregt, traf Fräulein Frankenberg 1838 in den Vereinigten Staaten ein, um die amerikanische Jugend nach den Theorien Fröbels zu erziehen. Ihre gute Absicht fand jedoch kein Entgegenkommen und sie kehrte deshalb schon 1840 wieder nach Keilhau, dem Wohnsitz Fröbels, zurück, unterrichtete dort zunächst zwei Jahre unter der persönlichen Leitung Fröbels, um dann ihren Wirkungskreis nach Dresden zu verlegen, wo sie elf Jahre tätig war. Dann wandte sie sich wieder den Vereinigten Staaten zu und gründete einen Kindergarten in Columbus, Ohio. Auch sie mußte alle jene Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen durchmachen, die sich stets mit einem bahnbrechenden Pionierleben verknüpfen. Nur mit großer Mühe gelang es ihr, einige Schüler zu erhalten, denn die Eltern betrachteten das Anfertigen von Vögeln, Booten, Hüten und dergleichen aus Papier, das Formen in Sand und Lehm, das Marschieren und Singen lediglich als Spielerei, als die beste Art und Weise, den Kindern die Zeit zu vertreiben und sie vor Unheil und Torheiten zu behüten. Daß in diesem kindlichen Spiel ein hoher erzieherischer Sinn lag, war den wenigsten klar. In ihrem sechzigsten Jahre ward Fräulein Frankenberg infolge eines Unfalls gezwungen, ihre Schule aufzugeben und nach dem Lutherischen Waisenhaus in Germantown, Pennsylvanien, überzusiedeln. In dieser Anstalt führte sie das Kindergartenwesen mit großem Erfolge ein. Fräulein Elisabeth Peabody, welche als die eigentliche Gründerin des amerikanischen Kindergartenwesens gilt, besuchte dort Fräulein Frankenberg öfter, um sich Winke für ihren Kindergarten zu holen, den sie in Boston gegründet hatte.

Fräulein Frankenberg starb in Germantown im Jahre 1882.

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Wir können diesen Abschnitt nicht schließen, ohne der Bestrebungen zu gedenken, die gemacht wurden, um auch den Unterricht in deutscher Sprache, Literatur und Kulturgeschichte in die Lehrpläne der amerikanischen Bildungsanstalten einzufügen.

Die in die Vereinigten Staaten eingewanderten Deutschen unterhalten seit langer Zeit deutsche Schulen, einesteils in dem Wunsch, ihren Kindern und Nachkommen die erhabenen Geistesschätze des deutschen Volkes zugängig zu machen, dann auch aus praktischen Gründen, die der Verfasser dieses Buches in einer im August 1903 von den »Vereinigten deutschen Gesellschaften der Stadt New York« ausgesendeten Flugschrift in folgender Weise zusammenfaßte: »Unsere öffentlichen Schulen sind diejenigen Anstalten, wo unsere Kinder für ihren späteren Kampf ums Dasein ausgerüstet werden sollen. Es muß demnach allen Eltern, welchen die Wohlfahrt und Zukunft ihrer Kinder nicht gleichgültig ist, daran gelegen sein, daß dieselben seitens der Schulen in erster Linie mit solchen Kenntnissen ausgestattet werden, welche die besten und sichersten Garantien für ihr späteres Fortkommen darbieten. Angesichts der Tatsache, daß die Handelsbeziehungen sämtlicher Länder Amerikas mit Deutschland in beständiger Zunahme begriffen sind, angesichts der Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten allein mehrere Millionen Personen sich des Deutschen als Umgangs- und vielfach auch als Geschäftssprache bedienen, angesichts der von vielen amerikanischen Gelehrten zugestandenen Tatsache, daß die Kenntnis des Deutschen beim Verfolgen wissenschaftlicher Studien heutzutage geradezu unentbehrlich geworden sei, weil unzählige der wichtigsten neueren Werke aller Wissenschaften gerade in dieser Sprache geschrieben sind, angesichts der Tatsache endlich, daß von allen europäischen Sprachen Deutsch, die Mutter des Englischen, nach dem Englischen die verbreitetste ist und gegenwärtig von etwa 80 Millionen über den ganzen Erdball zerstreuten Personen geschrieben und gesprochen wird, geben wir unsrer Überzeugung Ausdruck, daß eine gründliche Kenntnis der deutschen Sprache für unsere Kinder von größter Wichtigkeit ist, weil diese Kenntnis ihre Befähigung zur späteren Teilnahme am wissenschaftlichen Leben erhöht und ihre Aussichten auf eine gesicherte Lebensstellung wesentlich verbessert.«

Die betreffende Flugschrift erschien als ein Protest gegen von gewissen Seiten gemachte Versuche, den deutschen Sprachunterricht durch Vorschieben anderer, weit weniger wichtiger Fächer aus den Schulen der Stadt New York zu verdrängen.

Daß das aufgeklärte Amerikanertum an solchen, leider nur zu häufig wiederkehrenden Versuchen keinen Anteil hat, beweisen Professor Will H. Carpenter von der Columbia Universität zu New York äußerte sich über die kommerzielle Wichtigkeit der Kenntnis der deutschen Sprache folgendermaßen: »There are almost innumerable instances in America when the value of the possession of the German language may be expressed in the most material way, in terms of actual dollars and cents. In all our larger cities there are opportunities in plenty in the legal and medical profession that are not readily accorded a lawyer or physician who speaks English only.
In teaching, since German has and is to have an important place in the school curriculum, there are opportunities that can only be grasped by one who knows well both German and English. In many branches of trade, a knowledge of the two languages is necessary to a conduct of the business. This is not alone true of the great importing houses which in special cases deal only with Germany, but it is true, also, along vastly extended lines of export and import, in all parts of the country where the industrial and commercial importance of modern Germany inevitably creates German connections and German correspondence which, again, can only be properly attended to by one who knows both the English and German languages. This is true, furthermore, of insurance companies, of banks, and of many other branches of business in which bi-lingual correspondence-clerks and stenographers are needed as a necessary part of equipment. These conditions, too, are increasing, rather than diminishing in numbers and in value, and will continue to increase with the dominance of the English and German speaking nations.«
Und Präsident Gilman von der John Hopkins-Universität zu Baltimore sagte: »Wie im Mittelalter das Lateinische, so ist heute das Deutsche die Sprache der Gelehrsamkeit und Bildung, und kein Student kann auf letztere Bezeichnung Anspruch machen, wenn er das Deutsche nicht vollkommen beherrscht.«
nicht bloß zahlreiche Äußerungen hervorragender amerikanischer Professoren, die sich für den Unterricht in deutscher Sprache erklärten, sondern auch die Tatsache, daß der deutsche Sprachunterricht trotz solcher Anfeindungen sich von Jahr zu Jahr mehr auf den höheren amerikanischen Lehranstalten einbürgert. Um die Jahrhundertwende wurde festgestellt, daß an den Universitäten 30 000, an den Hochschulen und Colleges 100 000, an den öffentlichen Volksschulen 300 000, an den katholischen Pfarrschulen 125 000 und an Privatschulen 30 000 Zöglinge am deutschen Unterricht teilnahmen. Da von vielen Schulen keine Angaben eingelaufen waren, so läßt sich annehmen, daß im Jahre 1900 von etwa 15 Millionen Schülern mindestens eine Million Deutsch erlernte.

Fast jede auf Bedeutung Anspruch erhebende Universität und Hochschule besitzt jetzt eine besondere Abteilung, wo deutsche Sprache gelehrt und germanistische Studien betrieben werden. An der Harvard-Universität, deren deutsche Abteilung heute bereits zwölf Professoren benötigt und etwa 1500 Teilnehmer an vierzig germanischen Studien gewidmeten Kursen zählt, kam es sogar dank der Anregung des Professors Kuno Francke zur Gründung eines »Germanischen Museums«, welches die Kulturentwicklung der germanischen Rasse in Deutschland, Skandinavien, Dänemark, den Niederlanden, Deutsch-Österreich, den deutschen Kantonen der Schweiz und dem angelsächsischen England an charakteristischen Denkmälern der Kunst und des Gewerbes veranschaulichen soll. Das Ziel, welches Francke sich dabei steckte, ist, dieses Museum zu einem Hochstift deutscher Kultur zu gestalten, wo berufene Gelehrte Vorträge über deutsche Geschichte, Literatur und Kunst halten und die studierende Jugend Amerikas mit den Schätzen der deutschen Kultur bekannt machen sollen. Dieses mit dem Anbruch unseres Jahrhunderts eröffnete Museum hat sich in hohem Grade der Förderung seitens Seiner Majestät des deutschen Kaisers und mancher deutschen Städte zu erfreuen gehabt. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es im Lauf der Zeit zu einem mächtigen Denkmal deutschen Geistes auf amerikanischem Boden anwachsen wird.

Zu Ende des Jahres 1904 entstand auch in New York eine » Germanistische Gesellschaft von Amerika«. Sie stellt sich die Aufgabe, das Studium und die Kenntnis deutscher Bildung in Amerika und amerikanischer Bildung in Deutschland zu fördern, und zwar durch Unterstützung des Universitätsunterrichts auf diesem Gebiete, durch Veranstaltung öffentlicher Vorträge, durch Herausgabe und Verbreitung geeigneter Schriften sowie durch andere Mittel, die dem Gründungszweck entsprechen. Ein Zyklus von Vorträgen über deutsche Kulturgeschichte an der Columbia-Universität während des Jahres 1905/06, sowie die Einladung des Dichters Ludwig Fulda und des Assyriologen Professor Friedrich Delitzsch zu einer Reihe von Vorträgen in verschiedenen amerikanischen Städten bildeten die ersten Taten dieser Gesellschaft. Im Jahre 1907 folgten Vorträge der Professoren Heinrich Krämer von der Kunstakademie zu Düsseldorf, des Professors Otto Hötzsch von der Akademie in Posen und von Professor W. Sombart aus Berlin. Diesem schlossen sich in der Folge andere namhafte Gelehrte an.

Ähnliche Ziele verfolgt das in Verbindung mit der »Northwestern Universität« zu Chicago gegründete » Germanische Institut«. Es will gleichfalls in Amerika ein weiteres und tieferes Interesse für die Ergebnisse deutscher Gelehrsamkeit und Kultur schaffen und die zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehenden Bande enger knüpfen. Es will ferner zeigen, inwiefern das deutsche Element das Leben und Streben des amerikanischen Volkes beeinflußte und eine wie große Rolle Deutschland und die Deutschen in der Geschichte der Entwicklung Amerikas spielten. Ähnliche Ziele erstrebt die im Oktober 1906 in Boston gegründete » Deutsche Gesellschaft«.

Alle diese Gründungen sind nicht bloß bedeutsame Symptome für das mächtig wachsende Interesse an deutscher Kultur, Kunst, Literatur und Wissenschaft, sondern auch Betätigungen des immer weitere Kreise erfassenden Glaubens, daß zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und derjenigen Deutschlands nicht bloß eine Stammesverwandtschaft, sondern auch eine Wahlverwandtschaft besteht und daß die Zukunft der Weltkultur vorwiegend von der geistigen Bundesgenossenschaft beider Völker abhängig sei.

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Daß die Deutschamerikaner in vielen Städten eigne, ganz nach deutschem Muster eingerichtete Schulen gründeten, wurde bereits erwähnt. Viele standen und stehen noch unter der Leitung tüchtiger, meist in Deutschland ausgebildeter Pädagogen, wie Rudolf Dulon, Adolf Douai, Hermann Dorner, Emil Dapprich, Otto Schönrich, Hermann Schuricht, Heinrich Scheib, Georg Adler, Julius Sachs, Maximilian Großmann, G. A. Zimmermann, Rudolf Solger, H. H. Fick und andere.

Eine dieser Erziehungsanstalten, die von Peter Engelmann gegründete »Deutsch-Englische Akademie« zu Milwaukee, erhielt eine höhere Mission durch ihre Verbindung mit dem » Deutsch-Amerikanischen Lehrerseminar«, dessen Stiftung von dem im Jahre 1870 entstandenen » Deutsch-Amerikanischen Lehrerbund« beschlossen wurde. Und zwar aus folgenden Gründen:

1. Die deutschamerikanische Jugend braucht deutschamerikanische Erzieher.

2. Die zweisprachige Schule, die Schule der Zukunft, fordert für die Vereinigten Staaten Lehrer, die im Deutschen und Englischen gleich vollkommen ausgebildet sind.

3. Die deutsche Pädagogik, die Pädagogik der Humanität, bedarf solcher Vertreter, denen diese Wissenschaft, diese Kunst zu Fleisch und Blut geworden ist. Solche Lehrer und Erzieher muß das Seminar des Lehrerbundes bilden, wenn es seine Aufgabe richtig erfaßt hat.

Das deutschamerikanische Lehrerseminar in Milwaukee, Wisconsin.

Bei der Gründung des Seminars traf man folgende Bestimmungen: »Daß der deutschamerikanische Lehrerbund den Lehrplan für das Seminar und die Seminarschule festsetzen, und daß nur mit seiner Einwilligung derselbe abgeändert werden darf, sowie daß im Seminar nur Wissenschaft von ihrem jeweiligen Standpunkte aus zu lehren ist, nicht aber Glaubenssätze, und daß Geistliche darin nie Lehrer sein können.«

Die Eröffnung dieses durch freiwillige Beiträge des Deutschamerikanertums unterhaltenen Seminars erfolgte im Jahre 1878. Der Unterricht ist kostenfrei. Der Lehrplan sichert den Seminaristen eine gründliche Ausbildung auf allen Gebieten. In politischen und religiösen Fragen herrscht die weitestgehende Toleranz. Ein einziger Gedanke leitet die Anstalt: aus ihren Zöglingen echte Schulmänner zu machen.

In der mit dem Seminar verbundenen »Deutsch-englischen Akademie« bietet sich den vorgeschrittenen Seminaristen Gelegenheit, sich für ihren Beruf praktisch auszubilden. Außerdem besteht ein Abkommen mit den Schulbehörden der Stadt Milwaukee, demzufolge die Seminaristen auch in den öffentlichen Schulen, wo deutscher Unterricht erteilt wird, sich täglich eine Stunde lang im Ausüben ihres künftigen Berufs betätigen können.

So ist das deutschamerikanische Lehrerseminar eine Musteranstalt, die nicht nur dem Deutschamerikanertum zur Ehre gereicht, sondern durch die stete Aussendung vorzüglich ausgebildeter Lehrkräfte in hohem Grade befruchtend auf das Bildungs- und Erziehungswesen der Vereinigten Staaten wirkt.

Die Landwirtschaft. Gemälde von Arthur Thomas in New York.

Die deutschamerikanischen Landwirte und Forstleute der Neuzeit.

Die überaus günstigen Urteile, welche von berufenen Männern zu Ende des 18. Jahrhunderts über die in Amerika ansässig gewordenen deutschen Bauern abgegeben werden konnten, brauchten im 19. Jahrhundert nicht geändert zu werden. Der Fleiß, die Stetigkeit und Genügsamkeit, welche den deutschen Landwirt damals auszeichneten, sind geblieben. Zu diesen guten Eigenschaften gesellten sich neue, die durch die fabelhafte, auch das Landleben mächtig beeinflussende Fortentwicklung der amerikanischen Kultur erzeugt wurden.

Die jeden schiffbaren Strom befahrenden Dampfer, die mit überraschender Schnelligkeit bis in die entlegensten Winkel des ungeheuren Landes vordringenden Eisenbahnen, die in den kleinsten Ortschaften entstehenden Zeitungen brachten den Bauer in häufigere, engere Berührung mit der Außenwelt, förderten seinen Weitblick, seine Tatkraft, machten ihn vielseitiger und gebildeter. Die zahllosen Wunderleistungen der landwirtschaftlichen Ingenieurkunst, die kombinierten Mäh-, Binde- und Dreschmaschinen erleichterten sein Dasein und ermöglichten es ihm, einen Teil seiner Zeit auch auf seine geistige Fortbildung zu verwenden.

Noch heute ist die »Farm« des deutschamerikanischen Landwirts höchster Stolz. Ihrer Verbesserung gilt sein Mühen und Plagen. Da, seitdem die Bundesregierung die Indianer auf bestimmte Reservationen beschränkte, keine Gefahren mehr sein Haus umdrohen, so konnte er dasselbe geräumiger und wohnlicher gestalten. Aus Holz erbaut und mit hellen Farben bemalt, leuchtet es aus den wogenden Saaten und blumendurchwirkten Weizenfeldern hervor. In der Nähe liegen die weiten Scheunen und die Ställe für die Pferde, das Vieh, die Schweine und das Geflügel. Alle Gebäude sind einfach, aber stets groß, sauber und in bestem Zustand. Der Bodenbesitz hat sich im Vergleich mit demjenigen der Farmer des 18. Jahrhunderts beträchtlich vergrößert, was hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß auf den weiten Prärien der Boden fast mühelos nutzbar gemacht werden kann, während die Pioniere des 18. Jahrhunderts beständig einen schweren Kampf gegen die schier übermächtigen Urwälder führen mußten. Und wenn es dem bedeutenderen Besitz entsprechend heute auch umfangreichere Strecken Landes umzuackern und größere Ernten einzuheimsen gilt, so werden diese Arbeiten durch die ungemein leistungsfähigen landwirtschaftlichen Maschinen vereinfacht, die an Stelle von Pflug, Spaten und Dreschflegel traten.

Westliche Farmer bei der Mais- und Kürbisernte.

Den Hauptteil ihrer geistigen Nahrung beziehen die deutschamerikanischen Farmer aus in deutscher Sprache gedruckten Zeitungen, die den Bedürfnissen der ländlichen Bevölkerung mit großem Geschick angepaßt sind. Sie bringen außer politischen und lokalen Mitteilungen zahlreiche Aufsätze, die für den Landmann von Interesse sind. Und nicht zuletzt auch Nachrichten aus der alten, unvergeßlichen Heimat.

An der Politik nehmen die deutschen Bauern keinen sonderlich großen Anteil. Ohne Erregung lauschen sie den zahlreichen Wanderrednern, die zur Wahlzeit von den einzelnen Parteien ausgeschickt werden, um für ihre Kandidaten Stimmung zu machen. Bei den Wahlen selbst lassen die Deutschen sich dann meist von ihrer eignen Überzeugung leiten.

Religiöser Sinn ist bei dem deutschen Farmer auch heute noch vorhanden. Sitzen mehrere Dutzend in einer Gegend nachbarlich zusammen, so verbinden sie sich zu einer Gemeinde, bauen ein kleines Kirchlein und berufen einen Geistlichen, der sie mit Wort und Sakrament versorgt. Häufig sind Pastor und Lehrer in einer Person vereinigt. Ist die Gemeinde stark genug geworden, außer dem Pastor einen Lehrer unterhalten zu können, so wird auch für eine Gemeindeschule gesorgt. An bestimmten Wochentagen findet dann der Unterricht statt, zu dem die zahlreichen Sprößlinge der Landwirte oft aus weiten Entfernungen sich einfinden.

Gesellig sind die deutschen Farmer geblieben. Wenn sie Sonntags nach dem Gottesdienst sich vor der Kirche versammeln, so treffen sie Verabredungen für den Rest des Tages. Man besucht die Nachbarn, wobei es sich oft ereignet, daß zehn bis fünfzehn Familien auf einer Farm sich zum Besuch einfinden, mitsamt den Kindern an sechzig, siebzig Köpfe zählend. »Da würde,« wie ein unter jenen Farmern seit langen Jahren tätiger Geistlicher schilderte, »eine deutsche Hausfrau die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und nicht wissen, was anzufangen. Aber die Farmerfrau läßt sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Vorrat an Fleisch und dem nötigen Zubehör ist reichlich vorhanden, und die anderen Frauen helfen tüchtig beim Zurichten. So wird denn fröhlich getafelt und wacker zugegriffen. Nach dem Essen schmauchen die Familienväter draußen unter den schattigen Bäumen ihre kurzen Pfeifchen und tauschen ihre Beobachtungen in Ackerbau und Viehzucht aus. Die Frauen halten beim Kaffee ihren gemütlichen Schwatz; die Kinder spielen ihre kindlichen Spiele; die jungen Burschen und Mädchen lassen die alten deutschen Volkslieder erklingen oder drehen sich im Tanz. So bietet der Sonntagnachmittag auf der Farm ein Bild echt deutscher Gemütlichkeit und deutschen Familiensinns.«

Am dichtesten sitzen die deutschen Farmer in Ohio, Indiana, Illinois, Michigan, Wisconsin, Minnesota, den beiden Dakotas, Iowa, Nebraska, Missouri und Kansas. Meist sind es Bauern aus Westfalen, Hannover, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern, die dort ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. Die Süddeutschen bevorzugen mehr die südlichen Staaten, namentlich Texas. Wie sogar von Stockamerikanern rückhaltlos anerkannt wird, trugen deutscher Fleiß und deutsche Beharrlichkeit in hervorragendem Maß dazu bei, jenen Staaten ihre Bedeutung im Bunde der Union zu verschaffen.

In Kansas ließen sich während des letzten Drittels des vorigen Jahrhunderts viele deutsche Mennoniten aus Rußland nieder, welche sich zur Auswandrung entschlossen, als die Regierung die ihnen von früheren Regenten zugestandene Befreiung vom Militärdienst aufhob. Diese Mennoniten, deren erste um das Jahr 1873 anlangten, waren das Erstaunen aller Landagenten, sowohl wegen ihres soliden Reichtums und der baren Bezahlung ihrer bedeutenden Landerwerbungen, als auch wegen der Sorgfalt, womit sie zur Auswahl ihrer neuen Heimstätten schritten. Zu ihnen gesellten sich später viele aus Westfalen und Ostpreußen stammende Glaubensgenossen, mit welchen vereint sie zahlreiche Kolonien schufen, von denen die meisten echt deutsche Namen tragen, wie Johannestal, Gnadenfeld, Hoffnungsau, Blumenort, Brudertal, Grünfeld, Germania. Diese Mennoniten, deren Zahl sich auf 150 000 belaufen mag, sind sowohl wegen ihrer Betriebsamkeit und Sparsamkeit, wie wegen ihrer Geschicklichkeit im Verkaufen ihrer Produkte berühmt. Sie gelten allgemein als vorzügliche Bürger. Außerdem sind sie bekannt dafür, daß sie niemals Prozesse führen.

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Wie das Deutschtum der Vereinigten Staaten in den Reihen der amerikanischen Großindustriellen berufene Vertreter besitzt, so auch unter den Landwirten. Besonders im Nordwesten gibt es zahlreiche deutsche Riesenfarmen, deren fast militärisch organisierte Bewirtschaftung das Staunen aller europäischen Besucher erregte. In Idaho gehören die kolossalen Weizenländereien des 1847 in Deutschland geborenen Johann P. Vollmer zu den ergiebigsten des ganzen Staates. Sie einzuzäunen, erforderte es 250 Meilen Draht. Vollmer ist auch der Begründer der »Vollmer-Clearwater Grain Company«, welche zu Lewiston und an anderen Orten Idahos bedeutende Mühlen besitzt, die jährlich 2 Millionen Bushel Weizen zu Mehl verarbeiten.

Einen hervorragenden Anteil haben die Deutschamerikaner auch an der Entwicklung der Obst- und Weinkultur der Vereinigten Staaten. Ein findiger Hesse, Johann Schwerdkopf, war es, der bereits während der Kolonialzeit auf Long Island große Strecken unbenutzt liegenden Landes pachtete und daselbst Erdbeeren zog. Er brachte die bis dahin in Amerika wenig beachtete Frucht zu solcher Beliebtheit, daß er seine Erdbeerplantagen von Jahr zu Jahr vergrößern mußte. Lange Zeit hatte Schwerdkopf gleichsam das Monopol dieser herrlichen, zu einem förmlichen Leibgericht der Amerikaner werdenden Frucht, deren Anbau im 19. Jahrhundert einen geradezu fabelhaften Umfang annahm und zu einem hochwichtigen Erwerbszweig für die amerikanischen Farmer wurde.

Ernte im fernen Westen.

Ein anderer Deutscher, dessen Einfluß auf dem Gebiet der Hortikultur sich lange Jahre hindurch in den gesamten Vereinigten Staaten geltend machte, war der Württemberger Georg Ellwanger. Er schuf bei Rochester im Staat New York die als Mount Hope Nurseries bekannt gewordenen Blumengärtnereien, legte großartige Baumschulen an, und machte sich auch durch Einführen des Zwergobstes, durch verbesserte Pfropfverfahren und andere Neuerungen um die Landwirtschaft hochverdient. Die Stadt Rochester verdankt ihm den schönen Highlandpark.

Deutsche waren es auch, welche zuerst im Tal des Ohio den rationellen Weinbau einführten. Von der Mosel und vom Rhein ließen sie Reben und erfahrene Winzer kommen, um ausgedehnte Versuche anzustellen. Diese fielen so gut aus, daß viele sich dem Weinbau zuwandten. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts zählte man im Umkreis von Cincinnati 1200 Weinberge. Der hier erzeugte Wein war von solcher Güte, daß man sich sogar zum Herstellen von Schaumwein verstieg. Hier erschien auch die von Karl Rümelin herausgegebene » Deutschamerikanische Winzerzeitung«. Leider brachten mehrere Jahre des Mißwachses im Verein mit dem ungeheuren Steigen der Grundeigentumswerte der vielversprechenden Weinindustrie im Cincinnater Distrikt den Untergang.

Durch ihren Weinbau ist auch die von dem deutschen Arzt Wilhelm Schmö1e im Verein mit seinem Bruder und seinem Freunde Wolsiffer gegründete Kolonie Egg Harbor City in New Jersey bekannt geworden. Dieselbe liefert Rotweine von besondrer Güte.

Ernte im fernen Westen.

Auch an die Ufer des Missouri übertrugen die Deutschen den Weinbau. Besonders der im Jahre 1837 von der » Deutschen Ansiedlungs-Gesellschaft zu Philadelphia« gegründete Ort Hermann entwickelte sich zu einer echten, zwischen Rebhügeln eingebetteten Winzerstadt, deren Charakter an die weinfröhlichen Orte des Rheingaus erinnerte. Michael Pöschel und Hermann Burkhardt waren daselbst die ersten erfolgreichen Rebenpflanzer. Ein anderer bedeutender Weinzüchter, der auch zahlreiche deutsche und englische Schriften über den Weinbau verfaßte, war der im Jahre 1834 eingewanderte Georg Husmann, derselbe, welcher später unter den Weinproduzenten Kaliforniens eine Rolle spielte. Von Hermann aus breitete der Weinbau sich nach den gleichfalls in Missouri gelegenen Orten Marthasville, Augusta und Washington aus.

Die Erwerbung Kaliforniens fügte den Vereinigten Staaten ein großes, schon bewährtes Weinland, hinzu. Hier war der Weinbau bereits im 17. und 18. Jahrhundert durch spanische Missionare eingeführt worden. Als die Romanen den Amerikanern weichen mußten, brauchten die letzteren die schon bestehenden Pflanzungen nur weiter zu entwickeln. Das geschah freilich erst, nachdem der kalifornische Goldrausch der fünfziger Jahre verflogen war. Um jene Zeit kamen infolge der deutschen Revolution des Jahres 1848 auch zahlreiche Weinbeflissene aus den Rheinlanden nach Kalifornien. Viele wandten sich der systematischen Förderung des Weinbaus zu. Unter ihnen die Brüder Sansewein, Jakob Gundlach, Ch. Bundschu, Julius Dresel und J. Winkel in Sonoma; Karl Krug, die Brüder Beringer, Wilhelm Scheffler, Johann Thomann, J. Schramm, A. Schranz und die Gebrüder Stamer in St. Helena; der obengenannte Professor Georg Husmann in Napa; G. Grözinger in Yountville, Köhler und Fröhlich, J. H. Rose und Stern, Lachmann in Los Angeles; J. E. Baldwin in San Gabriel; Dreyfuß in Anaheim; Scholl, Langenberg, Reißer und manche andere. Sie trugen auch in erster Linie dazu bei, durch Anpflanzen bester deutscher Reben und durch fachmännische Pflege des gewonnenen Weins die gegen denselben bestehenden Vorurteile zu bekämpfen. Es gelang ihnen, seine Qualität auf eine so hohe Stufe zu bringen, daß er auf den Weltausstellungen der letzten Jahrzehnte neben den besten Erzeugnissen Europas bestehen und die höchsten Auszeichnungen erringen konnte.

Sehr viele in Kalifornien seßhaft gewordene Deutsche beteiligten sich auch an dem so großartig entwickelten Anbau der Orangen, Zitronen, Limonen, Granatäpfel, Pfirsiche, Aprikosen, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Feigen und Oliven. Desgleichen an der Zubereitung von Rosinen, gedörrtem und eingemachtem Obst.

Einigen der obengenannten deutschen Winzer verdankt die bei Los Angeles gelegene, ihrer landschaftlichen Schönheiten wegen berühmte Kolonie Anaheim ihr Entstehen. Rings um dieselbe liegen Fruchthaine in voller Blütenpracht, grüne Auen, Täler und Hügel, lustig rieselnde Bäche und Bewässerungskanäle, unabsehbare Weingärten und Orangenhaine. Im Hintergrund dieser arkadischen Dekoration erheben sich die in scharfen Umrissen gegen den Horizont abstehenden Gebirgskämme. Die Einzelfarmen von Anaheim, desgleichen seine Bewässerungskanäle und Weinberge wurden unter dem Kooperativsystem geschaffen. Die äußerst zweckmäßige Anlage des Orts diente vielen anderen Ansiedlungen als Vorbild.

Auch an der Nutzbarmachung der wasserlosen Wüsten des fernen Westens, an ihrer Umwandlung in fruchtbringende Gefilde haben Deutschamerikaner großen Anteil. Zu den bekanntesten Autoritäten auf diesem Gebiet zählt beispielsweise der an der Staatsuniversität von Kalifornien angestellte Professor Hilyard, ein Sohn des von den »Lateinischen Farmern« gegründeten Städtchens Belleville in Illinois. Er hat sich hauptsächlich um die Bewässerung und Fruchtbarmachung der dürren Gegenden in Südkalifornien und Arizona große Verdienste erworben.

Auch unter den Viehzüchtern des fernen Westens, besonders in Texas, Kansas und Montana, begegnen wir vielen deutscher Herkunft. In Kalifornien gehörten die beiden Deutschen Miller und Lux zu den bedeutendsten. Sie kamen als arme Burschen nach Amerika, traten hier im Jahre 1856 in Geschäftsgemeinschaft, kauften in Kalifornien Ranchos für ihre Herden und betrieben ihr Geschäft mit seltener Umsicht und Energie. Gegenwärtig besitzt die Firma ungeheure Strecken Weidelandes, auf denen hunderttausende von Pferden, Rindern und Schafen grasen. Desgleichen betreibt sie die Schweinezucht in großartigem Maßstab.

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Besondere Verdienste erwarb das Deutschamerikanertum sich um die amerikanische Forstkultur.

Es war Karl Schurz, ein Sohn des die Wälder liebenden deutschen Volks, welcher sowohl als Senator wie als Sekretär des Innern zum erstenmal amtlich das amerikanische Volk darauf aufmerksam machte, welche schwere Schuld es durch die teils in Gedankenlosigkeit, teils aus schnöder Habgier betriebene Verwüstung seiner Wälder auf sich lade. Mit warnenden Worten wies er darauf hin, wie wichtig der Wald für die Erhaltung des notwendigsten Lebenselements der Landwirtschaft, des Wassers sei, und wie durch das Zerstören der Forste die Vereinigten Staaten im Lauf der Zeit einem ähnlichen Schicksal wie Palästina, Spanien und andere ihres früheren Waldreichtums beraubten Länder verfallen müßten.

Angesichts des damals noch unerschöpflich scheinenden Holzreichtums der Vereinigten Staaten lachte man über die Befürchtungen des »deutschen Idealisten«. Als aber im Lauf der nächsten Jahrzehnte die mächtigen Forste der Alleghanygebirge und der die großen Binnenseen umgebenden Staaten vor der zügellosen Gier der Holzhändler gänzlich verschwanden und die nüchterne Statistik mit erschreckender Deutlichkeit den raschen Untergang des Waldreichtums verkündete, als der Wasserstand der Seen und Ströme zu sinken und die Temperaturverhältnisse ganzer Länderstrecken in ungünstiger Weise sich zu ändern begannen, da dämmerte auch in den Köpfen der um die Wohlfahrt ihres Landes besorgten Amerikaner die Erkenntnis, wie begründet die Warnungen des »deutschen Idealisten« und der mit ihm übereinstimmenden deutschamerikanischen Zeitungen gewesen seien.

Man begann für den Schutz der Wälder einzutreten, gründete einen » National-Forstverein« (die »National Forestry Association«) und bewirkte durch Eingaben an die Bundes- und Staatsregierungen den Erlaß von Gesetzen zum Schutz der bedrohten Wälder.

Der Staat New York war der erste, welcher solchen Forderungen entsprach, indem er nicht nur eine staatliche Forstkommission einsetzte, sondern auch eine Waldreservation einrichtete. Am 3. März 1891 entschloß sich auch der Bundeskongreß zum Erlaß eines Gesetzes, welches den Präsidenten ermächtigte, Forstreservationen zu schaffen und für immer vom Verkauf an private Personen auszuschließen. Kalifornien, Colorado, New Hampshire, Ohio, Pennsylvanien, Minnesota, Wisconsin, Maine und viele andere Staaten folgten, so daß das Areal der in den verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten gelegenen Waldreservationen bis November 1908 auf 167 992 208 Acres anwuchs. Bei ihrer Auswahl achtet man darauf, daß sie die Quellgebiete großer Ströme umfassen, um dadurch den Wasserzufluß zu regeln und Überschwemmungen vorzubeugen.

An dem Verdienst, diese wichtige Angelegenheit in Fluß gebracht zu haben, gebührt einigen praktischen deutschen Fachleuten ein Hauptanteil.

In erster Linie dem aus der Provinz Posen stammenden Forstmann Bernhard E. Fernow, einem der Gründer des » Nationalen Forstvereins« und Redakteur der von demselben herausgegebenen Zeitschrift » The Forester«. Man kann ihn getrost den Vater des amerikanischen Forstwesens nennen. Denn seiner Rührigkeit verdankt das Land die Einrichtung einer mit dem Landwirtschaftsministerium verbundenen Forstabteilung, deren Vorsteher Fernow von 1886 bis 1898 war.

Als im letztgenannten Jahre der Staat New York an der Cornell-Universität zu Ithaka eine Forstlehrschule gründete, übernahm Fernow ihre Leitung und führte sie bis 1903, wo eine kurzsichtige Legislatur der Anstalt die nötigen Mittel versagte und dadurch ihren Eingang verschuldete. Gegenwärtig ist Fernow als Leiter der an der Universität zu Toronto, Canada eingerichteten Forstabteilung tätig.

Die Universitäten Yale und Harvard, sowie diejenige des Staates Michigan gründeten während der Jahre 1900 und 1903 gleichfalls Abteilungen für Forstwesen. Jene zu Yale wird von Professor Henry S. Graves, die zu Harvard von Richard F. Fischer, jene in Michigan von Filibert Roth bekleidet. Der Schöpfer der Forstwirtschaft des Staates Pennsylvanien ist Dr. Joseph Rothrock, der Nachkomme eines in Pennsylvanien eingewanderten Deutschen. Er studierte sowohl in Berlin und München Forstwissenschaft, und hat die dort erworbenen Kenntnisse zum großen Segen für Pennsylvanien verwertet. In Südkarolina sorgte der Forstmann Dr. C. A. Schenck in den ausgedehnten Waldungen der Vanderbiltschen Besitzungen bei Biltmore für eine regelrechte Verwaltung. Er richtete auch im Jahre 1898 dort eine Forstschule ein, wo angehende Forstleute sowohl theoretischen wie praktischen Unterricht empfangen.

Von großem Einfluß waren ferner die Forstabteilungen, welche seitens der deutschen Regierung auf den Weltausstellungen zu Chicago und St. Louis dem Studium dargeboten wurden. Durch methodische Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit sich auszeichnend und in überaus klarer Weise den ungeheuren, aus einer gesunden Waldwirtschaft entspringenden Nutzen veranschaulichend, machten diese Abteilungen auf alle mit Nationalökonomie sich Beschäftigenden tiefen Eindruck.

Die Gewohnheit der Deutschen, ihr Heim durch Baum- und Blumenanpflanzungen zu schmücken, rief die heute blühende Kunstgärtnerei ins Leben, die sich fast ganz in deutschen Händen befindet. Auch sind viele der schönsten Schöpfungen der Landschaftsgärtnerei in Amerika, zahllose öffentliche Parks und Friedhofanlagen als die Werke deutscher Gärtner zu betrachten. So verdankt beispielsweise der im Jahre 1857 begonnene Zentralpark der Stadt New York in der Hauptsache deutschen Gärtnern sein Entstehen. A. Pieper, ein Hannoveraner, leitete die gesamten Hoch- und Niederbauten als zweiter Oberingenieur; A. Torges, ein Braunschweiger, war Leiter der südlichen, und Wonneberg, ein Hannoveraner, der nördlichen Division; B. Pilat, ein Österreicher, hatte als Obergärtner das gesamte Agrikulturwesen unter sich; Fischer, ein Württemberger, war zweiter Obergärtner; W. Müller, ein Kurhesse, erster Architekt; Bieringer, ein Bayer, leitete den Bau des Ent- und Bewässerungssystems; H. Krause, ein Sachse, und Spangenberg, ein Kurhesse, waren die ersten Zeichner.

Um dieselbe Zeit, im Jahre 1854, verwandelte der geniale Landschaftsgärtner Adolf Strauch, der seine Ausbildung unter den berühmtesten Meistern der kaiserlichen Gärten zu Schönbrunn und Laxenburg bei Wien erhalten hatte, den Spring Grove Friedhof in Cincinnati zu einer herrlichen Anlage, die für viele andere amerikanische Friedhöfe vorbildlich wurde.

Die erste von Johann August Roebling im Jahre 1848 zu Trenton, New Jersey, angelegte Drahtseilfabrik.

Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung der amerikanischen Industrie.

Wie schon in dem Abschnitt über die kulturellen Zustände der Deutschamerikaner während der Kolonialzeit nachgewiesen wurde, gebührt ihnen an der Einführung, dem Aufbau und der Entwicklung der großen Industrien Amerikas ein gewaltiger Anteil. Heute gibt es in der Tat kaum einen Geschäftszweig, in welchem die Deutschen nicht stark vertreten sind. Gewisse Zweige des Großhandels und der Wareneinfuhr beherrschen sie nahezu ausschließlich; im Kleinhandel und Handwerk, soviel von letzterem bei den alles aufsaugenden und monopolisierenden Bestrebungen der Trusts übriggeblieben ist, prosperieren sie entschieden mehr als die Amerikaner und Irländer.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die meisten in die Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen klein und bescheiden anfangen und sich bemühen, durch kluges, vorsichtiges Ausnutzen der Gelegenheiten, durch Fleiß und Sparsamkeit größere Geschäfte aufzubauen. Sie sind weniger zu gewagten Unternehmungen geneigt, als die Amerikaner, die es lieben, durch kühne Spekulationen mit einem Schlage Reichtümer zu gewinnen. Sie bevorzugen den langsameren, sichern Weg, wohl wissend, daß dabei ihre meist gut fundierten Geschäfte nicht so leicht jähem Wechsel oder gar dem Zusammenbruch ausgesetzt sind.

Infolge solcher vorsichtigen Führung ist die Zahl alter deutscher Firmen, die sich in steigender Blüte auf nachfolgende Geschlechter vererbten, eine verhältnismäßig große. Dabei darf man keineswegs glauben, daß es den Deutschamerikanern an Weitblick oder Wagemut fehle. Auch sie stellen ihren Prozentsatz zu jenen »Kapitänen der Industrie«, die im geschäftlichen Leben Amerikas die Offiziere, den Generalstab jener Arbeiterarmeen bilden, welche die Reichtümer der Neuen Welt erschließen und zur Entwicklung der letzteren so ungeheuer viel beitragen.

Daß bereits während der Kolonialzeit mehrere deutsche Großindustrielle in Amerika existierten, wurde im ersten Teil dieses Werkes gezeigt. Ihnen schlossen sich nach der Gründung der Vereinigten Staaten manche andere an, wie beispielsweise Johann Jakob Astor, dessen Geschichte unter den Pionieren des fernen Westens erzählt ist. Er war der erste Amerikaner, dessen Fahrzeuge in regelmäßigen Reisen den Erdball umschifften. Einen bedeutenden Teil seines im Welthandel erworbenen Vermögens legte Astor in Landkäufen in und um New York an, darauf rechnend, daß mit dem Wachstum der Stadt der Wert dieser Grundstücke erheblich steigen müsse. Dieser von Astors Nachkommen in großartigem Maßstab fortgesetzten Politik verdankt die heute weit verzweigte Familie Astor ihr kaum noch zu berechnendes Vermögen.

Ein Zeitgenosse Astors war der im Jahre 1761 zu Hagenau geborene Kaufmann Martin Baum. Sein Name ist mit der frühesten Entwicklungsgeschichte der Stadt Cincinnati eng verbunden. War er es doch, welcher dort die erste Zuckersiederei, die erste Eisengießerei, die erste Wollfabrik, die erste Dampfmahlmühle errichtete. Gleichzeitig gründete er die » Miami Exporting Company«, die außer Geldgeschäften ein bedeutendes Transportgeschäft betrieb und die Schiffahrt auf den westlichen Strömen entwickelte.

Unter den hervorragendsten Pionieren des Staates Missouri befand sich der 1810 in Bremen geborene Adolf Meier, ein Mann von seltener Tatkraft und Unternehmungslust. Er errichtete in St. Louis die erste, westlich vom Mississippi erbaute Spinnerei und Weberei, gründete die Bessemer Hochöfen zu Ost-Carondolet sowie zahlreiche andere großindustrielle Anlagen. Außerdem war er als Gründer oder Präsident an mehreren der bedeutendsten von St. Louis ausgehenden Eisenbahnen beteiligt.

Die hervorragende Stellung, welche die Deutschamerikaner während des 18. Jahrhunderts in der Eisenindustrie einnahmen, wurde auch später von ihnen behauptet. Dem Großindustriellen Johann Jakob Faesch, der in New Jersey die gewaltigen » Hibernia- und Mount Hope-Werke« besaß, reihten sich die Gebrüder Michael und George Ege an, die in Pennsylvanien zahlreiche Hüttenwerke aufführten. Ebendaselbst schuf der im Jahre 1791 aus Zweibrücken eingewanderte Clemens Rentgen verschiedene Unternehmungen, darunter die » Pikeland Works«, wo er sich der Stahlfabrikation befleißigte und für die amerikanische Marine große Lieferungskontrakte ausführte. Peter Grubb, David Heimbach, Wilhelm Müller, Georg Anschütz, Samuel Helfrich, W. Haldemann, Samuel Fahnestock, Gabriel Heister, Peter Karthaus, Johann Probst, Friedrich Geissenhainer, Bernhard Lauth, Johann Hammer, Konrad Piper, Detmar Bassemüller, Martin Dubbs, Benjamin Jakobs, Philipp Benner, Georg und Peter Schönberger, Karl Lukens und Johann Buchwalter sind die Namen deutscher Pioniere, die in Pennsylvanien in den verschiedensten Zweigen der Eisenindustrie tätig waren. Lukens walzte die ersten Dampfkesselplatten; Clemens Rentgen lieferte das erste Rundeisen; Jakob Baumann gründete die erste, westlich von den Alleghanys gelegene Nagelfabrik. In Kentucky wurde der aus Baltimore eingewanderte deutsche Geschäftsmann Jakob Meyers der Vater der dortigen Eisenindustrie, indem er im heutigen Bath County im Jahre 1791 eine Eisenschmelze und andere Fabriken erbaute, wo alles, vom eisernen Kochtopf und Ofen bis zum schweren Geschütz, hergestellt wurde.

Manche der von solchen deutschen Industriellen gegründeten Werke sind noch heute in Betrieb; viele andere gingen hingegen im Lauf des 19. Jahrhunderts in größeren Unternehmungen auf. Dies geschah beispielsweise mit den in Pittsburg gegründeten Fabriken der aus Trier stammenden Schmiede Andreas und Anton Klomann. Ihre Spezialität bestand in der Herstellung von Achsen für Eisenbahnwagen. Beim Schmieden derselben bedienten sie sich eines besonderen, von Andreas Klomann erfundenen Verfahrens, dessen Vorzüge allenthalben anerkannt wurden. Zu den Abnehmern Klomanns gehörte auch die »Pittsburg, Fort Wayne und Chicago Bahn«, deren Einkäufer, Thomas Miller, im Jahre 1859 einen Anteil an der Klomannschen Fabrik erwarb. Seinem Betreiben war es zuzuschreiben, daß, als der Bürgerkrieg bedeutende, die Errichtung größerer Anlagen nötig machende Aufträge brachte, die Firma sich am 16. November 1861 in eine Aktiengesellschaft verwandelte, welche den Namen » Iron City Forge Company« annahm. Da der Preis für Wagenachsen von zwei Cents das Pfund über Nacht auf zwölf Cents emporschnellte, so machte die Gesellschaft glänzende Geschäfte. Leider stand es um die Einigkeit der verschiedenen Teilhaber minder gut. Anton Klomann wurde im Jahre 1863 ausgekauft; dasselbe geschah später mit Andreas Klomann, nachdem am 2. Mai 1864 Andrew Carnegie der Gesellschaft beigetreten war. Man sagt, daß Carnegie herbeigerufen worden sei, um zwischen den uneinigen Parteien Frieden zu stiften. Er habe dabei nach dem Muster jenes Richters in der Fabel gehandelt, der den streitenden Parteien die Schale zuspricht und als Lohn für seine Mühe den Kern behält. Wie dem immer sein möge, so ist gewiß, daß die von den Brüdern Klomann gegründeten Fabriken den Anfang jener von Carnegie geleiteten Riesenunternehmungen bildeten, die später unter den Namen » Union Iron Mills Company«, » Carnegie Steel Company« und » United States Steel Corporation« Weltruf gewannen.

In der neueren Geschichte dieser Körperschaft waren übrigens noch zwei anderen Amerikaner deutsch-pennsylvanischer Abkunft leitende Rollen beschieden: Henry C. Frick und Charles Schwab. Der letzte bekleidete ursprünglich einen sehr untergeordneten Posten in einem Stahlwerk Carnegies. Durch Energie und unermüdliches Studium arbeitete er sich allmählich zum Leiter der berühmten » Homestead Werke« empor. In den Jahren 1901 bis 1903 stand er als Präsident an der Spitze der » United States Steel Corporation«. Heute ist er Präsident der Stahlwerke zu Bethlehem, Pennsylvanien.

Die heutigen Drahtseilfabriken der Firma John A. Roeblings Sons Company zu Trenton, New Jersey.

Eine ähnliche Bedeutung erlangte der im Jahre 1869 zu Brooklyn geborene F. Augustus Heinze in der Kupferindustrie. Durch sorgfältiges, sowohl an amerikanischen wie deutschen Universitäten betriebenes Studium der Bergwissenschaften vortrefflich ausgerüstet, wandte er sich im Jahre 1889 dem mineralreichen Staate Montana zu und gründete in der Stadt Butte die » Montana Ore Purchasing Company«. Später trat Heinze an die Spitze der von ihm gegründeten » United Copper Co

Von anderen amerikanischen Großindustriellen ist der am 23. November 1906 verstorbene Heinrich Wehrum zu nennen, der Schöpfer der großartigen » Lackawanna Iron & Steel Works« zu Buffalo und Seneca, New York.

Die bedeutenden Drahtseilfabriken der Firma » John A. Roeblings Sons Company« zu Trenton, New Jersey, welche sich mit dem Herstellen von Drähten, Drahtseilen und mächtiger Kabel für Hängebrücken beschäftigen, verdanken ihren Ursprung dem berühmten Brückenbauer Johann August Roebling, dessen Lebensgeschichte in dem Abschnitt »Deutschamerikanische Techniker und Ingenieure« ausführlich erzählt ist. Drahtseile wurden bereits im Jahre 1820 in Deutschland erzeugt. Roebling war es, welcher diese wenig gewürdigte Industrie nach Amerika übertrug und im Jahre 1840 in dem von ihm gegründeten Dorf Germania, dem späteren Saxonbury (Grafschaft Butler in Pennsylvanien) die erste Drahtzieherei in Amerika schuf. Als Roebling im Jahre 1848 mit seiner Familie nach Trenton, New Jersey, übersiedelte, legte er dort sofort eine neue Drahtseilfabrik an, in der er anfangs 25 Mann beschäftigte. Aus diesen bescheidenen Anfängen wuchsen im Lauf der Jahre die riesigen Anlagen der obengenannten Firma hervor, welche im Jahre 1908 ein Heer von über 6000 Arbeitern beschäftigte und den Ruf genießt, nicht allein die bedeutendste, sondern auch die leistungsfähigste Drahtseilfabrik der Welt zu sein. Die Leitung der Fabriken liegt noch heute in den Händen der Söhne Roeblings, Ferdinand W., Charles G. und Washington A. Roebling, sowie deren Nachkommen.

Der aus Kassel stammende G. Martin Brill wandte sich dem Bau von Straßenbahnen zu und gründete in Philadelphia die Firma J. G. Brill & Son, die sich zu einer der bedeutendsten Werkstätten Amerikas entwickelte. Im Jahre 1887 ließ sich die Firma als die »J. G. Brill Company« eintragen, mit Martin Brill als Präsidenten. Seitdem wurden der Gesellschaft mehrere andere große Fabriken in Amerika und England durch Ankauf einverleibt, wie z. B. die » Brownies & American Companies« zu St. Louis, die »G. C. Kuhlman Car Company« in Cleveland und die » John Stevenson Car Company« in Elisabeth, New Jersey. Als Martin Brill im Jahre 1906 auf seinem Landsitz bei Philadelphia starb, repräsentierten die vereinigten Gesellschaften einen Wert von 57 Millionen Dollar.

J. H. Kobusch in St. Louis gründete im Jahre 1887 die » St. Louis Car Company«. Sie liefert vollständig ausgestattete Wagen für den Eisenbahn- und Straßenbahndienst. An dem gleichen Ort besteht die von Peter J. Pauly im Jahre 1856 gegründete » Pauly Jail Building Company«. Der Bau und das Einrichten von Gefängnissen bildet ihre Spezialität. Viele der wichtigsten Sicherheits- und Sanitätsvorkehrungen der heutigen amerikanischen Strafanstalten wurden von den deutschen Leitern dieser Gesellschaft erdacht und eingeführt.

Die Westfalen Wilhelm F. und Friedrich G. Niedringhaus gründeten im Jahre 1857 die » St. Louis Stamping Co.«, die sich mit der Herstellung von Blech- und Zinkwaren beschäftigt. Später, als die Gebrüder nicht genügend Bleche aus England beziehen konnten, schufen sie großartige Walzwerke und in neuerer Zeit auf der Ostseite von St. Louis die bedeutendsten Emaillewerke der Welt. Granite City, heute eine Stadt von 10 000 Einwohnern, ist gleichfalls eine Gründung der Gebrüder Niedringhaus, deren Unternehmen jetzt als die » National Enameling and Stamping Co.« bekannt ist. Wilhelm Niedringhaus war einer der ersten Fabrikanten von Zinkwaren und der erste Fabrikant von Emaillewaren in den Vereinigten Staaten. Er stellte auch die erste Maschine zum Pressen von Geschirr und Stahlplatten her.

Benjamin Guggenheim, ein Sohn des aus Deutschland nach Philadelphia übersiedelten Israeliten Meyer Guggenheim, begründete die » International Steam Pump Company«, die sich mit dem Herstellen aller Arten von Pumpwerken beschäftigt, von der einfachsten Handpumpe bis zu den beim Entwässern der Bergwerke und im Dienst der städtischen Wasserversorgung benötigten Riesenpumpen. Die »International Steam Pump Co.« unterhält zurzeit bereits sieben bedeutende Fabrikanlagen, von welchen sich sechs innerhalb der Vereinigten Staaten, und zwar in East Cambridge, Mass., Holyoke, Mass., Harrison, N J., Buffalo, N. Y., Cincinnati, Ohio und Cudahy, Wisc., befinden.

Auch der amerikanischen Zuckersiederei verliehen zwei deutsche Familien, die Havemeyers und Spreckels, den eigentlichen Aufschwung. Die Geschichte beider Familien liest sich fast wie ein arabisches Märchen. Diejenige der Havemeyers beginnt mit der Einwandrung zweier armer Zuckerbäcker, der Brüder Friedrich und Wilhelm Havemeyer, welche im Jahre 1802 ihre im Fürstentum Schaumburg-Lippe gelegene Vaterstadt Bückeburg verließen, um jenseits des Ozeans eine neue Heimat zu suchen. Bald nach ihrer Ankunft in New York gründeten die beiden eine kleine Zuckersiederei, deren tägliche Produktion, obwohl die Frauen der beiden nach deutscher Art fleißig mit Hand anlegten, anfangs selten mehr als zwei Fässer überstieg. In dem in Vandam Street gelegenen Quartier der Familien wurde im Jahre 1807 Frederick C. Havemeyer geboren, der sechzehn Jahre später, nachdem er im Columbia College eine gute Erziehung genossen hatte, in das inzwischen stattlich emporgeblühte Geschäft eintrat. Alle Einzelheiten des Zuckerhandels und der Zuckerindustrie von Grund aus studierend, verhalf er dem Geschäft zu so mächtigem Aufschwung, daß er seinen Söhnen Theodor und Henry O. ein Vermögen von vier Millionen Dollar hinterlassen konnte.

Henry O. Havemeyer, der im Jahre 1847 geborene jüngere der Brüder, wurde der Schöpfer des » Zucker-Trusts«. Die zwischen den amerikanischen Zuckerproduzenten häufig entbrennenden Konkurrenzkämpfe, während welcher die Raffinerien einander sowohl beim Einkauf der Rohstoffe wie beim Verkauf der fertigen Ware oft bis zum Zusammenbruch bekriegten, riefen in Havemeyer den Gedanken einer Vereinigung aller Raffinerien wach. Durch eine solche Verschmelzung ließen sich nicht bloß jene gefährlichen Kämpfe vermeiden, sondern der Verkaufspreis des Zuckers konnte auch auf einer für alle beteiligten Firmen gewinnbringenden Höhe erhalten werden. Die ersten Schritte zur Gründung dieses Trusts reichen bis in das Jahr 1887 zurück, wo es Havemeyer gelang, eine Vereinigung der in den Oststaaten bestehenden Zuckerfabriken zustande zu bringen. Dieselben verbanden sich am 12. Januar 1891 unter dem Namen » American Sugar Refineries Company«. Ihr ursprüngliches Stammkapital von 50 Millionen Dollar wurde später auf 75 Millionen erhöht. Desgleichen erhöhte sich durch den erzwungenen Eintritt anderer Raffinerien die Zahl der Mitglieder. Aus dieser Vereinigung entsprangen sowohl für den Trust wie für die Konsumenten bemerkenswerte Vorteile. Durch Anwerben der erfahrensten Fachleute, durch stetes Verbessern der Maschinen gelang es nicht nur, die bisher angewendeten Herstellungsmethoden bedeutend zu vervollkommnen, sondern auch den Raffinierprozeß von zwei Wochen auf nur 24 Stunden abzukürzen. Diese Vereinfachung und Verbilligung der Herstellung ermöglichte sowohl die Vermehrung der Produktion wie eine erhebliche Verbilligung des raffinierten Zuckers.

Die gewaltige Entwicklung des Zuckertrusts ergibt sich aus folgenden Angaben: Sein Vermögen belief sich um das Jahr 1900 auf 150 000 Millionen Dollar. Seine 20 Raffinerien verteilten sich auf die Städte New York, Brooklyn, Jersey City, Philadelphia, St. Louis, New Orleans, San Francisco und Portland. Die Zahl der in denselben beschäftigten Beamten und Arbeiter betrug 20 000. Außerdem waren 10 000 Arbeiter in den der Gesellschaft gehörigen Faßfabriken und Schiffen oder als Kohlenschaufler und Fuhrleute beschäftigt. Die tägliche Produktion sämtlicher Anlagen betrug 45 000 Faß, der aus dem ganzen Unternehmen entspringende Reingewinn etwa 30 Millionen Dollar pro Jahr.

