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Sechszehntes Kapitel.

»Und doch heißt es: ›Arbeit ist sein Beruf‹
Dieß will nicht weiter sagen, als: die Magistratspersonen
sollen aus Arbeitern bestehen; und
deßhalb muß die Obrigkeit aus uns gebildet werden.«

König Heinrich VI.

 

Nach einigen Minuten hörte der Tumult auf, und es entfaltete sich jetzt eine seltsame Scene. In dem Bethause befanden sich noch vier gesonderte Gruppen außer den Inschens, welche den Hauptgang einnahmen. Der Präsident, der Sekretär, die zwei Geistlichen und die Vorleser blieben ruhig auf ihren Plätzen sitzen, weil sie wahrscheinlich wohl wußten, daß sie von den Eindringlingen nichts zu fürchten hatten. Mr. Warren stand mit seiner Tochter in einer Ecke unter der Gallerie, denn er hatte es verschmäht, zu entfliehen, und klüglicherweise hielt sich seine Tochter an seiner Seite. Mein Onkel und ich bildeten den Pendant zu den beiden Letztgenannten, indem wir die andere Ecke gleichfalls unter der Gallerie einnahmen. Mr. Hall und zwei oder drei Freunde, welche bei ihm ausgehalten hatten, befanden sich in einem Kirchenstuhle in der Nähe der Mauer und etwa in Mitte der Kirche; ersterer stand aufrecht auf dem Sitze, welchen er bestiegen hatte, um die Versammelten anzureden.

»Fahrt fort in Euren Bemerkungen, Sir,« sagte kaltblütig der Präsident, einer jener paradoxen Antirenter, welcher nichts mit den Inschens zu schaffen hatte, obschon er von ihrem ganzen Treiben unterrichtet war und, wie mir mitgetheilt wurde, sich bei Einsammlung und Auszahlung ihres Soldes am meisten Mühe gab. In diesem Augenblick schlich Seneka Newcome zu einer Seitenthüre herein, um zu sehen, was zunächst kommen würde, obschon er sich von den »verkappten Bewaffneten« möglichst ferne hielt.

Was Hall betraf, so benahm er sich mit bewunderungswürdiger Fassung. Wahrscheinlich wußte er, daß seine früheren Zuhörer sich unter den Fenstern gesammelt hatten, folglich er mit Leichtigkeit gehört werden konnte, wenn er seine Stimme verstärkte. Jedenfalls that er das letztere und fuhr fort, als ob keine Unterbrechung stattgefunden hätte.

»Ich wollte ein Wort über die Wesenheit der beiden Qualitäten sagen, Mr. Präsident, die mir wenigstens in der Begrindung des Vorlesers« – ja, dieser verständige, grundsatzfeste Mann bediente sich wirklich des abscheulichen Lauts, wie ich eben geschrieben habe. und sagte »Begrindung« statt »Begründung«; wie schade, daß in Amerika den ersten Grundsätzen des guten Sprechens so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, und daß die gewöhnlichen Schulen in dieser Beziehung vielleicht mehr schaden als nützen – »die mir wenigstens in der Begrindung des Vorlesers am meisten auffielen, weil Gott selbst ihnen für unsere Natur eine so große Wichtigkeit beigelegt hat, daß er ausdrückliche Gebote darüber erließ. Er hat uns verboten, nicht zu stehlen, und ein weiteres Gebot lautet, du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut – ein zureichender Beweis, daß der Besitz des Eigenthums durch göttliche Autorität sanctionirt und mit einem gewissen Privilegium der Heiligkeit begabt ist. Nun die Nutzanwendung.

»In Betreff der Pachtverträge, wie sie bestehen, könnt ihr nichts thun, weil der Staat nicht ermächtigt ist, einen Kontrakt aufzuheben. Man hört so viel davon sprechen, daß das Volk regiere, und daß dieses thun könne, was es wolle. Ich bin nur ein einfacher Mann und spreche mit einfachen Leuten, denen ich auch meine Ansicht in aller Einfachheit vortragen will. Daß unsere Regierung als Demokratie eine Volksregierung ist und in letzter Instanz die souveräne Gewalt in der Masse des Volks beruht, ist wahr; daß übrigens diese Volksregierung in der Bedeutung, welche man ihr gewöhnlich beilegt und wie sie leider nur von allzu Vielen aufgefaßt wird, genommen werden darf, ist ein großer Irrthum. Dieselbe Betheiligung, über die jetzt so viel gestritten wird – ich meine das Recht, sich in Verträge einzumengen – ist durch eine Klausel in der Constitution der Vereinigten Staaten dem Bereich des Volks in unserem Staate entrückt. Nun kann allerdings die Constitution der Vereinigten Staaten geändert werden, indem man etwa den Artikel einschöbe: »kein Staat soll je ein Gesetz erlassen, das die Existenz der ewigen Pachtverträge gefährdet,« und alle Bewohner des Staats New-York, Mann, Weib und Kind mußten sich eben drein geben, wie sehr sie einem derartigen Wechsel auch abhold wären. Laßt einmal sehen, wie sich die Zahlen hier ausnehmen. Wir haben siebenundzwanzig Staaten im wirklichen Bestand und bald werden es dreißig sein. Es ist mir gleichgültig, mit welcher Zahl ihr rechnet – sagt meinetwegen dreißig, da wahrscheinlich so viele vorhanden sein werden, noch ehe die Constitution geändert werden kann. Gut; dreiundzwanzig von diesen Staaten können der Constitution eine solche Klausel einverleiben und damit erklären, daß ihr euch nicht in Pachtverträge einmengen sollt. Vielleicht sind die sieben bevölkertsten Staaten mit allen ihren Stimmgebern nicht für eine solche Abänderung. Ich habe meine Berechnung gemacht und gefunden, daß die sieben bevölkertsten Staaten im Jahr 1840 mehr als die Hälfte der Gesammtbevölkerung aller Vereinigten Staaten in sich fassen, und gleichwohl stehen diese sieben als eine Minorität da. Auch ist dieß noch nicht Alles; die Veränderung wird vielleicht jedem der dreiundzwanzig Staaten nur durch das Mehr einer einzigen Stimme abgezwungen, und zieht man diese von den Wählern in den sieben opponirenden Staaten ab, so stellt sich am Ende heraus, daß im Lande ein Wechsel der Constitution vorgenommen wurde, einer Majorität von – ich will sagen – zwei Millionen zum Trotz! Hieraus geht hervor, daß das Volk in der gewöhnlichen Bedeutung nicht so allmächtig ist, wie Einige glauben, und es gibt am Ende doch noch etwas Stärkeres, als das Volk, nämlich die Grundsätze. Wenn wir nun fortfahren, in Stücke zu reißen, was uns – –«

