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Von allen Dokumenten und großen Ereignissen der menschlichen Geschichte haben keine die freiheitlichen Bestrebungen und die Zustände der Völker so mächtig beeinflußt, wie die Unabhängigkeitserklärung und die Aufrichtung des Bundes der Vereinigten Staaten von Amerika. Die erste bedeutete nicht bloß eine entschlossene Lossagung von einem mächtigen Monarchen, dem man unverblümt sein Sündenregister vorhielt, sondern zugleich einen geharnischten Protest gegen die uralte, bisher unangefochtene Lehre vom Gottesgnadentum der Herrscher.
Gleich die zu Anfang des Schriftstückes niedergelegten Erklärungen waren, von einer weltumwälzenden, alle früheren Anschauungen umstoßenden Bedeutung. Sie lauteten: »Wir halten die folgenden Wahrheiten als erwiesen: Daß alle Menschen gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Daß zu diesen Rechten Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; daß zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt wurden, welche ihre Befugnisse durch die Zustimmung der Regierten empfangen; daß, wenn jemals eine Regierung gegen ihren Zweck verstößt und zerstörend wirkt, das Volk das Recht hat, die Regierung zu ändern oder abzuschaffen, eine neue Regierung einzusetzen, deren Grundlage auf solche Prinzipien zu legen und ihre Gewalt in solche Formen zu kleiden, wie sie dem Volk zur Förderung seiner Sicherheit und Wohlfahrt am zweckdienlichsten scheinen.«
Gleich einem Feuerbrand wälzte sich dieser durch Thomas Jefferson in Worte gefaßte, durch George Washington so glänzend in die Tat umgesetzte Freiheitsgedanke über die ganze Erde. Er flackerte zuerst in Frankreich auf, dem Land, welches den Amerikanern gegen England zur Seite gestanden hatte. Dann trieb er die spanischen Kolonien Mittel- und Südamerikas zu ihren erfolgreichen Unabhängigkeitskämpfen. Er fand ferner in den Freiheitsbestrebungen der westindischen Neger, der südafrikanischen Buren, in den Verfassungskämpfen fast sämtlicher europäischen Länder ein lebhaftes Echo.
In Deutschland hatte man den Verlauf der amerikanischen Unabhängigkeitskämpfe mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt. Nicht bloß darum, weil viele hunderttausend Deutsche Amerika zu ihrer neuen Heimat erkoren hatten und zahllose Deutsche in den kämpfenden Heeren standen. Sondern weil auch in den Herzen der in Deutschland Zurückgebliebenen eine ungestüme Sehnsucht nach Freiheit brannte.
Deutschlands Dichter und Philosophen feierten George Washington als einen Helden, der den größten aller Zeiten gleichzustellen sei. Das allgemeine Staunen wuchs, als Washington nach dem siegreich zu Ende geführten Krieg die Regierung der jungen Republik übernahm und dieselbe unter der Beihilfe von Männern bewährten Verstandes, unantastbaren Charakters und erprobter Vaterlandsliebe zu einem vollendeten Erfolg machte.
Dieser Erfolg bewirkte natürlich eine starke Zunahme der Einwandrung. Verbürgten doch die Vereinigten Staaten den Ankömmlingen volle Gleichstellung in sozialer, und volle Freiheit in religiöser und politischer Beziehung. Obendrein waren durch den Krieg dem Gebiet der Union neue gewaltige Ländermassen hinzugefügt worden, die sich bis zum Mississippi erstreckten und wo sich den Einwandrern tausend Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer materiellen Lage darboten.
Über die Stärke der deutschen Einwandrung während des vom Ende des Kriegs bis zum Jahre 1820 reichenden Zeitraums sind wir nur ungenügend unterrichtet. Weder in Europa noch in Amerika stellte man über den Abgang und Zuzug von Personen statistische Erhebungen an. Aber aus manchen anderen Quellen können wir schließen, daß die deutsche Einwandrung in die Vereinigten Staaten während der genannten Periode beträchtlich gewesen ist.
Die Neuankömmlinge ließen sich entweder in den an der Ostküste bereits bestehenden Ortschaften nieder oder rückten den Kolonisten nach, welche sich zum Einmarsch in die jenseits der Alleghany Gebirge liegende Gebiete entschlossen.
Die furchtbaren Greueltaten, welche von den verbündeten Briten und Indianern während des Krieges sowohl in jenen Gebieten, wie in den anstoßenden Teilen von New York, Pennsylvanien, Maryland und Virginien verübt worden waren, hatten den Zug der Ansiedler dorthin gänzlich zum Stocken gebracht. Die Ländereien der »Ohio Compagnie«, der »Mississippi Compagnie« und anderer Kolonisationsgesellschaften lagen brach. Desgleichen die großen Besitzungen, welche George Washington als Anerkennung für seine während des Franzosenkriegs geleisteten Dienste zugesprochen worden waren. Wie sich aus noch erhaltenen Briefen ergibt, hatte Washington bei der Frage der Besiedlung seiner Besitzungen in erster Linie an deutsche Ackerbauer gedacht. Im Februar 1774 schrieb er von Mount Vernon an James Tilghman in Philadelphia: »Gewichtige Gründe fordern eine rasche, erfolgreiche und zugleich billige Kolonisierung dieser Ländereien. Von allen Vorschlägen, die mir unterbreitet wurden, versprechen keine bessere Erfolge, als die Besiedlung der Ländereien mit Deutschen aus der Pfalz.«
Aus anderen Quellen wissen wir, daß Washington sich eifrig erkundigte, wie dieser Plan ausgeführt werden könne und ob es ratsam sei, einen intelligenten Deutschen nach der Pfalz zu senden, um dort Auswandrer anzuwerben und ihre sichere Überführung nach Amerika zu bewirken. In derselben Angelegenheit wandte er sich an den Reeder Henry Riddle und versprach den deutschen Bauern, die für ihn angeworben würden, nicht bloß die Reisekosten bis zum Ohio zu bezahlen, sondern sie auch bis zur ersten Ernte mit allem Nötigen zu unterstützen und ihnen für vier Jahre den Pachtzins zu erlassen. – Allen diesen Plänen machte der Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges ein Ende.
Auch nach dem Kriege geschah die Besiedlung des Ohiogebietes nur langsam. Die unwirtlichen, mit ihren höchsten Gipfeln 2000 m emporsteigenden Ketten der Appalachen- oder Alleghanygebirge bildeten einen Wall, der dem Vordringen der Ansiedler gen Westen außerordentliche Hindernisse bereitete. Denn das ungeheure, vom 32. bis zum 49. Grad n. Br. reichende Gebirgssystem bestand nicht etwa aus einem einzigen Rücken, sondern aus zahlreichen parallelen Ketten, die sämtlich mit dichten, an Unterholz reichen Urwäldern bewachsen waren. Diese zu durchdringen und die Ketten zu überschreiten, hatten bereits die ersten Erforscher dieses Gebirgssystems, die beiden Deutschen Johann Lederer und Henry Batte, während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich vergeblich bemüht. Überall waren sie auf ein Chaos von Steinblöcken und gefallenen Baumriesen gestoßen, über und zwischen welchen üppig wuchernde Moose, Schlingpflanzen, Rhododendronsträucher und Balsamtannen dem menschlichen Fuß das Vordringen wehrten, dagegen Bären, Panthern, Wölfen, Füchsen und anderen Raubtieren sichere Schlupfwinkel darboten.
Erst nachdem die Gefahr blutiger Zusammenstöße mit Franzosen und Briten geschwunden und es gelungen war, in der Gebirgsmauer einige Pässe zu entdecken, kam die Westwärtsbewegung der Ansiedler wieder in Fluß.
Es standen für dieselben mehrere Wege offen: im Süden das berühmte Cumberland Gap, ein von Nordkarolina und Virginien nach Tennessee und Kentucky leitender Engpaß; ferner der vom Potomac zum Monongahela führende Saumpfad, den der englische General Braddock im Jahre 1754 zu seinem unglücklichen Vorstoß gegen das französische Fort Duquesne benutzt hatte. Drittens der Weg, der von Henry Bouquet im Jahre 1758 bei seiner gegen dasselbe Fort gerichteten Expedition gebahnt worden war. Weiter im Norden gesellte sich dazu das Mohawktal, welches in späteren Zeiten auch den Eisenbahnen als wichtigste, zum Westen führende Pforte diente.
Die Entdeckung des Cumberlandpasses schreibt man dem Virginier Walker zu, einem jener kühnen Männer, die sich von dem Gemeinwesen absonderten, um in das sie mächtig anziehende geheimnisvolle Innere des nordamerikanischen Kontinents vorzudringen und dort der Jagd auf Pelztiere obzuliegen.
Der Pelzhandel bildete bekanntlich während des 17. und 18. Jahrhunderts die wichtigste Einnahmequelle der europäischen Kolonien in Nordamerika. Mit ihm beschäftigen sich tausende und abertausende Personen. Ihm verdankten zahllose Handelsplätze und Ortschaften Ursprung und Dasein. Er rief auch neue, in Europa ganz unbekannte Menschengattungen hervor: die Trapper, Voyageurs und Pelzhändler.
Schwerlich gab es jemals verwegenere Männer als diese. Zu Fuß, zu Roß oder auf schwanken Rindenbooten, meist allein, manchmal zu zweit, seltener zu mehreren vereint folgten sie den natürlichen Wegweisern, den Strömen, oder schmalen, nur geübten Augen erkennbaren Wild- und Indianerpfaden. Ihr ganzes Dasein bildete eine ununterbrochene Kette furchtbarer Entbehrungen und Gefahren. Bald mußten sie mit dem Beil mühsam Wege durch das Dickicht bahnen, bald Moräste und Ströme überschwimmen, daneben Hunger und Durst, im Sommer glühenden Sonnenbrand, im Winter bittere Kälte ertragen. Befanden sie sich in Feindesland, so durften sie nicht wagen, die Zeit mit einem lustigen Lied zu kürzen oder ein wärmendes Feuer anzuzünden, um nicht die Aufmerksamkeit ihrer gefährlichsten Feinde, der Indianer, zu erregen. Denn die letzteren erkannten in den weißen Jägern nicht bloß Konkurrenten, die ihnen im Ausbeuten des Jagdreviers Schaden zufügten, sondern sie trugen ihnen auch einen unversöhnlichen Rassenhaß entgegen. Wehe dem Trapper, den das Mißgeschick in die Gewalt eines feindlichen Stammes geraten ließ. Er entging nur dann einem grauenhaften Tode, wenn, was bisweilen geschah, eine noch unverheiratete oder verwitwete Indianerin ihn zum Gatten begehrte, oder wenn eine Frau, die ihre Söhne verloren, ihn adoptierte. Wo keine solche Lösung erfolgte, da endete das Leben des Gefangenen am Marterpfahl, unter Qualen, die an Entsetzlichkeit hinter den von den Ketzerrichtern des mittelalterlichen Europa ausgeklügelten Torturen nicht zurückblieben. Bestanden sie doch in der stückweisen Zerstörung des Körpers unter Schonung der die Lebensdauer verbürgenden edlen Teile. Sie begannen mit dem Ausreißen der Nägel an den Zehen und Fingern, dem Ausbrechen der Zähne, dem Zermalmen der einzelnen Glieder, dem Bloßlegen und Zerstören der einzelnen Nerven, um sich zu immer raffinierteren Quälereien zu steigern, die manchmal tagelang dauerten, bis der Unglückliche ihnen endlich erlag.
Unter den Verwegenen, welche solchen Mühseligkeiten und Gefahren mutig Trotz boten und als Vorläufer der Kultur in die Wildnis am Ohio eindrangen, befanden sich auch viele Deutsche. Sie kamen vom Fuß der den Staat Pennsylvanien durchziehenden Blauen Berge; sie kamen aus Maryland, Virginien und Karolina.
Die Taten mancher dieser Wackern sind bis heute nicht vergessen. So erzählt man noch heute von Georg Jäger, der, lange bevor der von den Anglo-Amerikanern als »Pionier Kentuckys« gefeierte Daniel Boone dort auftauchte, in der »großen Wildnis« jagte. Im Jahre 1771 traf er am Kanawha mit Simon Kenton, dem späteren Helden des Ohiotals, zusammen und entflammte durch die Beschreibung der gesehenen Landschaften und ihrem Wildreichtum die Phantasie des jungen Mannes so, daß derselbe sich entschloß, mit Jäger dorthin zu ziehen.
Michael Steiner oder Stoner durchstreifte bereits im Jahre 1767 Tennessee. Im Jahre 1774 ward er in Gemeinschaft mit Daniel Boone ausgesandt, eine Gesellschaft von Landvermessern aufzusuchen und heimzugeleiten, die sich in der Gegend, wo heute die Stadt Louisville steht, verirrt hatte.
Kaspar Mansker war einer der berühmten »long-hunters« oder »langen Jäger«, die im Jahre 1769 von Nordkarolina zu einem Jagdzug in die westlichen Regionen aufbrachen und durch deren Schönheit und Wildreichtum so gefesselt wurden, daß sie der Heimkehr fast vergaßen. Sie traten erst nach einem vollen Jahre den Rückmarsch an und erhielten wegen ihres langen Ausbleibens den obigen Spitznamen. Mansker kreuzte die westlichste Kette der Appalachen, die Cumberlandgebirge, unzählige Male. Er war auch der erste Weiße, welcher den Cumberlandfluß befuhr.
Ein ähnlicher Waldsohn war Michael Schuck. Seine aus Deutschland eingewanderten Eltern waren samt seinen Geschwistern in Nordkarolina von Indianern ermordet worden, worauf der allein im Wald zurückgebliebene Knabe auf die abenteuerlichste Weise sein Leben fristete. Mit dem Instinkt eines Panthers und dem Scharfblick eines Adlers begabt, wuchs er zum echten Trapper heran. Außer seinem mächtigen Bau war dieser deutsche Indianer in seinen späteren Tagen durch schneeweiße Haare gekennzeichnet, die weit über die breiten Schultern herunterfielen. Beständig mit den Rothäuten kämpfend, drang Schuck in jahrzehntelangen Streifzügen bis nach Missouri vor, in dessen unbekannten Wäldern er seinen Geist aushauchte.
Einen ähnlichen Lebenslauf hatte der berühmte Indianerjäger Ludwig Wetzel, ein Sohn des Pfälzers Johann Wetzel, der zu den ersten Ansiedlern von Wheeling gehörte, aber im Jahre 1787 von Indianern erschlagen und skalpiert wurde. Seine fünf Söhne schwuren, den Tod ihres Vaters zu rächen. Keiner erfüllte diesen Schwur in so furchtbarer Weise, wie Ludwig, der jüngste der Brüder. Mit der Kampfweise der Indianer genau vertraut, stellte er sich die Aufgabe, ihrer so viele als möglich umzubringen, unbekümmert darum, daß die Regierung sich große Mühe gab, mit den Indianern Friedensverträge abzuschließen.
Als Wetzel fortfuhr, einen Indianer nach dem andern wegzuschießen und infolgedessen die Unruhen kein Ende nehmen wollten, setzte der Befehlshaber des an der Stelle der heutigen Stadt Cincinnati erbauten Forts Washington einen Preis auf die Festnahme Wetzels. Er wurde tatsächlich gefangen und eingesperrt. Es gelang ihm aber zu entkommen, worauf er die Indianerjagd mit neuem Eifer aufnahm. Abermals gefangen, sollte er erschossen werden. Aber nun brachen die Pioniere von beiden Seiten des Ohio in Massen auf, um Wetzel mit Gewalt zu befreien. Sie drohten, die ganze Besatzung des Forts zu massakrieren, wenn man Wetzel ein einziges Haar krümme. Um Blutvergießen zu vermeiden, gab der Befehlshaber des Forts den Gefangenen frei, nachdem derselbe sich feierlich zum Einhalten des Friedens verpflichtet hatte. Nach mancherlei anderen Abenteuern starb Wetzel später in Texas.
