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Elftes Kapitel.

Wie anders jetzt! Ein neues Band
Der Liebe schlang' sich durch mein Leben;
Doch ach, es sollt' das holde Pfand
Geschwisterherzen nur verweben.

Willis.

 

Eine halbe Stunde später saßen Onkel Ro und ich am Tisch, um unser Mittagsmahl so ruhig zu verzehren, als ob wir uns in einem Wirthshaus befänden. Der Bediente, welcher die Tafel beschickt hatte, war schon lange in der Familie und hatte in diesem Haus den gleichen Dienst wohl schon ein Vierteljahrhundert besorgt. Natürlich war er kein Amerikaner von Geburt, denn diese bleiben nie so lange in einer untergeordneten Stellung, oder überhaupt in was immer für einer Stellung, welche so niedrig steht, wie die eines Hausdieners. Sind seine Eigenschaften so, daß man wünschen kann, ihn zu behalten, so darf er fast mit Sicherheit darauf zählen, daß er in der Welt sein Auskommen findet, und ist dieses nicht der Fall, so ist Niemand sonderlich daran gelegen, ob er geht oder bleibt. Die Europäer jedoch sind weniger regsam und weniger ehrgeizig: es ist daher nichts so Ungewöhnliches, derartige Personen geraume Zeit in demselben Dienste zu finden. So verhielt sich's nun auch mit John, der meine Eltern, als sie von ihrer Hochzeitreise aus Europa zurückkehrten, begleitet hatte und seit meiner Geburt im Hause geblieben war. Er stammte aus England und war nichts weniger als unverschämt geworden – eine sehr ungewöhnliche Erscheinung bei einem Dienstboten aus diesem Lande, wenn er nach Amerika verpflanzt wird, da dergleichen Personen sonst durch den plötzlichen Uebergang von der Bedrückung ihrer ursprünglichen Lage zu einem freien Verhältniß in der Regel ziemlich übermüthig werden. Bei dem Amerikaner trifft man, wie auch die Umstände sich gestalten mögen, selten eine eigentliche Unverschämtheit. Zwar ist er gleichgültig gegen die Förmlichkeiten des Lebens, die er vielleicht gar nicht einmal kennt, nimmt auf die rein konventionellen Verhältnisse wenig oder gar keine Rücksicht, versteht nicht viel von den Unterschieden, welche selbst unter den höheren Klassen seiner eigenen Landsleute stattfinden, und träumt von einer Gleichheit auch in Dingen, über die ihn der Augenschein an der eigenen Person sowohl, als an anderen täglich vom Gegentheil belehren könnte, blos weil er in der Ansicht aufgewachsen ist, daß alle Menschen gleiche Rechte hätten; jedenfalls aber weiß er so wenig von einem Druck irgend einer Art, daß er selten eine Neigung fühlt, durch Unverschämtheit hiegegen Rache zu nehmen.

Obgleich man John in dieser Hinsicht keinen Vorwurf machen konnte, wohnte ihm doch das seiner Klasse gewöhnliche Gefühl in, sobald er mit Personen in Berührung kam, von denen er meinte, sie seien nicht besser, als er selbst. Er hatte den Tisch mit der gewohnten Reinlichkeit und Ordnungsliebe beschickt und trug die Suppe so regelmäßig auf, wie wenn wir in unserer wahren Eigenschaft an der Tafel gesessen hätten; dann aber entfernte er sich. Wahrscheinlich erinnerte er sich, daß der Wirth oder der Oberkellner eines englischen Gasthauses blos mit der Suppe zu erscheinen pflegt und sich unsichtbar macht, sobald diese verzehrt ist. So hielt es nun auch John. Sobald er die Schüssel abgetragen hatte, rückte er einen Drehtisch an die Seite meines Onkels, brachte ein Vorlegbesteck herbei, als wollte er sagen: »Jetzt bedient Euch selber,« und verließ das Zimmer. Natürlich war unser Mittagsmahl nicht sehr auserlesen, weil noch zwei oder drei Stunden zur regelmäßigen Essenszeit fehlten, obschon meine Großmutter zu Patts großer Bewunderung in meinem Beisein Befehl ertheilt hatte, daß wir mit einem oder dem anderen Leckerbissen bedient werden sollten. Unter die außerordentliche Bewirthung für solche Gäste gehörte auch der Wein; das Auffallende daran ließ sich übrigens einigermaßen durch die empfohlene Qualität erklären, da sie die Weisung erlassen hatte, uns Rheinwein aufzutischen.

Onkel Ro war nicht wenig erstaunt über Johns Verschwinden, denn wenn er in diesem Zimmer saß, so war er an das Gesicht des alten Dieners so gewöhnt, daß er sich ohne ihn nur halb zu Hause fühlte.

»Doch mag der Kerl immer fortbleiben,« sagte er, die Hand von der Klingelschnur wieder entfernend, nachdem er letztere bereits ergriffen hatte, um ihn zurückzurufen; »wir können ohne ihn zwangloser sprechen. Nun, Hugh, da bist du jetzt unter deinem eigenen Dach, verzehrst ein Mahl der Barmherzigkeit, und wirst mit einer Gastfreundlichkeit behandelt, als ob nicht Alles, was du im Umkreis von zwei Stunden sehen kannst, dein Eigenthum wäre. Beiläufig muß ich übrigens bemerken, es war ein glücklicher Einfall von der Dame, daß sie für uns in unserer Eigenschaft als Deutsche diesen Rüdesheimer bestellte! Wie erstaunlich gut sie noch aussieht, Junge!«

»Ja wohl, und ich bin hocherfreut darüber. Ich sehe nicht ein, warum meine Großmutter nicht noch zwanzig Jahre leben sollte, denn auch hiedurch würde sie noch lange nicht so alt wie Sus, der, wie ich sie oft sagen hörte, schon zur Zeit ihrer Geburt in seinen mittleren Jahren stand.«

»Du hast Recht; sie kommt mir eher wie eine ältere Schwester. als wie eine Mutter vor, denn sie ist in der That noch eine liebliche alte Frau. Aber wenn die Alten schon so bezaubernd sind – wir haben auch einige recht liebenswürdige junge Frauenzimmer da; was meinst du, Hugh?«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht, Sir, und muß sagen, ich habe in langer Zeit nicht zwei so entzückende Wesen bei einander gesehen, wie die sind, welche ich hier getroffen.«

»Zwei? – hum; man sollte meinen, eine könnte zureichen. Und wenn man fragen darf, wer sind denn diese zwei, Meister Padischah?«

»Natürlich Patt und Mary Warren. Die beiden andern sind auch recht artig, aber diese zwei behaupten bei Weitem den Vorrang.«

Onkel Ro machte ein verdrießliches Gesicht, sagte aber zur Zeit nichts weiter. Das Essen ist stets ein guter Vorwand für die Unterbrechung eines Gesprächs, und er tafelte drauflos, als sei er entschlossen, seinen Aerger mit hinunterzuschlingen. Für einen Gentleman ist's übrigens eine schwere Aufgabe, bei Tische nichts Anderes zu thun, als zu essen, und so sah er sich endlich genöthigt, die Unterhaltung wieder anzuspinnen.