Es war unmöglich, von dem, was der Sprecher sagte, noch ein weiteres Wort zu hören; denn der Gedanke, daß das Volk nicht allmächtig sei, konnte nicht wohl unter einem Theil der Bevölkerung Beifall finden, welcher sich vorzugsweise für das Volk hielt. Die Lokalversammlungen sind daran gewöhnt, sich als mit Vollziehung einer Gewalt betraut zu erachten, die jedenfalls nur von der Gesammtheit des Volkes rechtmäßig geübt werden kann, so daß sie oft in gesetzwidrige Ausschweifungen verfallen und sogar ihren kleinen Bruchtheil vom politischen Körper in derartigen Dingen wenigstens für untrüglich und allmächtig zu halten. Wenn man es daher offen in Abrede zog, die populäre Fabrik der amerikanischen Institutionen sei so zusammengesetzt, daß es in der Gewalt einer entschiedenen Minderheit liege, das organische Gesetz zu ändern, so mußte dieß, wie unzweifelhaft auch die Thatsache in der Theorie ist, obschon sie vielleicht in der Praxis nie vorkömmt – in den Ohren von Mr. Halls Zuhörerschaft wie politische Lästerung klingen. Die unter den Fenstern grunzten, während die Inschenbande in dem Mittelgange in ein gellendes Gezeter ausbrach, und zwar in einer Weise, welche die ganze Uebertreibung der Karikatur an sich trug. Es war augenscheinlich, daß für den Lauf des Tages eine weitere vernunftmäßige Verständigung nicht zu erwarten stand.

Hall bekundete weder Ueberraschung noch Unruhe. Er wischte sich kaltblütig das Gesicht ab und setzte sich dann nieder, während die Inschens in dem Bethause umhertanzten und mit ihren Büchsen und Messern in der Luft umherfuchtelten, so daß eine furchtsamere Person wohl erschreckt werden konnte. Was Mr. Warren betraf, so führte er Mary hinaus, obschon sich eine Bewegung kund gab, als wolle man ihn zum Haltmachen zwingen. Mein Onkel und ich, wir Beide folgten ihnen, da das wüste Geschrei der Inschens durchaus nicht angenehm in die Ohren klang. Der Präsident dagegen, der Sekretär und die beiden Diener des Evangeliums behielten mit aller Fassung und völlig unbelästigt ihre Standpunkte auf dem Gerüste bei. Niemand näherte sich ihnen, – eine Rücksicht, welche natürlich auf Rechnung der oft angeführten Thatsache geschrieben wurde, daß die eigentlichen Antitrenter, die bedrückten Pächter von New-York, nichts mit dieser schnöden Rotte von Verkappten zu schaffen hatten!

Eine von den betrübendsten Erscheinungen der Zeit ist das allgemeine Umsichgreifen der Lüge und eine fast gänzliche Unterdrückung der Wahrheit. Es liegt nichts daran, wie viele Zeugnisse auch einer Angabe widersprechen mögen oder wie oft sie schon widerlegt wurde; man beharrt wiederholt und mit einer Zuversichtlichkeit auf der Behauptung, als ob nie Untersuchungen darüber eingeleitet worden wären, und glaubt daran als ob sie in Betreff ihrer Wesenheit nie Widerspruch erfahren hätte. Ich bin überzeugt, es gibt außer Amerika keinen Theil der Welt, wo es so schwierig wäre, der Oeffentlichkeit eine Wahrheit nahe zu legen, wenn Beweggründe vorhanden sind, sie zu unterdrücken. Dieß mag wohl auffallend erscheinen, wenn man dabei bedenkt, wie viele Journale wir besitzen, welche den ausgesprochenen Zweck haben, Belehrung auszustreuen; aber leider ist die Maschinerie, welche zu Verbreitung der Wahrheit benutzt werden kann, ebenso wirksam, auch die Lüge in Umlauf zu setzen. Außerdem gibt es neben den schreiendsten Lügen so viele Methoden, die Wahrheit zu verdünnen, daß ich wohl bezweifeln möchte, ob von zwanzig Thatsachen, welche durch die Presse veröffentlicht werden – natürlich die der gewöhnlicheren Art ausgenommen – auch nur eine in allen ihren Wesentlichkeiten wahr ist. Es ist so viel guter Wille, so viel Verstand, Gewissenhaftigkeit und oft auch, um nur der Wahrheit das Wort zu reden, ein sehr hoher Grad von Selbstaufopferung erforderlich, daß man unter den gemeineren und aller Verantwortlichkeit baaren Zeitungs-Correspondenten nicht wohl eine Eigenschaft erwarten kann, die man selbst unter den besten der Parteiführer so gar selten findet.

