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Neunzehntes Kapitel

Vier Wochen waren vergangen, und Shirani zeigte sich außerordentlich belebt und lustig. Man gab Diners und Bälle, veranstaltete theatralische Aufführungen und Picknicks, und bald hatte sich die Gesellschaft, nur der gegenseitigen Neigung oder Abneigung folgend, zu einzelnen Gruppen vereinigt. Während eines kurzen Sommeraufenthaltes fehlt es an Zeit zu langen Prüfungen und Einleitungen, und außerdem wechselt die Gesellschaft der englischen Stationen in Indien so rasch, und man hat infolgedessen so viele gemeinschaftliche Freunde, daß sich die Leute dort in sechs Monaten ebensogut kennen lernen, wie in England in sechs Jahren. Man erfreute sich dies Jahr in Shirani eines musikalischen und theatralischen Kreises, zu dem Toby Joy und Lalla Paske als erste Sterne gehörten, eines geistreichen, gewählten Kreises, an dessen Spitze Ida Langrishe stand, dessen Mitglieder sich durch die neuesten, tadellosesten Toiletten hervorthaten, miteinander und untereinander Thee tranken, zu Mittag speisten, Londoner Klatsch breittraten und den lieben Nächsten sehr von oben herab beurteilten. Dann war da der Kreis der »Lebemänner«, die im Klub hohes Spiel spielten, sich mit Hilfe des Telegraphen bei den Rennen in England durch Wetten beteiligten, die Nächte durchschwärmten und gelegentlich »durchbrannten«, ohne ihre Klubrechnung zu begleichen.

Ja, sogar »Mutter Brande« hatte, und zwar zum erstenmal im Leben, ihren kleinen Kreis und fühlte sich als stolze, glückliche Frau.

»Es ist doch etwas ganz andres, wenn man ein junges Mädchen im Hause hat,« sagte sie täglich wenigstens zweimal zu Pel, und Pel hatte darauf merkwürdigerweise keine spöttische Antwort. In der That hatte Honor in Rookwood, so hieß die Brandesche Villa, große Veränderungen hervorgerufen. Sie hatte es bei ihrer Tante durchgesetzt, daß die schreiend grünen Möbel des Empfangszimmers mit hübschem Creton bezogen wurden, hatte den großen runden Tisch mit Büchern belegt, schmückte das Zimmer täglich mit frischen Blumen und Büscheln von Ziergras und grünem Laubwerk und hatte es dahin gebracht, daß der Thee auf der Veranda eingenommen wurde.

Außerdem spielte Honor vorzüglich Tennis. Ihr Onkel veranstaltete, anstatt in den Klub zu gehen, jetzt Tennispartieen in seinem eigenen Hause, und diese Nachmittage genossen bald einen Ruf. Man fand da einen ausgezeichneten Spielplatz, gute Spieler und vorzügliche Erfrischungen. Mutter Brandes Erdbeeren und ihre Schlagsahne waren berühmt, und es währte nicht lange, so rissen sich die Leute um eine Einladung zu den »Dienstagen« und »Sonnabenden« in Rookwood. Außer dem Hausherrn und seiner Nichte waren gewöhnlich Sir Gloster, Frau Sladen, der Geistliche und seine Frau, sowie der »junge Jervis« anwesend und bildeten die Stammgäste. Man veranstaltete förmliche Turniere, setzte Preise aus, und in alledem war eine solche Frische, ein solcher »Zug«, daß die Leute sich Mühe gaben und allerlei Künste anwendeten, um eine Einladung zu »Mutter Brandes Nachmittagen«, die sie früher mißachtet hatten, zu erhaschen.

Hauptmann Waring fing inzwischen an, sich in Shirani zu langweilen, obwohl er viele alte Bekannte getroffen hatte, wöchentlich dreimal Gelegenheit zu einer Polopartie fand, sechsmal bis zum frühen Morgen Whist spielte, doppelt soviel Einladungen empfing, als jeder andre unverheiratete Mann, und noch einmal so beliebt war, als sein Cousin, der zu einem ganz andern Kreise gehörte.