Solcher Art waren die deutschen Männer, die an der Erschließung des Ohiogebietes teilnahmen. Ihnen folgten einzelne Truppenabteilungen, welche die von den Franzosen und Engländern erbauten Forts besetzten, an anderen geeigneten Stellen neue Befestigungen anlegten und so überall Stützpunkte schufen, von wo aus die Besiedlung des Ohiogebiets in gesicherter Weise erfolgen konnte.
Solche Stützpunkte waren die Forts Pitt, Campus Martius, Steuben, Washington, Defiance, Recovery, Sandusky, Detroit, St. Joseph, Adams, Wayne und andere. Im Jahre 1803 legte der Artillerieleutnant J. Swearingen, der Sohn eines zu Schäferstown in Virginien lebenden Deutschen, an der Mündung des Chicagoflusses in den Michigansee das Fort Dearborn an, welches mehrere Jahre später infolge der Abschlachtung seiner Bewohner durch feindliche Indianer eine traurige Berühmtheit erlangte.
Diese aus rohen Baumstämmen aufgeführten, mit Holztürmen und Palisaden versehenen Forts dienten zugleich als Stationen für den Pelzhandel wie als Niederlagen, wo die Trapper und Ansiedler Waffen, Munition, Fallen, Kochgeschirre, Kleider, Ackergeräte und alle anderen Notwendigkeiten gegen die erbeuteten Pelze oder den Überschuß ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse eintauschen konnten.
Nachdem auf diese Weise den dringendsten Forderungen der Sicherheit Rechnung getragen war, schritt die Besiedlung des Ohiogebiets rasch vorwärts. Trotz der unbeschreiblichen Mühseligkeiten, die das Überschreiten der rauhen Gebirgsketten mit sich brachte.
Eine im Jahr 1784 entworfene Karte Kentuckys zeigt bereits fünfzig Forts, acht Niederlassungen und zahlreiche, aus mehreren Blockhütten bestehende »Stationen«. Vornehmlich an den Ufern der Ströme entfaltete sich reges Leben. Denn die meisten Einwandrer zimmerten, sobald sie die Gebirge hinter sich hatten und an schiffbare Gewässer kamen, Flöße oder sogenannte »Flachboote« und »Archen«, geräumige Fahrzeuge mit hüttenartigen Aufbauten, die den Reisenden nachts und bei unfreundlichem Wetter als Unterkunft dienten. Der erste Flachbootschiffer auf dem Ohio war der Deutsche Jakob Joder. Er fuhr im Jahre 1757 den Strom hinab. Die Habseligkeiten und das mitgeführte Vieh waren im Hinterteil des Fahrzeugs untergebracht. Zwei mächtige, auf dem Dach der Hütte befestigte Ruder, die »broad horns«, dienten dazu, das schwimmende Farmhaus im Fahrwasser des Stroms zu halten. So ließ man sich oft wochenlang die Flüsse abwärtstragen, bis man an Plätze kam, die dem Geschmack der Reisenden zusagten und durch ihre Lage und Umgebung gute Aussichten für die Zukunft boten. Dann wurde das Fahrzeug ans Ufer gesteuert, zerlegt und zum Bau der Hütten verwendet. Auf solche Weise entstanden am Ohio und seinen Nebenflüssen zahlreiche Orte, deren Bevölkerung aus englischen, deutschen, schottischen, irischen, französischen, holländischen und indianischen Elementen bestand. An vielen Orten zählten Deutsche zu den Gründern. Major Benjamin Steitz und Mathias Denman besaßen z. B. im Jahre 1788 den größten Teil des Bodens, auf dem Cincinnati erbaut wurde. Einem deutschen Helden des Unabhängigkeitskrieges, Major David Ziegler, fiel die Ehre zu, im Jahre 1802 als erster Bürgermeister des Dorfs gewählt zu werden.
Israel Ludlow gründete in Gemeinschaft mit einigen Amerikanern im Jahre 1795 Dayton; Ebenezer Zane (Zahne) 1796 Zanesville und Neu-Lancaster.
Die Namen der in den Staaten Ohio, Indiana, Kentucky und Tennessee gelegenen Orte Frankfort, Potsdam, Hannover, Germantown, Berlin, Minster, Freiburg, Glandorf, Wirtemberg, Osnaburg, Speier (Spires), Bern, Geneva, Saxon, Oldenburg, Hermann, Ferdinand, Betzville, Baumann, Neu-Elsaß, Bremen, Wartburg und viele andere verraten schon durch ihren Klang die deutsche Herkunft ihrer ersten Besiedler. Deutsche gründeten auch die Stadt Steubenville, deren Namen an den berühmten Organisator des amerikanischen Heeres erinnert.
In der Folge wurden die Täler des Ohio und seiner Nebenflüsse, insbesondere auch die vom Mohawktal nach Buffalo, Cleveland, Pittsburg und Detroit führenden Straßen zu einem Hauptsiedlungsgebiet der Deutschen in Nordamerika.
Es war hauptsächlich das junge unternehmungslustige Volk der östlich von den Alleghanys bestehenden älteren Niederlassungen, das sich hier ansiedelte, um, wie die Väter es getan, im Urbarmachen neuer schöner Landschaften die eigne Kraft zu proben.
Gestärkt wurde es später durch stetig wachsende Scharen aus Deutschland kommender Einwandrer. Gemeinschaftlich verliehen diese Deutschen zahlreichen Plätzen jenes eigenartige Gepräge, das die ältere deutsche Einwandrung manchen Teilen der Oststaaten aufgedrückt hatte. In friedlichem Wettbewerb mit ihren Mitbürgern anglo-amerikanischer Abkunft halfen sie im Lauf der Jahrzehnte die ungeheure, vom Stromsystem des Ohio bewässerte Wildnis in jene Gefilde verwandeln, die heute zu den ertragreichsten der ganzen Union gehören.
Wie die Deutschen im Osten sich vielfach als Pioniere der Industrie und des Handels zeigten, so trugen sie auch zur industriellen Entwicklung des Ohiogebiets in reichstem Maße bei. Kaum war Louisiana in den Besitz der Amerikaner übergegangen, so wendeten sie ihre Aufmerksamkeit der wichtigen Frage zu, wie die weite Entfernung nach der zum Hauptstapelplatz für alle Ein- und Ausfuhrgüter werdenden Stadt New Orleans am raschesten zurückgelegt werden könne.
Der Verkehr mittels der Flöße und Flachboote war äußerst langwierig. Obendrein konnte man diese Transportmittel nur für eine einzige Reise flußabwärts benutzen, da mit solchen Fahrzeugen unmöglich gegen die starke Strömung des Mississippi angekämpft werden konnte. Zur Rückfahrt mußten die Mannschaften stets leichte Kanus verwenden.
Auch die Rundreisen der später an Stelle jener Flachboote tretenden Kielboote gestalteten sich überaus langwierig. Zwischen den beiden äußersten Punkten, Pittsburg und New Orleans, dauerten sie gewöhnlich ein volles Jahr. Diese lange Zeit wurde auf die Hälfte verkürzt, als der ehemalige Rheinschiffer Heinrich Bechtle im Auftrag des in Cincinnati lebenden Kaufmanns Martin Baum mehrere Segelbarken baute, die zur Rundreise nicht mehr als sechs Monate benötigten.
Deutsche gaben auch die erste Anregung zur Anlage des die Ohiofälle umgehenden Kanals bei Louisville. Ein Deutscher namens Bernhard Rosefeldt baute ferner das erste Dampfschiff der westlichen Ströme. Es erhielt den Namen der Stadt New Orleans und legte seine erste Reise dorthin im Jahre 1811 zurück.
Die Entdeckung der unerschöpflich reichen Kohlen- und Eisenerzlager im Ohiogebiet hatte die Übertragung der Eisenindustrie dorthin zur Folge. Wie auf der Ostseite der Alleghanygebirge, so halfen die Deutschen auch hier diese Industrie mächtig entwickeln. Der bei Strasburg geborene Georg Anschütz wurde durch Anlage einer Schmelze im Jahre 1792 der Pionier der Eisenindustrie Pittsburgs. Der kluge deutsche Geschäftsmann Jakob Meyers aus Baltimore errichtete um dieselbe Zeit am Slate Creek in Kentucky ein Schmelzwerk, wo außerdem allerlei Bedarfsgegenstände, Werkzeuge, Öfen, Kochtöpfe, Geschützläufe und andere Dinge hergestellt wurden. Anfangs litten die Arbeiter freilich so sehr unter den Nachstellungen der Indianer, daß die Hälfte der Leute stets Waffendienst verrichten mußte. Deutsche namens Schreeve gründeten auch im Greenup County einen Hochofen mit Dampfgebläse, der von 1824 bis 1860 in Betrieb war.
Mit dem immer mächtiger anschwellenden Strom der Einwandrung verbreiteten die Deutschen sich über das ganze südlich von den großen Seen liegende Gebiet. Sie befanden sich unter den ersten Bewohnern der Städte Indianapolis, Louisville, Knoxville, Nashville, Chicago, Peoria und Milwaukee und erwarben überall durch Fleiß, Ausdauer und Ordnungsliebe die Achtung ihrer Mitbürger. Daß sie durch ihre Erfolge sogar den Neid minder glücklicher Mitbewerber herausforderten, erhellt aus manchen, von Nativismus durchtränkten Klagen, denen man in verschiedenen anglo-amerikanischen Zeitungen jener Periode begegnet, und wo es heißt, daß die Deutschen im Erobern des Handels und Gewerbes unwiderstehlich seien.
Der erfolgreiche Unabhängigkeitskrieg hatte den Amerikanern zwar den Zutritt zu der großen Stromseele des nordamerikanischen Kontinents, zum Mississippi gebracht, aber sie besaßen nicht die volle Kontrolle über diesen wichtigen Wasserweg. Sein Westufer sowie sein Mündungsgebiet, das ehemalige Louisiana, waren nach der Verdrängung der Franzosen vom nordamerikanischen Kontinent in den Besitz der Spanier übergegangen, die von freier Schiffahrt auf dem »Vater der Ströme« nichts wissen wollten.
Ungehinderter Verkehr bedeutete aber für sämtliche am Ohio und auf dem Ostufer des Mississippi gegründeten amerikanischen Niederlassungen und Staaten eine Lebensfrage, da sie sonst ihre Erzeugnisse nicht ausführen konnten. Die Lage war unerträglich. Denn der überaus schwierige Transport über die Alleghanygebirge verbot sich der ungeheuren Kosten wegen.
Da, mit Anbruch des 19. Jahrhunderts, änderten diese Zustände sich plötzlich in einer für die Amerikaner überaus günstigen Weise. Spanien mußte am 1. Oktober 1800 sein ganzes Besitztum am Mississippi an Frankreich zurückgeben. Napoleon Bonaparte aber, der seinen bereits in der Luft liegenden unvermeidlichen Krieg mit England voraussah, empfand den überseeischen Besitz als eine schwere Last, da er außerstande war, Louisiana gegen einen englischen Flottenangriff zu schützen. Er beschloß deshalb, sich jenes Riesenreichs in einer Weise zu entäußern, die Frankreich nicht nur materiellen Nutzen bringen, sondern zugleich seinen Gegnern einen argen Strich durch die Rechnung machen sollte.
»Die Engländer«, so erklärte er seinen Ministern, »streben, die Reichtümer und den Handel der ganzen Welt an sich zu reißen. Um die Völker von ihrer unerträglichen kommerziellen Tyrannei zu befreien, ist es nötig, ihren Einfluß durch eine Seemacht zu balancieren, die ihnen eines Tages die Handelssuprematie streitig machen kann. Diese Macht sind die Vereinigten Staaten. Stärke ich deren Stellung durch Abtreten des Mississippigebiets, so erhält England im Welthandel einen Mitbewerber, der seinen Übermut früher oder später dämpfen wird.«
Die mit den Vereinigten Staaten angeknüpften Verhandlungen kamen am 30. April 1803 zum Abschluß, wodurch Louisiana gegen eine Summe von 15 Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten überging. Durch dieses großartigste Landkaufgeschäft aller Zeiten wurden die Vereinigten Staaten um ein Gebiet bereichert, das demjenigen von Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und der Schweiz gleichkommt und den bisherigen Flächeninhalt der Union verdoppelte.
Von welch unermeßlicher Bedeutung die Erwerbung Louisianas für die Kulturentwicklung der Vereinigten Staaten werden sollte, konnte damals allerdings niemand voraussehen, da man weder die fabelhafte Ausdehnung des Mississippisystems, noch die Beschaffenheit der westlich vom Hauptstrom liegenden Ländermassen kannte.
Vorderhand war für die Amerikaner kein Punkt so wichtig, als der durch den Ankauf Louisianas ermöglichte freie Verkehr auf dem Mississippi. Das war ein Gewinn, der alles andere überschattete. Denn nun war den westlich von den Alleghanygebirgen entstandenen Staaten die heiß ersehnte Möglichkeit geboten, mit ihren Erzeugnissen auf dem Weltmarkt zu erscheinen.
Ihr dadurch bewirkter Aufschwung wurde durch die gleichzeitige Erfindung der Dampfboote mächtig gefördert. Kaum hatte Fulton durch seine im Jahre 1807 mit dem Dampfer »Clermont« zurückgelegte Fahrt auf dem Hudson die Verwendbarkeit der Dampfkraft für die Schiffahrt bewiesen, so begannen die Flüsse Amerikas sich mit diesen neuen Verkehrsmitteln zu bedecken. Das erste Dampfschiff der westlichen Ströme wurde bereits im Jahre 1811 von dem Deutschen Bernhardt Rosefeldt in Pittsburgh erbaut und auf den Namen »New Orleans« getauft. Sein Führer war gleichfalls ein Deutscher, Kapitän Heinrich Schreeve, derselbe, welcher eine Dampfmaschine zum Zersägen und Entfernen der die Schiffahrt auf den westlichen Strömen so sehr gefährdenden »snags« (losgewaschene, mit ihren Wurzeln und Ästen in den Flußbetten verankerte Baumstämme) erfand. Sein Name ist in demjenigen der Stadt Shreevesport in Louisiana erhalten.
Der Dampfer machte noch im Jahr seiner Erbauung die erste Reise den Ohio und Mississippi hinab. Es war eine ereignisreiche Fahrt, während der man unter anderem ein heftiges Erdbeben erlebte, das damals das untere Mississippital heimsuchte.
Mit dem Aufkommen der Dampfboote und der gleichzeitigen Anlage von Schiffskanälen öffneten sich den Einwandrern mehrere neue, bequemere Wege zum Westen. Der eine führte von New York den Hudson hinauf bis Albany. Dort bestiegen die Reisenden Kanalboote zur Fahrt nach Buffalo, von wo aus Dampfer den Weitertransport über die großen Seen nach den im Westen entstandenen Ansiedlungen vermittelten.
Den von England kommenden Einwandrern bot sich ein ähnlicher Weg, wenn sie den St. Lorenzstrom hinauf bis Toronto reisten und von dort die Schiffe benutzten, welche die großen Binnenseen befuhren.