Wenn ich schon froh war, das Bethaus in meinem Rücken zu haben, so kann sich der Leser denken, daß ich mich um so mehr freute, als ich bemerkte, daß Mr. Warren Mary nach der Stelle führte, wo ich seinen Wagen gelassen hatte, augenscheinlich in der Absicht, sich von einem Schauplatz zu entfernen, der jetzt nichts als Lärm und Streit, wo nicht gar noch etwas Ernstlicheres in Aussicht stellte. Onkel Ro forderte mich auf, den Dearborn, in welchem wir die Farm verlassen hatten, herauszuholen, und ich machte mich in Mitte einer Art allgemeinen panischen Schreckens, welcher namentlich die Weiber bewog, nach allen Richtungen hin zu fliehen, auf den Weg, um diesem Wunsche zu entsprechen. In diesem Augenblicke aber trat in allen Bewegungen eine plötzliche Pause ein, denn die Inschenbande strömte jetzt aus der Kirche heraus und brachte den letzten Sprecher Mr. Hall mit sich. Da der Präsident, der Sekretär, der Vorleser und die beiden »Diener des Evangeliums« folgten, so konnte man hieraus entnehmen, daß alle weiteren Verhandlungen ein Ende gefunden hatten.

Mein Onkel winkte mir zurück, und war, wie es mir vorkam, geneigt, Hall beizustehen, der, noch immer von den zwei oder drei Freunden, welche ihm den ganzen Tag über beigestanden hatten, mannhaft unterstützt, sich jetzt auf uns zubewegte, obschon er noch immer durch einen Haufen lärmender und drohender Inschens umgeben war. Ueberhaupt hatte die ganze Rotte eine ziemliche Aehnlichkeit mit einem Rudel Dorfhunde, wenn sie einem fremden Hund zusetzten, der sich unter sie gewagt hat.

Flüche und Drohungen erfüllten die Luft, und die Ohren des armen Hall wurden durch eine Anschuldigung beleidigt, die er, wie ich mir wohl denken kann, bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal hören mußte. Man nannte ihn einen »verdammten Aristokraten« und einen Miethling im Solde der »verdammten Aristokraten«. Gegen all' Dieß war jedoch der stämmige, rechtlich denkende Schmied sehr gleichgültig, denn er wußte wohl, daß man in seinem ganzen Leben keine Thatsache und in seinem moralischen Wesen nicht einen einzigen Gedanken finden konnte, um eine solche Anklage zu rechtfertigen. In Erwiederung auf diese feindselige Beschuldigung hörte ich ihn, nachdem er in dem Bethause unterbrochen worden war, zum ersten Mal wieder sprechen.

»Nennt mich meinetwegen wie ihr wollt,« rief er in seiner klaren vollen Stimme, »denn ich mach' mir nichts aus euren Schimpfworten. Es gibt nicht einen einzigen Mann unter euch, der im Ernst glaubt, ich sei ein Aristokrat oder der Miethling eines Aristokraten; aber ich hoffe ich bin noch kein so großer Schurke, um einen Nachbar berauben zu wollen, weil er zufälligerweise reicher ist als ich.«

»Wer gab Hugh Littlepage sein Land?« fragte einer aus der Bande mit unerkünstelter Stimme, obschon die Verhüllung seines Kopfes sie zureichend unkenntlich machte. »Ihr wißt selbst auch, daß er es von dem König hat.«

»Seiner Arbeit verdankt er nicht einen einzigen Acre davon!« schrie ein Anderer. »Wäre er ein fleißiger ehrlicher Mann, wie Ihr Tim Hall, so könnten wir's uns noch gefallen lassen; aber Ihr wißt wohl, daß dieß nicht der Fall ist. Er ist ein Verschwender und ein Aristokrat.«

»Ich weiß, daß schwielige Hände nicht den ehrlichen Mann machen, eben so wenig, als man durch weiche Hände zum Schurken wird,« entgegnete Tim Hall mit Muth. »Was die Littlepage's betrifft, so sind sie Gentlemen in jeder Beziehung des Wortes und sind es zu allen Zeiten gewesen. Auch jetzt noch hat ihr Wort weit mehr Werth, als Siegel und Verbriefung von Manchem, der gegen sie auftritt.«

