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Neunzehntes Kapitel.

»Dem Dulder Job gleich, der das Böse mied,
Im Aeußern und in der Bewegung ähnlich
Dem Vogel in der Luft, bist sonder Zweifel
Von allen, deren Hand den Flüchtling je
Bei'm Haar erfaßte, du der ärgste Teufel.«

Rothjacke.

 

Obschon durch die Befreiung Amerika's von der Herrschaft Englands in der Denk- und Lebensweise unserer Landsleute ein unendlicher Fortschritt erzielt worden ist, so bleibt doch noch sehr viel zu thun übrig. Freilich, wenn man nur auf vierzig Jahre zurückschaut, so kann man nicht verkennen, welche große Wechsel in gar vielen Dingen eingetreten sind, und es steht zu hoffen, daß Diejenigen, welchen nach weiteren vierzig Jahren ein ähnlicher Rückblick vergönnt ist, nur noch sehr wenige Ueberbleibsel finden werden, die für ihren Fortbestand unter uns keinen besseren Grund haben, als das Beispiel eines Volkes, welches von uns so abgelegen ist, ein ganz anderes Klima hat, und sich in seiner gesellschaftlichen Organisation sowohl als in seinen Bedürfnissen so sehr von uns unterscheidet. Gleichwohl möchte ich einen Gebrauch eben so wenig blos deßhalb verdammen, weil er englisch ist, als ich ihn nur aus diesem einfachen Grunde billigen kann. Ich wünsche, daß Alles nur durch seinen inneren Werth sich empfehle, und trage die Ueberzeugung in mir, daß keine Nation in der höheren Bedeutung des Wortes je groß werden kann, wenn es nicht aufhört, ein gewisses stereotypes Modell nachzuahmen. Eines der größten Uebel dieser Nachahmungssucht entwickelt sich eben jetzt in dem sogenannten »Fortschritt« des Landes, der in nichts Anderem besteht, als in dem fortwährenden Angriffe auf Grundsätze, die so alt sind, wie die Existenz des Menschen, und als sociale Wahrheiten, so zu sagen, einen ewigen Bestand haben müssen, während man zu gleicher Zeit bei den höchsten Behörden, z.B. in den Senat der Vereinigten Staaten, von Ansichten, die wir unseren Vorfahren verdanken, einräumt, sie seien auf Thatsachen gegründet, welche nicht nur keinen Bestand unter uns haben, sondern im Gegentheil mit den vorhandenen in entschiedenen Widerspruch treten. Es ist freilich unendlich leichter, in das Geschrei um Fortschritt miteinzustimmen, als eine Untersuchung anzustellen, ob der Fortschritt auch die rechte Richtung einschlage, oder ob er überhaupt ein Fortschritt sei. Doch lassen wir dergleichen wichtige Betrachtungen beruhen, um zu bedeutenderen in dem Gang unserer Geschichte zurückzukehren.

Unter andere Bräuche, die wir leider mit von England herüber genommen haben, gehört die Gewohnheit, daß die Männer bei Tisch sitzen bleiben, nachdem die Frauen bereits aufgebrochen sind. So sehr ich übrigens auch wünsche, daß diese in jeder Weise anstößige Sitte beseitigt und der gebildetere, schönere Brauch eingeführt werden möchte, der in der übrigen Christenheit üblich ist, würde ich mich doch in den tiefsten Tiefen meiner Seele schämen, wenn ich finden müßte, – und leider kann ich nicht zweifeln, daß etwas der Art zu erwarten stünde – diese Gewohnheit sei auch von uns verlassen worden, weil man in Erfahrung gebracht habe, sie sei schon vor zwölf Monaten in England aufgegeben worden. Mein Onkel hatte sich lange Zeit bemüht, in unserem Familienzirkel die Sitte einzuführen, daß die Damen eine Weile bei Tische sitzenbleiben, und nach Ablauf dieser Zeit mit den Männern die Tafel verlassen sollten; aber »es ist schwer, gegen den Stachel zu lecken.« Allerdings sind Männer, welche darin Gesellschaft und Geselligkeit finden, wenn man zusammenkömmt, um Wein zu trinken, vom Wein zu sprechen und durch Bewirthung der Gäste mit den kostbarsten Weinen sich gegenseitig zu überbieten, nicht leicht von ihren Ansichten abzubringen, und wenn auch die Zeiten des schweren Trinkens ihre Endschaft erreicht haben, so sind doch die der Redseligkeit noch in voller Kraft. Könnte einmal die Ansicht allgemein in Umlauf kommen, daß es selbst in England für gemein gehalten werde, nur von dem Saft zu sprechen, der auf dem Tische steht, so würden wir vielleicht auch dieser Gewohnheit los. Gemein in England! ja, unter rechten Leuten gilt es sogar bei uns als gemein, und ich kann dieß aus eigener Wahrnehmung behaupten. Daß ein paar Freunde, welche sich in die Wohlthat einer besonders aufheiternden Flasche theilen, ein Wort des Lobes über den Stoff anbringen, ist natürlich genug und auch ganz in der Ordnung, denn vernünftiger Weise kann man an einer derartigen Aeußerung des inneren Wohlbehagens nichts Arges finden; aber ich weiß mir nichts Empörenderes, als wenn zwanzig ernste Gesichter um einen Tisch herumsitzen, und als Feinschmecker über den neu gekauften Rheinwein ihr Urtheil abgeben, während von dem vielen Ziehen am Heber die Backen des Wirths wie die eines Boreas aufgedunsen sind.