Eine dritte Verbindung boten jene Dampferlinien, welche von europäischen und amerikanischen Häfen aus einen direkten Verkehr mit New Orleans aufnahmen, wo bequem eingerichtete Flußdampfer die Weiterreise den Mississippi und seine Nebenflüsse hinauf ermöglichten. Infolge dieser bequemeren und billigeren Verbindungen steigerte sich die Einwandrung in die Täler des Ohio und Mississippi von Jahr zu Jahr.
Die Erfindung der Eisenbahnen fügte den bisher bekannten Mitteln zur Überwindung räumlicher Entfernungen neue von größter Bedeutung hinzu.
Mit der gleichen Energie, welche die Amerikaner bisher beim Dienstbarmachen der Natur, im Ausbeuten ihrer reichen Gaben bekundeten, schritten sie nun dazu, ihr Land mit einem förmlichen Netz von Schienengleisen zu überziehen. Bei der Anlage solcher Eisenbahnen rechneten sie nicht wie die Europäer auf sofortigen Gewinn, sondern bauten die Bahnen oft in ganz unbewohnte Wildnisse hinein, um den Ansiedlern die Möglichkeit zu bieten, nachzurücken und ihre Erzeugnisse zu befördern.
Mit dieser Ära der Dampfer und Eisenbahnen hebt recht eigentlich die große amerikanische Völkerwanderung an, eine Völkerwanderung, die sich von derjenigen des Altertums dadurch unterscheidet, daß sich nicht wie damals ganze, im Rücken bedrängte Völkerstämme auf schwächere warfen und sie mit Langschwertern und Streithämmern aus ihren Wohnsitzen vertrieben. Es waren vielmehr unzählige einzelne Personen, Familien und kleine Haufen, die sich von den in Europa und im Osten der Vereinigten Staaten bestehenden Gemeinwesen ablösten, um mit Axt und Spaten an der friedlichen Eroberung der noch unkultivierten Gebiete der Neuen Welt teilzunehmen.
Die große Masse der aus Deutschland kommenden Einwandrung jener Zeit bestand nach wie vor aus Landleuten und Handwerkern. Neben ihnen erschienen von jetzt ab auch Angehörige der gebildeten Klassen in größerer Zahl: Männer, die, durch die trostlosen politischen Zustände ihres Vaterlandes bitter enttäuscht, in der Fremde günstigere Verhältnisse zu finden hofften.
Bekanntlich hatte das deutsche Volk zu Anfang des 19. Jahrhunderts überaus schwere Kämpfe gegen Napoleon führen müssen, jenen genialen Abenteurer, der sich vom Konsul der französischen Republik zunächst zum Diktator, dann zum Kaiser aufwarf und unter Strömen Blutes ein Weltreich aufzurichten suchte. Während der durch ihn heraufbeschworenen furchtbaren Zeit erlitt Deutschland seinen tiefsten Fall, indem es unter die Zwangsherrschaft des Korsen geriet.
Aber dieser Fall war notwendig, um dem deutschen Volk den Weg zu seiner Wiedergeburt zu zeigen. In allen Schichten rang sich die Erkenntnis durch, daß ein Zusammenfassen sämtlicher Kräfte, ein geeintes Deutschland nötig seien, um die Fremdherrschaft abzuschütteln. Unter dem gewaltigen Druck eiserner Notwendigkeit entwickelte sich ein früher nie gekanntes nationales Gefühl, das die Herzen der deutschen Dichter und Denker wunderbar bewegte und ihnen Töne verlieh, wie sie erhabener nie zuvor erklungen waren.
»Oh lerne fühlen, welchen Stamms du bist!
Die angebor'nen Bande knüpfe fest.
Ans Vaterland, ans teure schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!«
So mahnte Schiller in seinem »Wilhelm Teil«, diesem geharnischten Protest gegen jede Unterdrückung echter Manneswürde.
Zur selben Zeit sangen Kleist, Schenkendorf, Körner und Arndt ihre begeisternden Freiheitslieder; Fichte hielt seine berühmten »Reden an die deutsche Nation«; Ludwig Jahn, der Vater der deutschen Turnerei, Freiherr Karl von Stein, Hardenberg und viele andere sorgten für die Kräftigung und Nationalisierung der Jugend. Und als endlich die entscheidende Stunde schlug, da war dank der unermüdlichen Arbeit dieser patriotischen Männer das deutsche Volk geistig und körperlich so erstarkt, daß es vermochte, in dem großen Jahre 1813 das entehrende Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln.
Wohl hätte es für die dabei bewiesene Aufopferung und heldenmütige Tapferkeit den tiefsten Dank seiner Fürsten verdient. Aber diese vermochten nicht, sich zu gleich hohem Fluge zu erheben. Sie ließen nicht nur ihre vor dem Krieg gemachten feierlichen Versprechungen, dem Volk eine Vertretung bei der Regierung zu geben, unerfüllt, sondern versuchten alle freiheitlichen Regungen des Volkes zu ersticken, während sie selbst in das widerwärtige, dem Geist des 19. Jahrhunderts hohnsprechende Treiben ihrer Väter zurückverfielen.
Zum Unglück standen die deutschen Fürsten damals unter dem Bann des österreichischen Staatskanzlers Clemens Lothar von Metternich, eines jedem Fortschritt abgeneigten Finsterlings, dem, wie seinem vom starren Bewußtsein absoluter Herrscherrechte erfüllten Kaiser Franz I. alle Kundgebungen verhaßt waren, die auf den nationalen Zusammenschluß des deutschen Volkes abzielten. Beide ahnten, daß eine solche Einigung das Ende der österreichischen Vorherrschaft in Deutschland zur Folge haben müsse.
Auf das Betreiben dieser beiden Männer wurden sämtliche Turnvereine und Studentenverbindungen aufgelöst, alle deutsch-national gesinnten Professoren der Universitäten entlassen, alle Zeitungen und Bücher einer scharfen Zensur unterworfen. Um Personen ausfindig zu machen, die durch ihre Ansichten und Lehren dem Absolutismus der Herrscher gefährlich werden könnten, setzte man eine »Zentral-Untersuchungskommission« ein, die sich in ihrer Demagogenriecherei der unglaublichsten Überschreitungen schuldig machte, Hunderte von Studenten verhaften und von Festung zu Festung schleppen ließ, bloß weil sie vaterländische Lieder gesungen oder die verpönten schwarz-rot-goldenen Farben getragen hatten. Es ist bezeichnend für den Fanatismus jenes Ausschusses, daß derselbe sogar Männer wie Blücher, Gneisenau, York, von Stein, Fichte und Schleiermacher als revolutionärer Bestrebungen verdächtig erklären durfte.
In dieser hoffnungslosen Zeit, die jeden patriotisch fühlenden und fortschrittlich veranlagten Mann mit Ekel erfüllen mußte, erschien in Deutschland ein Buch, das ungeheures Aufsehen erregte. Sein Verfasser war der Arzt Gottfried Duden, welcher im Jahre 1824 eine Reise nach Nordamerika unternommen hatte und durch Maryland, Virginien und die am Ohio entstandenen Staaten nach Missouri gekommen war. Sechzig Meilen westlich von St. Louis erwarb er ein Gut, das er, da er ausreichende Mittel besaß, klären und bestellen ließ. Die Mußestunden verbrachte Duden mit der Schilderung seiner Reisen, der amerikanischen Verhältnisse und der Jagdromantik der westlichen Wildnis, in der es von Hirschen, Büffeln, Hasen, Präriehühnern usw. wimmle. Er beschrieb den neapolitanisch blauen Himmel, die reizvolle Färbung der herbstlichen Wälder und tausend andere Dinge, die jeden Freund der Länderkunde aufs höchste interessieren mußten. In der Hauptsache getreu, zeichneten Dudens Darstellungen sich vor allen früher erschienenen Berichten über Amerika durch glänzende Frische und romantische Färbung aus. Insbesondere ließen sie die in Missouri herrschenden Zustände und Aussichten im Gegensatz zu den trostlosen Deutschlands geradezu verlockend erscheinen.
Dieser, zuerst im Jahre 1829 in Bonn veröffentlichte »Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas« erfreute sich bei allen Gebildeten einer überraschend günstigen Aufnahme. Ihnen, die in dumpfer Resignation unter der Willkür der Fürsten und der rückschrittlich gesinnten Beamtenheere dahinlebten, eröffnete sich urplötzlich der Ausblick auf ein Land, dessen jungfräuliche Erde nicht bloß tausendfältigen Lohn für die auf ihn verwendete Mühe verhieß, sondern wo man sich schrankenloser Freiheit erfreuen und die eigenen Ideen über Regierung und Staatsform verwirklichen konnte.
Vielen Familien wurde Dudens Buch zur täglichen Lektüre. Um auch wenig Bemittelten die Anschaffung zu erleichtern, ließen Freunde und Begünstiger der Auswandrung zahlreiche billige Ausgaben herstellen und verbreiten. Infolgedessen kam ein förmliches Auswandrungsfieber zum Ausbruch. Tausende von Leuten, denen »der Duden den Kopf verrückt hatte«, schickten sich zur weiten Reise nach Missouri an.
Es waren nicht bloß Bauern, sondern Männer, die gebildeten, ja gelehrten Ständen angehörten, nun aber den Schulstaub von sich abwuschen, um im frischen Tau der Urwälder neues Leben zu trinken. Mit ihnen zogen Jünglinge, welche die Feder, nie aber die Holzaxt geführt, Frauen, welche daheim den Teetisch serviert, aber nie harte Handarbeiten kennen gelernt hatten.
Viele dieser Auswandrer blieben, müde der langen Reise, in den Oststaaten oder am Ohio. Manche, bitter enttäuscht, verdarben in Elend. Viele aber gelangten wirklich ans Ziel und ließen sich im Tal des Mississippi nieder. Hier schufen sie, umgeben von anderen Ansiedlern, die berühmten » lateinischen Settlements«, die ihren Namen daher erhielten, weil ihre Besitzer hochgebildete Leute waren, die Universitätsbildung genossen hatten, Latein verstanden und das Studium der alten Klassiker dem müßigen Disputieren in den Wirtshäusern vorzogen.
Zu diesen »lateinischen Farmern«, Da unter den »lateinischen Farmern« natürlich auch viele Personen waren, die von der Landwirtschaft nichts verstanden und nur aus Liebe zur Unabhängigkeit diesen mühseligen Beruf gewählt hatten, so erhielt die Bezeichnung später einen etwas spöttischen Beigeschmack. Man fand solche »lateinischen Settlements« sowohl in Illinois, Missouri und Wisconsin. von denen viele tüchtige Landwirte wurden, zählten der bayrische Appellationsrat Theodor Hilgard, der Forstmeister Friedrich Engelmann, die Rechtsgelehrten Wilhelm Weber und Gustav Körner, die Ärzte Gustav Bunsen, Adolf Reuß und Adolf Berchelmann, der Geschichtsprofessor Anton Schott, der Prediger Michael Ruppelius, der Schuldirektor Georg Bunsen und viele andere Gleichgesinnte. Die hier Genannten ließen sich sämtlich in dem südöstlich von St. Louis gelegenen Örtchen Belleville nieder, das sie zu einer überaus fruchtbaren deutsch-amerikanischen Bildungsstätte umwandelten, von wo viele berühmte Männer ausgingen.
Die Einwandrung ins Mississippital nahm von Jahr zu Jahr zu. Aus Europa, vom Osten und Süden zogen Menschen herbei. Welche Massen sich in Bewegung setzten, erhellt am klarsten aus der Tatsache, daß innerhalb der Monate Januar, Februar und März 1842 in St. Louis 529 Dampfboote anlegten, die insgesamt 30 384 Personen brachten.
Allerorten wuchsen die Ansiedlungen wie Pilze aus der Erde. St. Louis entwickelte sich zu einem Haupthandelsplatz und Zentralpunkt für die Dampfschiffahrt des gewaltigen Mississippisystems. Bereits in der Mitte der vierziger Jahre zählte die Stadt 40 000 Bewohner. Daß daselbst zwei tägliche deutsche Zeitungen bestehen konnten, zeugt für die Stärke der damaligen deutschen Bevölkerung.
Im unteren Stromgebiet ließen sich die Deutschen hauptsächlich in Memphis, Vicksburg, Natchez und New Orleans nieder. In der letztgenannten Stadt lebten im Jahre 1841 bereits 10 000 Deutsche.
Am oberen Stromlauf wurden die Städte Altona, Quincy, Keokuk, Burlington, Davenport, Dubuque, Winona, St. Paul und Minneapolis, an den großen Binnenseen Chicago, Milwaukee und Detroit Sitze regen deutschen Lebens. Und zugleich Ausgangspunkte neuer Niederlassungen, die an den Nebenflüssen des Mississippi und den zahllosen Seen entstanden, die gleich tausend blauen Augen aus den Wäldern und Grassteppen von Wisconsin, Minnesota, Dakota, Nebraska und Iowa emporglänzen. Manche jener Niederlassungen kennzeichnen sich durch ihre Namen Solche Orte sind im Staate Missouri: Westphalia, Germantown, Hermann, Neu-Hamburg, Dammüller, Diehlstadt, Altenburg, Biehla, Frohne, Wittenberg, Carola u. a. In Iowa finden wir Neu-Wien (New Vienna), Guttenberg, Minden usw. In Illinois Arenzville; in Wisconsin Germantown, New Köln, New Holstein, Town Schleswig u. a. und die Mundart ihrer Bewohner noch heute als schwäbische, fränkische, thüringische, niederdeutsche oder schweizerische Gründungen.
Fast allen war eine ruhige, stete Entwicklung beschieden; denn mit dem einzigen Bevölkerungselement, welches Störungen hätte verursachen können, den Indianern, wußten die Deutschen im allgemeinen stets in Frieden auszukommen.
In der Tat ereignete sich nur ein größerer Indianerüberfall auf eine deutsche Ansiedlung: derjenige der Sioux auf Neu-Ulm in Minnesota. Dieser Ort ist eine Gründung unternehmungslustiger Turner aus Chicago, die im Jahre 1856 das schöne Tal des Minnesotaflusses als neue Heimat auserkoren.
Das hier erbaute Städtchen zählte im Sommer 1862 bereits 1500 Bewohner, die friedfertig ihren Beschäftigungen nachgingen, ohne zu ahnen, daß sie von schwerem Unheil bedroht seien.
Die mächtigen Sioux oder Dakotas beschritten nämlich, erbittert über die von betrügerischen Regierungsagenten an ihnen verübten Gaunereien, den Kriegspfad und fielen plötzlich über die im Tal des Minnesota liegenden Ansiedlungen her. Sie schlachteten zunächst eine Anzahl vereinzelt wohnender Ansiedler ab und wandten sich dann in dichten Scharen gegen das Städtchen Neu-Ulm.
Am 19. August unternahmen sie einen wütenden Angriff auf den Ort, dessen verstreut liegende Häuser für Verteidigungszwecke wenig geeignet waren. Zahlreiche Wohnungen gingen in Flammen auf. Ihre Bewohner zogen sich, beständig fechtend, in die Mitte des Ortes zurück, wo sie sich hinter eiligst errichteten Barrikaden aus Fässern, Betten, Kisten und Ackergeräten verschanzten. Der Kampf dauerte ohne Unterbrechung bis in die Nacht hinein. Mancher brave Deutsche fiel dabei in der Verteidigung seiner Familie. Als der nächste Morgen anbrach, waren die Rothäute verschwunden. Aber bereits am 23. August erschienen sie bedeutend verstärkt aufs neue, entschlossen, Neu-Ulm und seine Verteidiger gänzlich zu vertilgen.