»Im Grund sieht doch Alles recht gut hier aus, Hugh,« bemerkte mein Onkel. »Die Antirenters mögen zwar in ihrem Mißbrauch von Grundsätzen unendlich viel Schaden gethan haben; indeß gewinnt es doch den Anschein, als ob sie in materiellen Dingen noch nicht zerstörend eingegriffen hätten.«

»Damit wäre ihnen schlecht gedient, Sir. Die Ernten gehören ihnen, und da sie die Farmen als Eigenthum zu erhalten hoffen, so wäre es kaum weislich von ihnen gehandelt, das zu beschädigen, was sie ohne Zweifel schon jetzt als das Ihrige anzusehen beginnen. Was das Nesthaus, die Gründe, die Farm u. s. w. betrifft, so sind sie wahrscheinlich gerne geneigt, mir alles dieß noch eine Weile zu lassen, vorausgesetzt, daß sie mir nur das Uebrige abspannen können.«

»Du magst Recht haben – für eine Weile, obgleich es eine große Thorheit wäre, wenn man erwarten wollte, daß man mit Zugeständnissen ausreichen könne. Wenn sich's einmal um ungerechte Forderungen handelt, so ist der Mensch mit Abtretung eines Theils nie zufrieden, sondern wird früher oder später auch das Ganze an sich zu bringen suchen. Man könnte eben so gut von dem Taschendieb, welcher einen Dollar stahl, erwarten, er werde die Hälfte wieder herausgeben. Uebrigens muß ich sagen, daß mir das Aussehen des Platzes recht gut gefällt.«

»Um so besser für uns. Indeß muß ich, wenn ich mein Urtheil und meinen Geschmack zu Rathe ziehe, sagen, daß Mary Warren einen günstigeren Eindruck auf mich gemacht hat, als Alles, was ich letzter Zeit in Amerika zu Gesicht bekam.«

Ein abermaliges »hum« bekundete die Unzufriedenheit meines Onkels – denn die Bezeichnung wäre zu stark, wenn ich Mißvergnügen sagen wollte. Er griff auf's Neue nach seiner Gabel.

»Du hast in der That trefflichen Rheinwein in deinem Keller, Hugh,« nahm Onkel Ro wieder auf, nachdem er eines der bekannten grünen Gläser geleert hatte. Beiläufig muß ich hier bemerken, daß ich nie begreifen konnte, warum man den Wein aus Grün trinken mag, da er sich doch in Kristallgläsern weit besser ausnimmt. »Er muß von dem Vorrath sein, den ich während meines letzten Besuchs in Deutschland für meine Mutter kaufte.«

»Möge er Euch immerhin wohl bekommen, Sir; aber so viel bleibt gewiß, daß er der Schönheit Martha's und ihrer Freundin weder Etwas zulegt, noch abnimmt.«

»Da du einmal auf solche kindische Anspielungen erpicht bist, so sei auch offen gegen mich und sage mir unverhohlen, wie dir meine Mündel gefallen.«

»Ihr meint natürlich Eure Mündel mit Ausschluß meiner Schwester? Ich will so aufrichtig, als nur immer möglich sein und Euch sagen, daß mir in Beziehung auf Miß Marston durchaus keine Ansicht zusteht. Was aber Miß Coldbrooke betrifft, so ist sie, was man in Europa ein ›elegantes‹ Frauenzimmer nennen würde.«

»Von ihrem Geist kannst du natürlich nichts sagen, Hugh, da du noch keine Gelegenheit hattest, dir hierüber ein Urtheil zu bilden.«

»Ich gebe zu, daß meine Erfahrung sehr beschränkt ist. Gleichwohl würde sie mir besser gefallen haben, wenn sie die Anspielung auf die ›passende Person‹ unterlassen hätte, die eines Tages meiner Schwester eine Kette besorgen soll. Dieser Anfang hat nicht den besten Eindruck auf mich gemacht.«

»Pah, pah, dieß ist eitel knabenhafte Bedenklichkeit. Ich halte sie durchaus nicht für vorlaut oder naseweis, und deine Deutung dürfte tant soit peu gemein sein.«

»So versucht Ihr Euch mit einer Deutung, mon Oncle. Jedenfalls hat mir die Bemerkung durchaus nicht zugesagt.«

»Es nimmt mich nicht Wunder, warum junge Männer unverehelicht bleiben, denn sie werden sogar übertrieben in ihren Liebhabereien und Ansichten.«

Ein Fremder hätte auf eine solche Rede dem alten Junggesellen sein eigenes Beispiel entgegenhalten können; aber ich wußte zu gut, daß Onkel Ro einmal verlobt gewesen war und den Gegenstand seiner Neigung durch den Tod verloren hatte. Auch achtete ich seine Beständigkeit und sein treues Gefühl zu sehr, um mir über einen derartigen Gegenstand einen Scherz zu erlauben. Ich glaube, daß er die Zartheit meines Schweigens mehr als gewöhnlich zu würdigen wußte, denn er legte unmittelbar darauf seine Geneigtheit an den Tag, die Sache auf die leichte Achsel zu nehmen und mir dieß dadurch zu beweisen, daß er dem Gespräch eine andere Wendung gab.

»Wir können heute Nacht nicht hier bleiben,« sagte er; »denn dadurch wären mit einem Male unsere Namen verrathen – oder vielmehr unser Name – ein Name, der sonst so geehrt und geliebt in dieser Gegend war, jetzt aber ein Gegenstand des Hasses geworden ist.«

»O nicht doch – so schlimm steht's noch nicht. Wir haben nichts gethan, um Haß zu verdienen.«

» Raison de plus, uns um so herzlicher zu hassen. Wenn Leuten Unrecht geschieht, die nichts verschuldet haben, um eine solche Behandlung zu verdienen, so sucht der Uebelthäter seine Bosheit vor sich selbst dadurch zu rechtfertigen, daß er Allem aufbietet, den gekränkten Theil noch obendrein zu verläumden; und je schwieriger ihm dieß wird, desto tiefer wurzelt in seinem Innern der Haß. Verlaß dich darauf, man kann uns hier auf dieser Stelle, wo wir Beide sonst so geliebt waren, aus tiefstem Herzensgrund nicht leiden. So ist's aber mit der Menschennatur.«

In diesem Augenblick kehrte John in's Zimmer zurück, um zu sehen, ob wir mit unserer Mahlzeit fertig seien, und die Löffel und Gabeln zu zählen; denn ich bemerkte, daß der Kerl dieß wirklich that. Mein Onkel folgte dem Gang der Gedanken, der zur Zeit in seinem Geist übermächtig war, und hielt John – etwas unbesonnen, wie mich däuchte – durch ein Gespräch fest.