Eine ähnliche Bedeutung, wie die Havemeyers sie im Osten der Vereinigten Staaten erlangten, gewann im fernen Westen die aus Lamstedt in Hannover stammende Familie Spreckels. Ihre neuweltliche Geschichte beginnt mit dem im Jahre 1828 in Lamstedt, Hannover, geborenen Claus Spreckels, welcher als zwanzigjähriger Jüngling in Charleston, Südkarolina, landete. Sein ganzes Vermögen bestand aus nur drei Dollar. Die ersten Jahre seines Weilens in Amerika unterschieden sich nicht von denen, welche von Millionen andrer Einwanderer durchlebt werden müssen: sie waren voll Mühen und Arbeit. Von Charleston siedelte Spreckels nach New York über; von dort nach Kalifornien. Aber seine finanzielle Lage hatte sich inzwischen bedeutend verbessert. Der Verkauf eines in New York betriebenen Geschäfts hatte ihm 4000 Dollar eingebracht, womit er in San Francisco eine Brauerei gründete. Aber auch diese bildete nur eine vorübergehende Etappe im Entwicklungsgang des jungen Deutschen. San Francisco war der Einfuhrhafen für den auf Hawaii erzeugten Zucker. Beim Studium dieses Zuckerhandels erspähte Spreckels seine Gelegenheit. Ehe er diese ergriff, beschloß er das Zuckergeschäft und die Zuckerfabrikation gründlich zu lernen und trat als Arbeiter in eine New Yorker Zuckersiederei ein. Nachdem er hier alles Wissenswerte erlernt, reiste er nach Deutschland, um sich mit den dort angewendeten Methoden vertraut zu machen. Dann kehrte er nach Kalifornien zurück und gründete in Gemeinschaft mit seinem Bruder im Jahre 1863 die » California Sugar Refinery«. Diese überflügelte infolge ihrer vortrefflichen Einrichtungen bald alle anderen kalifornischen Raffinerien. Spreckels legte diese vollends lahm, als es ihm im Jahre 1876 gelang, die ganze Zuckerproduktion Hawaiis an sich zu bringen. Das geschah durch sehr geschickte Schachzüge, welche fast sämtliche Zuckerplantagen jener Inselgruppe in den Besitz der von Spreckels gegründeten » Hawaiian Commercial Company« brachten. Die Erwerbung dieser Plantagen war um so wichtiger, als zwischen Hawaii und den Vereinigten Staaten kurz zuvor ein Handelsvertrag abgeschlossen worden war, der hawaiischem Zucker zollfreie Einfuhr in die Vereinigten Staaten sicherte. Bereits in den achtziger Jahren hatte Spreckels sich den stolzen Beinamen des »kalifornischen Zuckerkönigs« erworben. Sein außerordentlicher Erfolg weckte aber die Eifersucht des den Osten beherrschenden Zuckertrusts. Dieser bot Spreckels eine ungeheure Summe für die Abtretung seiner Interessen. Als Spreckels das Angebot ablehnte, begann der Trust den kalifornischen Zuckerkönig bitter zu befehden. Aber der zähe Norddeutsche trug den Krieg in Feindesland, indem er mit einem Kostenaufwand von fünf Millionen Dollar bei Philadelphia eine Zuckerraffinerie größten Maßstabes errichtete und dem Trust so scharfen Wettbewerb bereitete, daß dieser endlich um Frieden bat. Man traf ein Übereinkommen, wonach der Zuckertrust sich verpflichtete, sich auf den Osten der Vereinigten Staaten zu beschränken, wogegen man Spreckels den unbestrittenen Besitz des westlichen Marktes überließ. Nach diesem Siege wandte Spreckels sich dem weiteren Ausbau seines immer größere Verhältnisse annehmenden Zuckergeschäftes zu. Hauptsächlich auf seine Anregung erfolgte der Anbau der Zuckerrübe, der den westlichen Farmern zu einer neuen Quelle fabelhaften Reichtums wurde. Bei Watsonvilles in Kalifornien bepflanzte Spreckels eine 1500 Acres große Farm mit Zuckerrüben, die er in einer dort errichteten großen Siederei verarbeitete. – Als Spreckels am 26. Dezember 1908 starb, wurde sein Vermögen auf 50 bis 60 Millionen Dollar geschätzt.

Auch in der Getränke-Industrie, besonders in der Bierproduktion, nehmen die Deutschamerikaner heute die führende Stelle ein. Bier war bereits im 17. Jahrhundert in den von den Holländern und Engländern gegründeten Niederlassungen gebraut worden. Im Jahre 1810 bestanden in den Vereinigten Staaten 147 Brauereien, die zusammen 182 690 Fässer Bier erzeugten. Bis zum Jahre 1850 steigerte sich diese, fast ausschließlich von Amerikanern betriebene Produktion auf 740 000 Fässer, um dann aber, als die Deutschen sich der Brauindustrie bemächtigten, geradezu erstaunliche Verhältnisse anzunehmen. Anstatt der nach Art des englischen Ale gebrauten schweren Biere führten die Deutschen das bedeutend leichtere, dem amerikanischen Klima mehr entsprechende Lagerbier ein. Dieses verdrängte nicht nur die weit mehr Alkohol enthaltenden englischen Biere fast vollständig, sondern tat auch dem außerordentlich starken Verbrauch von Whiskey und anderen Branntweinsorten gewaltigen Abbruch. Welcher wachsenden Beliebtheit sich das erfrischende deutsche Bier erfreut, erhellt aus folgenden Produktionsziffern:

1880: 12 800 900 Barrels 1 Barrel enthält 31½ Gallonen oder 117,3 Liter.
1890: 26 820 953 Barrels
1900: 39 330 849 Barrels
1906: 54 724 553 Barrels
1907: 58 622 002 Barrels

Nahezu drei Viertel aller in den Vereinigten Staaten bestehenden Brauereien befinden sich in deutschen Händen. Die bedeutendsten sind die » Anheuser-Busch Brauerei« in St. Louis, die » Pabst Brauerei« und die » Schlitz Brauerei« in Milwaukee, von denen jede zwischen 1 bis 2 Millionen Fässer Bier jährlich erzeugt.

Die Anheuser-Busch Brauerei zu St. Louis, Missouri.

Die Pabst Brauerei in Milwaukee, Wisconsin.

Es ist zweifellos von großem Interesse, festzustellen, aus welchen bescheidenen Anfängen diese heute so gewaltigen Geschäfte emporwuchsen. Der Anfang der Anheuser-Busch Brauerei reicht bis ins Jahr 1857 zurück, wo Eberhard Anheuser sich genötigt sah, als Hauptgläubiger der in Konkurs geratenen Firma Hammer & Urban deren Brauerei zu übernehmen. Er verband sich im Jahre 1865 mit Adolphus Busch, und nun begann unter der umsichtigen Leitung dieser beiden Männer das junge Geschäft einen geradezu fabelhaften Aufschwung zu nehmen. Dasselbe wandte sich hauptsächlich der bis dahin kaum beachteten Flaschenbierindustrie zu und erzielte darin ganz ungeahnte Erfolge, nachdem sie durch ein besonderes Sterilisierungsverfahren die Ausfuhr des Flaschenbiers auch nach tropischen Ländern ermöglicht hatte. Jahr für Jahr mußten nun den bestehenden Bauten neue hinzugefügt werden, um mit den an die Brauerei gestellten Anforderungen Schritt halten zu können. Im Jahre 1908 bedeckten diese Bauten bereits 136 Acres. Unter ihnen befindet sich ein Brauhaus, welches täglich 9000 Fässer Bier zu erzeugen vermag. Ferner eine Füllanstalt, wo täglich eine Million Flaschen gefüllt werden. Die Vorratsspeicher für Malz und Gerste vermögen 1 750 000 Bushel zu fassen. Die Lagerräume reichen aus für 600 000 Fässer. Eine Eisfabrik liefert täglich 650 Tonnen Eis; eine Kraftstation spendet die nötige Betriebskraft, die jener von 12 000 Pferden gleichkommt. Außerdem unterhält die »Anheuser-Busch Brauerei« zwei eigne Glasfabriken zum Herstellen ihrer Flaschen; ferner eigne Faß-, Wagen- und Maschinenfabriken sowie Reparaturwerkstätten. Eine eigne Eisenbahn verbindet die Brauerei mit den Frachtbahnhöfen. Die Zahl der Angestellten beläuft sich in St. Louis auf 6000 Köpfe. Dazu kommen noch 1500 Personen, die in 42, in verschiedenen Städten der Union bestehenden Zweiganlagen beschäftigt sind.

Der Gründer der » Pabst Brauerei« in Milwaukee war Jakob Best. Als er im Jahre 1844 seine Brauerei eröffnete, belief sich ihre Produktion im ersten Jahr ihres Bestehens auf nur 300 Fässer. Unter der späteren Leitung von Philipp Best, Emil Schandein, Friedrich Pabst und Gustav Pabst steigerte sich die Produktion auf jährlich zwei Millionen Fässer.

Deutscher Fleiß, deutsche Ausdauer und Sparsamkeit, verbunden mit amerikanischem Erfindungs- und Unternehmungsgeist verhalfen auch der von Joseph Schlitz in Milwaukee gegründeten und nach dessen Tode von seinen Neffen Gebrüder Uihlein weitergeführten » Schlitz Brauerei« zu hoher Blüte.

Hier wie in den vorgenannten deutschamerikanischen Brauereien sieht der Besucher sämtliche wissenschaftlichen Errungenschaften auf chemisch brautechnischem sowohl wie pflanzenphysiologischem Gebiet verwertet. Und zugleich erregen die praktischen Anlagen wie auch die allerwärts herrschende peinliche Sauberkeit gerechte Bewunderung.

Als Joseph Schlitz im Jahre 1849 seine Brauerei eröffnete, belief sich deren Produktion auf nur 400 Fässer. Im Jahre 1880 wurde die Zahl 100 000, im Jahre 1903 die Zahl 1 000 000, 1907 die Zahl 1 500 000 überschritten. Wie in den »Anheuser-Busch-« und »Pabst Brauereien«, so sind auch hier alle Anlagen und technischen Einrichtungen ideale zu nennen. Großartige, von Deutschamerikanern betriebene Brauereien bestehen auch in New York, Rochester, Buffalo, Philadelphia, Pittsburgh, Baltimore, Washington, Cincinnati, Chicago und zahlreichen anderen amerikanischen Städten.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Brauindustrie für die Vereinigten Staaten von außerordentlicher Wichtigkeit geworden. Nicht bloß weil sie hunderttausenden von Arbeitern lohnende Beschäftigung bietet, sondern weil auch fast alle bei der Brauerei verwendeten Rohstoffe, wie Gerste, Malz und Hopfen, in den Vereinigten Staaten gewonnen werden, wodurch den Farmern ungeheure Einnahmen zufließen.

Auch in der Herstellung mancher anderen Nahrungs- und Genußmittel beherrschen Deutschamerikaner das Feld.

Der Hannoveraner F. Schumacher wandte sich der Herrichtung des bei den Amerikanern sehr beliebten Oatmeal zu. Seine in Akron, Ohio, gelegenen » German Mills« erzeugten an Hafermehl, Weizen- und Gerstengraupen, Farina usw. jährlich für mehr als zwei Millionen Dollar. Als Schumacher sich vor wenigen Jahren als vielfacher Millionär zurückzog, verkaufte er seine bedeutenden Anlagen an die » American Cereal Co.«, die jetzige » Quaker Oats Co

Ebenso erfolgreich wie Schumacher war Heinrich J. Heinz, welcher im Jahre 1869 bei Sharpsburg in Pennsylvanien ein kleines, weniger als einen Acker großes Grundstück mit Meerrettig bepflanzte und diesen in dem Hinterstübchen seines bescheidenen Wohnhäuschens durch einige Frauen verarbeiten ließ. Für das fertige Erzeugnis fand Heinz im nahen Pittsburgh willige Abnehmer. Ihre Zahl wuchs, so daß Heinz zwei Jahre später sein Geschäft nach Pittsburgh verlegte, wo es sich im Lauf der Jahre zu einer großartigen Konservenfabrik entwickelte, die sich mit dem Einmachen von allerhand Gemüsen und Früchten befaßt und zur bedeutendsten der Vereinigten Staaten wurde. Heute umfaßt die » H. J. Heinz Company« 18 große und zahlreiche kleinere Gebäude, die eine Fläche von 160 Stadtgrundstücken einnehmen. Gegen 30 000 Acker Landes und Obstgärten werden entweder durch Angestellte der Firma bestellt oder liefern ihre Erzeugnisse auf Grund kontraktlicher Vereinbarungen an die Firma ab. Um diese Rohmateriale in möglichst frischem Zustand verarbeiten zu können, errichtete die Firma nicht nur in sieben verschiedenen Staaten der Union, sondern auch in Canada und Spanien 69 Einmachstationen und 14 Fabriken. Die Zahl der ständig angestellten Personen beträgt 4000. Zur Zeit der Ernten hingegen sind gegen 40 000 für die Zwecke der Firma tätig.

Die Joseph Schlitz Brauerei in Milwaukee, Wisconsin.

Die Konservenfabriken der Firma H. J. Heinz Company in Pittsburgh, Pennsylvanien.

In der Konservenfabrik H. J. Heinz & Co., Pittsburgh, Pennsylvanien.

Im Fleischhandel zählt die Firma Schwarzschild & Sulzberger in New York zu den ersten des Landes. In der Tabakindustrie schritt die von G. W. Gail und Christian Ax in Baltimore gegründete Firma Gail & Ax an der Spitze, bis sie im Jahre 1891 mit der » American Tobacco Company« verschmolzen wurde.

In der Konservenfabrik H. J. Heinz & Co., Pittsburgh, Pennsylvanien.

Die Entwicklung der Leder- und Lederwarenindustrie wurde gleichfalls durch die in den Vereinigten Staaten lebenden Deutschen mächtig gehoben. Die bedeutendsten Lederfabriken des Landes sind entweder ihr Eigentum oder werden von Deutschamerikanern geleitet. Wohl obenan steht diejenige von Robert H. Foerderer in Frankford bei Philadelphia. Seine gegen 4000 Arbeiter beschäftigende Fabrik vermag täglich 50 000 bis 75 000 fertig zugerichtete Ziegenhäute für die Schuhwarenfabrikation zu liefern. Die Möglichkeit, eine so ungeheure Menge zuzubereiten, wurde durch die im Jahre 1883 patentierte Erfindung des in New York lebenden Deutschen August Schultz herbeigeführt, welche an Stelle des bisher üblichen, äußerst langwierigen und nicht immer zufriedenstellenden Gerbeverfahrens mittels vegetabilischer Stoffe ein solches durch Säuren setzte. Dieses, einen völligen Umschwung in der Lederindustrie bewirkende Verfahren, welches von Robert H. Foerderer nach vielen mühseligen und kostspieligen Versuchen in verschiedenen Abweichungen auch auf alle anderen Arten von Leder ausgedehnt wurde, verringerte sowohl die Dauer wie die Kosten des Gerbeprozesses. Obendrein erhöhte es die Güte und Gleichmäßigkeit des Leders. Die Folge war, daß das französische Kidleder, welches früher den amerikanischen Markt beherrschte, aus demselben vollständig verdrängt wurde. Auch in der Herstellung von bunten, matten, Glanz- und Lack-Lederarten, ferner der feinen Ledersorten für die Handschuhfabrikation steht die Firma Foerderer an der Spitze. Andere deutschamerikanische Großgeschäfte dieser Art, von welchen mehrere sich auch mit der Herrichtung von Sohlen- und Wagenleder befassen, sind die Firmen Pfister & Vogel in Milwaukee, Oscar Scherer & Bros. in New York, Schoellkopf & Co. in Buffalo, Georg Stengel in New Jersey, Carl E. Schmidt & Co. in Detroit, die » Ruepping Leder Co.« in Fond du Lac, C. Moench & Co. in Boston sowie die von Deutschen betriebene » Keystone Leather Co.« und die » Wolff Process Leather Co.« in Philadelphia.

Die Lederfabriken der Firma Robert H. Foerderer in Frankford, Philadelphia, Pennsylvanien.

Die Dixie-Gerbereien der Lederriemenfabrik Charles A. Schieren Company (New York) zu Bristol, Tennessee.

Von welcher Bedeutung manche dieser Fabriken sind, kann man daraus schließen, daß die von den drei Württembergern J. F. Schöllkopf, Guido Pfister und Friedrich Vogel im Jahre 1848 gegründete Firma Pfister & Vogel Leather Co.« in Milwaukee 3500 Personen beschäftigt und täglich 16 000 Kalb- und Ziegenfelle, 5000 Rindvieh- und 1500 Pferdehäute verarbeitet. Die Jahresproduktion bewertet sich auf 15 Millionen Dollar.

Die im Jahre 1868 gegründeten Fabriken des aus den Rheinlanden eingewanderten Charles A. Schieren in Brooklyn, New York, befassen sich mit dem Herstellen von Treibriemen. In ihren 25 Acker einnehmenden » Dixie Tanneries« zu Bristol, Tennessee, werden jährlich 100 000 schwere Häute zu Riemen verarbeitet.

In der Handschuhfabrikation zählen die Firmen Julius Kayser in Brooklyn und Gebrüder Littauer in Gloversville, New York, zu den führenden.

Daß die Deutschen auch an der Fabrikation musikalischer Instrumente einen ungeheuren Anteil haben, kann bei ihrer ausgesprochenen Vorliebe für Musik nicht überraschen. Aber wer die lange Liste der in den Vereinigten Staaten bestehenden Piano- und Orgelfabriken überfliegt, wird über die große Zahl deutscher Namen doch in Staunen geraten.

Schon im Jahre 1789 lebte in Philadelphia ein deutscher Pianobauer Karl Albrecht, von dessen Instrumenten eins sich im Besitz der »Pennsylvania Historical Society« zu Philadelphia, ein zweites im »New Yorker Museum of Art« befindet.

Die Pianofabrik der Firma William Knabe & Co. in Baltimore, Maryland.

Wesentlich verbesserte Instrumente lieferte bereits im Jahre 1833 der Pianobauer Conrad Meyer. Er stellte die ersten sechsoktavigen Klaviere her, die einen vollen Eisenrahmen besaßen. Diese mit Rücksicht auf die eigenartigen klimatischen Zustände der östlichen Vereinigten Staaten getroffene Neuerung bewährte sich so glänzend, daß sie allgemein, auch in Europa, Eingang fand.

Der Ursprung der großen Pianofabriken Lindeman & Sons in New York reicht gleichfalls bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Sie wurde von Wilhelm Lindemann im Jahre 1836 gegründet.

Der aus Kreuzburg stammende Wilhelm Knabe gründete im Jahre 1837 in Baltimore eine zu großer Bedeutung gelangende Pianofabrik, die hauptsächlich die südlichen Staaten der Union mit vorzüglichen Instrumenten versorgte. Nach Knabes Tode im Jahre 1864 wurde die Firma von seinen Söhnen und Enkeln fortgeführt, aber im Jahre 1908 mit der » American Piano Company« verschmolzen. Der Hauptsitz beider Gesellschaften befindet sich in dem schönen Knabe-Gebäude an der 5. Avenue in New York, welches von der Firma Knabe errichtet wurde.

Die bedeutende, jährlich 5000 Instrumente liefernde » Weber Piano Co.« in New York leitet ihren Ursprung auf den genialen Albert Weber zurück, der mit der Herstellung seiner durch ungemein schönen und kräftigen Ton ausgezeichneten Pianos im Jahre 1852 begann. Fast um dieselbe Zeit, im März 1853 eröffnete auch der aus Seesen, Braunschweig, eingewanderte Orgelbauer Heinrich Engelhard Steinweg oder Steinway im Verein mit seinen Söhnen Karl, Heinrich, Wilhelm und Theodor in New York eine Pianofabrik, die im Lauf der Jahrzehnte zu einer der bedeutendsten Amerikas emporblühte. Ihre gegenwärtige Jahresproduktion beläuft sich auf 7000 Instrumente. Kaum eine Firma trug durch so viele Erfindungen und Verbesserungen so erheblich zum Aufschwung der amerikanischen Pianoforte-Baukunst bei, als diese; kaum eine erntete aber auch auf den Weltausstellungen der letzten Jahrzehnte so zahlreiche Triumphe. Zu den wichtigsten von den Steinways eingeführten Verbesserungen im Pianoforte-Bau gehört die kreuzförmige Anordnung der Saiten. Ferner stellten sie im Jahre 1866 die ersten aufrechtstehenden Instrumente in Amerika her, welche, da sie weniger Raum beanspruchen, die tafelförmigen Klaviere völlig verdrängten.

Heinrich Steinway, der Begründer der Pianofabrik Steinway & Söhne in New York.

Die Pianofabriken der Firma Steinway & Söhne in Steinway, Long Island, New York.

Außer den bereits genannten Firmen ragen aus der Menge der deutschamerikanischen Pianofabriken noch diejenigen von Kranich & Bach, Sohmer & Co., Otto Wißner, Decker & Sohn, die Schaeffer Piano Co., Steck & Co., Strich & Zeidler und andere in New York hervor. Außerdem bestehen in Auburn und Buffalo, N. Y., in Newark und Woodbury, N. J., in New Haven, Conn., in Easton, Pa., in Baltimore, Md., in Wheeling, W. V., in Cincinnati und Masillon, O., in Jackson, Mich., in Hammond, Ind., in Rockford, Steger und Chicago, Ill., in Faribault, Minn., sowie in St. Louis, San Francisco und anderen Orten des fernen Westens zahlreiche bedeutende Piano- und Orgelfabriken, deren Namen bekunden, daß sie von Deutschen gegründet und geleitet sind.

Die Pianofabrik der Firma Steinway & Söhne an Park Avenue und 53. Straße in New York.

Auch mit der Fabrikation der zum Piano- und Orgelbau benötigten Eisenrahmen, Stahldrähte, Hämmer, Tasten, Pfeifen und Gehäuse sind viele deutschamerikanische Firmen beschäftigt. Die Herstellung feinster Filze für die Piano-Industrie wurde von dem Chemnitzer Alfred Dolge nach Amerika übertragen. In der auf den Höhen des Mohawktals im Staat New York gelegenen Ortschaft Brockett's Bridge, die ihm zu Ehren den Namen Dolgeville annahm, schuf er bedeutende Anlagen zur Herstellung von Pianofilzen, Klaviergehäusen und Filzschuhen. Später wandte Dolge sich nach Kalifornien und gründete in der Nähe von Los Angeles die Ortschaft New Dolgeville, welche mit ihren rasch aufblühenden Fabriken für die rastlose Energie ihres Begründers das glänzendste Zeugnis ablegt. Alfred Dolge war übrigens in Amerika auch einer der ersten, welche die Berechtigung der Arbeiter auf mehr als den einfachen Lohn anerkannten. In seinen Fabriken führte er deshalb ein seitdem von manchen anderen großen Körperschaften angenommenes System ein, welches den Arbeitern Lebensversicherung und Pension sichert, wenn ihre Erwerbsfähigkeit ein Ende erreicht.

Unter den zahlreichen deutschamerikanischen Kunsttischlereien und Möbelfabriken ist die mit der Herstellung von Bureauutensilien und Bücherschränken beschäftigte Firma » Globe-Wernicke Company« in Grand Rapids, Michigan, eine der bekanntesten. Sie brachte zuerst jene aus einzelnen Fächern zusammensetzbaren Bücherschränke in den Handel, die sich als eine der praktischsten Neuerungen im Bibliothekswesen bewährten.

Die Spinnereien der von Stöhr, Arnold und Hirsch gegründeten Botany Worsted Mills zu Passaic, New Jersey.

In der hochentwickelten Textilindustrie sind die Deutschamerikaner als Inhaber oder Leiter der größten Fabriken gleichfalls ungemein zahlreich. Zu den bedeutendsten Anlagen Amerikas gehören die von Deutschen gegründeten Kammgarnspinnereien » Botany Worsted Mills« und die » Gera Mills« zu Passaic, New Jersey. Die »Botany Worsted Mills« sind eine im Jahre 1889 erfolgte Gründung des Leipziger Kommerzienrats Eduard P. R. Stöhr im Verein mit Arnold und Hirsch. Zunächst befaßte sich die Fabrik mit dem Spinnen von Kammgarn. Aus kleinen Anfängen entwickelte sie sich rasch. In den nächsten Jahren traten noch Weberei, Appretur und Färberei dazu, so daß die Anstalt heute in der Lage ist, ihre Waren aus dem Rohmaterial, der Wolle, selbständig herzustellen. Sie fabriziert außer Garnen irgendwelche Waren, die von der Herren- und Damenkonfektion benötigt werden. Die Anzahl der Arbeiter betrug im Jahre 1908 gegen 4000.

Die »Gera Mills« wurden von den aus Gera in Sachsen stammenden Gebrüdern Weisflog ins Leben gerufen. Deutschen Ursprungs sind auch die im Jahre 1902 von Paul Haberland und Ernst Pfenning gegründeten » Garfield Worsted Mills« zu Passaic, New Jersey, welche bei der Herstellung von feinen Kammgarnen 900 Arbeiter und 800 Webstühle beschäftigen, und die » Fern Rock Mills« in Philadelphia.

Auch die meisten der in Amerika bestehenden Färbereien und Bleichereien werden von Deutschen betrieben. In fast allen diesen Anlagen stellen sie auch die bestgeschulten Arbeiter. Die Hauptsitze der deutschamerikanischen Seidenfärbereien sind Paterson, Lodi und Philadelphia. Der Name des in der letztgenannten Stadt wohnenden Dr. Karl Schlatter ist für die Färberei in Amerika von ebenso unbestrittener Bedeutung, wie der Name »Hermsdorf« in Deutschland in bezug auf die echte Schwarzfärberei.

Die chemische Industrie der Vereinigten Staaten verdankt ihre ungeheure Entwicklung gleichfalls in erster Linie Deutschen und Deutschamerikanern.

Seitdem an der Universität zu Gießen im Jahre 1831 das erste öffentliche Laboratorium der Welt gegründet wurde, wo hervorragende Chemiker wie Liebig und Will Anleitungen zu chemischen Experimenten und Analysen erteilten, und seitdem die Professoren Fresenius in Wiesbaden, Bunsen in Heidelberg, Woehler in Göttingen die praktische Anwendung solcher Experimente auf die verschiedenen Zweige der Industrie und Künste lehrte, strömten aus allen Teilen der Welt Leute nach den deutschen Universitäten, um die junge, rasch sich entwickelnde Wissenschaft zu studieren. Unter diesen Studenten befanden sich viele Amerikaner deutscher und englischer Abstammung, die nach ihrer Rückkehr die chemische Industrie in Amerika mächtig förderten. Einer der Hauptsitze der chemischen Industrie wurde Baltimore. Hier traten bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Chemiker Otto Dieffenbach und Karsten in den Dienst der » Baltimore Chrome Works«. Dr. Gustav Liebig schlug im Jahre 1860 ebendaselbst seinen Wohnsitz auf und betätigte sich drei Jahrzehnte hindurch als einer der Pioniere auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Chemie. Durch ihn wurde Baltimore einer der Hauptherstellungsorte künstlicher Düngemittel. Dr. Wilhelm Simon, ein Schüler des Gießener Professors Will, seit 1870 Leiter der »Chrome Werke zu Baltimore«, errichtete mit Unterstützung des » Maryland College of Pharmacy« das erste, Lehrzwecken dienende chemische Laboratorium im Staate Maryland. Das von ihm herausgegebene »Manual of Chemistry« erlebte mehrere große Auflagen und ist noch jetzt eins der meist benutzten Lehrbücher. Der Metallurgist G. W. Lehmann, ein Schüler des Professors Fresenius, kam im Jahre 1866 nach Baltimore. Er führte als Erster in Amerika die elektrolytische Methode zur Analysierung des Kupfers ein und beschäftigte sich bereits zu Anfang der siebenziger Jahre mit der Lösung des Problems, auf elektrischem Wege die Scheidung von Silber und Gold als ein kommerzielles Unternehmen zu betreiben.

Viele der in den Vereinigten Staaten einwandernden deutschen Chemiker wandten sich auch der geschäftsmäßigen Herstellung pharmazeutischer Präparate zu. Louis und Karl E. Dohme errichteten beispielsweise in Baltimore eine Anstalt zur Erzeugung organischer und anorganischer Präparate. Dieselbe ist zu einer der bedeutendsten in den Vereinigten Staaten emporgewachsen. Ähnliche, in deutschen Händen befindliche Fabriken sind die » Power, Weightman & Rosengarten Co.« in Philadelphia, die » Schäfer Alkaloid Works« in Maywood, New Jersey, die » Verona Chemical Works« in Verona, New Jersey, die » Albany Chemical Works« in Albany, New York, Charles Pfizer & Co. und die » Heyden Chemical Co.« in New York, sowie Larkin & Scheffer, Herf & Frerichs und die » Mallinckrodt Chemical Works« in St. Louis.

Mit der Herstellung von Anilin-Farben befassen sich die Firmen H. A. Metz & Co., Heller & Merz in New York und die » Hudson River Aniline & Color Works« in Albany, New York. Chemikalien für technische Zwecke sind die Spezialität der Firma Maas & Waldstein in New York. Die Fabriken der Gebrüder Fritzsche in New York bereiten aromatische Öle; die » International Ultramarine Co.« in New York künstliches Ultramarin; A. Klipstein & Co. Saccharin und Vanilin; Marx & Rawolle Glycerin; und die » Roeßler & Haßlacher Chemical Co.« Chloroform, Natrium, Aceton, Zinnoxyd, Cyanid und Farben für keramische Zwecke, die bisher in den Vereinigten Staaten nicht hergestellt wurden, sondern aus Europa eingeführt werden mußten.

Die deutsche Firma Battle & Renwick in New York betreibt die Gewinnung von Salpeter und salpetersaurem Soda; W. C. Hereus in Newark diejenige von Platin; Chas. Lenning & Co. in Philadelphia jene von Alaun, und F. Bredt & Co. in New York jene von Bleizucker und Essigsäure.

Die Herstellung von Bleistiften wurde bereits im Jahre 1849 durch Eberhard Faber, ein Mitglied der berühmten Nürnberger Familie Faber, nach Amerika übertragen. Die von ihm in New York erbaute Bleistiftfabrik entwickelte sich seit ihrer im Jahre 1872 erfolgten Verlegung nach Greenpoint auf Long Island zur bedeutendsten der Vereinigten Staaten. Mit ihr wetteifert die im Jahre 1865 von Heinrich Berolzheimer aus Fürth in New York gegründete » Eagle Pencil Company«.

In der Tonwaren- und Kunstziegelindustrie sind die großartigen Fabriken von Baltasar Kreischer & Söhnen zu Kreischersville auf Staten Island nicht nur die ältesten, sondern auch die bedeutendsten Amerikas.

Im Holzhandel Amerikas errang der im Jahre 1834 in Niedersaulheim, Rheinhessen, geborene, im Jahre 1852 in die Vereinigten Staaten eingewanderte Friedrich Weyerhäuser die Führung. Vom Besitzer einer kleinen, zu Rock Island, Illinois, gelegenen Sägemühle schwang er sich durch kluge Maßnahmen zum Leiter der bedeutendsten Holzhandelsgesellschaften und zum Oberhaupt des unter dem Namen Weyerhäuser Syndikat bekannten Holztrusts empor. Derselbe, über 30 000 000 Acres Waldländereien verfügend, beherrscht hauptsächlich den ungeheuren Holzhandel der südlich von den Großen Seen und am oberen Mississippi gelegenen Staaten. Gleich den Spreckels und Havemeyers, gleich Rockefeller und Schwab zählt Weyerhäuser zu den Giganten des amerikanischen Geschäftslebens und kommt denselben auch in bezug auf die erworbenen materiellen Erfolge gleich.

Der einer deutschpennsylvanischen Familie entstammende George F. Baer wurde als Präsident bedeutender Kohlenminen- und Eisenbahngesellschaften bekannt.

Auch John D. Rockefeller, der Gründer und Leiter der im Petroleumhandel fast den Weltmarkt beherrschenden »Standard Oil Company« hat seine deutsche Abstammung niemals verleugnet. Im Jahre 1906 ließ er seinem im Jahre 1735 aus Bonefeld im Fürstentum Wied mit drei Kindern nach Germantown, N. Y., eingewanderten Urahnen Johann Peter Rockefeller (Roggenfelder) auf dem Friedhof zu Larrison Corners, New Jersey, ein Denkmal setzen.

Unter den Vertretern des Kunstgewerbes und der vervielfältigenden Künste zählen die Namen solcher Deutschamerikaner, die durch hervorragende Leistungen ausgezeichnet sind, gleichfalls nach Hunderten. In dem durch die neueren mechanischen Vervielfältigungsverfahren leider verdrängten Holzschnitt leisteten Gustav Krüll, Jüngling, Schilling, Heinemann, Tietze, Müller, Schladitz u. a. Bedeutendes. Unter den amerikanischen Lithographen stand der im Jahre 1824 in Breslau geborene Achtundvierziger Louis Prang obenan. Die herrlichsten Erzeugnisse seiner im Jahre 1850 in Boston begründeten Anstalt waren Thomas Morans Aquarelle aus dem Yellowstone-Nationalpark, eine Serie von künstlerischen Schlachtenbildern aus dem Bürgerkrieg, und vor allen die unübertrefflichen Wiedergaben der kostbaren chinesischen Keramiken aus der Sammlung des Baltimorer Millionärs William Th. Walters. Prangs Anstalt wurde zu Ende des 19. Jahrhunderts mit der »Taber Co.« in Springfield, Massachusetts, verschmolzen.

Die bedeutende »American Litographic Co.«, die Anstalten von Julius Bien, Ottmann in New York und viele andere sind gleichfalls deutsche Gründungen.

Nach Tausenden zählen auch die Deutschen, welche als Gründer und Leiter bedeutender Ein- und Ausfuhrgeschäfte, Banken, Versicherungsgesellschaften und Kaufhäuser zu Ansehen und Einfluß gelangten.

Der eigentliche Schöpfer des modernen Warenhauses ist der der deutschpennsylvanischen Familie Wannemacher entstammende John Wanamaker, welcher im Jahre 1861 einen kleinen Laden in Philadelphia eröffnete. Dieser entwickelte sich durch seine Reellität in so erstaunlicher Weise, daß Wanamaker bald ein Warenhaus in großem Stil beginnen konnte. Heute besitzt die Firma sowohl in Philadelphia wie in New York Kolossalbauten, in denen Monatseinnahmen von mehr als 6½ Millionen Dollar erzielt wurden, während sich der Gesamtumsatz des Geschäfts seit seiner Gründung auf mehr als 500 Millionen Dollar beziffert.

Der aus Eubigheim stammende Henry Siegel ist Begründer des weltbekannten Warenhauses » Siegel & Cooper« in New York.

Dem Unternehmungsgeist des im Jahre 1792 in Dornbirn, Tirol, geborenen Franz Martin Drexel entsprang das hochangesehene Bankhaus Drexel & Söhne in Philadelphia.

Zu Alzey in der Pfalz erblickte August Belmont das Licht der Welt, der Begründer des seit dem Jahre 1837 bestehenden Bankhauses Belmont in New York. Diesem gesellten sich später noch die von deutschen Israeliten gegründeten Bankhäuser Ladenburg; Thalmann & Co.; Jakob H. Schiff; Isaak Seligmann; James Speyer; Heidelbach, Ikelheimer & Co. und Knauth, Nachod & Kühne hinzu, die zu den bedeutendsten Amerikas gehören.

Für die Entwicklung der amerikanischen Industrie ist es ferner von höchster Bedeutung, daß infolge der von der Regierung eingeführten Schutzzölle, welche die Einfuhr europäischer Waren außerordentlich erschwerten, zahlreiche europäische, auf den amerikanischen Markt angewiesene Industriegesellschaften veranlaßt wurden, in den Vereinigten Staaten Tochteranstalten zu errichten. Unter solchen deutschen Gesellschaften befinden sich die Kammgarnspinnereien von Wülfing in Lennep und von Stöhr in Leipzig; die » Deutzer Gasmotorenfabrik«; die Aktien-Gesellschaft Arthur Koppel; die Schokoladenfabrik Gebrüder Stollwerk in Köln; die chemischen Fabriken Kalle & Co. und Fritz Schulz jr.; die Bronzefarbenwerke » Aktien-Gesellschaft, vormals Schlenk« in Nürnberg; die Ton- und Steinwerkzeugefabrik Didier March Co. in Stettin; die » Kautschuk und Guttapercha Co.« in Hannover; die » Neue Photographische Gesellschaft« in Berlin, und viele andere mehr.

So stoßen wir, wo immer wir auf dem unermeßlichen Gebiet der amerikanischen Handels- und Gewerbtätigkeit Umschau halten, überall auf die rühmlichsten Zeugenmale deutscher Intelligenz, Unternehmungslust und Tatkraft.

Der Anteil der Deutschen an der Entwicklung des amerikanischen Verkehrswesens.

Daß Deutsche das erste Flachboot, die ersten Segelbarken und den ersten Dampfer auf den westlichen Strömen bauten, daß Martin Baum in Cincinnati durch Gründung der »Miami Exporting Company« die Schiffahrt auf dem Ohio und Mississippi entwickelte, wurde bereits in früheren Abschnitten erwähnt. Aber auch zur Entwicklung der Seefahrzeuge, der Eisenbahnen und anderen Verkehrsmittel Amerikas trugen die Deutschen erheblich bei.

Der Segler »Deutschland« der »Hamburg-Amerika-Linie«.

Kaum war durch den Abfall der Kolonien der unerträgliche Druck des englischen Handelsmonopols beseitigt worden, so begannen weitblickende Kaufleute aus Bremen und Hamburg in allen amerikanischen Seeplätzen Handelshäuser zu gründen und für einen Schiffsverkehr mit Deutschland zu sorgen.

In Bremen erstand bereits im Jahre 1782 eine Aktiengesellschaft, die den Verkehr mit den Vereinigten Staaten in die Hand nehmen wollte. Sie sandte im Frühling 1783 ihr erstes Schiff nach Philadelphia. Hamburger Kaufleute folgten rasch nach und entwickelten im Verein mit den Bremern eine so energische Tätigkeit, daß der Verkehr hanseatischer Schiffe mit nordamerikanischen Häfen sich von 800 Tonnen im Jahre 1789 auf 22 000 Tonnen im Jahre 1799 steigerte.

Regelmäßige Reisen, sogenannte »Paketfahrten«, wurden in den Jahren 1826 und 1828 aufgenommen und feste Linien nach New York, Philadelphia und New Orleans eingerichtet. Der von dem Hamburger Makler Robert Sloman im Jahre 1836 gegründeten Paketfahrt zwischen Hamburg und New York folgte in den vierziger Jahren die auf Anstoß der in den Vereinigten Staaten lebenden hanseatischen Kaufleute gegründete » Ocean Steamship Navigation Company«. Diese wieder wurde später von der im Jahre 1847 gegründeten » Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Aktiengesellschaft« und dem im Jahre 1857 in Bremen gegründeten » Norddeutschen Lloyd« abgelöst.

Aus sehr bescheidenen Anfängen entwickelten sich diese beiden Unternehmungen sowohl hinsichtlich des Waren- wie Personentransports zu Weltgeschäften allerersten Ranges, was nicht zum wenigsten dem Umstand zuzuschreiben ist, daß die weitblickenden, energischen Leiter beider Linien unablässig auf die Verbesserung ihrer Schiffe bedacht waren und den Bedürfnissen des reisenden Publikums vollste Rechnung trugen.

H. H. Meier, Gründer des »Norddeutschen Lloyd«

Die erreichten Fortschritte lassen sich am besten veranschaulichen durch einen Vergleich der ersten im Dienst jener Gesellschaften verwendeten Schiffe und jener Riesendampfer, die heute unter den Flaggen jener Gesellschaften den Ozean kreuzen. Das erste Fahrzeug der Hamburger Linie war der Segler » Deutschland«. Er hatte 717 Tonnen Gehalt und vermochte 20 Kajüten- und 200 Zwischendeckspassagiere zu befördern. Die Reise von Hamburg nach New York dauerte durchschnittlich 42 Tage. Der Lloyd sandte als erstes Schiff den Dampfer » Bremen« nach New York. Seine Ladefähigkeit belief sich auf 1850 Tonnen. Außerdem konnte er 170 Kajütenpassagiere und 401 Zwischendeckler aufnehmen. Er legte seine erste Reise in 12½ Tagen zurück.

Diesen Fahrzeugen stehen die modernen Riesendampfer mit ihrem erstaunlichen, bis zu 25 000 Tonnen emporsteigenden Fassungsvermögen und Unterkunftsräumen für 2000 bis 3000 Passagieren gegenüber. Und welche Verbesserungen weisen diese Ungetüme auf. Die Zwischendecks, früher mit Recht gefürchtete Schreckensorte, sind heute gut gelüftete Abteilungen, wo jedem Auswandrer ein gesetzlich bestimmtes Maß an Raum und Luft gesichert ist. Die Kajüten, die mit verschwenderischem Reichtum ausgestatteten Salons, die mit den erlesensten Dingen besetzten Tafeln wetteifern mit den Darbietungen der vorzüglichsten Gasthöfe. Und wie wurde die Länge der Reise vermindert, seitdem der mächtige Herrscher Dampf zu Hilfe kam! Von monatelanger Dauer sank sie auf zwölf, zehn, neun und acht Tage herab, um sich in neuester Zeit auf sechs, ja auf fünf Tage und wenige Stunden zu verringern.

Bei der Entwicklung ihres fabelhaft wachsenden Verkehrs mit den Vereinigten Staaten wurden beide Linien durch tüchtige, in allen Hauptstädten der Vereinigten Staaten eingerichtete Agenturen unterstützt. Ihre Leiter, namentlich in den Seeplätzen, sind durchweg Inhaber bedeutender, meist von hanseatischen Kaufleuten gegründeter Handelshäuser, die für fachkundige und energische Handhabung aller vorkommenden Geschäfte bürgen. In New York übernahm die bereits seit dem Jahre 1798 bestehende Firma Oelrichs & Co. die Vertretung des Lloyd und ist seit 1861 mit demselben verbunden geblieben. Ihr jetziger Inhaber, Gustav H. Schwab, ist ein Enkel des wohlbekannten deutschen Poeten und zugleich Nachkomme des in der Geschichte der Pfälzer am Schoharie und Tulpehocken berühmt gewordenen Conrad Weiser. In Baltimore liegt die Vertretung seit 1868 in den Händen der Firma A. Schumacher & Co.; in Philadelphia der Firma O. G. Hempstead & Sohn; in Galveston der Firma Alfred Holt und in San Francisco der Firma Robert Capelle. Kleinere Agenturen bestehen in vielen anderen Städten.

Lloyddampfer »Kaiser Wilhelm II«.

»Kronprinzessin Cecilie«, ein moderner Dampfer des Norddeutschen Lloyd.

Die Pieranlagen des Norddeutschen Lloyd in Hoboken.

In ähnlicher Weise organisierte die »Hamburg-Amerikanische Paketfahrt-Gesellschaft« ihre Vertretung, übertrug dieselbe aber später auf Emil L. Boas, der als »Generalverwalter« in New York seinen Sitz nahm.

Die Pieranlagen der Hamburg-Amerika-Linie in Hoboken, New Jersey.

Welchen ungeheuren Anforderungen die Vertreter der beiden Gesellschaften gewachsen sein müssen, ergibt sich aus der Tatsache, daß allein die New Yorker Agentur des »Norddeutschen Lloyd« in der Zeit vom 1. Januar 1873 bis 31. Dezember 19053 555 862 Kajüts- und Zwischendecksreisende in Empfang nahm resp. beförderte. Ähnliche Zahlen haben die Agenturen der »Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Gesellschaft« aufzuweisen. Diese richtete in der neuesten Zeit auch direkte Linien von Hamburg nach Montreal, Boston, Newport News, Philadelphia, Baltimore und New Orleans ein. Außerdem eröffnete sie im Jahre 1901 durch Übernahme der früher in amerikanischen Händen gewesenen »Atlaslinie« einen regelmäßigen Dampferverkehr zwischen New York, Haiti, Jamaica, Costa Rica, Guatemala, Colombia und Colon.

Der Lloyd unterhält regelmäßige Linien nach New York, Baltimore, Charleston und Galveston.

Eine deutsche Gründung war auch die zwischen New York und Hamburg verkehrende » Adler Linie«. Von Friedrich Kühne, einem der Inhaber des großen Bankhauses Knauth, Nachod & Kühne im Jahre 1872 ins Leben gerufen, erfreute sie sich wegen ihrer ausgezeichneten Dampfer lange Zeit großer Beliebtheit.

Gaben die Deutschen so dem transatlantischen Verkehr einen gewaltigen Anstoß, so geschah dies auch in dem Verkehr, der sich an der pazifischen Küste entwickelte. In San Francisco gründete nämlich Klaus Spreckels, der »kalifornische Zuckerkönig«, in Gemeinschaft mit seinen Söhnen Johann Dietrich und Adolf Bernhard Spreckels die » Oceanic Steamship Company«, deren Dampfer regelmäßige Fahrten nach Hawaii, Tahiti und anderen Teilen des Großen Ozeans unternehmen.

Im Schiffsbauwesen vermochten die Deutschen den von jeher auf das Meer angewiesenen Amerikanern kaum etwas zu lehren. Von Interesse ist aber, daß der Ursprung der berühmten Schiffsbauerfamilie Herreshoff auf einen deutschen Stammherrn, den Ingenieur Karl Friedrich Herreshoff, zurückreicht. Derselbe wanderte um das Jahr 1800 in Amerika ein. In Bristol, Rhode Island, heiratete er die Tochter des Schiffbauers John Brown und widmete sich nun gleichfalls dem Schiffbau. Seine Nachkommen wandten sich hauptsächlich dem Bau schnellsegelnder Jachten zu. Die den Namen » Herreshoff Manufacturing Co.« annehmende Firma lieferte während der letzten Jahrzehnte sämtliche Rennjachten, welche den berühmten »Amerikabecher«, jene am heißesten umstrittene Seetrophäe gegen die Engländer siegreich verteidigten.

Für die amerikanische Küstenschiffahrt waren die Anregungen äußerst wertvoll, die im Jahre 1807 der aus Aarau stammende Mathematiker Ferdinand Rudolf Hassler gab, indem er auf die Notwendigkeit einer genauen Vermessung aller Küsten der Vereinigten Staaten hinwies. Die daraus für den Handel und die Sicherheit der Schiffahrt entspringenden Vorteile erschienen der Regierung wie dem Kongreß so bedeutend, daß ein besonderes Amt, die » Coast Survey«. eingerichtet wurde, deren Leitung man Hassler übertrug. Er bekleidete diesen Posten bis zu seinem im Jahre 1843 erfolgten Tode. Der »Coast Survey« verdankt die Handelswelt ein auf sorgfältigen Aufnahmen beruhendes vorzügliches Kartenmaterial, das für die Schiffahrt von unschätzbarem Wert ist.

Eine Rennjacht der Herreshoffs im Kampf um den Amerikabecher. Nach einer Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

Der in Philadelphia geborene Deutschamerikaner Thomas Leiper gab die erste Anregung zum Bau der Eisenbahnen. Leiper war im Jahre 1806 mit der Ausbeute von Granitsteinbrüchen beschäftigt, die am Avondale in der Grafschaft Delaware in Pennsylvanien lagen. Die Entfernung von den Brüchen bis zur Flußniederung, wo die Steine auf Boote verladen wurden, betrug eine Meile. Um den Pferden den schwierigen Transport zu erleichtern, erfand Leiper besondere Wagen, deren gußeiserne Räder genau auf ein eisernes Schienengleis paßten. Da die Wagen über diese Gleise leicht hinwegglitten, so waren die Pferde imstande, ohne Mühe doppelt so schwere Lasten als früher fortzubewegen. Diese hochwichtige Neuerung führte später zur Erfindung der Eisenbahnen für den Personenverkehr.

Dem Deutschen Eppelheimer verdankt man die Erfindung der Kabelbahnen, die zuerst in San Francisco in größerem Maßstab zur Anwendung kamen.

Auf die innere Entwicklung des amerikanischen Verkehrswesens übte der Eisenbahningenieur Albert Fink bedeutenden Einfluß, indem er in den siebziger Jahren durch Wort und Schrift auf die Übel aufmerksam machte, die sowohl im Eisenbahn- wie Dampfschiffverkehr durch den schrankenlosen Wettbewerb hervorgerufen wurden. Er empfahl, daß die konkurrierenden Gesellschaften ein gemeinsames System unter einer selbstgewählten gemeinschaftlichen Oberbehörde einführen sollten, welche die Fracht- und Personentarife sowie alle anderen Verkehrsangelegenheiten festzusetzen habe und dadurch der verderblichen Unterbietung Einhalt tun möge. Er führte dabei aus, daß die Interessen der Eisenbahnen und diejenigen des Publikums einander nicht feindlich gegenüberstehen, sondern die gleichen sind; daß ein geordneter Tarif mit festen Sätzen, die den Eisenbahnen einen angemessenen Gewinn lassen, für den Verkehr vorteilhafter sei, als ein beständig schwankender, wie er durch die schrankenlose Konkurrenz bedingt werde.

Auf Finks direkte Anregung entstand die »Southern Railway & Steamboat Association«, welcher die meisten Eisenbahnen und Dampfergesellschaften des Südens beitraten. Im Jahre 1877 entwarf er auf Einladung der Präsidenten der vier amerikanischen Stammlinien, der »Baltimore & Ohio-«, der »Pennsylvania-«, der »Erie-« und der »New York Central & Hudson River Eisenbahn« den Plan zu einer ähnlichen, noch größeren Verbindung. Die ihm angebotene Stelle des Vorsitzenden des gemeinsamen Ausführungsausschusses nahm Fink an, wodurch er in allen Tarifangelegenheiten die entscheidende Persönlichkeit der mächtigsten Eisenbahnlinien der Vereinigten Staaten wurde.

Als Präsidenten wichtiger amerikanischer Eisenbahnen wurden ferner Adolf Meier in St. Louis, Karl Gustav Memminger in Charleston und Henry Villard in New York bekannt. Memminger, einstmals der Finanzminister der konföderierten Staaten, bekleidete nach dem Bürgerkrieg das Amt eines Präsidenten der von Charleston nach Cincinnati führenden Bahn.

Der im Jahre 1835 zu Speier geborene Heinrich Hilgard, der seinen Namen in Henry Villard umwandelte, spielte in der Entwicklungsgeschichte des Nordwestens eine hervorragende Rolle. In den siebziger Jahren wurde er sowohl Präsident der »Oregon & California Railroad« wie der »Oregon Steamship Company«. Später, im Jahre 1881, erlangte er die Herrschaft über die »Northern Pacific Bahn« und vollendete als Präsident derselben den Bau ihrer von den Ufern des Mississippi bis zu den Gestaden des Großen Ozeans führenden Hauptlinie. Zu der in den Sommer 1883 fallenden Eröffnungsfeier dieser für den Nordwesten so überaus wichtigen Verkehrslinie hatte Villard Geistesheroen der ganzen Welt eingeladen, berühmte Journalisten, Parlamentarier, Künstler und Finanziers, die er in einem mehrere Monate währenden Triumphzug durch die ganzen Vereinigten Staaten führte.

Heinrich Hilgard-Villard.

Mitten in den Festjubel hinein krachte die Nachricht, daß eine Clique gewissenloser Börsenspekulanten, an ihrer Spitze der verrufene Jay Gould, die Abwesenheit Villards von New York dazu benutzt hatten, durch höchst verwerfliche Machinationen einen Kurssturz in den Aktien der Villardschen Werte herbeizuführen, der die ganze Finanzwelt erschütterte. Obwohl Villard sofort nach New York zurückeilte, vermochte er den Ruin nicht aufzuhalten und trat, nachdem er sein ganzes ungeheures Vermögen geopfert, von der Leitung der Nord-Pacificbahn zurück. Aber nur für wenige Jahre. Denn er ging nach Berlin und begann in aller Stille Pläne zum Wiedererobern der verlorenen Position zu schmieden. Über außerordentlich reiche, von deutschen Kapitalisten ihm anvertraute Mittel gebietend, kehrte er im Jahre 1886 nach New York zurück und feierte am 21. Juni 1888 den Triumph, abermals zum Präsidenten der »Oregon & Transcontinental Company« erwählt zu werden. Diesen Posten legte er mehrere Jahre später nieder, um seine ganze Kraft der Gründung der gigantischen »Edison General Electric Light Company« widmen zu können, welche die Ausbeutung der im Besitz des berühmten amerikanischen Erfinders Thomas Edison befindlichen Patente für elektrisches Licht bezweckte. Später gründete Villard noch eine zweite gewaltige Körperschaft zum Ankauf der in allen größeren Städten der Vereinigten Staaten bestehenden Straßenbahnsysteme.

Unzweifelhaft war Villard einer der genialsten, weitestblickenden und tatkräftigsten in der Schar jener unternehmenden Männer, die man in Amerika als »Kapitäne der Industrie« bezeichnet hat.

Zu diesen führenden Geistern zählte auch der zu Clairsville in Ohio als Abkömmling einer deutschamerikanischen Familie geborene Präsident der »Western Union Telegraph Company«, Thomas T. Eckert. Derselbe befehligte während des Bürgerkriegs als Hauptmann eine Abteilung von Armeetelegraphisten. Später wurde er zum Brigadegeneral und Hilfssekretär des Kriegsministers befördert. Nach dem Feldzug leitete er die Verschmelzung aller in den Vereinigten Staaten bestehenden Telegraphengesellschaften zur »Western Union Telegraph Company«, die im Jahre 1908 1 359 430 Meilen Drähte und 23 853 Stationen unterhielt. Im Jahre 1907 beförderte sie 74 804 551 Depeschen.

Der erste Lloyddampfer »Bremen« im Jahre 1858.

Roeblings Hängebrücke über den Niagara. Nach einem gleichzeitigen Stahlstich.

Deutschamerikanische Techniker und Ingenieure.

Die Geschichte der deutschamerikanischen Techniker und Ingenieure ist mit der Entwicklung der Technik und des Ingenieurwesens in den Vereinigten Staaten gewissermaßen identisch. Sie hebt an mit der Zeit, wo man sich noch bescheidener Holzbrücken bediente, wo noch niemand jene gewaltigen Triumphe ahnte, die gerade von der Technik und Ingenieurkunst in der Neuen Welt gefeiert werden sollten.

Als der Deutsche Wernweg im Jahre 1813 eine Holzbrücke über den Delaware bei Trenton, New Jersey, schlug, als Albert von Stein im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts die Wasserwerke der Städte Cincinnati, Richmond, Lynchburg, New Orleans, Nashville und Mobile herstellte, als derselbe den Appomatox-Kanal bei Petersburg in Virginien schuf und der Schwabe Gindele den Kanal zwischen dem Michigansee und dem Mississippi anlegte, da bewunderte man diese Werke allgemein als solche, welche der Geschicklichkeit ihrer Urheber zur höchsten Ehre gereichten. Den Riesentunnel, mittels welchem Gindele die Stadt Chicago mit frischem Wasser aus dem Michigansee versorgte, zählte man sogar lange Zeit zu den Wunderdingen der Neuen Welt.

Unter den damaligen Bergbauingenieuren galt der Schwabe Hermann Gmelin als einer der bedeutendsten. Er war einer der ersten, welcher in Amerika ein Bessemer Stahlwerk einrichtete. Zu seinen Zeitgenossen gehörte der im Jahre 1830 zu Aachen geborene Adolf Sutro, der Schöpfer des berühmten Sutro-Tunnels in den Comstockminen Nevadas.

Jene gewaltigen Silbergruben hatten seit ihrer im Jahre 1859 erfolgten Entdeckung ungeheure Reichtümer abgeworfen. Aber der Betrieb litt unter schweren Übelständen. Einesteils fehlten geeignete Mittel und Straßen zur Beförderung der gewonnenen Erze, dann auch hatten die Bergleute in den tiefen Schachten und Stollen beständig mit giftigen Gasen, fast unerträglicher Hitze und bedeutenden Wasserzuflüssen zu kämpfen. Manche Minen waren bereits ertrunken und unzugängig geworden. Bei einem Besuch dieser Bergwerke kam Sutro auf den Gedanken, die einzelnen Minen durch einen gewaltigen Tunnel zu verbinden, der nicht bloß als Mittel zur bequemeren und billigeren Beförderung der Erze, sondern auch zur Ventilation und Entwässerung der Gruben diene.