Gegen 9 Uhr morgens sah man in der Ferne den Rauch brennender Hütten emporwirbeln. Bald darauf tauchten ganze Scharen berittener Indianer hinter den Hügeln auf. 250 Deutsche unter der Führung des Richters Flandreau stellten sich ihnen außerhalb des Ortes entgegen.
Mit fliegender Eile brausten die Sioux auf ihren flinken Ponies heran, in ihrem farbigen Aufputz, der bunten Kriegsmalerei, den flatternden Federn und hochgeschwungenen Waffen im hellen Sonnenschein ein überaus phantastisches Bild darbietend. Ehe sie in Schußweite gelangten, entfalteten die indianischen Massen sich gleich einem gewaltigen Fächer und stürmten unter wahrhaft teuflischem Geheul auf die Weißen herein.
Es zeigte sich bald, daß die von dem Richter Flandreau angeordnete Aufstellung der Weißen durchaus verkehrt war, denn die Indianer breiteten sich immer weiter aus, um die Deutschen zu umzingeln und auch im Rücken anzugreifen. In scharfem Gefecht zogen die letzteren sich deshalb auf den Ort zurück, um diesen zu verteidigen. Daß man es mit verschlagenen Gegnern zu tun hatte, ergab der weitere Verlauf des Kampfes. Da der Wind vom unteren Ende des Ortes kam, so setzten die Sioux die dort stehenden Häuser in Brand und rückten unter dem Schutz des aufsteigenden Qualmes Schritt für Schritt vor. Die sonst so friedliche Hochebene verwandelte sich in ein einziges Flammenmeer, dessen Ausbreitung die Belagerten auf ein immer kleiner werdendes Terrain beschränkte. Zuletzt hatten sie nur noch einen mit Barrikaden umgebenen offenen Platz inne. Von diesem aus verteidigten sie sich während des Restes des Tages und am folgenden Morgen mit solcher Hartnäckigkeit, daß die Feinde an einem Erfolg verzweifelten und endlich abzogen.
178 Gebäude waren verbrannt, viele Familien ganz oder teilweise untergegangen. Da eine nochmalige Rückkehr der Feinde zu befürchten stand, so verließen die Überlebenden am 26. August den verwüsteten Platz, um sich in eine der nächsten Ortschaften zurückzuziehen. Der traurige Zug, auf dem man die Frauen und Kinder sowie die 56 Verwundeten beförderte, zählte 150 Wagen.
Insgesamt kamen während der von den Sioux angerichteten Metzelei 644 Ansiedler und 93 Soldaten ums Leben. Zudem war in weitem Umkreis das ganze Land verwüstet.
Erst nachdem die herbeigezogenen Truppen die Rothäute vertrieben hatten, kehrten die Bewohner von Neu-Ulm zurück, um mit dem Wiederaufbau ihres Städtchens zu beginnen. Neue Ansiedler traten an die Stelle der Gefallenen; da die Regierung auch den erlittenen Schaden vergütete, so erholte sich die Kolonie rasch wieder und erlangte nach einigen Jahren ihr früheres blühendes Aussehen.
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An der ferneren Entwicklung der im Stromgebiet des Mississippi und an den großen Seen gelegenen ungeheuren Ländermassen gebührt den Deutschen ein Hauptanteil. Die Chroniken fast aller hier entstandenen Staaten und Städte enthalten tausende und abertausende von Namen wackrer deutscher Männer, die sich durch fleißige Arbeit und ernstes Streben, durch die Gründung von Schulen und Kirchen, Turn-, Musik- und Gesangvereinen, wissenschaftlichen und wohltätigen Gesellschaften um den Aufbau und die Entwicklung des kulturellen Lebens in jenen Staaten und Gemeinwesen hochverdient machten.
Von welcher Beschaffenheit die westlich vom Mississippi gelegenen Gebiete seien, wußte zur Zeit des Ankaufs von Louisiana niemand zu sagen. Noch hatte kein Boot die mächtigen Ströme jenes geheimnisvollen Westlandes befahren, noch kein Weißer die endlosen Steppen gekreuzt oder die himmelanragenden Felsengebirge erstiegen. So zeigten denn auch die Landkarten jener Zeit zwischen dem Mississippi und Großen Ozean einen gewaltigen weißen Fleck, wo die lakonischen Worte standen: »Die große amerikanische Wüste. Noch unerforscht.«
Die den Bürgern des jungen amerikanischen Staatenbundes innewohnende Energie und Regsamkeit duldeten aber nicht lange diesen Zustand. Bereits im Jahre 1803 erhielten die Kapitäne Meriwether Lewis und William Clarke den gefahrvollen Auftrag, als Erste in jene Wildnis vorzudringen. Ihre über mehrere Jahre sich erstreckende Reise von der Mündung des Missouri bis zu den Gestaden des Großen Ozeans, sowie die bald darauf folgende Forschungsreise des Leutnants Zebulon M. Pike nach den Felsengebirgen bezeichneten den Anbruch einer glorreichen Epoche geographischer Entdeckungen, wie glänzender und segensreicher Amerika sie bisher nicht erlebt hatte. Erfolgte doch in diesem bis etwa zum Jahre 1870 reichenden Zeitabschnitt die Erschließung des fernen Westens, jenes Gebietes, das mit seinen Prärieen und Gebirgen, seinen unermeßlichen Reichtümern an Gold, Silber und anderen wertvollen Metallen, seinen einzig dastehenden Landschaften und Naturmerkwürdigkeiten das »Wunderland der Neuen Welt« genannt zu werden verdient.
Die Schilderungen der genannten drei Reisenden, die in warmer Begeisterung von den reichen Schätzen und Schönheiten Oregons – so wurden die Gebiete am Columbia genannt – und der noch unter spanischer Herrschaft stehenden Felsengebirge Colorados und Neu-Mexikos sprachen, blieben auf die leicht entzündbare Abenteuerlust der Amerikaner nicht ohne Wirkung. Pelzhändler und Trapper begannen ihren Weg dorthin zu nehmen. Sie entflammten auch den in New York lebenden Deutsch-Amerikaner Johann Jakob Astor zur Gründung der » Amerikanischen Pelzhandels-Gesellschaft« und zur Entsendung zweier großartiger Expeditionen nach Oregon.
Astor, im Jahre 1763 in dem badischen Dörfchen Waldorf geboren, war 1784 nach Amerika gekommen. Während der Überfahrt hatte sein guter Stern ihm mit einem Landsmann zusammengeführt, der im Pelzhandel ein ansehnliches Vermögen erworben hatte. Durch ihn ließ Astor sich bestimmen, dasselbe Geschäft zu ergreifen. Er tat dies mit solchem Erfolg, daß er nach einigen Jahren bereits eigne Handelsexpeditionen ausrüsten konnte. Mit seltenem Scharfblick für das Erkennen günstiger Gelegenheiten und das Beurteilen auswärtiger Verhältnisse begabt, wandte Astor sich hauptsächlich dem Handel mit England und China zu. Er war der erste amerikanische Kaufmann, dessen Fahrzeuge auf beständigen Handelsreisen den Erdball umschifften. Von New York aus segelten dieselben mit amerikanischen Pelzwaren nach England. Hatten sie dort ihre Ladung gelöscht, so traten sie, mit englischen Waren befrachtet, die lange Reise um das Vorgebirge der Guten Hoffnung nach Indien und China an. Nachdem sie dort ihre Güter abgeliefert, nahmen sie Seide, Tee, Gewürze und andere orientalische Kostbarkeiten an Bord, um endlich um die Südspitze Südamerikas herum nach New York zurückzukehren. Für solche, fabelhafte Gewinste bringende Rundreisen benötigten die Schiffe in der Regel zwei Jahre.
Bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts galt Astor als einer der reichsten Männer der Stadt New York. Ohne Frage war er auch einer der kühnsten und unternehmungslustigsten. Daß ihm zuerst die große kommerzielle Bedeutung der Westküste Amerikas vor die Seele trat, beweist sein wohldurchdachter Plan, in Oregon eine Pelzhandelsstation zu errichten.
Der Pelzhandel bildete bekanntlich die wichtigste Einnahmequelle Nordamerikas. Mit dem Übergang Canadas an England war er aber nahezu ein Monopol der Hudsons Bai Compagnie geworden, die über ungeheure Mittel verfügte und ihre tyrannische Macht bis in die südlich von den großen Seen und am oberen Mississippi und Missouri gelegenen amerikanischen Gebiete fühlbar machte. Auch im Mündungsgebiet des von den Amerikanern entdeckten und zuerst befahrenen Columbia machte die Hudsons Bai Compagnie den Amerikanern den Platz an der Sonne streitig.
Um diese Tyrannei zu brechen, beschloß Astor eine Kette befestigter Handelsstationen zu gründen, die von der Mündung des Missouri bis zu den Quellen desselben und von da über die Felsengebirge und den Columbia entlang bis zur Küste des Großen Ozeans reichen solle. Am Ausfluß des Columbia plante Astor eine mit einem Hafen verbundene Hauptniederlage, von wo seine Schiffe regelmäßige Reisen nach China und Alaska ausführen könnten. Diese Station sollte den Anfang zu ähnlichen Kolonien fleißiger und energischer Amerikaner bilden, wie sie im Osten, an den Gestaden des Atlantischen Ozeans, bereits in so großer Zahl emporgeblüht waren.
Die Bundesregierung brachte den Plänen des Deutschamerikaners lebhaftes Interesse entgegen. Präsident Thomas Jefferson schrieb persönlich an Astor: »Ich betrachte die Anlage von Niederlassungen an der Nordwestküste als einen großen öffentlichen Gewinn und sehe mit freudiger Genugtuung die Zeit kommen, wo die Nachkommen der ersten Ansiedler sich über die ganze Länge jener Küste ausgedehnt und sie mit freien amerikanischen Gemeinwesen bedeckt haben werden, welche mit uns durch die Bande des Blutes und des gemeinschaftlichen Interesses sowohl als durch den Genuß derselben Rechte der Selbstregierung verbunden sind.«
Wohl nur um seinen Plänen größeres Gewicht zu verleihen, gründete Astor zunächst die »Amerikanische Pelz-Handelsgesellschaft«, deren hundert Anteile zur Hälfte ihm gehörten, während die andere Hälfte unter verschiedene mit dem Pelzhandel vertraute Personen verteilt wurden, jedoch so, daß keiner derselben mehr als drei Anteile erhielt. Der auf die Dauer von zwanzig Jahren geschlossene Vertrag bestimmte, daß, falls die Gesellschaft innerhalb der ersten fünf Jahre sich auflöse, sämtliche Kosten und Verluste des Unternehmens von Astor getragen werden sollten. Erst nach Ablauf dieser Zeit partizipierten die übrigen Gesellschafter nach Maßgabe ihrer Anteile an Gewinn und Verlust.
Bald nach der Gründung dieser Gesellschaft rüstete Astor zwei Expeditionen aus, von denen eine auf dem Seewege um Kap Horn, die andere über Land den Missouri und Columbia entlang bis zur Mündung des letztgenannten Flusses vordringen sollte. Für die Seeexpedition wählte er das zehn Kanonen führende Schiff »Tonquin«. Mit Waren für den indianischen Tauschhandel, mit Waffen, Lebensmitteln, Baumaterial und anderen Notwendigkeiten beladen, nahm es zugleich eine Anzahl tüchtiger Handwerker und im Verkehr mit Indianern erfahrener Händler an Bord. Das Fahrzeug erreichte im März des Jahres 1811 seinen Bestimmungsort, wo mit der Anlage einer befestigten Niederlassung sofort begonnen wurde.
Die aus sechzig erprobten Leuten bestehende Landexpedition traf nach Überwindung unsäglicher Schwierigkeiten und Entbehrungen einige Monate später ein. Immerhin früh genug, um an dem Ausbau des zu Ehren des Urhebers des ganzen Unternehmens »Astoria« getauften Handelspostens teilnehmen zu können.
Leider war diesem keine lange Dauer beschieden. Ein Schicksalsschlag folgte dem anderen.
Zuerst kam der tragische Untergang des Schiffes »Tonquin«, welches während einer Handelsreise an der Insel Vancouver von Eingeborenen überfallen und, nachdem fast alle Weiße niedergemacht waren, von dem letzten Überlebenden samt mehreren hundert siegestrunkenen Wilden in die Luft gesprengt wurde.
Ein zweites nach Astoria gesandtes Schiff scheiterte an einer der Hawaischen Inseln. Um das Unglück vollzumachen, brach im Jahre 1812 ein Krieg zwischen England und den Vereinigten Staaten aus, währenddessen die letzteren den weit entlegenen Handelsposten Astoria nicht zu schützen vermochten.
Das Schicksal der jungen Niederlassung war besiegelt, zumal unter ihren Beamten sich mehrere Verräter befanden. Ihr Rädelsführer war ein gewisser McDougall, ein früherer Beamter der Hudsons Bai Compagnie. Astor hatte ihn durch Bewilligung eines großen Gehaltes an sich gezogen; aber McDougall blieb geheim im Dienst der feindlichen Gesellschaft, die ihn in kritischer Zeit zum Verderben Astorias benutzte. Er war es nämlich, der, als im Jahre 1813 ein Angriff der Engländer zu befürchten stand, die Beamten Astorias bewog, in die Dienste der Hudsons Bai Compagnie überzutreten. Als im Dezember eine englische Kriegsschaluppe erschien, ergriff die Hudsons Bai Compagnie gewaltsam Besitz von Astoria, und behauptete sich im Besitz der Station bis zum Jahre 1846, wo England seinen Ansprüchen auf das Land am Columbia zugunsten der Vereinigten Staaten entsagen mußte.
Verlief demnach das für Astor mit schweren Verlusten verknüpfte Unternehmen ohne den gewünschten Erfolg, so wird es nichtsdestoweniger in der Geschichte der großartigen kaufmännischen Unternehmungen als ein glänzendes Denkmal deutschamerikanischer Tatkraft für alle Zeiten bestehen bleiben, zumal es in Astors berühmtem Freund Washington Irving einen Chronisten fand, dessen klassisch geschriebenes Werk »Astoria, or anecdotes of an enterprise beyond the Rocky Mountains« in aller Welt bekannt geworden ist.
Wurden so die Anfänge zur Zivilisation und zum Handel der fernen Nordwestküste durch einen Deutschen eingeleitet, so ist auch unter den Pionieren des Goldlandes Kalifornien ein Deutscher, Johann August Sutter, der berühmteste.
Sutter wurde gleichfalls in Baden, und zwar am 28. Februar 1803 in der Ortschaft Kandern geboren. Auf der Kadettenschule zu Thun in der Schweiz empfing er eine militärische Erziehung; im Kanton Bern brachte er es zum Hauptmann eines Infanteriebataillons. Der Trieb ins Weite führte ihn im Jahre 1834 nach Amerika, nach St. Louis, dem damaligen Emporium des westlichen Pelzhandels, von wo in jedem Frühling zahlreiche Karawanen gen Westen zogen, um von Indianern und Trappern Pelze einzutauschen. Andere Karawanen wandten sich nach Santa Fé, der im Jahre 1605 von den Spaniern gegründeten »Stadt des heiligen Glaubens«. Dieser Ort war seit langer Zeit ein Hauptstapelplatz des amerikanischen Handels mit Mexiko, Arizona, Texas und Kalifornien. Von den Ufern des Missouri aus führte dorthin jener 800 Meilen lange, von blutiger Romantik umwobene Santa Fé Trail, der in der Geschichte des fernen Westens hohe Bedeutung erlangte. Die Handelsexpeditionen, welche diese berühmte Straße zogen, bestanden aus Hunderten von hochbeladenen Frachtwagen, sogenannten »Prairieschuners«. Ihr Eintreffen nach monatelanger Fahrt bedeutete für die ganze Bewohnerschaft von Santa Fé ein freudiges Ereignis. Die an dem Warenzug beteiligten Händler hingegen atmeten hoch auf, hatten sie doch unterwegs nicht selten blutige Kämpfe mit Indianern zu bestehen.