Ich war erfreut und gerührt von diesem Beweise, daß ein Ruf, den ich in vollem Maaß verdient zu haben mir bewußt war, in diesem Theile des Landes bei einem der einsichtsvollsten Männer Anerkennung fand. Neid, Habgier und Bosheit mögen ihre Lügen ausstreuen, wie sie wollen, aber der Biedermann wird den Biedermann stets Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der wahre Arme kennt Diejenigen, welche am meisten dazu beitragen, seine Noth zu mildern und mit thätiger Hilfe zur Hand sind, wie auch der wirkliche Freund der Freiheit vollkommen begreift, daß ihre Vorrechte nicht ausschließlich zu seinen eigenen Gunsten gedeutet werden dürfen. Der Gedanke wollte mir nicht gefallen, daß ein solcher Mann von einer Bande verkleideter Halunken übel behandelt werden sollte – von Kerlen, welche das Verbrechen der Verletzung eines positiven Gesetzes noch durch die Schändung der heiligen Grundsätze der Freiheit erhöhten, indem sie dieselben zum Dienst einer Sache herabwürdigten, welcher nur wenig fehlte, um alle Beutelschneider und Diebe des Landes in ihren Bereich einzuschließen.

»Ich fürchte sie werden diesem wackeren Manne ein Leides thun,« flüsterte ich meinem Onkel zu.

»Setzten wir uns nicht der Gefahr aus, unsere Verkleidung zugestehen zu müssen, so ginge ich ohne Weiteres hin und versuchte, ihn aus dem Gedränge zu reißen,« lautete die Antwort; »aber unter den gegenwärtigen Umständen geht dieß nicht an. Wir müssen uns deßhalb gedulden und zusehen, was noch weiter folgt.«

»Theert und federt ihn!« schrie einer unter den Inschen. »Theert und federt ihn!«

»Stutzt ihn zu und schickt ihn nach Haus!« entgegneten Andere.

»Tim Hall ist zum Feind übergegangen!« fügte der Inschen bei, welcher die Frage gestellt hatte, von wem ich mein Land habe.

Ich meinte die Stimme zu kennen, und wie ich sie zum öfteren vernahm, kam mir auf einmal der Gedanke, daß sie Seneka Newcome angehörte.

Der Umstand, daß Seneka zu den Antirentern gehörte, war kein Geheimniß, obschon man wohl darüber Zweifel unterhalten konnte, ob er wohl als Rechtsgelehrter die Unbesonnenheit zu begehen im Stande sei, sich bei einem durch die Gesetze mit Gefängnißstrafe bedrohten Verbrechen zu betheiligen. Es lag immerhin ein großer Unterschied darin, Andere zu Vergehungen bereden und sich selbst eines solchen schuldig zu machen, daß mir letzteres ganz unwahrscheinlich vorkam. Um nun die verdächtige Person nicht aus dem Gesichte zu verlieren, sah ich mich nach einem Mittel um, welches mich dieselbe stets erkennen ließ, und eine geflickte Stelle oder vielmehr ein Zwickel in dem Calico entsprach diesem Zweck vollkommen; denn wenn ich den seinigen mit andern verglich, so bemerkte ich, daß dieses Kennzeichen, welches wahrscheinlich sein Vorhandensein einer Verkürzung des ursprünglichen Materials verdankte, den übrigen fehlte.

Das Getümmel währte wohl einige Minuten fort und die Inschens schienen unschlüssig zu sein, was sie thun sollten, indem sie Hall einerseits nicht ziehen lassen wollten, andererseits aber doch Bedenken trugen, ihre Drohungen gegen ihn zur Ausführung zu bringen. Doch in dem Augenblick, als die Scene einen ernsthaften Ausgang nehmen zu wollen schien, legte sich der Sturm und es trat eine unerwartete Ruhe ein. Wie dieß zuging, habe ich nie erfahren können, indeß ist Grund für die Annahme vorhanden, daß die Inschen durch ein Signal, das nur sie selbst verstunden, zur Ordnung gewiesen worden waren. Ueber das Resultat wenigstens konnte kein Zweifel obwalten, denn der Haufen, welcher Hall umringt hatte, wich auseinander, und der stämmige unerschütterliche Freimann trat aus ihrer Mitte heraus, das erhitzte Gesicht sich abwischend und einen unmuthigen Blick um sich herwerfend. Gleichwohl gab er nicht nach, sondern blieb in der Nähe der Stelle, noch immer von den zwei oder drei Freunden unterstützt, welche ihn von Mooseridge herbegleitet hatten. Nach einiger Erwägung hielt es mein Onkel Ro für das klügste, wir sollten uns den Anschein geben, als sei es uns nicht sehr eilig darum zu thun, das Dorf zu verlassen, und sobald ich die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß Mr. Warren zu dem nämlichen Entschluß gekommen war und in dem Hause eines Angehörigen seiner Gemeinde Zuflucht gefunden hatte, fügte ich mich gleichfalls gerne darein. Während der Hausirer seine Uhren wieder zur Schau ausstellte, trieb ich mich in dem aus Inschens und Anderen gemischten Gedränge umher, um zu sehen, ob ich nicht weitere Auskunft erholen könne, und im Laufe meiner Wanderungen brachte mich der Zufall hart an die Seite des Verkappten mit dem Zwickel-Calico. Ich berührte ihn leise am Ellenbogen und bewog ihn, ein wenig mit mir bei Seite zu treten, damit unsere Unterhaltung nicht gehört würde.

»Warum finde ich auch Euch unter den Inschens – Euch, der Ihr doch ein Gentleman seid?« fragte ich, mit der einfältigsten Miene die ich nur immer annehmen konnte.