Meine liebe Großmutter gehörte der alten Schule an und erhob sich, während die vier blühenden Mädchen ihrem Beispiel folgten, mit der gewohnten Einladung von der Tafel:

»Gentlemen, ich lasse euch jetzt bei eurem Wein allein; vergeßt aber nicht, daß ihr im Besuchszimmer sehr willkommene Gäste seid.«

Aber mein Onkel ergriff jetzt ihre Hand und bat sie, daß sie sich nicht entfernen möchte. Für meine Augen lag in der Art des Verkehrs und in der Liebe, die zwischen Onkel Ro und seiner Mutter bestand, etwas ungemein Rührendes. Er war nie vermählt gewesen und sie eine Wittwe; es fand daher zwischen beiden ein inniges Liebes-Band statt, und ich bin oft, wenn wir allein waren, Zeuge gewesen, wie er auf seine Mutter zuging, ihre Wangen streichelte und sie dann küßte, wie man's etwa einer theuern Schwester gegenüber zu halten pflegt. Sie dagegen trat gleichfalls oft auf ihren »Roger«, wie sie ihn stets nannte, zu und küßte sein kahles Haupt in einer Weise, aus welcher man entnahm, sie erinnere sich noch lebhaft der Zeit, als er, noch ein Kind, in ihren Armen lag. Bei dem gegenwärtigen Anlasse entsprach sie seiner Bitte und nahm ihren Sitz wieder ein, während die Mädchen eben so bereitwillig, wie beim Aufstehen, ihrem Beispiele Folge leisteten. Die Unterhaltung führte nun natürlich auf den Zustand des Landes.

»Es hat mich sehr überrascht,« bemerkte meine Großmutter, »daß unsere Machthaber ihre Bemerkungen und Angaben blos auf die Thatsachen beschränkten, welche auf den Besitzungen der Rensselaers und Livingstons stattfinden, während es doch in so vielen anderen ähnliche Schwierigkeiten gibt.«

»Die Erklärung liegt nahe genug, meine gute Mutter,« entgegnete Onkel Ro. »Auf den Besitzungen der Rensselaers sind die Bürgschaftsverkäufe, die Zinshühner und die Tagwerke üblich. Mit diesen Dingen läßt sich eine Captatio benevolentiae erzielen und ein politischer Effect herbeiführen, während man bei den anderen Ländereien eines so wichtigen Hilfsmittels entbehrt. Es ist eben so zuverlässig, als die Sonne heut aufgegangen ist, daß ein ausgedehnter, schlau angelegter Plan besteht, aus fast jedem größeren Eigenthum im Staat die Besitzrechte der Grundherrn auf die Pächter zu übertragen und zwar noch obendrein unter Bedingungen, durch welche die Letzteren in der ungerechtesten Weise begünstigt werden. Davon findet Ihr freilich nichts in den Botschaften der Gouverneure, oder in den Reden der Gesetzgeber, die, wie es den Anschein gewinnt, Alles gesagt zu haben glauben, wenn sie auf die Nothwendigkeit, den Beschwerden der Pächter Abhilfe zu leisten, als auf eine hohe politische Pflicht hinweisen, ohne sich übrigens mit einer Untersuchung aufzuhalten, ob diese Beschwerden rechtlich begründet sind, oder nicht. Der Schaden, welcher dem Gemeinwesen zugeht, wenn man den Leuten zeigt, wie viel durch Geschrei erzielt werden kann, ist an sich unberechenbar, und es wird eine ganze Generation erforderlich sein, um nur die schlimmen Folgen des Beispiels wieder zu vertilgen, selbst wenn morgen die Antirenten-Combination eine gänzliche Niederlage erlitte.«

»Wie ich finde, hat man in jenen Fällen, in welchen nichts Besseres aufgefunden werden kann, gegen die Grundherrn fast allgemein den Mangel eines Besitztitels eingewendet,« bemerkte Mr. Warren. »Der Vorleser von heute schien jeden Titel, der vom König herrührt, zu verwerfen, weil durch den Revolutionskrieg und durch den Sieg über jenen Monarchen auch seine Verleihungen nichtig geworden seien.«

»Dieß wäre ja eine ganz herrliche Belohnung für die tapferen Waffenthaten der Littlepage's! Mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater – alle haben in jenen Kriegen mitgestritten, die beiden ersteren als Generale und der Letztere als Major. Da sollen sie nun für ihre Anstrengungen und Gefahren ihres Eigenthums beraubt werden? Ich weiß wohl, daß dieser einfältige Vorwand sogar schon in einem Gerichtshof geltend gemacht wurde; aber die Thorheit, die Rechtswidrigkeit und der Wahnsinn haben doch unter uns noch nicht so weit um sich gegriffen, um einen derartigen Grundsatz durchführen zu können. Da übrigens die künftigen Ereignisse ihre Schatten in die Gegenwart hereinragen lassen, so ist es wohl möglich, daß wir eben diese Bewegung als die Dämmerung des Tags der Vernunft, welche über Amerika hereinbricht, ansehen müssen, nicht aber als ein Zwielicht, das die scheidenden Sonnenstrahlen vor dem Einbruch einer Geistesnacht zurückließen«.

»Zuverlässig fürchtet Ihr aber nicht im Ernst, Ro, daß diese Leute Hugh seine Ländereien entreißen könnten?« rief Patt mit erröthender Hast.

