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Sechstes Kapitel

Die nächsten drei Tage verliefen für die meisten Bewohner der »Erheiterung« sehr unbehaglich. Fee war fieberhaft vergnügt und fieberhaft thätig und beschäftigte sich, obgleich eine heftige Erkältung sie ans Haus fesselte, unausgesetzt mit ihrer Toilette. Sie verbrachte die meiste Zeit damit, an Modewarenhandlungen zu schreiben, mit Bleistift Berechnungen zu machen, Modezeitungen zu durchblättern, und nahm Schnitte und Modekupfer sogar mit ins Bett. Ihr Gespräch drehte sich jetzt nur noch um zwei Dinge: um Indien und Kleider, und Mutter und Schwestern sahen machtlos und gewissermaßen gelähmt durch den unbeugsamen Willen der kleinen Autokratin diesem Thun und Treiben zu.

Der Verkehr in der »Erheiterung« nahm in diesen Tagen einen gewaltigen Aufschwung. Klopfer und Klingel an der kleinen grünen Hausthür wurden in ganz ungewöhnlicher Weise in Anspruch genommen, und der Postbote, der sonst nur die Zeitung und dann und wann einen dünnen Brief brachte, erlag jetzt fast unter der Last der Packete und Kartons aller Größen und Formen. Telegramme gehörten jetzt zum täglichen Brote, die Briefe zählten nach Dutzenden, und Fees Vorbereitungen nahmen einen raschen Fortgang, obwohl sich ihre Schwestern noch immer verstohlen zuflüsterten, man dürfe sie nicht gehen lassen. Wer aber sollte sie hindern? Jedenfalls nicht die Mutter, die in tiefster Niedergeschlagenheit und Bekümmernis in ihrem Lehnstuhle saß, schwere Seufzer ausstieß und dann und wann ihr feuchtes Taschentuch an die Augen drückte.

Der Pfarrer von Hoyle, sowie der Doktor, die gewissermaßen im Auftrage aller Freunde des Hauses den Versuch unternommen und lange und, wie sie glaubten, beredt und eindringlich mit Fee gesprochen hatten, waren unverrichteter Sache abgezogen. Vergeblich hatten sie auf das Herzeleid der Mutter hingewiesen, die ihr Lieblingskind verlor, sowie auf Fees eigene unsichere Gesundheit, vergeblich ihr versichert, daß sie nicht nach Indien passe, die weite Reise nicht allein machen könne, daß, mochte ihre Tante sagen, was sie wollte, doch nur robuste Leute das Klima vertrügen, und daß sie, Fee, sich doch gewiß nicht zu den robusten rechnen dürfe. Fee ließ alles das dahingestellt sein, blieb aber mit der ihr eigenen Halsstarrigkeit bei ihrem Entschlusse.

Warum sollte sie denn nicht auch einmal ein Vergnügen haben und etwas von der Welt sehen, anstatt in Hoyle zu versauern? Denn anders, das mußte wohl jeder zugeben, war das Leben hier doch nicht zu nennen.

Der Doktor, der sich über das kleine, selbstsüchtige Stückchen Menschheit ärgerte, das von allem Guten, das der Familie zufiel, immer das Beste wegzuschnappen verstand, versicherte ihr, daß sie in Hoyle wenigstens mehr Aussicht habe, lange zu leben, als in Indien, und fügte dann hinzu: was das Vergnügen anbeträfe, so könne er sich's nicht gerade hübsch denken, wochenlang vom Fieber ans Bett gefesselt zu sein, was sie bei ihrer Neigung zu fieberhaften Krankheiten jedenfalls zu erwarten habe. Und hatte sie denn schon an die im Osten periodisch auftretenden Seuchen, an die Cholera und die Blattern gedacht? (Hier fuhr Fee sichtlich zusammen.) Hatte sie, die laut aufschrie, wenn ein Esel die Ohren spitzte, sich denn schon eine Vorstellung von den langen Touren zu Pferde gemacht? Seiner Meinung nach war sie viel zu zart und schwächlich, um sich solchen Strapazen auszusetzen.

Fee fühlte sich durch diese Vorstellungen wohl ein wenig erschüttert, auch das Schnupfenfieber, das ihr durch den Körper schlich und vielleicht schon ein Vorbote der Zustände war, die ihrer in Indien harrten, machte sie etwas bedenklich; aber weder diese Befürchtungen, noch der Hinweis auf ihre kindlichen Pflichten vermochten sie umzustimmen. Es bedurfte dazu einer Aufstachelung ihrer Eitelkeit, und diese sollte sich zum Glück noch rechtzeitig finden.