Die Betroffenheit, mit welcher diese Frage aufgenommen wurde, überzeugte mich, daß ich Recht hatte, und ich bedurfte kaum einer weitern Bestätigung meines Argwohns. Wenn übrigens diese auch nöthig gewesen wäre, so brauchte ich keinesfalls lange darauf zu warten.

»Warum fragen Inschen dieß?« entgegnete der Mann mit dem Zwickel.

»Nun, es mag so schon recht sein, oder auch nicht, Squire Newcome. Jedenfalls reicht Ihr damit nicht gegen einen Mann aus, der Euch so gut kennt, wie ich. Sagt mir daher, warum Ihr ein Inschen seid.«

»Hört!« versetzte Seneka in seiner natürlichen Sprache, und augenscheinlich sehr beunruhigt durch meine Entdeckung. »Ihr dürft es um keinen Preis laut werden lassen, wer ich bin. Diese Inschengeschichte ist eine kitzliche Arbeit, und das Gesetz könnte – d.h. – Ihr könntet nichts dabei gewinnen, wenn Ihr sagen würdet, was Ihr wißt; aber wie Ihr bemerkt habt, da ich ein Gentleman und ein Rechtsgelehrter bin, so könnte es mir nicht angenehm sein, wenn mir nachgeredet würde, ich sei darauf betroffen worden, wie ich einen Inschen spielte.«

»Ja, ja, ich verstehe – Schentlemans müssen dergleichen Dinge nicht thun, ohne daß sie ausgelacht werden. Dieß ist das Ganze.«

»I-i-i-a – dieß ist das Ganze, wie Ihr sagt. Nehmt Euch daher in Acht, etwas darüber zu reden oder Winke fallen zu lassen. Na, da Ihr mich erkannt habt, so kömmt's mir zu, Euch zu traktiren. Womit kann ich dieß thun?«

Dieß war nun keinesfalls sehr elegant für einen »Gentleman« und einen »Rechtsgelehrten«; da übrigens dergleichen in Mr. Newcome's Schule üblich war, so fiel mir bei, es dürfte nicht klug sein, durch eine Ablehnung zu zeigen, daß ich zu einer von der seinigen ganz verschiedenen Klasse gehörte. Ich gab deßhalb meine Zufriedenheit zu erkennen, und auf meine Erklärung hin, daß ich ihm die Wahl lasse, führte er mich nach dem Laden seines Bruders, mit dem er, wie ich nachher erfuhr, im Geschäft associrt war. Hier regalirte er mich großmüthig mit einem Glas starken Whiskys, den ich geschickt auf den Boden zu gießen wußte, um nicht durch das feurige Getränk erstickt zu werden. Natürlich mußte ich zu einem solchen Ausweg meine Zuflucht nehmen, da die Verweigerung eines Trunks bei einem Deutschen als ein sehr verdächtiger Umstand hätte erscheinen müssen. Was die Amerikaner von meiner angenommenen Klasse betrifft, so freue ich mich, sagen zu dürfen, daß es für solche heutzutag weit leichter wird, ein Glas abzulehnen, als es anzunehmen, und es spricht gewiß sehr zu Gunsten einer Bevölkerung, wenn sogar der Kutscher eine Kehlenanfeuchtung ausschlägt. Gleichwohl kann eine Nation den Ruf einer vollkommenen Nüchternheit verdienen und doch mit furchtbarer Geschwindigkeit in andere große Laster verfallen. Was den ersteren Punkt betrifft, so bin ich mit meinem Onkel einverstanden und glaube mit ihm, daß die Amerikaner weit weniger trinken, als die meisten, wo nicht als alle europäischen Nationen. Die allgemeine Ansicht, welche unserem Lande so lang das Gegentheil zur Last gelegt hat, ist weiter nichts, als eine Wirkung der Sucht anderer Völker, die Demokratie zu verrufen, vielleicht unterstützt von den Uebertreibungen, die in allen veröffentlichten Sittlichkeitstabellen so gemeiniglich vorkommen.

Ich bemerkte, daß sogar von den Inschens nur Wenige tranken, obschon sie jetzt frei in den Läden und Schenken umherzugehen begannen. Seneka verließ mich, sobald er glaubte, er habe sich durch sein Traktement meiner Verschwiegenheit versichert, und ich blieb in einer Ecke stehen, um zu sehen, wie sich die »Bewaffneten und Verkleideten« benahmen. Namentlich zog ein Kerl meine Aufmerksamkeit auf sich, und sein Benehmen mag als Pröbchen von dem vieler seiner Kameraden gelten.

Ich hatte mich noch nicht lange umgesehen, als mir die Thatsache ausfiel, daß Orson Newcome, Seneka's Bruder und Associé augenscheinlich so wenig als möglich mit den Inschens zu schaffen haben mochte; denn er wurde unruhig, sobald einer seinen Laden betrat, und schien sich zu freuen, wenn wieder einer fortging. Anfangs war ich geneigt zu glauben, Orson – auf welche Namen verfällt nicht eine große östliche Familie, ehe sie ihr Register durchgemacht hat! sie scheinen in der That ihre Bezeichnungen zu wählen, wie sie's mit so vielen anderen Dingen zu halten pflegen, nämlich um zu beweisen, daß sie thun, was sie mögen – Anfangs glaubte ich, Orson besitze noch einige Gewissenhaftigkeit und nehme keinen Anstand, den Unwillen kund zu geben, welchen ihm ein so kühnes ungesetzliches Verfahren einflößte. Indeß sollte ich bald von meinem Irrthum geheilt werden, indem ich den wahren Grund kennen lernte, der ihn jedem Verkehr mit einem Inschen abgeneigt machte.