»Dieses Gut hier,« begann er fragend, »ist – wie ich höre – das Eigenthum eines General Littlepage?«

»Nicht des Generals. Dieser war der Gatte von Madame Littlepage und ist längst todt. Sein Enkel, Mr. Hugh, ist der nunmehrige Eigenthümer.«

»Und wo mag wohl dieser Mr. Hugh sein? – in der Nähe oder nicht?«

»Nein, er befindet sich in Europa – das heißt, in England.« John meinte, England decke den größten Theil von Europa, obschon er den Wunsch, dahin zurückzukehren, längst überwunden hatte. »Mr. Hugh und sein Onkel Mr. Roger sind gegenwärtig nicht im Lande anwesend.«

»Dieß ist ein Unglück, denn wie ich höre, gibt es hier herum viel Unruhen, und namentlich macht sich die Inschenkomödie breit.«

»Ja wohl, und es ist eine Schändlichkeit, daß man ein solches Treiben gewähren läßt.«

»Aber was ist der Grund der großen Aufgeregtheit? Wer hat sie verschuldet?«

»Ei, dieß liegt nahe genug, sollte ich meinen,« entgegnete John, der sich, weil er so lange ein begünstigter Diener im Hauptquartier gewesen war, sich selbst für eine Art von Kabinetsminister hielt und einen Gefallen daran fand, seine Weisheit zur Schau zu stellen. »Die Pächter auf diesem Besitzthum möchten gerne Grundherren sein, und da dieß nicht angeht, so lange Mr. Hugh lebt und seine Einwilligung nicht gibt, so versuchen sie's eben mit allen möglichen Planen und Entwürfen, um den Leuten durch Einschüchterung die Lust an ihrem Eigenthum zu entleiden. Ich komme nie in's Dorf hinunter, ohne mit einigen von den Bewohnern zu sprechen, und da sage ich ihnen denn Wahrheiten, die ihnen gut thun können, wenn überhaupt bei diesem Volke noch etwas verfängt.«

»Und was sagt Ihr ihnen? Mit was für Leuten sprecht Ihr, denen Eure Wahrheiten Nutzen bringen könnten?«

»Je nun, seht Ihr, ich unterhalte mich hauptsächlich mit einem gewissen Squire Newcome, wie man ihn nennt, obschon ihm eben so wenig der Titel eines Squire gebührt, als Ihr auf diese Bezeichnung Anspruch machen werdet, da er nur so eine Art Attorney ist, wie man ihrer viele in diesem Lande hat. Ihr kommt aus der alten Welt, glaube ich?«

»Ja, ja – wir kommen aus Tscharmany; Ihr könnt also sagen, was Euch beliebt.«

»Wenn man die Wahrheit sagen soll– es gibt kuriose Squires in diesem Theil der Welt. Denn dieß gehört nicht hieher, obschon ich diesem Mr. Seneka Newcome so gut heimgebe, als er austheilt. Was wollt Ihr denn eigentlich? sage ich zu ihm. Ihr könnt nicht Alle Grundherren sein, denn es muß auch Pächter geben; und wenn ihr keine Pächter sein wollt, wer kann euch dazu zwingen, es zu bleiben? Amerika hat Land in Menge und noch dazu wohlfeiles Land. Warum habt ihr euch nicht von Anfang an liegendes Eigenthum erworben und seid hieher gekommen, um euch auf Mr. Hugh's Ländereien anzusiedeln? Und nun ihr euch eingepachtet habt – wozu auch die Händel über eine Sache, die nur von eurem freien Willen abhing?«

»Dieß war eine sehr gute Bemerkung. Und was hat der Squire darauf erwiedert?«

»Oh, Anfangs schwieg er mäuschenstille darauf; dann aber sagte er, als in alten Zeiten die Leute diese Ländereien pachteten, hätten sie sich nicht so gut auf ihren Vortheil verstanden, wie dieß heutigen Tags der Fall sei, sonst würden sie es unterlassen haben.«

»Und Ihr konntet hierauf antworten, oder kam jetzt die Reihe an Euch, mäuschenstille zu sein?«

»Nein, ich hab's ihm wieder tüchtig gegeben, wie man zu sagen pflegt. Sag' ich zu ihm, wie kömmt dieß, sage ich – ihr thut immer so dick mit eurer amerikanischen Gescheidtheit – und wie das Volk Alles wisse, was zu geschehen habe, sowohl in der Politik, als in der Religion. Ihr schreit nah und fern aus, eure Freisassen seien das Salz der Erde, und doch wißt ihr nicht einmal, wie ihr eure Pachtverträge abschließen müßt. Eine saubere Art von Weisheit, sagte ich. Und da hatt' ich ihn; denn das Volk in der ganzen Umgegend ist nur zu pfiffig, wenn der Handel mit in's Spiel kömmt.«

»Hat dieser Herr Squire Newcome zugestanden, daß das Recht auf Eurer Seite sei und daß er Unrecht habe?«

»Bei Leibe nicht; er gesteht nie etwas ein, was gegen seine eigene Doktrin geht, es müßte denn unwissender Weise geschehen. Aber ich habe Euch noch nicht halb genug mitgetheilt. Ich sagte ihm, sag' ich, wie mögt ihr nur davon sprechen, daß einer von der Littlepager Familie euch betrüge, während ihr doch recht wohl wißt, daß euch das Wort eines Angehörigen derselben Familie weit lieber ist, sage ich, als wenn euch ein anderer Leib und Seele verschreibt. Ihr wißt, Sir, es muß ein erbärmlicher Grundherr sein, mit dessen Wort sich nicht ein Pächter gerne begnügen könnte und würde. Man weiß wohl, daß all' dieß buchstäbliche Wahrheit ist, denn ein Gentleman mit einem schönen Besitzthum ist über die Versuchung erhaben und setzt einen Stolz darein, zu thun, was recht und honett ist. Ich bin daher der Ansicht, daß es gut sei, einige solcher Leute im Land zu haben, wenn's auch nur wäre, daß die Schlechten nicht ganz und gar in ihre Schuhe treten.«

»Und all' dieß habt Ihr dem Squire gesagt?«

»Nein, dieß sage ich nur zu euch Zweien, weil wir da eben in freundlicher Weise miteinander reden. Aber kein Mensch darf sich schämen, es überall auszusagen, denn es ist so wahr wie die Bibel. Sage ich zu ihm: Newcome, sage ich, Ihr, der Ihr so lang auf dem Eigenthum der Littlepage's gelebt habt, solltet Euch schämen, sie ausziehen zu wollen. Könnt Ihr nicht damit zufrieden sein, daß Ihr Gentlemen so ganz und gar in den Hintergrund drängt, indem Ihr alle Aemter an Euch reißt und alle öffentlichen Gelder, an die Ihr Hand legen könnt, in den eigenen Nutzen verwendet? Müßt Ihr sie auch noch mit Füßen treten, sage ich, und dadurch für das, was Ihr seid, Rache an ihnen nehmen? sage ich.«