Die beiden Reisegefährten wohnten in Haddon Hall, sahen aber, obgleich sie unter demselben Dache lebten, wenig voneinander. Waring hatte die besten Zimmer inne und hielt sich eine ganze Schar reich gekleideter Diener, während Jervis sich mit zwei kleinen Zimmern und einem einzigen graubärtigen, zwar sehr anständig, aber bescheiden aussehenden Aufwärter, Namens Jan Mahomed, begnügte. Jervis verbrachte den größten Teil seiner Zeit auf weiten Spaziergängen oder Ritten, ging mit einigen jungen Offizieren auf die Jagd, skizzierte hin und wieder ein wenig nach der Natur, speiste wenigstens dreimal wöchentlich in Rookwood und brachte alle Sonntage dort zu, wo er von Ben sehr gut aufgenommen und als »Onkel« adoptiert worden war. Nichts hätte ein beredteres Zeugnis für die hohe Gunst geben können, in welcher der junge Mann bei dem Herrn und der Herrin des Hauses stand; denn wenn er Bens Onkel war, so mußten sie ihn selbstverständlich als adoptierten Sohn betrachten.

Tage vergingen oft, ohne daß sich die beiden Hausgenossen anders als auf dem Poloplatze begegneten; denn Mark, der früh zu Bett ging, war ein Frühaufsteher und hatte sich nicht selten schon erhoben und angekleidet, ehe Clarence sich zur Ruhe begab.

Eines Nachmittags aber fand der heimkehrende Mark seinen Reisegefährten, der sonst um diese Zeit am Spieltische saß, in der Veranda, offenbar seiner wartend.

»Hallo, Jervis! Was sind Sie für ein lustiger Vogel. Immer unterwegs, niemals daheim!«

»Ganz wie Sie,« entgegnete Mark lachend.

»Na, ich möchte einige Worte mit Ihnen sprechen, alter Junge, und sitze hier, um Ihnen zu sagen, daß ich Shirani gründlich satt habe. Wir sind jetzt beinahe sechs Wochen in diesem langweiligen Neste, und ich wollte Ihnen den Vorschlag machen, unsern Stab weiterzusetzen.«

»Und wohin?« fragte der andre.

»Nach Simla. Der Klub hier ist nachgerade zur ganz gemeinen Spielhölle geworden, und der Poloplatz ist so verlottert, daß man schwerlich seinesgleichen findet. Mein bester Pony lahmt schon; ich glaube fast, der kleine Halunke Byng hat mich damit angeschmiert. Außerdem reist die kleine Potter, das junge Mädchen mit den schwarzen Augen und den zwölfhundert Pfund jährlichen Einkommens, in diesen Tagen ab.«

»Auch nach Simla?«

»Ja! Sie hat zwar keine Lust, fortzugehen, aber die Athertons, mit denen sie hier ist, reisen ab, und natürlich muß sie mit. Das kleine Ding ist in mich verschossen, sie glaubt an mich.«

»Glaubt daran, daß Sie der Millionär sind, für den Sie hier allgemein gehalten werden?«

»Wie ungraziös Sie das ausdrücken: Na, ja, es würde mich nicht wundern, wenn sie der Meinung wäre.«

»Wenn das der Fall ist, dann würde es wohl am besten sein, die junge Dame sobald als möglich über den Irrtum aufzuklären.«

»Aber warum das, mein edler junger Freund?«

»Weil es mir vorkommt, als hätten wir die kleine Komödie lange genug gespielt.«

»Dann könnten wir ja, um die Wahrheit zu Ehren zu bringen, eine aufklärende Bekanntmachung in die Zeitungen einrücken lassen,« versetzte Clarence mit schneidendem Spott.

»Wenn auch das nicht; aber Sie wissen, daß ich, als wir unsere Rollen vertauschten, keinen wirklichen Betrug beabsichtigte und keine Ahnung hatte, wohin und wie weit der Spaß uns führen würde, muß jetzt aber gestehen, daß ich oft in Versuchung komme, mich zu verraten. Daraus, daß die Leute mich für einen unbedeutenden jungen Esel halten, mache ich mir nichts; aber wenn sie zum Beispiel von den Schrecken und der Last der Armut sprechen und, sobald ich hinzutrete, rücksichtsvoll verstummen, wenn sie es vermeiden, mich zu Beiträgen für wohlthätige Zwecke oder gemeinschaftliche Vergnügungen aufzufordern, so ist mir das keineswegs angenehm. Ich gebe mich für etwas aus, was ich nicht bin, und wenn wir uns nicht in acht nehmen, kann es eines Tages eine häßliche Explosion geben.«

»Die aber doch Ihnen nicht zum Schaden gereichen könnte! Sie glauben doch nicht, daß irgend jemand Sie geringer schätzen würde, wenn Sie sich als reicher Mann entpuppten?«

Marks Gedanken flogen zu Honor Gordon hinüber, und er gab keine Antwort.