»Inschen will Calico für Hemd« – sagte einer von diesen Ehrenmännern bedeutungsvoll zu Orson, der übrigens seinerseits Anfangs that, als höre er ihn nicht. Das Ansinnen wurde jedoch mit stärkerer Betonung wiederholt, und dann legte der Handelsmann, obschon nur mit Widerstreben, den Zeug auf den Ladentisch.

»Gut,« sagte der Inschen, nachdem er die Qualität untersucht hatte. »Schneid für Inschen zwanzig Ellen – aber gut Maaß, sage ich!«

In einer Art verzweifelnder Ergebung wurden die zwanzig Ellen abgeschnitten, zusammengerollt, eingewickelt und dem Kunden übergeben, der das Bündel ruhig unter seinen Arm nahm und, eh' er den Laden verließ, die Bemerkung hinwarf:

»Schreib's auf für nieder mit Rent.«

Das Geheimniß von Orson's Abgeneigtheit war nun erklärt. Wie es unvermeidlich bei Mißachtung aller Grundsätze zu gehen pflegt, mußten die Anstifter des Unrechts selbst auch durch die Eingriffe ihrer eigenen Werkzeuge empfindlich leiden. Ich erfuhr später, daß dieselben Inschens, die sich in Haufen von Hunderten versammelt hatten, um Gesetz, Recht und den heiligen Charakter verbriefter Verträge zu verhöhnen, nicht zögerten, ihren Hauptzweck zur Ausführung zu bringen und unter einem oder dem andern Vorwand Forderungen aller Art an die Taschen und das Eigenthum ihrer Auftraggeber zu stellen. Es versteht sich, daß dergleichen Ansinnen unausbleiblich den eigenen Vortheil im Auge hatten. Der »Geist des Antirentismus« begann sich unter dem System der Gewaltthätigkeit in dieser Form zu entwickeln, welche wohl den unbefugten Eingriffen des gesetzgebenden Körpers und seinem Kriechen vor der Masse – denn was anderes wäre von dem Charakter unserer Repräsentanten zu erwarten? – als warnendes Beispiel dienen kann. Ja, ich wiederhole es, wenn der Geist des Unrechts nicht im Keime erstickt wird, dauern die Forderungen an die geschmeidigen Diener der Oeffentlichkeit fort, bis die Reue über den ersten falschen Schritt zu spät kömmt und der Staat in einen Bürgerkrieg verwickelt ist, oder jeder ehrliche Mann anderwärts eine Heimath sucht.

Ich blieb nicht lange in dem Laden, sondern entfernte mich bald, um Mr. Warren und Mary aufzusuchen, weil ich zu erfahren wünschte, ob ich ihnen in nichts dienstlich werden könnte. Der Vater dankte mir für diese Aufmerksamkeit und theilte mir mit, daß er jetzt das Dorf zu verlassen gedenke, denn er sehe, daß auch die Anderen fortzugehen anfingen; unter diesen befinde sich auch Hall, ein alter geschätzter Bekannter von ihm, welchen er eingeladen habe in der Rektorei anzuhalten und bei ihm zu speisen. Er rieth mir, seinem Beispiel zu folgen, da sich unter den Inschens Fremde befänden, die vielleicht dem Trunk ergeben seien.

Auf diese Mittheilung hin suchte ich meinen Onkel auf, der mittlerweile die meisten seiner Schmucksachen und alle seine Uhren, bis auf eine einzige, verkauft hatte – ein Erfolg, welcher wohl auf Rechnung der niedrigen Preise zu setzen war. Er gab seine Waaren zu dem Preise hin, den er selbst dafür bezahlt hatte, in einigen Fällen sogar noch wohlfeiler, und zog von dem Platz mit dem Rufe des raisonabelsten Bijouteriehändlers ab, welcher sich je daselbst hatte blicken lassen. Der Weg füllte sich mit Fuhrwerken, und die Leute, welche der Vorlesung angewohnt hatten, begaben sich nach Hause. Da dieß seit meiner Rückkehr nach der Heimath die erste Gelegenheit für mich war, ein solches Schauspiel mit anzusehen, so musterte ich die verschiedenen Gruppen, um meine Vergleichungen anzustellen. Sogar in den großen Städten Amerika's begegnet man einem gewissen ländlichen Anstrich, den man in den Hauptstädten der alten Welt nicht trifft; dagegen aber ist man in Amerika auf dem Laude keineswegs so bäurisch, als in jedem anderen Theile der Welt, den ich kennen gelernt habe, mit alleiniger Ausnahme Englands. Natürlich habe ich hiebei nicht die unmittelbaren Umgebungen sehr großer Städte im Auge, obschon ich wahrhaftig nicht weiß, ob die Bevölkerung von St. Quen, dem Runnymed von Frankreich, welches kaum eine Stunde von den Mauern des mächtigen Paris entfernt liegt, nicht einen entschieden ländlicheren Anblick geboten haben würde, als das, was wir jetzt sahen. In Beziehung auf die Frauenzimmer ist dieß wenigstens eine buchstäbliche Wahrheit, denn man sah kaum eine einzige Weibsperson mit jenem Ausdruck der Rohheit, Unwissenheit und Gemeinheit, der auf eine herabgewürdigte Stellung und auf ein Leben voll Mühsal zu deuten pflegt. Im moralischen Sinne des Worts war nicht viel Bäurisches zu bemerken; denn die ganze Bevölkerung schien sich in ihren zierlichen, gut erhaltenen Fuhrwerken mit Leichtigkeit zu bewegen. Die behenden Pferde waren wohl genährt, und wenn die Kleidung auch nicht eben viel Geschmack verrieth, so mußte sie doch immerhin anständig genannt werden. So war der Stand der Dinge auf einem verpachteten Gute, unter dem schlimmen Druck eines Grundbesitzers und unter dem Schatten der Aristokratie! Wir unterhielten uns eine Weile mit zwei stämmigen, wetterbraunen Farmern, die ihr Pferd für eine kurze Strecke im Schritt neben dem unsrigen hertrieben, und das Gespräch kräftigte besser, als alles Andere, den Eindruck, welchen die vorerwähnte Thatsache hervorgerufen hatte. Es mag deßhalb hier eine Stelle finden:

