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Neuntes Kapitel

Mark Jervis, der durch die bereitwillige Zustimmung seiner Tante aufs angenehmste überrascht worden war, hatte durch ihre mächtige Unterstützung sein Spiel gewonnen. Er hatte die Erlaubnis erhalten, ein Jahr in Indien zu reisen, und zwar in Begleitung von Frau Pollitts Bruder, dem Hauptmann Clarence Waring, der den früheren Schauplatz seiner Thaten in einer ganz neuen Eigenschaft: als Mentor und Begleiter eines jungen, noch dazu sehr reichen, jungen Mannes wiedersehen sollte.

Dan Pollitt war ein »selbstgemachter Mann«. Seine »Patentperlgräupchen« und sein »Patentgeflügelfutter« -- Produkte, deren unübertreffliche Güte auf jeder Eisenbahnstation, an jedem Dampfschifflandungsplatze, an jeder Straßenecke durch Plakate in den brennendsten Farben verkündigt wurde, waren in ganz England und darüber hinaus bekannt. Die Zeitungen brachten sie durch tägliche Annoncen und Reklameartikel in Erinnerung, und jeder Güterzug führte Packwagen, die mit der berühmten Firma bezeichnet waren, von einem Ende der drei vereinigten Königreiche zum andern. Auch in der Geschäftswelt hatte der Name Daniel Pollitt einen echten goldenen Klang. Aber sein Träger brüstete sich nie damit; er sprach, und dies war seine Schwäche, wohl gern und viel von der Verwandtschaft seiner Frau, sowie von dem Stammbaume seines Neffen, machte aber nie die leiseste Andeutung über seine eigene Familie, obgleich er sich ihrer nicht zu schämen gehabt hätte. Sein Vater war ein gebildeter Mann von gutem Herkommen, aber ein armer Geistlicher gewesen, der zwei Waisen, Daniel und seine um einige Jahre jüngere Schwester, ohne einen Pfennig Vermögen hinterlassen hatte. Der erstere, der noch im zweiten Jahrzehnte seines Alters stand, hatte den Comptoirsessel in einem kaufmännischen Geschäft der City erklommen, hatte von hier aus -- ein seltener Erfolg -- einen raschen Flug nach aufwärts genommen und war, dank seiner unermüdlichen Betriebsamkeit, seiner Unternehmungslust und Klugheit, jetzt ein reicher Handelsherr von Ansehen und Ruf.

Seine Schwester, ein sehr hübsches, gut erzogenes junges Mädchen, hatte eine Stellung als Gouvernante bei einer nach Indien reisenden Familie gefunden und sich, kaum dort angekommen, mit Hauptmann Jervis von der bengalischen Kavallerie, einem hübschen, allgemein beliebten Offizier, mit altem Stammbaum, aber leichter Börse, verheiratet. Die Ehe war in jeder Beziehung eine glückliche gewesen; aber die junge Frau starb bereits nach sechs Jahren, und ihr einziges Kind, ein fünfjähriger Knabe, wurde zur Erziehung nach England geschickt. Fünf Jahre später kehrte auch sein Vater mit dreimonatlichem Urlaub in die Heimat zurück, sowohl um seinen Sohn zu besuchen, als sich mit seinem Schneider und seinem Zahnarzt zu beraten. Major Jervis, ein schöner, sonnengebräunter, vornehm aussehender Mann, machte einen vortrefflichen Eindruck auf seinen Schwager, der ihn einlud, in Norwood, wo er eine elegant eingerichtete Junggesellenwohnung innehatte, sein Gast zu sein, und hier, bei Rotwein und Cigarren der besten Sorte, entfaltete der Major vor dem Schwager seine Lebenspläne.