»Man kann über diese Sache noch gar nichts sagen, meine Liebe. Jedenfalls ist Niemand sicher, wenn Ansichten und Handlungen, wie diejenigen sind, welche in den letzten Jahren um sich gegriffen haben oder durchzuführen versucht wurden, Bestand haben können, ohne den allgemeinen Unwillen zu wecken. Betrachten wir eben jetzt die vermöglichen Klassen, – sie leben in größter Angst und Aufregung in Betreff eines Kriegs wegen des Oregon-Gebiets, der jedenfalls möglich, obschon nicht wahrscheinlich ist; dagegen zeigen sie in dieser Antirentenfrage die größte Gleichgültigkeit, obschon die Lösung derselben in engster Beziehung steht zu der positiven Existenz alles dessen, was eine gerechte sociale Organisation fordert. Der eine Punkt betrifft eine bloße Möglichkeit, erschüttert aber doch die gedachte Klasse, während an den andern das ganze Bestehen einer civilisirten Gesellschaft sich kettet – aber diese hat aufgehört, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und ist beinahe vergessen. Jeder Angehörige unseres Gemeinwesens, der durch seine Mittel über den gemeinen Haufen erhoben ist, hat ein unmittelbares Interesse dabei, dieser Gefahr die Stirne zu bieten und zu ihrer Begegnung mitzuwirken; aber Niemand scheint die Wichtigkeit der Crisis auch nur zu fühlen. Wir haben nur noch ein paar Schritte, um der Türkei gleich zu werden – einem Lande, in welchem der Reiche seine Habe verbergen muß, um sie gegen die Klauen der Regierung zu schützen; aber Niemand scheint sich darum zu kümmern.«

»Einige neuere Reisende, die uns besuchten, haben sich dahin ausgesprochen, daß wir diese Höhe beinahe erreicht hätten, sintemal unsere Reichen öffentlich große Einfachheit zur Schau tragen, während sie im Geheim ihre Häuser mit allen den gewöhnlichen Abzeichen des Wohlstandes und des Luxus füllen. Unter Anderen hat, wie ich glaube, auch de Tocqueville diese Bemerkung gemacht.«

»Ach, dieß ist nur eine von den gewöhnlichen weisen Bemerkungen der Europäer, die, weil sie die amerikanische Geschichte nicht verstehen, die Ursachen unter einander werfen, und deßhalb Irrthümer begehen. Das einfache öffentliche Auftreten ist weiter nichts, als eine alte Gewohnheit des Landes, während die Eleganz und der Luxus in den Privathäusern eine natürliche Folge des Geschmacks von Frauen ist, welche vermöge des gesellschaftlichen Zustandes, in dem sie leben, auf das Minimum einer feinen Umgebung und intellectueller Genüsse angewiesen sind. Der Schriftsteller ist übrigens trotz dieses Irrthums und noch vieler anderer ähnlicher, die er sich beigehen ließ, ein sehr verständiger Mann und hat ein unbestreitbares Verdienst, wenn man die Mittel ins Auge faßt, welche ihm bei Erforschung der Wahrheit zu Gebot standen.«

»Gleichwohl läßt sich nicht in Abrede ziehen, Mr. Littlepage,« entgegnete der Rektor, der in jedem Sinne des Worts ein Gentleman war und die Welt – ja ich darf wohl sagen, den besten Theil derselben kannte, obschon er nebenbei eine bewunderungswürdige Einfachheit des Charakters bewahrt hatte, »daß wirklich unter uns Veränderungen ganz in der Art stattgefunden haben wie Monsieur de Tocqueville sie angibt.«

»Dieß ist vollkommen richtig, Sir; aber sie haben auch anderwärts stattgefunden. Ich kann mich noch wohl erinnern, daß ich als Knabe in unsrem Lande sechsspännige Kutschen gesehen habe, und daß zu jener Zeit fast jeder vermögliche Mann vierspännig fuhr, während heutzutag etwas Aehnliches wunderselten vorkömmt. Aber dieselbe Bemerkung konnte man auch durch die ganze Christenheit machen; denn in der ersten Zeit meines Aufenthalts auf dem europäischen Festland waren sechsspännige Equipagen mit Vorreitern und allem erdenklichen Prunk an der Tagesordnung, während man heutzutage nicht viel mehr davon sieht. Verbesserte Straßen, die Dampfboote und die Eisenbahnen können dergleichen Veränderungen hervorbringen, ohne daß man den Grund dazu in der überhandnehmenden Gewalt der Massen suchen müßte.«

»In der That,« fiel Patt lachend ein, »wenn die Oeffentlichkeit nach Monsieur de Tocquevilles Maaßstab zu messen wäre, so hätten wir sie in vollkommen hinreichender Eigenschaft zu New-York. Alle neumodischen Häuser sind mit ihren niedrigen Balkonen und Fenstern so gebaut, daß Jedermann in's Innere hineinsehen kann. Wenn das wahr ist, was ich von einem Pariser Hause las und hörte, daß zwischen cour et jardin stand, so kann man dort weit abgeschiedener leben als hier, und man dürfte ebensogut sagen, die Pariser begraben sich hinter porte cochère und unter Bäume, den Angriffen der Faubourg St. Antoine zu entgehen, als sich von uns behaupten läßt, wir verbergen unsere Eleganz in den Häusern, damit der Pöbel uns dulde.«

»Ich sehe, Hugh, das Mädchen hat aus deinen Briefen Vortheil gezogen,« bemerkte mein Onkel, beifällig mit dem Kopf nickend, »und was noch mehr ist, sie macht aus ihrem oder vielmehr aus deinem Unterricht eine passende Nutzanwendung. Doch nein, nein, alles dieß ist ein Irrthum, und wie Martha sagt, man findet in den Straßen unserer Städte hauptsächlich Häuser in dem neuen Style. Statt des Ausdrucks, wir verbergen unsere Eleganz in den Häusern, hätte Patt besser sagen können, wir entziehen sie den neidischen Blicken der Nachbarn, weil namentlich der Manhattanese in seinen Wohnungen das Innerste nach Außen kehrt, damit sich der Nachbar nicht beleidigt fühle, wenn er nicht Alles sehen kann, was drinnen vorgeht. Doch diesen beiden Anschauungen fehlt die Wahrheit. Das Innere des Hauses ist deßhalb prunkhafter, weil es meist unter weiblicher Leitung steht, und man könnte mit eben so gutem Grund behaupten, wenn die amerikanischen Männer sich außer dem Hause einfach in blauen, schwarzen und braunen Kleidern zeigen, während ihre Weiber und Töchter zu Haus in Seide, Atlas und sogar in modischer Brocade gehen, so geschehe dieß aus Furcht vor dem großen Haufen. Es findet ein großer Unterschied statt zwischen einem Salon in der Faubourg und der Chaussee d'Antin oder sogar dem Boulevard des Italiens. Doch John dreht auf der Piazza draußen gewaltig seinen Hals, als ob unsere rothen Brüder zur Hand seien.«

Und so war es auch wirklich. Männiglich erhob sich jetzt ohne Umstände von der Tafel und begab sich in's Freie hinaus, um die erwarteten Gäste zu empfangen. Wir waren übrigens kaum in dem Hofe angelangt, und die Damen noch mit dem Aufsetzen ihrer Hüte beschäftigt, als Prairiefeuer, Kieselherz, Vielzunge und alle Uebrigen in jener Art von Halbtrab anlangten, welche den Marsch der Indianer bezeichnet.