»Ich zweifle,« so schrieb der Amerikaner Gregg in seinem Buch »The Commerce of the Prairies«, »ob die Kreuzfahrer beim ersten Anblick der Mauern der heiligen Stadt in lauteres, rasenderes Jauchzen ausbrachen als diese Händler, wenn sie in der Ferne die Türme von Santa Fé sahen. Das Schauspiel war des Pinsels eines Malers würdig. Selbst die Pferde schienen die Jubelstimmung ihrer Reiter zu teilen und wurden lustiger und wilder. Und welche Erregung befiel die Eingeborenen! »Los Americanos! Los carros! La entrada de la caravana!« Diese Rufe hörte man aus allen Richtungen. Frauen und Kinder drängten sich massenweise um die Ankömmlinge, die auf ihr Äußeres besondere Sorgfalt verwandten, da sie wußten, daß sie ein Kreuzfeuer schöner, schwarzer Glutaugen passieren mußten.«
Und nun wurden die Baumwollfabrikate, die samtnen und seidenen Gewänder, die glitzernden Perlen, die schimmernden Goldgeschmeide, die Stahl- und Eisenwaren verhandelt. Manches Millionenvermögen dankt den glänzenden Gewinsten aus jenem Handel seinen Ursprung. Der Verkehr litt häufig unter dem launenhaften und despotischen Vorgehen der spanischen und mexikanischen Behörden, welche diese Handelsgelegenheit den verhaßten Amerikanern mißgönnten; ja, er wurde bisweilen verboten. Doch die unerschrockenen »Gringos« kehrten allen Drohungen zum Trotz immer wieder reichbeladen zurück, um stets gute Aufnahme und reißenden Absatz für ihre Waren zu finden, deren strotzende Pracht und grelle Farbenbuntheit die Augen und Herzen der feurigen Señoras bestach.
Einer der erfolgreichsten Karawanenführer war der in St. Louis lebende Deutsche A. Speier, dessen Handelszüge sich über Santa Fé hinaus bis Chihuahua erstreckten.
Auch auf Sutter übte das mit diesen Handelszügen verbundene abenteuerliche Leben solchen Reiz, daß er drei Jahre lang sich an solchen Karawanen beteiligte. Im Jahre 1838 wanderte er mit mehreren Trappern nach Oregon, besuchte Vancouver und die Hawaiinseln, kaufte dort ein Fahrzeug und unternahm eine Handelsexpedition nach dem russischen Alaska. Im Jahre 1840 segelte er nach Kalifornien, erwarb dort von der mexikanischen Regierung einen am Sacramentofluß gelegenen Streifen Landes und gründete an derselben Stelle, wo heute die Stadt Sacramento steht, die Niederlassung Neu-Helvetia. Zu ihrem Schutz baute er eine von hohen Mauern umgebene Befestigung, Fort Sutter, für dessen Verteidigung er vierzig Geschütze beschaffte, sowie eine aus kalifornischen Indianern gebildete Besatzung anwarb. Im Hinblick auf die soldatische Erziehung Sutters kann es nicht überraschen, daß die Verwaltung von Neu-Helvetia ganz nach militärischen Regeln geschah. Sämtliche Indianer waren uniformiert und wurden jeden Abend von einem ehemaligen deutschen Offizier unter den Klängen einer Musikkapelle einexerziert.
Außer den Indianern und deren Familien standen dreißig Deutsche, Engländer und Franzosen in Sutters Diensten. Je nach der Jahreszeit schwankte die Bewohnerschaft von Fort Sutter zwischen 200 bis 500 Personen. Innerhalb des Forts lagen verschiedene Werkstätten, Schmieden, Webereien, Gerbereien, Mühlen und Brauereien. Auf dem Fluß schaukelten ein Zweimaster und ein kleineres Fahrzeug.
Infolge des durch das Fort gewährten Schutzes wurde Neu-Helvetia Mittelpunkt eines lebhaften Verkehrs. Der Hauptbesitz Sutters bestand in ungeheuren Viehherden; daneben lieferten seine ausgedehnten Weizenfelder reiche Erträgnisse.
Eine wichtige Rolle war Sutter in der politischen Geschichte Kaliforniens beschieden. Kalifornien gehörte zwar zu Mexiko, aber seine Bevölkerung bekundete lebhaftes Unabhängigkeitsgefühl, das nicht bloß durch den Zuzug zahlreicher amerikanischer Ansiedler, sondern im geheimen auch durch die Regierung der Vereinigten Staaten beständig genährt wurde. Denn die letztere wollte verhüten, daß Kalifornien in die Hände der Engländer falle, die das Land bereits gierigen Blickes betrachteten. Auch bedurften die Vereinigten Staaten für ihren wachsenden Verkehr mit Ostasien, Alaska und den australischen Inseln eines guten Hafens, der zugleich den 20 000 amerikanischen Seeleuten, die in den arktischen Gewässern dem Walfischfang und der Robbenjagd nachgingen, als Zufluchtsort dienen könne.
Sutter brachte der Lage volles Verständnis entgegen. Denn als General Fremont im Juni 1846 in Kalifornien erschien, holte er die über seinem Fort flatternde mexikanische Flagge nieder und hißte an ihrer Stelle das Sternenbanner empor.
Der nun ausbrechende Krieg zwischen Mexiko und der Union verlief bekanntlich zugunsten der letzten, worauf Kalifornien als neues Glied dem Bund einverleibt wurde.
Um jene Zeit galt Sutter als der angesehenste und wohlhabendste Bewohner Kaliforniens. Da plötzlich führte eine seltsame Laune der Glücksgöttin einen völligen Umsturz seiner Verhältnisse herbei.
Beim Bau einer Sägemühle, die Sutter an einem Gebirgsbach anlegen ließ, entdeckte der in Sutters Diensten stehende Zimmermann James W. Marschall am 19. Januar 1848 zahlreiche Körnchen gelben Metalls. Gleich einem Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß dieselben Gold sein könnten. Er sammelte eine Handvoll und ritt im Galopp zum Fort, um seine Vermutung Sutter mitzuteilen. Sorgfältige Untersuchungen ergaben, daß die glitzernden Körnchen in der Tat gediegenes Gold waren.
Man beschloß, den Fund geheim zu halten, aber vergebens. Der Ruf »Gold! Gold!« erscholl und verbreitete sich gleich einem Wildfeuer über das ganze Territorium. Die Wirkung des Zauberworts war geradezu erstaunlich. Ein förmliches Goldfieber ergriff die ganze Bevölkerung. Wenige Wochen, nachdem die Kunde San Franzisko und Monterey erreichte, hatten beide Städte drei Viertel ihrer Bevölkerung eingebüßt. Sämtliche öffentliche Gebäude verödeten. Die Schiffe verloren ihre Besatzungen; die Zeitungen stellten ihr Erscheinen ein, da sowohl Beamte wie Redakteure sich der allgemeinen Wandrung nach den Goldfeldern anschlossen. Die in den Häfen liegenden Schiffe konnten nicht auslaufen, da sämtliche Matrosen desertierten. Und auch die Kirchen mußten geschlossen werden, da die Herren Prediger gleichfalls den Verlockungen des Goldteufels erlagen. Goldhungrige Personen strömten zu Tausenden herbei und überschwärmten das ganze Land. Sutters Arbeiter ließen ihn im Stich, um sich gleichfalls auf die Suche nach dem gleißenden Metall zu begeben. Seine Besitztitel auf das goldführende Land wurden nicht geachtet. Alle Prozesse, die er gegen die Eindringlinge anstrengte, welche seine Äcker durchwühlten und ihre Pferde in seine Weizenfelder trieben, blieben vergeblich. Sie machten nur die Advokaten reich, ihn selbst hingegen von Tag zu Tag ärmer. Obendrein erklärte das Obergericht seine Ansprüche auf das Land für ungültig, weil dieselben nicht in der Hauptstadt Mexiko unterzeichnet seien. Sutter mußte zusehen, wie die Bundesregierung sein eignes Land, das er unter ungeheuren Mühen kulturfähig gemacht hatte, für 1¼ Dollar pro Acker an Goldgräber verkaufte, welche die fruchtbaren Gefilde in trostlose Wüsteneien verwandelten.
Sutters Bemühungen, von der Bundesregierung Gerechtigkeit und für die erlittenen Verluste eine Entschädigung zu erlangen, blieben ohne Erfolg, obwohl er, um seine Ansprüche persönlich zu betreiben, nach dem Osten übersiedelte und während siebenzehn langer Jahre regelmäßig wie ein Uhrwerk im Kapitol erschien. Endlich, nach langem vergeblichen Harren schien Hoffnung zu winken. Ein mit dem Prüfen seiner Ansprüche beauftragter Ausschuß erkannte deren Rechtmäßigkeit an und berichtete die Entschädigungsvorlage günstig ein. Bereits hatte dieselbe glücklich das Repräsentantenhaus passiert und lag dem Senat zur Schlußabstimmung vor. Fast alle Senatoren waren zu ihren Gunsten. Da hielt unglücklicherweise ein nicht mehr ganz zurechnungsfähiger Senator es für angezeigt, die Verdienste Sutters um die Entwicklung Kaliforniens nochmals in einer längeren Rede zu beleuchten. Dabei schwatzte der Mann so lange, daß der Senat schließlich der Sache überdrüssig wurde und sich vertagte, ohne daß die Angelegenheit zur Erledigung kam. Sutter wäre zweifellos in Not und Elend gestorben, hätte nicht der Staat Kalifornien ihm im Jahre 1865 eine Pension von 3000 Dollar jährlich auf die Dauer von sieben Jahren zugesprochen, und zwar als Entschädigung für Steuern, die Sutter für solche Ländereien bezahlt hatte, die ihm von der Bundesregierung genommen worden waren. An äußeren Ehrenbezeigungen Sutters ließen kalifornische Mitbürger es nicht fehlen. Man stellte ihn als Gouverneurskandidaten auf, verlieh ihm den Titel eines Generalmajors der Milizen und ließ sein lebensgroßes Bildnis anfertigen, um damit den Saal des Staatskapitols zu Sacramento zu schmücken. Und als am 9. September 1854 die Mitglieder der Kalifornischen Pionier-Gesellschaft sich versammelten, da zollte ein Amerikaner, E. J. C. Kewen, Sutter folgenden mit ungeheurem Beifall aufgenommenen Tribut:
»Wenn im Kreislauf kommender Jahre die Federn der Geschichtsschreiber die Gründung und Besiedlung dieses westlichen Gemeinwesens darstellen, wenn sie die Tugenden, die Beschwerden, die Entbehrungen, den Mut, die Unerschrockenheit, die alles dies zustande gebracht, schildern, wenn sie den mächtigen Anstoß beschreiben, den es auf die Weiterentwicklung freier Regierungsformen und freier Grundsätze ausgeübt, und wenn sie die Annalen mit den Namen der heroischen Gründer seines Ruhmes zieren werden, dann wird kein Name mit hellerem und dauerndem Glanze leuchten, als der des unsterblichen Sutter, des erhabenen Vorbilds kalifornischer Pioniere.«
Sutter starb am 18. Juni 1888 in der Bundeshauptstadt Washington. In ihm verlor Amerika zweifellos einen seiner merkwürdigsten Männer, dessen Andenken in der Geschichte des Goldstaates Kalifornien für immer fortleben wird.
Glücklicher als Sutter war ein anderer deutscher Pionier, der Hamburger Karl Maria Weber. Er kam 1836 nach New Orleans und wanderte im Frühjahr 1841 nach Kalifornien, wo er in Sutters Dienste trat. Später erwarb er im Tal des San Joaquinflusses eignen Landbesitz, auf dem er große Viehherden züchtete. Nachdem Kalifornien den Vereinigten Staaten einverleibt war, gründete Weber die Ortschaft Stockton, die beim Ausbruch des Goldfiebers Mittelpunkt des südlichen Minendistrikts wurde und rasch emporblühte. Weber sorgte für den Bau von Kanälen und Straßen. Später schenkte er der Stadt alle von ihm geschaffenen Anlagen, außerdem sämtliche auf dem Stadtplan zu öffentlichen Plätzen vorgemerkten Grundstücke.
Mit Sutter kam auch der Westfale August Laufkötter nach dem fernen Westen. Derselbe ließ sich zuerst als Apotheker in St. Louis nieder. Als Mitglied einer von Sutter geführten Handelskarawane zog er später gleichfalls nach Santa Fé. Dann unternahm er an der Spitze einer 26 Mann starken Bande von Delawareindianern auf eigne Faust Handelszüge, die ihn durch das Gebiet der Apachen bis an die Mündung des Gila in den Colorado führten. Die Abenteuer, welche er auf diesen kühnen Reisen erlebte, die Strapazen, die er ertragen mußte, grenzen ans Unglaubliche. Von den Apachen wurde Laufkötter mehrere Wochen lang gefangen gehalten. Er entging einem grauenhaften Martertod nur durch den Nachweis, daß er kein Amerikaner, sondern ein Deutscher sei. Als das kalifornische Goldfieber ausbrach, befand Laufkötter sich unter denjenigen, die nach dem Goldlande zogen. Als hochbetagter Greis beschloß er sein Leben in der Stadt Sacramento.
Ein ebenso merkwürdiger Pionier des fernen Westens war der im Jahre 1810 zu Marienwerder geborene Hermann von Ehrenberg. Infolge seiner Beteiligung an den revolutionären Bewegungen in Deutschland nach New Orleans verschlagen, wurde er beim Ausbruch des texanischen Unabhängigkeitskriegs mit vielen anderen Deutschen Mitglied der »New Orleans Greys«, einer Kompagnie Freiwilliger, die an jenen Kämpfen lebhaften Anteil nahm.
Ehrenberg zählte auch zu jenen 600 Texanern, die im Jahre 1835 unter General Houston nach sechstägigem Gefecht 2000 Mexikaner aus San Antonio vertrieben und im Fort Alamo zur Übergabe nötigten. Während der Kämpfe des folgenden Jahres waren die in kleine Abteilungen aufgelösten Texaner weniger vom Glück begünstigt. Denn eine ihrer Abteilungen wurde am 2. März 1836 bei San Patrizio, eine andere am 20. März bei Gilead niedergemetzelt. Ehrenberg befand sich unter den wenigen, die jenem Blutbade entkamen. Er schloß sich darauf einer neuen, 700 Mann starken Abteilung an, die am 21. April bei San Jazinto der mexikanischen Übermacht eine so furchtbare Niederlage zufügten, daß die Unabhängigkeit von Texas nunmehr gesichert war.
Ehrenberg beteiligte sich später als topographischer Ingenieur an der Festlegung der Grenze zwischen Arizona und Mexiko. In Arizona gründete er die »Sonora Exploring and Mining Company« und erwarb ausgedehnte Ländereien. Um die nähere Erforschung und kartographische Aufnahme Arizonas hat Ehrenberg große Verdienste, die von der Nachwelt anerkannt wurden, indem eine am Colorado gegründete Ortschaft seinen Namen erhielt.