Der kleine Mark sollte eine Stiefmutter bekommen. Die dazu ausersehene Dame, eine geborene Cardozo, war von portugiesischer Abstammung, von dunkler Hautfarbe, nicht mehr ganz jung, aber schön, ungeheuer reich und bis über die Ohren in den Vater des kleinen Mark verliebt. Ihr Großvater, ein militärischer Abenteurer, hatte das Herz und die Reichtümer einer Begum (hindostanische Fürstin) durch seine Tapferkeit und seine Großsprecherei gewonnen, ihr Vater war ein Indigopflanzer gewesen, und zwar zu jener gesegneten Zeit, als dies Farbenkraut noch mit Gold aufgewogen wurde, und sie war die einzige Erbin und eine Waise. Außer den Reichtümern und den Juwelen der Begum hatte sie verschiedene Besitzungen in den Bergen, besaß eine Menge Anteilscheine an Banken und Eisenbahnunternehmungen, sowie ein sehr bedeutendes, sicher angelegtes Barvermögen.

Dan Pollitts kleine Augen blitzten bei diesen Darlegungen seines Schwagers.

»Quittiere den Dienst, bringe den Goldfisch nach England und kaufe hier einen großen Landsitz!« lautete sein sofort gegebener Rat.

»Nein, das geht nicht! Sie haßt England, ist hier erzogen und fürchtet unsern Winter, unsern Regen und die Nebel,« entgegnete der Vater. »Außerdem wünscht sie, daß ich Soldat bleibe. Mercedes, so heißt sie, liebt Pomp, Glanz und Gepränge; ich versichere dir, unsre Pferde und Dienerschaft sind etwas, das man gesehen haben muß; auch hängt sie sehr an Indien und, ich muß es dir gestehen, Pollitt, ich möchte ebenfalls nirgends leben, als drüben. Ich bin seit zweiundzwanzig Jahren dort, und Land und Leben gefallen mir in jeder Beziehung. Zudem sind alle meine Verwandten in England gestorben. Keinerlei Bande fesseln mich hier; drüben dagegen habe ich Freunde, alle meine Interessen wurzeln dort, und so habe ich gar nichts dagegen, meine Tage in Indien zu beschließen.«

»Und was wird mit Mark?« fragte der Schwager.

»Ja, das ist eben die Sache,« gab der Vater zur Antwort. »Es ist schlimm für den kleinen Kerl, daß ich ihn nicht bei mir haben kann; aber später, wenn er beim Militär eintritt, wird er zu uns kommen. Du bist sehr gütig gegen ihn gewesen, ich weiß es, hast ihn stets in den Ferien hier gehabt, und er hält, wie sich's auch gehört, große Stücke auf dich. Ich dagegen fühle mein Gewissen ihm gegenüber etwas beschwert. Er ist jetzt zehn Jahre alt, ich habe während der Hälfte dieser Zeit nichts von ihm gehört und gesehen, und Gott weiß, wann wir wieder etwas voneinander haben werden. Natürlich werde ich für seine Erziehung kein Geld sparen -- aber ...« hier verstummte er.

»Na, um die Sache in eine Nußschale zusammenzufassen,« versetzte Dan Pollitt, »du willst dich wieder verheiraten, und der Junge ist dir im Wege. Weißt du was, überlaß ihn mir! Ich habe ihn herzlich gern, habe keine eigene Familie, und Mark hat die Augen meiner Schwester. Ich werde ihm die denkbar beste Erziehung zuteil werden lassen, werde ihn als meinen eigenen Sohn betrachten, ihn zu meinem Erben einsetzen und ihm all mein Hab und Gut hinterlassen. Bist du einverstanden?«

Dieser Vertrag kam denn auch nach vielem Hin- und Herreden, unter einigem Widerstreben des Vaters und den eifrigen Vorstellungen des Oheims schließlich zustande. Mark konnte mit seinem Vater Briefe wechseln, so oft und so viel er wollte, sollte sich aber in jeder andren Beziehung als Onkel Daniels Sohn zu betrachten haben.

Major Jervis genoß während seines noch fünfwöchentlichen Urlaubs die Gesellschaft seines Sohnes, so gut und viel er konnte. Er führte ihn zu allen Sehenswürdigkeiten, überschüttete ihn mit Geschenken, erzählte ihm von seinen tapferen Vorfahren, von aufregenden Tiger- und Elefantenjagden, und der ritterliche, freigebige Mann wurde bald der Held und Abgott des Sohnes. Der Abschied von ihm war für den Knaben so tief schmerzlich, daß er ihn lange nicht zu verwinden vermochte.