Obschon wir inzwischen unsere Kleider gewechselt hatten, wurden wir Beide, mein Onkel und ich, doch augenblicklich von den ersten Häuptlingen erkannt und höflich begrüßt. Zwei von den jüngeren Männern boten uns nun gravitätisch unsere Perücken wieder an; aber wir lehnten die Rückerstattung derselben ab und baten die Gentlemen. welche sie in Händen hatten, uns die Ehre zu erweisen, sie als Denkzeichen unserer besondern Achtung zu behalten. Das Geschenk wurde sehr wohlgefällig und mit einer Freude aufgenommen, die sich nicht gut unterdrücken ließ. Eine halbe Stunde später bemerkte ich, daß jeder von den beiden jungen Urwaldstutzern eine Perücke auf seinem sonst nackten Haupte sitzen hatte und in den schlichten Haaren derselben eine pfiffig angebrachte Pfauenfeder trug. Die Wirkung war etwas lächerlich, und namentlich vermochten die jungen Damen ihre Heiterkeit kaum zu unterdrücken; aber ich bemerkte, daß jeder von den Kriegern umhersah, als fordere er die Bewunderung, die, wie sie fühlten, ihr Aeußeres erzwingen mußte!

Sobald die Begrüßungen ausgetauscht waren, begannen die rothen Männer das Haus, die Klippe, auf welcher es stand, die Wiesen unten und den umgebenden Grund zu untersuchen. Anfangs meinten wir, sie seien erstaunt über die Ausdehnung und Festigkeit der Gebäude, wie auch über deren Zierlichkeit, da man in Amerika nicht überall, selbst an den Häusern der besseren Klassen etwas Aehnliches trifft; aber Vielzunge benahm uns bald unsern Irrthum. Mein Onkel fragte ihn, warum die Rothhäute aufgebrochen wären und sich um die Gebäude her zerstreut hätten; andere sähen dahin, andere deuteten dorthin, und alle seien augenscheinlich sehr ernstlich mit etwas beschäftigt, obschon er nicht wohl begreifen könne, worin der Gegenstand ihrer Theilnahme bestehe – ob vielleicht die Gebäude einen solchen Eindruck auf sie machten?

»Gott behüte, nein, Sir,« antwortete der Dolmetscher; »sie bekümmern sich keinen Strohhalm um das Haus oder um was immer für ein Haus der Welt. Da ist namentlich der Kieselherz – ein Häuptling, auf den Ihr durch Reichthümer, große Häuser und dergleichen eben so wenig Eindruck zu machen im Stande wäret, als Ihr es vermöchtet, den Strom des Missisippi rückwärts zu lenken. Als wir zu Washington Onkel Sams Haus besuchten, ließ er sich kaum herab, es anzusehen; und das Capitol übte keinen größern Eindruck auf den ganzen Haufen, als ob es eben eine bessere Art von Wigwam wäre, – vielleicht nicht einmal so viel, denn in Betreff des Wigwams haben die Indianer einen eigenen Geschmack. Was sie eben jetzt auf die Beine gebracht hat, ist das Bewußtsein, daß hier vor etwa neunzig Sommern eine Schlacht gefochten wurde, in welcher der biedere Onondago und andererseits einige von ihren eigenen Leuten betheiligt waren. Dieß ist's, was sie in Bewegung gesetzt hat.«

»Und warum spricht Kieselherz mit solchem Nachdruck zu seiner Umgebung? Er deutet auf die Ebene, nach der Klippe und nach jenem Engthal, das hinter dem Wigwam des Susquesus liegt.«

»Ah, so ist dieß also der Wigwam des biederen Onondago?« rief der Dolmetscher mit so großem Interesse, wie wenn man Jemand die unerwartete Mittheilung machte, er sehe jetzt zum erstenmal in seinem Leben Mont Vernon oder Monticello. »Na, dieser Anblick ist etwas Werth, obschon es noch mehr auf sich hat, den Mann selbst gesehen zu haben; denn die Stämme in den oberen Prairien wissen eine Menge von ihm und seinem Benehmen zu erzählen. Seit den Zeiten Tamenunds ist während der letzten Jahre von keinem Indianer so viel gesprochen worden, als von Susquesus, den biederen Onondago, und ich muß vielleicht nur Tecumthe ausnehmen. Was aber Kieselherz betrifft, so ist er im gegenwärtigen Augenblick mit einem Bericht von der Schlacht beschäftigt, in welcher sein Urgroßvater das Leben, aber nicht zugleich seinen Skalp verlor. Er erzählte jetzt, welcher Schmach hier sein Ahnherr entronnen sei, und wie glücklich sich seine Abkömmlinge darüber preisen. Das Getödtetwerden schlägt ein Indianer nicht so hoch an; obschon er, wenn er's anders möglich machen kann, lieber ohne Skalp ausreißt, als daß er sich vom Feind ganz und gar erschlagen läßt. Kieselherz erzählt jetzt von einem jungen Blaßgesicht, welches getödtet wurde, und das er Spaßvogel nennt – und jetzt kommt er auf einen Nigger zu sprechen, von dem er sagt, er habe wie ein Teufel gefochten.«