In die Reihe der Pioniere Kaliforniens ist auch der Deutsche Heinrich Taschemacher zu stellen, welcher als Zwanzigjähriger bereits im Jahre 1842 nach San Franzisko kam und daselbst eine sehr angesehene Stellung errang. In den Jahren 1859 bis 1861 war er Präsident des Stadtrats, und als solcher der erste Beamte der städtischen Verwaltung. Als im Jahre 1862 das Amt eines Bürgermeisters geschaffen wurde, versah Taschemacher diesen Posten noch zwei Jahre lang.
Die Reihe solcher deutscher Kulturpioniere im fernen Westen ließe sich leicht durch zahlreiche Namen vergrößern. Denn als die Kunde, daß weite Strecken Kaliforniens im wahren Sinne des Wortes als Goldfelder zu betrachten seien, die ganze Welt durchflog, da gesellten sich Tausende und aber Tausende von Deutschen und Deutschamerikanern jenen Strömen von Auswandrern zu, die entweder zu Schiffe um das sturmumtoste Kap Horn, oder von den Ufern des Mississippi und Missouri aus durch die unermeßlichen Prärieen nach dem von einer Wunderglorie umleuchteten Kalifornien zogen.
Wer sich mit der Geschichte des fernen Westens, der dort entstandenen Staats- und Gemeinwesen näher befaßt, stößt auf unzählige deutsche Namen, deren Träger sich auf allen Gebieten menschlichen Könnens und Wissens betätigten und dazu beitrugen, der neuweltlichen Kultur auch in jenen entlegenen Landen Heimstätten zu bereiten. Reicht von jenen deutschen Kulturpionieren auch keiner an die Bedeutung eines Johann Jakob Astor und Johann August Sutter heran, so verdienten aber die merkwürdigen Schicksale mancher dieser Deutschen aufgezeichnet und der Vergessenheit entrissen zu werden.
Seitdem Plato den Gedanken eines Freistaates entwickelte, in welchem nur die Gesamtheit Eigentum besitzen dürfe, und jedermann an den aus der gemeinsamen Arbeit gewonnenen Ergebnissen gleichen Anteil haben solle, hat es nicht an Versuchen gefehlt, diese Idee zu verwirklichen. Sie war der Traum zahlreicher Männer, welche beim Studium der sozialen Verhältnisse zu der Überzeugung gelangten, daß die Ansammlung des Besitzes, Grundeigentums und Kapitals in den Händen weniger, die damit in der Regel verbundene Ausbeutung der Unbemittelten widernatürliche Zustände seien; daß dagegen allgemeines Glück und Zufriedenheit nur dann möglich wären, wenn sämtliche Menschen außer gleichen Rechten auch gleiche Pflichten besäßen, alle Klassenunterschiede aufgehoben und der Besitz gemeinschaftlich seien.
In der Alten Welt führte keiner diese Versuche, solche kommunistische Gemeinschaften zu gründen, zu einem befriedigenden Ergebnis. Die Gründe dafür lagen teils in dem offenen oder versteckten Widerstand der Regierungen, die in solchen Neuerungen Gefahren für die bestehenden Verhältnisse witterten, teils in dem Umstand, daß die Verlockungen, welche von benachbarten Städten ausgingen, auf die Mitglieder der kommunistischen Niederlassungen zu groß waren.
Deshalb richteten die Gründer solcher Gemeinschaften ihre Blicke nach Amerika. Hier waren die Aussichten für ein gedeihliches Entwickeln günstiger, da die Ansiedlungen weit genug von den Städten entfernt angelegt werden konnten und die Einmischung der Regierung nicht befürchtet zu werden brauchte.
Diese von Europäern auf dem jungfräulichen Boden Amerikas gegründeten Kommunistenkolonien gehören zu den interessantesten Erscheinungen des neuweltlichen Kulturlebens. Sie erheischen um so mehr Interesse, als die wichtigsten Kolonien von deutschen Auswandrern ins Leben gerufen wurden.
Die Harmoniten.
Die berühmteste von allen deutschen Kommunistengemeinden war die Gesellschaft der Rappisten oder Harmoniten. Ihr Gründer, Johann Georg Rapp, am 1. November 1757 zu Iptingen in Württemberg geboren und von Beruf Leineweber, hatte sich den damals weitverbreiteten Pietisten angeschlossen. Als er aber unter diesen nicht die gesuchte Befriedigung fand, hielt er in Gemeinschaft mit einigen Gesinnungsgenossen in seinem Hause Versammlungen ab. Die Teilnehmer gründeten eine zum Urchristentum zurückstrebende Sekte, welche durch ihr rasches Wachstum sowie durch die Weigerung, die Pfarrer als Diener Gottes anzuerkennen, das Ärgernis der Ortsgeistlichen erregte.
Bald gerieten die Rappisten in Konflikt mit den kirchlichen und weltlichen Behörden. Den Verwarnungen folgten Strafen. Dieselben wurden schärfer, je mehr die Regierung durch übertriebene Berichte in dem Verdacht bestärkt wurde, daß die neue Sekte revolutionäre Ideen hege und bei ihrer raschen Vermehrung gefährlich werden könne.
Müde des steten Drangsaliertwerdens wanderte Rapp im Jahre 1803 mit seinem Sohne Johannes und zwei Anhängern nach der religiösen Freistätte Pennsylvanien aus. Von dort bestehenden separatistischen Gemeinden unterstützt, kaufte er bei Pittsburg 6000 Acker Land. Dorthin folgten ihm bald 700 Anhänger und gründeten eine Niederlassung, die sie nach einer in der Apostelgeschichte Kap. 4 Vers 32 zu findenden Stelle » Harmonie« tauften.
Um dem Urchristentum näherzukommen, schossen sie am 15. Februar 1805 ihr Vermögen zusammen und vereinten sich zu einer kommunistischen Gemeinschaft. Zur selben Zeit faßten sie einen Beschluß, der für den späteren Bestand der Gemeinde verhängnisvoll werden sollte. Ihren Anschauungen nach war die Ehe zwar nicht verboten, aber ein unheiliger, vom wahren Lebenszweck ablenkender Zustand. Deshalb entschlossen sich alle, im Zölibat zu leben. Auch die Verheirateten lösten freiwillig die ehelichen Bande, um fortan einander nur noch als Brüder und Schwestern zu betrachten. Rapp wurde zum geistlichen Vorstand erwählt. Ihm waren ein weltlicher Vorsteher sowie sieben Älteste beigeordnet.
Die zur höheren Ehre Gottes und zum Besten der Gesamtheit verrichtete Arbeit wurde von Obmännern vorgeschrieben. Dieselben lieferten sämtliche Erträgnisse dem Vorstand ab, welcher dagegen die einzelnen Mitglieder mit allen Bedürfnissen versorgte. Nachdem die Harmoniten den Urwald gerodet, Wohnungen, Werkstätten und Scheunen gebaut hatten, schritten sie zur Bestellung der Felder. Auf ihrer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang währenden Arbeit ruhte sichtlicher Segen. Denn wenn auch der Anfang hart und mühselig gewesen war, so begannen die auf jungfräulichem Boden angelegten Felder doch bald reiche Ernten hervorzubringen. Nachdem dadurch für die erste Zeit gesorgt war, wandten sich die Handwerker wieder ihren früheren Beschäftigungen zu. Für die Weber beschaffte man Webstühle; für die Schmiede, Schreiner und Färber geeignete Werkzeuge; für die Viehzüchter Vieh; für die Obstbauer und Winzer Fruchtbäume und Reben. Beim Ankauf dieser Dinge scheute man weder Kosten noch Mühe, um von allem das Beste und Vollkommenste zu erhalten. Aus Frankreich bezog man Mühlsteine und Jacquard-Webstühle; aus dem bergischen Lande die stählernen Werkzeuge; aus dem Rheingau und vom Kap Weinreben; aus Spanien Schafe; aus England Rinder. Alle diese Dinge bemühte man sich nun zu verbessern. Das gelang auch im Lauf der Zeit in so hohem Grade, daß die Werkstätten und Maschinen der Harmoniten das Staunen aller erregten, welche die Niederlassungen besuchten. Das Ganze war eine Musterwirtschaft, wert, als Vorbild bis ins kleinste Detail nachgeahmt zu werden. Der vorzüglichen Einrichtung der Musterwirtschaft entsprachen ihre Erzeugnisse. Nirgendwo sah man besser gehaltene, fettere Herden, nirgendwo fand man wohlschmeckenderes Obst und Feldfrüchte. Die gewebten Tuche, Leinen- und Seidenstoffe wurden wegen ihrer vorzüglichen Beschaffenheit und Haltbarkeit weitberühmt. Die Kolonie litt nur an einem Übelstand: sie lag zu entfernt von den Hauptverkehrswegen.
Als im Jahre 1815 sich eine Gelegenheit bot, die ganze Besitzung günstig zu verkaufen, griff man mit beiden Händen zu und erstand für die gelösten 100 000 Dollar einen im Staat Indiana am Wabash gelegenen 3000 Acker großen Streifen Land, wo man den Ort Neu-Harmonie baute. Hier blieb man zehn Jahre. Da das Klima aber ungesund war, beschlossen die Rappisten nach Pennsylvanien zurückzukehren. Für ihre Ortschaft fanden sie im Jahre 1824 in dem schottischen Kommunisten R. Owen einen Käufer. Mit den erlösten 200 000 Dollar schufen die Harmoniten ihre dritte und letzte Niederlassung » Ökonomie« (englisch » Economy«) in Pennsylvanien. Dieselbe lag 25 Meilen westlich von Pittsburg auf dem Nordufer des Ohio, inmitten einer Landschaft, welche mit ihren grünen Hügeln an den Rheingau erinnert.
Es währte gar nicht lange, so hatten die Kommunisten auch diese Gegend in ein kleines Paradies verwandelt. Durch Schilderungen der Prinzen Bernhard von Sachsen-Weimar und Maximilian von Wied, welche auf ihren Amerikafahrten Ökonomie in den Jahren 1826 und 1832 besuchten, ferner durch Berichte der Reisenden Franz Löher und Karl von Scherzer aus den Jahren 1847 und 1852 sind wir über die Zustände der Gemeinde während ihrer Blütezeit gut unterrichtet. Die genannten Beobachter stellen Rapp das beste Zeugnis aus und rühmen seine Schöpfung als einen der bemerkenswertesten Kolonisationserfolge.
Prinz Bernhard von Weimar beschreibt Rapp als einen großen 70jährigen Mann, dessen Kräfte durch die Last der Jahre nicht vermindert waren. Seine von starken Brauen beschatteten Augen sprühten von Feuer und Leben; die machtvolle Stimme klang ausdrucksvoll. Alles was er sagte, war durchdacht. Löher, welcher Rapp zwanzig Jahre später sah, war überrascht, den 90jährigen Mann einem Sechziger gleich mit starkem Geist, blitzenden Augen und raschen Gebärden zu finden. Seine Stimme hallte wie Metall und sein Antlitz, vom reichsten Silberglanz des Haares und Bartes umgeben, zeigte Ernst, Hoheit und Milde. Wenn er sich aufrichtete, war er wie ein Löwe und seine Rede floß wie ein tosender Waldstrom.
Über seine Gemeinde besaß Rapp wunderbaren Einfluß; alle verehrten ihn innig und sprachen von ihm stets als ihrem »lieben Vater«. Seine Anordnungen galten gleich Gesetzen und wurden ohne Widerrede befolgt.
Bei Wahl und Einteilung der Arbeit trug man den Neigungen der einzelnen Mitglieder nach Möglichkeit Rechnung. Die Frauen beschäftigten sich mit Hausarbeiten und in den Spinnereien. Die Männer trieben Landwirtschaft, überwachten die Maschinen und verrichteten die groben Arbeiten. Zu den Ernten wurden alle herangezogen.
Alle Besucher des Orts staunten, wieviel vereinte, verständig geleitete Arbeit in kurzer Zeit auszurichten vermochte. Jeder war des Lobes voll über den wohldurchdachten Plan, nach welchem nicht nur die ganze Stadt, sondern jedes Haus und Geschäft angelegt waren. »Alles griff«, so schreibt Löher, »wie ein kunstvolles Räderwerk ineinander. Die ganze Einrichtung verdiente zum Muster für künftige Anlagen bis ins kleinste gezeichnet und beschrieben zu werden.«
Bei sämtlichen Arbeiten bediente man sich der sinnreichsten, durch die Gemeindemitglieder in langen Jahren vervollkommneten Maschinen und Werkzeuge. Löher sah eine Dampfdreschmaschine, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Dieselbe reinigte nicht nur das Korn und füllte es in unter die Maschine aufgehängte Säcke, sondern sonderte auch Kurzstroh und Langstroh. Ein an der Maschine angebrachter Ventilator schützte die Arbeiter vor dem Staub. Löher beschreibt auch eine Dampfmaschine, welche Wasser vom Ohio heraufhob, welches in Dampf verwandelt, sowohl zum Heizen wie zum Betrieb der Mühlen, Webereien, Farbenreiben und manchen anderen Verrichtungen diente. Der Dampf wurde darauf wieder in Wasser verwandelt. Dieses lief mit einem kleinen Zusatz frischen Wassers in die Kessel zurück und kam, wieder in Dampf verwandelt, aufs neue zur Verwendung.
Durch stetes Nachdenken und Probieren fanden diese schwäbischen Bauern überall das Beste und Praktischste heraus. Die im Jahre 1829 aufgenommene Seidenspinnerei wurde mit solchem Geschick betrieben, daß man blumendurchwirkte Seidenstoffe in sieben Farben herzustellen vermochte. Wollweberei, Branntweinbrennerei und andere Gewerbe bildete man in gleicher Weise aus. Der Vertrieb aller überschüssigen Erzeugnisse sowie die Abwicklung der Handelsgeschäfte lagen der von Rapp eingerichteten kaufmännischen Abteilung ob.
Infolge dieser stillen emsigen Arbeit stieg der Wohlstand der Gemeinde von Jahr zu Jahr. Ihre Ansiedlung entwickelte sich zu einer wahren Musterwirtschaft.
Der Ort war nach einem wohldurchdachten Plan angelegt. Alle nach schwäbischem Stil erbauten Häuser besaßen einen mit Blumen und Obstbäumen bepflanzten Vorgarten. Neben der Haustür befand sich eine schattige Ruhebank. An der Sonnenseite der Häuser reiften an Spalieren köstliche Trauben und Früchte; hinter den Häusern befanden sich die Stallungen für das Vieh. Desgleichen die Hühnerhöfe und Taubenschläge. Alle Straßen waren breit angelegt, gepflastert und sauber. Häufig boten sie reizende Fernblicke auf den Ohio sowie die den Ort umkränzenden Berge. Und ringsum hörte man nur schwäbische Laute. Man konnte wähnen, sich in einem Städtchen am Fuß der Schwäbischen Alb zu befinden.
Die Tracht der Männer bestand in kurzen Jacken aus blauem grobem Tuch, und Zwillichhosen von derselben Farbe. Dazu kamen im Winter Filzhüte, im Sommer breitrandige Strohhüte. Die Frauen trugen die in dunklen Farben gehaltene schwäbische Bäuerinnentracht und dunkle Strohhauben.