Einige Jahre später heiratete Daniel Pollitt zur allgemeinen Verwunderung eine verblühte, arme, aber elegant und vornehm aussehende Dame von guter Familie, kaufte ein Haus am Fürstenthore, pachtete bedeutende Jagden und kaufte mehrere berühmte Diamanten an. Er hatte jetzt ein sehr großes Vermögen zusammengeschlagen und setzte sich im Alter von fünfundfünfzig Jahren zur Ruhe, um es zu genießen. Aber hier ergab sich eine unvorhergesehene Schwierigkeit: er wußte nicht, wie er das anfangen sollte, und bedurfte dazu eines Stellvertreters, einer Art von Mittelsperson. Sein hübscher Neffe, der von Geburt ein Gentleman war, sollte ihm dazu dienen. Er selbst hatte seine Jugend in großen Warenhäusern auf Werften und Comptoiren zugebracht; er verstand weder zu reiten, noch zu fahren, konnte weder schießen, noch rudern, ja nicht einmal angeln und es war zu spät für ihn, alles dies zu lernen. Aber er fand sich bei jedem Rennen als begeisterter Zuschauer ein, zahlte fabelhafte Preise für die Hunde seines Neffen und nahm Teil an jeder Jagdpartie, die ihm Gelegenheit versprach, ihre Leistungen zu bewundern. Er folgte dann der Meute (natürlich zu Wagen), so gut es anging, und beobachtete sie mit Hilfe des besten Krimmstechers voll Stolz und Genugthuung.

Gewiß, der alte Herr fühlte sich sehr stolz und glücklich, wenn er den Namen des Neffen in den Sportlisten unter der vornehmsten Gesellschaft fand, aber er hatte dennoch manche Enttäuschung zu überwinden; denn Mark legte es durchaus nicht darauf an, in irgend einer Weise hervorzutreten und sich bemerklich zu machen. Er zeigte nicht die mindeste Lust, sich durch Rennpferde, durch die Pacht eines Theaters oder auch nur durch hohes Spiel zu ruinieren, und bewies weder ein hervorragendes Talent noch große Neigung, die Millionen des Oheims in unsinniger Weise zu verschwenden.

Dagegen würde Frau Pollitt gern bereit gewesen sein, das Geld ihres Gatten unter die Leute bringen zu helfen. Sie hatte eine Menge armer Verwandter, hatte gehofft, viel für sie thun zu können, und fand sich, zu ihrem großen Aerger, in diesen Erwartungen getäuscht. Ihr Gemahl setzte ihr zwar ein sehr reiches Nadel- und Garderobengeld aus, sie hatte Diamanten vom reinsten Wasser, ein reich eingerichtetes Haus, wundervolle Equipagen, eine französische Kammerjungfer, aber sie durfte die Hand nicht in seinen Geldbeutel stecken, konnte nicht auf seine Kosten großmütig gegen ihre Verwandten sein, und, das Aergerlichste von allem, es gelang ihr nicht, eine Verbindung zwischen Mark und einer ihrer Nichten zu stande zu bringen. Nein, der alte Herr war fest entschlossen, Mark sollte eine vornehmere, reiche Partie machen, und bei dem vorteilhaften Aeußeren des Neffen, seinem Herkommen und seinem dereinstigen Vermögen konnte das keine Schwierigkeiten haben. Dann sollte er großen Grundbesitz erwerben, sich ins Parlament wählen lassen und als vornehmer Herr leben. Dies war der Zukunftsplan des Onkels, den er aber wohlweislich für sich behielt.