»Alle diese Personen leben auch in unseren Ueberlieferungen noch fort,« rief mein Onkel mit mehr Interesse, als ich in langer Zeit an ihm bemerkt hatte. »Aber es nimmt mich Wunder, die Erfahrung zu machen, daß die Indianer über derartige Kleinigkeiten eine lange Reihe von Jahren so treue Berichte fortpflanzen konnten.«

»Für sie ist's keine Kleinigkeit. Ihre Schlachten sind selten nach einem sehr großartigen Maaßstab zu bemessen, und sie legen großes Gewicht auf jedes Scharmützel, in welchem berühmte Krieger gefallen sind.«

Vielzunge hielt jetzt eine Weile inne und hörte aufmerksam auf das Gespräch der Häuptlinge; dann nahm er seine Erklärung wieder auf, indem er fortfuhr:

»Das Haus macht ihnen die Hauptschwierigkeit; alles Andere finden sie in der Ordnung. Der Fels, die Lage der Gebäude, das Engthal dort – kurz die ganze Umgegend scheint entsprechend zu sein, nur das Haus nicht.«

»Und welchen Anstoß nehmen sie an diesem? Steht es nicht an dem Platze, den es einnehmen sollte?«

»Eben dieß ist ihr Bedenken. Es steht ganz an der rechten Stelle, ist aber nicht die rechte Art von Haus, obschon sie sagen, die Form passe gut genug – die eine Seite laufe gegen die Felder hinaus, zwei Seiten führten nach den Felsen zurück, und die vierte werde durch die Klippe selbst gebildet. Ihre Ueberlieferungen sprechen aber davon, ihre Vorväter hätten sich Mühe gegeben, das Haus niederzubrennen, und in dieser Absicht Feuer angelegt; dieses würden sie aber wohl unterlassen haben, wenn das Gebäude steinern gewesen wäre, wie dieses hier; der Grund ihrer Verlegenheit liegt also blos in letzterem Umstande.«

»Dann haben sie in der That überraschend ausführliche und richtige Traditionen. Das Haus, welches damals auf dieser Stelle oder doch in der Nähe derselben stand, und dem Hauptplane nach Aehnlichkeit mit dem gegenwärtigen hatte, war aus viereckigen Blöcken gebaut und konnte daher wohl in Brand gesteckt werden. Es ist wirklich ein Versuch dazu gemacht worden, der aber nicht gelang. Die Berichte Eurer Häuptlinge sind ganz der Wahrheit gemäß, aber es haben inzwischen hier Veränderungen stattgefunden. Das Blockhaus hatte fast fünfzig Jahre gestanden, als es durch das gegenwärtige Gebäude ersetzt wurde, und dieses steht nun gleichfalls schon sechzig Jahre. In der That, die Ueberlieferungen dieser Leute sind wirklich überraschend.«

Sobald den Indianern diese Thatsache mitgetheilt wurde, äußerten sie ihre Zufriedenheit, und von diesem Augenblicke an hatten alle ihre Bedenken und Zweifel ein Ende. Sie wußten aus eigener Erfahrung, welchen Umschwung diese Dinge gewöhnlich in einer Ansiedlung nehmen, und konnten sich daher alle übrigen Wechsel erklären, obgleich sie Anfangs das Material des Gebäudes, welches in allen andern Stücken so gut mit ihren Traditionen übereinstimmte, in Verlegenheit gebracht hatte. Sie fuhren fort die Oertlichkeiten näher zu untersuchen, und unser Gespräch mit Vielzunge erlitt in der Zwischenzeit keine Unterbrechung.

»Ich wäre doch neugierig die Geschichte des Susquesus zu kennen,« sagte mein Onkel, »weil diese Häuptlinge einen so weiten Umweg machten, um ihn mit einem Besuch zu beehren. Mag wohl sein hohes Alter daran Schuld sein?«

»Allerdings ist dieß einer der Gründe, obschon auch noch ein wichtigerer vorhanden ist, den übrigens nur sie selbst kennen. Ich habe es oft versucht, sie über die Geschichte auszuholen, aber stets ohne Erfolg. So lange ich denken kann, haben die Onondagoes, die Tuscaroras und die Indianer von den alten New-Yorker-Stämmen, welche nach den Prairien hinaufgekommen sind, von dem biederen Onondago gesprochen, der schon ein alter Mann gewesen sein mußte, als ich geboren wurde. Namentlich erzählen sie sich in den letzteren Jahren viel von ihm, und da sich ihnen nun eine so gute Gelegenheit bot, ihn zu besuchen, so würden die im Westen es sehr übel genommen haben, wenn dieselbe vernachlässigt worden wäre. Ohne Zweifel ist sein Alter eine Haupt-Ursache; gleichwohl gibt's aber auch noch eine andere, die ich übrigens nie zu erkunden im Stand war.«

»Dieser Indianer steht nun nahezu, wo nicht völlig neunzig Jahre in unmittelbarer Beziehung zu meiner Familie. Zu dem Angriff am Ty, der im Jahr 1758 unter Abercrombie statt fand, war er ein Begleiter meines Großvaters Cornelius Littlepage, und seit dieser Zeit ist bis auf zwölf oder dreizehn Jahre hin ein ganzes Jahrhundert entschwunden. Ich glaube sogar, mein Großvater Herman Mordaunt hat ihn schon vorher einigermaßen gekannt. So lang ich mir ihn denken kann, war er ein grauköpfiger alter Mann, und wir vermuthen, daß er so gut als der Nigger, welcher bei ihm wohnt, volle hundert und zwanzig Jahre, wo nicht mehr auf dem Rücken haben muß.«