Ehe Sutro diesen Plan ausführen konnte, mußte er geradezu unglaubliche Hindernisse überwinden, die seinem Vorhaben im Weg standen. Das schlimmste war die völlige Teilnahmlosigkeit, mit der die Grubenbesitzer und Kapitalisten seine Pläne aufnahmen. Als der Nutzen des Unternehmens aber gar zu deutlich zutage trat, mußte Sutro sich gegen mißgünstige Rivalen wehren, welche die Ausführung des Werkes an sich reißen wollten. Erst nach jahrelangen Kämpfen und unsäglichen Enttäuschungen war es Sutro vergönnt, am 19. Oktober 1869 mit dem riesigen Unternehmen zu beginnen. Er schuf einen 4 m weiten und 3? m hohen Tunnel von nahezu 7000 m Länge, von dem zahlreiche, in nördlicher und südlicher Richtung abzweigende Seitentunnels zu den einzelnen Gruben hinführten. In diesen 600 m unter der Erdoberfläche gelegenen Tunneln legte Sutro ein vollständiges Bahnnetz mit Stationen an. Mehrere senkrechte Schachte sorgten für Luftzufuhr. Sie enthielten zugleich gewaltige Hebemaschinen, welche die gewonnenen Erze an die Oberfläche beförderten.

Im Oktober 1878 war nach einem Kostenaufwand von 6½ Millionen Dollar dies Wunderwerk deutschen Geistes vollendet. Da Sutro mit den Grubenbesitzern günstige Verträge abgeschlossen hatte, so brachte das Unternehmen seinem Urheber großen Gewinn. Einen bedeutenden Teil dieses Reichtums stellte Sutro in den Dienst werktätiger Nächstenliebe, indem er in San Francisco Parkanlagen, öffentliche Bäder und andere philanthropische Einrichtungen schuf.

Ein anderer hervorragender deutschamerikanischer Bergbauingenieur war der im Jahre 1817 zu Philadelphia geborene Hermann Haupt. Der 8 km lange Hoosactunnel in Massachusetts, dessen in die Jahre 1856 bis 1861 fallende Ausführung 16 Millionen Dollar kostete, ist sein Hauptwerk. Ihm gebührt auch das Verdienst, die Möglichkeit dargetan zu haben, Erdöl von den Quellen durch ein Röhrensystem auf weite Entfernungen hinzuleiten, wodurch die Petroleumraffinerien viele Millionen Dollar an Transportkosten ersparten.

Zu den bedeutendsten Bergbauingenieuren Amerikas zählt ferner der 1839 in Nassau geborene Anton F. Eilers. Er wanderte im Jahre 1859 in die Vereinigten Staaten ein und spielte hier sowohl als Metallurgist wie als Berater und Präsident zahlreicher Bergwerksgesellschaften jahrzehntelang eine angesehene Rolle.

Die Mittelstaaten waren das Hauptarbeitsfeld des im Jahre 1827 zu Lauterbach geborenen Albert Fink. Derselbe kam im Jahre 1849 nach Amerika und fand im Bureau des im Dienst der Baltimore-Ohio Bahn stehenden Brückenbaumeisters Benjamin H. Latrobe Beschäftigung. Rasch stieg er von Stufe zu Stufe und wurde die rechte Hand Latrobes, des ersten Ingenieurs, welcher Eisen beim Brückenbau verwendete. Fink führte diesen Gedanken weiter aus, indem er das nach ihm benannte Trägersystem erfand. Es kam beim Bau der bei Fairmount über den Monongahela führenden Brücke im Jahre 1852 zum erstenmal zur Anwendung. Fink bestrebte sich, durch sein System die Zahl der steinernen Mittelpfeiler einer Strombrücke möglichst zu verringern. Gleichzeitig suchte er unter sonst gleichen Umständen mit weniger Eisen auszukommen, als es bei den älteren Systemen möglich war, die mehr oder weniger Nachahmungen der Holzbausysteme von Whipple, Rider, Kellog, Bollmann u. a. darstellten. Finks Trägerausbildung war für die damalige Zeit von großer Einfachheit und Klarheit. Er verwendete möglichst viele gleichgebildete Stäbe, die man gegenseitig austauschen konnte. Dadurch wurde die Aufstellung der Brücken so erleichtert, daß einzelne seiner nach Südamerika verschickten Träger dort ohne Monteure von Matrosen zusammengesetzt werden konnten. Das Wichtigste war, daß kein Stab des Finkschen Tragwerks einen Wechsel von Zug und Druck zu erleiden hatte. Es gab nur reine Zug- und reine Druckstäbe, eine Anordnung, die für die damaligen amerikanischen Brückenträger geringerer Weite, deren Knoten durchweg mit Bolzen verbunden wurden, von großer Bedeutung war. Denn der in den Stäben der älteren Konstruktionen auftretende Wechsel von Zug und Druck führte Bewegungen und Erschütterungen der Knoten herbei, die mit der Zeit dem Bestand der Brücken gefährlich wurden. Die größten Fink-Träger liegen in der im Jahre 1870 vollendeten Ohio-Brücke bei Louisville, deren Hauptöffnungen mit 113 und 122 m Weite seinerzeit die weitestgespannten in ganz Amerika waren. Manche der von Fink geschaffenen Brücken, besonders zwei 80 m hohe Übergänge über die weiten Schluchten am Cheat Mountain, galten damals als die kühnsten Bauwerke ihrer Art.

Im Jahre 1857 trat Fink als Oberingenieur in den Dienst der Louisville- und Nashvillebahn und blieb in dieser Stellung bis 1875. Während dieses Zeitraums vollendete er unter anderen die Brücken über den Green River und eine über den Ohio bei Louisville. Seine bedeutenden Fähigkeiten traten am glänzendsten während des Bürgerkriegs hervor. Die seiner Obhut anvertrauten Bahnlinien in Kentucky und Tennessee durchschnitten eines der hauptsächlichsten Kampfgebiete. In raschem Wechsel wurde dasselbe bald von den Truppen der Nordstaaten, bald von jenen des Südens in Beschlag genommen, wobei die Südländer die vorgefundenen Eisenbahnen, Brücken und Viadukte regelmäßig zerstörten. Sobald sie aber den Rückzug antraten, folgte Fink ihnen auf dem Fuße und stellte die verwüsteten Bahnstrecken in erstaunlich kurzer Zeit wieder her.

Der erfolgreichen Tätigkeit des Ingenieuroffiziers Gottfried Weitzel als Brückenbauer und beim Anlegen von Befestigungen während des Bürgerkriegs haben wir bereits in einem früheren Abschnitt gedacht.

In derselben Weise machte sich sein im Jahre 1824 in Baden geborener Kollege Heinrich Flad hochverdient. Er hatte an der Universität München Ingenieurwissenschaften studiert und als Hauptmann eines Ingenieurbataillons am badischen Aufstand teilgenommen. Nach dem Fehlschlagen jener Bewegung kam Flad im Jahre 1849 nach Amerika und wirkte als Ingenieur beim Bau verschiedener Eisenbahnen mit. Beim Ausbruch des Bürgerkriegs trat er in das 3. Regiment Freiwilliger von Missouri ein, durchlief rasch alle Grade bis zum Oberstleutnant und wurde im Oktober 1863 zum Hauptmann des Westlichen Ingenieur-Regiments ernannt. Als solcher leistete er bei der Wiederherstellung zerstörter Eisenbahnlinien wie bei der Anlage von Befestigungen Dienste, die nur derjenige zu würdigen vermag, welcher über die außerordentliche Bedeutung der Eisenbahnen für den Vorstoß und die Verpflegung einer kriegführenden Armee unterrichtet ist.

Nach Beendigung des Kriegs entwarf Flad in Verbindung mit J. P. Kirkwood die Pläne für die Wasserwerke der Stadt St. Louis und trat dann in Verbindung mit dem Brückenbauer Kapitän Eads, um demselben während der Jahre 1867 bis 1874 als Oberingenieur beim Entwurf und Bau der berühmten Mississippibrücke bei St. Louis behilflich zu sein. Es war bei der Ausführung dieses gewaltigen Werks, wo Flads Meisterschaft im Lösen schwieriger technischer Probleme, in der Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien sich im glänzendsten Lichte zeigte.

Nach Vollendung dieser Brücke wurde Flad zum Präsidenten des Ausschusses für öffentliche Verbesserungen der Stadt St. Louis erwählt. Diesen Posten bekleidete er bis zum Frühling 1890, wo er einen vom Präsidenten Harrison ihm angebotenen Platz in der Mississippi River Commission übernahm. Er füllte denselben bis zu seinem im Jahre 1898 erfolgten Tode aus.

Hermann Ulffers ist der Name eines in Westfalen geborenen außerordentlich tüchtigen Ingenieurs, der sich im Stab des Generals Sherman befand. Er geriet in Gefangenschaft und kam in das schreckliche Gefängnis Andersonville. Seine Flucht aus dieser »Hölle« erregte allgemeines Aufsehen. In Lumpen gehüllt und bis zum Skelett abgemagert, erreichte er die Vorposten der Unionsarmee wieder, in der er dann als Ingenieuroffizier noch bis zum Jahre 1870 wirkte.

Oberst Washington A. Roebling, ein Sohn des berühmten Brückenbauers, machte sich während des Bürgerkriegs als Ingenieur im Stab des Generals McDowell verdient. Er schlug zwei zu Armeezwecken dienende Hängebrücken über den Rappahannock und den Shanandoah.

Adolf Bonzanos Kinzua-Brücke während ihres Baus.

Ein vortrefflicher Brückenbauer war auch der im Jahre 1830 in Württemberg geborene Adolf Bonzano. Als Oberingenieur der Firma Clarke, Rewes & Co. zu Phönixville und später als Vizepräsident der »Phönix-Bridge Company« lieferte er zu vielen großartigen Brückenbauten die Entwürfe. Sein interessantestes Werk war der im Jahre 1882 vollendete Eisenbahnviadukt über das 600 m breite und 90 m tiefe Tal des Kinzua in Pennsylvanien. Derselbe bestand aus zwanzig Türmen, von denen jeder aus vier eisernen Pfeilern zusammengesetzt war. Durch entsprechende Verstrebungen und Etagen waren die Türme nach allen Richtungen hin gegen Zerknicken oder seitliche Ausbiegung gesichert. Oben auf den Säulenköpfen ruhten Gitterträger, welche die direkte Unterlage für die Querschwellen unter den Eisenbahnschienen bildeten. Auf massiven, im Felsboden des Tales fundierten Steinpfeilern fest verankert, gewährte dieses, einschließlich aller Bureauarbeiten in nur 8½ Monaten ausgeführte Werk einen überraschenden Anblick.

Zu den hervorragenden deutschamerikanischen Brückenbauern des 19. Jahrhunderts zählte ferner Karl Konrad Schneider, geboren 1843 in Apolda. Als Oberingenieur und Vizepräsident der »American Bridge Company« baute er im Jahre 1882 die Auslegerbrücke der Canadischen Pacific Eisenbahn über den Fraserfluß in Britisch-Columbia; ferner im Jahre 1883 die Auslegerbrücke über den Niagara.

Eine förmliche Revolution im Brückenbau führte um die Mitte des 19. Jahrhunderts der berühmteste aller amerikanischen Brückenbauer herbei, der am 12. Juni 1806 zu Mühlhausen in Thüringen geborene Johann August Roebling.

Seine Ausbildung zum Ingenieur erhielt derselbe in Erfurt und Berlin. Darauf war er in Westfalen beim Bau einiger Militärstraßen tätig gewesen. Als Mitglied einer in Mühlhausen gegründeten Auswandrungsgesellschaft kam er im Jahre 1831 nach Westpennsylvanien, wo er die Vermessungen mehrerer Kanal- und Eisenbahnbauten leitete.

Im Vergleich zu ihrer heutigen Höhe befand sich die Brückenbaukunst damals noch gewissermaßen in den Anfangsstadien ihrer Entwicklung. Man kannte bereits Hängebrücken, aber die zum Tragen des Brückenstegs verwendeten Kabel bestanden aus mächtigen eisernen Ketten, deren einzelne Glieder trotz ihrer Stärke und Schwere keine große Tragkraft besaßen und die Überwindung weiter Spannungen nicht zuließen. Spannungen von 60 m galten als bemerkenswert.

Ein Versuch, derartige Kettenkabel durch solche aus Drähten zu ersetzen, war bereits im Jahre 1822 bei einer Hängebrücke in Genf gemacht worden. Aber es blieb Roebling vorbehalten, dieses neue System auszubilden und zu seiner höchsten Vollendung zu entwickeln.

Die ungeheuren Vorzüge, die mannigfaltige Verwendbarkeit der Drahtseile hatte Roebling veranlaßt, im Jahre 1840 in dem von ihm gegründeten Ort Germania, dem späteren Saxonburg bei Pittsburgh eine kleine Fabrik anzulegen, die sich ausschließlich mit dem Herstellen solcher Drahtseile beschäftigte.

Deren außerordentliche Tragkraft erprobte er zuerst bei einem Aquädukt, den er bei Pittsburgh über einen der Quellarme des Ohio führte. Dieses eigenartige, an Drahtseile gehängte Werk erregte großes Aufsehen und begründete Roeblings Ruf als Ingenieur. Seine nächste Schöpfung war die prächtige Drahtseilbrücke, die bei einer Länge von 500 m mit acht Spannungen über den Monongahela bei Pittsburgh führt. Darauf folgten viele gleichfalls an Drahtseilen schwebende Aquädukte über den Delaware- und Hudsonkanal.

Bestärkt durch die errungenen Erfolge, wandte Roeblings hochfliegender Geist sich immer kühneren Plänen zu. Er erbot sich, die beiden Ufer des Niagara unterhalb seiner berühmten Fälle durch eine Hängebrücke miteinander zu verbinden. Als Roebling mit diesem Projekt vor die Öffentlichkeit trat, erklärten die bedeutendsten Ingenieure Amerikas und Europas, darunter Stevenson, dasselbe für unausführbar und prophezeiten seinen Fehlschlag. Betrug doch die Weite der 80 m tiefen Schlucht, welche hier von den mit rasender Eile dahinschießenden Fluten in die Felsen gerissen ist, volle 266 m.

Aber Roebling ließ sich von Bedenken nicht anfechten, sondern schritt im September 1852 zur Ausführung des geplanten Werks. Schon der Versuch, den ersten Draht über die ungeheure Kluft zu spannen, stieß auf unerwartete Schwierigkeiten. Kein Boot war imstande, den entsetzlichen Strudeln der Stromschnellen Trotz zu bieten; kein Schwimmer wagte, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Nach manchen vergeblichen Bemühungen, kam Roebling auf den glücklichen Einfall, mittels eines Windvogels zunächst einen starken Seidenfaden vom amerikanischen Ufer auf das kanadische zu bringen. Das gelang, und nun wurde an demselben die erste jener Sehnen über den Strom gezogen, aus denen die Kabel der Hängebrücke gesponnen werden sollten.

Als Träger der vier Kabel, an welche Roebling seine Brücke zu hängen gedachte, ließ er auf jedem Ufer zwei 26 m hohe steinerne Türme erbauen, stark genug, um das gewaltige Gewicht der Kabel und Brücke zu tragen. Jedes Kabel bestand aus 3640 einzelnen Drähten. Die Kabel wurden mittelst mächtiger Ketten hinter den Türmen in Kammern verankert, die in den Felsen eingehauen waren. Die Brücke selbst besaß zwei Stockwerke, ein unteres für Wagen und Fußgänger und ein oberes für die Eisenbahnen.

Bereits im März 1855 konnte die mit einem Kostenaufwand von 400 000 Dollar erbaute Brücke dem Verkehr übergeben werden. Mehrere Jahrzehnte hindurch bildete sie wegen der Kühnheit ihres Entwurfs und der Schönheit ihrer Erscheinung eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Niagararegion.

Dieser glänzende Triumph über die widerstrebenden Naturgewalten bewirkte einen völligen Umschwung im Brückenbau, den Übergang vom Kettenkabel- zum Drahtseilkabelsystem. Zur raschen Annahme des letzten trug Roebling durch mehrere noch größere Werke bei. Er baute zunächst die Hängebrücke, welche zwischen den beiden Städten Cincinnati und Covington den Ohio überspannt. Dieselbe ist mit ihren Anfahrten 750 m lang und wird von zwei mächtigen Kabeln getragen, deren jedes aus 10 360 einzelnen Drähten besteht. Die Kabel ruhen auf zwei steinernen Pfeilern von 66 m Höhe. Die zwischen ihnen liegende Hauptspannung der Brücke beträgt nicht weniger als 351 m. Die 11 m breite Plattform schwebt 33 m über dem Stromspiegel. Die ganzen Kosten dieser Brücke beliefen sich auf 1 800 000 Dollar.

Johann August Roebling.

Das letzte, größte Werk Roeblings war sein Entwurf zur Riesenbrücke über den East River zwischen New York und Brooklyn. Das rapide Wachsen der Bevölkerung dieser beiden Städte, das Unvermögen der Dampffähren, den gewaltigen, schnell zunehmenden Verkehr zwischen denselben zu bewältigen, machten eine bessere Verbindung zur dringenden Notwendigkeit. Eine Vermehrung der Fähren war ausgeschlossen, da es an Platz für neue Anlegestellen fehlte. Zudem kam, daß die Fähren bei nebligem Wetter, Schneegestöber und winterlichen Eisblockaden ihren Dienst nur in unvollkommener Weise verrichteten. In dieser Notlage begann man an einen Brückenbau zu denken. Aber die vorliegenden Verhältnisse und Entfernungen waren derart, daß kaum jemand den Mut faßte, an die Ausführbarkeit dieses Gedankens zu glauben. Der Bau einer auf Pfeilern ruhenden Brücke war ausgeschlossen, da zunächst weder der ungeheure Schiffsverkehr auf der Wasserstraße gehemmt und gefährdet werden durfte, noch die Tiefe des Wassers und die Stärke seiner Strömung die Anlage sicherer Fundamente möglich machten.

Gleich einem Adler höher und höher kreisend, faßte Roebling den kühnen Entschluß, sein Hängebrückensystem, das sich bisher so glänzend bewährt hatte, auch an dieser Stelle in Anwendung zu bringen.

Zehn Jahre beschäftigte er sich mit dem Entwurf und Durcharbeiten seines Planes. Die ungeheuren Verhältnisse, mit denen er rechnen mußte, verlangten die sorgfältigste Beachtung selbst der unscheinbarsten Dinge, da der kleinste, beim Berechnen der Länge und Stärke der Kabel, Träger und Pfeiler begangene Fehler für das glückliche Gelingen des Brückenbaues von verhängnisvoller Bedeutung werden konnte. Fast ebenso schwierig wie die technischen Vorarbeiten gestaltete sich die Beschaffung der Baugelder. An vielen Stellen klopfte Roebling vergeblich an; ein Teil der von der Stadt bewilligten Gelder verschwand, da die städtischen Beamten nur für die eigene Tasche sorgten. Mehrere dieser Diebe mußten nach kurzer Zeit ins Ausland flüchten. Schließlich gelang es Roebling, den Geldmann W. C. Kingsley von Brooklyn für den Plan zu interessieren. Derselbe gründete im Januar 1867 die »New York Bridge Company« mit einem Grundkapital von 5 Millionen Dollar. Die Stadt New York zeichnete einen Betrag von l½ Millionen, Brooklyn die Summe von 300 000 Dollar.

Zu Anfang des Jahres 1869 waren die mühseligen Vorarbeiten so weit vollendet, daß Roebling mit dem Bau beginnen konnte. Aber es war, als ob das neidische Geschick dem großen Ingenieur seinen höchsten Triumph nicht gönnen wolle: bei den an Ort und Stelle begonnenen Arbeiten erlitt Roebling durch einen herabstürzenden Balken eine Quetschung, welche die Amputation mehrerer Zehen notwendig machte. Die Operation verlief glücklich. Leider stellte sich wenige Tage später Starrkrampf ein, welchem Roebling am 22. Juli 1869 erlag.

Roeblings Hängebrücke über den East River zwischen New York und Brooklyn.

Die schwierige Aufgabe, den gewaltigen Bau zu vollenden, fiel nun dem Sohn des Verstorbenen, Washington A. Roebling, zu. Dieser ließ am 3. Januar 1870 mit dem Fundamentieren der beiden 92 m hohen Brückentürme beginnen. Die angestellten Bohrungen hatten ergeben, daß man, um auf geeigneten Felsgrund zu kommen, auf dem Brooklyner Ufer des East River 15 m, auf Manhattan Island sogar 26 m unter den Wasserspiegel gehen und dabei mächtige Schichten von Schlamm und Geröll durchdringen müsse. Über den betreffenden Stellen baute man zunächst zwei gewaltige Caissons, kistenähnliche, aus schweren, einander kreuzenden und stützenden Balken gezimmerte Behälter, welche 2 bis 2½ m über ihrem unteren Rande einen Boden besaßen, so daß der unter demselben gelegene Raum eine Kammer bildete, die durch nach oben führende Schlote und Röhren Luft erhielt. Diese Kammer war der wichtigste Teil des Caissons. Das Caisson auf der Manhattan-Seite ist 40 m breit und 56 m lang; jenes auf der Brooklyner-Seite 40 m breit und 39 m lang. Nachdem sie vom Stapel gelassen und genau über den Stellen verankert worden waren, wo die Brückentürme zu stehen kommen sollten, begann man auf der Oberfläche der Caissons mit dem Legen der Steinfundamente, deren täglich wachsendes Gewicht die Caissons immer tiefer ins Wasser hinabdrückten. Zu gleicher Zeit trieben mächtige Dampfmaschinen in die unter Wasser befindlichen, taucherglockenartigen Kammern komprimierte Luft hinein, die das Wasser verdrängte, den von den unteren Rändern der Caissons eingeschlossenen Teil des Flußbettes trocken legte und es den innerhalb der Kammern befindlichen Arbeitern ermöglichte, den unter ihren Füßen gelegenen Schlamm und das Geröll zu beseitigen. Diese äußerst unangenehme und obendrein kostspielige Arbeit mußte fortgeführt werden, bis endlich die Caissons die ganze Schlammschicht durchdrungen hatten und auf die als Fundament dienen sollenden Felsen aufstießen.

Beim Fundieren der East Riverbrücke arbeiteten Tag für Tag 236 Menschen in diesen beiden unterseeischen Arbeitskammern, die von 56 Gasflammen erleuchtet und sogar mit Wasserleitungen versehen waren. Leider war es unmöglich, in den komplizierten Behältern jeden Unfall zu vermeiden. Denn je tiefer die Caissons sich unter den Wasserspiegel und in das Flußbett senkten, desto gewaltiger wurde der Druck der sie umgebenden Wassermassen; desto größere Mengen komprimierter Luft mußten eingepumpt werden, um den Druck auszugleichen und die Arbeitsräume von Wasser freizuhalten.

Es kann gewiß nicht überraschen, daß der längere Aufenthalt in den Caissons für die unter so unnatürlichen Verhältnissen arbeitenden Menschen allerhand üble Folgen hatte. Sie wurden von der eigentümlichen »Caisson-Krankheit« befallen, die sich in heftigen neuralgischen Schmerzen, Schüttelfrost, Erbrechen, Krämpfen und Lähmungen äußert.

Trotz aller Vorsichtsmaßregeln nahmen viele dieser Erkrankungsfälle einen tödlichen Ausgang. Auch Roebling wurde von der Krankheit befallen und hatte an ihren Nachwirkungen viele Jahre zu leiden. Auch an anderen bösen Vorkommnissen fehlte es nicht. Im Januar 1871 entstand in dem Brooklyner Caisson eine Feuersbrunst, die einen Schaden von 15 000 Dollar anrichtete – ein Brand unter den Wellen des East Rivers!

Nach Überwindung zahlreicher anderer Schwierigkeiten wurde der Bau der beiden, den Wasserspiegel um 90 m überragenden Türme vollendet, worauf mit dem Legen der den Brückensteg tragen sollenden Kabel begonnen werden konnte. Neue Schwierigkeiten! Natürlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, die gewaltigen, tausende Kilogramm schweren Massen zu so bedeutender Höhe emporzuheben. Und so mußte man die 5296 Stahldrähte, aus denen jedes der vier Kabel gesponnen werden sollte, einen nach dem andern an der ihm zugedachten Stelle befestigen.

Unvorhergesehene Hindernisse traten ferner ein, als man den ersten, auf den Meeresgrund versenkten und mittels eines Fahrzeugs zum gegenüberliegenden Turm geleiteten Draht heben wollte. Der East River war nicht frei! Da war kein Augenblick, wo nicht Dutzende von Schiffen vorüberfuhren und das Heben des Drahtes verhinderten. Endlich, am 14. August 1876, verkündete ein Kanonenschuß, daß für die nächsten Minuten kein Schiff zu erwarten sei, und nun schnellte die erste Sehne in die Höhe, um welche das gewaltige Netz der Brücke gewoben werden sollte. Zahllose Drähte wurden hin und hergezogen, und an diesen Drähten hingen in kleinen Käfigen die Arbeiter, um in der schwindelnden Höhe die Tausende von Drähten zusammenzuspinnen. Wie unendlich viel gab's noch zu erwägen, zu berücksichtigen! Bevor man die mathematisch genaue Lage des ersten Drahtes den Plänen der Ingenieure gemäß richtig bestimmen konnte, mußte man wochenlang auf einen windstillen Tag warten, da jeder Druck der über den East River brausenden Winde genügte, die Richtung und Bahn des hängenden Drahtes zu verschieben.

Und als endlich, nach unsäglicher Mühe, die vier Kabel regelrecht hingen, da brachen am 19. Juni 1878 die Verankerungen eines derselben, und die gewaltige Masse, vom eignen Gewicht über den Brückenturm hinweggerissen, stürzte mit fürchterlichem Getöse in die Fluten des East River, wobei mehrere Arbeiter in ein nasses Grab gerissen wurden. Aufs neue hatte das Werk zu beginnen.

Endlich, am 24. Mai 1883, nach dreizehn Jahre langer Arbeit und einem Kostenaufwand von 9 Millionen Dollar war die Brücke vollendet und konnte dem Verkehr übergeben werden. Zur Feier dieses nationalen Ereignisses stellten sich der Präsident der Vereinigten Staaten und mehr als 50 000 Fremde ein. Alle in der Bai von New York befindlichen Schiffe prangten in reichstem Flaggenschmuck. Das Fort Columbus und die im Hafen versammelten Kriegsschiffe feuerten Salutschüsse ab. Von allen Kirchtürmen erschallte Glockengeläut. Und am Abend beschloß ein glänzendes Feuerwerk das seltene Fest.

Das großartige Werk verleugnet in der Tat nicht die kolossalen Schwierigkeiten, über die des Menschen Geist hier den mühsamen Triumph errang. Eine Vorstellung von den alle bisherigen Brückenbauten übertreffenden Verhältnissen dieses Verkehrsweges gibt die Angabe, daß die Gesamtlänge des Brückenkörpers mit den Anbauten über 2500 m beträgt. Diese gewaltige Entfernung wird durch nur drei Bogen überwunden, deren mittlerer in der bisher unerhörten Spannung von 478 m 40 m hoch über dem Wasser schwebt.

Lindenthals Eisenbahnbrücke über die Höllengasse bei New York.

Das Meisterwerk Roeblings übte auf den Verkehr zwischen New York und Brooklyn eine ungeahnte Wirkung. Nach allen Seiten hin ausdehnungsfähig und nunmehr mittels der Brücke in wenigen Minuten erreichbar, blühte Brooklyn zu einer Millionenstadt empor. Welche Massen von New Yorkern hierher ihre Wohnsitze verlegten, ergibt sich am deutlichsten aus der Zahl der Personen, welche während der nächsten Jahre die Brücke passierten. Im Jahre 1884 betrug dieselbe 8 823 200. Im Jahre 1890 war diese Zahl bereits auf 34½ Millionen, bis zum Jahre 1897 auf 45½ Millionen angeschwollen.

Im Jahre 1902 betrug der Durchschnittsverkehr pro Tag von 24 Stunden für die Brückenbahn 159 637 und für die über die Brücke führende Straßenbahn 147 660 Personen. Das würde für das Jahr 1902 einen Gesamtverkehr von 112 163 405 Personen ergeben.

Das glückliche Gelingen des die Bewunderung der ganzen Welt hervorrufenden Roeblingschen Werkes stachelte die Ingenieure Amerikas zu noch gewaltigeren Leistungen an. Einer der kühnsten unter den neueren Brückenbauern ist der im Mai 1850 zu Brünn geborene Gustav Lindenthal. Sein größtes in der Ausführung begriffenes Werk ist eine viergleisige Eisenbahnbrücke, welche den als »Hellgate« (»Höllengasse«) bekannten Teil des die Stadt New York von Long Island trennenden East Rivers überschreitet. Eine versteifte Stahlbogenbrücke und Stahlviadukte von 4,80 km Länge, wird sie das Eisenbahnnetz der großen Pennsylvaniabahn auf Long Island mit der Hauptbahn von New York nach Boston auf dem Festland verbinden, und es ermöglichen, daß Reisende von Boston nach Philadelphia und den Südstaaten ohne Umsteigen direkt durch New York fahren werden können, nämlich durch die neue Pennsylvaniastation an der 32. Straße und 7. Avenue. Die Brücke überschreitet die Höllengasse in einem 300 m weiten und 100 m hohen Bogen, dem größten, der bisher bei diesem Brückensystem zur Anwendung kam.

Ein anderer von Lindenthal entworfener und in der Ausführung begriffener Riesenbau ist die doppelgleisige Eisenbahnbrücke von drei Spannweiten über die 300 m weite und 118 m tiefe Schlucht des Kentuckyflusses im Staat Kentucky. Die Brücke wird die schwerste und größte genietete Stahlkonstruktion in der Welt sein, wird ohne Gerüst aufgestellt und von zwei Stahltürmen getragen. Sie soll die alte eingleisige eiserne Brücke ersetzen, welche als die erste und kühnste Ausleger-(Cantilever-)Brücke im Jahre 1876 in den Vereinigten Staaten gebaut wurde, und bei welcher der Deutschamerikaner Charles S. Strobel als Ingenieur tätig war. An derselben Stelle hatte Roebling eine große Stahlhängebrücke geplant, von welcher aber nur die Steintürme zur Ausführung kamen, da der Bürgerkrieg der Jahre 1861 bis 1865 den Weiterbau verhinderte.

Seit einer Reihe von Jahren beschäftigte Lindenthal sich auch mit dem Entwurf einer Riesenbrücke, die den Hudson überschreiten und den ungeheuren Verkehr zwischen New York und dem Staate New Jersey vermitteln soll. Den bereits vollendeten Plänen zufolge würde diese Brücke auf jedem Stromufer von zwei 220 m hohen stählernen Türmen getragen, in denen die vier Kabel der Brücke aufgelagert werden sollen. Die erstaunliche Großartigkeit des Entwurfs läßt sich am besten aus nachstehendem Vergleich seiner Verhältnisse mit denjenigen der Roeblingschen East Riverbrücke erkennen:

  East River-Brücke Hudson River-Brücke
Gesamtlänge der Brücke,
einschließlich der Verankerungen
1110 m 2202 m
Länge der Landspannen 279 m 550 m
Länge der Hauptspanne 480 m 930 m
Höhe der Türme von der
Hochwassermarke an
81 m 198 m
Höhe der Türme von den
Fundamenten an
105 m 255 m
Weite der Brückenbahn 25½ m 36 m
Länge jedes Kabels 1070 m 2040 m
Zahl der Schienengleise 2 6-14

Leider gerieten die Vorarbeiten zu dieser Riesenbrücke in neuester Zeit ins Stocken, als die einen großen Teil des Personen- und Warenverkehrs zwischen New York und New Jersey vermittelnde Pennsylvania-Eisenbahn bei der Wahl zwischen Brücke und einem unter dem Hudson dahinführenden Tunnel sich für den Bau des letzteren entschied. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß die Lindenthalsche Brücke der Vergessenheit anheimfallen wird. Denn das fabelhafte Wachsen des überwältigend großartigen Personen- und Güterverkehrs zwischen New York und New Jersey bedingt immer neue, gewaltigere Verkehrsmittel. Und so dürfte die Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen sein, daß in zehn bis zwanzig Jahren der Hudson gleichfalls von einem Wunderwerk der modernen Ingenieurkunst überbrückt sein wird.

Außer den bisher Genannten boten sich vielen anderen deutschamerikanischen Technikern und Ingenieuren in den Vereinigten Staaten, Gelegenheiten, ihr Können zu betätigen. Sie fanden hier ein um so großartigeres und lohnenderes Feld, als den amerikanischen Ingenieuren, soweit sie nicht im Ausland studiert hatten, die nötigen Kenntnisse abgingen, ein Mangel, der sich durch das Fehlen technischer Hochschulen erklärt. Solche wurden erst nach dem Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten gegründet und benötigten natürlich längere Zeit zu ihrer Entwicklung.

Inzwischen drängte aber der rastlose, auf die Erschließung des weiten Landes bedachte amerikanische Unternehmungsgeist ungestüm auf die stete Entwicklung und Verbesserung der Verkehrsmittel und -wege, wobei er zu großen Wagnissen und bedeutenden Opfern stets bereit war. Aus diesen Gründen erklärt es sich, warum man deutsche und deutschamerikanische Ingenieure fast überall im Besitz solcher Stellungen findet, in denen es auf gründliches Wissen und wirkliches Können ankommt. Wir finden sie im Dienst der großen Eisenbahnen und Schiffbauwerkstätten, der städtischen Wasserwerke und Straßenbahnen und Beleuchtungsgesellschaften.

Eine der eigenartigsten Persönlichkeiten unter diesen Männern ist zweifellos Dr. Karl Prometheus Steinmetz, der leitende Geist der »General Electric Company«, deren gewaltige Fabriken in Schenectady, New York, ihren Sitz haben. Steinmetz wurde am 9. April 1865 zu Breslau geboren. Dort durchlief er auch das Gymnasium und die Universität. Mathematik und Astronomie bildeten seine Lieblingsbeschäftigungen, bis er eines Tages in nähere Berührung mit einem Mitschüler kam, welcher sich dem Studium der Elektrizität zugewendet hatte. Das Wesen dieser geheimnisvollen Kraft, die Möglichkeit ihrer Verwendung für industrielle und Beleuchtungszwecke waren damals kaum erkannt. Bogen- und Glühlichtlampen galten als Kuriositäten. An Motoren, Dynamos und andere, heute allgemein gebrauchte elektrische Apparate dachte noch kein Mensch. Aber der Einblick in das noch unerschlossene Zauberreich bestimmten den jungen Steinmetz, sich dem Studium der Elektrizität zu widmen und auf neue Entdeckungen auszugehen. Ob Steinmetz' Vater, als er seinem Sohn den Namen Prometheus verlieh, geahnt haben mag, daß derselbe einst ein Bringer und Beherrscher des Lichtes sein werde?

Schon bald nach Ablauf seiner Studentenjahre wanderte Steinmetz nach Amerika aus und fand in den dem Deutschen Eickemeyer gehörigen Elektrizitätswerken in Yonkers, New York, Anstellung. Allerdings mit dem bescheidenen Anfangsgehalt von 12 Dollar pro Woche. Aber er verstand sein reiches Wissen so zur Geltung zu bringen, daß er bald die rechte Hand seines Brotherrn bildete und denselben beim Ausarbeiten neuer Erfindungen unterstützte. Nach wenigen Jahren war Steinmetz zum technischen Leiter der Eickemeyerschen Fabrik emporgerückt. Und als diese dem allgemeinen Zug der Zeit folgte, und sich mit anderen im Osten der Union bestehenden großen Anlagen zu der »General Electric Company« vereinigte, ward Steinmetz an die Spitze dieser gewaltigen, über ein Heer von 14 000 Angestellten gebietenden Unternehmung berufen. Die eignen Erfindungen und weitreichenden Verbesserungen, die Steinmetz herbeiführte, sind viel zu zahlreich und kompliziert, als daß sie anderswo als in einem Fachwerk nach Gebühr gewürdigt werden könnten.

Ebensowenig sind wir imstande, manchen anderen Deutschamerikanern, wie z. B. dem in Pommern geborenen Bernhard A. Behrend, dem Hannoveraner Emil Berliner und anderen gerecht zu werden, deren Erfindungen das moderne Kulturleben manche wichtige Fortschritte verdankt.

Die deutsche Presse in den Vereinigten Staaten.

Der während der Kolonialzeit erschienenen Erstlinge der deutschamerikanischen Presse gedachten wir bereits in früheren Abschnitten. Desgleichen des wackeren Johann Peter Zenger, dessen Furchtlosigkeit die amerikanische Journalistik ihre höchste Errungenschaft, die Preßfreiheit, verdankt.

Als nach der glücklichen Beendigung des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs deutsche Einwandrer wieder in größerer Zahl eintrafen, stieg natürlich auch das Bedürfnis für in deutscher Sprache gedruckte Zeitungen. Bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts bestanden ihrer in Pennsylvanien nahezu ein Dutzend. Sie verteilten sich auf die Städte Philadelphia, Germantown, Lancaster, Easton und Reading. Baltimore, Boston und New York besaßen gleichfalls deutsche Zeitungen, die einmal wöchentlich erschienen.

Eine der wichtigsten Perioden in der Geschichte der deutschamerikanischen Presse bilden die dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts, während welcher sowohl in den Städten des Ostens wie auch in den Mittelstaaten und am Mississippi zahlreiche deutsche Zeitungen entstanden, darunter mehrere, die aus bescheidenen Anfängen zu großen Tageszeitungen, ja Weltblättern, emporwuchsen.

Den Hauptanstoß zum Emporblühen der deutschamerikanischen Presse gaben die »Achtundvierziger«, jene hochgesinnten Freiheitsstreiter, von denen viele bereits im alten Vaterland literarisch und journalistisch tätig gewesen waren. Gelang es solchen politischen Flüchtlingen nicht, an einer Universität oder sonstigen Lehranstalt unterzukommen, so übernahmen sie die Leitung bereits bestehender Zeitungen oder gründeten eigne Organe, für die sie in dem starken Deutschtum willige Abnehmer fanden. Friedrich und Rudolf Lexow, Lorenz Brentano, Friedrich Hassaurek, Wilhelm Rapp, Karl Heinze, Gottfried Kellner, Oswald Ottendorfer, Johann Georg Wesselhöft, Georg Hillgärtner, Emil Pretorius, Paul Löser, Karl Dänzer, Friedrich Raine, Hermann Raster, Eduard Leyh und viele andere traten auf solche Weise in die Journalistik ein.

Diese Männer erkannten mit klarem Blick, daß die wichtigste Mission der deutschamerikanischen Zeitungen im Erfüllen der Aufgabe bestehe, die in die Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen mit den Gesetzen, Einrichtungen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zuständen des Landes vertraut zu machen, und ihnen durch Vermittlung dieser Kenntnisse die Teilnahme am amerikanischen Leben sowie das Emporkommen in geordnete, bessere Verhältnisse zu ermöglichen. Aber sie fühlten auch, daß die deutschamerikanischen Zeitungen den deutschen Einwandrern um so rascher liebe und traute Gefährten sein würden, wenn sie ihnen möglichst viel von den Vorgängen in der alten Heimat berichteten, und sie dadurch in beständiger Fühlung mit derselben erhielten.

Ein typisches Bild der Entwicklung einer deutschamerikanischen Zeitung bietet die » New Yorker Staatszeitung«. Als sie im Jahre 1834 zuerst erschien, legte sie ihr Programm in folgenden Worten dar: »Die New Yorker Staatszeitung ist, wie ihr Name besagt, hauptsächlich eine politische Zeitung, und wird es sich angelegen sein lassen, nach bestimmten und bewährten Prinzipien echt demokratisch-republikanische Ideen unter unseren Mitbürgern zu erhalten; falsche mit allem Eifer nach den Forderungen des ewigen Vernunftrechts in ihrer Unhaltbarkeit und Schädlichkeit darzustellen. Obgleich namentlich der Wohlfahrt deutschamerikanischer Bürger geweiht und deswegen auf deren Verhältnisse in den Vereinigten Staaten besonders ihre Aufmerksamkeit richtend, wird sie nicht versäumen, die Erwähnung der Tagesbegebenheiten der Alten Welt denen der Neuen anzureihen, durch Blicke auf Natur- und Kulturgeschichte, Literatur und Kunst, Gewerbe, Ackerbau, Handel und damit zusammenhängende Zweige der menschlichen Tätigkeit unter uns und anderen Völkern, den zeitigen Standpunkt aller dieser Gebiete dem Beobachter darzulegen. Sie wird zu dem schönen Ziele mitzuwirken suchen, deutsche Sprache, Sitten, Wissenschaft, Kunst und mechanische Fertigkeiten in ihrer Eigentümlichkeit, so weit in Amerika die deutsche Zunge reicht, zu erhalten und zeitgemäß weiterzubilden. Sie wird bezwecken, unsere deutschen Mitbürger durch politische und wissenschaftliche, möglichst nach männlicher Ruhe und Festigkeit strebende Aufsätze zu unterhalten und zu belehren.«

Diesem Programm ist die »New Yorker Staatszeitung« während der vielen Jahrzehnte ihres Bestehens treu geblieben. Stetes von tüchtigen Männern geleitet, alle Fortschritte im Zeitungswesen sich zunutze machend, durch Haltung und Sprache rasch das Vertrauen und die Gunst des Deutschtums gewinnend, konnte das ursprünglich vierseitige Wochenblatt sich bald in eine tägliche Zeitung verwandeln. Neben die morgens erscheinende Hauptausgabe trat später eine Abendausgabe, von denen die erste gegenwärtig in einem Umfang von 14 bis 16, die letztere in einem Umfang von 8 Seiten erscheint. Einer ihrer wertvollsten Bestandteile ist unstreitig das 32 Seiten umfassende Sonntagsblatt, welches seinen Lesern eine geradezu erstaunliche Fülle von belletristischem Unterhaltungsstoff und populär wissenschaftlichen Aufsätzen, darunter viele Originalartikel, darbietet. Die Qualität dieser Aufsätze übertrifft diejenigen der in den amerikanischen Zeitungen enthaltenen bei weitem, was hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß infolge der bis zum Sommer 1909 zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehenden mangelhaften Schutzgesetze für geistiges Eigentum die deutschamerikanischen Zeitungen in der Lage waren, ihre Auswahl kostenlos aus dem unerschöpflichen Reichtum der jenseits des Atlantischen Ozeans veröffentlichten Zeitungs- und Zeitschriftenliteratur treffen zu können.

Außer der »New Yorker Staatszeitung« bestehen in New York die » Groß New Yorker Zeitung«, der » Herold«, das » Morgenjournal«, die » Volkszeitung« und die » Brooklyner freie Presse«. In Philadelphia finden wir den » Demokrat« und die » Gazette«, in Baltimore den » Deutschen Correspondenten«. Chicago hat vier deutsche Tagesblätter, von denen die früher hochangesehene » Illinois Staatszeitung« und die » Freie Presse« in neuester Zeit miteinander verschmolzen wurden. Außer diesen erscheinen dort die » Abendpost« und die » Arbeiterzeitung«. Milwaukee besitzt den » Herold« und die » Germania«. St. Louis dominiert die » Westliche Post«. Cincinnati hat die » Westlichen Blätter« und das » Volksblatt«. In Cleveland erscheinen » Wächter« und » Anzeiger«; in San Francisco der » California Demokrat«; in Buffalo der » Volksfreund« und » Demokrat«; in New Orleans die » Neue deutsche Zeitung«; in St. Paul die » Volkszeitung«; in Minneapolis die » Freie Presse« und der » Herold«.

Der Ton der deutschamerikanischen Presse ist echt amerikanisch. Sie ist im allgemeinen stets eine treue Verfechterin der besten Einrichtungen des politischen Systems, scharf in der Kritik seiner Fehler und eine unermüdliche Kämpferin für die allgemeine Wohlfahrt, für Ordnung und persönliche Freiheit gewesen.

Zum Ruhm der deutschamerikanischen Zeitungen darf man ferner sagen, daß sie mit sehr wenigen Ausnahmen von der ekelhaften Sensationshascherei, durch welche viele amerikanische Zeitungen ihren Leserkreis zu vergrößern trachten, frei sind. Die deutschen Leiter der Blätter hielten stets an der Überzeugung fest, daß eine Zeitung höhere Pflichten habe, als ihre Leser durch allerlei, oft jeder Grundlage entbehrenden oder durch unwahre Zutaten ausgeschmückten Skandalgeschichten in beständiger Erregung zu erhalten.

Zu ihren schönsten Aufgaben zählt die deutschamerikanische Presse auch die, die guten Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland zu pflegen und für beide Teile immer segensreicher zu gestalten. Diese Aufgabe ist keineswegs leicht. Wird sie doch sowohl durch die auf wirtschaftlichem Gebiet bestehende Rivalität als auch durch unaufhörliche, gehässiger Eifersucht entspringende Hetzversuche der Londoner Presse sowie mancher direkt in englischem Solde stehender amerikanischer Zeitungen erschwert.

Die Bedeutung der deutschamerikanischen Presse für das gesamte amerikanische Kulturleben läßt sich am besten daraus erkennen, daß im Jahre 1908 in den Vereinigten Staaten über 700 Zeitungen und Zeitschriften in deutscher Sprache gedruckt wurden, darunter etwa 100 Tagesblätter, von denen mehrere Auflagen von 25 000 bis 100 000 Exemplaren besitzen.

Unter den Zeitschriften überwiegen natürlich die gewerblichen Fachblätter. Die der Belletristik gewidmeten vermochten sich nach dem Aufkommen der reich ausgestatteten und vielseitigen Sonntagsausgaben der großen Zeitungen nicht zu halten, zumal sie obendrein den Wettbewerb der amerikanischen sowie der aus Deutschland eingeführten Wochen- und Monatsschriften ertragen mußten.

An einzelnen eigenartigen Erscheinungen innerhalb der deutschamerikanischen Presse hat es nicht gefehlt. In erster Linie wäre das von dem Achtundvierziger Karl Heinzen im Jahre 1854 in Louisville, Kentucky, gegründete Wochenblatt, »Der Pionier«, zu erwähnen, eine Zeitschrift, die auf dem Felde radikalen Denkens und rücksichtslosen Kämpfens gegen Dummheit und Schlechtigkeit kaum jemals ihresgleichen hatte. Heinzen redigierte dieselbe bis zu seinem im Jahre 1880 erfolgten Tode, worauf der »Pionier« mit dem in Milwaukee erscheinenden, ähnliche Tendenzen verfolgenden »Freidenker«, verschmolzen wurde.

Außerordentlich weite Verbreitung fand seinerzeit auch der von Robert Steitzel in Detroit herausgegebene »Arme Teufel«, eine Wochenschrift, die es auf vierzehn Jahrgänge brachte. Sie war ungemein reich an in wahrhaft klassischem Deutsch geschriebenen Vorträgen, Skizzen, Schilderungen und Dichtungen, an geistsprühenden Essays und Satiren. Nach dem Tode des gleich Heinrich Heine die Welt von seinem Krankenlager, »Luginsland«, aus beobachtenden Schriftstellers ging die Zeitung ein.

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Es möge an dieser Stelle auch erwähnt werden, daß eine für die Entwicklung des Zeitungswesens in Amerika überaus wichtige Erfindung durch Deutsche nach den Vereinigten Staaten übertragen wurde. Friedrich Gottlieb Keller und Heinrich Voelter hatten in Deutschland die Entdeckung gemacht, daß aus zermalmten, in Brei verwandelten Holzfasern Papier hergestellt werden könne. A. Pagenstecher, ein hervorragender Papierhändler in den Vereinigten Staaten, ließ zwei der von Voelter erfundenen Holzmahlmaschinen in Curtisville bei Stockton, Massachusetts, aufstellen. Der erste Holzbrei wurde damit im März 1867 erzeugt. Eine nahebei gelegene Papiermühle versuchte aus diesem Brei Papier zu bereiten. Dieser Versuch verlief so befriedigend, daß die Besitzer der Mühle sofort einen Vertrag für die Lieferung alles von Pagenstecher erzeugten Holzbreis abschlossen. Es hielt anfangs schwer, die Papierfabrikanten für die neue Sache zu interessieren, da man keine Ahnung von dem fabelhaften Aufschwung hatte, den infolge dieser Erfindung und der dadurch ermöglichten Verbilligung der Papierpreise das Zeitungswesen nehmen würde. Aber die Erkenntnis brach sich dann rasch Bahn und ermöglichte sowohl die Verbilligung der Zeitungen wie die Herausgabe der großen täglichen Ausgaben, an welche niemand denken könnte, wenn man noch heute auf die alte Art der Papierbereitung aus Lumpen angewiesen wäre.

Eine zweite, für das Zeitungswesen ebenso wichtige Erfindung verdankt man dem am 10. Mai 1854 zu Mergentheim in Württemberg geborenen Ottomar Mergenthaler. Derselbe kam im Jahre 1872 nach Amerika, wo er sich zuerst in Washington, später in Baltimore mit der Herstellung feiner elektrischer Instrumente und mit Entwürfen für eine Schriftsetzmaschine beschäftigte. Die erste wurde im Jahre 1886 im Setzersaal der New Yorker »Tribune« aufgestellt, und bewährte sich als zeit- und arbeitskräftesparende Maschine so außerordentlich, daß sie sowohl in Nordamerika wie in Europa und Australien überall Eingang fand. Mit ihrer Herstellung befaßten sich in den Vereinigten Staaten die »Mergenthaler Printing Company« und seit 1891 die »Mergenthaler Linotype Company of New Jersey«. Leider wurde dem am 28. Oktober 1899 in Baltimore verstorbenen Erfinder nicht der gebührende Lohn zuteil. Es erging ihm, wie so vielen anderen, die durch das ausbeutende Kapital um den verdienten klingenden Erfolg gebracht wurden.

Ludwig Johann Rudolf Agassiz.

Deutsche Gelehrte in den Vereinigten Staaten.

Bedürfte die »Internationalität der Wissenschaft« eines Beweises, so gibt es keinen schlagenderen, als die überraschend große Zahl deutscher Gelehrter, die an dem Aufbau und der Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens in den Vereinigten Staaten beteiligt waren und noch beteiligt sind. Mit den Namen solcher Männer, die hier in den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft tätig waren und auf das Geistesleben des amerikanischen Volkes befruchtend wirkten, könnte man Seiten füllen.

Den ersten in Amerika auftretenden Pionieren deutscher Wissenschaft, Augustin Herrman, Johann Lederer, Franz Daniel Pastorius und David Rittenhausen reihten sich im 18. und 19. Jahrhundert zahllose andere an, von denen viele in ihren speziellen Fächern Vortreffliches leisteten, ja, insofern Amerika in Betracht kommt, die Bahnbrecher waren.

Der erste Entomologe Amerikas war Friedrich Valentin Melsheimer (1749 bis 1814), ein lutherischer Pfarrer in Pennsylvanien. Er veröffentlichte das erste Verzeichnis der im Osten der Vereinigten Staaten vorkommenden Insekten. Sein Bruder Friedrich Ernst Melsheimer schrieb ein großes Werk über die Käfer Nordamerikas. Mitarbeiter an diesem Werk war der Deutschpennsylvanier Samuel Haldeman, welcher sich später durch ähnliche Werke über die Süßwassermollusken Amerikas auszeichnete.

Der erste Forscher, welcher die Fische der amerikanischen Gewässer wissenschaftlich untersuchte, war der Regimentsarzt David Schoepf, der mit den im britischen Heer dienenden deutschen Hilfstruppen nach Amerika kam. Nach Beendigung des Kriegs blieb er noch ein Jahr im Lande, um die in der Bai von New York vorkommenden Fische zu studieren, von welchen er ein beschreibendes Verzeichnis lieferte.

Als erster deutschamerikanischer Botaniker gilt der lutherische Pastor Gotthilf Heinrich Ernst Mühlenberg (1753 bis 1815). Er veröffentlichte über die Flora Pennsylvaniens mehrere wichtige Werke. Der Arzt Georg Engelmann, einer jener »lateinischen Farmer«, die sich im Stromgebiet des Mississippi ansiedelten, beschrieb die noch unerforschte Flora des Westens, wobei er weite Reisen durch Missouri, Arkansas, Louisiana und Texas unternahm. Die Ergebnisse seiner mit größter Sorgfalt angestellten Studien veröffentlichte er in zahlreichen Monographien und fachwissenschaftlichen Zeitschriften. Von bleibendem Wert sind seine Untersuchungen über die Struktur der Kakteen, Euphorbien und Koniferen. Welchen Fleiß er entwickelte, ergibt sich aus einem Verzeichnis seiner Schriften, von denen C. S. Sargent in der »Botanical Gazette« vom Mai 1884 nicht weniger als 112 aufzählte. Die Gelehrtenwelt zollte dem verdienstvollen Forscher reiche Anerkennung. Seine amerikanischen Fachgenossen setzten ihm ein dauerndes Denkmal, indem sie außer mehreren neuen Pflanzengeschlechtern eine der herrlichsten Fichten der Felsengebirge »Albis Engelmanni« tauften.

Die Flora des Staates Texas wurde durch Ferdinand Jakob Lindheimer erschlossen, einen Studenten der Universität Jena, welcher vor den Verfolgungen der reaktionären deutschen Regierungen nach Amerika geflohen war. Er schlug seinen Wohnsitz in dem texanischen Städtchen Neu-Braunfels auf, von wo er zahlreiche Forschungsreisen in die noch unbekannten Wildnisse von Texas unternahm. Auch seinen Namen ehrten spätere Forscher, indem sie ihn mehreren von Lindheimer entdeckten Pflanzen als Beinamen zufügten.

Ein Freund und Studiengenosse der beiden obengenannten, Friedrich Adolf Wislizenus, erwarb sich große Verdienste um die Erforschung der Flora und Geologie der Felsengebirge. Ferner machten sich die Deutschamerikaner David von Schweinitz, Johann Nepomuk Neumann, Wangenheim, Rafinesque, Menzel, Schott, Friedrich, Fendler, Salm, Römer, Creutzfeld, Bolander, Geyer, Hilgard, Link, Kramer, Scheer, Poselger, Franser, Berland, Hoffmannsegg, Schrank, Höpf, Heyder, Deppe, Pfeiffer, Klotsch, Rothrock, Seubert, Hartweg, Kuhn, Metzger, Horkel und andere als tüchtige Botaniker bekannt.

Gerhard Troost, ein Zögling der berühmten Bergschule zu Freiberg in Sachsen, gebührt der Ruhm, der erste Gelehrte gewesen zu sein, welcher in Amerika Vorlesungen über Geologie und Mineralogie hielt. Von 1810 bis 1827 wirkte er als Professor der Mineralogie am Museum zu Philadelphia. Er war auch einer der Gründer und der erste Präsident der »Academy of Science«. Später siedelte er nach Nashville in Tennessee über und bekleidete den Posten eines Staatsgeologen. Er soll der Erste gewesen sein, welcher seine Wissenschaft praktisch verwertete, indem er auf Kap Sable in Maryland eine chemische Fabrik, die erste in den Vereinigten Staaten, anlegte.

Sein Berufsgenosse Karl Rominger erforschte als Staatsgeologe von Michigan in jahrelangen Wandrungen beide Halbinseln jenes Staates. Sein vier stattliche Bände umfassender Bericht erschien in den Jahren 1873 bis 1881.

Seinem ganzen Entwicklungsgang nach gehört auch der im Jahre 1807 im schweizerischen Kanton Freiburg geborene Naturforscher Ludwig Johann Rudolf Agassiz zu den Deutschamerikanern. Erhielt er doch seine wissenschaftliche Ausbildung auf den Universitäten Zürich, Heidelberg und München, sowie als Schüler und Mitarbeiter der berühmten deutschen Gelehrten Oken, Schelling, Döllinger, Spix und Martius. Von letzterem wurde er mit der Beschreibung der Fische für sein großes südamerikanisches Reisewerk betraut. Agassiz' Name hatte in der Gelehrtenwelt bereits einen guten Klang, als er im Jahre 1846 im Auftrag des Königs von Preußen die Vereinigten Staaten besuchte. Seine hier gehaltenen Vorträge machten so tiefen Eindruck, daß die Harvard-Universität ihm die Professur für Zoologie und Geologie anbot. Er nahm dieselbe an und bekleidete sie bis 1873. Der Staat Massachusetts unterstützte seine Bestrebungen, indem er die Mittel zur Gründung des großartigen Naturgeschichtlichen Museums zu Cambridge bewilligte, welches überraschend schnell zum wichtigsten Amerikas emporblühte. Agassiz war unermüdlich tätig. Nach zahlreichen Forschungsreisen durch Nordamerika unternahm er im Jahre 1865 eine großartige Expedition in das Gebiet des Amazonenstroms. Dieser folgte später eine zweite zum Golf von Mexiko und den kalifornischen Küstengewässern, wobei er, von zahlreichen Assistenten unterstützt, ausgedehnte Tiefseeforschungen ausführte. Die ungemein reichen Ergebnisse dieser Expedition veröffentlichte Agassiz in viel gelesenen Werken, von denen mehrere, wie z. B. »A Journey in Brazil« zahlreiche Auflagen erlebten.