»Wir sind zu weit gegangen, um umkehren zu können; wenigstens können wir's nicht in Shirani,« fuhr Waring eindringlich fort. »Lassen Sie uns deshalb die Anker lichten, nach Simla übersiedeln und uns so einrichten, daß die Wahrheit nach einiger Zeit ohne Schaden ans Licht kommt.«

»Ich bin außer mir, daß ich mich jemals auf diese Täuschung eingelassen habe!« rief Mark, sprang auf und fing an, in der Veranda hin und her zu laufen. »Ich habe zwar nie geradezu gelogen, und kein Mensch hat mich je im Verdacht gehabt, denn ich sehe weder aus wie ein reicher Mann, noch habe ich die Liebhabereien und Gewohnheiten eines solchen, während Ihnen,« hier blieb er vor Clarence stehen, »das eine wie das andre gegeben ist.«

»Ja, wer kann dafür!« rief Waring pathetisch. »Wie die Dinge liegen, müssen wir's uns genug sein lassen, daß die Sache mir angenehme Tage verschafft, Ihnen aber eine Menge Unbequemlichkeiten und Hudeleien erspart hat. Ohne unsre Kriegslist hätte die junge Dame in der schottischen Weste Sie schon vor Monaten geheiratet.«

»Gewiß nicht, die gewiß nicht!« gab der andre voll Entrüstung zur Antwort. »Ich bin gar nicht so leichten Kaufs zu haben!«

»Freut mich zu hören, bin froh, daß Sie sich der guten Lehren erinnern, die Ihnen Onkel Dan mit auf den Weg gab. Ich fing schon an, zu fürchten, sie möchten Ihrem Gedächtnisse entschlüpfen. Aber in der Erinnerung daran dürfte es wohl für alle Teile am besten sein, Shirani sobald als möglich den Rücken zu kehren.«

»Ich gehe nicht von der Stelle,« versetzte Jervis in entschlossenem Tone. »Sie wissen auch, warum.«

Waring blies einen Mund voll Rauch in die Luft und brummte dann: »Natürlich, die kleine Gordon ...«

»Nein, um meines Vaters willen!« entgegnete der junge Mann errötend. »Sie wissen, er lebt keine Tagereise von hier, und gerade deshalb bestand ich darauf, nach Shirani zu gehen.«

»Und gerade deshalb bestehen Sie darauf, hier zu bleiben. Ich verstehe!«

»Ich habe ihm geschrieben, ich würde bis zum Oktober hierbleiben und hoffte, ihn bis dahin besuchen zu dürfen,« fuhr Mark, ohne die spöttische Bemerkung Warings zu beachten, fort.

»Er wird Ihnen nicht antworten,« erwiderte dieser, indem er eine Dampfwolke durch die Nase blies.

»Das wird die Zeit lehren. Ich hoffe --«

»Aber die Zeit steht für keinen Menschen still!« fiel der andre ein. »Die Athertons und ihre Schutzbefohlenen reisen in zehn Tagen ab, und ich werde sie begleiten. Nichts ist, wie Sie ja aus eigener Erfahrung wissen, dem vertraulichen Verhältnis zu jungen Damen so förderlich, wie eine gemeinschaftliche Reise. Seien Sie mir nicht böse. Ich bin nicht Erbe eines Millionärs und muß meine eigenen Interessen im Auge behalten. Wollen Sie meinem Rate folgen, so schließen Sie sich unserer Gesellschaft an.«

»Danke! Ich bleibe hier.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie noch vier Monate in diesem zum Sterben langweiligen Neste zu bleiben gedenken.«

»Doch, das will ich. Jedenfalls werde ich bleiben, bis ich Nachricht von meinem Vater habe, oder doch,« hier stockte der junge Mann einen Moment, »bis zum Ende der Saison.«

»Das heißt in einfachem Englisch: bis die Brandes fortgehen,« sagte Clarence. Damit erhob er sich, warf das Ende seiner Cigarette weg und schlenderte langsam davon.


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