»Ei, mein Freund,« entgegnete mein Onkel, »Ihr seid sehr dreist gewesen, daß Ihr es wagtet, den Leuten alles Dieß hier zu Land zu sagen, wo, wie ich höre, Niemand sich frei aussprechen darf, wenn in seinen Gedanken etwa allzuviel Wahrheit liegt.«

»Ja, dieß ist's – dieß ist's; ich merke schon, daß Ihr schnell lernt. Ich sagte dieß Mr. Newcome, sagte ich, – Ihr seid keck genug, über Könige und Adelige zu schimpfen, denn Ihr wißt gar wohl, sage ich, daß sie über tausend Stunden von Euch weg sind, und Euch nichts anhaben können. So weit erkühntet Ihr Euch aber nicht, um vor Euren Herren, dem Volk, aufzutreten und ihm zu sagen, was Ihr wirklich von ihnen denkt und was ich Euch unter vier Augen auch aussprechen hörte. Ja, Ihr würdet eben so gern Euern Kopf vor eine Kanonenmündung hinhalten, wenn der Kanonier bereits mit der Lunte ausgeholt hat. Oh, ich hab's ihm hingesagt – darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

Obgleich in dieser Logik und Denkweise ein starker Beigeschmack vom englischen Bedienten sich aussprach, lag doch in seinen Bemerkungen viel Wahrheit. Namentlich ist diejenige, in welcher er Newcome beschuldigte, er behalte jenen Theil seiner Ansichten, die seine Gebieter betreffen, für sich, während er die übrigen der Oeffentlichkeit preisgebe, aus dem Leben gegriffen. Durch das ganze weite Bereich der amerikanischen Staaten gibt es in diesem Augenblick nicht einen einzigen Demagogen, welchem nicht mit Recht die nämliche Täuschung zum Vorwurf gemacht werden könnte. Dieselben Personen, welche jetzt im Lande vor dem Volk kriechen, um ihre selbstsüchtigen Zwecke zu erreichen, würden in einer Monarchie nicht nur die demüthigsten Verfechter der Gewalthaber sein, sondern sogar keinen Anstand nehmen, zu den Füßen Derjenigen niederzuknieen, welche dem Herrscher nahe stehen. Im gegenwärtigen Augenblick ist unter uns kein einziger mit Macht bekleideter Mann (sei er nun Senator oder Gesetzgeber), der nicht – während er jetzt die sogenannten Rechte der Pächter vertheidigt und dabei von allen Grundsätzen des Gewissens und der Gesetzgebung abgeht, um die Antirenters durch außerordentliche Zugeständnisse zu beschwichtigen – unter einem monarchischen System laut nach der Beihilfe des Schwertes und des Bajonettes schreien würde, um (wie es dann heißen würde) »der räuberischen Gier eines mißvergnügten Haufens ein Ziel zu setzen, welcher das Eigenthum Anderer an sich reißen möchte, ohne dafür Zahlung zu leisten.«

Alles Dieß ist eine unumstößliche Wahrheit, denn sie beruht auf einem umwandelbaren inneren Gesetz. Jeder, welcher von dem wahren Charakter der öffentlichen Personen, welche er zu unterstützen oder zu bekämpfen aufgefordert wird, ein richtiges Bild gewinnen will, hat jetzt Gelegenheit dazu; denn diese Ehrenmänner stehen nunmehr vor einem Spiegel, der sie in allen ihren Verhältnissen wieder gibt, und in den auch das blödeste Auge nur einen Blick zu werfen braucht, um sie von Kopf bis zu den Füßen zu übersehen.

Meine Großmutter trat jetzt ein und Johns Redseligkeit wurde unterbrochen. Sie ertheilte ihm einen Auftrag, um ihn aus dem Zimmer zu entfernen, und nun erfuhr ich den Zweck ihres Besuchs. Meine Schwester war mit in das Geheimniß unserer Verkleidung gezogen worden und brannte vor Verlangen, mich zu umarmen. Meine liebe Großmutter hatte die Sache bei sich erwogen und war zu dem vollkommen richtigen Schluß gelangt, daß es im höchsten Grade lieblos sein würde, wenn man Patt über unsere Anwesenheit im Ungewissen lassen wollte, und sobald einmal die Thatsache enthüllt war, so machte die Natur ihre Sehnsucht geltend, die natürlich befriedigt werden mußte. Hatte ich mich doch selbst auch diesen Morgen wohl zwanzigmal versucht gefühlt, Patt an meine Brust zu drücken und sie zu küssen, wie ich so oft zu thun pflegte, als mir der Bart zu sprossen begann und sie kindisch sich darüber beschwerte. Es mußte daher jetzt eine Einleitung getroffen werden, wie eine Begegnung unter uns stattfinden konnte, ohne daß der Argwohn anderer Personen geweckt wurde. Meine Großmutter hatte hiefür schon ihre Anstalten getroffen und theilte uns jetzt dieselben mit.

Neben Martha's Schlafgemach befand sich ein kleines Ankleidezimmer, in welchem die Zusammenkunft stattfinden sollte.

»Sie ist jetzt mit Mary Warren dort und erwartet dein Erscheinen, Hugh – –«

»Mary Warren?« entgegnete ich. »Weiß sie also gleichfalls, wer ich bin?«

»Nicht im Geringsten. Sie hat keinen andern Gedanken, als daß du ein junger Deutscher von guter Herkunft und Erziehung seiest, der durch politische Zerwürfnisse aus seinem Vaterlande vertrieben wurde und durch seine Lage genöthigt ist, aus seinem musikalischen Talent Vortheil zu ziehen, bis er irgendwo ein besseres Unterkommen finden kann. Alles dieß hat sie uns schon mitgetheilt, ehe wir mit dir zusammentrafen, und du brauchst nicht eitel zu werden, Hugh, wenn ich beifüge, daß dein vermeintliches Unglück dein gutes Flötenspiel und dein anständiges Benehmen dir die Freundschaft eines der besten und edelsten Mädchen gewonnen haben, die mir je ein günstiges Geschick in den Weg führte. Ich sage, dein anständiges Benehmen, denn vorderhand kann nicht viel auf Rechnung deines guten Aussehens geschrieben werden.«

»Ich will doch nicht hoffen, daß ich in dieser Verkleidung wirklich abschreckend aussehe. Um meiner Schwester willen – –«

Das herzliche Lachen meiner lieben alten Großmutter verdroß mich, und ich sagte nichts mehr, obschon ich glaube, daß ich über meine eigene Thorheit ein wenig erröthete. Auch Onkel Ro stimmte in ihre Heiterkeit ein; zugleich aber konnte ich sehen, daß er Mary Warren mit ihrem Vater wohlbehalten über alle Berge wünschte, sintemal ihm es lieber gewesen wäre, der Letztere säße als Erzbischof von Canterbury in England, als daß er durch seine Anwesenheit in Amerika einen seiner Lieblingsplane kreuzte. Ich muß gestehen, daß ich mich sehr ob der Schwäche schämte, die ich eben kund gegeben hatte.