»Vor ungefähr dreiundzwanzig Wintern muß Susquesus oder dem Fährtelosen, wie er damals genannt wurde, etwas Wichtiges zugestoßen sein; so viel habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten aus den Aeußerungen der Häuptlinge entnommen. Worin übrigens dieses wichtige Ereigniß bestand – dieß habe ich nie entdecken können, obschon es mit dem gegenwärtigen Besuch eben so viel zu schaffen hat, als das hohe Alter der welken Tanne. Die Indianer haben eine hohe Achtung vor dem Alter, und wissen die Weisheit zu schätzen; im höchsten Ansehen aber steht bei ihnen Muth und Gerechtigkeit: der Ausdruck ›bieder‹ hat seine Bedeutung – hierauf könnt Ihr Euch verlassen.«

Diese Mittheilungen erregten in hohem Grad unsere Theilnahme, und auch meine Großmutter nebst ihren holden Begleiterinnen fühlten sich sehr davon angesprochen. Namentlich verrieth Marry Warren das lebhafteste Interesse für die Geschichte des alten Susquesus – eine Thatsache, welche sich in einem kurzen Zwiegespräch mit mir kund gab, als ich an der Vorderseite der Piazza mit ihr auf und ab ging, während die übrige Gesellschaft neugierig den Bewegungen der noch immer aufgeregten Wilden zusah.

»Wir beide, mein Vater und ich, haben die alten Männer oft besucht und den wärmsten Antheil an ihnen genommen,« bemerkte das verständige einfache Mädchen. »Namentlich fühlten wir eine lebhafte Sympathie für den Indianer, denn es muß Jedem, der mit ihm umgeht, bald auffallen, daß ihm sein Volk noch immer sehr am Herzen liegt. Wie wir hören, erhält er oft Besuche von den Rothhäuten – wenigstens so oft ein Indianer in die Nähe kommt; und wenn dieß geschieht, sollen sie stets eine große Ehrfurcht vor seinen Jahren und vor seinem Charakter kund geben.«

»Dieß ist vollkommen richtig, denn ich habe häufig Diejenigen gesehen, welche ihn zu besuchen kamen. Sie bestanden jedoch in der Regel blos aus Korbflechtern, jenem halben Schlag von Wilden, die von dem Charakter der einen Rasse viel verloren, und von dem der andern allerlei angenommen haben. Dieß ist meines Wissens das erste Beispiel einer so ausgezeichneten Achtungsbezeugung – oder könnt Ihr Euch noch eines anderen Vorgangs erinnern, theure Großmutter, in welchem dem alten Susquesus von seinem Volk ein so auffallender Huldigungsbeweis dargebracht wurde?«

»So weit meine Erinnerung zurückreicht, ist dieß bereits der dritte, Hugh. Bald nach meiner Vermählung, die, wie du weißt, nach dem Schluß des Revolutionskrieges stattfand, war bei Susquesus ein Indianerhaufen zu Besuch, welcher sich zehn Tage aufhielt. Die Häuptlinge bestanden, wie ich mir sagen ließ, aus lauter Onondagoes oder Kriegern seines eigenen Volkes. Es war davon die Rede, daß sie gekommen seien, um ein Mißverständniß auszugleichen, obgleich ich gestehen muß, daß ich damals zu gedankenlos war, um mich wegen des Näheren zu erkundigen. Von meinem Schwiegervater und dem Onkel Kettenträger nahm man stets an, sie seien von der ganzen Geschichte des Fährtelosen unterrichtet; indeß hat keiner je ein Wort darüber gegen mich verlauten lassen. Dein Großvater wußte aller Wahrscheinlichkeit nach nichts davon,« fügte die ehrwürdige Sprecherin mit einer Art milden Bedauerns bei, »sonst würde ich wohl auch davon gehört haben. Jener erste Besuch fand bald nach der Zeit statt, als Susquesus und Jaaf von ihrer Wohnung Besitz genommen hatten, und man erzählte sich damals, die Fremden seien so lang geblieben, weil sie gehofft hätten, Sus zu bewegen, daß er mit ihnen zu seinem Stamme zurückkehre. Wenn übrigens dieß wirklich ihre Absicht war, so schlug sie fehl, denn er bewohnt noch immer die Hütte, wie zu der Zeit, als er sie bezog.«

»Und der zweite Besuch, Großmutter? – Ihr habt von dreien gesprochen?«

»O, erzählt uns Alles, Mrs. Littlepage,« fügte Mary angelegentlich bei, obschon sie einen Moment später ob ihrer Hast bis zu den Schläfen erröthete.

Meine theure Großmutter lächelte wohlwollend uns beiden zu, und es kam mir vor, als blicke sie uns etwas schalkhaft an, wie es alte Frauen bisweilen zu halten pflegen, wenn die Bilder ihrer eigenen Jugend ihnen wieder vor die Seele treten.

»Ihr scheint eine gemeinsame Sympathie für diese rothen Männer zu hegen, meine Kinder,« antwortete sie – Mary's Antlitz überflog von einem hellen Scharlach, als sie sich also in den Ausdruck »Kinder« einschließen hörte – »und es macht mir große Freude, Eurer Neugierde zu willfahren. Der zweite große Besuch, den Susquesus von den Indianern erhielt, fiel in das Jahr deiner Geburt, Hugh, und wir fürchteten damals, den alten Mann wirklich zu verlieren: so angelegentlich drangen die Häuptlinge seines Volkes in ihn, er möchte mit ihnen fortziehen. Er wollte jedoch nicht, und ist seitdem immer hier geblieben; auch hat er mir erst vor einigen Wochen gesagt, daß er hier zu sterben wünsche. Wenn diese Indianer der Hoffnung leben, ihm eine andere Gesinnung beibringen zu können, so werden sie sich zuverlässig in ihren Erwartungen täuschen.«