Im Verkehr untereinander befleißigten sich alle brüderlichen Entgegenkommens. An weltlichen Dingen geringen Anteil nehmend, trugen sie stets heiteres, zufriedenes Aussehen zur Schau. Doch klärten sich ihre Gesichter auf, wenn das Gespräch auf das Jenseits und die dort zu erwartenden Seligkeiten kam. Rapp verehrten sie keineswegs als Propheten oder als ein Wesen mit übernatürlichen Gaben, sondern als schlichten Christen, der durch seinen Glauben und seine Frömmigkeit sich Gott wohlgefällig mache.
Jeden Sonntag fanden in der Kirche zwei Predigten statt, viermal wöchentlich abends erbauliche Unterhaltungen. Auch veranstaltete man gelegentlich Konzerte, wobei ein Frauenchor allerhand weltliche Lieder, meist die aus der schwäbischen Heimat mitgebrachten Volksweisen zu Gehör brachte.
Der geistigen Fortbildung dienten ein Museum und eine gut zusammengestellte Bibliothek. Eine eigene Buchdruckerei besorgte die Vervielfältigung der von Rapp und anderen gedichteten Lieder.
In ihrem freudigen Hoffen auf das himmlische Jenseits vergaßen aber die Harmoniten das Diesseits, die Forderungen des Lebens. Infolge der freiwilligen Ehelosigkeit gab es im Orte keine Kinder. Da man sich nach manchen schlimmen Erfahrungen auch gegen fremden Zuzug ablehnend verhielt, so begann es an jungem Nachwuchs zu fehlen, der die älter werdenden Mitglieder bei ihren Arbeiten hätte ablösen können. Man beachtete dies anscheinend nicht und ging neugierigen Fragen, was später mit dem Besitz werden solle, mit den Worten aus dem Wege, daß Gott zur rechten Zeit Rat schaffen werde.
In dieser Zuversicht schied am 7. August 1847 Georg Rapp, der Gründer der Kolonie aus dem Leben. Dieselbe Zuversicht beseelte auch seine Nachfolger, den milden Romelius Langenbecher († 1871) und den gelehrten Jakob Henrici († 1890). Unter diesen beiden begann die einst so blühende Gemeinde, deren weise verwaltetes Vermögen auf Millionen angewachsen war, langsam abzusterben. Nicht daß sie an Zucht und Ordnung eingebüßt hätte, sondern weil leise und unbemerkt über die Mitglieder das Alter kam. Mancher einst kräftige Arm wurde untauglich zur Arbeit; manches Auge verlor die Sehkraft. Der Tod begann die einst 800 Köpfe starke Gemeinde allmählich zu lichten und die Mitglieder abzuberufen. Infolgedessen mußte ein Gewerbe nach dem anderen aufgegeben werden. Je rascher die Mitglieder mit zunehmendem Alter vom Tod abberufen wurden, desto mehr vereinsamten die Werkstätten, Felder und Weinberge.
Wer Ökonomie während der letzten Zeit seines Bestehens besuchte, empfing den Eindruck, als wandle er durch die Straßen einer ausgestorbenen Stadt. Die Türen und Fenster der meisten Häuser waren verschlossen, weil ihre Bewohner längst zur ewigen Ruhe getragen worden waren.
Als Friedhof diente ein mit Tannen und Zypressen bepflanzter Wiesengrund, wo unter einfachen grasüberwachsenen Hügeln über achthundert Harmoniten ruhen. Georg Rapp schläft unter ihnen. Weder seine noch die Grabstätte eines anderen Gemeindemitgliedes ist mit einem Denkstein geschmückt. Wie die Lebenden keine Standesunterschiede kannten, so wollten sie auch im Tode einander gleich sein.
Das Ende der berühmten Kommunistengemeinde kam im Jahre 1903, wo dieselbe auf nur fünf Mitglieder zusammengeschmolzen war. Diese, meist hochbetagt, faßten den Beschluß, die bis dahin fortgeführte Gesellschaft aufzulösen und das nach Millionen zählende Vermögen an die Mitglieder zu verteilen. Natürlich mußten dabei der große Landbesitz sowie die in Ökonomie errichteten Gebäude veräußert werden. Die Mitglieder behielten sich nur das Eigentumsrecht an die Kirche, das Gemeindehaus und den Friedhof vor. Alles übrige wurde von Landspekulanten aufgekauft und zum Tummelplatz der rücksichtslos vorwärtsstürmenden, von Gewinnsucht, Ehrgeiz, Not und Sorge getriebenen Menschen des 20. Jahrhunderts.
Wo bisher friedliche, herzerquickende Eintracht herrschte, da prallen jetzt die beiden großen Gegensätze der Neuzeit, Kapital und Arbeit, aufeinander und regen manchen zu der Frage an, ob der frühere Zustand, der so viele mit ihrem Los zufriedene, glückliche Menschen schuf und sie der Sorge und Entbehrung entrückte, nicht auch seine Lichtseiten und Vorzüge besaß.
Die Separatistenkolonie Zoar.
Gemeinsamkeit des Besitzes bildete auch das Band der Separatistengemeinde Zoar in Ohio.
Dieselbe nahm ihren Ursprung gleichfalls in Schwaben, wo ihre Mitglieder gleich den Rappisten wegen mancher, von den damaligen allgemeinen Anschauungen abweichenden Glaubenssätze beständigen Anfeindungen seitens der Behörden ausgesetzt waren. Die wichtigsten dieser Sätze waren folgende: »Wir glauben an den dreieinigen Gott. Unsere Richtschnur ist einzig und allein die Heilige Schrift. Alle kirchlichen Zeremonien sind unnötig, weshalb wir sie unterlassen. Wir beugen uns vor Gott, erweisen aber keinem Sterblichen außergewöhnliche Ehren. Wir trennen uns von allen kirchlichen Sekten – daher der Name Separatisten – da wahres Christentum überall gleich sein sollte und die verschiedenen Sekten nur eine Folge leerer Formen sind. Unsere Ehen werden durch gegenseitige Zustimmung im Beisein von Zeugen abgeschlossen, ohne daß eine kirchliche Sanktion oder Handlung nötig ist. Doch muß die Zivilbehörde von dem Vertrag in Kenntnis gesetzt werden. Da ein Christ selbst nicht seinen Feind ermorden soll, viel weniger seine Freunde, so können wir dem Staat nicht als Soldaten dienen. Wir erachten jedoch die weltliche Regierung als durchaus notwendig, um Ordnung aufrechtzuerhalten, die guten Bürger zu beschützen und die schlechten zu strafen. Weil wir keinen Eid ablegen, bestätigen wir die Wahrheit durch ein einfaches ›Ja‹!«
Obwohl die Separatisten so dem Kaiser gaben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist, wurden sie doch derart drangsaliert, daß sie sich im Jahre 1817 unter Führung des Lehrers Joseph Michael Bäumler zur Auswanderung nach den Vereinigten Staaten entschlossen. Im Tuscarawas County des Staates Ohio gründeten sie ein Dörfchen, das sie Zoar nannten, weil es ein Zufluchtsort gegen die Sünden der Welt sein sollte, wie es der gleichnamige Ort für Lot und seine Familie nach dem Untergang Sodoms gewesen war.
Ursprünglich war die Gemeinde keine kommunistische. Die Anregung zu gemeinschaftlichem Wirken kam erst, als es manchen armen Mitgliedern nicht möglich war, die Kaufsumme für ihre Grundstücke zur festgesetzten Zeit zu bezahlen.
Es war am 15. April 1819, als 53 Männer und 104 Frauen den ersten, später in manchen Punkten abgeänderten Gesellschaftsvertrag unterzeichneten. In seinen Grundzügen wich derselbe von dem der Rappisten nicht wesentlich ab. Wie dort Georg Rapp, so nahm hier Bäumler die verantwortliche Stelle als Vorsteher der Gemeinde ein. Dieselbe erhielt in den Jahren 1831 bis 1841 Zuzug aus der Heimat, wodurch die Kopfzahl sich auf 500 steigerte. Der Gemeinde konnte beitreten, wer sich verpflichtete, ein Prüfungsjahr in ihr zuzubringen, während dessen er für das Allgemeinwohl arbeiten mußte, dagegen aber auch mit allem Nötigen versehen wurde. War er nach Ablauf des Probejahres gesonnen, zu bleiben, so mußte er sein Privateigentum aufgeben.
Gleich den Rappisten brachten es auch die Mitglieder dieser Gemeinde durch unermüdlichen Fleiß zu großem Wohlstand. Zur Zeit ihres Glanzes besaß sie 7500 Acker fruchtbaren Landes, vortreffliche Viehherden, ansehnliches Barvermögen und unbegrenzten Kredit. Man unterhielt Mühlen, Schmelzhütten, eine Gerberei, Ziegelbäckerei, Sägemühle und dergleichen mehr.
Solange Bäumler lebte, herrschte schönste Ordnung. Er war der leitende Geist, der für alle dachte und die ganze Masse mit sich zog. Als aber nach vierzigjähriger Arbeit seine Kraft erlahmte und er am 27. August 1853 aus dem Leben schied, fand sich kein gleichwertiger Nachfolger. Die Gemeinde war hilflos wie eine Herde, die ihren Hirten verloren.
Auf die Blütezeit folgte eine Periode des Stillstandes. Dann kam eine Zeit, wo durch den Bau einer Eisenbahn Zoar Verbindung mit benachbarten, weltlich gesinnten Ortschaften erhielt. Zahlreiche Fremde erschienen, um das Wunderdorf zu besichtigen. Das ehemalige Wohnhaus Bäumlers wurde in ein Hotel verwandelt. Dadurch traten die bisher in Abgeschiedenheit lebenden Separatisten in Berührung mit andersdenkenden Menschen und stellten Vergleiche an. Es lockerten sich die Bande. Besonders das junge Volk bekundete Neigung, sich auf eigene Füße zu stellen und beantragte Auflösung der Gemeinde und Verteilung des Vermögens. Ein solcher Beschluß wurde unter Beihilfe schlauer Advokaten am 10. März 1898 wirklich gefaßt und von 136 Mitgliedern unterzeichnet. Bei der Verteilung empfing jedes Mitglied Eigentum im Wert von 12 000 Dollar.
Die Amaniten.
Eine gleichfalls auf religiöser Grundlage beruhende deutsche Kommunistenkolonie ist Amana im Staate Iowa. Ihre Mitglieder nennen sich die » Wahren Inspirierten«. Im wesentlichen stimmt ihre Lehre mit derjenigen der evangelischen Kirche überein. Nur bestreiten sie die Notwendigkeit der Kirche selbst, des berufsmäßigen Priestertums, des Abendmahls und der Taufe. Sie betrachten sich als Streiter Christi, welche durch ein Leben voller Entsagungen und Verleugnungen das Jenseits gewinnen wollen. Als Stifter verehrt die Sekte die beiden Männer J. F. Rock und E. L. Gruber, welche im Jahre 1714 in Hessen auftraten. Sie lehrten, daß Gott, wie vor alters, so auch heute noch Werkzeuge zur Verkündigung seines Willens erlese und mit seinem Geist erfülle. Da sie im Gegensatz zu der im Buchstabendienst und Formelwesen erstarrten Orthodoxie der damaligen Zeit einem werktätigen Christentum voll Herzensfrömmigkeit und aufrichtiger Nächstenliebe das Wort redeten, so fanden sie bald Anhänger in Deutschland, der Schweiz und Holland. Aber die Kühnheit, mit welcher die Inspirierten gegen die Mißbräuche in Kirche und Gesellschaft auftraten, zog ihnen so hartnäckige Verfolgungen zu, daß die Gemeinden im Jahre 1843 nach Amerika übersiedelten und in der Nähe der Stadt Buffalo im Staat New York die Kolonie Ebenezer gründeten.
Bereits in der Mitte der fünfziger Jahre wurde diese zu klein. Da Land nur noch zu unerschwinglich hohen Preisen zu haben war, außerdem die nahe Stadt mit ihren Vergnügungen die jüngeren Leute zu sehr anlockte, so verlegten die Inspirierten ihre Niederlassungen nach dem fernen Iowa. Dort schufen sie am Iowafluß den Ort Amana, dessen Namen sie dem im 4. Kapitel des Hohenliedes Salomonis enthaltenen Vers entlehnten: »Gehe herein, tritt von der Höhe Amana.«
Durch Zuzug neuer Mitglieder wuchs die Sekte allmählich auf 1800 Seelen an, die sich auf die sieben eng benachbarten Dörfer Amana, West-, Süd-, Ost-, Mittel- und Hoch-Amana und Heimstadt (Homestead) verteilen. Ihr Besitz umfaßt 26 000 Acker guten Prärielandes, von dem 10 000 Acker bewaldet sind.
Die beiden Hauptleiter der Gemeinde waren während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Christian Metz und Barbara Heinemann Landmann. Alle weltlichen Angelegenheiten werden von 13, jährlich neu zu wählenden Vertrauensmännern geleitet, die wieder einen Präsidenten erküren. Jedes Dorf verwaltet sich selbst und legt der Gesamtgemeinde einmal jährlich Rechnung ab.
Die Ehe halten sie nicht für verboten, betrachten sie aber als etwas Unheiliges, was vom wahren Lebenszweck ablenke. Deshalb werden jungverheiratete Eheleute in die unterste der drei Mitgliederklassen, in die der Kinder und weltlich Gesinnten zurückversetzt. Es bedarf dann eines zweijährigen reinen Lebenswandels, bis die Ehegatten sich wieder in eine der beiden höheren Klassen, die geistlich Gesinnten und Ältesten emporarbeiten können. Da die Sekte der Amaniten demnach durch Geburten vor dem Aussterben bewahrt ist, so mag ihr vielleicht ein längeres Bestehen beschieden sein. Jede Familie bewohnt ihr eignes, von einem Garten umgebenes Wohnhaus. Die Mahlzeiten werden aber gemeinschaftlich in besonderen Speisehäusern eingenommen, wobei Männer und Frauen getrennt sitzen. Alle zum Leben erforderlichen Dinge sucht man in der Gemeinde herzustellen. Außer landwirtschaftlichen Erzeugnissen bringen die Amaniten viel Wolle auf den Markt. Ihre Tuche und gedruckten Kattune sind weithin berühmt. Durch Anlage großer Kattun- und Tuchfabriken, Mehl- und Sägemühlen, Maschinenwerkstätten, Gerbereien, Seifen- und Stärkefabriken erwiesen sich die Amaniten auch als Pioniere der Industrie. Da sie in ihren Betrieben nur das beste Material verwenden und gründliche technische Kenntnisse mit größter Sorgfalt verbinden, so erfreuen sich alle in Amana hergestellten Erzeugnisse eines vorzüglichen Rufes. Das ganze Besitztum ist nicht nur schuldenfrei, sondern man erzielte auch bedeutende Ersparnisse, die in verschiedener Weise nutzbringend angelegt sind.
Die Bauart und Einrichtung der Häuser sind echt deutsch. Desgleichen die Umgangssprache, in welcher auch der Unterricht in den Schulen geführt wird. Dabei wird die Pflege des Englischen keineswegs vernachlässigt. Besonders Befähigte erhalten die Erlaubnis, anderswo höhere Schulen zu besuchen. Sie finden später als Lehrkräfte in den Schulen Verwendung, deren Gesamtunterricht ganz dem Geist der Gemeinde und der Lehre der Inspirierten angepaßt ist.
Indem man den Forderungen der Zeit in gewissem Sinne Rechnung trug, die Verwaltung auch nicht ganz auf demokratischer Grundlage einrichtete, sondern den Begabten größeren Spielraum zur Betätigung ihrer Individualität ließ, befestigte man den Bestand der Gemeinden.