Eines der größten Verdienste Agassiz' besteht darin, daß er das Interesse des Amerikanertums für naturwissenschaftliche Forschungen mächtig belebte. Seine Darstellungsweise in Wort wie in Schrift nahm unwiderstehlich gefangen und begeisterte Leser und Hörer zu ansehnlichen Opfern. So empfing Agassiz die Mittel zur Anlage einer Station zur Beobachtung der Meeresfauna von einem reichen New Yorker, der ihm zu diesem Zweck 50 000 Dollar sowie die an der Ostküste gelegene Insel Penikese schenkte. Ein anderer Gönner stiftete für den gleichen Zweck eine mit allen Hilfsmitteln zur Tiefseeforschung ausgerüstete Jacht.

Einen hervorragenden Mitarbeiter besaß Agassiz in dem mit ihm nach Amerika übersiedelten Grafen Ludwig Franz von Pourtales (geb. 1823 in Neuchatel). Derselbe war, wie in einer Biographie des Grafen hervorgehoben wird, »in der Jugend Agassiz' Lieblingsschüler, während des langen wirksamen Lebens sein treuer Freund und Genosse, und die Stütze seiner im Alter nachlassenden Kraft.«

Nach Agassiz' Tode übernahm Pourtales auch die Leitung des Naturhistorischen Museums und stand demselben bis zu seinem eigenen Ableben vor. Pourtales' Andenken lebt in der Wissenschaft als das eines der ersten Pioniere der Tiefseeforschung. Hauptsächlich widmete er sich der wissenschaftlichen Begründung des Golfstroms und seines erstaunlich reichen Lebens.

Agassiz' Sohn Alexander, geboren 1835 in Neuchatel, steht dem Zoologischen Museum zu Cambridge seit 1902 vor. Die von seinem Vater in Südamerika begonnenen wissenschaftlichen Forschungen setzte er in erfolgreichster Weise fort. Sein Werk »Explorations of Lake Titicaca« machte ihn in weiten Kreisen bekannt.

Mehrere deutsche Gelehrte beteiligten sich auch an den von der amerikanischen Regierung ausgesendeten Forschungsexpeditionen und bearbeiteten die wissenschaftlichen Ergebnisse derselben. Unter ihnen finden wir den Stuttgarter Arthur Schott, den Heidelberger Emil Bessels und andere. Schott gehörte jener wissenschaftlichen Kommission an, welche im Jahre 1852 die Vermessung der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko vornahm. Bessels war wissenschaftlicher Leiter der berühmten »Polaris-Expedition« unter Charles Francis Hall, welche im Jahre 1871 durch den Smith Sund und den Kennedy-Kanal in völlig unbekannte arktische Gebiete führte. Nach dem Tode Halls und dem Untergang der »Polaris« rettete Bessels einen Teil der Mannschaften sowie die wissenschaftlichen Aufzeichnungen auf eine mächtige Eisscholle, von welcher die Schiffbrüchigen nach einer 196tägigen schrecklichen Reise von dem Dampfer »Tigress« aufgenommen wurden. Eine zweite, im Auftrag der Regierung unternommene Expedition, welcher Bessels wiederum als wissenschaftlicher Leiter vorstand, scheiterte an der Küste von Vancouver Island. Bessels Hauptwerk bildet das drei Bände umfassende Buch über die Polaris-Expedition.

Die neueste Zeit konnte den Namen dieser Pioniere der Naturwissenschaft zahlreiche andere hinzufügen, wie z. B. diejenigen des Paläontologen Timothäus Conrad, des Biologen Georg Eugen Beyer, des Ornithologen Franz Nehrling, der Zoologen Karl H. Eigenmann, Arnold Ortmann, der Entomologen Georg H. Horn, E. A. Schwarz, Otto Lugger, Hermann von Bahr, Hermann Strecker, A. Hagen, William Beutenmüller, Henry Ulke, der Geologen Eugen Waldemar Hilgard, Georg Ferdinand Becker, Karl Schuckert, Rudolf Rüdemann und George Frederick Kunz. Der letzte lieferte in seinem Buch »Gems and precious stones of North America« die erste Übersicht über die Edelsteine Nordamerikas. Im Jahre 1906 schuf er in seinen, in nur 100 Exemplaren gedruckten »Investigations and Studies in Jade« ein Monumentalwerk von ungewöhnlicher Kostbarkeit. Es enthält eine mit zahlreichen Farbentafeln und Radierungen geschmückte Beschreibung der herrlichen Jadeit-Sammlung, die von dem Amerikaner H. Bishop in vielen Jahren zusammengebracht wurde und sich jetzt im Besitz des »Naturhistorischen Museums der Stadt New York« befindet. Ein drittes von Kunz verfaßtes, ungemein reich ausgestattetes Werk ist das im Jahre 1908 in New York erschienene »Book of the Pearl«.

Auch auf den weiten Gebieten der Altertums- und Völkerkunde leisteten deutschamerikanische Gelehrte Bedeutendes. Als Archäologen machten sich Philipp Valentini, Karl Hermann Berendt, Gustav Brühl und der lange Jahre mit dem »Smithsonian Institute« zu Washington verbundene Karl Rau bekannt.

Auch der Name des im Jahre 1840 zu Bern geborenen Adolf Franz Bandelier hat einen ausgezeichneten Klang. Im Auftrag des »Archäologischen Instituts von Amerika« und des »Naturgeschichtlichen Museums zu New York« durchforschte Bandelier jahrzehntelang Neu-Mexiko, Arizona, Mexiko, Zentralamerika, Peru und Bolivia. Seine dabei gewonnenen Beobachtungen und Schlüsse führten förmliche Umwälzungen in den die ältere Geschichte jener Länder betreffenden Anschauungen herbei.

Auf dem von Bandelier mit so großem Glück bearbeiteten Gebiete ist auch der 1856 in Dresden geborene, später an der Universität von Kalifornien und jetzt als Direktor des Museums zu Lima, Peru, angestellte Archäologe Friedrich Max Uhle tätig. Seinem Eifer verdankt die Wissenschaft gleichfalls manche neue Aufschlüsse. Uhle lieferte den Text zu dem großen, in Deutschland veröffentlichten Prachtwerk »Kultur und Industrie südamerikanischer Völker nach den im Besitz des Museums für Völkerkunde zu Leipzig befindlichen Sammlungen«, Berlin 1887; desgleichen beteiligte er sich an dem Monumentalwerk A. Stübels über »Die Ruinenstätte von Tiahuanaco«, Breslau 1892.

Mit dem Studium der lebenden Indianer befaßten sich als erste bereits im 18. Jahrhundert die Herrnhuter Missionäre David Zeisberger und Johann Heckewelder. Ihre Aufzeichnungen über die Stämme im oberen Stromgebiet des Ohio sind für den Freund der Völkerkunde wahre Fundgruben. Dasselbe läßt sich von den Werken des katholischen Missionars Friedrich Baraga sagen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter den Ottawas, Pottawatomies und Chippewas lebte und außer Lehr- und Wörterbüchern der Sprachen jener Stämme eine wertvolle Darstellung ihrer Sitten und Gebräuche hinterließ.

Dem im Jahre 1809 in Dresden geborenen, in New York verstorbenen Advokaten Hermann Ernst Ludewig verdankt man das großartig angelegte bibliographische Werk »The Literature of American Aboriginal Languages«. Mit Zusätzen des Professors M. W. Turner in Washington versehen, erschien es nach dem Tode Ludewigs 1858 in London. Das Buch enthält literarische Nachweise über die Geschichte, Sprache, Religion und Sitten von mehr als tausend Indianerstämmen.

Die größte Anerkennung für seine Leistungen auf dem Gebiet der amerikanischen Linguistik gebührt aber dem 1832 im Kanton Bern geborenen Albert S. Gatschet, welcher viele Jahre mit dem in Washington begründeten »Bureau of American Ethnology« verbunden war und als der bedeutendste Kenner nordamerikanischer Indianersprachen galt.

Gleichfalls auf linguistischem und ethnologischem Gebiet betätigte sich der im Jahre 1858 in Minden geborene Franz Boas. Nachdem er sich zuerst durch ausgedehnte Forschungen unter den Eskimos von Baffin Land vorteilhaft bekannt gemacht hatte, verlieh er später als Urheber und Leiter der vom »Naturhistorischen Museum der Stadt New York« ausgerüsteten »Jesup-Expedition« seinem Namen einen Klang, der in der Geschichte der ethnographischen Forschung nie verhallen wird. Jene, im Frühling 1897 anhebenden, eine Reihe von Jahren hindurch fortgesetzten Expeditionen verfolgten den Zweck, die so wichtige Frage der Beziehungen zwischen den Ureinwohnern Asiens und Amerikas ihrer Lösung näherzubringen. Die außerordentlich reichen Ergebnisse dieser von Professor Boas, Harlan Smith, James Teit, Gerhard Fowke und Livingstone Farrand an der Nordwestküste Nordamerikas, von Waldemar Bogoras, W. Jochelsen und L. Sternberg in Sibirien, und von Berthold Laufer am Amur und in China ausgeführten Forschungsreisen sind in zahlreichen, vom »Naturhistorischen Museum zu New York« veröffentlichten Monographien niedergelegt. Insgesamt bilden diese ein stolzes Monumentalwerk, wie deren die amerikanische Wissenschaft nur wenige aufzuweisen hat.

Von den Schülern Boas' tat sich der Deutschamerikaner Alfred L. Kroeber durch gediegene Arbeiten über verschiedene Indianerstämme, besonders diejenigen Kaliforniens, hervor.

William S. Hoffmann, ein Deutschpennsylvanier, schrieb wertvolle Monographien über die Menomoni-Indianer und die bildlichen Darstellungen der Eskimo. Beide Werke kamen in den Jahrbüchern des »Bureau of American Ethnology« und des »Smithsonian Institute« zum Abdruck.

Als wissenschaftlicher Leiter der im Jahre 1888 von der Universität von Pennsylvanien veranstalteten Expedition nach Babylonien, die bei der Aufdeckung der Ruinen von Nippur so glänzende Ergebnisse erzielte, machte sich Hermann V. Hilprecht bekannt.

Für hervorragende Leistungen auf staatswissenschaftlichem Gebiet sind die Vereinigten Staaten in erster Linie dem am 15. März 1798 in Berlin geborenen Franz Lieber zu tiefstem Dank verpflichtet. Dieser in jeder Beziehung ungewöhnliche Mann ging gleich vielen anderen jungen Gelehrten seinem Vaterlande durch die Verfolgungen der reaktionären deutschen Regierungen verloren. Er kam am 20. Juni 1827 in New York an, von wo er sich nach Boston wandte. Seine erste größere literarische Arbeit bestand in der Herausgabe der »Encyclopaedia Americana«, eines dreizehn Bände umfassenden amerikanischen Konversationslexikons, dem das berühmte in Leipzig herausgegebene Brockhaussche Konversationslexikon zugrunde lag. Die Arbeit war eine sehr umfangreiche, da viele nur den deutschen Leser interessierende Abschnitte gekürzt oder ausgelassen und ebenso viele amerikanische Artikel neu geschrieben und eingefügt werden mußten. Daß dabei ein starker Hauch deutschen Geistes in dieses Werk und durch dasselbe in das Amerikanertum hineinwehte, kann nicht bestritten werden.

Im Jahre 1835 erhielt Lieber einen Ruf als Professor der Geschichte und Volkswirtschaft an die Hochschule zu Columbia in Südkarolina. Hier lehrte er zwei Dezennien lang. Als er wegen seiner offen bekundeten Abneigung gegen die Sklaverei diese Stelle verlor, folgte er im Jahre 1857 einem Ruf an das »Columbia College« der Stadt New York, wo er bis zu seinem im Jahre 1872 erfolgenden Tode eine Professur für Geschichte, Nationalökonomie und politische Wissenschaften bekleidete.

Franz Lieber.

Liebers große Werke entstanden in Südkarolina. Als erstes erschien im Jahre 1838 das »Manual of Political Ethics«, ein Handbuch der politischen Sittenlehre, welches der berühmte Jurist Story als die bei weitem vollständigste und beste Abhandlung bezeichnete, die je über die Formen und Zwecke einer Regierung geschrieben worden sei.

Lieber verwirft in diesem Buch die Lehre vom Gottesgnadentum der Herrscher als eine unchristliche und unmoralische. Sie zu verbreiten, sei positives Unrecht. Dem Menschen sei der Begriff von Recht und Unrecht von Gott eingegeben. Es sei daher Aufgabe der reinen oder abstrakten Sittenlehre, die Pflichten des Menschen gegen sich selbst und seinen Schöpfer sowie die daraus entstehenden Rechte festzustellen. Wenn dies geschehen, so wäre es Aufgabe der praktischen Staatswissenschaft, zu lehren, wie diese Rechte am besten gesichert werden könnten. Den Begriff »Staat« erklärt Lieber dahin, derselbe sei eine Rechtsgemeinschaft oder Rechtsgesellschaft. Wie die Liebe das Grundprinzip der Familie und der Glaube das Grundprinzip der Kirche bilde, so sei dasjenige des Staates das Recht. Die Souveränität des Staates beruhe in der Gesellschaft. Diese stelle den Gesamtwillen und die Gesamtkraft dar. Eine Ansiedlerkolonie auf einer Südseeinsel, abgesondert von jeder anderen menschlichen Gesellschaft, besitze ebensowohl Souveränität wie irgendein anderes Volk und könne mit demselben Recht Einrichtungen treffen und Gerichtsbarkeit ausüben. Die Aufgabe des Staates bestehe in der Förderung der jeweilig erlaubten Lebenszwecke des Volkes, und zwar vom einzelnen bis zur Gesellschaft. Weiter verbreitet sich Lieber über die ethischen und philosophischen Grundlagen des Staates, die öffentliche Meinung, die Vereine und Gesellschaften, die politischen Parteien, das Stimmrecht, die Preßfreiheit, die Stellung der Frauen, die Pflichten der Volksvertreter, Richter und Beamten, über Patriotismus, friedliche Opposition und Revolution, Demagogie und viele andere Themata. Die Grundnote des Buches lautet: »Kein Recht ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte!«

Liebers zweites bedeutendes Buch erschien im Jahre 1839 unter dem Titel »Legal and Political Hermeneutics«, Grundsätze zur Auslegung der bürgerlichen und politischen Gesetze. Bei der Besprechung dieser Themata entwickelte Lieber viele neue, überraschende Gedanken. Der Buchstabenvergötterung durchaus abhold, bestand er darauf, daß der einem Schriftstück, einer Urkunde innewohnende wahre Sinn für die Auslegung maßgebend sein solle. Nur wo es sich um die Rechte des einzelnen gegenüber der Gesamtheit handle, wie besonders in der Strafgesetzgebung, sei peinlich genaue Auslegung am Platze. Zur Begründung seiner Ansicht gibt Lieber viele praktische, auf vorkommende Fälle anwendbare Regeln.

Im Jahre 1853 vollendete Lieber sein drittes großes Werk: »On Civil Liberty and Self-Government«, »Über bürgerliche Freiheit und Selbstregierung«. Dasselbe stellt sich die Aufgabe, durch Vergleich der in England, Frankreich und anderen Ländern gültigen Freiheitsbegriffe nachzuweisen, welche Vorbedingungen, Maßnahmen und Einrichtungen zur Erzielung und dauernden Begründung gesetzlicher bürgerlicher Freiheit notwendig seien. Lieber bezeichnet die amerikanische Freiheit als eine Fortsetzung, zugleich aber auch als eine bedeutende Erweiterung der englischen Freiheit. Dabei behandelt er sehr eingehend die die Grundlagen der englischen und amerikanischen Freiheit bildenden Einrichtungen, das Geschworenensystem, die repräsentative Regierung, das Common Law, die Selbstbesteuerung, die Unterordnung der bewaffneten Macht unter die Gesetzgebung, die republikanische Bundesordnung, die Trennung von Staat und Kirche, die gesetzgebenden Körperschaften, die Wahl der Beamten, die Verfassungsurkunden, das Bürgerrecht und vieles andere mehr.

Der Einfluß, den Lieber durch diese Werke auf das gebildete und gelehrte Amerikanertum ausübte, war ungeheuer. Besonders da viele Professoren, welche an den amerikanischen Universitäten über Staats- und Rechtswissenschaft unterrichteten, ihren Studenten die Werke Liebers als Lehrbücher verordneten. Aber auch nach andrer Richtung hin übte Lieber nachhaltigen Einfluß auf die studierende Jugend. Der Einladung folgend, vor den Studenten der Miami-Universität eine Ansprache zu halten, schrieb er im Jahre 1846 die kurze Abhandlung »The Character of the Gentleman«, ein Essay, von welchem Professor Hatfield von der Northwestern University sagte, »es verdiene, mit goldenen Buchstaben gedruckt zu werden«.

Daß der rege Geist Liebers auch zu den wichtigen Fragen Stellung nahm, die zur Zeit des Bürgerkriegs das ganze Land bewegten, bedarf kaum der Betonung. Seine Flugschriften »Lincoln or McClellan«; »No party now, all for our Country«; »Slavery Plantations and the Yeomanry« usw., in denen er die unbedingte Aufrechterhaltung der Union, die kräftige Unterstützung der Bundesregierung sowie die Abschaffung der Sklaverei forderte, fanden durch die »Loyal Publication Society« weite Verbreitung.

Auf Anregung des Präsidenten Lincoln verfaßte er ferner »Instructions for the Government of Armies of the United States in the field«. Dieselben wurden vom Kriegsministerium gedruckt und als »Generalbefehl No. 100« allen Stabsoffizieren als Richtschnur zugestellt. Sie bilden die erste Kodifizierung des humanen Kriegsrechts. Aus ihm schöpfte Bluntschli den großen Gedanken, das ganze moderne Völkerrecht in bestimmte Formen zu bringen. Im Jahre 1867 schrieb Lieber das derselben Idee dienende Werkchen »Nationalismus und Internationalismus«. Er schließt mit den Worten: »Die zivilisierten Nationen sind dahin gekommen, eine Völkergemeinschaft zu bilden, in den Schranken und unter dem Schutz des Vigore Divino herrschenden Völkerrechts. Sie ziehen den Streitwagen der Zivilisation nebeneinander, wie im Altertum die Rosse den Siegeswagen zogen.«

Noch als 70jähriger Greis beschäftigte Lieber sich mit einem großen Werk über den Ursprung und die Grundzüge der Verfassung der Vereinigten Staaten. Es blieb unvollendet, denn am 2. Oktober 1872 wurde er mitten in dieser Arbeit vom Tode abberufen.

Liebers hohe Bedeutung ergibt sich am klarsten aus den begeisterten Urteilen seiner gleiche Bahnen wandelnden Berufs- und Zeitgenossen. Andrew D. White, damals Präsident der Cornell-Universität zu Ithaka, nannte ihn »einen Staatsphilosophen der edelsten Art«. Englische Kritiker stellten ihn Montesquieu zur Seite; Holtzendorff bezeichnete ihn als »einen Höhepunkt politischer Weltbildung, in welchem alle Geisteskräfte altklassischer Kultur, italienischer Kunstsinnigkeit, deutscher Wissenschaft, englischer Freiheitsliebe und amerikanischer Unabhängigkeit zur Einheit verschmolzen waren«. Er habe das seltene Bild eines auf allen Stufen seines Lebens rein erhaltenen Charakters dargeboten, dessen Wirken in der Pflege der höchsten sittlichen Interessen innerhalb der Rechtsformen des modernen politischen Lebens bestand. Und Professor J. T. Hatfield von der Northwestern-Universität zu Evanston, Illinois, schrieb: »Der Einfluß dieses großen Deutschen ist für mehr denn eine Generation des jungen Amerikanertums von unschätzbarem Wert gewesen. Lieber muß als der Begründer der politischen Wissenschaften in den Vereinigten Staaten betrachtet werden, als der Mann, welcher das feste Fundament legte, auf dem alle künftigen Geschlechter sicher bauen können. Er verband tiefes philosophisches Denken mit praktischem Sinn. Als Theoretiker war er ein Deutscher; an politischer Weisheit ein Engländer; im Herzen und im Leben aber durch und durch Amerikaner im vollsten Sinne des Worts.«

Liebers Sohn, Norman, geboren 1837 in Columbia, Südcolumbia, lebt seit vielen Jahren als juristischer Berater des Kriegsministeriums zu Washington. Er ist Urheber der wichtigen Werke: »The use of the army in the aid of the civil power«, und »Remarks on the Army Regulations«, welche gewissermaßen Fortsetzungen der von seinem Vater stammenden »Instructions« bilden.

Das von Lieber geplante Werk über die Verfassung der Vereinigten Staaten wurde später von dem Deutschlivländer Hermann Eduard von Holst, einem ehemaligen Professor der Universität zu Strasburg und Freiburg, geschrieben. Derselbe lehrte zuerst an der Johns Hopkins-Universität zu Baltimore, später an der Universität zu Chicago. Seine Hauptwerke sind »Verfassung und Demokratie der Vereinigten Staaten von Nordamerika« und »The Constitutional Law of the United States of America«. Das erstgenannte Werk erschien in englischer Übersetzung unter dem Titel »Political History of the United States, 1750 bis 1833« (5 Bände, Chicago, 1876 bis 1885).

Einem anderen Deutschen, Karl Gustav Rümelin, verdanken wir das bedeutende Buch »Treatise on Politics as a Science«, welches im Jahre 1875 in Cincinnati erschien.

Bedeutende nationalökonomische Werke schrieben Friedrich List (»Outlines of a new System of Political Economy«, Philadelphia 1827); ferner Johann Tellkampf (»Political Economy«, 1840). Im Verein mit seinem Bruder, dem Mediziner Theodor Tellkampf, veröffentlichte Johann Tellkampf ein wertvolles Werk (»Über die Besserungsgefängnisse in Nordamerika und England«, Berlin 1844). In neuerer Zeit wirkten auf nationalökonomischem Gebiet der in New York geborene E. R. Seligman, Professor an der Columbia-Universität zu New York, und der in St. Louis geborene Frank William Taussig an der Harvard-Universität. Der letzte ließ die Werke »Wages and Capital«, »Tariff History of the United States« und »The Silver situation in the United States« erscheinen.

Unter den sehr zahlreichen Theologen deutscher Abstammung war besonders Ernst Ludwig Hazelius ein eifriger Forscher. Er schrieb eine vier Bände umfassende »Church History« (New York 1820 bis 1824); sowie eine »History of the American Lutherian Church, from its commencement in 1865 to 1842« (Zanesville, Ohio, 1846), welche einen äußerst wichtigen Beitrag zur Geschichte des Deutschtums in den Vereinigten Staaten bildet.

Philipp Schaff verfaßte die Werke: »The Principles of Protestantism«, 1845; »America, its political, social and religious character«, 1855; »History of Ancient Christianity«, 1860; »Slavery and the Bible« und andere mehr.

Zu den bedeutenderen theologischen Schriftstellern zählen ferner Wilhelm Nast, Maximilian Örtel, S. S. Schmucker, L. F. Walther und manche andere.

Ein sehr fruchtbarer Gelehrter war auch der Deutschösterreicher Franz Joseph Grund, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Professor der Mathematik an der Universität Harvard lehrte. Außer verschiedenen Lehrbüchern schrieb er »The Americans in their social, moral and political relations«, 1837; ferner »Aristocracy in America«, 1839.

Unter den in den Vereinigten Staaten wirkenden deutschen Philologen waren zunächst Georg Adler (geboren 1821 in Leipzig) und Alexander Jakob Schem (geboren 1826 in Wiedenbrück, Westfalen) von Bedeutung. Der erste war Professor der deutschen Sprache an der Universität zu New York. Außer zahlreichen trefflichen Lehrbüchern verfaßte er ein großes Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache. Schem betätigte sich besonders als Enzyklopädist. Außer vielen Beiträgen für verschiedene amerikanische Sammelwerke verfaßte er ein »Deutsch-Amerikanisches Konversationslexikon«, welches 1873 in elf großen Bänden erschien und durch seine vielen Angaben über hervorragende deutschamerikanische Persönlichkeiten und deren Leistungen besonders für die Geschichte des deutschen Elements in den Vereinigten Staaten von Wert ist.

Nach Hunderten zählen die hervorragenden deutschen und deutschamerikanischen Gelehrten, welche als Philologen, Philosophen, Mathematiker, Chemiker oder in anderen Fächern an amerikanischen Universitäten wirkten und noch wirken. Manche gewannen durch ihre Erfolge und fachwissenschaftlichen Werke angesehene Namen. Ich nenne beispielsweise Karl Follen, Karl Beck, Georg Blättermann, Oswald Seidensticker, Johann Lutz, Maximilian Schele, Johann M. Schäberle, Isaak Nordheimer, Bernhard Rölker, Karl Günther von Jagemann, August Friedrich Ernst, Wilhelm Baer, Karl Raddatz, Karl Kreutzer, Louis Agricola Bauer, H. G. Brandt, F. A. Rauch, Hermann Collitz, Albert Faust, Oskar Bolza, Adolf Gerber, Julius Göbel, Georg Hench, A. R. Hohlfeld, J. Hanno Deiler, Hermann Schönfeld, Ludwig und Bernhard Steiner, Wilhelm Rosenstengel, Otto Heller, Heinrich Raab, Gustav Karsten, H. K. Becker, Kuno Francke, Hugo Münsterberg und manche andere.

Unter den von diesen Gelehrten verfaßten Werken sind Maximilian Scheles »Romance of American History«; Kuno Franckes »Social Forces in German Literature«; desselben Verfassers »History of German Literature« sowie Münsterbergs »American traits from the point of view of a German«; »Die Amerikaner« und »Aus Deutsch-Amerika« hervorzuheben.

Eines der Hauptverdienste der in Amerika wirkenden deutschen Gelehrten besteht unstreitig darin, daß sie in das wissenschaftliche Leben Amerikas deutschen Ernst und deutsche Gründlichkeit einführten, zwei Dinge, die für die wahre Wissenschaft so unendlich viel bedeuten. »Deutsche Gründlichkeit«, so sagte Professor Ira Remsen, Präsident der John Hopkins-Universität zu Baltimore, »ist ein oft gebrauchter Ausdruck. Für den Gelehrten bedeutet er viel. Welche andere Eigenschaften Gelehrsamkeit immer haben mag, so zählen sie doch wenig ohne Gründlichkeit. Fragte man mich, was amerikanische Wissenschaft Deutschland in erster Linie verdankt, so würde ich ohne Zögern antworten, daß es mehr als alles andere die Tugend der Gründlichkeit sei.«

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Ist der Anteil der in die Vereinigten Staaten eingewanderten deutschen Gelehrten an dem Aufbau und der Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens Amerikas zweifellos ein ungeheurer, so ist damit aber der Einfluß der deutschen Wissenschaft auf die amerikanische bei weitem nicht erschöpft.

Die zündenden Funken aus den Schriften Fichtes, Kants, Schellings, Goethes, Schillers, Humboldts fanden ihren Weg über den Ozean und regten Tausende von begeisterten amerikanischen Studenten zu Reisen nach Deutschland an, um auf den dortigen Universitäten ihre Ausbildung zu vollenden. Zu den ersten, die sich zu solchen Studienreisen entschlossen, gehören die Historiker George Bancroft und George Ticknor. Der erste zählte zu den Schülern des berühmten Geschichtsprofessors Arnold Ludwig Heeren in Göttingen, der zweite zu den Schülern Beneckes.

Zur gleichen Zeit besuchten Everett, Woolsey, Felton, Lowell, Motley, Longfellow deutsche Hochschulen. Die Aufsätze, welche sie über Land, Volk, Erziehungswesen und deutsche Literatur in amerikanischen Monatsschriften veröffentlichten, sowie der Charakter vieler ihrer größeren Werke bekunden, wie tief sie aus dem Quell deutschen Geisteslebens schöpften.

Andere junge Amerikaner saßen zu Füßen der großen Gelehrten von Guericke, Siemens, Bunsen, Liebig, Wöhler, Fresenius, Gauß, Weber, Helmholtz, Clausius, Wollny, Fraunhofer, Hellriegel, Ostwald, Sachs, Grimm, Werner, von Buch, Virchow, Häckel, Röntgen und Koch, um später die dem Geist, der Freiheit und dem Wesen der deutschen Wissenschaft entsprossenen Edelreise in die eigene Heimat zu übertragen. Durchschnittlich belief sich die Zahl der an deutschen Universitäten studierenden Amerikaner während der letzten Jahrzehnte auf 300 bis 500 pro Jahr.

Welche Summe von Anregungen die amerikanische Wissenschaft durch den Austausch und Bezug wissenschaftlicher Fachliteratur aus Deutschland empfing, läßt sich wohl ahnen, aber nicht in irgendeiner Form feststellen.

Der Einfluß des deutschen Ärztetums auf die amerikanische Heilkunde.

Für die Einwandrung deutscher Ärzte in Amerika lassen sich zwei Hauptperioden unterscheiden: der Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges und das Jahr 1848. Sämtliche Regimenter deutscher Hilfstruppen, die während des Unabhängigkeitskriegs von den Briten und Franzosen nach Nordamerika gebracht wurden, waren von tüchtigen deutschen Ärzten und Chirurgen begleitet. Viele derselben lernten während ihres jahrelangen Verweilens Land und Leute so lieben, daß sie nach Beendigung der Feldzüge entweder in das amerikanische Heer eintraten oder sich in den Städten niederließen, wo die meisten infolge ihrer Geschicklichkeit rasch das Vertrauen der Bevölkerung gewannen. Einzelne in so hohem Grade, daß ihr Andenken sich für Generationen erhielt. So wurde beispielsweise erst vor wenigen Jahren in Schenectady, New York, dem Gedächtnis des deutschen Arztes von Spitzer, dem Generalarzt bei den revolutionären Streitkräften der Kolonie New York, ein Denkmal gesetzt.

Ein anderer berühmter deutscher Arzt war der Preuße C. F. Wiesenthal. Er soll eine Zeitlang Leibarzt Friedrichs des Großen gewesen sein. Im Jahre 1776 stand er als Oberstabsarzt bei den Truppen von Maryland. Später gründete er in Baltimore die »Medizinische Schule des Staates Maryland«. Dieselbe wurde von seinem Sohne Andrew fortgeführt, bis sie von der medizinischen Fakultät der Universität von Maryland abgelöst wurde.

An der Spitze dieser Fakultät standen gleichfalls mehrere hervorragende deutsche Gelehrte: Johann Thomas Schaaf, Jakob Schnively und Peter Waltz. Samuel Becker war der Begründer der medizinischen Bibliothek, während Jakob Baer, C. H. Ohr, W. H. Kemp, Miltenburger, Rohe, Diffenderfer, Humrickhausen und Neuheuser oder Nihiser der Fakultät als Präsidenten und Vizepräsidenten vorstanden.

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts genossen ferner die deutschpennsylvanischen Familien entsprossenen Mediziner, Chirurgen und Anatomen Joseph Leidy, William Pepper, Samuel Groß, Kaspar Wistar, Eberle und Adam Kuhn großen Ruf. Sie bekleideten Professuren an den hervorragendsten Universitäten Amerikas, machten sich aber außerdem durch zahlreiche vortreffliche fachwissenschaftliche Werke verdient.

Manche deutsche Ärzte trugen auch als Gründer gelehrter Gesellschaften und bedeutender Hospitäler zu der glänzenden Entwicklung der Medizin und Chirurgie in Amerika bei. Der bereits erwähnte Professor Johann Thomas Schaaf von der medizinischen Fakultät der Universität von Maryland rief im Jahre 1819 die »Medical Society« des Distrikts Columbia ins Leben. Aloys Lützenburg war Gründer und erster Präsident der »Medical Society of Louisiana«. Desgleichen stiftete er das zu großem Ruf gelangende »Lützenburg-Hospital« in New Orleans. Konstantin Hering schuf die »Homöopathische Lehranstalt« zu Allentown, Pennsylvanien.

Julius Reinhold Friedländer, geboren 1802 in Berlin, eröffnete im Jahre 1834 in Philadelphia die erste Blindenanstalt, die später in eine Staatsanstalt umgewandelt wurde und unter seiner bis zum Jahre 1840 währenden Leitung zu einer Musteranstalt für die ganzen Vereinigten Staaten emporblühte.

In ähnlicher Weise betätigten sich zahlreiche jener medizinischen Paladine, die infolge der verunglückten deutschen Freiheitsbewegung des Jahres 1848 nach Amerika getrieben wurden. Unter ihnen waren Ernst Krakowitzer, von Roth, Abraham Jacobi, von Hammer, Noegerath, Althaus, Vogt, Roeßler, Krehbiel und Joseph Schnetter die bedeutendsten. Krakowitzer, einer der fähigsten Chirurgen der Universität zu Wien, gründete mit Jacobi in New York das »Deutsche Dispensary«. In Gemeinschaft mit von Roth und Herczka veröffentlichte er auch die » New Yorker medizinische Monatsschrift«, das erste in deutscher Sprache gedruckte Ärztefachblatt in Amerika. Ein Verein deutscher Ärzte kam in New York bereits im Jahre 1846 durch den ausgezeichneten Chirurgen W. Detmold zustande.

Die ebenfalls den »Achtundvierzigern« zugehörigen berühmten Ärzte Gustav C. Weber in Cleveland, Adolf Zipperlen in Cincinnati, Kiefer in Detroit, von Herff in San Antonio und zahlreiche andere wirkten in gleicher Weise anregend. Manchen dieser Männer verdankt die Heilkunde in Amerika wichtige Fortschritte. Der Chirurg von Roth war der erste, welcher den Luftröhrenschnitt in den Vereinigten Staaten einführte. Gustav Weber erwarb sich als Generalarzt der Truppen von Ohio große Verdienste um die Organisation des Medizinalwesens im Bürgerkriege. Namentlich drängte er auf die Anstellung tüchtiger Chirurgen. Er erfand auch eine neue Art, bei Operationen die Arterien zu schließen und Verblutung zu verhüten. Friedrich Lange führte die antiseptische Wundbehandlung zuerst praktisch in Amerika ein und machte auch hier die erste Kehlkopfexstirpation.

Auf dem Gebiete der Augen- und Ohrenkrankheiten verdankt man den hervorragenden Spezialisten Hermann Knapp, Professor an der Columbia-Universität zu New York und Georg Reuling, Professor an der John Hopkins-Universität zu Baltimore bedeutende Fortschritte. Auf die Entwicklung der Histologie übte Karl Heitzmann starken Einfluß aus. Auf dem Gebiet der Frauenkrankheiten waren Noeggerath und Joseph Schnetter, in bezug auf Kinderkrankheiten Abraham Jacobi Autoritäten.

Diesen älteren reihten sich in neuerer Zeit zahlreiche andere hervorragende deutsche Ärzte an, von denen viele als klinische Lehrer mit großem Erfolg tätig sind. Hand in Hand mit ihnen wirken Tausende und aber Tausende Amerikaner, die nach Deutschland zogen, um als Hörer und Schüler der an den dortigen Universitäten und Kliniken lehrenden großen Chirurgen und Mediziner ihr Wissen zu vertiefen.

Wieviel das amerikanische Ärztetum hierdurch und durch die deutsche medizinische Literatur beeinflußt wurde, läßt sich natürlich weder statistisch noch in irgendeiner anderen Weise feststellen. Sagen kann man aber bestimmt, daß die amerikanische Heilkunde in den letzten fünfzig Jahren viel mehr von Deutschland empfangen hat, als von allen übrigen Ländern zusammengenommen.

Deutschamerikanische Schriftsteller.

Gegenüber den achtunggebietenden Beiträgen, die das Deutschtum der Vereinigten Staaten auf fast allen Gebieten menschlicher Tätigkeit zur neuweltlichen Kultur lieferte, wollen seine Leistungen auf literarischem Gebiet verhältnismäßig gering erscheinen. Trotzdem mehr als 250 Jahre verflossen sind, seitdem Deutsche in die Neue Welt einzogen, kann man weder das Vorhandensein einer bestimmt ausgeprägten deutschamerikanischen Literatur, noch das Vorhandensein eines deutschamerikanischen Schriftstellerstandes behaupten. Literarische Größen gleich einem Gustav Freitag, Victor Scheffel, Paul Heyse, Friedrich Spielhagen oder Hermann Sudermann sind aus dem Deutschamerikanertum bisher nicht hervorgegangen. Die Deutschamerikaner sind mit sehr wenigen Ausnahmen nur Literaten aus Liebhaberei; weshalb die ihren Federn entsprungenen Werke auch nur vereinzelte Leistungen geblieben sind. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß es den Deutschamerikanern an Begabung zu literarischem Schaffen fehle. Die Gründe für die verhältnismäßig geringe Zahl deutschamerikanischer Literaturwerke sind anderswo zu suchen.

Zunächst in dem beklagenswerten Umstand, daß die amerikanische Regierung sich bis zum Jahre 1909 nicht bereitfinden ließ, den Schutz, welchen sie jeder im Auslande gemachten technischen oder gewerblichen Erfindung, jedem Arbeitserzeugnis gewährt, in gleichem Umfang auch auf die geistigen Erzeugnisse fremdländischer Schriftsteller auszudehnen.

Bis zum Jahre 1893 waren sämtliche im Auslande erscheinenden Literaturwerke in den Vereinigten Staaten vogelfrei und konnten von jedermann nachgedruckt werden. Im Jahre 1893 kam ein Copyrightgesetz zustande, welches fremdländischen Schriftstellern Schutz für ihr geistiges Eigentum zugestand, sofern sie gewisse Bedingungen erfüllten. Die wichtigste schrieb vor, daß das betreffende Werk zur gleichen Zeit, wo seine Veröffentlichung im Auslande erfolgte, auch in den Vereinigten Staaten erscheinen müsse. Und zwar gedruckt von Typen und Platten, die in den Vereinigten Staaten hergestellt und gesetzt sein mußten.

Diese, lediglich die Interessen der amerikanischen Setzer und Drucker berücksichtigende Bedingung, die seitens der ausländischen Verleger aus finanziellen und technischen Gründen äußerst selten erfüllt werden konnte, machte den scheinbar gewährten Schutz völlig illusorisch. Infolgedessen konnte nach wie vor die gesamte Masse der im Auslande erzeugten Literatur seitens der amerikanischen Verleger und Zeitungsherausgeber kostenlos ausgebeutet werden.

Während der anglo-amerikanische Schriftsteller in seinem Erwerb Schutz empfing, indem man die im Auslande in englischer Sprache gedruckten Bücher mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastete, blieb der deutschamerikanische Schriftsteller ohne solchen Schutz. Seine Produktion wurde erstickt durch die ungeheure Masse der in Deutschland und in anderen Reichen erzeugten Literatur, deren Schöpfungen, mochten es Bücher oder in Zeitungen veröffentlichte Romane und Aufsätze sein, in Amerika nachgedruckt werden konnten, ohne daß an ihre Urheber Honorare bezahlt werden mußten.

Unter solchen Umständen war die Existenzmöglichkeit deutschamerikanischer Berufsschriftsteller ausgeschlossen. Da sie für ihre Werke nur selten Verleger finden und klingende Erfolge erzielen konnten, so waren sie, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, genötigt, sich in die Tagespresse zu flüchten. Wie viele Genies in dieser beim Erledigen der täglichen Routinegeschäfte verkümmerten, wer kann's sagen?

Nur wenigen blieb Zeit, in dem sie umbrausenden, ihre ganze Aufmerksamkeit und Kraft beanspruchenden Kampf des Lebens größere Werke zu schaffen. Glücklicher waren einzelne Ärzte, Gelehrte und Beamte, die im Besitz einträglicher Stellungen nicht auf Honorare zu sehen brauchten, sondern die Erzeugnisse ihrer Muße sogar auf eigene Kosten drucken lassen konnten.

Daß die Zahl solcher Werke keine große sein kann, versteht sich von selbst. Gegenüber der ungeheuren Menge billiger Nachdrucke der besten deutschen Werke ist sie verschwindend klein.

Trotzdem befinden sich unter den von Deutschamerikanern geschaffenen Werken, namentlich denjenigen geschichtlichen Charakters, manche, die wegen ihrer Auffassung und Darstellungsweise oder wegen ihrer auf sorgfältiger Quellenforschung beruhenden Angaben Beachtung und Verbreitung fanden.

Beispielsweise die acht Bände umfassende »Weltgeschichte«, welche von dem an den Aufständen in Baden beteiligt gewesenen Achtundvierziger Gustav von Struve während der Jahre 1850 bis 1860 in New York veröffentlicht wurde und wegen des streng demokratischen Standpunktes ihres Verfassers von Interesse ist.

Von Wert sind ferner Robert Clemen's »Geschichte der Inquisition« (Cincinnati 1849); des Theologen Philipp Schaff »Geschichte der Christlichen Kirche« (Mercersburg 1851), sowie »Amerika, seine politischen, socialen und kirchlich-religiösen Zustände« (Berlin 1854). Die zu Halle geborene, unter dem Schriftstellernamen Taloj bekannt gewordene Gattin des Professors Eduard Robinson, eine geborene von Jakob, verfaßte während ihres langjährigen Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten eine »Geschichte des Kapitän John Smith« (Leipzig 1847) und eine »Geschichte der Kolonisation von Neu-England« (Leipzig 1847).

Viel gelesen wurden seinerzeit auch Friedrich Münchs »Erinnerungen aus Deutschlands trübster Zeit«. Der Rheinpreuße Gustav Brühl, welcher als Arzt in Cincinnati tätig war, schrieb das vorzügliche Buch »Die Kulturvölker Alt-Amerikas«. Rudolf Cronau lieferte in seinem zwei Bände umfassenden Werk »Amerika« (Leipzig 1892) ein Gesamtbild der Entdeckung und Erschließung der Neuen Welt von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Seine in den Bahamas und St. Domingo angestellten Forschungen über die erste Landestelle des Columbus und dessen Begräbnisstätte werden von den meisten Gelehrten für jene Fragen als entscheidend betrachtet.

Hermann A. Schumacher schilderte auf Grund sorgfältiger archivalischer Studien die im Auftrag der Augsburger Kaufleute Welser während der Jahre 1528 bis 1546 erfolgten Eroberungszüge nach Venezuela und Columbia. Franz Löher, Anton Eickhoff und Julius Goebel lieferten allgemeine Übersichten über die Geschichte des Deutschtums der Vereinigten Staaten, der erstgenannte in dem Buch »Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika« (Cincinnati 1847). Friedrich Kapp schrieb eine wertvolle »Geschichte der Sklaverei« (New York 1860), ferner vortreffliche Biographien der Generäle von Steuben (Berlin 1858) und Kalb (Stuttgart 1862); desgleichen eine Abhandlung über den »Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika« (Berlin 1864), sowie eine »Geschichte der deutschen Einwandrung in den Staat New York« (New York 1868). Alle Werke Kapps zeichnen sich durch künstlerische Ausgestaltung des verwendeten Materials und warme Färbung aus.

Oswald Seidensticker verdankt man »Bilder aus der deutschpennsylvanischen Geschichte«, die zum schönsten gehören, was die Geschichtsschreibung in Amerika hervorgebracht hat. Von Wichtigkeit sind ferner seine »Geschichte der deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien« sowie seine Forschungen zur Geschichte des deutschen Zeitungswesens und Buchdrucks in Amerika.

Hohen Wert besitzen auch die vorzüglichen Monographien mancher Mitglieder der »German Historical Society of Pennsylvania«. Insbesondere die erschöpfenden Studien von Julius Sachse, Samuel Pennypacker, Daniel Rupp, Daniel Cassel, Oskar Kuhns, Diffenderfer, Hartranft, Schmauk u. a. über die deutschen Einwandrer und Sektierer in Pennsylvanien.

Der Lehrer Hermann Schuricht erforschte die Geschichte des Deutschtums in Virginien; Emil Klauprecht und H. A. Rattermann diejenige der Deutschen im Ohiotal; Joseph Eiboeck schrieb die Geschichte der Deutschen in Iowa; Wilhelm Hense und Ernst Brumken diejenige der Deutschen in Wisconsin, und Professor Hanno Deiler jene der Deutschen am unteren Mississippi. Gustav Körner stellte wertvolle Notizen über »Das deutsche Element während der Periode 1818 bis 1848« zusammen (Cincinnati 1880).

Gert Göbel schilderte in seinem Buch »Länger als ein Menschenleben in Missouri« (St. Louis 1877) das Leben der deutschen Hinterwäldler; Friedrich Rübesamen das Grenzlerleben in Texas, Neu-Mexiko und Arizona.

Zahlreiche Schriften vermischten Inhalts lieferte der bereits mehrfach erwähnte Achtundvierziger Karl Heinzen, ein ungestümer Feuergeist, der in den Vereinigten Staaten Hauptführer der radikalen deutschen Demokraten wurde. Von seinen größeren Werken verdienen die in den Jahren 1867 bis 1879 erschienenen vier Bände »Teutscher Radikalismus in Amerika« sowie die beiden Bände »Erlebtes« (Boston 1864 und 1874) hervorgehoben zu werden.

Ebenso fruchtbar, aber durchaus andere Wege wandelnd ist Karl Knortz. Er beschäftigte sich vorzugsweise mit literatur- und kulturgeschichtlichen Studien und veröffentlichte als Ergebnisse derselben zahlreiche kleinere Werkchen.

Feuilletonistisch behandelte Reiseschilderungen lieferte Theodor Kirchhoff in seinen vortrefflichen »Californischen Kulturbildern« und in seinen »Reisebildern und Skizzen« (Altona 1875); denselben verwandt sind Rudolf Cronaus »Von Wunderland zu Wunderland, Landschafts- und Lebensbilder aus den Staaten und Territorien der Union« (Leipzig 1885); »Im wilden Westen« (Braunschweig 1890) und »Fahrten im Lande der Sioux« (Leipzig 1885).

Ziemlich zahlreich sind die von Deutschamerikanern verfaßten Romane, Novellen und Erzählungen. Aber die meisten verfielen samt den Tageszeitungen, in denen sie veröffentlicht wurden, der Vergessenheit. Unter ihren Urhebern befand sich der geistvolle Achtundvierziger Friedrich Hassaureck, dem wir die vortrefflichen, auch in Buchform veröffentlichten Romane »Hierarchie und Aristokratie« und »Das Geheimnis der Anden« verdanken. Friedrich Otto Dresel schrieb den Roman »Oskar Welden«, ferner die Novellen »Bekenntnisse eines Advokaten«, »Doppelehe oder keine Doppelehe« und »Die Lebensversicherungs-Police«. Friedrich Lexow verfaßte die Novellen »Auf dem Geierfels«, »Imperia«, und »Vornehm und gering«. Sein Bruder Rudolf Lexow schrieb die Novellen »Annies Prüfungen« und »Der Rubin«; während der geschickten Feder Karl Diltheys verschiedene Novellen und Erzählungen, darunter »Die schönsten Tage einer Tänzerin«, »Henriette Sonntag«, »New York in alten Tagen« u. a. entflossen.

Der gelehrte Arzt Hermann von Bähr in San Francisco, ein Achtundvierziger, veröffentlichte unter dem Pseudonym Atti Cambam den Roman »Dritte Söhne«, welcher in der Kölnischen Zeitung zum Abdruck kam und aus dieser in verschiedene deutschamerikanische Tagesblätter überging. Reinhold Solger schuf in seinem »Anton in Amerika« eine Novelle von bleibendem Wert. Douai lieferte den Roman »Fata Morgana«, und Willibald Winkler den »Sklavenjäger«. Diesen Werken reihten sich während des letzten Vierteljahrhunderts die unter dem Pseudonym D. B. Schwerin veröffentlichten Romane der Dichterin Dorothea Böttcher an: »Der Sohn des Bankiers« und »Die Erbschleicher«; ferner Udo Brachvogels »King Korn« und Adolf Schaffmeyers Romane »Ein Phantom«, »Auf steiler Höhe« und »Im Wirbel der Großstadt«.

Der kernige Journalist Eduard Leyh schrieb die deutschamerikanische Erzählung »Tannhäuser«; Johann Rittig lieferte charakteristische »Federzeichnungen aus dem amerikanischen Stadtleben«; und Caspar Stürenburg »Kleindeutschland, Bilder aus dem New Yorker Alltagsleben«. Verwandte Erscheinungen sind Henry Urbans »Just zwölf«; »Der Eisberg«; »Mans Lula«; »Aus dem Dollarlande« und »Lederstrumpfs Erben«. Ferner Edna Ferns »Gentleman Gordon«; »Der Selbstherrliche und andere Geschichten«. G. von Skal ließ die Sammlung »Im Blitzlicht« und »Das amerikanische Volk« erscheinen. Der schlichte Kürschner Hugo Bertsch veröffentlichte die beiden Novellen »Bob, der Sonderling« und »Die Geschwister« (Stuttgart 1905), welche durch ihre drastische Darstellungsweise auch in Deutschland Aufsehen erregten.

Unter den Deutschamerikanern, welche sich mit großem Geschick der englischen Sprache zu bedienen lernten, steht Karl Schurz obenan. Die gleiche glänzende Ausdrucksweise, über welche er als Redner gebot, bekundete er auch in seinen historischen Werken. Zu diesen gehören in erster Linie die in englischer Sprache geschriebenen Lebensschilderungen des amerikanischen Staatsmannes Henry Clay (Boston 1887) und des Präsidenten Abraham Lincoln (London 1892). Ungemein fesselnd sind auch seine »Erinnerungen aus einem langen Leben« (Berlin 1906). Dieselben erschienen zuerst in englischer Sprache unter dem Titel »Reminiscences of a long life« (New York 1906). In ihnen schilderte der hochbetagte, aber noch vom Feuer des Idealismus durchglühte Greis die Denkwürdigkeiten seines Lebens, das so reich an Arbeit, Mühen, Kämpfen, Hoffnungen, Enttäuschungen und Erfolgen war, wie es nur wenigen Menschen beschieden ist. Für die Beurteilung des Aufstandes von 1848 sowie der politischen Zustände der Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bilden diese Erinnerungen zweifellos ein Quellenwerk allerersten Ranges.

Fast ebenso gewandt wie Schurz wußte der im August 1830 in Westfalen geborene Karl Nordhoff die englische Sprache zu handhaben. Die Erfahrungen seiner ursprünglichen Seemannslaufbahn verwertete er in den Werken »Man of War Life«; »Merchant Vessel«; »Whaling and Fishing«; »Stories of the Island World«. Als Nordhoff sich später dem Journalismus zuwandte und für die New Yorker »Evening Post« und den »Herald« tätig war, schrieb er vielgelesene Reisewerke über Kalifornien, Oregon und die Sandwichinseln. Sein berühmtes Buch »The Cotton States« (New York 1876) gab zu überaus heftigen Kontroversen Anlaß, da Nordhoff die nach dem Bürgerkrieg in die Südstaaten einströmenden republikanischen Beutepolitiker sowie die verkehrten Maßnahmen der Bundesregierung für die im Süden zutage tretenden Mißstände verantwortlich machte. Eines seiner wertvollsten Bücher beschreibt die »Communistic Societies in the United States«.

Rudolf Cronau ließ zu Ende des Jahres 1908 in New York sein erstes in englischer Sprache geschriebenes Werk unter dem Titel »Our wasteful nation, the story of American prodigality and the abuse of our national resources« erscheinen, das sich in energischer Weise gegen die maßlose Vergeudung und den Mißbrauch der natürlichen Hilfsquellen Amerikas richtet. Dem als Professor der Musik an der Harvard-Universität tätigen Komponisten Friedrich Louis Ritter verdanken wir eine in Boston erschienene »History of Music in the form of lectures« sowie das Werkchen »Music in America«.

Der deutschamerikanischen Literatur darf man auch manche Werke beizählen, die von deutschen Novellisten und Romanschriftstellern während ihres längeren Verweilens in den Vereinigten Staaten geschrieben wurden.

Zu ihnen gehören in erster Linie einige Romane des am 3. März 1793 in Seefeld, Unterösterreich geborenen Karl Postel. Ursprünglich dem Orden der Kreuzherrn zu Prag angehörend, entwich er im Jahre 1822 dem Kloster und begab sich nach Amerika. In New York verweilte er bis 1826. In den Jahren 1828 bis 1830 bereiste er die Südstaaten und sammelte hier das Material zu seinem ersten großen, in englischer Sprache geschriebenen Roman »Tokeah or the White Rose« (Philadelphia 1828). Derselbe erschien später in einer von ihm selbst vollzogenen deutschen Bearbeitung unter dem Titel »Der Legitime und die Republikaner« (Zürich 1833). Diesem Roman schlossen sich »Transatlantische Reiseskizzen« (1833), »Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre«, »Pflanzerleben und die Farbigen«, »Nathan der Squatter-Regulator«, »Deutschamerikanische Wahlverwandtschaften«, sowie der prächtige Roman »Virey und die Aristokraten« an. Lange Zeit gehörte dieser unter dem Pseudonym Charles Sealsfield verborgene Autor zu den meist gelesenen beider Erdteile. Ein genialer Beherrscher der Sprache, ein ungemein scharfer Beobachter, begabt mit einer reichen, glühenden Phantasie, entrollte er seinen Lesern eine neue Welt mit bisher nie geschilderten Menschencharakteren. In scharfen Umrissen zeichnete er den schlauen Yankee, den leichtlebigen Franzosen, den bedächtigen Deutschpennsylvanier, den sinnlichen Kreolen und die Kreolin, den kühnen Trapper und den zähen Kulturpionier des fernen Westens. Und als Hintergründe lieferte er farbensprühende Landschaftsgemälde vom Ohio, dem Mississippi, aus den Prärien von Texas und den grünen Gebirgen Vermonts.

Ihm verwandt sind Otto Ruppius, Friedrich Gerstäcker und Balduin Möllhausen, welche gleichfalls längere Zeit in den Vereinigten Staaten weilten. Zu den Früchten dieses Aufenthalts gehören Ruppius' vielgelesene Romane »Der Pedlar«, »Das Vermächtnis des Pedlars« und »Der Prärieteufel«. Gerstäcker veröffentlichte als literarische Ergebnisse jahrelanger Wanderungen sein Tagebuch unter dem Titel »Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika« (1844). Außerdem verfaßte er die Romane »Die Regulatoren in Arkansas« (1845), »Die Flußpiraten des Mississippi« (1848); ferner »Mississippibilder« (1847), »Amerikanische Wald- und Strombilder« (1849) und »Kalifornische Skizzen« (1856), die wegen ihrer frischen, unterhaltenden Schilderungen weite Verbreitung fanden. – Der Aufenthalt Möllhausens in den Vereinigten Staaten fällt in die Mitte des 19. Jahrhunderts, wo er mit dem Herzog Karl von Württemberg und später als Topograph und Zeichner zweier amerikanischer Expeditionen den fernen Westen, insbesondere Neu-Mexiko und Arizona, bereiste. Diese Fahrten beschrieb er in dem »Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee« (1858) und in »Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas« (1861). Außerdem verfaßte er zahlreiche Romane, von denen die bekanntesten »Die Mandanenwaise«, »Der Reiher« und »Der Schatz von Quivira« in den von Möllhausen besuchten Teilen der Neuen Welt spielen. Die bereits erwähnte Schriftstellerin von Jakob ( Taloj) verfaßte während ihres Aufenthaltes in Amerika die Romane »Héloise, or the unrevealed secret« (New York 1850) und »Die Auswanderer« (Leipzig 1852), welches Buch im folgenden Jahre unter dem Titel »The Exiles« auch in New York erschien.

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Beweise, daß es ihnen an Geschick zu literarischen Arbeiten nicht fehlt, haben die Deutschamerikaner zur Genüge abgelegt. Nachdem im Jahre 1909 endlich eine dem modernen Zeitgeist entsprechende Verbesserung der amerikanischen Copyright-Gesetze erfolgte und jene Vorschrift, daß fremdsprachliche Werke, um den Schutz der amerikanischen Gesetze genießen zu können, in Amerika gesetzt und gedruckt sein müssen, aufgehoben wurde, ist auch für die deutschamerikanische Literatur eine Möglichkeit eröffnet worden, sich voller und kräftiger zu entfalten.

Die deutschamerikanische Dichtung des 19. und 20. Jahrhunderts.

Frauenfigur. Von Henry Linder, New York

Der schlichte, tiefreligiöse Sinn, der für die während der Kolonialzeit entstandenen deutschamerikanischen Dichtungen so bezeichnend war, wich zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Einströmen einer anders gearteten Einwandrung. Die Deutschen, welche um jene Zeit, angewidert von den rückschrittlichen Maßregeln der deutschen Regierungen, ihr Vaterland verließen, waren weder mystische Schwärmer gleich Kelpius und Beissel, noch stillzufriedene beschauliche Gelehrte wie Pastorius.