Das verwöhnte Kind der Familie saß eines Tages gegen Abend, in angenehme Gedanken und Pläne versunken, allein im Empfangszimmer des Hauses, als Susanne Herrn Oskar Crabbe, einen strebsamen jungen Künstler meldete, der sich vergangene Weihnachten zum Besuch seiner Verwandten in Hoyle aufgehalten und damals aus seiner Bewunderung für Fee Gordon -- vom rein künstlerischen Standpunkte aus -- kein Geheimnis gemacht hatte.

Oskar Crabbe war ein sehr hübscher junger Mann mit weicher, warmer Stimme, schönem, braunem Bart und von gewandtem, angenehmem Wesen.

»Bitte, verzeihen Sie, wenn ich zu so unpassender Stunde bei Ihnen vorspreche,« sagte er, indem er mit ausgestreckter Hand auf Fee zuging. »Ich glaube, fünf Uhr ist längst vorüber, aber mein Weg führte mich gerade vorbei, und ich dachte, ich wollte doch versuchen, ob ich jemand daheim träfe. Wie geht es Ihrer Frau Mama und Ihren Fräulein Schwestern?«

»Meine Mutter hat sich leider wegen heftigen nervösen Kopfwehs niederlegen müssen, und meine Schwestern sind, um Einkäufe zu machen, nach Hastings gefahren; Sie müssen also schon mit mir allein fürlieb nehmen,« gab Fee kokett zur Antwort.

»Und Sie, Fräulein Fee, sind es gerade, an die ich ein Anliegen habe,« fuhr der junge Künstler, seinen Stuhl näherrückend, fort: »Ich komme, Sie um eine sehr große Gunst und Gefälligkeit zu bitten. Ich möchte Ihr Porträt für die nächste Kunstausstellung malen.«

»Mein Porträt?« fragte sie, vor Aufregung bebend.

»Ja, ich sagte Ihnen, wie Sie sich vielleicht freundlich erinnern, schon um Weihnachten davon.«

»Ich glaubte damals, Sie scherzten.«

»Nein, es war mein voller Ernst. Ich streckte nur erst einen Fühler aus. Wirklich, ich würde mich Ihnen zu sehr großem Dank verpflichtet fühlen, wenn Sie mir einige Sitzungen gewährten. Ich möchte Sie nämlich als Rowena Rowena -- die Braut Ivanhoes in Walter Scotts Roman »Ivanhoe«. (Anmerk. d. Uebers.), und zwar in Lebensgröße, malen, Sie sind eine ganz ideale Rowena.«

»Und wann soll ich Ihnen sitzen?«

»O, nicht gleich, in einigen Monaten, vielleicht erst gegen den Herbst hin. Aber ich wollte, da ich gerade wieder hier bin, die Gelegenheit benutzen, um eine Voranfrage zu halten. Ich würde Sie auch nur bitten, mir zum Kopf und zu den Händen zu sitzen; Gestalt und Kostüm kann ich in London malen. Nun, was sagen Sie dazu?«

»O, Herr Crabbe,« rief sie, die kleinen Hände begeistert zusammenschlagend, »es gibt nichts auf der Welt, was ich lieber gethan hätte als das; aber leider ... leider --«

»Glauben Sie, daß Ihre Frau Mama etwas dagegen haben wird?«

»Nein, nein, das ist's nicht. Im Gegenteil, sie würde entzückt sein; aber ich gehe ja in der allernächsten Zeit nach Indien.«

»Nach Indien?«

»Ja, mein Onkel und meine Tante haben eine von uns eingeladen; die Sache kam ganz unerwartet, und ich werde der Einladung folgen.«

Der junge Maler sah sehr ernsthaft drein, brach dann in ein mißvergnügtes Lachen aus und sagte: »Na, Fräulein Gordon, dann erlauben Sie mir die Versicherung, daß ich zu denen gehöre, die Ihre Abreise aufrichtig beklagen. Ich habe ja auch doppelte Ursache dazu; denn eine solche Rowena finde ich nicht wieder.«

»Mir thut es auch furchtbar leid. In Indien verlangt gewiß kein Mensch danach, mich zu malen und mein Bild auszustellen,« klagte Fee und blickte dabei den Künstler mit einem solchen Ausdrucke traumhafter Schwärmerei an, daß dieser voll Entzücken ausrief: »Wenn ich Sie so, wie Sie jetzt aussehen, malen könnte, das Bild würde mich berühmt machen.«

»Das heißt, es würde mich berühmt machen!« versetzte Fee, die Augen schüchtern niederschlagend. »Sie bringen mich wirklich in Versuchung, Indien im Stiche zu lassen und daheim zu bleiben.«

»Ich wünschte, Sie thäten das: Sie sind ja auch aus viel zu feinem Stoff gemacht, um die tropische Sonne auszuhalten. Indien ist das Grab aller weiblichen Schönheit. Aber sollten Sie aus irgend einem Grunde die Reise noch aufgeben, Fräulein Gordon -- wollen Sie es mich dann ohne Aufschub wissen lassen?«