Auch dazu, sich Nebeneinkünfte zum Besten ihrer Familie zu verschaffen, fand Frau Pollitt keine Gelegenheit; denn alle Rechnungen für den Haushalt gingen durch die Hände des Hausherrn, der sie durch Anweisungen auf seinen Banquier beglich. Aber wenn es ihr auch unmöglich wurde, ihren Verwandten einen sicheren materiellen Halt zu bieten, that sie doch, was sie konnte. Ihre Schwester und ihre Nichten erhielten Kleider, Mäntel und andre Toiletteartikel, die sie oft kaum getragen hatte, sie versorgte sie mit Theater- und Konzertbillets, fuhr sie spazieren und lud sie zu allen ihren Gesellschaften und häufig zum Mittagessen und zum Frühstück ein. Ihr Bruder Clarence aber bekam alles Geld, das sie von ihrem Nadelgeld zurückzulegen vermochte.

Dieser etwa um zehn Jahre jüngere Bruder war ein lustiger, leichtlebiger, hübscher Mensch mit kecken blauen Augen, wohlgepflegtem Schnurrbart, schöner Gestalt und hochfahrendem, übermütigem Wesen. Er war durchaus Weltmann, befand sich häufig in Geldverlegenheit, hatte ebensowenig feste Grundsätze, als er sich leicht überflüssige Bedenken machte, war aber trotz alledem ein angenehmer Mann und nichts weniger als unbeliebt. Er hatte alles, was er besaß, und auch vieles, was andren gehörte, durchgebracht und war, als sein Regiment nach England zurückgerufen wurde, genötigt gewesen, den Dienst zu quittieren. Seitdem lebte er auf Kosten seiner Freunde und seines Witzes, und so hätte ihm nichts gelegener kommen können, als diese Reise nach Indien. Blieb er mit Mark -- so rechnete seine Schwester -- einige Jahre in Indien, so konnte vielleicht ein andrer ihrer Verwandten im Hause Fuß fassen, und wenn Mark gar nicht zurückkehrte, nun so würde ihr das Herz darüber nicht gerade brechen. Wäre er nicht der Liebling ihres Mannes gewesen, so hätte sie ihn gewiß sehr gern gehabt; denn er sah gut aus, und sie zeigte sich gern mit ihm im offenen Wagen oder in der Theaterloge. Auch war er stets höflich, immer auf ihre Bequemlichkeit bedacht, war ihr sogar, als sie ihn ein- oder zweimal in kritischen Momenten in Anspruch genommen hatte, aufs liebenswürdigste zu Hilfe gekommen, aber er verstand sich nicht auf die Kunst der Schmeichelei, die sie in starken Gaben verlangte, und womit der Bruder sie zu überschütten pflegte.

Hauptmann Waring begrüßte den Plan einer Reise nach Indien mit Begeisterung und unterstützte ihn aufs wärmste. »Die Geschichte kommt mir gerade recht,« gestand er seiner Schwester. »Ich blies schon wieder mal auf dem letzten Loche und hätte mich, wenn Mark nicht auf diesen famosen Einfall geraten wäre, wahrscheinlich gezwungen gesehen, Fräulein Clodde zu heiraten. Sie ist freilich abschreckend häßlich und sieht sehr gewöhnlich aus, aber sie hat dreißigtausend Pfund Vermögen. Ich hoffe nun, daß ich nicht in den sauren Apfel beißen muß; wenigstens gewährt mir diese Reise eine Galgenfrist.«

»Ich würde dich aber sehr gern verheiratet sehen,« bemerkte die Schwester.

»Ja, schaff' mir nur eine reiche, ältliche Witwe, die sich die Hörner abgelaufen hat. Das wäre mein Fall.«

Pollitt hatte sich schließlich überzeugen lassen, daß die Gesellschaft seines Schwagers für Mark nicht nur nützlich und angenehm, sondern durchaus notwendig sei, und bei der eingehenden Besprechung der Einzelheiten hatte sich, trotz der sonstigen Verschiedenheit aller ihrer Ansichten, herausgestellt, daß die beiden Schwäger in einem Punkte der ganz gleichen Meinung waren. Die Reise mußte entweder im großen Stile ausgeführt, oder gar nicht unternommen werden.

Mark würde sich lieber billig und einfach eingerichtet haben und hatte Einwendungen gegen das viele Gepäck, die vielen verschiedenen Flinten und den Kammerdiener gemacht.