Sie repräsentierten ein neues Geschlecht voll idealer Begeisterung, voll Empfänglichkeit für die Reize und den Sonnenglanz dieser Welt. Sie waren Himmelsstürmer, von Tatendrang durchglühte Agitatoren, die zum menschlichen Fortschritt, zum Erlangen höherer persönlicher und geistiger Freiheit beitragen wollten. Für Frauenschönheit, für das Glück echten Familienlebens, für die Erhabenheit der neuweltlichen Natur, für die Größe des amerikanischen Freiheitsgedankens hatten sie ein offenes Auge und ein warmes empfängliches Gemüt. Kein Wunder, daß die von ihren Lippen strömenden Lieder anderen Klang besaßen. Sie sangen von Lenz und Liebe, priesen Wein, Weib und Gesang, feierten Mannskraft und Heldenmut, wenig danach fragend, ob jemand und wer ihnen lausche.

Und zahlreich wie die einander treibenden Wellen eines Waldbachs fluten die Namen solcher deutschamerikanischen Dichter und Dichterinnen daher, die inmitten des rastlosen Geschäftslebens den Sinn für das Schöne und Ideale zu bewahren wußten. Alle aufzuführen und in Kategorien zu bringen, wäre ein Unterfangen, das sich an dieser Stelle aus räumlichen Rücksichten verbietet. Sind doch in den Sammelwerken deutschamerikanischer Dichtungen, die bisher in den Vereinigten Staaten erschienen, ihrer mehr als 400 durch Beiträge vertreten.

Natürlich haben die von diesen Sangesfrohen gelieferten Dichtungen sehr verschiedenen Wert. Wie unter den gefiederten Sängern, so sind auch unter den die Feder gebrauchenden die Nachtigallen selten. Aber auch unter den von deutschamerikanischen Poeten geschaffenen Dichtungen gibt es manche, die der Literatur jedes Volkes zur Ehre gereichen würden.

Einige der herrlichsten sind der deutschen Heimat gewidmet.

Wer in den Werken der deutschamerikanischen Dichter blättert, wird die Überzeugung gewinnen, daß bei vielen dieser Männer das Heimweh das treibende Motiv war, das sie zu Poeten machte und ihre Klage zu Versen formte.

Konnte es anders sein? – Die politischen Flüchtlinge, welche vor und nach dem Jahre 1848 an die Gestade Amerikas verschlagen wurden, liebten ihr Vaterland aus tiefster Seele. Seiner Größe und Einigung hatte ihr ganzes Sinnen und Trachten gegolten; ihm gehörten ihre Gedanken bei Tage wie bei Nacht; in seinen Schoß hofften sie zurückzukehren, in seinem heiligen Boden einst begraben zu werden. Daß man sie, die nur Deutschlands Herrlichkeit herbeiführen wollten, von dort vertrieben, erfüllte sie mit Bitterkeit, hinderte sie aber nicht, der Heimat treue Liebe zu bewahren.

Die heiße Sehnsucht nach den fernen Fluren ließ manche dieser Geächteten für ihre Lieder Töne finden, wie sie ergreifender kaum erklangen, seitdem die in Gefangenschaft geratenen Juden an den Wassern von Babylon des fernen Zion gedachten. Mit solchen tiefempfundenen »Heimatklängen« könnte man allein einen stattlichen Band füllen. Für die Echtheit der in ihnen offenbarten Empfindung sprechen folgende Beispiele.

Da dichtete der seit dem Jahre 1854 unter dem grünen Rasen ruhende »Achtundvierziger« Heinrich Schnauffer:

Oh, sprich von keiner schönern Zone –
Ich hang an meinem Heimatland,
Und mir ist aller Länder Krone
Des Rheines rebengrüner Strand.

Oh, sprich nicht von des Südens Palmen –
Des Schwarzwalds süße Tannennacht,
Das Tal mit Blumen und mit Halmen –
Wo find' ich diese deutsche Pracht? –

Oh, sprich von keinem bessern Volke,
Als das, was meine Sprache spricht!
Der Stern bleibt Stern, auch wenn die Wolke
Verfinstert hat sein goldnes Licht;

Und jene Sprache, sanft und linde.
Klingt sie im Herzen fort und fort,
Darin die Mutter mit dem Kinde
Gekoset einst das erste Wort.

Oh, sprich von keinen froher'n Stunden,
Die hier die Zukunft bringen mag:
Die Heimat heilt die tiefsten Wunden
Und Freuden bringt sie jeden Tag.

Oh. Zeit! wo froh im Lenz als Knabe
Ich wilde Rosen suchen ging,
Und kniend auf des Vaters Grabe
Ums Kreuz die duft'gen Kränze hing!

Oh, sprich von keinem treuern Herzen
Und sprich von keinem fremden Glück,
Mild, wie der Strahl der Himmelskerzen
Ist meines deutschen Mädchens Blick.

Zum Heimatland steht mein Verlangen,
Ein müder Fremdling, such' ich Ruh',
Und wo das Licht mir aufgegangen,
Drück' man mir auch die Augen zu.

Der auf einem stillen Friedhof des Staates Illinois schlafende Pfälzer Emil Dietzsch schrieb:

Ich hab' hier manches lange Jahr
Als Mann mich durchgestritten;
Ob's Sturm, ob Friedensstille war,
Ob ich frohlockt, gelitten:
Ich könnt' des Heimwehs Herzeleid
Doch niemals ganz bezwingen.
Es heilet vieles ja die Zeit,
Nicht wollt' ihr das gelingen ...

Von Albert Wolff, der im seen- und wälderreichen Minnesota begraben liegt, rührt folgende Dichtung:

Wie, was ist das, du alter Kerl?
Im Auge eine Tränenperl?
Ja! ja! so ist's. Wer kann dafür?
Mein Vaterland, das bring' ich dir!

Die Träne ist der Diamant,
Den rein ich hielt im fremden Land;
Ich seh's, ich seh's, das Kleinod mein,
Lag tief im heil'gen Herzensschrein!

Ich hab' es selbst nicht mehr gewußt,
Daß ich es trug in meiner Brust,
Daß ich dich ganz noch mein genannt,
O heil'ge Lieb' zum Vaterland!

Wohl das ergreifendste dieser Lieder stammt von dem am 9. März 1897 in Milwaukee verstorbenen Konrad Krez. Es trägt die Überschrift: An mein Vaterland.

Kein Baum gehörte mir von deinen Wäldern,
Mein war kein Halm auf deinen Roggenfeldern,
Und schutzlos hast du mich hinausgetrieben,
Weil ich in meiner Jugend nicht verstand,
Dich weniger und mehr mich selbst zu lieben
Und dennoch lieb ich dich, mein Vaterland!

Wo ist ein Herz, in dem nicht dauernd bliebe
Der süße Traum der ersten Jugendliebe?
Doch heiliger als Liebe war das Feuer,
Das einst für dich in meiner Brust entbrannt;
Nie war die Braut dem Bräutigam so teuer,
Wie du mir warst, geliebtes Vaterland.

Hat es auch Manna nicht auf dich geregnet,
Hat doch dein Himmel reichlich dich gesegnet.
Ich sah die Wunder südlicherer Zonen,
Seit ich zuletzt auf deinem Boden stand;
Doch schöner ist als Palmen und Zitronen
Der Apfelbaum in meinem Vaterland.

Land meiner Väter! länger nicht das meine,
So heilig ist kein Boden wie der deine.
Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden,
Und knüpfte mich an dich kein lebend Band,
So würden mich die Toten an dich binden,
Die deine Erde deckt, mein Vaterland!

Oh, wollten jene, die zu Hause blieben,
Wie deine Fortgewanderten dich lieben,
Bald würdest du zu einem Reiche werden,
Und deine Kinder gingen Hand in Hand,
Und machten dich zum größten Land auf Erden,
Wie du das beste bist, o Vaterland!

Wie aus der letzten Strophe hervorgeht, entstand die Dichtung lange vor den Jahren 1870-71.

Daß an den die politische Einigung Deutschlands bringenden großen Ereignissen jener Jahre die nach Amerika geflohenen »Achtundvierziger« den lebhaftesten Anteil nahmen, ist selbstverständlich. War doch die Einigung aller deutschen Stämme, die Erhebung des Deutschen Reichs der Traum ihrer Jugend, die Sehnsucht und Hoffnung ihres Alters gewesen.

Mit welcher Begeisterung und Kampfesfreude sie den Taten der deutschen Truppen in Frankreich folgten, erhellt aus folgendem »Gruß der Deutschen in Amerika«, den Kaspar Butz über das Meer sandte.

Wenn Wünsche Kugeln wären, wenn Blitz und Donnerschlag
Der längst Verbannten zürnen, jetzt am Entscheidungstag.
Wie würd' der Donner rollen gewaltig übers Meer,
Für Deutschland eine Salve und für sein tapfres Heer!

Vergessen ist ja alles, vergessen jede Not,
Vergessen jedes Urteil, ob es auch sprach: der Tod!
Für dich, o Muttererde, du Land der Herrlichkeit,
Auch deine fernen Söhne, sie stehen mit im Streit!
Nicht Zeit ist's mehr für Worte! Gott grüße dich mein Land!
Wie stehst du stolz im Streite, der jetzt so jäh entbrannt!
Ein Feigling, der verzweifelt nur einen Augenblick!
Hol' deine alte Größe und Ehre dir zurück!
Pflanz' auf des Wasgau's Höhen das deutsche Banner auf,
Laß weh'n die alten Fahnen von Straßburgs Domes Knauf!
Nun ist für deine Kammern, trotz des Jahrhunderts Hohn,
Endlich die Zeit gekommen, die Zeit der Reunion! ...

Und bald darauf jubelte er:

O große Zeit! Wir wuchsen mit bei jedem deutschen Siege;
Wir bebten, ob der deutsche Aar das Ziel auch stolz erfliege.
Wir fühlten, daß ein Vaterland, dem wir noch nicht verloren,
Aus jenem grimmen Männerkampf für uns auch ward geboren ...

Eines der köstlichsten Güter, welches die auswandernden Deutschen mit in die neue Heimat nahmen, war das deutsche Lied. Unzählige in den Vereinigten Staaten lebende Dichter priesen seine Zaubermacht. Der aus Alzey stammende Konrad Nies tat dies in folgenden Strophen:

Als wir entflohn aus deutschen Gauen,
Durchglüht von jungem Wanderdrang,
Um fremder Länder Pracht zu schauen,
Zu lauschen fremder Sprache Klang,
Da gab zum Segen in die Ferne,
Die Heimat uns ihr deutsches Lied,
Das nun, gleich einem guten Sterne,
Mit uns die weite Welt durchzieht.

Wohin auch unsere Wege führen,
Zum Steppensaum, zum Meeresport;
Wo immer wir ein Heim uns küren,
Im tiefen Süd, im hohen Nord:
Der deutschen Heimat Segensgabe
Von unsrer Schwelle nimmer flieht,
Und als des Herzens schönste Gabe,
Bleibt heilig uns das deutsche Lied.

Es klingt um hohe Urwaldtannen,
Am blauen Golf, am gelben Strom,
Fern in den Hütten der Savannen
Und ferner unterm Palmendom.
Es braust aus frohem Zecherkreise,
Es jauchzt und schluchzt mit Mann und Maid
Und klagt in heimattrauter Weise
Von deutscher Lust und deutschem Leid.

Und wo es klingt, da bricht ein Blühen
Und Leuchten auf in weiter Rund;
Wie Veilchenduft und Rosenglühen
Geht's durch des Herzens tiefsten Grund.
Was längst zerronnen und zerstoben,
Was mit der Kindheit von uns schied:
Es wird in Träumen neu gewoben,
Wenn uns umrauscht das deutsche Lied.

Wir schau'n der Heimat grüne Tale,
Der Schwalbe Nest am Vaterhaus;
Wir ziehn im Ostermorgenstrahle
Durchs alte Tor zur Stadt hinaus;
Wir hören ferner Glocken Klingen
Und deutscher Eichenwälder Weh'n,
Wir fühlen junges Frühlingsringen
Und erster Liebe Auferstehn!

Und ob auch Früchte viel und Blüten
Die Hand auf fremder Erde zieht,
Wir wollen hegen doch und hüten
Den Frühlingssproß, das deutsche Lied,
Das uns zum Segen in die Ferne,
Die Muttererde einst beschied,
Und das, gleich einem guten Sterne,
Mit uns die weite Welt durchzieht.

Die sinnige New Yorker Dichterin Henni Hubel preist das deutsche Lied in folgenden Worten als einen Zauberquell:

Ich kenn' einen nimmer versiegenden Quell,
Der rieselt und sprudelt gar wonnig und hell;
Und kannst du das Rauschen der Quelle verstehn,
So wird dich ein mächtiger Zauber umweh'n.
Verstehst du mit ganzer Seele zu lauschen,
So kündet wonnige Märchen sein Rauschen.
Beglückend umspinnt er die Menschen, die Welt,
Nichts gibt es, das nicht diesem Zauber verfällt.
Ob hoch oder niedrig – ob arm oder reich –
Er macht einen Bettler dem Könige gleich.
Das ärmlichste Kindlein auf Mütterchens Arm
Umschmeichelt der Zauber so lieblich und warm
Genau wie den Sprößling im prunkenden Schloß,
Den Reichen sowohl wie den dienenden Troß.
Mit gleicher Macht kann er Herzen bewegen,
Mit gleichem Entzücken Seelen erregen.
Wärst du in der einsamsten Wüste allein,
Der Zauber, der lullt dich in Träume wohl ein.
Statt trostloser Öde – statt sengendem Sand
Erscheint deinem Auge der heimische Strand,
Die schattigen Wälder, die Berge, das Tal –
So mildert der Zauber dir jegliche Qual.
In jauchzender Freude entzückt er dein Herz,
Und lindernd verscheucht er den nagenden Schmerz.
Er lernt dich vergessen, was schwer dich bedrückt,
Und zeigt dir, was einst und was jetzt dich beglückt.
Wißt ihr, was so mächtig durchs Weltall zieht?
Jener Zauberquell ist – das deutsche Lied.

Die gleichfalls in New York lebende Dichterin Elisabeth Mesch weihte der deutschen Poesie folgende Strophen:

Und ob auch längst des Schicksals rauhe Hand
Entrissen mich dem alten Vaterland,
Ob Freunde nicht mir folgten in die Weite:
Das Schönste, was die Heimat mir verlieh –
Das Liebste – gab mir dennoch das Geleite;
Es ist allein die deutsche Poesie!

Wohl bot die Fremde, schön und wunderbar,
Der bunten Reize viel mir freundlich dar,
Und manches Herz erschloß sich meinem Herzen.
Doch wenn ich oft mit wehmutsvollem Sinn
Gedachte meiner Seele größter Schmerzen,
War Poesie die beste Trösterin.

Sie ist mein Glück in dieses Daseins Hast,
Das Herrlichste, was Menschengeist erfaßt.
Sie ist ein weiches, wonnevolles Sehnen,
Von göttlichen Gedanken eine Flut;
Sie ist das Edelste von allem Schönen,
Und mir ist wohl in ihrer sanften Glut.

Ein heller Stern auf wechselvoller Bahn,
So leuchte sie auch fürder uns hinan,
Und labe süß aus ihrem Heiligtume
Die Herzen all, bedrückt von Sorg' und Müh'!
Gepriesen sei die wunderholde Blume:
Im fremden Land die deutsche Poesie!

Es ist manchmal behauptet worden, den deutschamerikanischen Dichtern fehle die Eigenart. Ihre Poesie sei nur das ausgewanderte Echo der vaterländischen Dichtung und variiere bis zum Überdruß das Thema vom fernen Vaterland, anstatt sich der von der Neuen Welt in Überfülle gebotenen neuen Stoffe zu bemächtigen.

Kein Vorwurf ist ungerechter als dieser. Er konnte nur von Personen kommen, die weder die Mannigfaltigkeit noch den Reichtum der deutschamerikanischen Poesie kennen. Diese Kenntnis wird allerdings durch den beklagenswerten Umstand erschwert, daß eigentliche Sammelstellen für die Werke der deutschamerikanischen Dichter und Schriftsteller fehlen. Da die amerikanischen Bibliotheken an der deutschamerikanischen Literatur nur geringes Interesse nehmen, so sind deren Werke mehr als alle anderen der Verzettelung und dem Vergessenwerden ausgesetzt.

Daß den deutschamerikanischen Poeten der Blick für ihre Umgebung, für den Reichtum des sie umbrausenden Lebens nicht fehlt, könnte man durch Hunderte von Dichtungen beweisen. Meisterhafte Naturschilderungen lieferten Kuno Francke, Julius Hoffmann, Johannes Hensen, Frank Siller und viele andere.

Otto Soubron malt die düstere Einsamkeit des in Wisconsin gelegenen Teufelssees in folgenden Worten:

Starre Felsen ragen trotzig
Um den See, den schwarzen, stillen,
Der wie ein gebrochnes Auge –
Leblos, kalt und unergründlich –
Blickt verglast empor zum Himmel.

Still, verödet ist die Gegend,
Nur mit trägem Flügelschlage
Überm Abgrund kreist der Adler,
Und die Brut der Schlangen nistet
Unten in den Felsenspalten.

Der in Missouri geborene Priester Johannes E. Rothensteiner schildert das Erschließen jener in den Wüsten Mexikos heimischen, nur eine Nacht blühenden Wunderblume (cereus nycticalus), die als »Königin der Nacht« bekannt ist.

Den Kaktus seht im Brand der Wüste
Ein stachlichtes Gerippe nur!
Kein Tauwind, der ihn freundlich grüßte,
Den Eremiten der Natur.

Fest eingeklemmt in Felsenspalten,
Scheint jeder Lebenstrieb erstarrt:
Mit Staub bedeckt die Runzelfalten,
Da sehnlich er der Blüte harrt.

Doch endlich fühlt den Saft er drängen
In seinem Innern voller Macht:
Ein Knösplein sieh die Rinde sprengen
Beim Zauberruf der Sommernacht.

Und voller wird's von Stund' zu Stunde;
Es kreist der Saft in heißem Lauf.
Da geht ein Leuchten durch die Runde,
Da geht das große Wunder auf.

Viel süßer als die Südlandsrose,
Und leuchtender als Lilienpracht
Im Mondlicht blüht die makellose,
Die Königin der Wüstennacht.

Doch wirren Spiels beim Morgengrauen
Durchs Wüstenland die Dolde treibt,
Verschrumpft und trostlos anzuschauen
Das stachlichte Gerippe bleibt.

Nur duftig haftet im Gemüte
Das Märchen seiner kurzen Pracht,
Bis wieder einst die Wunderblüte
Sich öffnen mag der Sommernacht.

Dem Föhrenrauschen der kalifornischen Sierra Nevada lauschend, schrieb der Pfarrer Johann W. Theiß folgendes Gedicht:

Horch! – Der Föhrenwipfel Sausen;
Lauter wird's, wie Meeresbrausen;
Dann erstirbt der Wind, und leise
Säuseln sie wie Schlummerweise.

Wieder kommt der Klang gezogen,
Schwellend wie des Meeres Wogen;
Wieder klingt ihr Gruß in trauten
Wonnevollen Flüsterlauten.

Wieviel tausendmal die schöne
Reihenfolge dieser Töne
Wohl die Wipfel schon durchzogen,
Seit der Schöpfungstag verflogen?

Wieviel tausendmal beim Fliehen
Der Jahrhunderte wird ziehen
Dieser Laut durch Millionen
Föhrenwipfel, Nadelkronen?

Einer nur vermag's zu sagen,
Der vernimmt der Schöpfung Klagen,
Der vernimmt der Schöpfung Loben
In den heil'gen Höhen droben.

Und an den Gestaden des Atlantischen Ozeans wurde Gustav Rommel zu folgenden Versen angeregt:

Wie Äolsharfen-Säuseln
Bebt's durch den Lorbeerhain.
Die Azurwogen kräuseln
Sich sanft im Abendschein.
Wie Gold und Demant flimmert
In ros'ger Glut das Meer,
Im Purpurglühlicht schimmert
Der Wellen endlos Heer.
Sie wandern, rollen, wallen
Zum grünen Ufersaum;
Sie prallen an und fallen
Zurück als Silberschaum.
Bald gleicht's dem süßen Kosen
Von Bräutigam und Braut,
Bald wird's zu wildem Tosen,
Vor dem der Seele graut.
Jetzt spielend, buhlend, minnend
Wirbt fromm der Ozean,
Dann stürmt er, Unheil sinnend,
In Heeressäulen an.

*

So währt schon manch Jahrtausend
Krieg zwischen Strand und See,
Als gärt, am Abgrund brausend,
Uraltes Leid und Weh.
Ein uralt Lieben, Leiden,
Dem keine Werbung frommt,
Ein ewig Sehnen, Meiden,
Das nie zur Ruhe kommt.

Die überwältigende Farbenglut des amerikanischen Herbstes, des sogenannten »Indianersommers«, besangen Ferdinand Hundt, Julius Hoffmann und Udo Brachvogel. Der letzte wurde dieser schwierigen Aufgabe folgendermaßen gerecht:

Den Hügel noch empor, mein wackres Tier,
Dort lichtet sich der Wald, dort halten wir –
Fühlst du den Sporn? Hinan mit flücht'gen Sätzen!
Schon schließt sich hinter uns die Tannennacht;
Frei schweift der Blick – ha, welche Farbenpracht!
Erschloß sich Scheher'zadens Märchenpracht,
Rings alles zu bestreu'n mit ihren Schätzen?

Der Himmel leuchtet, ein saphirner Schild;
Es strahlt an ihm die Sonne hehr und mild,
Nicht tödlich, nein, nur schmeichelnd allem Leben.
Am fernen Horizonte rollt der Fluß;
Jedwede Wog' umspielt des Mittags Kuß,
Sie bebt und zittert unter ihm, – so muß
Die Braut am Herzen des Ersehnten beben.

Und schimmernd liegt das Tal, wie Mosaik,
Wie reicher es und blendender dem Blick
Noch niemals unter Künstlers Hand entglommen.
Hin strömt es zwischen dunklem Braun und Grün
Gleich Flammen, die aus Goldtopasen sprühn,
Gleich Purpurmänteln, die um Schultern glühn
Von Königen, die von der Krönung kommen.

Der Ahorn lodert, wie im Morgenhauch
Einst Moses brennen sah den Dornenstrauch,
Gefacht von unsichtbarer Engel Chore.
Dort rankt sich's flimmernd und verzweigt sich's bunt,
Wie die Koralle auf des Meeres Grund,
Und drängt sich um das silberfarbne Rund
Des Stamms der königlichen Sykamore.

Und einsam ragt und priesterlich zumal
Die Lorbeereiche aus dem Bachanal
Von Licht und Glanz, von Farben und von Gluten.
Doch auch von ihrer dunkeln Äste Saum,
Aus ihrer Krone tropft wie Purpurflaum
Die wilde Reb'; es ist, als ob der Baum
Sein Herz geöffnet habe, zu verbluten.

Das Eichhorn springt. Es lockt mit tiefem Klang
Der Tauber seine Taube nach dem Hang,
Wo überreich sich, Beere drängt an Beere.
Die Drossel stimmt ihr schmelzend Tongedicht,
Der Falter badet sich im Sonnenlicht,
Und aus der Sumachbüsche Scharlach bricht
Das dunkle Reh, des Waldes Bajadere.

»Und dies ist Herbst? So sterben Wald und Flur?
Wie ist dann das Erwachen der Natur,
Wenn noch ihr Tod sich hüllt in solches Leben?« –
So ringt sich's von des Reiters Lippe los, –
Da rauscht's ihm Antwort aus des Waldes Schoß –
Ein Windstoß braust heran und noch ein Stoß,
Und läßt das Meer von Blättern niederbeben.

Rings quillt es plötzlich auf, wie Schleierflug,
Schneewolken weh'n daher in dichtem Zug,
Von Norden pfeift's, und trübe wird's und trüber.
Der Taube Ruf verstummt; ein Büchsenknall,
Im Blute liegt das Reh, und in dem Fall
Der Blätter rauscht's wie leiser Seufzerhall:
Noch eine Nacht, und alles ist vorüber!

Der Reiter fröstelt in des Nordwinds Hauch,
Er ruft: »Und dennoch ist dies Tod, ob auch
Gleich Hochzeitskleidern prangt sein Leichenlinnen.
So stirbt ein Tag im reichsten Abendrot,
So küßt die Lippen einer Braut der Tod,
So fühlt ein Jüngling, rings vom Feind bedroht,
Aus Wunden tausendfach sein Herzblut rinnen!« –

Den majestätischen Niagara priesen Franz Lieber, Kaspar Butz, Heinrich Fick, Frank Siller und Mathias Rohr. Michael Lochemes schloß sich mit folgenden Versen an:

Es rasen die Wasser dahin mit Macht,
Sich bäumend wie Rosse bei nahender Schlacht,
Wo über der Felsen granitnem Wall
Hinab sie tosen in jähem Fall. –

Und Wogen auf Wogen jagen heran,
Ziehn schäumend und zischend die wallende Bahn;
Doch alle nach kurz vollendetem Lauf
Nimmt gähnend die dunkle Tiefe auf.
Und sendet in Wolken, so weiß wie Schnee,
Die sprühenden Tropfen zurück zur Höh'. –

Mit verhaltenem Atem der Wandrer lauscht,
Wie der mächt'ge Choral in den Tiefen rauscht,
Der, seit die Welt aus dem Nichts entsprang,
Zu Gottes Preis durch die Wildnis klang
Und, bis die Welt in Trümmer geht,
Fortklingt in gewalt'ger Majestät.

Echte Urwaldspoesie durchweht die Lieder und Skizzen von Wilhelm Dilg, Karl de Haas, Georg Giegold und Joseph Grahamer. Eduard Dorsch, einer der gemütvollsten deutschamerikanischen Dichter, entwarf das folgende Gemälde:

Der Menschen Hütten liegen hinter mir,
Die winz'gen Plätze, wo die Axt gelichtet;
Vor mir der Wald in seiner vollen Zier
Und Stamm an Stamm zum Himmel aufgerichtet.
Kein Sonnenstrahl ist kräftig da genug,
Daß er durch diese Nacht von Blättern dränge,
Noch ist geschmiedet nicht der starke Pflug,
Der dieser Bäume Lebenskraft bezwänge.

Kein abgestorbner Baum fällt hier zum Grund,
Ihn stützen, immer rüstig, die Genossen;
Sein Tod wird selbst den Nachbarn oft nicht kund,
Denn ihn ersetzen seine kräft'gen Sprossen.
Die wilde Rebe schlingt die Ranken noch,
Die weitverschlungnen, um die morsche Leiche,
Und die Trompetenblume blühet doch,
Ist auch vom Blitz zerschellt ihr Stab, die Eiche.

Von Schilf und Silberweiden eingefaßt
Schlingt sich durchs Dickicht dort des Baches Faden,
Der Kranich ist sein oftgeseh'ner Gast,
Von reicher Beute allezeit geladen.
Brüllfrosch und Unke lassen abendlich
Ihr Lied ertönen aus des Wassers Schoße,
Und oben auf der Fläche tummeln sich
Die wilde Ente und die Wasserrose.

Wie friedlich rings und wie unendlich reich
An mannigfaltig wechselnden Gestalten!
Was kommt an Schönheit dir, Natur, wohl gleich,
Wenn du vor'm Menschenaug' dich willst entfalten!
Wie klingt es lieblich, wenn die Melodien
Von tausend Vögeln durch die Lüfte schallen,
Wie liegt das Herz andächtig auf den Knien,
Wenn hoch im Blau der Bäume Wipfel wallen!

Urwald, oh, nimm mich auf in deinen Schoß,
Laß, wie ein Kind, mich Schmetterlinge haschen.
Und dein Getier, auf deinem Bett von Moos
Mit neubegier'gen Augen überraschen.
Die Träne fächle mir vom Angesicht,
Die manchmal ich vergangner Zeit noch weine,
Und, ist mein Auge wieder klar und licht,
Dann leih' zu einem Haus mir Holz und Steine.

Wenn der Orkan dann durch die Bäume fegt,
Geheime Zwiesprach' mit der Welt zu halten,
Wenn donnernd hier die Eiche niederschlägt,
Und dort die Erde klafft in weiten Spalten:
Einstimmen will ich dann in gleichem Ton,
Will die Natur in meine Reime zwingen,
Ein grimmes Lied der Revolution
Und einen Hymnus auf die Freiheit singen!

Das tragische Geschick, dem die roten Urbewohner Amerikas verfielen, stimmte Rudolf Puchner zu folgendem Gesang:

Goldne Blüten schwanken lässig wie im Traume
Langsam hin und her am flachen Ufersaume,
Und im Westen in der Sonne heil'gen Gluten
Will des Abends Seele langsam sich verbluten.

Fernhin auf des Wassers rotbemaltem Spiegel
Ziehen Möwen; wer hält dort am scharfen Zügel
Wohl sein Roß? Vom stolzen Stamm der Chippewäer
Ist's der Krieger einer, einer ihrer Späher.

Sieht er aus nach einem seiner frühern Feinde,
Die sein Blick oft mit dem finstern Tod vereinte,
Wenn er, dem der Haß in seinem Herzen brannte,
Seine Pfeile in die Brust des Feindes sandte?

Fern im Westen ist die Sonne jetzt gesunken,
Deren Strahlen kaum die Erde noch getrunken;
So versank auch dir im dunklen Reich der Sagen
Alles, was du einst in deiner Hand getragen.

Sieh, so weit hier westwärts unsre Blicke reichen,
Fernhin, alles trug einst deines Stammes Zeichen;
Und wenn du den Streit nach fernen Gauen führtest,
Dein war alles, alles, was du nur berührtest!

Leise, wie die Winde durch die trocknen Halme gehen,
Fühltest alles, was dich schmückte, du verwehen.
Wie die Sonne dort, vom hellen Purpur trunken,
Ist dein Glück, dein Stolz – ist deine Macht versunken.

Der gleichfalls zu den »Achtundvierzigern« zählende Rheinpreuße Gustav Brühl, der als Arzt und Gelehrter in Cincinnati lebte, behandelte mit Vorliebe geschichtliche Stoffe in seinen Dichtungen. So machte er beispielsweise das von dem edlen Pastorius entworfene, den Wein, Lein und Webeschrein zeigende Ortssiegel von Germantown zum Gegenstand folgender Dichtung:

Sie sind nicht tot – nach weisem Rat
Schickt Gott zuweilen noch Propheten,
Zu zeigen ihrem Volk den Pfad,
Den es zum Heile soll betreten.

Nur wer des Volkes Tiefen kennt,
Erfreut sich dieser Wundergabe,
Daß er sein künftig Los ihm nennt,
Als schüf er's mit dem Zauberstabe.

So war es jenes Lichtes Blick,
Der Germantown ersann sein Siegel,
Der ihm verkündet sein Geschick
Und hell erschloß der Zukunft Spiegel.

Doch nicht der deutschen Stadt allein,
Der ersten, die einst hier erstanden –
Es sollte Prophezeiung sein
Dem ganzen Deutschtum dieser Landen.

Wie sinnig »Wein, Lein, Webeschrein«.
Ja, Frohsinn, Ackerbau, Gewerbe,
Das soll der Deutschen Banner sein,
Das ihr Symbol, ihr stolzes Erbe!

Sie sollen ihre heitre Lust
Ins starre Yankeeleben tragen,
Froh soll ihr Herz in freier Brust
Nach echter deutscher Weise schlagen.

Mit Reben soll der Hände Fleiß
Die waldumkränzten Hügel krönen,
Und, kosten sie der Traube Preis,
Ihr Lied das stille Tal durchtönen.

Die Axt, der Spaten und der Pflug,
Sie seien ihre Lieblingswaffen,
Den Urwald, drin der Wilde schlug
Sein Zelt, in Gärten umzuschaffen.

Auch in der Werkstatt soll die Hand,
Die ems'ge, sich geschäftig rühren,
Und, an die Arbeit festgebannt,
Den Hammer und die Spule führen;

Soll leiten der Paläste Bau,
Der Brücken, die das Dampfroß tragen,
Der Dome, die ins Ätherblau
Mit ihren stolzen Türmen ragen!

So ist's geschehn – ihr edles Ziel
Verhieß den Deutschen jenes Wappen,
Im heitern und im ernsten Spiel
Fand sie das Leben treu als Knappen.

Sie haben redlich mitgebaut
Am Landeswohl, an seinem Glücke,
Wie's klar der Führer einst erschaut
Mit gottbegabtem Seherblicke.

Wilhelm Müller schildert das mühsame, des großen Zuges aber nicht entbehrende Dasein des deutschen Ansiedlers.

Ich sah dich im Regen und Sonnenbrand,
Im Kampf mit der Wildnis Gewalten.
Die Steppen des Westens mit schwieliger Hand
Zum blühenden Garten gestalten.
Wo jagend der Yuma durchstreifte das Moor,
Da sproßte dir goldener Weizen empor.

Ich hörte, vom laub'gen Dach überspannt,
Dich reden von heiligen Rechten,
Und was du als lautere Wahrheit erkannt,
Mit kernigen Worten verfechten;
Und wenn deine Rede des Glanzes entbehrt,
Nie fehlte ihr Kraft und der innere Wert.

Oft hast du im ärmlichen Werktagskleid
Den Frevler am Frieden gerichtet;
Und redlichen Sinnes durch klugen Entscheid
Den Hader der Nachbarn geschlichtet;
Und war auch der Römer Gesetz nicht zur Hand,
Dir sagte was Rechtens, dein klarer Verstand.

Und wie seine Brut der erzürnte Aar
Befreit vom verfolgenden Schwarme,
So hast du gerettet aus Not und Gefahr
Die Deinen mit schützendem Arme.
Und wenn es die Rothaut zu züchtigen galt,
Erlag deiner Büchse die Axt von Basalt.

Oft fragte ich staunend: »Ist dies der Mann,
Den Armut zum Westen getrieben?
Der zagend des Elends erdrückendem Bann
Entflohn mit den weinenden Lieben?
Der Mann, der hier schaltet mit Wort und mit Tat,
Im Kampfe ein Held und ein Weiser im Rat?«

Wohl bist du derselbe, doch stolz, wie der Baum
Zum Himmel erhebt seine Krone,
Wenn man ihn verpflanzt in sonnigen Raum
Aus rauher, unwirtlicher Zone,
So reifte der Freiheit erwärmender Schein,
Was menschlich in dir und was edel und rein. –

Die Bekanntschaft eines echt modernen deutschen Kulturpioniers vermittelt uns Konrad Nies in seiner formvollendeten Dichtung »Unter texanischer Sonne«.

Texanischer Frühling durchs Bergland ging,
Ein Weben und Wogen den Wald umfing.
... Dem deutschen Siedler ritt ich zur Seit'
Durch die weite, blühende Einsamkeit.

Er hatte einst drüben das Schwert geführt,
Eh' texanischen Grund sein Fuß berührt.
Noch hatte das Tagwerk des Rangers nicht
Den Adel geraubt dem Rassengesicht.

In seinem Auge, das blau und tief,
Ein Abglanz versunkener Sonnen schlief;
Aus Stirn und Nacken, gebräunt und breit,
Sprach unverwüstliche Vornehmheit.

Seit zwei Jahrzehnten, der Freiheit Sohn,
Hatt' er die Wildnis gezwungen zur Fron,
Und hatte sein Feld wie die andern bestellt.
... Doch abseits von ihrer lag seine Welt. –

... Die Pferde hielten ... am Waldesrand
Erschimmerte saatgrünes Ackerland,
Das, frisch gerodet, entbrochen dem Hag,
Inmitten der wuchernden Buschwelt lag.

... »Mein letztes Werk,« – er lächelte fein
Und wies in die keimende Saat hinein.
»– Vor wenig Monden ... drei oder vier ...
War alles noch Urwald und Wildnis hier!

Das lockte zur Axt – und manchen Tag
Gab's schwere Arbeit, doch Schlag auf Schlag
Wich Baum um Baum, und Busch und Dorn.
... Nun keimt schon fröhlich das erste Korn.

... Es ist ja nichts Großes, was man getan.
Ich rechne mir sicher nicht hoch es an ...
... Und dennoch, es ist – wie dem auch sei –
Ein Stückchen Schöpferfreude dabei ...«

Und plötzlich über die Stirne ihm schoß
Ein leichter Schatten, als leise er schloß:
»... So macht man der Zukunft die Wege klar,
Und lernt vergessen, was einmal war.«

... Er spornte sein Tier ... In leichtem Trab
Wir ritten den steinigen Weg hinab
Und sahen den wandernden Wolken nach,
Als plötzlich von – Friedrich Nietzsche er sprach.

Er hatte des Umwerters Wahn erschaut
Und eigene Werte sich aufgebaut.
– Und was er davon mir offenbart
War, wie das Land rings von großer Art.

Und wie er so ritt durch das Sonnenlicht,
So stolz und stark, so rauh und schlicht,
War mir's, als wehe um Baum und Strauch
Vom echten Übermenschen ein Hauch.

... Und lächelnd dacht ich der faselnden Schar
Mit rollendem Aug' und fliegendem Haar,
Die hinterm Ofen weltwichtig krähn,
Und übermenschelnd in Sprüchen sich blähn.

– Wie anders reift, als in Sprüchen und Buch,
Das Leben bei Axthieb und Erdgeruch! – –
... Und tief im texanischen Sonnenschein,
Sprengten wir beide wegfröhlich landein. – –

Dem bittern Unmut über die von ruchloser Habgier verschuldete Verwüstung der amerikanischen Wälder verlieh Nies in seiner berühmten Dichtung »Die Rache der Wälder« energischen Ausdruck.

Des Nachts, wenn die Sonne im Meer entschwand
Und die Wolken im Sturme jagen,
Da geht in den Lüften ein Brausen durchs Land,
Wie geächteter Rechte Klagen.
Aus den Catskills kommt's, wo die Eichen weh'n,
Aus Pennsylvaniens Gebreiten,
Von den Tannen an Minnesotas Seen,
Aus Texas' waldigen Weiten,
Aus den Föhren und Fichten bricht es hervor
In Colorados Gesteinen,
Aus den Rotholzriesen am Goldenen Tor,
Aus den Zedern in Floridas Hainen.
Aus Ost und West, aus Süd und Nord,
Durch Klüfte und Felsen und Felder
Erschwillt er im donnernden Sturmakkord –
Der Racheruf der Wälder!
Wir wuchsen und wachten viel tausend Jahr'
Bei der Wildnis rotem Sohne;
Wir boten ihm Obdach und Waffe dar,
Und Liebe ward uns zum Lohne.
Wir sproßten in Frieden, wir grünten in Ehr',
Wir schützten und schirmten die Lande.
Da brachen die Bleichen waldein übers Meer
Und lösten die heiligen Bande.
Sie danken uns Heimat, sie danken uns Herd,
Die Bleichen, die Feigen, die Feinen,
Doch danklos verwüsten, von Habgier verzehrt,
Das Mark sie von Wäldern und Hainen!
Uns Hüter des Hochlands, uns Wächter der Seen,
Der Vorzeit heilspendende Erben,
Sie fällen uns herzlos, in frevlem Vergehn,
Um Haufen von Gold zu erwerben;
Doch eh' wir zerbrochen, als lebloses Gut,
Der Habsucht uns fügen zum Dache,
Hört, Sturm, uns, und Erde und Feuer und Flut,
Euch rufen herbei wir zur Rache!
Ihr seid uns Genossen seit ewiger Zeit;
Die Urkraft, euch lieh sie die Waffen,
Drum sollt ihr Vergeltung im rächenden Streit
Am Werke der Menschen uns schaffen.
Was immer gezimmert aus unserm Gebein,
Der Städte Getürm und Gemäuer,
Reiß es ein, du, o Sturm, reiß es ein, reiß es ein!
Verzehre in Flammen es, Feuer!
Die Brücken der Ströme, die Schiffe im Meer,
Mit unserem Herzblut errichtet,
Verschling sie, o Flut, bis Welle und Wehr
Verstrudelt, verstrandet, vernichtet!
Verschütte, o Erde, du Mine und Schacht,
Die unserem Schoße entragen! ...
So hallt es und schallt es im nächtlichen Chor
Durch Klüfte und Felsen und Felder,
Vom Hudson landein bis zum Goldenen Tor:
Der Schrei der geächteten Wälder. –
Und täglich und stündlich erstarrt uns das Blut,
Wenn neu uns die Kunden umwogen,
Daß Sturmwind und Erde, daß Feuer und Flut
Die Rache der Wälder vollzogen.

Aber auch Töne tiefster Herzinnigkeit standen deutschamerikanischen Dichtern zu Gebote, wenn es galt, häusliches Glück, die behagliche Wärme des eignen Herdes, den Wert echter Weiblichkeit zu preisen. Heinrich A. Bielfeld, der im »Deutschamerikanischen Athen«, in Milwaukee, lebte und starb, weihte der Mutterliebe folgende Strophen:

Mutterliebe dauert immer,
Sie ist rein, von echtem Gold,
Ohne Prunk und ohne Schimmer,
Stilles Blümchen Wunderhold.
Oh, der süßen Mutterliebe!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Das aus innerm Herzensdrang,
das nicht bloß dem Hirn entsprang,
Sei's ein Lied der Mutterliebe.

Mutterliebe, zart und innig,
Ohne Rast und ohne Ruh,
Immer tätig, immer sinnig,
Nie die Herzenskammer zu.
Oh, der süßen Mutterliebe!
Gibt es einen Erdenpreis?
Ein unsterblich Lorbeerreis?
Vater, Gatte, Sohn und Greis,
Reichet es der Mutterliebe!

Mutterliebe! Heil'ger Frieden,
Hohe Wonne, sel'ge Lust!
Was an Glück uns hier beschieden,
Wohnet in der Mutterbrust.
Oh, der süßen Mutterliebe,
Die da stets dieselbe ist,
Doch sich selber stets vergißt.
Wo der Mann, der dich ermißt,
Reine, süße Mutterliebe?

Mutterliebe, Mutterplage!
Mutterfreude, Mutterschmerz!
Heil dem Kind, das keine Klage
Dir entrissen, Mutterherz!
Oh, der süßen Mutterliebe,
Die an deiner Wiege wacht,
Mit dir weinet, mit dir lacht,
Für dich sorget Tag und Nacht! –
Sei uns heilig, Mutterliebe!

Seiner das Grau des Alltagslebens veredelnden Genossin weihte der in weltabgeschiedener Pfarrei wohnende Alfred Walter Hildebrandt folgenden Lobgesang:

Du schrittest über meine Schwelle,
Die Diele war geflickt und rauh;
Doch Stub' und Herz ward licht und helle
Als du erschienst, geliebte Frau.

Die Heimchen, die verstummt am Herd gesessen,
Sie grüßten uns mit frohem Zirpereim,
Und als zusammen wir das Mahl gegessen,
Ward mir das Haus verwandelt in ein Heim.

Du weißt doch noch? Wir schritten beide
Erregt durchs überschneite Land.
In süßer Lieb und herbem Leide
Sich willig Hand und Lippe fand.

Wohl war's ein Kämpfen und ein Streiten,
Bergauf, bergab ging unser Pfad;
Doch immer war's ein Vorwärtsschreiten
Mit Dir, mein guter Kamerad.

In breiten Straßen und in engen Gassen
Bliebst Du an meiner Seite treu und dicht,
Und fühlt ich mich von aller Welt verlassen,
Von dir verlassen fühlt' ich doch mich nicht.

Das dank ich Dir! Du hast gegeben
Nicht nur den Sinnen flücht'gen Rausch,
Du gabst Dein Herz zum Liebesleben,
Ich gab Dir meins in sel'gem Tausch.

Verlodert ist uns nicht der Liebe Feuer,
Der heiligen, ob auch die Jugend schied;
Am trauten Herd sing' ich in ewig neuer
Verehrung Dir, mein Weib, ein Liebeslied.

Und die geistreiche Dichterin Edna Fern (Frau Fernande Richter) in St. Louis gewährt einen Einblick in die Seligkeit der Liebe in folgenden schönen Versen:

In dem Augenblick der größten Wonne
Hielt ich meine Augen fest geschlossen;
Und da war es mir, als ob die Sonne
Golden hätt' dein Angesicht umflossen;

War es mir, als ob ein Kranz von Blüten
Das geliebte Haupt dir hätt' umgeben;
War's, als ob sich zarte Hände mühten,
Uns ins Grenzenlose aufzuheben.

In der weiten Ferne, fast verloren,
Wundersüße Melodei ertönte:
Ewigkeit war's, die uns selige Toren
Unter Sonnenschein mit Blüten krönte.

Und der freudige Stolz über das eigene Kind kann schwerlich schöner zum Ausdruck kommen als in Hermann Huß' »Sigelind«.

Was blitzt dort fern auf hohem Pfad
Und naht sich pfeilgeschwind?
Ich wett' den Kopf, es kommt zu Rad
Nach Hause Sigelind.

Ein flinker Punkt, ein Zitterstrahl
Erschien es nur vorhin;
Jetzt saust es jäh herab ins Tal,
Als Roß und Reiterin.

Sie ist's! Ich seh's am weißen Hut
Und himmelblauen Kleid,
Noch mehr am frischen Wagemut
In Wegesfährlichkeit.

Jetzt schwindet sie im Grund dem Blick,
Jetzt taucht sie wieder auf,
Fährt jede Kurve mit Geschick
Bei ungehemmtem Lauf.

Im Nu ist sie der Brücke nah.
Jetzt fliegt sie um den See,
Noch ein Moment und sie ist da, –
Dort bringt sie die Allee.

Im Takte hebt sich Knie um Knie,
Und emsig kreist der Fuß,
Mit straffen Armen steuert sie
Den vogelschnellen Schuß.

Wie frei das Amazönchen sitzt,
Wie leicht und schnurgerad!
Wie hell ihr Auge strahlt und blitzt,
Nun jubelnd sie mir naht!

Ein Lichtgebild! Ihr reiches Haar
Weht sonnengoldig im Wind
Ein Diadem nur fehlt, fürwahr,
Prinzeßchen Sigelind.

Ein Augentrost, ein Sonnenstrahl!
Lust, Freude, Jugendglück,
Wie perlender Wein im Goldpokal,
Erglüht in ihrem Blick.

Noch in Bewegung, springt gewandt
Und sicher sie zur Erd;
Und wie sie schiebt zum Straßenrand
Das blinkende Gefährt:

»Papa, da bin ich,« ruft sie hell,
»Ich, deine Sigelind!«
Ich aber flieg' und nehme schnell
Ans Herz mein liebes Kind.

Georg Asmus, dem Verfasser des berühmten »Amerikanischen Skizzebüchelche«, verdankt man die beiden folgenden, in hessischer Mundart gehaltenen Dichtungen »Mainacht« und »Im Dörfche«.

In dunkelfeuchter Maienacht,
Leuchtkäferche nur glüht;
Verstohle noch manch Herzche wacht;
Was blühe kann, das blüht.
Und 's Mädche unnerm Flieder,
Da drin ein Hänftling baut,
Drückt sich die Händ ans Mieder
Und seufzt enaus halblaut:
»Ach, wer heint en Schatz hätt'!«

*

Armselig Dörfche, was biste so arm,
Die Häuscher, die Scheuern, daß Gott sich erbarm!
Die Kühcher, die Geise wie mager und klein,
An de Bäum da, das müsse Holzäppel sein.
So dacht ich und strich durch das Dörfche geschwind,
Da guckt aus em Fenster e wundersam Kind;
Es ware die Haare aus Gold ihr gemacht,
Die Zähncher von Perle unschätzbarer Pracht;
Die Haut war von Sammet, die Lippe Rubin,
Und' all um ihr Köppche Demantelicht schien.
Ei, dacht ich, arm Dörfche, was biste so reich,
Is das e Verschwendung, sin das vor Gebräuch!
Und wie ich am Zaun e Blümche mir brach,
Warf blaue Juwele ihr Blick mir noch nach.

»Die rote Blume« nannte der hochbegabte George Sylvester Viereck in New York einen Sang, der für seine Dichtkunst besonders bezeichnend ist.

Es war in den Tagen, den Tagen der Rosen,
Da küßtest von Kummer das Herz du mir frei!
Jetzt blühen im Garten die Herbstzeitlosen,
Und Herbstzeitlosen bekränzen uns zwei:
Gestorben die Liebe, das Glück und der Mai,
Und kalt ist und trostlos ein jeglicher Ort,
Die Tage der Rosen sind längst vorbei:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.

Einst wollte allewig die Lippen ich küssen,
Die rot wie der Mantel der Königin sind;
Einst glaubt' ich allewig dich lieben zu müssen,
Mein traumschönes, braunes, liebreizendes Kind.
In den Kronen der Bäume, da raschelt der Wind,
Er trägt in die Ferne die Blätter hinfort,
Die Liebe erstirbt und der Sommer verrinnt:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.

Wir haben vom Honig der Liebe gegessen,
Wir haben getrunken den Sonnenschein,
Wir haben den Schlüssel zum Garten besessen,
Wo blühet die Blume so rot wie Wein.
Da stahl ihn ein goldiges Vögelein,
Es blieb unsrer Liebe nicht Zuflucht noch Hort,
Es herbstelt da drinnen wie draußen im Hain:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.

Es ändert das Schicksal nicht Elfe, noch Fei;
Ich finde nie mehr das erlösende Wort;
Nichts zaubert Vergangnes wieder herbei:
Und die rote Blume ist längst verdorrt.

Für den Philosophen und Fabeldichter Hermann Rosenthal ist die folgende Dichtung charakteristisch:

Der Esel sprach zur Nachtigall:
»Schon lange hör' ich überall
Von deiner Kunst die rühmlichsten Geschichten!
Doch trau' ich nicht den täglichen Berichten.
Laß hören deiner Stimme Klang
Und deinen wunderlichen Sang,
Dann will ich selber richten!«

Die Nachtigall begann alsbald
Ein Lied aus tiefster Seele.
Es drang aus voller Kehle
In tausend Trillern durch den Wald.
Die Vöglein in den Zweigen
Verharrten still in Schweigen;
Der Schäfer am Waldessaume
Stand lange wie im Traume. –
Und als der Sang zu Ende war
Der Esel sprach: »J–a, das ist klar,
Daß dir's nicht mangelt an Talent,
Daß man mit Recht dich Säng'rin nennt, –
Und daß du in der Form gewandt bist.
Doch tut's mir leid,
Daß du mit unsrem Hahn nicht bekannt bist!
Du könntest mit der Zeit,
Hört'st öfter du den Meister singen,
Zur Sängerin des Hofs es bringen.« –

Der in New York dem Lehrfach obliegende Deutsch-Österreicher Joseph Winter widmete dem Andenken des Dichters Platen folgende Ode:

Nächtlich in dem stillen Landhaus liegt der edle Dichter Platen,
Ferne von der deutschen Heimat, fern den heimischen Penaten.
Und die bleichen Lippen lispeln, und es klingt wie Sterbelieder,
Aus der fast verklärten Seele tönen seine Geister wieder.
Und der Gastfreund Landolina sendet nach dem frommen Pater;
Um den Kranken zu versöhnen, kam der geistliche Berater.

Doch der Sänger will nicht beichten; er verlangt nur nach dem Kreuze;
Küssen will er den Erlöser sehnsuchtsvoll im Glaubensreize.
»Ich bin Protestant, Hochwürden!« gab dem Priester er zu wissen,
»Doch ich möchte, eh' ich sterbe, einmal noch den Heiland küssen.«
Und mit tiefgerührtem Schweigen wird erfüllt die letzte Bitte,
Denn der Dichter ist kein Ketzer, trennt sie auch des Glaubens Sitte.

Bald drauf eilt durch Syrakus die ernste Trauerkunde
Von dem Tod des deutschen Sängers und von seiner Sterbestunde.
Unter Lorbeern, tief beschattet, ruht der Dichter auf der Bahre,
In der Hand sein »Buch der Oden«, einen Kranz um seine Haare.
Und die Stadt des Theokritos gibt dem Toten das Geleite,
Als der Trauerzug, der fromme, sich in dumpfem Schweigen reihte.

Doch, wer harret vor dem Dome? – Hundert Priester im Talare,
An der Spitze ihren Fürsten, folgen sie der schlichten Bahre.
Ja, es folgt der ganze Klerus mit dem greisen Kardinale,
Orgelton und Chorgesänge dringen aus der Kathedrale.
Und sie knien vor dem Grabe bei den düsteren Zypressen,
Jeder Unterschied des Glaubens ist in dieser Stund' vergessen.

Nur das Dogma konnt' sie trennen! Doch den Dichter muß man ehren!
Und des Glaubens Schranken fallen, wenn es gilt, den Ruhm zu mehren.

»Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder«,
Und am stillen Dichtergrabe schallt die Antwort leise wieder:
»Ruhe sanft, du edler Sänger, vielgeschmäht und ohne Habe,
Deutschlands Söhne halten Wache an des toten Barden Grabe.
Deiner Oden Feuerklänge, der Sonette Reimesheere,
Deiner Lieder Tönewellen rauschen fort von Meer zu Meere!«

Der sinnige Newarker Karl Kniep zeigt uns die wesenlosen Schatten der Vorzeit:

Es ist ein langer, bunter Zug,
Bald farbenreich, bald düster,
Bald Wahrheit folgend, bald dem Trug,
Bald Schöpfer, bald Verwüster;
Bald blasen lieblich die Schalmein;
Bald donnern die Kanonen drein.

Hier hörst du einen lust'gen Hauf
Dem Bachus Lieder singen;
Und blutbesudelt schaust du drauf
Die andern Schwerter schwingen;
Hier beten sie zum lieben Gott,
Dort schlagen sie einander tot.

Schaust du ihm nach, in weiter Fern'
Im Nebel er verschwindet;
Dort leuchtet schwach noch mancher Stern,
Und auf dem Weg man findet
Noch manchen Rest verschwundner Pracht,
Und Tote, die einst froh gelacht.

Doch von dem Zug, ganz weit vorauf,
Kannst nichts du unterscheiden;
Es hat der langen Zeiten Lauf
Verwischet Freud' wie Leiden
Von jener allerersten Schar,
Die dieses Zuges Anfang war.

Im Meere der Unendlichkeit
Sind längst sie aufgegangen,
Und von der fern verflossnen Zeit
Konnt' nichts zu uns gelangen.
Was sie auch auf den Weg gestreut,
Kein Stäubchen blieb davon für heut!

So zogen sie manch tausend Jahr',
Und keine Spur blieb haften;
Und dürftig auch der Fund nur war
Von dem, was Spätre schafften.
Treu wird ein Bild der Zeit uns nie,
Hier zeichnet nur die Phantasie.

Sie sinnt und zeichnet emsig fort
Und will uns Einsicht geben,
Mutmaßend nach geschriebnem Wort
Von längst verschollnem Leben.
Es bleibt ein Schattenbildnis nur,
Das man entwirft nach schwacher Spur.

Echte Zukunftspoesie durchzuckt hingegen Friedrich Michels »Weltausstellungslied«, zu dem er auf der Weltausstellung zu St. Louis beim Durchschreiten des Gebäudes für Elektrizität angeregt wurde:

Allüberall flutet
Es taghell und glutet;
Und Funken, die sprühen,
Und Lampen, die glühen.
Geknister, Geknatter,
Hier stärker, dort matter.
Welch magische Schöne!
Welch seltsame Töne!
Und Räder, die surren
Und treiben und schnurren
So rasend geschwinde
Wie sausende Winde;
Elektrische Wunder
Herauf und hinunter,
Herüber, hinüber,
So schießt ihr vorüber
Am Aug', das geblendet
Und staunend sich wendet.
Ich aber beginne
Zu träumen und sinne
Vom kommenden Lichte
Der Menschheitsgeschichte,
Vom Fortschritt der Zeiten,
Vom endlichen Scheiden
Der finsteren Mächte
Der Herren und Knechte.
Schon seh' ich umfluten
Die goldenen Gluten
Der Freiheit die Erde. –
Sprich Menschheit: Es werde!

Der Größe und Herrlichkeit der neuen Heimat sangen deutschamerikanische Poeten gleichfalls begeisterte Lieder. Theodor Kirchhoff,der »Poet vom Goldenen Tore«, widmete dem Staat Kalifornien folgende Hymne, die erhebendste, die je zum Preise dieses Wunderlandes gedichtet wurde:

Warum du mir lieb bist, du Land meiner Wahl? –
Dich liebt ja der warme Sonnenstrahl,
Der aus Ätherstiefe, azurrein
Deine Fluren küßt mit goldenem Schein!
Dich liebt ja des Südens balsamische Luft,
Die im Winter dir schenket den Blütenduft,
Deine Felder schmückt mit smaragdenem Kleid,
Wenn's friert im Osten und stürmet und schneit!
Dich liebt ja das Meer, das »Stille« genannt,
Das mit Silber umsäumt dein grünes Gewand,
Das dich schützend umarmt, mit schwellender Lust
Dich wonniglich preßt an die wogende Brust! –
Wie dein Meer, wie der Lüfte Balsamhauch,
Wie die Sonne dich liebt, so lieb' ich dich auch.
Deine Söhne zumal, – ihr rasches Blut,
Pulsierend in frohem Lebensmut,
Deine Töchter mit Wangen frisch und gesund,
Die Seele im Auge, zum Küssen der Mund.