»Du siehst so übel nicht aus, lieber Hugh,« fuhr meine Großmutter fort, »obschon ich glauben muß, du würdest interessanter sein, wenn du dein eigenes Lockenhaar und nicht diese schlichte Perücke trügest. Gleichwohl kann man von deinem Gesicht genug sehen, um es zu erkennen, wenn man einmal den Schlüssel dazu hat, und ich sagte Martha von Anfang an, ich sei betroffen gewesen über einen gewissen Ausdruck der Augen und über ein Lächeln, das mich an ihren Bruder erinnerte. Doch Mary und Martha harren deiner in dem Ankleidezimmer. Erstere ist eine warme Freundin von der Musik, in der sie selbst auch große Geschicklichkeit besitzt; es ist daher kein Wunder, wenn sie durch dein Flötenspiel hingerissen wurde. Sie hat uns von deiner Kunst so viel erzählt, daß unser Wunsch, dich noch einmal zu hören, wohl gerechtfertigt erscheint. Henrietta und Anne, die sich nicht so viel aus der Musik machen, sind mit einander fortgegangen, um in dem Gewächshaus sich Blumensträuße zu sammeln, und die Gelegenheit ist jetzt sehr günstig, der Sehnsucht deiner Schwester zu entsprechen. Ich werde es schon einzuleiten wissen, daß Mary nach einer Weile mit mir fortgeht, und dann könnt ihr beide euren geschwisterlichen Erziehungen Raum geben. Was dich betrifft, Roger, so brauchst du nur deine Truhe wieder zu öffnen, und ich stehe dir dafür, dieß wird deine andern Mündel in vollem Maaß beschäftigen, falls sie zu früh von ihrem Besuch bei dem Gärtner zurückkommen sollten.«

Unsere Mahlzeit war vorüber, und nach Ertheilung der erforderlichen Weisungen schickten wir uns an, den Plan in der besprochenen Weise zur Ausführung zu bringen. Als ich jedoch mit meiner Großmutter das Ankleidezimmer erreichte, traf ich Martha nicht, sondern nur Mary Warren, die uns mit leuchtenden Augen und voll froher Erwartung empfing. Meine Schwester hatte sich für einen Augenblick nach dem innern Zimmer zurückgezogen, wohin ihr meine Großmutter, weil sie die Wahrheit ahnete, folgte. Wie ich später erfuhr, hatte sich Martha, weil sie fürchtete, bei meinem Eintritte ihre Thränen nicht zurückhalten zu können, entfernt, um sich so weit zu sammeln, daß durch ihr Benehmen unserem Geheimniß keine Gefahr drohe. Ich wurde aufgefordert, eine Arie zu beginnen, ohne auf die abwesende junge Dame zu warten, weil man die Töne leicht durch die offene Thüre hören könne.

Ich mußte wohl zehn Minuten fortspielen, ehe meine Großmutter mit Martha wieder herauskam. Es war klar, daß sie geweint hatten; aber Mary Warren war von der Harmonie meiner Flöte so sehr in Anspruch genommen, daß sie wahrscheinlich diesen Umstand nicht bemerkte, obschon er mir augenblicklich auffiel. Ich freute mich übrigens, zu finden, daß es meiner Schwester gelungen war, ihre Gefühle zu bewältigen. Nach einigen Minuten benützte meine Großmutter eine Pause, um sich zu erheben und Mary Warren mit fortzunehmen, obgleich Letztere das Zimmer nur mit sichtlichem Widerstreben verließ. Der Vorwand, welcher dafür geltend gemacht wurde, betraf eine Zusage an den Geistlichen, welchen man in der Bibliothek über eine Angelegenheit, die mit den Sonntagsschulen in Verbindung stand, sprechen wollte.

»Der junge Mann soll dir noch eine Arie spielen, Martha,« bemerke meine Großmutter. »Ich komme an Jane's Zimmer vorbei und werde sie unverzüglich herschicken.«

Jane war die Garderobejungfer meiner Schwester und hatte ihr Zimmer ganz in der Nähe. Auch kann ich mir wohl denken, daß meine Großmutter im Beisein Mary Warren's sogleich die betreffende Weisung ertheilte, weil diese sonst das Auffallende des ganzen Benehmens hätte überraschen müssen; aber Jane erschien gleichwohl nicht. Was mich betraf, so spielte ich so lange fort, als ich glaubte, daß ein Ohr nahe genug sei, um mich hören zu können; dann aber legte ich meine Flöte bei Seite. Im nächsten Augenblick lag Patt in meinen Armen und weinte geraume Zeit an meiner Brust; aber ihrem Gesichte war anzusehen, daß sie sich unaussprechlich glücklich fühlte.

»O Hugh! wie mochtest Du auch in solcher Verkleidung dein Haus besuchen!« rief sie, sobald sie sich hinreichend gesammelt hatte, um Worte zu finden.

»Wie hätte ich es anders möglich machen können? Du kennst den Zustand des Landes und die kostbaren Früchte, welche unser vielgepriesener Baum der Freiheit hervorbringt. Der Besitzer des Grund und Bodens kann sein Eigenthum nur mit Gefahr seines Lebens besuchen!«

Martha drückte mich in ihre Arme und bekundete in der Art, wie sie dieß that, daß sie recht wohl die Gefahr kannte, welcher ich mich aussetzte, selbst wenn ich sie in einer Verkleidung besuchte. Dann nahmen wir Seite an Seite auf einem kleinen Divan Platz und unterhielten uns über Dinge, die natürlich ein paar Geschwistern, welche sich so sehr liebten und fünf Jahre getrennt gewesen waren, zunächst am Herzen liegen mußten. Meine Großmutter hatte Alles so gut eingeleitet, daß wir, wenn wir es für passend hielten, wohl eine Stunde ungestört bei einander bleiben konnten, während es allen Uebrigen gegenüber den Anschein gewann, als habe mich Patt schon nach einigen Minuten entlassen.