»Ihr seid Tscharmans, glaub ich,« begann der Aeltere von den Beiden, ein grauköpfiger Pächter auf meinen Gütern, der Holmes hieß und uns Beiden gut bekannt war – »Tscharmans aus den alten Ländern, wie ich höre?«

»Ja, wir kommen aus den alten Ländern. Ein weiter Weg von dort bis hieher.«

»Ja, dieß will ich wohl glauben. – Ich habe oft davon sprechen hören. Besteht dort auch ein Grundherrnsystem?«

»Allerdings – es gibt Grundherrn über die ganze Welt, glaub' ich – und auch Pächter.«

»Gut, und wie sind sie dort beliebt? Denkt das Volk nicht daran, sich ihrer zu entledigen?«

»Nein – wie könnten sie sich ihrer entledigen? Ihr müßt wissen, daß sie gesetzlichen Bestand haben, und was das Gesetz verlangt, das muß geschehen.«

Diese Antwort brachte den alten Holmes in große Verlegenheit. Er fuhr mit der Hand über's Gesicht und wandte sich an seinen Begleiter, einem gewissen Tubbs, der gleichfalls Pächter auf meinen Gütern war, als wolle er dessen Beistand aufbieten. Tubbs aber war einer von der neuen Schule – von einer Schule, die mehr auf's Machen, als auf's Befolgen der Gesetze hält – und gehörte zu der Bewegungspartei. Seiner Ansicht nach hatte die Welt vor dem Beginn dieses Jahrhunderts nie etwas von Grundsätzen, Thatsachen oder Tendenzen gewußt.

»Was habt Ihr denn für eine Regierung in Eurem Lande?« fragte Tubbs.

»Eine ziemlich gute. Mein Vaterland war Preußen, und man hält allgemein das Gouvernement dieses Landes für nicht übel.«

»Ja, aber es ist ein Königreich, kann ich mir denken. Ich meine, ich habe sagen hören, daß in jenem Lande Könige seien.«

»Allerdings hat das Land einen König. Der letzte war der gute König Wilhelm, und jetzt sitzt sein Sohn auf dem Throne, der auch ein guter König ist, wie ich mir denken kann. Ja, ja – es ist ein König da.«

»Dieß erklärt das Ganze,« rief Tubbs mit triumphirender Miene. »Ihr seht, sie haben einen König und deßhalb sind auch Pächter da; wir aber haben keinen König und brauchen daher auch keine Grundherren. In einem freien Lande sollte Jeder sein eigener Grundherr sein; dieß ist mein Princip und dabei bleibe ich.«

»Es liegt etwas Vernunft darin, Freund; ist dieß nicht auch Eure Ansicht?« fragte Holmes.

»Mag sein, daß ich die Sache nicht ganz verstehe. Will der Schentleman vielleicht um deßwillen in seinem Lande nichts von Grundherren, weil es in Ländern, welche Könige haben, Grundherrn gibt?«

»Ganz richtig; dieß ist just der Grund davon und das wahre Princip,« antwortete Tubbs. »Könige und Freiheit können nicht neben einander feil haben, und eben so wenig können Grundherrn und Freiheit mit einander Hand in Hand gehen.

»Wenn aber das Gesetz des Landes den Grundherrn Bestand gibt? Ich höre, daß dieß der Fall sein soll.«

»Ihr redet von dem Gesetz, wie es gegenwärtig ist; aber wir gedenken es ganz umzuändern. Wir haben jetzt so viele Stimmen, daß wir versichert sein dürfen, bei einer allgemeinen Wahl beide Parteien für uns zu haben. Ist dann der Gouverneur und die Sicherheit auf unserer Seite, durch unsere Stimmen die ganze Wahl zu beherrschen, so können wir unseres Erfolgs ziemlich gewiß sein. In einem wahrhaft freien Lande braucht man nichts als Stimmen, und dann können's die Leute haben, wie sie´s wünschen.«

»Ihr wünscht also, in diesem Lande nichts zu haben, was man in den Ländern trifft, welche durch Könige beherrscht werden?«