Warum du mir lieb bist? – Nicht ist es dein Gold,
Du Land, wo die westliche Woge rollt.
Ich wählte zur Heimat diesen Strand,
Weil ich offne, warme Herzen hier fand,
Weil fremd hier der niedrige, kleinliche Sinn,
Der nur strebt und trachtet nach kargem Gewinn,
Weil die eigene Kraft hier den Mann erprobt,
Nicht ererbtes Gut den Besitzer lobt.
Eine Welt für sich, voll Schönheit, trennt
Dich die hohe Sierra vom Kontinent;
Doch schlugst du mit eiserner Brücke den Pfad
Über wolkentragender Berge Grat,
Und täglich vernimmst du am goldenen Port
Von den fernsten Gestaden der Völker Wort.
Du bewahrtest das Feuer der Jugend dir,
Den Geist, dem Arbeit des Lebens Zier,
Der wagt und ringet und nie verzagt,
Und wo es sich zeiget, das Glück erjagt.
Ja! ich liebe dich, blühendes, westliches Land,
Wo die neue, die schöne Heimat ich fand.
Wer früge wohl noch, der dich Herrliche sah,
Warum du mir lieb, California!

In nicht minder schwungvollen Versen sangen Friedrich Grill, Heinrich Fick und viele andere das Lob Columbias. Dem »Gruß an Amerika« von Dorothea Böttcher entnehmen wir folgende Strophen:

Amerika, o neues Heimatland!
Du Land der Freiheit, Land voll Licht und Wonne!
Sei uns gegrüßt, du gastlich holder Strand,
Sei uns gegrüßt, du goldne Freiheitssonne!

Du Rieseninsel, die sich aus dem Belt
Gezeuget in Poseidons Riesenbette,
Erhoben, in sich selber eine Welt,
Der Menschheit schönste, letzte Zufluchtsstätte!

O gottbegnadet Land, wie reich, wie schön!
Mit deinen Seen, üppigen Prärien,
Fruchtbaren Tälern, waldumkränzten Höh'n,
Und deinen süßen Freiheitsmelodeien!

Heil dir, Columbia, herrlich, groß und kühn!
Das Auge von Millionen ruht verwundert,
Auf dir, Erhabne, deren Staaten blühn,
Frei, reich und unabhängig, ein Jahrhundert.

Dein glorreich Haupt, umstrahlt vom Freiheitsschein,
Die Herrscherin der Welt wirst du erstehen!
Die Zukunft wie die Gegenwart sind dein,
Und siegreich wird dein Sternenbanner wehen!

Ziel unsrer Wünsche, aller Hoffnung Strand,
Wird hier die Not, der Schmerz, die Sehnsucht schwinden?
Das uns verheißne, das gelobte Land –
O Gott im Himmel, laß es hier uns finden!

In die Gattung dieser Poesien gehört auch Friedrich Albert Schmitts feuriges Freiheitslied »Sterne und Streifen«, das zweifellos zu den besten in Amerika entstandenen patriotischen Dichtungen gehört:

Im Morgenwind in der Sonne Gold
Der Freiheit heiliges Banner rollt;
Sein Rauschen tönet wie Adlerflug
Um Alpenhäupter im Siegeszug.
Es klingt wie das Rauschen im Urwaldsdom,
Es klingt wie das Brausen im Felsenstrom,
Es klingt wie die Brandung am Klippenstrand,
Von See zu See und von Land zu Land:
Freiheit! Freiheit!

Wie die ewigen Sterne vom Himmelszelt
Herniedergrüßen zur träumenden Welt,
Wie im blauen Äther ihr Licht erglüht,
Erfreuend, erhebend das Menschengemüt,
So grüßen die Sterne des Banners, wenn hold
Es den staunenden Blicken der Völker entrollt,
So kündet ihr Anblick vom heiligen Hort
Dem Lande der Freien das herrliche Wort:
Freiheit! Freiheit!

So zog es voran einst der Väter Heer,
Als die Knechtschaft dräute und Fesseln schwer;
So hat es ermutigt die Kämpfer im Streit,
So hat es die Waffen der Krieger gefeit,
So hat es die heilige Liebe geschürt,
So hat es zum herrlichen Sieg sie geführt,
So hat es gewährt ihnen köstlichen Lohn,
So hat es geheiliget der Union
Freiheit! Freiheit!

Ihr Sterne so hehr und ihr Streifen so hold,
Oh, rauschet zum Feste, oh rauschet und rollt
Und kündet den Kindern und Enkeln es an,
Was einst um die Freiheit die Väter getan!
Oh, rollet und rauschet ein ewiges Lied,
Daß tief in den Herzen es woget und glüht,
Oh, rollet und rauschet, dem Segen geweiht,
Ob dem Lande der Freien in Ewigkeit!
Freiheit! Freiheit!

Doch genug der Proben deutschamerikanischer Dichtkunst. Es gebricht an Raum, allen im Bereich der Union erstandenen deutschen Poeten gerecht zu werden, von denen der gemütvolle Friedrich Castelhun, der Richter Max Eberhardt, der geistvolle Kuno Francke und sein Kollege Hugo Münsterberg, der Wandervogel Wilhelm Benignus, der sarkastische Witzbold Karl Hauser, der feurige Martin Drescher, die Dichterinnen Marie Raible, Johanna Nicolai, Martha Toeplitz und viele hundert andere verdienen, genannt zu werden. Aber die mitgeteilten Proben dürften beweisen, daß die Göttin Poesie auch unter den Deutschen Amerikas ebenso begeisterte wie berufene Priester besitzt, die imstande sind, durch ihrer Sprache Zauberklang Tausende und aber Tausende zu erfreuen und zu erheben. Möge es ewig rauschen und brausen im deutschamerikanischen Dichterwald.

*

Auch auf dem Gebiet der Bühnendichtung schufen Deutschamerikaner manches Bemerkenswerte.

Mit besonderer Vorliebe behandelten sie historische Stoffe. Der lodernder Begeisterung fähige Kaspar Butz schrieb das mit großem Erfolg in St. Louis aufgeführte Drama »Florian Geyer«; Ernst Anton Zündt die Trauerspiele »Jugurta«, »Rienzi« und »Galilei«; P. J. Reuß unter dem Pseudonym Otto Welden »Karl XII.«, »Arria«, »Die Zerstörung Jerusalems« und »Tippo Saib«; Karl Heinrich Schnauffer das Trauerspiel »Cromwell«; Hugo Schlag »Thomas Münzer«; Emil Schneider »Ulfila«.

Ernst Henrici bekundete sich in den Dramen »Nausikaa«, »Herostratos«, »Bretius« und »Charlotte Corday« als feinfühlender Dichter.

Friedrich Schnake behandelte in den Trauerspielen »Montezuma«, »Quatemozin« und »Maximilians letzte Tage« erschütternde Vorgänge aus der mexikanischen Geschichte.

Victor Precht machte den wackeren Gouverneur Jakob Leisler zur Hauptfigur eines gleichnamigen Trauerspiels, das zuerst im Jahre 1877 in New York große Begeisterung erregte. Karl Lorenz und Bertrand Hoffacker entnahmen die Vorwürfe zu ihren Tragödien »Das Schandmal« und »Enthüllungen, oder Rot, Weiß und Schwarz« hingegen dem modernen Leben.

Unter den Schauspieldichtern steht Wilhelm Müller mit den beliebten Volksstücken »Im gelobten Land« und »Ein lateinischer Bauer« obenan. Der vielseitige Karl Heinzen schrieb das Lustspiel »Dr. Nebel, oder Gelehrsamkeit und Leben«. Glückliche Griffe ins amerikanische Volksleben taten Heinrich Börnstein mit seinem »Einwandrer«, Max Cohnheim mit »Herz und Dollar«, Georg Hermann mit »Strategie der Liebe« und W. L. Rosenberg mit den Stücken »Crumbleton« und »Die Moralwage«.

Erwähnenswert sind ferner Katzers »Kampf der Gegenwart«, Bernhard Bettmanns »Zigeunerrache«, Karl Diltheys »Küraß und Kutte«, Friedrich H. Ernsts »Peter Mühlenberg oder Bibel und Schwert«.

Zur seichteren Ware zählen die von Adolf Philipp geschriebenen Lustspiele »Der Corner Grocer aus der Avenue A«, »Der Pawnbroker«, der »Brauer« und andere, die aber in dem von Philipp geleiteten Germaniatheater zu New York zahllose Aufführungen erlebten.

August L. Wollenweber behandelte in den Schauspielen »Gila, das Indianermädchen« und »Die Lateiner am Schuylkill Kanal« Episoden aus dem Leben deutscher Ansiedler in Amerika. –

Unter den epischen Dichtungen sind Theodor Kirchhoffs »Hermann«, Ferdinand Schreibers »Amanda«, Gustav Brühls »Charlotte«, Julius Brucks »Ahasver«, Henricis »Aztekenblume«, Rudolf Puchners »Aglaja«, Wilhelm Müllers »Schabiade« und Rudolf Thomanns »Leben und Taten des Hannes Schaute« hervorzuheben.

Auch an Festspieldichtungen ist kein Mangel. Von diesen kamen besonders die von Konrad Nies verfaßten, in edler Sprache gehaltenen »Deutschen Gaben« und »Rosen im Schnee« wiederholt in deutschamerikanischen Vereinigungen zur Aufführung. Ihnen reiht sich die ebenbürtige Leistung »Arminius' Brautfahrt« an, die von Emil Roller gedichtet, in reizvoller Weise das Werben eines deutschen Recken um die in Jugendschönheit strahlende Braut Columbia schildert.

Überblickt man die lange Reihe der deutschen Männer und Frauen, denen inmitten der keuchenden, atemlos hetzenden Arbeitsatmosphäre Amerikas die Dichtkunst eine liebe Gefährtin blieb, so kann man sich eines Gefühls tiefer Ehrfurcht nicht erwehren.

Ruhm und klingender Lohn war diesen Priestern und Priesterinnen der Poesie selten beschieden. Nie wurden ihre Namen den breiten Volksmassen vertraut. Ihre Werke verfielen, kaum daß sie geboren, der Vergessenheit. Aber dennoch nährten und behüteten diese Deutschen die heilige Flamme, die ihr Inneres erwärmte und ihnen als Führerin auf den verworrenen Wegen des Lebens voranleuchtete.

Deutsches Lied und deutscher Sang in Amerika.

Ich dachte dein, du trautes Heimatstal,
So oft ich träumend in die Ferne schaute;
Ich dachte dein, als ich zum erstenmal
In fremdem Lande hört' der Heimat Laute. –
Die Töne fernher zu mir drangen,
Ein wundersam ergreifender Gesang;
Wie nehmen sie das ganze Herz gefangen,
Oh, diese Lieder – dieser Töne Klang!

Da kam es über mich wie Zuversicht;
Und als der Töne letzter Hauch zerstoben,
Erhob ich frei mein Haupt zum Sternenlicht
Und lenkte dankerfüllt den Blick nach oben. –
Ob in der Heimat, ob an fremdem Ort
Der wackre Sohn des deutschen Landes lebt,
Oh, deutsches Lied, stets wirst du hier wie dort
Das Herz erfreu'n, das stilles Glück umwebt!

Adolf Hachtmann Die obigen Verse wurden in der von Faßbender bewirkten Vertonung bei der Feier des fünfzigjährigen Bestehens des »Nordöstlichen Sängerbundes« am 5. Juli 1900 als Preislied von den um den Kaiserpreis wetteifernden Vereinen gesungen.

Wo in Amerika das erste deutsche Lied erklang? Ob an den Ufern des südamerikanischen Silberstroms, ob unter den Palmen Venezuelas, ob auf den Hochebenen von Bogota und Mexiko, ob an den Gestaden des Hudson? Niemand vermag es zu sagen. Wir wissen nur, daß das deutsche Lied zu den kostbarsten Schätzen gehörte, die von den aus dem alten Vaterlande Auswandernden mit in die Neue Welt hinübergenommen wurden.

Bereits in früheren Abschnitten zeigten wir, daß die deutschen Sektierer, die sich zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Pennsylvanien niederließen, große Neigung für Gesang und geistliche Musik bekundeten und damit ihren Gottesdienst auszuschmücken pflegten. Daß diese Sektierer in der Pflege des Gesanges unter den Deutschen nicht vereinzelt standen, ergibt sich aus dem Zeugnis des oft erwähnten Dr. Benjamin Rush, welcher in seiner Darstellung der Sitten und Lebensweise der deutschen Einwohner von Pennsylvanien denselben nachrühmte, daß sie im Psalmensingen alle anderen religiösen Gesellschaften im Staate übertroffen hätten.

Zur Gründung eines weltlichen Gesangvereins kam es erst am 15. Dezember 1835, an welchem Tage unter der Leitung des tüchtigen Musikers Philipp Mathias Wolsiefer der noch heute bestehende » Männerchor von Philadelphia« gestiftet wurde. Diesem reihten sich bald darauf in anderen Städten ähnliche Vereine an. So entstanden im Jahre 1836 der » Liederkranz« in Baltimore; 1838 der » Deutsche Gesangverein« in Cincinnati; 1847 der » Deutsche Liederkranz« in New York; 1848 der » Deutsche Liederkranz« in Louisville usw. Bald besaß jede Stadt mit deutscher Bevölkerung einen oder mehrere deutsche Gesangvereine. In Baltimore wurde zur selben Zeit, im Jahre 1838, durch Verschmelzung des Damenchors der Zionskirche mit dem »Liederkranz« der erste gemischte deutsche Chor Amerikas gegründet.

Das Gedeihen aller dieser Vereine wurde durch die Einwandrung der aus Deutschland kommenden politischen Flüchtlinge der dreißiger und vierziger Jahre mächtig gefördert. Dieselben brachten die begeisternden Freiheitslieder Hoffmanns von Fallersleben, Herweghs, Freiligraths, die Lieder Uhlands, Heines, Lenaus u. a. mit und bereicherten obendrein die deutschamerikanische Literatur durch zahllose eigene Dichtungen.

Gelegentliche Besuche, wie sie beispielsweise im Jahre 1837 vom »Liederkranz« der Stadt Baltimore, dem »Männerchor« von Philadelphia, und vom »Liederkranz« zu Louisville der »Liedertafel« in Cincinnati abgestattet wurden, gaben die Anregung zu gemeinschaftlichen Sängerfesten wie zu den Sängerbünden.

Als das erste deutsche Gesangfest in Amerika darf jenes gelten, welches am 1. und 2. Juni 1849 von den vereinigten Sängern von Louisville, Madison und Cincinnati in der letztgenannten Stadt abgehalten wurde. Das Programm des am 1. Juni abgehaltenen Hauptkonzerts war folgendes:

Erster Teil.

1. Chor der drei hiesigen Vereine:
Sängergruß: »Seid gegrüßt in froher Stunde« Zöllner
2. Allgemeiner Chor:
»Herbei, herbei, du trauter Sängerkreis« Mozart
3. Chor der Cincinnatier Liedertafel:
Das Vaterland: »Dir möcht' ich diese Lieder weihen« Kreutzer
4. Chor des »Louisville Liederkranz«:
»Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust« Volkslied
5. Chor des »Gesang- und Bildungsvereins« von Cincinnati:
»Macht der Töne« Frech
6. Chor des »Schweizervereins« von Cincinnati:
»Das Alpenhorn« Proch
7. Allgemeiner Chor:
Die Kapelle: »Was schimmert dort auf dem Berge so schön« Kreutzer

Zweiter Teil.

8. Allgemeiner Chor:
»Was ist des Deutschen Vaterland« Reichardt
9. Chor des »Schweizervereins«:
»Der Morgen« Baumann
10. Chor des »Gesang- und Bildungsvereins«:
»Soldaten-Trinklied« Abt
11. Chor des »Liederkranzes«:
»Wir kommen, uns in dir zu baden« F. Silcher
12. Chor der »Liedertafel«:
»Das ist der Tag des Herrn« Kreutzer
13. Allgemeiner Chor:
»Ein Leben wie im Paradies« Zöllner

Alle Nummern wurden gut, manche sogar so vorzüglich durchgeführt, daß die Begeisterung der Zuhörer kaum übertroffen werden konnte. In der am folgenden Morgen, dem 2. Juni, abgehaltenen Generalversammlung der beteiligten Vereine beschlossen dieselben, die freundschaftliche Verbindung nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch auf andere deutsche Gesangvereine auszudehnen. So entstand der » Deutsche Sängerbund von Nordamerika«, dessen Geburt am dritten Festtag, einem herrlichen Sonntag gefeiert wurde. Sämtliche Festteilnehmer, über tausend an der Zahl, fuhren in aller Morgenfrühe auf reichgeschmückten Dampfern den Ohio hinauf bis zu dem sechs Meilen entfernten, romantisch gelegenen Bald Hill, von dessen bewaldetem Gipfel sich ein entzückender Ausblick auf die Täler des Ohio und Miami darbot. Unter fröhlichen Gesängen verstrich der Vormittag; dann vereinigten sich die Teilnehmer zu einem durch treffliche Reden gewürzten Mahl, an welches sich später ein echtes deutsches Volksfest anreihte.

Der herzerhebende Verlauf dieses ersten deutschen Gesangfestes in Amerika war für die amerikanische Presse eine Quelle des Staunens. »The music on the high hill, in the midst of a pleasant grove, by nearly two hundred singers, was grand beyond our power of description.« So schrieb die »Gazette«, wobei sie einflocht, daß die Amerikaner, die sich viel zu wenig Erholungen gönnten, häufiger an derartigen Vergnügungen teilnehmen möchten.

Daß in der puritanischen Presse auch einzelne absprechende Stimmen laut wurden, war nicht anders zu erwarten. Zumal die Deutschen gewagt hatten, ihr Volksfest an einem Sonntag zu begehen. Eine dieser Zeitungen machte die Sänger sogar für das Erscheinen der Cholera in Cincinnati verantwortlich, behauptend: »These Dutch singers with their intemperate jubilee, drinking the sour wine, have brought the cholera upon us.«

Hatte so das deutsche Lied an den Ufern des Ohio eine Heimstätte gefunden, so blieb man auch im Osten nicht müßig. Wohl in der Erkenntnis, daß die ungeheuren räumlichen Entfernungen des Landes den östlichen Vereinen die Beteiligung an den Sängerfesten der westlichen Vereine unmöglich machen würden, gründete man im Jahre 1850 in Philadelphia den »Allgemeinen östlichen Sängerbund«, der als Vorläufer des heutigen » Nordöstlichen Sängerbundes« anzusehen ist. Während der »Nordamerikanische Sängerbund« sich auf die zwischen den Alleghanygebirgen und dem Mississippi bestehenden Vereine beschränkte, sammelte dieser die östlich von den Alleghanys entstandenen Vereine um sich. In den Jahren 1852 und 1855 reihten sich diesen Bünden noch der » Deutsch-Texanische« und der » Nordwestliche Sängerbund«, an, von denen der letzte die in Wisconsin, Minnesota und westlich vom Mississippi emporgeblühten Vereine umfaßt.

Den mächtigen Anstrengungen dieser Bünde ist es zu danken, daß das deutsche Lied in überraschend kurzer Zeit einen wahren Siegeszug durch ganz Amerika vollenden konnte.

Auch die Amerikaner gelangten zu der Einsicht, daß es töricht sei, den Blick ausschließlich aufs Jenseits gerichtet zu halten. Sie begannen nicht nur ihre Häuser dem deutschen Musiklehrer zu öffnen, sondern deutschen Gesangvereinen beizutreten und sogar eigene ins Leben zu rufen. Schon bei dem vierten, im Juni 1853 zu Philadelphia abgehaltenen Sängerfest befand sich unter den am Preissingen teilnehmenden Vereinen ein anglo-amerikanischer, der sich kurz zuvor dem Nordöstlichen Sängerbunde angeschlossen hatte und von diesem zur Mitwirkung an gemeinsamer Kulturarbeit freudig aufgenommen worden war.

Die Folge hat gelehrt, daß die bei den Amerikanern erweckte Liebe zur Musik und zum Gesang keine vorübergehende Neigung war; sie befestigte sich für alle Zeiten, als hervorragende Dirigenten an die Spitze der Gesangvereine, Konzert- und Opernunternehmungen traten und die Amerikaner mit den großartigsten Schöpfungen der deutschen Gesangskunst bekannt machten; als so gottbegnadete Sänger und Sängerinnen wie Theodor Wachtel, Albert Niemann, Pauline Lucca, Lilli Lehmann, Henriette Sontag, Amalie Materna, Etelka Gerster, Johanna Gadsky, Ernestine Schumann-Heink und viele andere die Neue Welt besuchten und die Amerikaner mit den herrlichsten Schöpfungen der deutschen Gesangskunst, den wunderbaren Arien der deutschen Oper und Oratorien vertraut machten. Von der Zaubermacht solcher Schöpfungen bezwungen, scharten die Amerikaner sich gleichfalls zu Gesangvereinen zusammen, die in dem Bestreben, in der Wiedergabe der Schöpfungen und Oratorien deutscher Meister die höchste Vollkommenheit zu erringen, mit den deutschamerikanischen Vereinen wetteifern.

Wenn es, wie in der Geschichte aller Vereinigungen, auch bei den großen deutschamerikanischen Sängerbünden Zeiten der Lauheit gab, so können aber im allgemeinen diese Verbände mit gerechtem Stolz auf die vollbrachte Kulturarbeit zurückblicken. Ihre Bedeutung und ihr Einfluß sind noch heute beständig im Wachsen. Das ergibt sich am schlagendsten aus den Sängerfesten des »Nordöstlichen Bundes«, die nach einem im Jahre 1871 gefaßten Beschluß nicht mehr jährlich, sondern nur alle drei Jahre stattfinden. Von Fall zu Fall haben sich diese Feste bedeutungsvoller, großartiger gestaltet. Das im Lande der Riesenströme, Riesenbäume, Riesenschluchten, Riesenbrücken und Riesenbauten überall wahrnehmbare Streben nach Gigantischem, Massigem, teilte sich nämlich auch diesen Sängerfesten mit und ließ sie zu Ereignissen werden, wie sie in gleich großem Maßstabe in Deutschland nie gefeiert wurden. Bei dem in Brooklyn abgehaltenen vierzehnten Sängerfest waren 2200 Sänger versammelt. An dem fünfzehnten Feste in Baltimore nahmen 3000, am sechzehnten in Newark 400, am siebzehnten in New York 5000, am 18. in Philadelphia 5300 aktive Sänger teil.

Während dieser Feste stellte es sich heraus, daß die Vereinigung so gewaltiger Sängerscharen zu gigantischen Massenchören zwar große Reize, aber auch Schwierigkeiten und Gefahren für das allseitig befriedigende Gelingen der Feste besitzt. Das trat in sehr anschaulicher Weise bereits bei dem im Jahre 1894 in New York abgehaltenen siebzehnten Sängerfest zutage, wo man, um die volle Entfaltung der Massenchöre sicherzustellen, genötigt war, als Festhalle den »Madison Square Garden«, das größte, 15 000 Personen fassende Versammlungslokal New Yorks, zu wählen. Kamen daselbst die vieltausendstimmigen Massenchöre in geradezu überwältigender Weise zur Geltung, so ergab sich aber auch, daß die Lungenkraft der mitwirkenden Solisten nicht ausreichte, so ungeheure Räume zu beherrschen und gegenüber dem niagaraartigen Brausen der Chöre zu entsprechender Wirkung zu gelangen.

Mit Recht erhoben deshalb maßgebende Kritiker die Warnung, nicht in das undeutsche Streben nach dem Massenhaften, Mammutartigen zu verfallen, sondern die Ziele anstatt in Monstrefesten in alljährlich wiederkehrenden kleineren Sängerfesten der Gauverbände zu erstreben.

Diese Empfehlung konnte bei dem im Juli 1900 abgehaltenen neunzehnten Sängerfeste zu Brooklyn nicht ganz beherzigt werden. Verschiedene Umstände bewirkten vielmehr, daß dasselbe eine noch größere Ausdehnung als seine Vorgänger annahm. Es beteiligten sich an demselben nämlich 174 Vereine mit über 6000 Sängern!

Zu diesem Massenzuzug trug einmal der Umstand bei, daß der »Nordöstliche Sängerbund« die Feier seines fünfzigjährigen Bestehens beging; dann auch war aus Anlaß dieses Ereignisses für die in der edlen Sangeskunst wetteifernden Vereine eine große Zahl sehr wertvoller Preise ausgesetzt, darunter ein von Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. gewidmeter, dessen Stiftung in den Herzen aller Deutschamerikaner begeisterte Freude erweckte und dem Jubelfeste eine ungewöhnliche Anziehungskraft verlieh.

Die Gabe bestand in der auf einem Untersatz aus Bronze stehenden 40 cm hohem Silberstatuette eines Minnesängers des 12. Jahrhunderts. Es wurde beschlossen, dieses kostbare Kunstwerk jenem Verein endgültig als Eigentum zuzusprechen, der ihn zweimal unbestritten gewann. Da diese Bedingung bisher kein Verein erfüllte, so muß bis auf weiteres dem Programm jedes Sängerfestes ein Kaiser-Preislied zugefügt werden.

Vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, ist dieser Umstand mit Freuden zu begrüßen, da es sich herausgestellt hat, daß das Kaiserpreissingen bei allen Festen nicht nur eine ungeheure Anziehungskraft ausübte, sondern daß in diesem edlen, mit allen Aufregungen und dem Nervenkitzel eines wirklichen Kampfes verbundenen Wettstreit auch die allervollendetsten Darbietungen zu Gehör gebracht wurden.

Die von Sr. Maj. Kaiser Wilhelm II. dem Nordöstlichen Sängerbund gestiftete Silberstatuette

Beim Kaiserpreissingen des Jahres 1900 erzielten der » Arion« von Brooklyn und der » Junge Männerchor« von Philadelphia die gleiche Punktzahl. Da sonach keiner der beiden Vereine einen unbestrittenen Sieg davontrug, so entschied die Bundesleitung, daß jeder der beiden Vereine den Preis 18 Monate lang bis zum nächsten Sängerfest in Besitz nehmen solle. Beim Sängerfest des Jahres 1903 in Baltimore gewann der » Junge Männerchor« von Philadelphia den alleinigen Sieg. Beim Sängerfest des Jahres 1906 in Newark trug die » Concordia« von Wilkesbarre, Pennsylvanien, den Preis davon. Beim Sängerfest des Jahres 1909 in New York erzielten wiederum zwei Vereine – der » Kreutzer Quartett-Klub« von New York und der » Junge Männerchor« von Philadelphia die gleiche Punktzahl. So muß nun mindestens noch einmal, im Jahre 1912, um den endgültigen Besitz des kostbaren Preises gekämpft werden.

Fast alle in den Vereinigten Staaten abgehaltenen großen Sängerfeste gestalteten sich sowohl in bezug auf die hohen Kunstleistungen wie auf die Menge der Teilnehmer zu förmlichen Triumphen. Und durch das allgemeine, auch seitens des Anglo-Amerikanertums bewiesene Interesse erhielten sie den Charakter amerikanischer Nationalfeste.

Erwähne ich noch, daß die allgemeine Lage der Nordamerikanischen Sängerbünde recht befriedigend ist und daß nach dem Beispiel der östlichen Städte sich auch in den fernsten westlichen Ortschaften mit deutschamerikanischer Bevölkerung allenthalben Gesangvereine bilden, so kann man dem deutschen Lied in Amerika getrost eine glänzende fernere Zukunft voraussagen. Und zwar um so sichrer, je mehr in den Herzen der Deutschen sowohl wie der Amerikaner die Erkenntnis um sich greift, daß die Gesangvereine in der Tat eine Kulturaufgabe erfüllen und in hohem Grade zur Bildung, Erhebung und Veredlung der ganzen Nation beitragen.

Die alte Herrnhuter Kirche zu Bethlehem in Pennsylvanien.

Deutsche Einflüsse im Musikleben Amerikas.

Den frommen Sektierern zu Ephrata und Bethlehem, welche unter den in Amerika eingewanderten Deutschen die ersten waren, die sich die Pflege des Gesanges angelegen sein ließen, gebührt auch der Ruhm, die ersten gewesen zu sein, welche der Musik liebevolles Interesse zuwandten. Vornehmlich waren es die Herrnhuter oder Mährischen Brüder, welche ihren Gottesdienst mit Orgelgetön, Posaunenschall und Zimbelklang eindrucksvoller zu machen suchten. Schon im Jahre 1780 schlossen die musikliebenden Brüder der Gemeinde Bethlehem sich zu einem Orchester zusammen, um die Wiedergabe der von Haydn, Händel, Bach, Mozart und anderen deutschen Meistern geschaffenen geistlichen Tonwerke zu versuchen. An tiefem Ernst und hoher Begeisterung ließen sie es nicht fehlen und so kam es, daß die in der alten Kirche zu Bethlehem abgehaltenen Musikfeste bald großen Ruf erlangten und Besucher aus weitem Umkreise anzogen.

Nicht lange blieben die Herrnhuter im Kultus dieser ernsten Musik vereinzelt. Händels »Messias« und Haydns »Schöpfung« waren auch in England als die höchsten Leistungen auf dem Gebiet der geistlichen Musik anerkannt worden. Sie fanden auch ihren Weg nach den Neu-England-Staaten. Bruchstücke der großartigen Tonwerke wurden bereits am 10. Januar 1786 durch die in Boston bestehende »Musical Society« zu Gehör gebracht. Desgleichen am 27. Oktober 1789 zu Ehren der Anwesenheit des Präsidenten George Washington.

Die erhabenen Werke machten auf die Puritaner so mächtigen Eindruck, daß an verschiedenen Orten Amateure und berufsmäßige Musiker sich zu »Händel und Haydn Societies« vereinigten. Eine solche entstand im Jahre 1786 zu Stoughton, Massachusetts. Ihr schloß sich im Jahre 1815 diejenige zu Boston an, welche im Kunstleben Amerikas zu höchstem Ansehen gelangte. Als Gründer darf man wohl den Komponisten Gottlieb Graupner betrachten. Derselbe war Oboist in einem Hannoverschen Regiment gewesen und im Jahre 1798 nach Boston gekommen. Hier schuf er im Jahre 1810 im Verein mit mehreren Amateuren das erste Orchester in Neu-England, die » Philharmonic Society«, welche bis 1824 bestand. Die »Händel and Haydn Society« zu Boston veranstaltete ihr erstes öffentliches Konzert am Weihnachtsabend 1815, wobei sie sowohl Haydns »Schöpfung« wie auch Händels »Messias« zur Aufführung brachte.

In New York pflegten die im Jahre 1799 gegründete » Euterpean Society«, die 1823 entstandene » Sacred Music Society«, die » Choral Society« und die » Harmonic Society« die Oratorienmusik.

Noch größere Bedeutung als diese während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder erlöschenden Vereinigungen erlangte die » Philharmonic Society«. Ihr Ursprung reicht bis in das Jahr 1839 zurück, wo eine Anzahl tüchtiger Künstler für die Hinterbliebenen eines verstorbenen Kollegen am 25. Juni ein Benefizkonzert veranstalteten und dabei mit der vortrefflich gelungenen Wiedergabe der »Freischütz-Ouvertüre« ungeahnten Erfolg erzielten. Das gab den Anstoß zur Gründung der aus lauter Berufskünstlern bestehenden » Philharmonischen Gesellschaft«. Ihre Mitglieder, der Mehrheit nach Deutsche, hatten nicht etwa schnöden Gelderwerb im Auge, sondern steckten sich das Ziel, in ihrer hehren Kunst das Vollkommenste zu leisten, unbekümmert darum, ob sie dabei pekuniäre Opfer bringen müßten.

Die Eintragung der Gesellschaft erfolgte im April 1842. Als Dirigenten wechselten anfangs U. C. Hill, Georg Loder, H. C. Timm, Theodor Eisfeld und Karl Bergmann miteinander ab. Hill, ein ausgezeichneter Violinist, der in Kassel bei Spohr studiert hatte, erschien während der ersten Jahre am häufigsten am Dirigentenpult. Von 1865 ab bis 1876 leitete Bergmann ausschließlich die Konzerte.

Der Philharmonischen Gesellschaft zu New York folgten im Jahre 1851 das aus Amateuren bestehende » Haydn-Orchester« in Baltimore; 1862 die » Philharmonische Gesellschaft« in Brooklyn; 1881 das » Symphonie-Orchester« in Boston; 1885 das » Philharmonische Orchester« in Cleveland; 1891 das » Symphonie-Orchester« in Chicago und 1895 das » Symphonie-Orchester« in Cincinnati. Die Gesellschaften in Brooklyn und Baltimore lösten sich während der achtziger Jahre auf, als das zu hoher Bedeutung gelangende » Bostoner Symphonie-Orchester« regelmäßige Kunstreisen durch den Osten der Vereinigten Staaten unternahm und mit seinen vollendeten Leistungen jene Gesellschaften überflügelte.

Mit der Geschichte der genannten Vereinigungen aufs engste verknüpft sind die Namen mancher, von echtem Künstlergeist beseelten Männer, welche als Apostel deutscher Musik für die Entwicklung des Kunstsinns in Amerika von höchster Bedeutung wurden: Karl Bergmann, Theodor Thomas, Karl Zerrahn, Georg Henschel, Wilhelm Gericke, Leopold und Walter Damrosch, Anton Seidl, Emil Paur, Frank van der Stucken u. a.

Karl Bergmann, ein wahres Dirigentengenie, kam im Jahre 1848 als Mitglied des aus etwa 50 politischen deutschen Flüchtlingen bestehenden » Germania-Orchesters« nach Amerika. Dieses veranstaltete in verschiedenen Städten Konzerte, mit denen man zwar große künstlerische, aber nur geringe finanzielle Erfolge erzielte. Trotzdem bestand es unter der Leitung Bergmanns und später unter Karl Zerrahn bis 1854.

In den Jahren 1852 bis 1854 war Bergmann Dirigent der » Händel und Haydn Society« in Boston. Zu Ende der fünfziger Jahre siedelte er nach New York über und führte als erster ständiger Leiter der »Philharmonischen Gesellschaft« diese Vereinigung während der Jahre 1865 bis 1876 zu stolzer Höhe empor.

An seine Stelle trat im Winter 1876/77 der in Posen geborene Leopold Damrosch, ein hochbegabter Musiker, der alle Eigenschaften eines ausgezeichneten Violinisten, Komponisten und Dirigenten in sich vereinigte. Er kam auf Einladung des Männergesangvereins » Arion« nach New York, um dessen Leitung zu übernehmen. Aber sein hochstrebender Geist betätigte sich bald auch nach anderen Richtungen hin. So rief er im Jahre 1873 die » Oratorio Society« ins Leben, die sich der Wiedergabe der Werke der großen Tondichter befleißigte. Um die Orchestermusik zu kultivieren, gründete Damrosch im Jahre 1877 die » Symphony Society«, welche gelegentlich mit der »Oratorio Society« gemeinschaftlich wirkte. So z. B. bei dem großen Musikfest, welches am 3. bis 7. Mai 1881 in der Waffenhalle des 7. New Yorker Regiments abgehalten wurde. Das war ein musikalisches Ereignis allerersten Ranges. Der Chor bestand aus 1200 Stimmen, da zu jenen der »Oratorio Society« bewährte Sänger aus anderen Städten zugezogen waren. Außerdem diente ein aus 1000 jungen Damen der New Yorker Hochschulen und 250 Knaben der Kirchenchöre gebildeter Hilfschor als Unterstützung. Das Orchester zählte 250 Instrumente. Händels »Messias« und »Te Deum«, Rubinsteins »Turmbau zu Babel«, Berlioz' »Totenmesse« und Beethovens »9. Symphonie« waren die bedeutendsten der zu Gehör gebrachten Werke. Das Fest gestaltete sich sowohl in künstlerischer wie finanzieller Hinsicht zu einem großartigen Erfolg.

Später bereiste Damrosch mit einem eigenen Orchester den Westen der Vereinigten Staaten und übernahm dann im Jahre 1884 die Leitung der Deutschen Oper im »New Yorker Metropolitan Opernhause«. Die 57 Vorstellungen umfassende Saison nahm in künstlerischer Hinsicht einen überaus glänzenden Verlauf, brachte aber für Damrosch so außerordentliche Anstrengungen mit sich, daß der überbürdete Mann zur selben Zeit, wo ganz New York seines Ruhmes voll war, am 10. Februar 1885 seinen Lasten erlag.

Leopold Damrosch.

Der große persönliche Magnetismus, der von Damrosch ausströmte, die Gabe, seine Ideen sofort dem Orchester mitzuteilen, vererbten sich in hohem Grade auf seinen Sohn Walter, der nach dem Tode seines Vaters auch die Leitung der von demselben gegründeten Oratorien- und Symphonie-Gesellschaften übernahm, im Jahre 1903 das » New Yorker Symphonie-Orchester« gründete und im modernen Kunstleben Amerikas eine der ersten Stellen einnimmt.

Aufs engste mit der Geschichte der »Philharmonischen Gesellschaft« zu New York verknüpft ist ferner der Name des in dem kleinen ostfriesischen Städtchen Esens geborenen Theodor Thomas. Derselbe kam als zehnjähriger Knabe im Jahre 1845 nach Amerika und mußte seinem streng musikalischen Vater, einem Violinisten, schon frühzeitig helfen, Geld zu verdienen. Wie ernst es ihm um die Kunst war, beweist die Tatsache, daß er, kaum zwanzig Jahre alt, in New York bereits eine Kammermusikvereinigung gründete. Kurze Unterbrechungen abgerechnet, unterhielt Thomas während des Zeitraumes 1864 bis 1891 auch ein eigenes Orchester, mit welchem er ausgedehnte Konzertreisen unternahm. Dieselben machten zwar seinen Namen zu einem der berühmtesten in ganz Amerika, waren aber nur selten von großen finanziellen Erfolgen begleitet. Dagegen war ihr erzieherischer Wert ungeheuer. Der Musikkritiker John Cornelius Griggs äußert sich in seinen »Studien über die Musik in Amerika« folgendermaßen: »Vielen Leuten erschien das Thomas-Orchester als die erste wundervolle Offenbarung der Macht der Instrumentalmusik. Ich werde niemals den Blick in eine neue Welt vergessen, die sich mir beim ersten Hören eines Thomas-Symphonie-Konzertes erschloß. Der Reichtum und die Tiefe des Tons der zwölf ersten Violinen, die wunderbare Bestimmtheit, die Einheit der Wirkung, welche der ganzen lebenden, immer wechselnden Fülle der Töne den Anschein gaben, als ginge sie von dieser einen, ruhigen, würdevollen Person aus –, dies und noch viel mehr brachten die Konzertreisen von Theodor Thomas zuerst Tausenden zur Kenntnis und zum Genuß.«

Theodor Thomas.

Mit seinem auf 150 Musiker verstärkten Orchester und einem Chor von 400 Sängern gab Thomas im April 1884 im »Metropolitan-Opernhause« zu New York sechs Wagnerkonzerte, wobei unter den Solisten Berühmtheiten wie Amalie Materna, Winkelmann und Scaria mitwirkten. Die Konzerte der »Philharmonischen Gesellschaft« zu New York leitete Thomas während des Zeitraumes 1877 bis 1891. In der Geschichte jener Vereinigung ist diese Periode zweifellos eine der glänzendsten.

Im Jahre 1891 erhielt Thomas von Chicago aus den Antrag, an die Spitze eines dort zu gründenden Symphonieorchesters zu treten. Da das Unternehmen durch die Freigebigkeit kunstsinniger Männer gesichert wurde, so nahm Thomas den Ruf an und blieb bis zu seinem am 4. Januar 1905 erfolgten Tode mit jenem Orchester verbunden.

Seinen hohen künstlerischen Idealen unentwegt nachstrebend, die Schöpfungen der großen Tonkünstler gewissenhaft interpretierend und stets bemüht, die Massen des Volkes emporzuführen, anstatt selbst zum Niveau der Tagesmode herabzusteigen, gehört Thomas zu den hervorragendsten Pionieren der Musik in Amerika. Und deshalb hat sein Name in der Geschichte des amerikanischen Musiklebens dauernden Bestand. –

Als Thomas nach Chicago übersiedelte, trat in New York an seine Stelle der 1850 in Pest geborene Anton Seidl, ein früherer Zögling des Leipziger Konservatoriums. Nach der Absolvierung dieser berühmten Musikschule hatte Seidl mehrere Jahre in der nächsten Umgebung Richard Wagners in Bayreuth verlebt und dessen letzte Werke mit herstellen helfen. Wagner war es auch, der ihn als Kapellmeister an das Leipziger Stadttheater brachte. Später füllte Seidl ähnliche Stellen in Prag und Bremen aus, von wo er im Jahre 1885 nach dem Tode Damroschs nach New York berufen wurde. Hier leitete er das »Metropolitan-Opernhausorchester«, die »Philharmonische Gesellschaft« und die »Seidl-Gesellschaft« in Brooklyn. Was Seidl an der Spitze dieser ausgewählten Künstlerscharen, insbesondere als Apostel seines geliebten Meisters Wagner leistete, wird in der Musikgeschichte New Yorks unvergeßlich bleiben. Er stand auf dem Gipfel seines Ruhmes, als er am 28. März 1898 einer Ptomainvergiftung erlag. –

Was Bergmann, Damrosch, Thomas und Seidl für das Kunstleben New Yorks bedeuteten, das waren Karl Zerrahn, Georg Henschel und Wilhelm Gericke für Boston. Zerrahn, ein Mecklenburger, war in dem bereits erwähnten, aus flüchtigen deutschen Musikern bestehenden »Germania-Orchester« Flötist und später Dirigent. Als das Orchester im Jahre 1854 sich auflöste, übernahm er die Leitung des Bostoner »Philharmonischen Orchesters«. Ferner leitete er mehrere Jahrzehnte hindurch die »Händel and Haydn Society«, desgleichen die von der »Harvard Musical Association« während der Jahre 1866 bis 1882 veranstalteten Symphoniekonzerte, die Konzerte der »Oratorio Society« zu Salem, sowie die in der Stadt Worcester, Massachusetts abgehaltenen »Worcester Festivals«, die für den Nordosten der Vereinigten Staaten die gleiche Bedeutung besitzen, wie die »Rheinischen Musikfeste« für das nordwestliche Deutschland. Welch ungeheuren Einfluß Zerrahn auf das Musikleben der Neu-Englandstaaten ausübte, geht aus folgender Stelle des von L. Elton verfaßten Werkes »National Music of America« hervor: »Zerrahn was the bridge, by which New England travelled to its modern goal in classical music.« –

Karl Zerrahn.

Der Breslauer Georg Henschel, ein Zögling der Konservatorien zu Leipzig und Berlin, leitete das durch die Freigebigkeit des musikliebenden Privatmannes Higginson möglich gewordene »Symphonie-Orchester« der Stadt Boston während des Zeitraums 1881-1884. In seine Stelle rückte später Wilhelm Gericke ein, der frühere Dirigent der Wiener Hofoper und Gesellschaftskonzerte. Als diesen im Jahre 1889 Gesundheitsrücksichten nötigten, nach Europa zu gehen, füllten bis zu seiner Rückkehr im Jahre 1898 der geniale Arthur Nikisch und Emil Paur seinen Platz aus. Beide wußten das Boston-Orchester nicht nur auf der von Gericke erzielten imposanten Höhe zu erhalten, sondern seinen Ruhm durch regelmäßige Konzertreisen auch über den ganzen Osten zu verbreiten. Wie hoch seine künstlerischen Leistungen stehen, geht aus einem Urteil des berühmten Dirigenten Felix Weingartner aus München hervor, der während einer Besuchsreise in Amerika das Orchester hörte und es in einem für die Berliner Zeitschrift »Die Musik« geschriebenen Aufsatz »einen Tonkörper allerersten Ranges« nennt. Der Klang seines starkbesetzten Streicherchors sei prächtig, die Feinheit der Bläser bezaubernd und die Gesamtwirkung von glänzender Schönheit. –

Emil Paur übernahm im Jahre 1898 die Leitung der »Philharmonischen Gesellschaft« zu New York, im Jahre 1904 diejenige des von Victor Herbert gegründeten Orchesters zu Pittsburg.

Das im Jahre 1895 entstandene »Symphonie-Orchester« zu Cincinnati steht unter Leitung des am 15. Oktober 1858 in der deutschen Ansiedlung Fredericksburg in Texas geborenen Frank van der Stucken, eines unermüdlichen Pioniers der hohen Musik in Amerika. Seine künstlerische Bildung erhielt derselbe in Antwerpen und Leipzig. Nach manchen Wanderjahren finden wir ihn im Jahre 1881 als Kapellmeister des Stadttheaters in Breslau, 1883 in der Umgebung Liszts in Weimar, 1884 als Dirigenten des ausgezeichneten Männergesangvereins »Arion« zu New York. Mit diesem unternahm er im Jahre 1892 eine einzig dastehende Sängerfahrt durch Deutschland und Österreich, während welcher die deutschamerikanischen Sänger durch ihre vollendeten Leistungen bewiesen, daß sie den besten Gesangvereinen der Alten Welt ebenbürtig seien.

Neue Triumphe erntete van der Stucken als Leiter mehrerer großer Musik und Sängerfeste. Im Jahre 1895 übernahm er das neugegründete »Symphonie-Orchester« in Cincinnati und hat dieses seitdem zu zahlreichen Siegen geführt.

Zu den deutschen Pionieren der abstrakten Musik zählt auch der im Jahre 1859 in Breslau geborene älteste Sohn Leopold Damroschs, Frank H. Danrosch, welcher gleich seinem Bruder Walter auf eine reiche Tätigkeit zurückblicken kann. So leitete er den »Chorus Club« der Stadt Denver, Colorado, die »Harmonie Society« zu Newark, New Jersey, den »Orpheus Club« zu Philadelphia, sowie den »Choral Club«, die »Oratorio Society« und das »Symphonie-Orchester« zu New York.

Ferner ist der Dresdener Franz Xaver Arens zu erwähnen, welcher in den Jahren 1885 bis 1888 das »Philharmonische Orchester« zu Cleveland leitete und seit 1898 an der Spitze der »Manuscript Society« zu New York steht. Hier eröffnete er auch im Jahre 1900 die rasch zu großer Beliebtheit gelangenden »Volkssymphoniekonzerte« (»Peoples Symphony Concerts«), welche durch ihre gut ausgewählten Programme und sehr geringen Eintrittspreise zur Hebung des Kunstsinnes unter den großen Massen beträchtlich beitragen, da vorwiegend Geschäftsangestellte, Studierende, wenig bemittelte Bürger und Arbeiter zu den Besuchern dieser Konzerte gehören.

Die fortschrittliche Gesinnung für symphonische Konzerte zeigt sich auch in vielen anderen Städten, in Philadelphia, Brooklyn, Washington, Portland (Maine), New Haven (Conn.), St. Louis, Milwaukee, Louisville, Cleveland usw., wo überall Bestrebungen zur Gründung von Orchestervereinigungen zutage treten. Nach weiteren zehn Jahren dürfte kaum eine größere Stadt der Union mehr ohne eigenes Orchester sein.

*

Neben den Symphonieorchestern entstanden da und dort auch Kammermusikvereinigungen, deren Mitglieder sich bestrebten, die schwierigsten Tondichtungen berühmter Meister in vollendeter Weise wiederzugeben. Auch auf diesem Felde war Theodor Thomas der Pionier, indem er 1855 mit den beiden Geigern Georg Matzka und Joseph Mosenthal, dem Cellisten Karl Bergmann und dem Pianisten William Mason eine Kammermusikvereinigung gründete, die ihre Missionstätigkeit zehn Jahre lang fortsetzte, trotzdem sie niemals nennenswerte Einnahmen erzielte.

Unter den später entstandenen Genossenschaften steht obenan das von dem Konzertmeister des »Boston Symphonie-Orchesters« Franz Kneisel gegründete »Kneisel-String-Quartett«, welches in seinen Darbietungen nach dem Urteil der berufensten Musikkenner den allerbedeutendsten Kammermusikvereinigungen der Alten Welt vollkommen ebenbürtig ist. Nach Überwinden zahlloser Schwierigkeiten und Enttäuschungen erreichte diese Genossenschaft es endlich, daß ihre im Musikleben Amerikas die erste Stelle einnehmenden Konzerte in allen Städten nur noch vor ausverkauften Sälen stattfinden. Zweifellos zählt sie in musikalischer Hinsicht zu den wichtigsten Kulturfaktoren Amerikas, da sie außerordentlich viel dazu beitrug, die Kammermusik auch in vielen Privathäusern heimisch zu machen.

In Boston besteht ferner der von dem Amerikaner Thomas Ryan gegründete »Mendelssohn Quintett-Club«, dessen Mitglieder mit alleiniger Ausnahme Ryans Deutsche sind.

New York besitzt eine ähnliche Vereinigung, den »Philharmonie Club«, welche von dem über dreißig Jahre als Konzertmeister mit der Philharmonischen Gesellschaft verbundenen Violinisten Richard Arnold gegründet wurde.

Diesen hohen Vorbildern folgen zahlreiche ähnliche Vereinigungen, die in anderer amerikanischen Städten zusammentraten, um ihr Teil an dem großen Kulturwerk beizutragen. Zur Fortführung desselben wurden sie nicht wenig durch jene großen Virtuosen und Dirigenten angespornt, die der Einladung solcher Vereinigungen folgten und sich zu Besuchsreisen durch die Vereinigten Staaten entschlossen.

Unter diesen Gastdirigenten befanden sich Max Bruch, Hans von Bülow, Felix Weingartner, Gustav Kogel, Richard Strauß, Carl Panzner, Fiedler, Kunwald, Karl Muck und Gustav Mahler; unter den Violinvirtuosen August Wilhelmj, Fritz Kreisler und Hugo Heermann; unter den Pianisten Anton Rubinstein, Rafael Joseffy, Thalberg, Xaver Scharwenka, Louis Maas, Emil Liebling, Eugen d'Albert, Emil Sauer, Joseph Hofmann, Stavenhagen, Reisenauer, Moritz Rosenthal sowie die Damen Marie Krebs, Anna Mehlig, Alide Topp, Adele aus der Ohe, Fanny Bloomfield-Zeisler u. a.

Die hohen Leistungen solcher Künstler und Künstlerinnen regten zur Gründung von Musikschulen an, aus denen bereits manche hochbegabte Zöglinge hervorgingen, deren Namen heute guten Klang besitzen.

Von Jahr zu Jahr mehrt sich die Zahl solcher Schulen und Vereinigungen. Da neuerdings auch die Universitäten beginnen, der Kenntnis der Tonkunst großen Wert beizulegen und »Musikalische Abteilungen« gründen, so wird die Musik, die holdeste, gewinnendste und erhebendste unter den Musen, ihre hohe Kulturmission auch in Amerika erfüllen.

*

Unter den deutschen Musikern, welche der Tonkunst in Amerika neue Heimstätten bereiteten, befanden sich viele, die sich nicht damit begnügten, die von anderen Meistern geschaffenen Werke zu Gehör zu bringen, sondern sich auch in eigenen Schöpfungen zu betätigen suchten.

Konrad Beissel sowie verschiedene unter den Herrnhutern lebende Musikfreunde sind auch auf diesem Gebiet als Pioniere zu betrachten, da sie zu vielen in Ephrata, Bethlehem, Nazareth und anderen Orten gedichteten geistlichen Liedern die Melodien komponierten.

Zu Ausgang des 18. Jahrhunderts lebten auch in Boston und Philadelphia einzelne professionelle deutsche Musiker, die sich der Tonsatzkunst befleißigten. Die bedeutendsten waren Hans Gram und Gottlieb Graupner. Gram war Organist der Brattle-Kirche in Boston. Zusammen mit Oliver Holden und Samuel Holyoke gab er im Jahre 1795 den »Massachusetts Compiler« heraus, eine der frühesten musikalischen Zeitschriften der Vereinigten Staaten. Gram verdankt man außer anderen Kompositionen auch die im Jahre 1793 veröffentlichten »Sacred Lines for Thanksgiving Day«.

Seinen Landsmann Gottlieb Graupner lernten wir bereits als Begründer des ersten Orchesters sowie der berühmten »Händel and Haydn Society« zu Boston kennen. Von ihm erhielten sich gleichfalls mehrere Kompositionen, deren Titel und Erscheinungsjahre in Sonnecks »Bibliography of early secular American Music« aufgezählt sind. Dasselbe Werk nennt auch die Namen sowie einzelne Werke der um die gleiche Zeit in Boston lebenden Violinvirtuosen und Komponisten Peter Albrecht von Hagen (Vater und Sohn); ferner des Franz Schaffer oder Schäfer, dessen Werke auf Bostoner Musikprogrammen vom Ende des 18. Jahrhunderts erscheinen.

In Philadelphia lebte um jene Zeit Philipp Roth, ehemals Kapellmeister eines englischen Füsilierregiments. In ihm vermutet man den Komponisten des Präsidentenmarsches »Hail Columbia«.

Philadelphia war ferner der Wohnsitz des Komponisten Johann Heinrich Schmidt, welcher im Jahre 1788 dort Vorträge über Musik hielt und diese durch eingestreute Gesang- und Musikstücke illustrierte. Daß all diese wackeren, im Dienst der edlen Musika stehenden Männer einen harten Kampf ums Dasein zu fechten hatten, darf man daraus schließen, daß sie neben musikalischem Unterricht auch Musikalienhandel betrieben, um mit den Erträgnissen desselben einen Teil ihres Lebensunterhalts zu decken.

Das während des 19. Jahrhunderts sich zeigende Erwachen musikalischen Lebens in Amerika bekundete sich auch in der raschen Zunahme der zur Veröffentlichung gelangenden Kompositionen. Sangesweisen für geistliche und weltliche Lieder, besonders für Männerchöre entstanden in großer Zahl. Dem genialen Leopold Damrosch verdankt die Welt zahlreiche Violinstücke, darunter das biblische Idyll »Sulamith«; ferner eine Festouvertüre. Frank van der Stucken zeigte sein Können in den symphonischen Dichtungen »Pax triumphans« und »Ratcliff«, ferner in einer »Bundeshymne« und vielen anderen Werken, die, durch wundervolle Orchestration und glänzendes Kolorit ausgezeichnet, auch in Europa zahlreiche Aufführungen erlebten.

Ferner bereicherten die deutschamerikanischen Komponisten F. X. Ahrens, Johannn A. Beck, Friedrich Brandeis, Wilhelm Heinrich Beerwald, Arthur Claasen, E. G. Dossert, J. Eichberg, Alexander von Fielitz, Adolf Förster, R. Goldbeck, Louis Gottschalk, Simon Hassler, R. Hoffman, Bruno Oskar Klein, Adolf Killing, Mathias Keller, E. R. Kröger, E. Liebling, Julius Lorenz, M. Merz, Eduard Mollenhauer, Walter Petzet, Friedrich Louis Ritter, Louis Saar, H. Schönfeld, W. C. Seeböck, Otto Singer, Hermann Spielter, Max Spicker, Arthur Velten u. a. die Welt um zahllose köstliche Darbietungen, von denen manche bleibenden Wert besitzen. In vielen dieser Tondichtungen offenbaren sich echt deutsches Gemüt und jenes tiefe Empfinden, daß die Natur dem Deutschen zugleich mit seiner Sangesfreude ins Herz gesenkt hat.

Deutsche Einflüsse zeigen sich auch in den Werken zahlreicher amerikanischer Komponisten, besonders derjenigen welche gleich vielen amerikanischen Gelehrten, Medizinern, Chemikern, Ingenieuren und Baumeistern die Grundlagen für ihr Können an deutschen Lehranstalten legten oder ihr Wissen in Deutschland vervollständigten. Zu diesen von der deutschen Kunst beeinflußten Amerikanern zählen beispielsweise die berühmten Komponisten Paine, MacDowell, Kelley und Chadwick.

Der 1839 in Portland, Maine, geborene John Knowles Paine pilgerte im Alter von 19 Jahren nach Berlin, wo er unter Haupt, Wieprecht und Teschner Orgel, Komposition und Gesang studierte. Nach seiner Rückkehr lehrte er im Jahre 1862 als Privatdozent an der Harvard Universität. Diese Stellung wurde 1875 zu einer Professur für Musik erhoben, – die erste derartige an irgendeiner amerikanischen Hochschule. Die anfangs geringe Zahl der dort Musik Studierenden wächst von Jahr zu Jahr. Sie beträgt gegenwärtig bereits über 200, so daß Paine die Hilfe mehrerer Assistenten benötigte.