»Nicht eines von den übrigen Mädchen hat auch nur die mindeste Ahnung, wer du seiest,« sagte Martha lächelnd, nachdem wir die Fragen und Antworten durchgemacht hatten, welche für unsere Lage so natürlich waren. »Von Henrietta nimmt mich dieß am meisten Wunder, da sie sich so viel auf ihren Scharfblick zu Gute thut. Sie ist übrigens eben so sehr im Dunkeln, wie die Uebrigen.«

»Und Miß Mary Warren – die junge Dame, welche eben das Zimmer verlassen hat – schwebt ihr nicht eine kleine Ahnung vor, daß ich kein gewöhnlicher deutscher Musikant sei?«

Patt lachte auf meine Frage mit solcher Heiterkeit, daß die Töne ihrer süßen Stimme mich mit Entzücken erfüllten. Ich stellte zugleich Betrachtungen an, was sie vor fünf Jahren noch gewesen war, und sie strich sich die blonden Haarflechten aus den Wangen, ehe sie mir antwortete.

»Nein, Hugh,« versetzte sie; »sie hält dich für einen ungewöhnlichen deutschen Musikanten – für einen Künstler, der seine Musik nicht blos herleiert, sondern sie in einer Weise aufzustutzen weiß, daß sie selbst dem gewähltesten Geschmack genießbar wird. Aber wie kam Mary dazu, dich und meinen Onkel für ein paar verunglückte deutsche Gentlemen zu halten?«

»Und glaubt das liebe Mädchen wirklich – das heißt, erweist uns Miß Mary Warren die Ehren, uns in diesem Lichte zu betrachten?«

»Ja, gewiß, und sie erzählte uns viel von euch, nachdem sie wieder in der Heimath angelangt war. Henrietta und Anne haben sich über Miß Warren's großes Inkognito sehr lustig gemacht und allerlei Muthmaßungen darauf gebaut. Sie nennen dich den Herzog von Geige.«

»Ich bin ihnen dafür sehr zu Dank verpflichtet,« entgegnete ich, wahrscheinlich mit ein Bischen allzugroßer Schärfe, denn ich nahm an Patt die Miene der Ueberraschung wahr. »Aber eure amerikanischen Städte sind gerade die rechten Halbheiten, um junge Frauenzimmer zu verderben, indem sie nicht nur weit hinter der feinen Bildung zurückbleiben, welche man in wirklichen Hauptstädten findet, sondern auch jene Zierde des Landlebens, die Einfachheit und das natürliche Wesen zerstören.«

»Ei, Meister Hugh, du bist ja sehr aufgebracht über eine Kleinigkeit, und in deinen Reden machst du deiner Schwester kein sonderliches Kompliment. Warum sollten deine amerikanischen Städte nicht eben so gut sein, als die unsrigen? Oder gehörst du nicht länger uns an?«

»Dir immer, meine theure Patt; aber von jenen plappernden Jungfern mit ihren Geigenherzogen will ich nichts wissen, sintemal ihr ganzer Lebenszweck nur darin besteht, für eine Belle zu gelten! Doch genug hievon – die Warren's sind dir Werth?«

»Gewiß – Vater und Tochter. Der Erstere ist ganz, wie ein Geistlicher sein soll – von einer Bildung und Einsicht, die ihn für Jedermann zu einem angenehmen Gesellschafter machen, und dabei so einfach wie ein Kind. Du erinnerst dich seines Vorfahrers – jenes unzufriedenen, eigennützigen, trägen, tadelsüchtigen Mannes, dem nichts genug war und der weder den Personen, noch den Dingen in seiner Umgebung Gerechtigkeit widerfahren lassen konnte, während er doch zu gleicher Zeit so – –«

»Fahre nur fort. So weit hast du seinen Charakter trefflich gezeichnet – ich möchte auch den Rest hören.«

»Ich habe schon mehr gethan, als ich sollte, denn ich kann mich der Ueberzeugung nicht erwehren, daß man die Religion und die Kirche mit in Mißcredit bringt, wenn man die Mängel eines Geistlichen schonungslos enthüllt. In Amerika muß ein Diener des Worts schon ein sehr schlimmer Mann sein, wenn man ihm soll nachtheilige Dinge nachsagen dürfen, Hugh.«

»Du hast hierin vielleicht recht. Mr. Warren ist dir also lieber, als sein Vorgänger?«

»O, tausendmal und in allen Dingen. Abgesehen davon, daß er ein treuer, frommer Hirte ist, haben wir in ihm auch einen angenehmen gebildeten Nachbar, aus dessen Munde ich im Lauf der fünf Jahre, die er hier verweilt, auch nicht eine Sylbe auf Kosten eines einzelnen Nebenmenschen gehört habe. Du weißt, wie hier zu Lande die Leute und die übrigen Geistlichen gewöhnlich sind – sie leben, wenn's auch nicht gerade zu wirklichem Hader kommt, doch stets mit einander auf Spitz und Knopf, und der Friede ist so hohl, daß er durch eine Kleinigkeit zum Einsturz kommen kann.«

»Dieß ist leider nur zu wahr – oder war es wenigstens, ehe ich meine Reisen antrat.«

»Und ich stehe dir dafür, es ist um kein Haar besser geworden, obschon wir uns hier nicht zu beklagen haben. Mr. Warren und Mr. Peck scheinen mit einander auf vollkommen freundschaftlichem Fuße zu stehen, obschon sie wie Feuer und Wasser von einander verschieden sind. «

»Beiläufig, wie benehmen sich die Geistlichen der verschiedenen Sekten, die durch das Land verbreitet sind, in Betreff der Antirentenfrage?«

»Ich kann da nur vom Hörensagen sprechen – natürlich mit Ausnahme des Mr. Warren. Dieser hat zwei oder drei einfache und strenge Predigten über die Pflicht der Ehrlichkeit in unserem weltlichen Verkehr gehalten und in einer derselben das zehnte Gebot erklärt. Natürlich bezog er sich nicht auf die herrschenden Unruhen, aber Jedermann mußte nothwendig aus den offen daliegenden Wahrheiten, welche er zur Sprache brachte, seine Nutzanwendung ziehen. Ich glaube kaum, daß sich nah und fern auch nur eine einzige weitere Stimme über diesen Gegenstand erhoben hat, obschon ich von Mr. Warren erfuhr, die Bewegung bedrohe New-York mit weit größerer Entsittlichung, als irgend ein anderes seiner Erlebnisse.«

»Und der Mann im Dorf drunten?«

»Oh, dieser hält es natürlich mit der Mehrheit. Wann hätte man auch je erlebt, daß ein Mensch von diesem Schlag sich in irgend etwas seinem Pfarrgenossen widersetzt hätte!«

»Und Mary besitzt eben so gesunde und edle Grundsätze, wie ihr Vater?«

»Ganz dieselben. Es ist übrigens letzter Zeit viel davon gesprochen worden, daß es nöthig sei, M. Warren zu entfernen und ihm das Rektorat von St. Andrew's abzunehmen, weil er gegen die Habsucht gepredigt habe. Dem Vernehmen nach sagen alle Antirenters, sie wissen wohl, daß er sie gemeint habe, und sie wollen dieß nicht auf sich liegen lassen.«