»Dreißig Paar Stiefel soll ich mitnehmen?« hatte er verwundert gefragt. »Welcher Unsinn! Ich will doch nicht zu Fuß um das indische Reich herum marschieren!«

»Aber Clarence sagt, du müßtest so viele haben, und der versteht das,« versetzte der Onkel. »Ich wünsche, daß du auftrittst wie ein Gentleman, und nicht wie ein Handlungsreisender! In der Beziehung bin ich überhaupt nicht zufrieden mit dir, mein Junge. Du gibst zu wenig aufs Aeußere, du machst nichts aus dir, willst immer nur das Einfache und sitzest stets lieber in der zweiten Reihe, als in der ersten. Ich glaube, das Veilchen, das im Verborgenen blüht, ist dein Ideal. Du wirst auf dem Dampfer die Bekanntschaft einer Menge vornehmer Leute machen, und ich möchte nicht, daß du in irgend einer Beziehung hinter ihnen zurückstehst. Du wirst in ihre Kreise gezogen werden ...«

»Ich denke, wir, Clarence und ich, werden mehr für uns bleiben und uns kleineren Kreisen anschließen,« entgegnete Mark. »Clarence hat unsre Route bereits ausgearbeitet: Bombay, Madras, Ceylon, Kalkutta und von da in die Berge. Aber dabei möchte ich dich doch gleich fragen, lieber Onkel, ob du weißt, wo sich mein Vater gegenwärtig aufhält.«

»Boston und Bell in Bombay sind seine Geschäftsführer,« gab der Oheim, einer direkten Antwort und den Augen des Neffen ausweichend, zur Antwort.

»Das weiß ich; ich habe ja meine Briefe in den letzten sechs Jahren immer an dieses Haus adressiert.«

»Ohne je eine Antwort zu empfangen,« bemerkte Onkel Dan mit schlecht verhehlter Befriedigung. »Aber laß' mal sehen, wie lange es eigentlich her ist, daß wir keine ausführliche Nachricht mehr von ihm hatten. Vor acht Jahren nahm er seinen Abschied und zog nach einem Orte, der Dun heißt. Bis dahin hatte er sehr regelmäßig geschrieben; von der Zeit an hatten wir aber keine direkte Kunde mehr, und selbst als seine Frau bei einem Sturze mit dem Wagen den Tod fand, zeigte er uns das nicht schriftlich an, sondern schickte nur eine Zeitung, die den Bericht enthielt. Arme Frau! Freilich hatte sie ihm wohl das Leben zur Hölle gemacht, denn sie war eifersüchtig bis zum Wahnsinn.«

»Ich hoffe, ich erfahre seine Adresse in Bombay, und dann suche ich ihn sofort auf.«

»Wenn er aufgesucht werden will. Die Jervis sind ein sonderbares, exzentrisches Völkchen. Ich hörte erst kürzlich einige seltsame Geschichten von ihnen.«

»Aber mein Vater machte doch nicht den Eindruck eines exzentrischen Mannes?«

»Nein! Natürlich mußt du versuchen, ihn aufzufinden, aber hüte dich wohl, mein lieber Junge, daß er nicht Beschlag auf dich legt und dich drüben behält. Er ist ein unwiderstehlicher Mensch, der, wenn er es darauf anlegt, jeden bezaubert. Indien hat es ihm angethan und ihn während der schönsten Lebensjahre festgehalten. Nimm dich in acht, daß es dir nicht ebenso ergeht.«

»Darum brauchst du dir keine Sorge zu machen, Onkel.«

»Deine Reise macht mir aus mehr als einem Grunde Sorge. Es wäre mir lieber, du gingest nach China oder Australien.«

»Aber Indien ist mein Geburtsland, und ich möchte doch auch meinen Vater, den ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen habe, aufsuchen. Mich bei sich zu behalten, wird er kaum wünschen. Ich glaube, er könnte mich gar nicht brauchen.«