Die deutsche Schulung Paines zeigt sich selbstverständlich am stärksten in seinen frühesten Kompositionen; der Einfluß Händels beispielsweise in dem Oratorium »St. Peter«, welches, im Jahre 1874 von der »Händel- und Haydn-Society« in Boston zuerst gesungen, als das beste aller in Amerika geschaffenen Oratorien gilt.

Der 1861 in New York geborene, im Jahre 1907 verstorbene Komponist Edward MacDowell studierte in Stuttgart und Frankfurt; in der letztgenannten Stadt unter Carl Heymann an dem von Raff geleiteten Konservatorium. Später wirkte er als erster Klavierlehrer am Konservatorium zu Darmstadt, verlebte dann mehrere Jahre in Weimar, Frankfurt und Wiesbaden und kehrte 1889 nach den Vereinigten Staaten zurück, wo er im Jahre 1896 die eben an der Columbia-Universität zu New York geschaffene Professur für Musik übernahm. Während seine frühesten Lieder und Klavierstücke entschieden nach deutschen Vorbildern geschaffen sind, entwickelte Mac Dowell in seinen späteren Schöpfungen eine Eigenart, die ihn im Musikleben Amerikas zu einer der bemerkenswertesten Persönlichkeiten werden ließ.

Edgar Stillman Kelley, 1857 in Wisconsin geboren, ist gleichfalls ein ehemaliger Zögling des Stuttgarter Konservatoriums. George W. Chadwick, gegenwärtig Direktor des New England-Konservatoriums in Boston, verdankt seine vorzügliche Schulung den Professoren Judassohn und Reinecke in Leipzig, sowie Rheinberger in München. Den Unterricht des letzten genoß übrigens auch Horatio Parker, der seit zwei Jahrzehnten die Musikprofessur an der Yale-Universität bekleidet.

Es wäre nicht schwer, den mächtigen Einfluß der deutschen Tonkunst auf die amerikanische noch an vielen anderen Beispielen festzustellen. Aber die hier angeführten genügen vollkommen, um die reiche Befruchtung, die das Musikleben der Neuen Welt aus Deutschland empfing, erkennen zu lassen.

Das deutsche Theater in Amerika.

Fast um dieselbe Zeit, wo die großen Schöpfungen der deutschen Tondichter ihren Einzug in die Vereinigten Staaten hielten, begannen auch die Werke deutscher Bühnenautoren ihren Weg dorthin zu finden. Und zwar über London, wo die Dramen Kotzebues, Schillers, Zschokkes und Halms in englischen Übersetzungen über die weltbedeutenden Bretter gingen und stets volle Häuser brachten.

Schillers »Räuber« erlebten, gleichfalls in englischer Übersetzung, bereits im Jahre 1795 in New York, Philadelphia und Baltimore ihre amerikanische Erstaufführung. »Wilhelm Tell«, »Don Carlos« sowie »Kabale und Liebe« folgten wenige Jahre später. Desgleichen gehörten Zschokkes »Abellino, der große Bandit« und Halms »Sohn der Wildnis« zu den gern gesehenen Stücken.

Seit jener Zeit haben unzählige Werke der späteren und neueren deutschen Dramatiker in englischen Umarbeitungen in den Vereinigten Staaten Aufführungen erlebt, z. B. Heyses »Maria Magdalena« (unter dem Titel »Mary of Magdala«); Försters »Alt Heidelberg«; Fuldas »Paradies« und »Talisman«; Blumenthal-Kadelburgs »Im weißen Rößl« (»In the White Horse Tavern«); Sudermanns »Es lebe das Leben«, »Heimat« und »Die Ehre«; ferner die besten Werke von Gustav von Moser und Roderich Benedix. Daß alle diese hervorragenden Stücke auf die amerikanischen Bühnenschriftsteller und Darsteller großen Einfluß ausübten, dürfte von niemandem angezweifelt werden.

Dem Verlangen der deutschamerikanischen Bevölkerung nach Vorstellungen in deutscher Sprache suchten zuerst die in zahlreichen geselligen Vereinen gegründeten Liebhabertruppen zu entsprechen. Erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts brachten Friedrich Schwan in New York und von Adlerberg in Indianapolis kleine Truppen berufsmäßiger Schauspieler zusammen. Die Lokalitäten, in denen diese ihre Aufführungen darboten, waren allerdings recht bescheiden und stellten mit ihren an die Bühnen Shakespeares erinnernden primitiven Einrichtungen an die Phantasie der Zuschauer große Anforderungen.

Der höhere Ansprüche stellenden Einwandrung der Achtundvierziger ist die Gründung wirklicher deutscher Theater in den Vereinigten Staaten zu danken. In New York schuf der an den Hoftheatern zu Dresden und Darmstadt beschäftigt gewesene Heldendarsteller Otto von Hoym in Gemeinschaft mit Eduard Hamann im Jahre 1853 an der Bowery das deutsche »Stadttheater«. Hoym war der künstlerische Leiter desselben. Dieser erste deutsche Theaterdirektor in Amerika besaß manche Eigenschaften, die ihn rasch zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten des damaligen New York machten. Ein wahrer Adonis an Gestalt, zugleich über ein prächtiges Organ und ein ausgezeichnetes Darstellertalent gebietend, war er der ideale Vertreter eines von allen Schönen angeschmachteten jugendlichen Helden. Seine eheliche Verbindung mit der vom Darmstädter Hoftheater stammenden tragischen Liebhaberin Elise Hehl gestaltete sich zu einem Ereignis, an dem das ganze New Yorker Deutschtum lebhaften Anteil nahm. Das von Hoym beim Ausbruch des Bürgerkriegs bei der Organisierung des 42. Regiments New Yorker Freiwilliger wacker mitwirkte und als Hauptmann in dasselbe eintrat, trug ungeheuer zu seiner Beliebtheit bei. Seine Gefangennahme in Virginien nach siebentägigem Gefecht, seine Einkerkerung in dem berüchtigten Libby-Gefängnis zu Richmond erhöhten die ihn umgebende Romantik. Kein Wunder, daß, als Hoym später ausgetauscht wurde, sein Wiederauftreten in New York zu den stürmischsten Ovationen Anlaß gab.

Da im Stadttheater ausschließlich berufsmäßige Künstler auftraten und man auf gute Inszenierung hielt, so gestaltete der Besuch sich so gut, daß die beiden Direktoren nach mehreren Jahren zum Bau eines 3500 Personen fassenden »Neuen Stadttheaters« schreiten konnten. In diesem gleichfalls an der Bowery gelegenen, am 6. September 1864 eröffneten Hause pflegte man sowohl das Schau- und Lustspiel als auch Operette und Oper. Unter den hier auftretenden Künstlern befanden sich zahlreiche aus Deutschland zu Gastspielen eingeladene Größen wie Pauline Lucca, Magda Irschick, Daniel Bandmann, Eugenie Schmitz, L'Arronge, Bogumil Davison, Friedrich Haase u. a. Ihre Gastspiele gestalteten sich zu förmlichen Triumphen und brachten sowohl den Darstellern wie den Direktoren Gold und Ehren ein. Als von Hoym wegen eines Augenleidens im Jahre 1867 die Leitung des Stadttheaters niederlegte und nach Deutschland zurückkehrte, zeigte es sich, in wie hohem Grade die Erfolge des Theaters seiner Beliebtheit zuzuschreiben waren. Denn seinem bisherigen Teilhaber wollte es nicht glücken, sich in der Gunst der Theaterbesucher zu behaupten. Trotzdem er es an Anstrengungen nicht fehlen ließ, mußte das Stadttheater im Jahre 1872 seine Pforten schließen.

Aber bereits in demselben Jahre gründete Adolf Neuendorf das »Germania-Theater«. Diesem gesellte sich im Jahre 1879 das zuerst von der Soubrette Matilde Cotrelly, später von den Direktoren Hermann, Gustav Amberg und Heinrich Conried geleitete »Thalia-Theater« zu. Und nun erlebte die deutsche Kunst in New York eine wahre Glanzperiode.

Was Deutschland an Bühnenberühmtheiten aufzuweisen hatte, wurde von jenen wagemutigen Direktoren zu Gastspielen eingeladen. Außer verschiedenen bereits obengenannten Künstlern, die sich zu abermaligem Besuch der Vereinigten Staaten entschlossen, kamen Franziska Ellmenreich, Georgine von Januschowsky, Maria Barkany, Kathi Schratt, Lina Mayr, Marie Seebach, Fanny Janauscheck, Hedwig Niemann-Raabe, Gertrude Giers, Agnes Sorma, Marie Geistinger, Karl Sontag, Ernst Possart, Ludwig Barnay, Junkermann, Adalbert Matkowsky, Joseph Kainz, Friedrich Mitterwurzer, Adolf Sonnenthal, die Komiker Wilhelm Knaak, Franz Tewele und viele andere.

»Beginnt man,« so urteilte im Jahre 1905 ein berufener Kritiker, »über jene Zeit zu schreiben, so fällt es schwer, sich solcher Sprache zu bedienen, daß man nicht in den Verdacht der Überschwenglichkeit kommt. Man macht sich in unserer nüchternen Zeit keinen Begriff, welcher Kunsttaumel damals New York – nicht nur das deutsche New York, sondern das ganze New York – ergriffen hatte.«

Besonders die zu den ständigen Gästen zählenden Leiter und darstellenden Mitglieder der anglo-amerikanischen Bühnen kamen aus dem Staunen gar nicht heraus. Bildete doch jede einzelne der von den genannten Künstlern verkörperten Figuren eine Studie, die an Reiz, Vollendung und innerer Wahrheit kaum übertroffen werden konnte. Possart, Barnay und die Ellmenreich erschütterten durch ihre großartigen Darstellungen geschichtlicher Persönlichkeiten; Knaak und Tewele wurden infolge ihrer unausgesetzten Wirkung auf die Lachmuskeln der Zuschauer fast lebensgefährlich. Und nun vollends die göttliche, ewig junge Marie Geistinger! Die »Begeistingerung« kannte keine Grenzen. Mau ging einfach jeden Abend ins Theater, denn jeden Abend konnte man diese geniale Künstlerin in einer anderen Rolle bewundern. Heute erschien sie in einer übermütigen Posse, morgen in einem tiefernsten Drama, übermorgen in einer Operette und dann wieder in einem zwerchfellerschütternden Lustspiel. Bald brillierte sie als »Großherzogin von Gerolstein«, »Bocaccio« oder »Schöne Helena«, um am folgenden Abend mit vollendetem Geschick die Königin Elisabeth in Schillers »Maria Stuart«, die »Therese Krones«, die »Cameliendame« oder »Donna Diana« zu spielen.

Wieviel die englische Bühne in den Vereinigten Staaten durch das Auftreten so bedeutender deutscher Künstler und Künstlerinnen profitierte, läßt sich natürlich nicht feststellen. Aber ein Beweis, welch ungeheures Interesse die amerikanischen Bühnenleiter und Darsteller den deutschen Künstlern entgegenbrachten, ist gewiß darin zu finden, daß Edwin Booth, hingerissen von dem Spiel Bogumil Davisons, an diesen die Einladung ergehen ließ, in dem von Booth geleiteten »Winter Garden« den »Othello« zu spielen, während er die Rolle des »Jago« übernehmen wolle. In dieser Mustervorstellung, die im Januar 1867 zustande kam, wirkte überdies die deutsche Schauspielerin Frau Methua-Scheller als »Desdemona« mit, wobei sie in ihren Szenen mit Booth Englisch, mit Davison hingegen Deutsch sprach.

In demselben Jahre folgte auch Fanny Janauscheck einer Einladung Booths, in seiner in Boston gastierenden englischen Gesellschaft dreimal als »Lady Macbeth« aufzutreten. Obwohl sie sich dabei der deutschen Sprache bediente, erweckte sie durch ihr Spiel solche Begeisterung und solchen Zulauf, daß Booth der Künstlerin die Summe von 11 000 Dollar als Honorar aushändigen konnte.

Durch solche auf englischen Bühnen errungenen Triumphe ließen sich manche deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen bestimmen, ganz zur englischen Bühne überzugehen. Darunter Fanny Janauscheck, welche zuerst in der »Academy of Music« zu New York englisch sprechend auftrat und später mit einer eigenen englischen Gesellschaft die Vereinigten Staaten bereiste.

Einen noch gewaltigeren und nachhaltigeren Einfluß als solche Einzeldarsteller übten die Gastspielreisen mehrerer, die Vereinigten Staaten besuchenden deutschen Truppen, besonders der » Münchener«, » Schlierseer« und eines Teiles der berühmten » Meininger« auf die amerikanische Bühne aus. Die letzteren standen unter der Leitung des vorzüglichen Charakterdarstellers Ludwig Barnay. Sie überraschte zunächst durch die bis auf die kleinsten Einzelheiten der Kostüme, Waffen und Gerätschaften ausgedehnte historische Treue der Ausstattung, dann aber auch durch ihr wunderbares, in solcher Vollendung nie zuvor gesehenes Zusammenspiel. Hier wirkte alles echt. Solchen Darstellungen gegenüber verlor man jedes Bewußtsein, daß man sich in einer Welt des Scheins, im Theater befinde und daß die hier auftretenden Könige und Helden gewöhnliche Sterbliche seien, nachdem sie ihre Purpurmäntel und Waffenröcke abgelegt hätten.

Die Münchener Truppe unter Leitung des tüchtigen Max Hofpaur frappierte gleich den Schlierseern durch die ungeschminkte, derbe Natürlichkeit und Frische, mit der sie ihre oberbayrischen Volksstücke wiedergaben. Derartige Vorführungen wirkten nicht bloß auf die theaterbesuchenden Feinschmecker, sondern auch auf die amerikanischen Bühnenleiter und Darsteller gleich großen Offenbarungen. Und von dieser Zeit datiert auch ihr Bestreben, jenen glänzenden Vorbildern nachzuahmen.

Ein Künstler, der wohl am meisten während jener theatralischen Glanzperiode lernte und profitierte, war Heinrch Conried. Selbst ein tüchtiger Darsteller, hatte er bereits unter den Direktionen Cotrelly und Amberg die artistische Leitung der Vorstellungen in Händen gehabt und ihre großen Erfolge ermöglicht. Am 1. Mai 1893 übernahm er das im Besitz Ambergs gewesene »Irving Place Theater« und leitete damit eine dritte Glanzepoche ein, in deren einzelnen Abschnitten er dem New Yorker Publikum fast alle neueren Berühmtheiten der deutschländischen Bühne zuführte. Die bedeutendsten Gastspiele unter seiner Leitung waren diejenigen von Adolf Sonnenthal, Georg Engels, Felix Schweighofer, Rudolf Christians, Ferdinand Bonn, Harry Walden, Agnes Sorma, Helene Odilon, Annie Dierkens, Agathe Barsescu und Mia Werber.

Als Conried im Jahre 1903 an die Metropolitan Operngesellschaft berufen wurde, legte er die Leitung des Irving Place-Theater nieder. An seine Stelle trat der Schriftsteller M. Baumfeld, unter dem das deutsche Theater zwar manche glanzvolle Darbietungen, leider aber auch in der Saison 1908 bis 1909 seinen durch allerhand Intriguen herbeigeführten Zusammenbruch erlebte.

Andere amerikanische Städte, welche deutsche Theater unterhalten oder vorübergehend unterhielten, sind Philadelphia, Baltimore, Buffalo, Cincinnati, Cleveland, Indianapolis, Detroit, Chicago, St. Louis, Milwaukee, Davenport, Dubuque, La Crosse, St. Paul, New Orleans, Denver und San Francisco. Mit der Geschichte der deutschen Bühne in Chicago, Milwaukee und St. Louis sind die Namen der Direktoren Leon Wachsner und Ferdinand Welb, mit derjenigen des Theaters zu San Francisco der Name der Direktorin Ottilie Genee unlöslich verbunden.

Viele der außerhalb der Stadt New York bestehenden deutschen Musentempel wurden von den Wandertruppen besucht, die von den Leitern der deutschen Theater in New York ausgesendet wurden. Mit solchen Truppen unternahmen auch Haase, Barnay, Josephine Gallmeyer, Marie Geistinger, die Schlierseer und andere ausgedehnte Kunstreisen durch den fernen Westen, dessen Bevölkerung dadurch gleichfalls Gelegenheit erhielt, sich an den hohen künstlerischen Darbietungen so seltener Gäste zu erfreuen und zu begeistern.

Die deutsche Oper in Amerika.

Anton Seidl.

Die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zeit, wo im Deutschamerikanertum der Sinn für die tönende Kunst mächtig erwachte. Allerorten erstanden Gesang- und Musikvereine, Symphonie-, Orchester- und Oratoriengesellschaften, welche sich die Pflege der Musik in ihren verschiedenen Zweigen zur Aufgabe machten. Viele dieser Vereinigungen brachten in ihren Konzerten Ouvertüren und andere Abschnitte aus deutschen Opern zu Gehör und erweckten dadurch das Verlangen, jene Bühnenwerke vollständig kennen zu lernen. Dieser Wunsch trat um so lebhafter hervor, als man sich an dem süßlichen, unwahren und auf die Dauer schrecklich monoton wirkenden Singsang der italienischen Oper, die neben der englischen bisher in den Vereinigten Staaten das Feld beherrschte, gründlich den Magen verdorben hatte. Man verlangte nach Kräftigerem, Vollblütigerem. Das schienen die deutschen Opern, namentlich die eben ihre Rundreise über Deutschlands Bühnen antretenden Opern Wagners zu verheißen. Und unternehmende Bühnenleiter säumten nicht, dem geheimen Sehnen des Publikums Rechnung zu tragen.

Der Ruhm, die ersten Opern in deutscher Sprache in Amerika aufgeführt zu haben, gebührt Julius Unger. Derselbe veranstaltete im Jahre 1855 in »Niblos Garden« zu New York eine zwölf Abende umfassende Saison, während welcher unter anderen der »Freischütz«, »Martha« und »Czar und Zimmermann« gegeben wurden.

Ihm folgten Max Maretzek sowie Karl Bergmann, der geniale Leiter der »Philharmonischen Gesellschaft«. Bergmann eröffnete seine Saison am 4. April 1859 im alten »Stadttheater« mit Wagners »Tannhäuser«, unterstützt von dem Gesangverein »Arion«, dessen Mitglieder den Chor stellten. Bergmanns Darbietungen fanden so warme Aufnahme, daß durch dieselbe ermutigt, im September 1862 auch Karl Anschütz eine deutsche Opernsaison eröffnete, während welcher das New Yorker Publikum mit der »Zauberflöte«, der »Entführung aus dem Serail«, »Joseph in Ägypten«, »Stradella«, »Don Juan« und anderen Opern bekannt wurde.

Dieser Saison schlossen sich zu Ende der sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre mehrere andere unter verschiedenen Direktoren und unter der künstlerischen Leitung von Adolf Neuendorff an. »Lohengrin« und »Der Fliegende Holländer« erlebten in dieser Zeit ihre amerikanischen Erstaufführungen. »Rienzi« bekamen die Amerikaner im Jahre 1878 zum erstenmal zu hören. Unter den großen Gesangskünstlern, welche damals reiche Lorbeeren ernteten, befanden sich Eugenie Pappenheim, Ines Lichtmay, die einzige Pauline Lucca, Theodor Habelmann, Wilhelm Formes, Theodor Wachtel und andere.

Im Jahre 1884 wußte Leopold Damrosch die Direktoren des »Metropolitan Opernhauses« zu bestimmen, an Stelle der italienischen Oper, die in dem neuerbauten Hause schweres finanzielles Fiasko erlitten hatte, eine deutsche Saison zu veranstalten. Sie umfaßte nicht weniger als 57 Aufführungen, in denen »Tannhäuser«, »Fidelio«, »Die Hugenotten«, »Freischütz«, »Wilhelm Tell«, »Lohengrin«, »Don Juan«, »Der Prophet«, »Die Stumme von Portici«, »Rigoletto«, »Die Jüdin« und »Die Walküre« gegeben wurden. Amalie Materna, Marianne Brandt, Frau Marie Schröder-Hanfstängl, Frau Auguste Seidl-Kraus, Josef Staudigl, Adolf Robinson und Anton Schott ragten dabei als Solisten hervor. Beim Zusammenstellen seiner Künstlerschar brach Damrosch mit dem in Amerika üblichen Starsystem, wo einer Hauptzugkraft in der Regel ein sehr minderwertiges Personal als Folie dient. Er legte vielmehr Gewicht auf ein abgerundetes Zusammenspiel. Zugleich wandte er volle Aufmerksamkeit auf die bisher gänzlich vernachlässigte Ausstattung und auf das Herausarbeiten der dramatischen Wirkung. Der künstlerische Eindruck, den diese deutsche Saison hinterließ, war ein so tiefgehender, daß die Direktoren des »Metropolitan-Opernhauses« sich entschlossen, derselben sofort eine zweite folgen zu lassen. Aber Damrosch war vom Tode abberufen worden. Deshalb begaben sich Edmund Stanton, der langjährige Sekretär der »Metropolitan-Opernhausgesellschaft« und Damroschs Sohn Walter nach Deutschland und schlossen dort mit Anton Seidl einen Vertrag ab, durch welchen dieser sich verpflichtete, die deutsche Opernsaison 1885-1886 zu leiten. Die unvergleichliche Lilli Lehmann, ferner Marianne Brandt, Frau Seidl-Kraus, Emil Fischer, Albert Stritt, Gudehus, Robinson und andere Künstler wurden als Solisten gewonnen. Wagners »Meistersinger« und Goldmarks »Königin von Saba« bildeten die Neuheiten des Repertoirs.

Schon die Eröffnungsvorstellung am 23. November bedeutete eine gewonnene Schlacht. Man gab den »Lohengrin« und entfesselte damit eine Begeisterung, wie sie beim New Yorker Publikum selten erlebt worden war. Dieselbe erfaßte auch die mit hochgespannten Erwartungen gekommenen Musikreferenten. Einer der bekanntesten, H. E. Krehbiel, schrieb über den Abend folgendermaßen: »Die Aufführung war jedenfalls die allerkünstlerischste, die Wagners bewundertes Werk jemals in Amerika erfahren hat, eine Tatsache, für die vor allem Anton Seidls herrliche musikalische Leitung verantwortlich ist. Auch wenn die Leute auf der Bühne sich mit weniger anerkennenswerter Gewissenhaftigkeit der Aufgabe entledigt hätten, die ihnen die Partitur stellte, würde Herrn Seidls Einfluß dennoch den ganzen Abend hindurch allen sensitiven Zuhörern offenbar geworden sein. Aber nicht die unübertreffliche technische Präzision, der sich alle, auf der Bühne und im Orchester, bei der Wiedergabe des Werkes befleißigten, ja, nicht einmal deren bewundernswertes Resultat war das Anerkennenswerteste an Seidls Leistung. Durch seine sorgsame Temponahme, durch seinen geläuterten Geschmack in der Hervorbringung delikater Ausdrucksnuancen, durch seine Gewandtheit, den Instrumentalisten und Sängern seine Wünsche zu vermitteln, durch sein Geschick, von ihnen ohne Verzug das Verlangte zu erhalten, und durch die offenbare Vertrautheit mit Buchstaben und Geist des Werkes wurde es ihm möglich, dem »Lohengrin« eine Interpretation zu geben, die beinahe neu war und die, trotz der Bekanntheit der Oper, gar manche poetische Schönheit erschloß, die bis dahin verborgen geblieben war.«

Man hatte manche Schöpfungen Wagners schon früher in Amerika gehört. Aber zur Erkenntnis ihrer reichen Poesie und vollen Gewalt gelangte man doch erst, als Seidl und die mit ihm verbundenen Künstler diese Werke interpretierten.

Die zweite, von Seidl dirigierte Saison im Winter 1886-1887 brachte den als Sänger und Darsteller gleich großartigen Albert Niemann nach den Vereinigten Staaten. Mit ihm gelangte unter ungeheurem Beifall am 1. Dezember »Tristan und Isolde« zur ersten Aufführung in Amerika. Die drei noch unbekannten Teile der Nibelungen, »Rheingold«, »Siegfried« und »Götterdämmerung« kamen in den folgenden Jahren an die Reihe, wobei die New Yorker neben den bisherigen Bühnensternen auch den rasch zum Liebling aller werdenden Max Alvary ( Achenbach), einen idealen Darsteller »Jung-Siegfrieds«, kennen lernten, und zugleich eine der bedeutendsten Sängerinnen Deutschlands, Fanny Moran-Olden. Da Niemann und Fischer, die Lehmann, Brandt und Seidl-Kraus gleichfalls mitwirkten, so stieg der Wagner-Enthusiasmus auch beim amerikanischen Publikum aufs höchste. Es geschah das Unerhörte, daß die trocknen Börsenmenschen der Weltstadt »wagnertoll« wurden und nachmittags nicht schnell genug ihre Geschäftsbücher zuklappen konnten, um sich in die mystischen Geheimnisse der germanischen Götter- und Heroenwelt zu versenken. Kein Wunder, daß, als am 21. März 1891 die letzte deutsche Vorstellung unter Seidl gegeben wurde, dieselbe sich zu einer sowohl dem Dirigenten wie den Sängern dargebrachten überwältigenden Ovation gestaltete. –

Es trat nun in der deutschen Oper eine mehrjährige Pause ein. Erst im Februar 1895 veranstaltete Walter Damrosch auf eigene Faust im »Metropolitan-Opernhause« eine dreiwöchentliche Saison Wagnerscher Opern, die sowohl in künstlerischer wie finanzieller Hinsicht ungemein erfolgreich verlief. Neben Alvary und Fischer erschienen als neue Solisten Rosa Sucher, die berühmteste »Isolde« Deutschlands, ferner die jugendliche Johanna Gadsky, Marie Brema, die Kutschera, sowie die Sänger Rothmühl und Konrad Behrens. Der überraschend große finanzielle Erfolg dieser Unternehmung bestimmte die Pächter des Metropolitan-Opernhauses, Abbey & Grau, ihrem in der Regel nur italienische und französische Opern umfassenden Spielplan fortan auch deutsche Opernaufführungen einzuverleiben und mit der Leitung derselben deutsche Dirigenten zu beauftragen. Das war ein Schritt, der den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung des kosmopolitischen New York durchaus entsprach.

Seidl, Schalk, Paur, Walter Damrosch und Alfred Hertz wirkten als Dirigenten dieser Aufführungen, zu deren Gelingen außer manchen der von früher her bekannten Künstler Ernest van Dyck, Anton van Rooy, Andreas Dippel, Otto Goritz, Jean und Eduard de Reczke, Marcella Sembrich, Milka Ternina, Frau Ritter-Götze, Ernestine Schumann-Heinck und Fritzi Scheff beitrugen. –

Während die deutsche Oper so in New York Triumphe über Triumphe feierte, hatte sie auch bereits an anderen Orten der Union Fuß gefaßt. Während der sechziger, siebenziger und achtziger Jahre verbanden sich nämlich manche Künstler und Künstlerinnen zu selbständigen Truppen und unternahmen ausgedehnte Rundreisen durch die amerikanischen Großstädte. Mitglieder solcher Gesellschaften waren Formes, Habelmann, Wachtel, Bernhardt, Bischoff, sowie die bedeutende Frau Ines Fabri-Lichtmay.

Die letztere eröffnete im Winter 1875-1876 in Gemeinschaft mit dem Dirigenten Gustav Hinrichs in San Francisco eine Saison, während welcher in sechs Monaten dreißig verschiedene Opern in deutscher Sprache zur Aufführung gelangten. Gemeinschaftlich mit Theodor Thomas dirigierte Hinrichs später die amerikanische Oper in der »Academy of Music« zu New York, die unter ihren Mitwirkenden gleichfalls viele deutsche Künstler und Künstlerinnen zählte, darunter Wilhelm Candidus, Emma Juch, Amande Fabris und Frau Hastreiter. Zu Ende der achtziger Jahre organisierte Hinrichs in Philadelphia eine eigene Operngesellschaft, womit er zehn Saisons erledigte und zahlreiche Gastreisen nach anderen Großstädten ausführte. Bei den in deutscher Sprache gegebenen Opern wirkten unter anderen Amalie Materna und Minnie Hauck, Fischer und andere berühmte Künstler mit.

Mit eigenen Truppen bereisten auch Frau Pappenheim (1878) und Emma Juch (1889-1891) den Kontinent. Eine vorwiegend deutsche Berühmtheiten umfassende Gesellschaft war ferner »Kelloggs-Opera-Company«, welche im Jahre 1876 Wagnersche Opern aufführte.

Eine neue glorreiche Epoche der deutschen Oper in Amerika hob an, als im Jahre 1903 an Stelle des bisherigen Direktors der Großen Oper in New York, Maurice Grau, der Direktor des Deutschen Irving Place-Theaters, Heinrich Conried trat. Wie unter ihm das Deutsche Theater in New York eine gründliche Umgestaltung erfahren hatte, so reorganisierte er nun auch die Große Oper.

In erster Linie wurde die bis dahin benutzte Bühne in eine drehbare nach dem von Karl Lautenschläger in München erfundenen System verwandelt. Die wichtige, hier zuerst in Amerika eingeführte Neuerung ermöglichte es den Bühnenmeistern, ihre szenischen Vorbereitungen so zu treffen, daß die früher unvermeidlichen, durch ihre Länge oft schrecklich ermüdenden Zwischenpausen fast ganz in Wegfall kamen und notwendige Verwandlungsszenen mit geradezu verblüffender Schnelligkeit vollzogen werden können.

Die erlesensten künstlerischen Kräfte seines Vorgängers an sich fesselnd, fügte Conried denselben sodann eine Reihe neuer hinzu, von denen in erster Linie die deutschen Sänger Alois Burgstaller, Albert Reis, Robert Blaß, Adolf Mühlmann, Heinrich Knote, Franz Steiner und Karl Burrian, sowie die Sängerinnen Josephine Jacoby, Paula Ralph, Marie Mattfeld, Katharina Fleischer-Edel, Marie Rappold und Johanna Poehlmann genannt zu werden verdienen. Auf die Mitwirkung solcher Künstlerscharen gestützt, durfte Conried es wagen, schon bald nach der Übernahme der Leitung die Welt durch die Ankündigung zu überraschen, daß er Wagners letztes Werk, das Bühnenweihfestspiel »Parsifal« zur Aufführung zu bringen gedenke. Damit erregte er um so gewaltigeres Aufsehen, als »Parsifal« – abgesehen von einer einzigen Privataufführung in München vor König Ludwig von Bayern – noch nirgendwo außerhalb Bayreuths gegeben worden war, da die Witwe Wagners, um diese letzte Offenbarung des großen Meisters ausschließlich für das Bayreuther Festspielhaus zu reservieren, die Bewerbungen aller anderen europäischen Bühnen rundweg abgelehnt hatte. Tatsächlich wandte sie auch alle erdenklichen gerichtlichen und außergerichtlichen Mittel an, um die Aufführung des »Parsifal« in New York zu verhindern. Conried ließ sich aber nicht beirren, sondern brachte seiner Ankündigung getreu das bedeutende Werk am Weihnachtsabend 1903 zur Aufführung. Die Titelrolle lag in den Händen des bewährten Alois Burgstaller, der in seiner großen Szene mit Kundry noch erheblich über die hohe Leistung, die man von ihm erwartet hatte, hinauswuchs. Milka Ternina verrichtete als Kundry das Wunder, diesen rätselhaftesten Charakter, den je ein Dichterhirn geschaffen, menschlich-sympathisch erscheinen zu lassen. Gleich vortreffliche Darbietungen lieferten Blaß, von Rooy, Goritz und Journat als »Gurnemanz«, »Amfortas«, »Klingsor« und »Titurel«. Die Chöre der Ritter, Knaben und Blumenmädchen überraschten durch ihre Leistungen nicht minder als die Künstler, welche die szenische Ausstattung des Festspiels geschaffen hatten, die in manchen Dingen, z. B. dem Zaubergarten und der Frühlingslandschaft, die Bayreuther Vorbilder weit übertraf.

Und das Publikum? – Zu Tausenden erschienen, nahm es in andachtsvoller Stimmung die letzte Botschaft des großen deutschen Meisters entgegen, und gar manchem Mann, der sich sonst wohl gar auf seinen Zynismus etwas zugute tat, wurden beim Karfreitagszauber die Augen feucht. »In seinem zwanzigjährigen Bestehen«, so schrieb der Referent der »New Yorker Staatszeitung«, »hat das Metropolitan-Opernhaus noch keine Vorstellung dargeboten, die mit einem solchen Aufwand von Fleiß und eindringendem Verständnis vorbereitet worden wäre; niemals ist dort dem Gelingen des Ganzen und aller seiner Einzelheiten ein solches Arbeitsopfer dargebracht worden. Die Parsivalvorstellung hat uns einen neuen Maßstab für unsere Opernvorstellungen im allgemeinen gegeben, einen Maßstab, den das Publikum im Gedächtnis behalten wird. Und dann muß die Aufführung selbst, sowie die andachtsvolle Teilnahme des Publikums den Gedankenträgern einmal wieder zum Bewußtsein gebracht haben, daß es die deutsche Kunst ist, die das Höchste gewährt, die vor anderen imstande ist, den Menschen gar gegen seinen Willen über das Alltägliche zu erheben. Über das Werk selbst mögen die Ansichten weit auseinandergehen; über die Wirkung, die es ausübte, kann kein Zweifel aufkommen. Niemand wird leugnen wollen, daß der Eindruck ein tiefer und veredelnder gewesen. Unsere Musikhistoriker aber werden den 24. Dezember 1903 als einzigartig zu vermerken haben; war es doch das erstemal, daß die gesamte europäische Kunstwelt ihr Augenmerk auf ein New Yorker musikalisches Ereignis richtete! Will diese europäische Welt nun ehrliche Kritik üben, dann wird sie ohne Einschränkung zugeben, daß New York die Probe mit Ehren bestanden hat.«

Zu den weiteren Großtaten des Conriedschen Regimes gehören die wiederholten Aufführungen des vollständigen Nibelungenrings mit durchaus neuer Ausstattung; der »Meistersinger« und der Mozartschen Opern »Die Hochzeit des Figaro« und »Don Juan«.

In überaus glänzender Ausstattung brachte Conried auch die von Richard Strauß komponierte Oper »Salome« zur Aufführung, mußte dieselbe aber trotz ihres unbestrittenen künstlerischen und über alle Erwartung großen finanziellen Erfolges auf Geheiß des Direktorenrats nach ihrer ersten Aufführung vom Spielplan wieder streichen.

Conried vermittelte dem New Yorker Publikum ferner die Bekanntschaft mit der bisher in Amerika nicht gesehenen deutschen Oper »Hansel und Grethel« von Humperdinck.

Die wiederholten Gastreisen, welche die Truppen der Großen Oper unter der bewährten Führung von Ernst Görlitz nach Philadelphia, Baltimore, Washington, Boston, Pittsburg, Chicago, St. Louis, Kansas City und San Francisco ausführten, trugen in höchstem Grade dazu bei, auch dort die Liebe und das Verständnis für die wunderbaren Schöpfungen der deutschen Kunst zu erwecken. Die Rundreise der Saison 1906 kam freilich am 18. April in San Francisco zu einem jähen Abschluß, da an jenem Tage sämtliche Szenerien und Garderobeausstattungen zu neunzehn Opern durch die dem Erdbeben folgende Feuersbrunst vernichtet wurden. Bewertete die dadurch erlittene Einbuße sich auf eine Viertelmillion Dollar, so hatte die Truppe aber glücklicherweise den Verlust keines ihrer Mitglieder zu beklagen.

Von schwerer Krankheit befallen, legte Conried im Jahre 1908 die Leitung der Großen Oper nieder und begab sich nach Europa, um Genesung zu suchen. Dort starb er aber am 25. April 1909. Nach Conrieds Rücktritt erhielt die Große Oper der Stadt New York eine Doppelleitung. Und zwar dirigierte der Italiener Gatti Casazza die italienischen und französischen, der seit mehreren Jahren mit dem Institut verbundene Tenorist Andreas Dippel hingegen die deutschen Opern.

Wie Dippel über die gegenwärtige Stellung der Metropolitan-Oper denkt, geht aus einem für das »New Yorker Journal« vom 20. Juni 1909 geschriebenen Aufsatz hervor, in dem er die Ansicht vertritt, daß keine andere Stadt der Welt solche Vorstellungen von Opern jeder Schule biete, als das Metropolitan-Opernhaus. Auch in der Qualität seiner Darstellung habe dieses Institut eine höhere Stufe erreicht als irgendein anderes, das neben ihm genannt werden könnte. Es sei durchaus wahr, daß die Interpretationen der Wagnerschen Opern im New Yorker Opernhause weit vollendeter als in den Hoftheatern Deutschlands seien, oder selbst in den Sondervorstellungen, wie sie in Bayreuth veranstaltet würden.

Die großen, durch Conried erzielten Erfolge veranlaßten den New Yorker Oscar Hammerstein ein zweites Opernunternehmen, das Manhattan-Opernhaus, ins Leben zu rufen, in welchem allerdings nur französische und italienische Opern zur Aufführung gelangen. Nachdem die »Salome« vom Spielplan der Metropolitan-Operngesellschaft gestrichen worden, nahm Hammerstein dieselbe auf und erzielte damit mehr als ein Dutzend übervolle Häuser.

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Wir würden uns einer Unterlassungssünde schuldig machen, wollten wir nicht erwähnen, daß auch aus dem eingeborenen Deutschamerikanertum zahlreiche Bühnenkünstler und Künstlerinnen, Sänger und Sängerinnen hervorgingen, von denen manche sich der amerikanischen Bühne zuwandten und auf derselben, meist unter angenommenen englischen Namen, bedeutende Erfolge erzielten.

Eine geschätzte Sängerin war beispielsweise die im Jahre 1852 in New York geborene Minnie Hauck, die erste und zugleich eine der vorzüglichsten Darstellerinnen der »Carmen«. Die in Louisville geborene Helene Hastreiter sowie die unter dem Namen Marie Litta auftretende New Yorkerin Marie von Ellsner gehörten gleichfalls im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu den Gefeierten. Desgleichen die in Iowa geborene Operettensängerin Helene Louise Leonard, welche unter ihrem Bühnennamen Lilian Russell auch in der Alten Welt bekannt wurde. Unter den deutschen Sängerinnen, die sich der amerikanischen Bühne zuwandten, ist Fritzi Scheff zu erwähnen, die während der letzten Jahre als »Mademoiselle Modiste« große Triumphe feierte.

Malerei, Architektur und Poesie. Nach einem Relief von Henry Linder.

Deutschamerikanische Maler, Bildhauer und Baumeister.

Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts lassen sich die Spuren deutscher Kunst in Amerika verfolgen. Sie führen uns wiederum in die Herrnhuter Niederlassung Bethlehem, deren Mitglieder, trotzdem sie in der Hauptsache gottgefälligen Werken lebten und ihre Blicke auf das Jenseits richteten, sich doch den Sinn für das Schöne in der Natur, für Gesang, Musik und Malerei bewahrten. Ihnen schloß sich im Jahre 1754 ein Künstler an, der in Rom, Florenz, Paris und London studiert hatte, irgendwie und irgendwo aber mit den Herrnhutern in Berührung gekommen und durch ihr tiefinnerliches Leben so angezogen worden war, daß er der Sekte beitrat und nach Bethlehem übersiedelte. Es war der im Jahre 1700 in Danzig geborene Johann Valentin Haidt. Seiner fleißigen Hand entsprangen in Bethlehem zahlreiche Gemälde, deren Vorwürfe er der Bibel entlehnte. Daneben schuf er viele Bildnisse, von denen manche noch heute im Archiv der Herrnhuter Gemeinde zu sehen sind. Als Haidt im Jahre 1780 aus dem Leben schied, wurde er auch auf dem stillen Friedhof der Herrnhuter begraben.

Einen Berufsgenossen hatte Haidt in dem 1776 in Lancaster, Pennsylvanien geborenen Jakob Eichholz, welcher sich zu Ausgang des 18. Jahrhunderts in Philadelphia niederließ und als geschickter Porträtmaler die Züge mancher dort wohnenden Notabilitäten auf die Leinwand bannte. Mehrere dieser Bildnisse befinden sich jetzt in den Sammlungen der Kunstgenossenschaft zu Philadelphia.

Im allgemeinen waren zu Anfang des 19. Jahrhunderts der Sinn und das Verständnis für die schönen Künste in den jungen Vereinigten Staaten sehr wenig entwickelt. Berufskünstler gab es nur einzelne und auch diese waren genötigt, ihr Auskommen im Porträtfach zu suchen. Erst um die Mitte des Jahrhunderts begann es sich zu regen. Und nun sehen wir auch an den verschiedensten Orten deutsche Maler und Bildhauer auftreten, von denen einige sogar zu großem Ruhm gelangten. Die bedeutendsten waren Emanuel Leutze (geboren 1816 in Schwäbisch-Hall); Karl Ferdinand Weimer (geboren 1828 in Siegburg) und Albert Bierstadt (geboren 1830 in Solingen). Alle drei kamen in ihrer Jugend nach Amerika, wo sie auch die ersten Anregungen und Anweisungen für ihren späteren Beruf empfingen. Später zogen alle drei nach Düsseldorf, um in dieser berühmten Künstlerstadt ihre Ausbildung zu vollenden. Leutze erschien dort im Jahre 1841. Weimer folgte 1852. Um dieselbe Zeit kam Bierstadt.

Washingtons Übergang über den Delaware. Nach dem im Metropolitan Museum of Art zu New York befindlichen Gemälde von Emanuel Leutze.

Es kann kaum überraschen, daß die Gemälde der in beständigen Umgang mit den damaligen Größen jener Kunststadt lebenden Deutschamerikaner sich sowohl durch ihre Komposition, wie durch ihre Technik und Farbengebung als Werke der damaligen Düsseldorfer Schule kennzeichnen. Nur durch die ihnen zugrunde gelegten Vorwürfe unterscheiden sie sich von denselben. Anstatt der zu jener Zeit so beliebten Szenen trauten Familienglücks und romantischer Ritterherrlichkeit, anstatt der zahmen Landschaften vom Rhein, der Schweiz und Italiens, zeigen sie die Natur und Menschen einer fremden wilden Welt, die man bisher nur aus den Beschreibungen einzelner kühner Reisenden und den vielgelesenen Romanen eines Cooper, Sealsfield und Gerstäcker hatte kennen lernen. Sie veranschaulichten Szenen aus dem Leben der großen Entdecker und Eroberer, das Dasein der Indianer und Waldläufer, oder Vorgänge aus den jahrelangen Kämpfen, durch welche die Amerikaner ihre Unabhängigkeit erstritten.

Es ist eine eigentümliche Tatsache, daß die genannten drei deutschamerikanischen Künstler sich in bezug auf die Wahl ihrer Motive als weit bessere Amerikaner erwiesen, als ihre damaligen, im Lande geborenen amerikanischen Berufsgenossen. Ihre Herzen waren voll Begeisterung für die Helden, die sich die Bewunderung der ganzen zivilisierten Welt errungen hatten. Sie standen staunend vor der ihren Blicken sich darbietenden großartigen Natur. Und sie fühlten sich angezogen durch die von wilder Romantik umkleideten Gestalten, die im fernen Westen die eingeborene rote Rasse repräsentierten oder die Vorhut der weißen bildeten.

Emanuel Leutze beschäftigte sich in der ersten Zeit seines Düsseldorfer Aufenthaltes häufig mit der ihn mächtig interessierenden Gestalt des Columbus. Er stellte ihn dar, wie er dem hohen Rat der Stadt Salamanca seine kühnen Pläne auseinandersetzt; in Audienz mit seiner hohen Gönnerin, der Königin Isabella; seinen Einzug in Sevilla nach der Rückkehr von der erfolgreichen Entdeckungsreise; und endlich auch den so schmählich mißbrauchten Mann im Kerker, mit Ketten belastet. Diesem in Brüssel mit der goldenen Medaille ausgezeichneten Gemälde schloß sich bald darauf ein anderes geschichtliches Bild an: die Landung des Normannen Leif in Finland.

War Leutzes Name bereits durch diese Kunstwerke auf beiden Erdhälften bekannt geworden, so sollte er aber durch sein ebenfalls in Düsseldorf entstandenes Gemälde »Washingtons Übergang über den Delaware« zu noch weit höherem Glanz gelangen. Das jetzt im Kunstmuseum der Stadt New York aufgestellte mächtige Bild mit seinen lebensgroßen Figuren versetzt uns in die frühen Morgenstunden eines frostigen Wintertags. Noch leuchtet der letzte Stern am Himmel, gegen dessen Graublau die malerischen Gestalten der Freiheitskämpfer sich in scharfen Umrissen abheben. Auf Ruderbooten arbeiten die Männer sich durch die mit Eisschollen bedeckten Fluten des Delaware. Im ersten Boot steht der Held jener großen, die Herzen aller Männer prüfenden Zeit, George Washington, mit seinem klaren Adlerblick in die ungewisse Ferne hinausspähend.

Welch tiefen Eindruck dies Gemälde in Deutschland hinterließ, beweist die Tatsache, daß die preußische Regierung dem Künstler die große Medaille für Kunst und Wissenschaft verlieh. In Amerika aber fand es, durch Steindruck, Stahl- und Kupferstich vervielfältigt, Eingang in viele hunderttausend Hütten und Paläste. Und so wurde das an Größe der Auffassung bisher von keinem anderen in Amerika entstandenen historischen Gemälde übertroffene Werk ein wirkliches Nationalgut des amerikanischen Volkes.

Außer zahlreichen anderen, meist in Privatgalerien übergegangenen Bildern schuf Leutze im Auftrag der Bundesregierung noch ein gewaltiges Wandgemälde im Kapitol zu Washington. Es zeigt eine Karawane jener Westfahrer, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, durch die kalifornischen Goldfunde angezogen, von den Ufern des Mississippi aufbrachen, um an den Gestaden des Stillen Ozeans neue Heimstätten zu gründen und neue Staaten aufzubauen. Eben haben die vom monatelangen Marsch über die endlosen Prärien Erschöpften einen Paß in der Kette der Felsengebirge erstiegen und lassen nun die entzückten Blicke über die westlichen Länder schweifen, die, ein zweites Kanaan, in weiter Ferne mit dem vom Abendglanz überfluteten Himmel verschwimmen.

In der sehr geringen Zahl amerikanischer Historienmaler des 19. Jahrhunderts gebührt Leutze zweifellos der erste Platz. Das erkennt auch ein neuerer Kunstkritiker an, indem er schrieb: »Er war ein groß angelegter, hoher Begeisterung fähiger, mit echter Hingabe für dies Land, seine Geschichte und den Geist seiner Einrichtungen erfüllter Mann, der stets nach den höchsten Idealen strebte. Obwohl seiner Kunst gewisse Mängel anhafteten, so können wir uns angesichts seiner Werke des Eindrucks nicht erwehren, daß sie die Produkte eines gewaltigen Geistes sind, dem anscheinend Quellen von unerschöpflicher Inspiration zu Gebote standen. Im Ungestüm seines Genius, in der rauhen Unvollständigkeit seines Stils, in seiner herrlichen Leidenschaft, in seiner Phantasie, in der epischen Größe, Energie und Kühnheit seiner Schöpfungen erinnert Leutze an Byron. Ihm verdanken wir unzweifelhaft das Beste unsrer historischen Malerei bis zum Jahre 1860.«

Infolge eines Schlaganfalls verschied Leutze am 17. Juli 1863 in Washington.

Die Westfahrer. Nach einem Wandgemälde von Emanuel Leutze im Kapitol zu Washington, D. C.

Wie sehr die Umgebung und äußeren Eindrücke die Entwicklung des Menschen bestimmen, zeigt auch der Werdegang Karl Ferdinand Weimers. Er kam als 15jähriger Knabe im Jahre 1844 mit seinen aus Deutschland ausgewanderten Eltern nach St. Louis. Damals war die heutige Großstadt ein kleiner Grenzort, der aber insofern Bedeutung hatte, als sich hier eine Hauptstation der Amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft befand. Gleichzeitig bildete St. Louis den Ausrüstungsplatz für jene Karawanen von Händlern und Ansiedlern, die nach New Mexiko, Kalifornien und dem fernen Oregon zogen. Hierher brachten auch die auf den Prärien und an den Ufern des Missouri und Mississippi jagenden Indianer und Trapper die erbeuteten Felle, um sie gegen Proviant und Schießmaterial einzutauschen. Und so traf man in den Straßen und Kaufläden des Orts beständig jene malerischen Gestalten, die den an der sogenannten »Indianergrenze« entstehenden Niederlassungen ein so eigenartiges, phantastisches Gepräge verliehen. Weimer, der bei einem Haus- und Schiffsanstreicher in die Lehre gekommen war, wurde durch dieses Getriebe mächtig angezogen, und er bemühte sich, die herrlich gebauten Figuren dieser Indianer und Trapper zu zeichnen. Mehrere Fahrten, die er als Anstreicher auf einem Flußdampfer in die Regionen am oberen Missouri mitmachte, bestärkten ihn in seinem Vorsatz, Künstler zu werden und die ihn so lebhaft interessierende westliche Welt in Gemälden festzuhalten. Und als ihm eines Tages eine kleine Erbschaft zufiel, reiste er damit im Jahre 1852 nach Düsseldorf, um sich dort zum wirklichen Maler auszubilden. Er wurde zunächst Schüler von Joseph Fay, einem Schwager von Oswald Achenbach. Später stellte er sich unter die Leitung Emanuel Leutzes, der damals gerade seine bedeutendsten Werke schuf. Unter ihm lieferte Weimer mehrere vortreffliche Bilder, von welchen »Das gefangene Schlachtroß«, das von Indianern fortgeführte Reittier eines im Handgemenge erschlagenen amerikanischen Offiziers als das beste gilt.

Nachdem Weimer sich alle technischen Fertigkeiten seines Berufs angeeignet hatte, kehrte er im Jahre 1856 nach St. Louis zurück, nahm an mehreren Expeditionen der Amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft zum obern Missouri teil und schuf in der Folgezeit unter anderen zwei herrliche Gemälde, welche indianische Büffeljagden darstellen. Eines befindet sich jetzt im Museum zu St. Louis, das zweite im Besitz von Charles Reymerhoffer in Galveston, Texas. Zu Anfang der sechziger Jahre begann Weimer die Kuppel des Gerichtsgebäudes in St. Louis auszuschmücken. Eben hatte der reichbegabte Künstler diese, zwölf Gemälde umfassende Arbeit vollendet, so fiel er im Jahre 1862 der Schwindsucht zum Opfer, die er sich auf einer seiner Reisen zugezogen hatte.

Seinen Vorsatz, der Nachwelt eine möglichst getreue und vollständige Darstellung vom Leben der Indianer Nordamerikas zu überliefern, konnte Weimer nur zum kleinsten Teil erfüllen. Aber es bleibt ihm das Verdienst, die Möglichkeit, den roten Urbewohner Amerikas als einen höchst dankbaren Vorwurf für die Malerei zu verwerten, zuerst erkannt und ausgenutzt zu haben. Weimer war der Vorläufer eines Frederick Remington, Schreyvogel, Bush, Demming und anderer, die in neuerer Zeit mit ihren Darstellungen des wildwestlichen Lebens so große Erfolge erzielten.

Waren Leutze auf dem Gebiet der geschichtlichen und Weimer auf dem der ethnographischen Malerei Bahnbrecher, so erschloß der Rheinländer Albert Bierstadt den Amerikanern zuerst die überwältigende Majestät der jungfräulichen Landschaften des fernen Westens. Wohl hatte man erfahren, daß es jenseits der endlosen Prärien, im Herzen der wolkenhohen Felsengebirge an großartigen Szenerien nicht mangle. Aber noch hatte sich kein Künstler dorthin gewagt, um den Bewohnern des Ostens jene herrlichen Landschaften zu veranschaulichen. Als Bierstadt zu Anfang der sechziger Jahre als Früchte einer mit dem General Lander in die Rocky Mountains unternommenen Expedition mehrere mächtig wirkende Gemälde ausstellte, welche die schneebepanzerten Gipfel jener Hochgebirge, die erhabenen Granitdome und Felsenkathedralen der Sierra Nevada und des Yosemitetals veranschaulichten, da wirkten diese Gemälde wie Offenbarungen. Das waren keine nüchternen, photographisch getreuen Abschreibungen der Natur, sondern Kunstwerke, in denen ihr Urheber mit großem Glück die Seele, die Stimmung der Landschaft erfaßt und auf die Leinwand gezaubert hatte. Nicht umsonst war Bierstadt bei den großen Düsseldorfer Meistern Schirmer, Lessing und Achenbach in die Schule gegangen. Die Art der heroisch machtvollen oder poetisch durchgeistigten Darstellung, welche die Gemälde jener Künstler auszeichnet, war auch ihm zu eigen geworden. Und so zählen viele seiner Bilder, wie »Mount Corcoran«, »Landers Peak«, ein »Sturm in den Felsengebirgen«, die »Goldene Gasse bei San Francisco«, ein »Abend am Mount Tacoma« und das im Kunstmuseum der Stadt New York aufgestellte »Indianerlager am Fuß der Felsengebirge« mit Recht zu den Perlen der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts.

Es ist angesichts dieser Schöpfungen erklärlich, daß Bierstadt, der »Entdecker des malerischen Westens«, in vielen amerikanischen Künstlern Nachfolger fand. Zu ihnen zählen vor allen Thomas Moran, Thomas Hill und Julian Rix.

Den namhaften deutschamerikanischen Landschaftern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehören ferner Gottfried Frankenstein, Wilhelm Sonntag, Hermann Füchsel und Heinrich Vianden an. Frankensteins Niagarabilder erfreuten sich auch in Europa großer Anerkennung.

Unter den Figurenmalern jener Periode wären in erster Linie noch der 1824 im Elsaß geborene Christian Schüssele und der 1840 zu Landau (Pfalz) geborene Thomas Nast zu nennen. Von Schüssele haben sich nur wenige Werke erhalten. Das bedeutendste ist zweifellos ein jetzt im Besitz der Herrnhutergemeinde zu Bethlehem in Pennsylvanien befindliches Gemälde, welches den ganz von seinem hohen Beruf erfüllten Missionar David Zeisberger zeigt, wie er den am nächtlichen Lagerfeuer versammelten Urbewohnern Amerikas die Lehren des Christentums verkündigt. Das durch scharfe Charakteristik der Figuren ausgezeichnete Bild wurde 1862 in Philadelphia gemalt. Dort lebte der Künstler als Leiter der Kunstschule bis zu seinem im Jahre 1879 erfolgenden Tod.

Büffeljagd. Nach einem Gemälde von Karl Weimer. Im Besitz des Kunstmuseums der Stadt St. Louis, Missouri.

Der Name Thomas Nasts wurde hauptsächlich als der eines sehr geschickten Karikaturenzeichners gefürchtet und berühmt. Aber auch die beiden großen Gemälde »Der Ausmarsch des 7. New Yorker Regiments am 19. April 1861« und »Lincolns Einzug in Richmond« sind Leistungen, die sich weit über das Alltägliche erheben. Das erstgenannte Bild schmückt die Waffenhalle des noch heute bestehenden 7. Regiments.

Mount Corcoran. Nach einem Gemälde von Albert Bierstadt.

Nasts Berufsgenosse Theodor Kaufmann, ein aus der Provinz Hannover eingewanderter »Achtundvierziger«, befaßte sich gleichfalls mit künstlerischen Darstellungen aus dem Bürgerkriege. Seine Gemälde »General Sherman am Wachtfeuer« und »Farragut« fanden in verschiedenen Nachbildungen weite Verbreitung. Ferner wählte der Künstler die tragische Ermordung des Präsidenten Lincoln zum Vorwurf eines figurenreichen Gemäldes.