»Ich kann mir's denken, denn Jeder mußte sich vorstellen, er selbst sei bei Namen aufgerufen worden. Dieß ist so die Art und Weise, wenn das Gewissen zu wirken anfängt.«

»Es würde mir schmerzlich leid thun, wenn ich mich von Mary trennen müßte, und ich würde es fast eben so sehr bedauern, wenn uns ihr Vater verließe. Es ist übrigens ein Punkt vorhanden, von dem Mr. Warren selbst glaubt, daß es gut wäre, wenn wir ihn beseitigten, Hugh; ich meine jenen Vorsprung über unserem Kirchenstuhl, den wir ja abtragen lassen können. Du hast gar keinen Begriff, welchen Lärm dieses einfältige Dach landauf landab angerichtet hat.«

»Nein, ich werde es nicht wegschaffen. Es ist mein Eigenthum und soll es bleiben. Was die Sache selbst betrifft, so war es nicht passend, eine derartige weltliche Auszeichnung in der Kirche anzubringen, und ich will dieß gern zugeben; aber der Vorsprung hat nie Anstoß erregt, bis man auf den Wahn kam, das Geschrei dagegen könne dazu beitragen, mich um den halben Preis oder gar ohne Entschädigung, wie es eben kommen mag, meiner Ländereien zu berauben.«

»Du hast vielleicht hierin vollkommen recht; aber wenn er einmal für eine Kirche nicht paßt, warum ihn dann beibehalten?«

»Weil ich mir das, was ich als mein Eigenthum ansprechen kann, nicht abtrotzen lassen will, selbst wenn mir noch so wenig daran gelegen ist. Es gab vielleicht eine Zeit, in welcher eine derartige Bedachung nicht für das Haus Gottes paßte – nämlich damals, als Diejenigen, welche sie sahen, auf den Glauben kommen konnten, es bedecke das Haupt eines Nebenmenschen, welcher an das Wohlgefallen Gottes höhere Ansprüche habe, als sie selbst; heutzutage aber schätzt man das Verdienst, indem man mit dem andern Ende der geselligen Stufenleiter den Anfang macht, und es ist deßhalb wenig Gefahr vorhanden, daß irgend Jemand in einen Irrthum verfalle. So wenig mir auch an dem Vorsprung liegt, so soll er doch stehen bleiben. Zwar wäre es mir lieber, ihn fortzuschaffen, weil ich vollkommen einsehe, wie unpassend es ist, im Tempel des Herrn derartige Unterscheidungsmerkmale anzubringen; aber er darf nicht wegkommen, bis die Zugeständnisse aufhören, er könne gefährlich sein. Ich habe Eigenthumsrechte daran und werde diese festhalten. Sind Andere unzufrieden darüber, so mögen sie auch Dächer über ihre Kirchenstühle machen, und der beste Probierstein in einer derartigen Sache ist das, zu warten, wer es am längsten treibt. Seneka Newcome z. B. würde eine seltsame Figur machen, wenn er in einem bedachten Kirchenstuhl säße. Sogar sein eigener Anhang würde ihn verlachen, und dieß will, meine ich, mehr heißen, als sie sich mir gegenüber getrauen.«

Martha machte eine unzufriedene Miene, ließ aber den Gegenstand fallen. Zunächst besprachen wir uns nun über unsere kleinen Privatangelegenheiten, wobei allerlei Unbedeutendes verhandelt wurde.

»Und wem ist jene schöne Kette zugedacht, Hugh?« fragte Patt lachend. »Ich glaube jetzt gerne den Worten des Hausirers, als er sagte, sie sei deiner künftigen Gattin vorbehalten. Aber wer wird diese sein – soll sie Henrietta oder Anne heißen?«

»Warum fragst du nicht auch, ob ihr Name nicht vielleicht Mary sein würde? – warum eine von deinen Freundinnen ausschließen, während du der beiden andern Erwähnung thust?«

Patt war betroffen, denn diese Erwiederung schien sie nicht erwartet zu haben. Ihre Wangen glühten, und ich bemerkte, daß die Freude in ihren Gefühlen vorherrschend war.

»Komme ich vielleicht zu spät, um dieses Kleinod mit meiner Kette in Verbindung zu bringen?« fragte ich halb im Scherz, halb im Ernst.

»Zu früh wenigstens, um es durch den Reichthum und die Schönheit deines Zieraths zu fesseln. Es gibt im ganzen Lande kein natürlicheres und uneigennützigeres Mädchen, als Mary Warren.«

»Sei offen gegen mich, Martha, und sprich dich unverhohlen aus. Hat sie irgend einen begünstigten Bewerber?«

»In der That, du scheinst die Sache ernsthaft zu nehmen!« rief meine Schwester lachend. »Aber um dich aus deinen Nöthen zu erlösen, will ich dir antworten: daß ich nur von einem einzigen weiß. Einer ist zuverlässig vorhanden, oder der weibliche Scharfsinn müßte sich ganz und gar auf einem Irrwege befinden.«

»Aber ist dieser Eine begünstigt? Du kannst nicht glauben, wie viel für mich von deiner Erwiederung abhängt.«

»Du magst dir selbst ein Urtheil darüber bilden. Der Freier ist Seneky Newcome, wie er hier herum genannt ist – der Bruder der bezaubernden Opportunity, welche es noch immer auf dich abgesehen hat.«

»Und sie sind so wilde Antirenters, als es nur irgend ein Mann oder ein Weib im Lande sein kann.«

»Sie sind ächte Newcomiten – das heißt, jedes hat blos sich selbst im Auge. Würdest du es wohl glauben, daß Opportunity sich Mary Warren gegenüber das Ansehen einer vornehmen Dame gibt?«

»Und wie benimmt sich Mary Warren einer solchen Anmaßung gegenüber?«

»Wie sich's für eine junge Person ziemt: sie verhält sich ruhig und thut, als ob sie es nicht merke. Aber es ist wirklich etwas Unausstehliches, wenn Leute, wie diese Opportunity Newcome, sich erdreisten, gegen eine wahrhaft gebildete Dame den Ton der Ueberlegenheit anzunehmen. Mary hat eine so gute Erziehung genossen und steht in so achtbarer Verwandtschaft, wie nur irgend Jemand von uns, und man kann an ihr nicht verkennen, daß sie an anständige Gesellschaft gewöhnt ist, während Opportunity« – Patt lachte jetzt und fügte sodann hastig bei: »doch du kennst ja das Frauenzimmer so gut wie ich.«

»O ja; sie ist la vertue oder die Kraft und je suis venue pour« –

Patt verstand die letztere Anspielung nur zu gut, da sie sich schon zu Dutzendmalen über die Geschichte lustig gemacht hatte, und als ich ihr den Vorgang mit der »Einöde« erzählte, wurde ihre Heiterkeit noch mehr gesteigert.