»Aber nehmen wir an, er wünsche dein Bleiben,« rief der Oheim erregt, indem er von seinem Stuhle aufsprang, um im Zimmer hin und her zu laufen. »Für diesen Fall muß ich dir sagen, daß, wenn du dich von ihm breitschlagen läßt, kein Pfennig meines Vermögens in deine Hände kommt, daß ich alles, bis auf den letzten Heller Hospitälern und wohlthätigen Stiftungen zuwenden würde.«

»Und das würde ich ganz in der Ordnung finden, denn ich kann nicht zugleich bei meinem Vater in Indien leben und dein Adoptivsohn bleiben,« versetzte Mark. »Aber du regst dich ganz unnütz auf, lieber Onkel. Ich kehre jedenfalls binnen Jahresfrist zurück, ja, wenn du wünschest, bin ich sogar bereit, ein Rückreisebillet zu nehmen.«

»Das ist ein Wort, mein Junge. Weißt du, ich bin ein bißchen eifersüchtig auf deinen Vater und will dir selbst gestehen: es hat mich gefreut, daß er dich sozusagen im Stiche ließ, und daß du nun mein Sohn geworden bist.«

Als der Tag der Abreise kam, begleiteten Herr und Frau Pollitt den jungen Mann in ihrem Landauer zum Bahnhofe, und Onkel und Neffe spazierten bis zum Abgange des Zuges Arm in Arm auf dem Bahnsteige hin und her.

»Und nicht wahr, du schreibst oft, wenigstens aller acht Tage, wenn auch nur einige Zeilen?« sagte der alte Herr wohl zum zehntenmale. »Und du wirst uns nicht vergessen?«

»Das hast du nicht zu besorgen, Onkel!«

»Und auch unser Abkommen wirst du nicht vergessen, wenn ich auch keine Rückbillets genommen habe. Bleibe nicht länger aus, als ein Jahr; ich weiß wirklich nicht, wie ich ohne dich fertig werden soll. Ja, ja, ich werde dich vermissen. In Bombay bei Boston und Bell wirst du das nötige Geld finden« (er nannte eine sehr große Summe); »aber wenn das zu Ende ist, mußt du heimkommen, denn ich würde nichts nachschicken. Die Anweisung lautet auf deinen Namen, denn du wirst die Kasse führen.«

»Wie du willst, Onkel.«

»Und halte dein Checkbuch unter gutem Verschluß. Laß dich auch von keinem Tiger in die Klauen kriegen, und geh' nur keinem der nach Männern jagenden Weibsbilder ins Garn, von denen Clarence erzählt.«

»Darüber kannst du ganz und gar ruhig sein, Onkel!« rief der junge Mann mit beinahe verächtlichem Auflachen.

Während der Zeit hatten auch Clarence und seine Schwester einige Abschiedsworte ausgetauscht.

»Nun, Clar, ich denke, ich habe dir da einen guten Dienst geleistet,« sagte die Schwester im Tone der Befriedigung. »An dir ist es nun, die Gelegenheit auszunutzen. Wenn der Onkel, wie du ihn nennst, mit dir zufrieden ist, verhilft er dir wohl nach und nach zu etwas Besserem.«

Clarence winkte verständnisvoll.

»Du weißt, du hast keine Zeit mehr zu verlieren,« fuhr sie flüsternd fort, »und deshalb sei vorsichtig. Laß dich nicht wieder mit verführerischen Witwen ein und halte dich möglichst fern von Wetten und hohem Spiel. Versprich es mir!«

»Ich verspreche dir, einen ebenso soliden, sittigen und ehrbaren Wandel zu führen, wie Mark selbst. Mehr kann man doch nicht versprechen. Aber nun adieu und großen Dank, liebe Lina. Man muß es dir lassen, du hältst zu Deiner Familie. Aber der Zug geht ab,« fuhr er mit einem hastigen Kusse fort. »Lebe wohl! Lebe wohl!«

Als der Waggon, worin die beiden Reisenden saßen, langsam an dem Ehepaare, das auf dem Bahnsteige stand, vorüber rollte, warf sich Clarence mit lautem Lachen in seine Ecke zurück.

»Der Onkel ist ja ganz entzwei!« rief er. »Wahrhaftig, ich glaube, der alte Kerl hatte Thränen in den Augen!«


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