Der Deutschpennsylvanier Peter Rothermel veranschaulichte die Schlacht von Gettysburg. Den Indianerkämpfen und dem Soldatenleben des fernen Westens entlehnte hingegen der im Jahre 1861 in New York geborene Charles Schreyvogel Szenen, deren überaus lebendige Darstellung den Namen des Künstlers rasch in allen Teilen Amerikas bekannt machte. Bereits das erste Bild »My Bunkie« erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Es zeigt einen im Galopp dahinspringenden Reiter, der mitten im Gefecht einen seines Rosses verlustig gewordenen Kameraden zu sich in den Sattel emporhebt. Von dramatischer Wirkung ist auch desselben Meisters Bild »How Cola«. Eine kleine Abteilung Kavalleristen hat eine Truppe Indianer in die Flucht geschlagen. Wild stürmen die Bleichgesichter nach. Im Vordergrund setzt ein Gaul über einen mit seinem Pferde gestürzten Indianer hinweg. Schon hebt der Reiter den Revolver, um dem am Boden liegenden den Gnadenschuß zu versetzen. Da erkennt der Wilde in dem ihn Bedrohenden einen ehemaligen Freund, mit dem er manchmal am Lagerfeuer zusammengesessen. Ein lautes »How Cola!« »Gut Freund!« erschallt von seinen Lippen, worauf die verhängnisvolle Mündung des Revolvers sich nach oben richtet und der Reiter weitersprengt. –

Ein fast noch ergreifenderes Gemälde Schreyvogels versetzt uns ins Innere eines von wenigen Soldaten verteidigten Forts. Überall Pulverdampf, überall leidenschaftlicher Kampf. Schon schicken die in der Übermacht befindlichen Rothäute sich an, die Palisaden zu übersteigen und die Besatzung des Forts durch herabgeschleuderte Bündel brennenden Reisigs zu vertreiben. Da raffen sich die tapferen Verteidiger zu einem letzten Verzweiflungskampf auf, um die blutdürstigen Feinde womöglich noch einmal abzuschlagen.

Ein viertes Bild nennt sich »Der Kampf ums Wasser«. Inmitten einer von der untergehenden Sonne mit magischem Licht beleuchteten Wüste liegt in einer kleinen Vertiefung eine Quelle. Ihr Besitz bedeutet Leben oder Tod, denn in der fürchterlichen Sonnengut sind Menschen und Tiere nahezu verschmachtet. Eine auf dem Kriegspfad befindliche Truppe Indianer hält die Quelle besetzt. Auf die sich tapfer Verteidigenden stürmt eine kleine Abteilung Kavallerie mit ganz außergewöhnlicher Wucht herein. Fast kerzengerade steigt das Pferd des amerikanischen Offiziers empor. Auf dem Boden liegen bereits mehrere erschossene Rothäute neben ihren Gäulen; andere setzen sich noch zur Wehr.

Außer diesen durch die überaus bewegte Handlung, wie durch vortreffliche Zeichnung und klare Farbengebung hervorragenden Gemälden schuf der Künstler zahlreiche andere, von welchen »Der Depeschenträger«, »Der Durchbruch«, »Ein sichrer Schuß« genannt sein mögen. Vortreffliche Nachbildungen der Gemälde Schreyvogels wurden im Herbst 1909 in dem Prachtwerk »My Bunkie and others« (Verlag von Moffart, Yard & Co., New York) vereinigt.

Der Deutschamerikaner V. Nehlig schuf ein Kolossalgemälde, das die Rettung des als Gründer der Kolonie Virginien bekannten Kapitän John Smith durch die schöne Häuptlingstochter Pocahontas veranschaulicht.

Ein überaus feinsinniger und vielversprechender Künstler war der im Jahre 1867 in Cincinnati geborene, bereits 1904 verstorbene Robert F. Blum. Seitdem eine Reise ihn nach Japan führte, entnahm er die Motive zu seinen Bildern mit Vorliebe dem japanischen Volksleben. Wer das Kunstmuseum der Stadt New York besucht, kann dort eins der trefflichsten Gemälde Blums, ein Meisterwerk an Carakteristik und sonniger Farbengebung bewundern. Es stellt einen von naschhaftem jungen Volk belagerten japanischen Zuckerwarenhändler dar.

Ch. Schreyvogel. Der Kampf um die Palisaden. Nach einem Gemälde von Charles Schreyvogel.

Ch. Schreyvogel. Ein sichrer Schuß. Nach einem Gemälde von Charles Schreyvogel.

Ein vortrefflicher Genremaler war ferner der 1858 in New York geborene Charles F. Ulrich. Von ihm besitzt die Corcoran Kunstgalerie zu Washington ein Gemälde, welches das Getriebe in Castle Garden, der früheren Landestelle der in New York ankommenden Einwandrer zeigt. Das Kunstmuseum der Stadt New York zählt unter seinen Schätzen ein zweites Bild Ulrichs, »Die Glasbläser in Burano«.

Der aus Hannover stammende Friedrich Dielmann, seit 1899 Präsident der »National Academy of Design« in New York, betätigte sich vornehmlich in Wandmalereien. Sowohl die Kongreßbibliothek zu Washington, die Sparbank zu Albany, das Gebäude des »Washington Evening Star« und andere Bauten sind mit Werken seiner Hand geschmückt.

Der gleichen Spezialität wandte sich auch der in New York lebende Arthur Thomas zu. Er zierte die Hallen und Wandelgänge des Gerichtsgebäudes der Stadt South Bend, Indiana; ferner das Rathaus zu St. Louis, die Gedächtnishalle zu Columbus, Ohio, und viele andere öffentliche und Privatgebäude mit geschichtlichen und allegorischen Gemälden, die sich durch klaren Entwurf, solide Zeichnung und feines Kolorit auszeichnen. Der vornehmlich als Porträtmaler bekannte Karl Gutherz fertigte für die Kongreßbibliothek zu Washington die Allegorie »Das Licht der Zivilisation«.

Von den neueren deutschamerikanischen Künstlern, die figürliche und landschaftliche Darstellungen zu verbinden lieben, ist Rudolf Cronau, (geboren 1855 zu Solingen), zu nennen. Seitdem er zu Anfang der achtziger Jahre als Spezialzeichner der »Gartenlaube« Amerika bereiste, wandte auch er sich vorwiegend der malerischen Darstellung des fernen Westens zu. Von seinen größeren Gemälden vergegenwärtigt »Ein Renkontre in den Felsengebirgen« den Zusammenstoß zweier wandernden Indianerhorden, die an dem durch seine phantastischen Felsformationen bekannten Green River, einem Quellarm des Colorado, lagerten. »Sonnenuntergang der roten Rasse« nennt sich ein zweites Gemälde. Es zeigt einen am Fuß der Grabgerüste seiner toten Stammesgenossen sitzenden Dakota-Indianer, der wehmütigen Blickes das unter ihm liegende, von der Abendsonne vergoldete Flußtal überschaut, wo eben mit schrillem Pfiff eine Eisenbahn, das Symbol der dem roten Mann den Untergang bringenden Zivilisation, dahineilt.

Zu den neueren hervorragenden deutschamerikanischen Landschaftern zählen ferner John Henry Twachtmann und der in Chicago geborene Alexander Schilling. Der New Yorker Albert Groll wählte die durch ihre Farbenpracht ausgezeichneten Wüsten Arizonas als Studienfeld.

Als Porträtmaler taten sich Adolf Müller-Ury, Johann Gerke, Emil Fuchs, Paul Selinger, Karl L. Brandt, W. J. Baer und Wilhelm Funk hervor. Von anderen innerhalb der Vereinigten Staaten lebenden Künstlern deutscher Abkunft verdienen A. B. Wenzell, Edward Potthast, John Ehninger, Max A. Friederang, John Ewers, R. Launitz, Alfred Kappes, Edward Kuntze, Keller, B. F. Reinhardt, Albert Wuest, Alfred Stieglitz und Louis Kronberg Erwähnung.

Der französische Entdecker La Salle schließt einen Vertrag mit den Miami-Indianern. Wandgemälde von Arthur Thomas im Rathause zu South Bend. Indiana.

Ein Renkontre in den Felsengebirgen. Nach einem Gemälde von Rudolf Gronau.

Ein Tiermaler ersten Ranges ist Karl Rungius in New York. Die mächtigen Wapiti der Felsengebirge, die zierlichen Antilopen der Prärien, wie die gewaltigen Moosetiere der nordischen Wälder finden in ihm einen unübertrefflichen Darsteller. Die Spezialität der beiden Künstler Edmund H. Osthaus in Toledo und Arnold in New York bildet der Hund. Mit welchem Geschick der erstgenannte Künstler die schwierigen Aufgaben, welche er sich zu stellen liebt, zu lösen weiß, beweist die unserem Buch einverleibte Wiedergabe eines seiner besten Gemälde.

Sonnenuntergang der roten Rasse. Nach einem Gemälde von Rudolf Cronau.

»Losgelassen.« Gemälde von Edmund H. Osthaus.

Sehr zahlreich ist die Liste solcher Deutschamerikaner, die als Illustratoren Hervorragendes leisten. Unter ihnen finden wir Frank und Frederick Schell, Rudolf Cronau, Julius Loeb, Max F. Klepper, Joseph Leyendecker, Erich Pape, Blumenschein, Nahl, Keppler und andere.

Copyright 1908 by C. Rungius. Ein Monarch der amerikanischen Wildnis. Nach einem Gemälde von Carl Rungius.

Manche in Amerika geborene Künstler deutscher Abkunft zogen aus verschiedenen Gründen vor, ihre Werkstätten in den europäischen Kunstzentren aufzuschlagen. Einer dieser Wandervögel ist der im Jahre 1841 in New York geborene Henry Mosler, von dessen unzähligen köstlichen Genrebildern die im Museum seiner Vaterstadt befindliche »Hochzeit in der Bretagne« hervorzuheben ist. Die Corcoran-Galerie zu Washington besitzt das schöne Gemälde »The Dawn of our Flag«. Wie der Titel verrät, ist es eine symbolische Verherrlichung der amerikanischen Flagge. Eine nackte Frauengestalt schwebt über der noch im Abendschein erglänzenden Landschaft zum dunkelnden Nachthimmel, an dem bereits die Sterne zu funkeln beginnen, empor. Im Schweben hält sie das flatternde Banner, das in dem sternenbesäten Himmel zu zerfließen scheint. Die Auflösung des Sternenbanners im Nachthimmel ist vortrefflich gelungen, und die Wiedergabe der tief drunten liegenden Abendlandschaft zeigt, daß Mosler zu den Künstlern der alten Schule gehört, welche moderne Technik in Anwendung bringen können, wenn es ihnen angebracht erscheint. Eines seiner neueren Werke »The Forging of the Cross« zeichnet sich durch eine so kräftige Behandlung der von dem glühenden Eisen ausgehenden Lichteffekte aus, daß man unwillkürlich an Menzel erinnert wird, obgleich Mosler, wenn man Vergleiche ziehen will, im allgemeinen eher an Knaus erinnert.

Ein König der Felsengebirge. Nach einem Gemälde von Carl Rungius.

Ahasver. Nach einem Gemälde von Karl Marr. Im Besitz des Metropolitan-Kunstmuseums der Stadt New York.

In München finden wir den im Jahre 1848 in New Haven, Connecticut, geborenen Toby Rosenthal, dessen mannigfaltige, oft von köstlichem Humor durchwehte Genrebilder ihm einen hochangesehenen Namen machten. Als Professor an der Münchener Akademie wirkt der 1858 in Milwaukee geborene Karl Marr, einer der bedeutendsten Künstler, die Amerika hervorgebracht hat. Seine Ausbildung verdankt er Deutschland, das er auch zu seinem dauernden Wohnsitz erkor. Eines seiner ersten, dort entstandenen Gemälde veranschaulicht »Ahasver«, den vom Tod gemiedenen »ewigen Juden«, wie er in düstrer Versunkenheit über dem von den Wellen an den Strand gespülten Leichnam eines Mädchens grübelt. Diesem jetzt im Kunstmuseum zu New York befindlichen Gemälde folgten die »Spinnerin« und mehrere Szenen aus der deutschen Geschichte. Dann kam das gewaltige aufsehenerregende Bild »Die Flagellanten«; 7 m lang und 4,40 m hoch, zeigt es einen Zug jener von religiösem Wahnsinn befallenen Sektierer, die zu den seltsamsten Erscheinungen des christlichen Mittelalters gehörten. Da nahen die halbnackten, sich geißelnden jungen und alten Männer, blutüberströmt, in ihrer leidenschaftlichen Raserei schreckenerregend. In der Mitte des unheimlichen Zuges tragen vermummte Gestalten das Bild des Heilands. Dahinter folgen Büßer, die betend die Arme zum Himmel strecken. So mögen sie einhergezogen sein, die Flagellanten, deren frommer Wahnsinn ganze Städte, ganze Länder erfaßte. Das Bild trug Marr die goldene Medaille ein. Nachdem es die Runde durch Europa gemacht, fand es einen dauernden Platz im Museum der Vaterstadt des Künstlers, Milwaukee. Diesem ergreifenden Bilde schlossen sich Genrebilder, Allegorien, historische Gemälde und Porträts an. Alle bekunden die außergewöhnliche Begabung ihres Urhebers und sein unermüdliches Ringen nach Vollkommenheit.

Hochzeit in der Bretagne. Nach einem Gemälde von Henry Mosler, im Besitz des Metropolitan-Kunstmuseums der Stadt New York.

Die beiden Schwestern. Nach einem Gemälde von Gari Melchers, im Besitz des Herrn Hugo Reisinger, New York.

Gleiches läßt sich von den Werken des 1860 in Detroit geborenen Gari Melchers sagen, der ebenfalls in Deutschland seinen Studien oblag, von Liebermann, Uhde, Leibl und anderen mächtig beeinflußt wurde, aber doch seine eignen Wege ging. Seine mit Vorliebe dem holländischen Fischerleben entnommenen Motive sind mit überzeugender Wahrheit und ungewöhnlicher Kraft ausgeführt. Die »Predigt«, das »Abendmahl in Emmaus«, die »Bootbauer«, »Zwischen den Dünen«, die im Besitz der Nationalgalerie zu Berlin befindliche »Holländische Familie«, die in der Kunstgalerie zu Philadelphia hängenden »Schlittschuhläufer«, »Die beiden Schwestern« in der Galerie von Hugo Reisinger in New York sind sowohl in Auffassung, Technik und Farbengebung Meisterwerke ersten Ranges.

Hermann Hartwich und Walter Gay zählen gleichfalls zu den in Europa lebenden deutschamerikanischen Malern, die sich durch ihre vorzüglichen Leistungen Ruhm und Auszeichnungen aller Art errangen.

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War zu Anfang des 19. Jahrhunderts das Verständnis des jungen, meist mit Daseinsfragen beschäftigten amerikanischen Volkes für die Werke der Malerei wenig entwickelt, so bekundete es für die Schöpfungen der Bildhauerkunst fast noch geringeres Interesse. Die seltenen Aufträge, die man den in den Vereinigten Staaten lebenden Meistern des Meißels zuteil werden ließ, beschränkten sich fast ausschließlich auf Grabmonumente, wozu nach Beendigung des Bürgerkriegs da und dort Kriegerdenkmale kamen.

Einer der ersten der mit solcher Ungunst der Verhältnisse kämpfenden Pioniere deutscher Kunst war der Dresdener Ferdinand Pettrich, ein Schüler Thorwaldsens. Im Jahre 1835 nach Philadelphia verschlagen, fand er dort Gelegenheit, mehrere Monumente herzustellen, die durch ihre Schönheit allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Einige sind noch heute auf dem Laurel Hill-Friedhof erhalten. Die Figuren eines »besiegten Amor«, eines »Mephistopheles« und »Fischermädchens« fanden gleichfalls große Anerkennung und bewogen den damaligen Präsidenten Tyler, Pettrich mit der Ausführung von vier Reliefs für den Sockel der von Greenough geschaffenen großen Washington-Statue zu beauftragen. Die umfangreichen, Szenen aus der Geschichte der Vereinigten Staaten darstellenden Reliefs wurden zwar von dem Künstler in Ton modelliert, aber ihre Ausführung unterblieb, da der Kongreß nicht das dazu nötige Geld bewilligte. Als auch manche andere großen Pläne des Künstlers scheiterten, wandte derselbe enttäuscht Amerika den Rücken und kehrte im Jahre 1845 nach Europa zurück.

Unter ähnlichen Schwierigkeiten arbeiteten Franz Meinen in Philadelphia, Franz Xaver Dengler in Boston, Christoph Paulus, Heinrich Baerer, Georg Hesse und Caspar Buberl in New York, sowie Ephraim Kaiser in Cincinnati. Gezwungen ihr Auskommen im Herstellen solcher Grabmonumente und gelegentlicher Büsten zu suchen, bot sich ihnen nicht allzuhäufig Gelegenheit, ihr Können im Ausführen größerer Werke zu zeigen.

Eine dieser seltenen Gelegenheiten ermöglichte es Buberl, für das Garfield-Denkmal in Cleveland fünf gewaltige Reliefplatten anzufertigen. Dieselben enthalten mehr als hundert lebensgroße Figuren und zeigen den Märtyrerpräsidenten als Dorfschullehrer, als Depeschenträger im Bürgerkrieg, als Volksredner, als Präsident und als Dulder auf seinem Schmerzenslager.

Das Patentamt der Bundeshauptstadt Washington schmückte derselbe Künstler mit den allegorischen Darstellungen »Elektrizität und Magnetismus«; »Feuer und Wasser«; »Erfindung und Industrie«; »Landwirtschaft und Bergbau«. Vor dem Nationalmuseum in Washington fand noch ein anderes bedeutendes Werk Buberls Aufstellung, die Kolossalgruppe »Columbia als Protektorin der Wissenschaft, Kunst und Industrie«.

Die Arbeiten Heinrich Baerers blieben meist in New York. Im Central-Park sowie im Prospekt-Park zu Brooklyn finden sich Kolossalbüsten Beethovens. Auch über der Fassade des dem New Yorker Gesangverein »Arion« gehörenden schönen Gebäudes lenkt eine von Baerer geschaffene Kolossalgruppe die Blicke auf sich. Ferner schuf Baerer Büsten des Poeten John Howard Payne und des Brückenbauers Johann August Roebling; desgleichen Standbilder der Generäle Warren und Fowler; ein Schubertdenkmal und eine Kolossalbüste Schillers, die bei der Gedächtnisfeier der hundertjährigen Wiederkehr des Todestages Schillers in New York Verwendung fand.

Joseph Sibbel, der gleichfalls New York als Wirkungskreis erkor, lieferte für zahlreiche katholische Kirchen Amerikas den Figurenschmuck: Madonnen, Märtyrer, Heilige und Apostel. Einzelne seiner durch harmonischen Aufbau und Innigkeit des Ausdrucks ausgezeichneten Gruppen, gehören zum besten, was auf dem Gebiet der Kirchenkunst in der Neuen Welt je geschaffen wurde. Nach dem im Jahre 1908 erfolgten Tode Sibbels führte sein langjähriger bewährter Mitarbeiter Joseph Lohmüller das künstlerische Werk des Verstorbenen ganz im Sinne desselben fort. –

Eine günstigere Epoche brach für die Meister des Meißels mit den Weltausstellungen zu Chicago, Omaha, Buffalo, St. Louis und Portland an. Die dort geplanten Riesenpaläste, gewaltigen Festplätze und Ehrenhöfe, die endlosen Säulengänge mußten, um ihre ermüdende Eintönigkeit zu heben, mit Standbildern und allegorischen Gruppen geschmückt werden, wie man dies auf den Weltausstellungen Europas zu sehen gewöhnt war. Da gab's endlich auch für die deutschamerikanischen Bildhauer Arbeit in Fülle. Gelegentlich der Weltausstellung zu Buffalo und St. Louis fiel dem aus Wien nach New York übersiedelten Karl Bitter sogar die Oberleitung sämtlicher Bildhauerarbeiten zu. Die Anwartschaft für diesen schwierigen Posten hatte Bitter sich bereits durch seine mustergültigen Skulpturen für das Verwaltungsgebäude der Weltausstellung zu Chicago erworben. Für den Festplatz zu Buffalo lieferte er zwei mächtige, auf bäumenden Rossen sitzende Standartenträger. Für St. Louis schuf er das zur Erinnerung an den Ankauf Louisianas von Frankreich dienende »Louisiana Purchase Monument«, eine hochragende mächtige Rundsäule, die eine Friedensgöttin trug. Den Sockel des mächtigen Denkmals zierten äußerst lebendige allegorische Gruppen sowie die auf Seite 261 unseres Buches abgebildete Darstellung der im Jahre 1803 vollzogenen Unterzeichnung des Louisiana-Kaufaktes.

Die heilige Familie. Skulptur von Joseph Sibbel und Joseph Lohmüller.

»Unsere Frau der immerwährenden Hilfe.« Skulptur von Joseph Sibbel in der St. Francis Xavier-Kirche zu St. Louis, Missouri.

Der kreuztragende Christus und Maria. Skulptur von Joseph Lohmüller.

In neuerer Zeit schuf Bitter außer mehreren zum Schmuck öffentlicher Gebäude dienenden Friese und Statuen für die Stadt New York ein Reiterstandbild des Generals Franz Sigel und eine Statue von Karl Schurz.

Die Weltausstellungen zu Buffalo und St. Louis eröffneten auch dem Wiener Isidor Konti die erwünschte Gelegenheit, seine üppige Phantasie und große Begabung zu zeigen. In der Mississippimetropole schmückte er die Umgebung der großen Kaskade mit mehr denn zwanzig Gruppen, die sich aus Wassergöttern, Nymphen und fabelhaften Seeungetümen zusammensetzten.

Einen grundverschiedenen Ton schlug Konti in einer »Das despotische Zeitalter« benannten Gruppe an. Keuchende, mit Ketten belastete, unter furchtbaren Anstrengungen fast zusammensinkende Sklaven ziehen einen schweren Triumphwagen dahin, auf dem ein brutal vierschrötiger Despot thront. Hart blicken seine mitleidlosen Augen, während ein neben dem Wagen dahinschreitendes furienhaftes Weib mit wuchtiger Geißel das menschliche Gespann zur äußersten Kraftanstrengung anpeitscht.

Eine Tragödie des Lebens verkörperte auch der New Yorker Adolf Alexander Weinman in seiner für die Weltausstellung zu St. Louis geschaffenen Gruppe, »Das Schicksal der roten Rasse«. Sie symbolisiert den unvermeidlichen Untergang der Indianer. Da ihr Dasein in erster Linie von der Existenz des sie mit allen Lebensnotwendigkeiten versorgenden Büffels abhing, so stellte der Künstler einen dieser der Ausrottung zuerst verfallenden Wiederkäuer an die Spitze des melancholisch stimmenden Zugs. Ein Häuptling, ein Medizinmann, zwei Krieger und ein von Kindern umgebenes Weib bilden denselben. Mit ihnen entschwebt Manitu, der gute Geist und Weltenschöpfer, auf welchen die roten Männer einst ihr ganzes, vergebliches Hoffen setzten.

Das Schicksal der roten Rasse. Skulptur von Adolf Alexander Weinman auf der Weltausstellung zu St. Louis, Missouri.

Max Mauch, Henry August Lukemann, A. Schaff, Bruno Louis Zimm, Carl Heber, F. W. Ruckstuhl, F. E. Triebel, Henry Linder und Albert Jägers sind deutschamerikanische Bildhauer, die gleichfalls mit Werken auf den erwähnten Weltausstellungen vertreten waren. Mauch lieferte ein Standbild Gobelins, des Urhebers der Gobelin-Weberei. Ferner die Gruppe »Der Fortschritt, die Theorie und Praxis bewillkommend«.

Denkmal des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Steuben in Washington. Von Albert Jägers.

General Grant. Reiterstandbild von Charles Niehaus.

Ruckstuhl war auch bei der Ausschmückung der Kongreßbibliothek zu Washington beteiligt. Er fertigte die Statuen Solons, Macauleys, Franklins und Goethes. Theodor Baur meißelte die Allegorie »Religion«; und Philipp Martiny die Darstellungen der Erdteile Amerika, Europa, Asien und Afrika.

Charles Niehaus, ein in Cincinnati geborener Künstler deutscher Abkunft, von dem die Kongreßbibliothek die Standbilder »Moses« und »Gibbon« besitzt, zählt unstreitig zu den fruchtbarsten Bildhauern, die Amerika bisher hervorbrachte. Die Grundlage zu seinem Können legte er in München. Als Wohnsitz wählte er nach seiner Rückkehr New York. Hier fertigte er äußerst charakteristische Standbilder des Präsidenten Garfield sowie der Staatsmänner Allen und Morton für das Kapitol zu Washington. In der Bundeshauptstadt finden wir ferner sein Denkmal des berühmten Homöopathen Hahnemann. Für die Stadt Indianapolis modellierte er ein Standbild des Präsidenten Harrison; für Canton ein solches von McKinley; für Muscegon, Michigan, die Denkmäler Lincolns und Farraguts. Zu den Hauptwerken des Künstlers gehört unstreitig die für die Weltausstellung zu St. Louis gefertigte Apotheose Ludwigs IX. Königs von Frankreich, nach welchem das frühere französische Kolonialreich Louisiana einst seinen Namen empfing. Die gewaltige Reiterstatue wurde nach Schluß der Weltausstellung in Bronze gegossen und bildet nun eine bleibende Erinnerung an die mit der Gedenkfeier der Erwerbung Louisianas verbunden gewesenen Festtage.

Der im Jahre 1868 in Elberfeld geborene Albert Jägers, der für die Weltausstellung zu St. Louis die Statuen »Arkansas« und »Pestalozzi«, und für das Zollgebäude in New York die Figur der »Germania« schuf, trug bei einem von der Bundesregierung erlassenen Wettbewerb um ein in der Stadt Washington zu errichtendes Denkmal des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Steuben den Sieg davon. In seinem Entwurf stellte er den General dar, wie er im Winterlager zu Valley Forge mit dem Einexerzieren der Soldaten beschäftigt ist. Seine Haltung ist die eines scharf beobachtenden Offiziers. Eine Figurengruppe am Sockel des Denkmals deutet sinnig an, was Steuben für das amerikanische Heer getan. Sie stellt einen erfahrenen Krieger dar, der einen Jüngling im Gebrauch der Waffen unterweist. Eine zweite Gruppe repräsentiert die »Amerika«, welche eine Jungfrau dazu anhält, zur Erinnerung an Steuben einen Lorbeerzweig auf den Ruhmesbaum der Vereinigten Staaten zu pfropfen.

Während der New Yorker Henry Linder vorzugsweise entzückend schöne Entwürfe für kunstgewerbliche Gegenstände aller Art schuf, ließ der in White Plains wohnende Friedrich C. Roth seiner Vorliebe für Tier-Darstellungen freien Lauf. Eine seiner lebendigsten Gruppen ist die eines römischen Wagenlenkers, der seine dahinstürmenden Rosse zu rasender Eile antreibt. (S. Seite 354.)

*

Auch unter den hervorragenden Baumeistern Amerikas sind die Deutschamerikaner vortrefflich vertreten. Von den verhältnismäßig wenigen amerikanischen Bauten, die Anspruch auf die Bezeichnung »schön« erheben dürfen, wurden einige der schönsten von Deutschen entworfen.

An erster Stelle sei die herrliche Kongreßbibliothek der Bundeshauptstadt Washington genannt. Ihre Urheber sind in allererster Linie der im Jahre 1841 zu Seitendorf in Schlesien geborene Paul Johannes Pelz und ferner der Wiener Johann L. Schmitmeyer (Smithmeyer). Beide kamen bereits in früher Jugend nach Amerika. Pelz genoß für eine Reihe von Jahren den Unterricht des aus Holstein stammenden und in New York ansässig gewordenen Baumeisters Detlef Lienau. Nachdem er in Berlin und Paris seine architektonischen Studien vollendet, zog er nach Washington, wo er für die Bundesregierung zahlreiche Entwürfe zu Leuchttürmen anfertigte, deren künstlerische Eigenart dem amerikanischen Leuchthausamt auf der Wiener Weltausstellung des Jahres 1873 den ersten Preis einbrachte.

Die Kongreßbibliothek zu Washington, D. C. Entworfen von Paul J. Pelz und Johann L. Schmitmeyer.

Um diese Zeit vereinigte Pelz sich mit dem gleichfalls in Washington heimisch gewordenen Architekten Johann L. Schmitmeyer und beide beteiligten sich an dem Wettbewerb, den der Bundeskongreß im Jahre 1873 für den Entwurf eines Prachtgebäudes ausschrieb, welches die ungemein rasch anwachsende Kongreßbibliothek aufnehmen sollte. Von achtundzwanzig Entwürfen, unter denen sich solche der bedeutendsten Baumeister beider Erdhälften befanden, erwiesen sich die von Schmitmeyer und Pelz eingelieferten als die schönsten und zweckmäßigsten. Sie behaupteten auch den ersten Platz, als der Bibliothekausschuß im Jahre 1874 ein weiteres Ausschreiben erließ, wodurch die Zahl der eingelieferten Entwürfe sich auf vierzig steigerte.

Korridor in der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C.

Nachdem den beiden der endgültige Sieg zuerkannt worden, blieben sie dreizehn Jahre lang mit der weiteren Durchbildung ihrer Pläne beschäftigt und unternahmen zu diesem Zweck auch längere Studienreisen nach Europa, um die Anlage und Einrichtungen der dort bestehenden großen Bibliotheken zu studieren und deren Vorzüge beim Verbessern der eigenen Pläne zu berücksichtigen. So entstand durch die Vereinigung jahrhundertelanger Erfahrungen und praktischer zeitgemäßer Neuerungen jene herrliche Bibliothek, die sowohl in bezug auf zweckmäßige Aufstellung der Bücherschätze wie auch hinsichtlich der Beleuchtung, Heizung und Feuersicherheit unter allen ähnlichen Zwecken dienenden Bauwerken der Welt fraglos an erster Stelle steht.

Treppenaufgang in der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C.

Die Lesehalle der Kongreßbibliothek zu Washington, D. C.

Zweifellos gebührt dieser Bibliothek auch in architektonischer Hinsicht unter allen öffentlichen Gebäuden Amerikas der erste Platz. Obwohl das gewaltige Kapitol in unmittelbarer Nachbarschaft steht, wird der Bau keineswegs von diesem erdrückt, sondern bildet seine harmonische Ergänzung. Vertieft man sich gar in das Studium der herrlichen, im italienischen Renaissancestil gehaltenen Fassade, der imposanten Treppenaufgänge, Korridore, Säle, Versammlungsräume, und der mächtigen, als Lesesaal dienenden Rotunde, so wird auch der verwöhnteste Reisende anerkennen müssen, nirgendwo ein Architekturwerk gesehen zu haben, wo feiner künstlerischer Geschmack und verschwenderische Prachtentfaltung so vollkommene Triumphe feierten. An Anstrengungen, solche zu erzielen, ließ man es aber auch nicht fehlen. Um in der 40 m hohen und 33 m weiten Rotunde den dort herrschenden, aus Goldbraun, Malachitgrün und anderen abgetönten Farben entstandenen harmonischen Einklang zu erzielen, holte man die kostbarsten Steinarten aus drei Erdteilen herbei. Der magische Eindruck wird bei Tage noch erhöht durch acht, die Wappen der Bundesstaaten zeigende Oberlichtfenster von je 10 m Breite. Abends hingegen flutet von einer den Mittelpunkt der Kuppel bildenden elektrischen Sonne mildes Licht in den weiten Raum hernieder, wo an kreisförmig geordneten Lesetischen 300 Leser Platz haben. Die Sitze des Oberbibliothekars und seines Stabes befinden sich auf einer in der Mitte der Rotunde angebrachten Tribüne, die einen Überblick über den ganzen Leseraum gewährt.

Angesichts der Tatsache, daß die Urheber des herrlichen Bauwerkes die besten Jahre ihres Lebens, ihr ganzes Wissen und Können einsetzten und sich bemühten, die Bibliothek in allen Dingen so vollkommen als möglich zu gestalten, ist es um so tiefer zu bedauern, daß ihnen für ihre Mühe weder die verdiente materielle Entschädigung noch die in weit höherem Grade verdiente künstlerische Anerkennung zuteil wurde. Ehe man den beiden Architekten die Ausführung des Baus übertrug, stellte der sogenannte Bibliothekausschuß des Kongresses an sie das Verlangen, ihre bisherige Geschäftsverbindung zu lösen. Nachdem dieser seltsamen Forderung entsprochen worden, machte man Schmitmeyer zum ersten, Pelz zum zweiten Architekten. Bereits im Jahre 1888 beseitigte man Schmitmeyer und setzte an seine Stelle den Chef des Ingenieurkorps, General T. L. Casey. Wohl nur weil dieser militärisch ausgebildete Mann unfähig war, die künstlerische Leitung des Baus zu überwachen, beließ man Pelz für einige Zeit länger auf seinem Posten. Erst nachdem Pelz sämtliche Entwürfe für die innere Ausschmückung des Gebäudes geliefert hatte, entließ man auch ihn und übertrug die künstlerische Leitung des Baus dem 25jährigen Sohn Caseys, welcher in Paris einige Zeit architektonische Studien betrieben hatte. Obwohl dieser noch durch keine einzige selbständige Leistung sein Können bewiesen hatte, bewilligte der Bibliothekausschuß ihm einen doppelt so großen Gehalt als man Pelz bezahlt hatte. Und Casey jr. bezog denselben, bis im Jahre 1897 der Bau vollendet war.

Um diesen unsauberen Machenschaften die Krone aufzusetzen, fügte man über dem Eingang der Bibliothek eine Marmortafel ein, welche folgende Inschrift trägt:

Erected under the Acts of Congress of April 15, 1866, October 2,
1888 and March 2, 1889 by
Brig. Gen. Thos. Lincoln Casey, Chief of Engineers, U. S. A.

———

Bernard R. Green, Supt. and Engineer.
John L. Smithmeyer, Architect.
Paul J. Pelz, Architect.
Edward Pearce Casey, Architect.

Und so wurde vor den Augen der Welt der Oberingenieur der amerikanischen Armee T. L. Casey zum eigentlichen Urheber der Bibliothek gestempelt. Die Architekten Schmitmeyer und Pelz sollten sich mit der dritten und vierten Stelle begnügen und ihre künstlerischen Ansprüche obendrein mit einem jungen, noch unerprobten Manne teilen, der kaum etwas zur künstlerischen Gestaltung des Bauwerks beigetragen hatte. Die eigentlichen Urheber erhoben gegen diese an ihnen begangene Benachteiligung Einspruch, aber derselbe fand keine Beachtung. Die Tafel wurde eingesetzt und dort befindet sie sich noch heute, ein steinernes Denkmal der im amerikanischen Kongreß möglichen Machenschaften.

Wie diese von den Berufsgenossen der um ihren künstlerischen Lohn gebrachten eigentlichen Urheber des Baus beurteilt werden, ergibt sich aus folgender, vom Vorsitzenden und Schriftführer des »American Institute of Architects« erlassenen Erklärung:

»We are familiar with this building, from the beginning to the present time, and feel that no one can, with propriety or honesty, be entitled to the credit as architects of this building except J. L. Smithmeyer and Paul J. Pelz. They have devoted the best years of their lives, from 1873 to 1893, in perfecting the plan and in designing the exterior and interior of that building.«

Die Zeitschrift »Architecture and Buildings« bemerkte in ihrer Nummer vom 3. April 1897 dazu:

»It looks queer to professional men that the names of the paymaster who drew the money for the building out of the Treasury on his signature and the clerk of the works or superintendent, with the supernumerary and superfluous title of engineer (as if there had been anything to »engineer« in the building, save the appropriations in Congress) appear above those of the architects, who created it in their minds and who are in truth the fathers of the structure. Why does there appear a line of demarcation below the Chief of Engineers, putting the architect ›below the salt‹ as it were? – It must be remembered here that the advent of General Casey wat at a time, when Messrs. Smithmeyer & Pelz had, like Columbus, already discovered America; their plans were complete and ready to be proceeded with.«

Auch ein großer Teil des materiellen Lohns wurde den beiden Baumeistern vorenthalten. Denn bis zum Jahre 1909 hatte der Bundeskongreß ihre 105 500 Dollar betragenden Forderungen noch nicht beglichen.

Das Waldorf Astoria Hotel in New York. Entworfen von Henry J. Hardenbergh.

Deutschamerikanische Architekten lieferten auch zu anderen hervorragenden öffentlichen und privaten Bauten die Entwürfe. Dem New Yorker Hornbostel verdankt man jene zu der von Andrew Carnegie gestifteten Technischen Hochschule zu Pittsburg. Alfred C. Clas erbaute die Bibliotheken der Städte Milwaukee und Madison, Wisconsin. H. C. Koch entwarf das schöne Rathaus »Deutsch-Athens« am Michigansee; Schmidt jenes der Stadt Cleveland in Ohio. Ernst Helfenstein führte das prächtige Gebäude des Liederkranzklubs in St. Louis auf. Die deutschen Inhaber der Firma Delemos & Cordes schufen das schöne Heim des deutschen Gesangvereins »Arion« in New York. Die Gebrüder Hertel sind die Urheber des vornehmen, in Braunsandstein ausgeführten Doppelpalastes der Vanderbilts in New York. Der gleichfalls deutscher Herkunft sich rühmende New Yorker Architekt Henry J. Hardenbergh zeichnete die Pläne für die gewaltigen New Yorker Hotels »Waldorf-Astoria«, »Manhattan«, »Dakota«, »Plaza« und »Martinique«, deren kostbare Einrichtungen die Bewunderung aller Fremden erregen. Und Otto Eidlitz verstand es, im Entwurf des an der Kreuzung des Broadway und der 42. Straße errichteten Zeitungspalastes der »New York Times« die ungemein schwierige Aufgabe zu lösen, den wegen ihres nüchternen Aussehens berechtigten amerikanischen »Wolkenkratzern« architektonische Schönheit zu verleihen.

Das Gebäude der »Times« in New York. Entworfen von Otto Eidlitz.

*

Der vorstehende, das Wirken der deutschamerikanischen Maler, Bildhauer und Baumeister berücksichtigende Abschnitt kann selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Der Raum eines starken Buches würde nicht ausreichen, um dem Schaffen der genannten Meister und jener, deren Namen und Wirkungskreis dem Verfasser bisher nicht bekannt wurden, gerecht zu werden. Aber die hier aufgeführten Beispiele beweisen unstreitig, daß Amerika auf jenen künstlerischen Gebieten, die zu den höchsten Stufen der menschlichen Kultur zählen, den Deutschamerikanern vieles verdankt. Denn unter den von ihnen geschaffenen Werken befinden sich gar manche, die durch ihre edle Auffassung, ihren Gedankenreichtum und ihre echt künstlerische Ausführung unter den in der Neuen Welt entstandenen Kunst- und Architekturwerken Ehrenplätze verdienen.

Das Mary Drexel-Heim in Philadelphia. Gestiftet von Johann B. Lankenau zum Andenken an seine Gattin Mary Drexel.

Ehrendenkmäler des Deutschamerikanertums.

Während die in den Vereinigten Staaten lebenden Deutschen und ihre Nachkommen eine schier überwältigende Menge physischer und geistiger Leistungen zum kulturellen Fortschritt Amerikas beitrugen, riefen sie auch zahlreiche Einrichtungen ins Leben, die für ihre Nächstenliebe wie für ihren Wohltätigkeits- und Gerechtigkeitssinn glänzendes Zeugnis ablegen.

Der Ursprung mancher dieser Ehrendenkmäler reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, wo am zweiten Weihnachtstag 1764/65 deutsche Bürger der Stadt Philadelphia sich im lutherischen Schulhause versammelten, um die » Deutsche Gesellschaft von Pennsylvanien« zu gründen. Diese stellte sich das Ziel, deutsche Einwandrer sowie deren Nachkommen gegen Unterdrückung, Beraubung und Betrug in Schutz zu nehmen, ihnen im Fall der Not beizustehen und mit Rat und Tat zum Fortkommen behilflich zu sein. Wie nötig eine solche Vereinigung war, ergibt sich aus jenen mit der damaligen Einwandrung verbundenen wahrhaft scheußlichen Mißständen, wie wir sie in dem Abschnitt »Die Käuflinge oder Redemptionisten« schilderten. Der schamlos betriebene Menschenhandel und die fürchterlichen Übervorteilungen, denen die unglücklichen Auswandrer schutzlos preisgegeben waren, entflammten schließlich den Unmut der in den Kolonien ansässigen Deutschen derart, daß sie, empört über die ihren Landsleuten zuteil werdende Behandlung sich zu Gesellschaften verbanden, um jene Mißstände zu beseitigen. Nach dem Vorbild der »Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien« entstand im Jahre 1765 eine ähnliche Vereinigung in Charleston, Südcarolina. Im August 1784 folgte die Gründung der » Deutschen Gesellschaft der Stadt New York«. Während des 19. Jahrhunderts bildeten sich ferner Schwestergesellschaften zu Baltimore, Boston, Cincinnati, Birmingham, Ala., Allentown, Hartford, New Haven, Rochester, Petersburg, Pittsburg, Chicago, Milwaukee, St. Paul, St. Louis, Kansas City, New Orleans, San Francisco, Portland, Seattle und Toronto.

Von diesen deutschen Gesellschaften erzwangen die älteren nach jahrzehntelangen Kämpfen, durch rücksichtsloses Aufdecken der Übeltaten und Verfolgen der Schuldigen, durch unermüdliches Befürworten und Unterstützen geeigneter Gesetzesvorschläge nicht nur die Abschaffung des fluchwürdigen Käuflingssystems, sondern führten auch die menschenwürdigere Behandlung der Auswandrer auf den Schiffen und in den Hafenorten herbei. Mit vollem Recht darf man sie als die Urheber der heutigen Einwandrungsgesetzgebung bezeichnen, welche dem von der Heimat sich Loslösenden eine menschenwürdige Behandlung vom Abfahrtshafen bis zu seinem in der Neuen Welt gelegenen Ziele sichert.

Den Deutschen Gesellschaften gebührt ferner das Verdienst, dem nichtswürdigen Treiben jener Runner oder Makler entgegengetreten zu sein, die, im Sold fragwürdiger Wirte, Geldwechsler, Schiffs- und Eisenbahngesellschaften stehend, sich unter allerhand Vorwänden an die Einwandrer herandrängten, um deren Unerfahrenheit und Vertrauen aufs gemeinste zu mißbrauchen.

Je mehr die von den »Deutschen Gesellschaften« gemachten Vorschläge in bezug auf die Einwandrung von den Regierungen anerkannt und gesetzlich durchgeführt wurden, desto mehr sahen die Gesellschaften sich entlastet. Um so kräftiger konnten sie nun ihre Tätigkeit auch auf solche Hilfeleistungen erstrecken, die außerhalb des Bereichs der Behörden lagen. Sie fanden genug zu tun, denn je mächtiger der Strom der deutschen Einwandrung anschwoll, desto schwierigere Probleme boten sich den Beamten der »Deutschen Gesellschaften« dar. In den Protokollen fast aller kehrt die stete Klage wieder, daß man in Verlegenheit sei, welche Mittel ergriffen werden sollten, um den täglich sich steigernden Anforderungen zu genügen.

Um ein Bild des vielseitigen und segensreichen Wirkens der heutigen »Deutschen Gesellschaften« zu geben, bietet sich kein besseres Beispiel als das der »Deutschen Gesellschaft der Stadt New York«. Am 23. August 1784 von dreizehn Männern gegründet, zählt sie heute etwa 1200 Mitglieder, die sich zu freiwilligen Beiträgen von mindestens 10 Dollars jährlich verpflichteten. Je mehr im Lauf des 19. Jahrhunderts New York das Haupteingangstor der deutschen Einwandrung in Amerika wurde, desto größere Ausdehnung nahm auch das Arbeitsfeld dieser Gesellschaft an. In erster Linie ließ sie sich natürlich die Armen- und Krankenpflege angelegen sein. Trotz ihrer beschränkten Mittel gewährt die »Deutsche Gesellschaft« notleidenden Einwandrern oder deren Nachkommen Bargeldunterstützungen und bezahlt bedeutende Summen für an Arme verabreichte Kohlen, Mahlzeiten aus den Suppenanstalten, Medikamente und Stimulantien. Die im Dienst und Sold der Gesellschaft stehenden Ärzte behandeln jährlich Tausende von Familien, machen unentgeltlich ärztliche Besuche und verschreiben von der Gesellschaft bezahlte Rezepte.

Eine nicht minder wichtige und segensreiche Abteilung der »Deutschen Gesellschaft der Stadt New York« ist das von ihr unterhaltene Arbeitsnachweisbureau, welches den Beschäftigung suchenden Einwandrern unentgeltlich Gelegenheiten zur Arbeit nachweist. In der Zeit vom 1. Juli 1875 bis 1908 verschaffte dieses Bureau mehreren hunderttausend Personen Stellen, in denen sie ihren Unterhalt erwerben konnten. In einzelnen Jahren betrug die Zahl der vermittelten Stellen über 12 000. Zu den Einrichtungen der »Deutschen Gesellschaft« gehört ferner ein Auskunftsbureau. Es erteilt den Einwandrern praktische Ratschläge und gibt über ihre Ziele und Unternehmungen geeignete Auskunft. Wie umfangreich die Tätigkeit auch dieser Abteilung sich gestaltet hat, ergibt sich daraus, daß außer den mündlichen jährlich auch Tausende von brieflichen Anfragen empfangen und beantwortet werden. Ferner übermittelt das Bureau Briefe an Neueingewanderte und solche, die es trotz längeren Aufenthalts in den Vereinigten Staaten noch nicht zu einem ständigen Wohnsitz brachten.

In ihrer seit dem Jahr 1868 bestehenden Bankabteilung bietet die »Deutsche Gesellschaft der Stadt New York« Deutschen einen zuverlässigen und billigen Weg zur Besorgung der verschiedensten Geldgeschäfte, von Reisebilletts von Europa hierher und umgekehrt, sowie nach allen Plätzen im Innern der Vereinigten Staaten. Desgleichen befördert sie Pakete, vollführt notarielle Geschäfte, kassiert Gelder und Erbschaften und verwaltet liegendes und bewegliches Eigentum. Für ihre Leistungen berechnet die Bankabteilung nur so viel, als erforderlich ist, um die entstandenen Unkosten zu decken. Der gesamte, durch die Bankabteilung erzielte Reingewinn sowie die Zinsen eines bis zum Jahre 1885 aus dem Reingewinn angesammelten Reservefonds von 50 000 Dollar fließen dem Fonds für Wohltätigkeitszwecke zu. So erklärt es sich, daß die Gesellschaft seit einer Reihe von Jahren 1000 bis 2000 Dollar jährlich mehr für Unterstützung hilfsbedürftiger Deutscher ausgeben konnte, als die in den Beiträgen ihrer Mitglieder bestehenden Einnahmen betrugen. Die Unkosten des Arbeitsnachweisungsbureaus und die Gesamtkosten für die Verwaltung werden gleichfalls aus den Einnahmen der Bankabteilung gedeckt, ohne daß der geringste Teil der Beiträge der Mitglieder für diese Zwecke in Anspruch genommen wird.

Auf die Anregung der »Deutschen Gesellschaft« ist ferner die vor einer Reihe von Jahren erfolgte Gründung der » Deutschen Sparbank« zurückzuführen; desgleichen des im Jahre 1861 inkorporierten » Deutschen Hospitals« und des im Jahre 1876 gebildeten » Deutschen Rechtsschutzvereins«.

Die Gründung des letzteren erfolgte, um deutsche Einwandrer vor Übervorteilungen jeder Art zu bewahren. Es gab so viele Fallen, die ihrem einfachen Sinn und ihrer Treuherzigkeit gestellt wurden, daß die der Sprache und der Schliche Unkundigen nur zu oft betrogen wurden. Wohin sich um Hilfe wenden, wo Recht suchen? war die Frage. Naturgemäß wandten sich die Opfer an die »Deutsche Gesellschaft der Stadt New York«. Soweit diese irgend Abhilfe schaffen konnte, geschah dies. Aber die Schliche der »Emigranten-Runners« und Personen gleichen Gelichters wurden so spitzfindig und die Verleugnung des Rechts den Emigranten gegenüber so brutal, daß in vielen Fällen Hilfe nur bei den Gerichten gesucht werden konnte. Man schickte daher die oft aller Mittel entblößten Hilfesuchenden an Rechtsanwälte, die in selbstloser, edler Weise sich bereit erklärten, in solchen Fällen unentgeltlich zu dienen.

Der Andrang Hilfesuchender überstieg jedoch schließlich die Kräfte einzelner. In manchen Fällen war wohl auch der erste Enthusiasmus bald verraucht. Kurz, es mußte Abhilfe geschaffen werden, wenn nicht das gute Werk ganz einschlafen sollte. Es wurde daher im März 1876 beschlossen, einen Verein zu gründen, welcher unter Mithilfe des gesamten Deutschtums ein Bureau mit einem besoldeten, beständig anwesenden Rechtsanwalt einrichten solle, der die Klagen mittelloser Landsleute anhöre, untersuche und mit Hilfe der Gerichte in passenden Fällen zum Austrag bringe. So entstand der »Deutsche Rechtsschutzverein«.

Er begann seine Tätigkeit im Jahre 1876 mit 52 Mitgliedern und engagierte den Anwalt Charles K. Lexow mit einem Jahresgehalt von 1000 Dollar.

Im ersten Jahre seines Bestehens wandten sich 212 Hilfesuchende an den Verein. Seine Verfassung schrieb vor, daß die Hilfe des Vereins nur Personen deutscher Geburt, die zu arm seien, sich anderwärts Recht zu verschaffen, geleistet werden sollte. Es zeigte sich aber im Lauf der Jahre, daß diese Bestimmung aus mancherlei Gründen nicht aufrechterhalten werden könne. Leute anderer Nationalität, denen bitteres Unrecht geschehen und die sich hilfesuchend nahten, konnten unmöglich abgewiesen werden. Man beschloß deshalb im Jahre 1890, den Beistand des Rechtsschutzvereins allen zuteil werden zu lassen, die in seinen Armen Schutz suchten. Da diese weitgehende Unterstützung die Mittel des Vereins bald erschöpfte, so suchte man auch das eingeborene Amerikanertum zur Hilfeleistung heranzuziehen und wandelte deshalb den Namen des Vereins in » Legal Aid Society« um, damit dadurch der allgemein nützliche Charakter der Gesellschaft angezeigt werde.

Wie umfangreich deren Geschäfte sich gestaltet haben, ergibt sich daraus, daß im Jahre 1908 31 036 Personen die Dienste der »Legal Aid Society« in Anspruch nahmen. Davon waren 10 315 in Amerika geboren; 4341 waren Russen und russische Juden; 4558 Deutsche, 4455 Engländer, 3168 aus Österreich-Ungarn, 1397 Skandinavier, 1114 Italiener.

Insgesamt erledigten der »Deutsche Rechtsschutzverein« und die »Legal Aid Society« während des 33 Jahre umfassenden Zeitraums 1876 bis 1908 nicht weniger als 287 526 Fälle. Sie verausgabten dafür 332 402 Dollar, konnten dagegen 1 431 437 Dollar an diejenigen abführen, welche ihre Hilfe in Anspruch nahmen. Nach dem Vorbild der New Yorker »Legal Aid Society« entstanden während der letzten Jahre ähnliche Gesellschaften in Boston, Philadelphia, Washington, Newark, Alleghany City, Cincinnati, Chicago und San Francisco. Ferner in London, Edinburg, Kopenhagen und zahlreichen Städten des europäischen Festlandes.

Zu den Einrichtungen der »Legal Aid Society« gehört eine Abteilung, die sich mit dem Rechtsschutz der Seeleute befaßt, die infolge ihres unbeständigen Aufenthaltortes von Reedern und Kapitänen gar oft gröblich mißbraucht werden. Neuerdings ist auch eine Kriminalabteilung geplant, die armen und hilflosen Angeklagten in Kriminalfällen Beistand leisten, dem schamlosen Treiben unwürdiger Anwälte steuern und die Richter in ihren Bemühungen, die Kriminalgesetze für Arm und Reich in unparteiischer, gerechter Weise durchzuführen, unterstützen will.

So ist die »Deutsche Gesellschaft der Stadt New York« ihrem Zweck: »deutsche Einwandrer zu unterstützen, sowie notleidenden Deutschen und deren Nachkommen Hilfe zu leisten« allezeit in der edelsten Weise gerecht geworden. Sie ist in den vielen Jahrzehnten ihres Bestehens ungezählten Tausenden ein treuer Führer und Berater, in den Stunden banger Not ein Helfer gewesen. Sie sowohl wie auch ihre in den anderen amerikanischen Städten bestehenden, die gleichen Ziele verfolgenden Schwesteranstalten verdienen es deshalb in höchstem Maße, in ihrer segensreichen Tätigkeit von allen Edeldenkenden durch Beiträge, Schenkungen und Vermächtnisse unterstützt zu werden. Denn wie die menschliche Not auf Erden in absehbarer Zeit kein Ende nehmen wird, so ist auch keine Aussicht dafür vorhanden, daß die »Deutschen Gesellschaften« mit gutem Gewissen auf die weitere Ausübung ihres wohltätigen Wirkens verzichten dürften.

*

Zu den Ehrendenkmälern des Deutschamerikanertums zählen ferner die zahlreichen Krankenhäuser, Greisenheime, Waisenanstalten und Unterstützungsgesellschaften, die in fast allen Städten mit einer größeren deutschen Bevölkerung eingerichtet wurden. Manche dieser Anstalten erregten durch ihre Ausdehnung, schöne Architektur, herrliche Lage und musterhaften Einrichtungen das Staunen aller europäischen Fachleute, die zum Studium solcher Institute nach Amerika kamen.

Unter den Deutschen, welche solche Anstalten in hochherziger Weise mit Stiftungen bedachten, verdienen die Frauen Anna Ottendorfer und Anna Woerishoffer in New York, Laurella Gibson geb. Bodman in Cincinnati, Eleonore Ruppert in Washington, die Herren Johann B. Lankenau und Peter Schem in Philadelphia, Edward Uhl, Henry Villard, Georg H. F. Schrader und H. O. Havemeyer in New York, Johann August Roebling, F. A. Poth, Georg Ellwanger und andere ehrenvoll erwähnt zu werden.

Das Isabella-Heim in New York. Gestiftet von Frau Anna Ottendorfer.

Von dem Wunsch getrieben, der Stadt New York eine öffentliche Wohltat zu erweisen und zur Förderung nützlicher Kenntnisse beizutragen, stiftete Johann Jakob Astor die nach ihm benannte und am 1. Februar 1854 eröffnete »Astor-Bibliothek«. Von seinen Nachkommen zu verschiedenen Zeiten durch bedeutende Summen unterstützt, wuchs diese Büchersammlung rasch zu einer der bedeutendsten Amerikas heran und wurde durch ihre reichen Schätze für viele Millionen Menschen ein nie versiegender Quell des Wissens und der Belehrung.

Oswald Ottendorfer stiftete im Jahre 1899 der New Yorker Universität eine sehr reichhaltige Germanistische Bibliothek, die dazu bestimmt ist, die Studierenden mit den herrlichen Erzeugnissen der älteren und neueren deutschen Literatur vertraut zu machen.

Von der Freigebigkeit der deutschen Brauer in Milwaukee zeugen das von Friedrich Pabst der Stadt geschenkte »Deutsche Theater« und der von Joseph Schlitz gestiftete »Schlitz-Park«. Dem Gemeinsinn Adolf Sutro's verdanken die Bewohner der Stadt San Francisco einen herrlichen Park und großartige öffentliche Badeanstalten. Claus Spreckels, der kalifornische Zuckerkönig, ließ ebendaselbst eine kostbare Musikhalle erbauen. Der Brauer Stiefel schenkte der Stadt St. Louis ein kostbares Schiller- und Goethe-Monument. Charles Schwab, der Präsident der »United States Steel Corporation«, gründete in Homestead, Pennsylvanien, die dortige Industrieschule. Zur Erinnerung an den Deutschen Johann Kraus, der sich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Syracuse, N. Y., niederließ und einer der bedeutendsten Großhändler wurde, ließen seine Nachkommen das mit der dortigen Universität verbunden »Crouse Building«, ein dem Musikunterricht dienendes Gebäude von seltener Schönheit errichten. Ähnliche, dem Gemeinsinn der Deutschamerikaner zur Ehre gereichende Stiftungen findet man in zahlreichen anderen amerikanischen Städten.

Bei der Betätigung ihres Wohltätigkeitssinnes vergaßen manche zu Reichtum gekommene Deutschamerikaner auch nicht ihrer alten Heimat.

Die Familie Astor stiftete in dem Geburtsort ihres berühmten Ahnen Johann Jakob Astor, dem badischen Dörfchen Waldorf, ein Armenhaus und eine Erziehungsanstalt für arme Kinder. Die Stadt Zwittau in Mähren verdankt dem dort geborenen Oswald Ottendorfer gleichfalls ein Armen- und Waisenhaus sowie eine vorzüglich eingerichtete öffentliche Bibliothek. Henry Villard gründete in seiner Vaterstadt Speier ein Hospital und eine Schule für Krankenpflegerinnen. Desgleichen wendete er der dort bestehenden pfälzischen Industrieschule bedeutende Summen zu und sicherte sich dadurch auch in seinem Vaterlande ein ehrenvolles Andenken.

Der Bannerträger. Skulptur von Karl Bitter auf der Weltausstellung zu Buffalo, New York.


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