Dann kam es zu einer Anwandlung schwesterlichen Gefühls. Patt bestand darauf, ich müsse meine Perücke abnehmen, damit sie mein Gesicht in seinem natürlichen Zustande sehen könne. Ich that ihr gerne diesen Gefallen; aber jetzt benahm sich das Mädchen wahrhaftig wie närrisch. Zuerst zerzauste sie mir die Locken, bis sie dieselben in einer Weise geordnet hatte, daß sie ihrem thörichten Geschmack zusagten; dann lief sie etliche Schritte zurück, schlug erfreut die Hände zusammen, stürzte wieder in meine Arme, küßte mich auf Stirne und Augen und nannte mich »ihren Bruder« – ihren »einzigen Bruder« – ihren »lieben, theuren Hugh,« und was dergleichen Liebesworte mehr waren, bis sie zuletzt sich und mich in einen solchen Zustand von Aufregung versetzt hatte, daß wir Beide neben einander Platz nahmen und laut zu weinen begannen. Vielleicht war eine derartige Entladung nöthig, um unsern gepreßten Herzen Luft zu machen, und wir thaten ihr deßhalb klüglicherweise keinen Einhalt.

Meine Schwester weinte natürlich am längsten; aber sobald sie ihre Augen getrocknet hatte, setzte sie mir die Perücke wieder auf und brachte mit zitternden Händen meine Verkleidung wieder in den frühern Stand, während dieses ganzen Vorganges stets befürchtend, daß Jemand eintreten und mich erkennen könnte.

»Es war sehr unklug von dir, Hugh, daß du überhaupt hiehergekommen bist,« sagte sie, während sie so beschäftigt war. »Du kannst dir keine Vorstellung bilden von dem unglückseligen Zustand des Landes, und weißt nicht, wie weit sich das Gift des Antirentismus und die Bosheit, welche demselben zu Grunde liegt, verbreitet haben. Der lieben Großmutter haben sie viele garstige Widerwärtigkeiten bereitet, und du würdest kaum mit dem Leben davon kommen.«

»Land und Leute müssen sich demnach im Laufe von fünf Jahren seltsam geändert haben; denn der Bevölkerung unsers New-Yorks hat man bisher nicht nachsagen können, daß sie auch nur entfernt meuchelmörderische Gesinnung hege. Das Theerfaß und die Federn sind allerdings seit unfürdenklichen Zeiten die Waffen der Galgenstricke und der kleinen Tyrannen gewesen, aber von dem Messer habe ich nie etwas gehört.«

»Und kann etwas früher oder nachdrücklicher den Charakter eines Volks ändern, als die Gier nach dem Eigenthum Anderer? Ist nicht die ›Habsucht die Wurzel allen Uebels‹ – und welches Recht haben wir, die Bevölkerung von Ravensnest für besser zu halten, als eine andere, wenn einmal dieses schmutzige Gefühl in hellen Flammen auflodert? Du weißt, du hast mir selbst geschrieben, daß alle Amerikaner nur in Geld ihr Lebenselement finden.«

»Ich habe dir geschrieben, meine Liebe, dem Land bleibe in seinem gegenwärtigen Zustand kein anderer Sporn für die Anstrengung, und hierin liege sein Fluch. Sogar der militärische Ruf und der militärische Rang sind unter unserem System unerreichbar. Künste und Wissenschaften bringen wenig oder keinen Lohn, und da es keine politische Auszeichnung gibt, welche für den Mann von Bildung als Verlockung dienen kann, so müssen die Menschen entweder für das Geld, oder überhaupt für einen andern Zustand des Daseins leben. Gleichwohl habe ich dir auch gesagt, Martha, ich halte trotz alledem den Amerikaner weit weniger für feil im gewöhnlichen Sinne des Worts, als den Europäer; denn in jedem europäischen Lande z. B. lassen sich zwei Menschen erkaufen, während hier vielleicht ein einziger. Letzteres ist vermuthlich eine Folge der Leichtigkeit, mit welcher man hier seinen Lebensunterhalt findet, und darnach richten sich auch die Gewohnheiten.«

»Kümmern wir uns nicht um die Ursachen. Mr. Warren sagt, es greife eine verzweifelte Raublust unter diesen Leuten um sich, und man habe die größte Gefahr von ihnen zu besorgen. Bis jetzt haben sie noch einige Achtung vor Frauenzimmern, aber wie lang dieß dauern wird, ist nicht vorauszusehen.«

»Es mag wohl und muß wohl auch so sein, da Alles, was ich darüber gehört und gelesen habe, sich nur in einer Stimme vereinigt. Und doch sieht dieses Thal im gegenwärtigen Augenblicke so lächelnd und so süß aus, als sei es nie durch eine schlimme Leidenschaft besudelt worden. Verlaß dich übrigens auf meine Klugheit, welche mir sagt, daß wir uns jetzt trennen müssen. Ich werde dich noch öfter sehen, ehe ich mein Besitzthum verlasse, und Ihr müsset uns natürlich irgend wohin folgen – nach den Quellen von Saratoga vielleicht – sobald wir es nöthig oder zweckmäßig finden, unser Lager zu verlegen.«

Natürlich versprach dieß Martha und ich küßte sie zum Abschied. Niemand kam mir in den Weg, als ich nach der Piazza hinunterstieg; denn da ich hier zu Hause war, so fand ich mich leicht zu recht. Ich schlenderte einige Minuten im Hof umher, und zeigte mich dann vor den Fenstern der Bibliothek, wo, wie ich erwartet hatte, die Aufforderung an mich erging, hereinzutreten.

Onkel Ro hatte alle seine Siebensachen, die zu Geschenken für seine Mündel bestimmt waren, angebracht, und die Zahlung sollte durch Mrs. Littlepage bereinigt werden, welche natürlich nicht entfernt an etwas der Art dachte. Auch sagte mir der Geber später, diese Art Geschenke auszutheilen, sage ihm weit besser zu, als jede andere, weil er jetzt überzeugt sein dürfe, daß jedes der Mädchen seine Liebhaberei dabei zu Rathe gezogen habe.

Da die Stunde des regelmäßigen Diners herannahte, so verabschiedeten wir uns bald nachher, aber nicht ohne auf das freundlichste und dringendste eingeladen zu werden, daß wir, ehe wir die Stadtmarkung verließen, das Nest wieder besuchen sollten. Wir sagten natürlich bereitwillig zu, und gedachten auch, getreulich Wort zu halten. Nachdem wir das Haus verlassen hatten, kehrten wir nach der Farm zurück, machten aber zuvor noch auf dem Rasen Halt, um uns die Landschaft zu betrachten, die uns Beiden durch die theuersten Erinnerungen so werth war. Doch ich vergesse – dieß ist aristokratisch. Der Grundbesitzer hat kein Recht zu derartigen Gefühlen, welche die erhabene Freiheit, die uns das Gesetz sichern will, nur zum Besten der Pächter vorbehalten hat!


 


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