»Dieß hat er auch zu meinem Vater gesagt,« versetzte Mary Warren, »der oft mit ihm vom Sterben sprach, und ihm die Augen für die Wahrheiten des Evangeliums zu öffnen hoffte.«

»Und welchen Erfolg hat er erzielt, Miß Warren? Wenn sich dieß erringen ließe, so wäre es ein höchst würdiger Schluß für die Laufbahn des alten Mannes.«

»Leider hat er nicht viel ausgerichtet,« antwortete das bezaubernde Mädchen in gedämpftem melancholischem Tone. »Wenigstens weiß ich, daß mein Vater seine Erwartungen nicht erfüllt sieht. Sus hört ihm aufmerksam zu, verräth aber außer seiner Ehrerbietigkeit gegen den Sprecher kein anderes Gefühl. Es sind früher Versuche gemacht worden, ihn zum Eintritt in die Kirche zu bewegen, aber – –«

»Ihr wolltet etwas beifügen, Miß Warren? Ich bin begierig, den Schluß Eurer Rede zu hören.«

»Die Ergänzung will ich für sie übernehmen,« ergriff meine Großmutter das Wort, »denn ich weiß wohl, daß du sie von Mary Warren vergeblich erwartest. Es ist dir ja aus eigener Erfahrung bekannt, Hugh, daß Mr. Warrens Vorgänger ein ungetreuer, selbstsüchtiger Diener der Kirche war, der Niemand etwas Liebes that, nicht einmal sich selbst. In Amerika gehört viel dazu, bis ein Geistlicher die Geduld des Volks erschöpft hat; aber zuletzt ist's doch möglich, und sind die Leute einmal so weit gekommen, daß sie den Geistlichen nach dem Maaßstab messen, den sie an andere Personen anlegen, so folgt eine Reaction, die für den Betreffenden von großem Nachtheil ist. Wenn wir auch das Benehmen des vormaligen Pfründners von St. Andrews mit dem Schleier christlicher Liebe decken wollten, so brauchte man dazu doch einen so dichten und großen Schleier, daß die Aufgabe nicht leicht würde. Mary ist blos der Meinung, vor zwanzig Jahren hätte eine bessere Unterweisung und eine treuere Pflichterfüllung bei dem Fährtelosen mehr ausrichten können, als heutzutag überhaupt möglich ist.«

»Ach, welchen unberechenbaren Schaden können nicht gewissenlose Geistliche der Kirche Gottes zufügen! Ein einziges schlimmes Beispiel verwirrt mehr Gemüther, als zwanzig gute Vorbilder zu befestigen im Stande sind.«

»Ich weiß dieß nicht, Hugh, aber Eines ist eine zuverlässige Wahrheit – es geschieht weit mehr Nachtheil, wenn man durch den Versuch, unwürdigen Geistlichen das Wort zu reden, für die Ehre der Kirche zu kämpfen meint, als wenn man mit einem Male ihre Vergehungen zugesteht, im Falle sie erwiesen sind. Uns Allen ist bekannt, daß die Diener des Altars nur Menschen sind, und als solche fallen können – ja sogar fallen müssen, wenn ihnen die göttliche Gnade nicht beisteht. Aber obgleich wir den Diener Gottes nicht rein machen können, müssen wir doch Alles aufbieten, um den Altar selbst vor Befleckung zu bewahren.«

»Ja, ja, Großmutter – aber die Zeit der ex officio-Religion ist dahin« – Mary entfernte sich jetzt, um sich den übrigen Mädchen anzuschließen – »wenigstens in dem amerikanischen Zweig der Kirche, und 's ist so auch am besten. Verdächtigungen sind zwar niedrig und unwürdig; aber eine blinde Leichtgläubigkeit verdient Verachtung. Wenn ich z.B. auf jenem Zweige dort eine Kastanie sähe, so würde es ja ein Akt der maßlosesten Thorheit von mir sein, wenn ich den Baum selbst für einen Wallnußbaum hielte, gleichviel ob auch die Baumgärtner des ganzen Landes bereit wären, das Letztere als eine Wahrheit zu beschwören.«

Meine Großmutter lächelte und entfernte sich gleichfalls, während ich meinerseits Onkel Ro wieder aufsuchte.

»Der Dolmetscher sagt mir, Hugh,« begann der Letztere, »daß die Häuptlinge heute Abend ihren ersten Besuch in der Hütte abstatten wollen. Zum Glück ist das alte Farmhaus eben jetzt leer, weil Miller das neue bezogen hat, und ich gab Mr. Vielzunge die Weisung, er solle sich während seines und seiner Leute Aufenthalts dort einrichten. Das Haus hat eine Küche und kann vollkommen gut benützt werden; für die Wirthschaft unserer Gäste brauchen wir also blos einige Kochgeräthschaften – meinetwegen etliche Töpfe – nebst einem halbhundert Strohbunden hinzuschicken. Ich habe bereits Auftrag dazu ertheilt, weil ich dich nicht behelligen wollte – vielleicht auch, weil man ein Vormunds-Ansehen nicht so gerne niederlegt – und das Stroh wird bereits im Scheunenhofe dort geladen. In einer halben Stunde können sie unter prudelnden Ravensnester Töpfen sich gütlich thun.«

»Führen wir sie vorher in ihr Haus ein, oder erst nachdem sie Susquesus ihren Besuch gemacht haben?«

»Natürlich vorher. John hat sich erboten, den Onondago von der Ehre, die ihm zugedacht ist, in Kenntniß zu setzen und ihm bei Beschickung seiner Toilette Beistand zu leisten; denn der rothe Mann wird sich eben so ungern als ein Anderer im Negligé betreten lassen. Während dieß geschieht, können wir unsern Gästen ihren neuen Wohnplatz anweisen und die Vorbereitungen zu ihrem Nachtessen einleiten. Was die ›Inschens‹ betrifft, so haben wir allem Erwarten nach wenig von ihnen zu befürchten, so lang ein so starker Haufen ächter Simon Pures in Rufweite lagert.«

Wir ersuchten hierauf den Dolmetscher, er möchte seine Häuptlinge nach der ihnen zugedachten Wohnung führen, und ging ihnen voran, während die Damen auf dem Rasen zurückblieben. Es war um die Zeit der längsten Tage, weßhalb wir für einen Besuch der Hütte die Kühle des Abends einer früheren Stunde vorzogen. Noch ehe wir aufgebrochen waren, hatte meine Großmutter zu Bespannung ihres bedeckten Wagens Auftrag ertheilt, weil sie selbst auch einer Begegnung anwohnen wollte, die für Jedermann so großes Interesse haben mußte.