Erst seitdem in neuerer Zeit das Dorf Heimstadt Eisenbahnstation wurde, zeigen sich beim jüngeren Element ähnliche Neigungen, wie sie zur Auflösung der Separatistengemeinde Zoar führten.
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Bethel und Aurora sind die Namen zweier kommunistischer Gemeinden, die von dem in Preußen geborenen Mystiker Keil gegründet wurden. Bethel entstand im Jahre 1844 und liegt im Shelby County des Staates Missouri. Einen Teil dieser Gemeinde führte Keil im Jahre 1855 nach dem fernen Oregon und gründete in dem schönen Tal des Willamette, 29 Meilen südlich von Portland den Ort Aurora. Die Bevölkerung beider Gemeinden bestand aus eingewanderten Deutschen und aus Deutsch-Pennsylvaniern. Aber bald nach Keils Tode löste sich die Kolonie Aurora auf, wobei die Mitglieder das erworbene Vermögen unter sich verteilten.
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Wie aus den obigen Darstellungen ersichtlich ist, bildete bei allen in Amerika gegründeten deutschen Kommunistenkolonien die Gemeinsamkeit der religiösen Anschauungen ein starkes Band, das die Mitglieder zusammenhielt. Es scheint fast, als ob ohne dieses Bindemittel eine kommunistische Vereinigung auf die Dauer kaum möglich wäre. Wenigstens gingen alle diejenigen Vereinigungen, auch die nichtdeutschen, denen dieses religiöse Band fehlte, bald zugrunde. Daneben hängt, wie die Geschichte aller kommunistischen Niederlassungen lehrt, ihre Existenz wesentlich von dem Vorhandensein einzelner starker Leiter ab, deren Willen die Gesamtheit sich unterordnet. Solche führenden Geister waren Beissel, Rapp, Bäumler, Metz und Keil. Ihr Wille konnte, wie derjenige Brigham Youngs bei den Mormonen, um so bestimmter zur Geltung kommen, als ihre Gefolgschaft aus Menschen von verhältnismäßig geringer Bildung bestand, die fleißig und lenksam waren und in ihren Führern höher begabte, prophetische Wesen erblickten. Fanden sich nach deren Tod keine geeigneten Ersatzmänner, so trat, wie die Beispiele Ephrata, Zoar, Bethel und Aurora zeigen, langsam aber unaufhaltsam die Auflösung ein.
Wie die von Anglo-Amerikanern gegründeten kommunistischen Gemeinden, so blieben auch die von Deutschen in den Vereinigten Staaten gestifteten nicht ohne Einfluß auf das amerikanische Kulturleben. Der unermüdliche Fleiß der Mitglieder, ihre Genügsamkeit, ihr stetes Streben nach Verbesserungen konnten jedermann zum Vorbild dienen. Die musterhaften landwirtschaftlichen und industriellen Einrichtungen wirkten ungemein anregend auf die benachbarte Bevölkerung. Nicht minder trug die in Harmonie, Ökonomie, Zoar, Ebenezer und Amana geübte Fürsorge für Kranke, Arbeitsunfähige und Altersschwache viel dazu bei, auch im Amerikanertum jenes Gefühl der Barmherzigkeit und Wohltätigkeit zu erwecken, das sich während des letzten halben Jahrhunderts in so vielen großartigen philanthropischen Stiftungen betätigte.
Und so sind auch die deutschen Kommunistengemeinden, obwohl sie in geistiger Hinsicht ein veraltetes Bauernleben mit religiös-kommunistischem Untergrund repräsentierten, nicht ohne günstigen Einfluß auf die neuweltliche Kultur geblieben.
Die großen Erfolge, welche von ihren nach den Vereinigten Staaten übersiedelten Landsleuten allerorten errungen wurden, veranlaßten manche hochherzige Deutsche, sich kühnfliegenden Hoffnungen und Plänen betreffs der zukünftigen Stellung des Deutschtums in Amerika hinzugeben. Es war ihnen nicht entgangen, daß der größte Teil ihrer dorthin ausgewanderten Landsleute mit der Zeit die Sitten und Sprache der Anglo-Amerikaner annahm. Dies war besonders dort der Fall, wo die Deutschen beständig starken Berührungen mit den Anglo-Amerikanern ausgesetzt waren, wie beispielsweise im Mohawktal, dessen ursprünglich rein deutsche Niederlassungen im Laufe weniger Generationen ihr Gepräge verloren, als die Anglo-Amerikaner nach Beendigung des Befreiungskrieges massenhaft in das Tal einströmten. Diese auch an anderen Orten gemachten Wahrnehmungen regten bei vielen Deutschen und Deutsch-Amerikanern die Frage an, ob es nicht möglich sei, den Fortbestand deutscher Sprache und Sitte in Amerika zu sichern, indem man den bisher ungeregelten, über fast alle Staaten sich ergießenden Strom der deutschen Auswanderung nach bestimmten Gegenden lenke, wo er dem Einfluß des Anglo-Amerikaners weniger stark ausgesetzt sei.
In Deutschland waren es besonders der fortschrittliche Pfarrer Friedrich Münch und der Gießener Rechtsanwalt Paul Follenius, welche den Plan, deutschem Volksleben auf dem Boden der Neuen Welt eine bleibende Heimstätte zu schaffen, mit Wärme verfochten und zuerst auf seine Verwirklichung ausgingen. Gleichfalls durch die von Gottfried Duden geschriebenen Schilderungen mächtig beeinflußt, riefen sie im Jahre 1833 die » Gießener Auswandrungsgesellschaft« ins Leben, der zahlreiche vermögende und wissenschaftlich gebildete Leute beitraten. Viele derselben entschlossen sich, das von Duden so verlockend geschilderte Missouri zum Schauplatz ihrer Kolonisationspläne zu machen. An der Spitze von mehreren hundert deutschen Familien segelte Friedrich Münch im Frühling 1834 mit zwei Schiffen von Bremen ab, um in Missouri einen deutschen Staat aufzurichten. Derselbe sollte zwar ein Glied der Union bilden, jedoch eine Staatsform besitzen, welche den Fortbestand deutscher Sprache und Sitten verbürge und echtes, freies, volkstümliches Leben schaffe. Man nahm eine Glocke für die erste zu bauende Stadt mit, desgleichen ein kostbares Fernrohr für die erste zu gründende Hochschule. Die rauhe Wirklichkeit machte aber diese romantischen Träume von einem Jungdeutschland zunichte. Sie scheiterten an dem unpraktischen Sinn der Führer des Zuges, sowie an der Unfähigkeit der einzelnen Teilnehmer, die ungewohnten, mit dem Urbarmachen des wilden Bodens verbundenen Beschwerden und Entbehrungen zu ertragen. Auch verloren die Teilnehmer bald ihren Zusammenhalt. Es schien in der amerikanischen Luft etwas zu liegen, was jeden, der sie einatmete, sofort selbständig und unabhängig machte.
Münch und Follenius, beide mit eisernem Willen begabt, ruhten nicht, bis sie in Missouri angekommen waren. Dort ließen sie sich nieder und zwangen der Wildnis durch rastlose Tätigkeit ertragreiche Felder, blühende Obsthaine und Weinberge ab. Münch benutzte seine Mußestunden zum Abfassen zahlreicher Schriften über Religion, Sittenlehre, Land- und Weinbau, von denen manche große Verbreitung fanden. Später beschritt er auch das politische Gebiet und beteiligte sich als Redner wie Verfasser mehrerer Flugschriften an der Bildung der republikanischen Partei, mit der er beim Ausbruch des Sezessionskriegs den Staat Missouri für die Union erhalten half.
Was der Gießener Auswandrungsgesellschaft nicht gelang, vermochten auch mehrere deutschamerikanische Gesellschaften nicht durchzuführen. In Philadelphia bildete sich im Sommer 1836 eine auf Anteilscheinen begründete deutsche Ansiedlungsgesellschaft, die im Gasconade-Bezirk des Staates Missouri 12 000 Acker Land kaufte und im Jahre 1838 den Grund zu der noch jetzt vorwiegend von Deutschen bewohnten und wegen ihres Weinbaus bekannt gewordenen Stadt Hermann legte.
Eine größere Ausdehnung vermochte die Gesellschaft ihren deutschen Kolonisationsplänen aber ebensowenig zu geben, wie die New Yorker Gesellschaft » Germania«, die im Jahre 1839 ins Leben trat. Den Gründern schwebte gleichfalls der Plan eines völlig deutschen Staates in Nordamerika vor, doch waren die Meinungen darüber, wie und wo er verwirklicht werden könne, sehr geteilt. Die einen schlugen vor, der Staat müsse zwischen dem oberen Mississippi und den großen Seen, also im heutigen Wisconsin, gelegen sein. Andere bevorzugten Texas oder das fern am Stillen Ozean gelegene Oregon. Einige meinten, der deutsche Staat müsse zur Union gehören, die andern wollten seine völlige Unabhängigkeit gewahrt wissen. Da die größere Zahl der Mitglieder wohl fühlen mochte, daß der Plan, inmitten des angloamerikanischen Staatenbundes einen rein deutschen Staat aufzurichten, den Widerstand der Amerikaner wachrufen müsse, so einigte man sich endlich dahin, Texas zum Versuchsfelde zu machen.
Texas, ursprünglich zu Mexiko gehörend, war im Jahre 1837 aus dem mexikanischen Staatenverband ausgeschieden und bildete eine völlig unabhängige Republik. Unter ihren Bewohnern befanden sich bereits mehrere tausend Deutsche. Sie hatten an den texanischen Unabhängigkeitskämpfen so lebhaften Anteil genommen, daß der Kongreß der jungen Republik ihnen zum Dank einen Freibrief für die Gründung einer deutschen Universität – die Hermanns-Universität – gewährte und dieselbe mit einer Schenkung von 4428 Acker Staatsländereien dotierte. In der Grafschaft Austin hatten die Deutschen im Jahre 1840 das erste deutsche Städtchen gegründet und demselben den bezeichnenden Namen Industrie verliehen.
Nach diesem vielversprechenden Lande segelte am 2. November 1839 die erste, von der New Yorker Gesellschaft »Germania« zusammengebrachte Abteilung von 130 Ansiedlern auf der von der Gesellschaft erworbenen Brigg »North«. Sie landete wohlbehalten in Galveston, löste sich aber bereits in Houston auf, worauf der Führer und diejenigen Mitglieder der Expedition, die noch Geld besaßen, mißvergnügt nach New York zurückkehrten.
Der an und für sich nicht üble Plan, Texas in einen unabhängigen deutschen Staat umzuwandeln, wurde bald darauf von mehreren deutschen Fürsten aufgegriffen, die gleichfalls von dem Wunsche beseelt waren, die deutsche Auswandrung auf einen Punkt zu lenken, wo ihre Nutzbarkeit für das Mutterland auf längere Zeit gesichert bleibe. Es bildete sich unter dem Vorsitz des Herzogs von Nassau der » Mainzer Adelsverein«, dem die Herzöge von Meiningen und Koburg-Gotha, der Prinz Friedrich von Preußen, der Landgraf von Hessen-Homburg, die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, Solms-Braunfels, Neuwied, Coloredo-Mansfeld sowie verschiedene andere Grafen und Prinzen angehörten. Sie planten, so viele deutsche Auswandrer nach Texas zu werfen, daß die Deutschen im Laufe der Zeit das Übergewicht erlangen und die Geschicke des Freistaats bestimmen könnten. Im Mai 1842 gingen die Grafen Joseph von Boos-Waldeck und Viktor von Leiningen nach Texas ab, um Ländereien für die zu gründenden Niederlassungen auszusuchen. Sie fielen aber Schwindlern in die Hände, die ihnen neben gutem Land auch viel schlechtes aufhingen. Im Mai 1844 reiste Prinz Karl von Solms-Braunfels als Generalbevollmächtigter des Adelsvereins nach Texas ab; ihm folgten bald 150 deutsche Familien, die im Dezember in Lavacca, dem heutigen Indianola, landeten und nordöstlich von der Stadt San Antonio die Niederlassung Neu-Braunfels gründeten. Anfangs ging hier alles gut; nach und nach stellten sich aber Schwierigkeiten ein, besonders als die Geldmittel des Adelsvereins sparsamer zu fließen begannen. Die Übelstände wuchsen, als der Prinz abdankte und nach Europa zurückkehrte. Der an seine Stelle tretende Regierungsassessor Freiherr von Meusebach, der nördlich von Neu-Braunfels die Niederlassung Friedrichsburg gründete, vermochte trotz größter Sparsamkeit die finanziellen Schwierigkeiten nicht zu heben. Sie steigerten sich ins Ungeheuerliche, als der Adelsverein im Jahre 1846 die Unklugheit beging, den beiden Niederlassungen 2500 neue Auswandrer, aber kein Geld zuzusenden. Als die Auswandrer in Lavacca ankamen, fanden sie an dem öden Strande weder Unterkommen noch Nahrung. Ebensowenig Beförderungsmittel, um die über 200 Meilen weite Reise nach Neu-Braunfels ausführen zu können. Es brach eine so furchtbare Not unter den Unglücklichen aus, daß Hunderte an Entbehrungen, Fiebern und Seuchen zugrunde gingen. Die meisten machten sich endlich zu Fuß zur Wandrung nach Neu-Braunfels auf. Der lange Marsch durch wüste Gegenden unter halbtropischer Sonnenglut war für viele ein Todesmarsch. Kaum 1200 Personen erreichten den Bestimmungsort. Dort wuchsen die Verlegenheiten von Tag zu Tag, denn bald sahen sich die deutschen Kolonisten völlig auf sich selbst angewiesen, als der Adelsverein teils aus Mangel an Geldmitteln, teils infolge der in Deutschland immer stärker hervortretenden Revolutionsbewegungen sich auflöste. Überdies war der Freistaat Texas am 29. Dezember 1845 dem Nordamerikanischen Staatenbund beigetreten, womit die Möglichkeit, Texas in einen unabhängigen Staat unter deutscher Schutzherrschaft umzuwandeln, als gescheitert betrachtet werden mußte. Die beiden Niederlassungen Neu-Braunfels und Friedrichsburg entwickelten sich langsam; durch Fleiß und Ausdauer gelang es den dort wohnenden Deutschen, ihre Lage allmählich zu verbessern. Als man im Mai 1895 das 50jährige Bestehen von Neu-Braunfels feierte, konnten die 1800 deutschen Bewohner des Orts diese Feier unter den befriedigendsten Verhältnissen begehen, ein Beweis dafür, daß sie durch Ausdauer und Fleiß die zahllosen Schwierigkeiten, die ihnen entgegenstanden, glücklich überwunden hatten.
Heute bildet das deutsche Gebiet die Perle von Texas. Seine lachenden Auen, wohlgepflegten Farmen, freundlichen Häuser, guten Straßen und frohsinnige Bevölkerung sind ehrende Denkmäler für die Bestrebungen des Mainzer Adelsvereins.
Der Plan, innerhalb der amerikanischen Union einen deutschen Staat zu gründen, wurde auch später noch von den sogenannten »Achtundvierzigern« besprochen, wobei man nacheinander auch Arkansas, Florida, Michigan, Wisconsin, Minnesota und Oregon als geeignete Staaten in Vorschlag brachte. Aber je öfter und eingehender man sich mit solchen Plänen beschäftigte, desto mehr gelangte man zu der Erkenntnis, daß dieselben Utopien seien, deren Verwirklichung weder im Interesse der Deutschen selbst noch im Interesse der Vereinigten Staaten liege.