»Gewiß, ich verspreche es Ihnen.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, die beiden Schwestern kehrten heim. Sie waren durchkältet und müde, verlangten nach einer Tasse Thee und setzten dem Aufbruche des jungen Mannes keine ernstliche Aufforderung zu längerem Bleiben entgegen. So empfahl er sich denn, als ihm Fee die Hand zum Abschied reichte, mit den Worten: »Ich sage nicht, glückliche Reise, sondern auf Wiedersehen! und hoffe, Sie vergessen Ihr Versprechen nicht.«

Fee war an diesem Abend ungewöhnlich schweigsam. Sie schien in Gedanken versunken, und ihre schöne blütenweiße Stirn legte sich in leichte Fältchen, während sie mit fieberhafter Hast an einer eleganten seidenen Bluse nähte. Innerlich war sie ebenso eifrig damit beschäftigt, die Gründe abzuwägen, die sich für und gegen die Reise nach Indien anführen ließen, und noch in der Nacht brachte sie viele schlaflose Stunden damit zu, diese Fragen in ihrem kleinen unruhigen Kopfe hin und her zu wälzen.

Auf der einen Seite hätte sie so sehr gewünscht, aus Hoyle fort und in neue, angenehme Verhältnisse zu kommen. Bei ihrer Tante standen Bälle, Vergnügungen aller Art, ein reichliches Taschengeld, schöne Kleider und allerlei sonstiger Luxus in Aussicht: aber das war doch nur die eine Seite der Medaille. Auf der Kehrseite zeigten sich ihrem geistigen Auge eine greuliche, lange Seereise und das ewig drohende Gespenst des Klimafiebers, der Cholera, giftiger Schlangen u. s. w. Wahrscheinlich mußte sie sich daran gewöhnen, wilde Ponies zu reiten, die an der äußersten Kante schroffer, tiefer Abhänge hingaloppierten. Und wen hatte sie dort, um ihr die Hände zu streicheln, das Haar zu kämmen und zu glätten und die Handschuhe auszubessern? Außerdem hatte der junge Künstler ihr versichert, Indien sei das Grab aller weiblichen Schönheit. Wenn sie nun häßlich wurde! Doktor Banks hatte ja auch auf ihre zarte Gesundheit hingewiesen. Nein, lieber blieb sie daheim! Nach Jahresfrist kamen Onkel und Tante nach England, da konnte sie ihnen ja einen langen Besuch machen, ohne ihre Gesundheit und Schönheit aufs Spiel zu setzen. Und dann, war die Rowena nicht ein wirklicher und bleibender Triumph? Sie vermochte sich lebhaft auszumalen, wie das Publikum sich in der Ausstellung um das Gemälde, das ihr Bildnis war, drängen würde, las im Geiste schon die Besprechungen in allen Zeitungen, sah die Photographien bereits in den Schaufenstern der großen Kunsthandlungen liegen, genoß im voraus ihre Berühmtheit und die Anerkennung ihrer Schönheit in ganz England. Nein, die Aussicht war zu entzückend, zu verführerisch! Als sie endlich bei anbrechender Morgendämmerung einschlief, umgaukelten köstliche Träume ihren Schlummer.

Nach dem Erwachen rief sie, ehe sie noch zum Frühstück hinabging, die Schwestern in ihr Zimmer.

»Jessie und Honor,« begann sie in ungewöhnlich ceremoniöser Weise, »ich wollte euch nur sagen, daß ich den Plan, nach Indien zu gehen, aufgegeben habe.«

»Ach, wie freue ich mich!« rief Jessie im Tone ungeheuchelter Erleichterung. »Aber sage, wie kommst du dazu, deinen Entschluß so plötzlich zu ändern?«

»Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, weil ich immer an Ma denken mußte,« lautete die unwahre Erklärung. »Ich sehe, daß sie sich abhärmt, daß ihr die Trennung von mir das Herz brechen würde. Ich darf sie doch nicht verlassen, darf doch England nicht verlassen,« setzte sie sich verbessernd hinzu.

»Schade nur, daß du nicht eher an Ma gedacht hast,« bemerkte Jessie, indem sie auf die Kisten, Kasten und Kartons in allen Größen und Formen blickte, die das Zimmer füllten. »Ich bin ja sehr froh, daß du bei uns bleibst: aber es ist doch ein Jammer um diese vielen Vorbereitungen. Nicht, Honor?«

»Natürlich!« gab Fee spöttisch zur Antwort. »Natürlich! Und wie schade, daß nichts von meinen neuen hübschen Sachen einer von euch paßt.«


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