Das leere Gebäude, welches wir den Indianern zur Benützung eingeräumt hatten, war ein volles Jahrhundert alt und von meinem Ahnherrn Herman Mordaunt als Wohnung für den gedungenen Bewirthschafter seiner Farm gebaut worden. Diesem Zweck hatte es lange gedient, bis wir es endlich passend fanden, an einem gelegeneren Platze ein neues Gebäude von bequemerer Form herzustellen. Das alte Haus war als Reliquie stehen geblieben und noch immer nicht abgebrochen worden, obschon man von Jahr zu Jahr von der Zweckmäßigkeit seiner Wegräumung sprach. So blieb es mir denn belassen, über sein Geschick zu entscheiden, wenn nicht etwa der »Geist der Institutionen« Einsprache erhob und mir die Macht entriß, auch über diesen Rest meines Eigenthums nach Belieben zu schalten, damit die Menschheit sehe, wie durch und durch der große Staat New-York von seiner Liebe zu einer vernünftigen Freiheit erfüllt ist.

Als wir auf das »alte Farmhaus« zugingen, kam uns Miller aus dem anderen Gebäude entgegen. Er hatte gehört, seine Freunde, die Hausirer, seien seine – wie soll ich mich selbst nennen –? Herren, wäre zwar der gesetzliche Ausdruck, und dürfte in unserer Muttersprache das Verhältniß gut bezeichnen; aber ich würde hiedurch dem »ehrenwerther Gentleman« und seinen Freunden eine tödtliche Beleidigung zufügen, sintemal ich in Erfahrung gebracht habe, daß manche Leute unter uns Thatsachen, welche so einfach sind, wie die Nasen in ihren Gesichtern, in Abrede ziehen, und dem Gesetz eine Ohrfeige geben, wo immer sie es für passend halten. Diesen ausgezeichneten Staatsmännern zu Gefallen werde ich mich übrigens nicht »Meister« nennen; ich muß mich daher mit einer Bezeichnung begnügen, die, wenn der strebende Geist des Tages durchgreift, bald eine Wahrheit werden wird, und so will ich mich denn Tom Millers – – »Nichts« tituliren.

Es war deutlich zu merken, daß Miller über die Klemme, in welcher er steckte, sich in großer Verlegenheit befand. Seit einer langen Reihe von Jahren hatte seine Familie in meinem und der Meinigen Dienst gestanden und – wie es bei solchen Leuten stets zu gehen pflegt, wenn sie das Unglück haben, einem heillosen Aristokraten dienen zu müssen – einen weit höheren Lohn erhalten, als wohl von den Newcomes, Holmes und Tubbsen bezahlt worden wäre, der weit bessern Behandlung in allen wesentlichen Punkten gar nicht zu gedenken; jetzt aber brauchte er nur den Grundsätzen der Antirenters anzuhängen, um die Farm, die er so lang gegen Bezahlung bestellt hatte, als Eigenthum anzusprechen. Ja, dieselben Prinzipien konnten mit gleichem Recht diesem Miethling mein Heimwesen und meine Farm übertragen, als sie den Pächtern meines Besitzthums die von ihnen bewirthschafteten Grundstücke zuzusprechen im Stande waren. Allerdings erhielt der eine Theil Lohn, während der andere Renten zahlen mußte; doch diese Thatsachen ändern am Grundsatze nichts, sintemal der gemiethete Knecht aus seiner Arbeit keinen weiteren Vortheil zieht, der Rentenzahler aber Herr des ganzen Ertrags – ich bitte um Verzeihung – Meister des ganzen Ertrags ist. Der gemeinsame Rechtstitel – wenn anders ein solcher existirt – liegt eben in dem Umstand, daß Jeder seine Anstrengung einer bestimmten Farm zuwandte, folglich hieraus ein Recht erwirbt, sie für alle künftige Zeiten zu besitzen.

Miller versuchte, sich in linkischer Weise zu entschuldigen, daß er mich nicht erkannt habe, und war bemüht, eine oder die andere Kleinigkeit wegzudeuteln, von der er fühlte, daß er durch sie in eine unbequeme Lage gerieth; übrigens achtete weder mein Onkel noch ich sonderlich darauf. Wir wußten, daß der arme Tom eben auch ein Mensch war, und sich daher leicht durch den Eigennutz bestimmen ließ. Wenn Einer sich sagen muß, er habe noch weit hin bis zur obersten Stufe in der gesellschaftlichen Leiter, so wirkt die Versuchung eben gar übermächtig, wenn sie ihm in Aussicht stellt, er könne ein paar Sprossen höher gelangen; und schlägt der Erfolg fehl, so bedarf es eines edleren Sinns und vielleicht auch einer höheren Stellung, wenn ein Mann, wie Tom Miller, nicht einer gewissen dämonischen Freude zugänglich sein soll, die man bei so Vielen findet, wenn sie eine Möglichkeit absehen, daß Andere zu ihrem Niveau herabgezerrt werden. Wir hörten Toms Entschuldigungen gutmüthig an, ohne uns übrigens durch Zusagen oder Erklärungen irgend eine Blöße zu geben.


 


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