»Gewiß nicht. Wozu brauchen wir solche grundherrlichen Pfiffe und Kniffe, durch die der Reiche nur reicher und der Arme nur ärmer wird?«

»Dann müßt ihr das Gesetz der Natur ändern, denn wenn ihr dieß nicht thut, wird der Reiche fortwährend nach mehr Reichthümern ringen und der Arme sich stets arm fühlen. Die Bibel belehrt uns, daß das Unglück des Armen eben in seinem Mangel liege.«

»Pah, pah, das Bibelgeschwätz taugt nicht viel in der Politik. Für die Bibel ist der Sabbath da, und für öffentliche und Privatangelegenheiten hat man die Werkeltage. Da ist z.B. der Hugh Littlepage – er ist von demselben Fleisch und Blut, wie mein Nachbar Holmes und ich, nicht besser und schlechter; ja ich will zugeben, er sei in der Hauptsache nicht schlechter, obschon ich denke, in einigen Dingen können wir den Vorzug ansprechen; aber ich will Beispiels halber annehmen, daß er nicht schlechter sei. Jeder von uns zahlt an diesen Littlepage für eine Farm von gut hundert Acres Renten. Gut; dieses Land bebauen, pflügen und bearbeiten wir mit unsern Händen – unsere Söhne helfen mit und vielleicht ein Knecht oder eine Magd. Gleichwohl hat Jeder von uns an diesen jungen Burschen Hugh Littlepage jährlich seine fünfzig Dollars zu bezahlen – ein Geld, das er nimmt und wahrscheinlich in einem liederlichen Leben nach Belieben verschwendet. Ist dieß recht, frage ich, und ist dieß ein geeignetes Verhältniß für ein republikanisches Land?«

»Ihr glaubt also, der junge Littlepage vergeude anderwärts sein Geld in einem schwelgerischen Leben?«

»Ja wohl – so heißt's überall hier herum. Ich kenne einen Mann, der einen andern guten Freund hat und dieser hat einen Bekannten, der in Paris gewesen ist und den Leuten in seiner Gegend erzählte, er sei eines Tages an der Thüre des königlichen Palastes gestanden und habe leibhaftig gesehen, wie die beiden Littlepage's hineingegangen seien, um dem ›Kaiser Tribut zu zahlen‹, wie man's nennt – Gewiß, kennt Ihr dieß selbst auch; und man sagt mir, daß Alle, die den König sehen wollen, niederknieen und seine Hand küssen müssen – ja, Einige sagen sogar, seinen Zehen. Wißt Ihr vielleicht, wie es damit in den alten Ländern gehalten wird?«

»Ihr seid irrig berichtet worden. Ich habe mehr als ein halb Dutzend Könige gesehen, und es ist da weder von Niederknieen, noch von Handküssen die Rede, ausgenommen bei gewissen Anlässen. Gewiß, es ist auch nicht Alles wahr, was man in diesem Lande hört.«

»Na, mag sein; ich weiß es nicht – ich bin nie dort gewesen, um mich durch den Augenschein zu belehren,« antwortete Tubbs in jener eigenthümlichen Weise, die man sich, so oft sie von einem Amerikaner in Anwendung gebracht wird, in den Worten deuten muß: ›ich will zwar nicht widersprechen, glaube aber doch, was ich mag.‹ »Ich spreche nur vom Hörensagen. Aber warum sollen wir dem jungen Littlepage Renten zahlen, damit er sie lustig vergeude?«

»Ich weiß da freilich keinen Grund, als etwa den, daß ihr das Land gepachtet habt und in Betreff der Rente mit ihm einig geworden seid. In diesem Falle müßt ihr leisten, was ihr versprochen habt.«

»Doch wenn der Handel nach was Königlichem riecht, so sag ich nein. Jedes Land hat seine Natur, jede Regierung hat ihre Natur und alle Dinge sollten im Einklang sein mit der Natur. Nun ist es gegen die Natur, in einem republikanischen Lande Rente zu zahlen. Wir wollen hier nichts mit Lords und Königen gemein haben!«

»Nun, dann müßt ihr euer ganzes Land ändern. Ihr könnt keine Weiber und Kinder haben, dürft' nicht in Häusern wohnen, müßt' das Pflügen des Landes, ja auch das Essen und Trinken aufgeben, und dürft eben so wenig ein Hemd auf dem Leib tragen.«

Tubbs sah sich einigermaßen in der Klemme, und war, wie der bourgeois gentilhomme, nicht wenig erstaunt, finden zu müssen, daß er sein ganzes Leben über Unsinn gesprochen hatte, ohne es zu wissen. Es unterliegt keiner Frage, daß in einem Königreiche Verhältnisse bestehen können, welche sich mit den Institutionen einer Republik nicht vertragen; aber es ist ebenfalls gewiß, daß das Gesetz, welches den Pächter anhält, für die Benützung seines Hauses oder seiner Farm Zahlung zu leisten, nicht unter diese Zahl gehört. Tubbs hatte aber so oft gehört, es sei etwas außerordentlich Antirepublikanisches, wenn Einer dem Andern Renten zahle, daß ihm dieß nicht aus dem Kopf hinauswollte; er war daher nicht geneigt, so leicht nachzugeben.

»Nun ja,« antwortete er, »ich muß zugeben, daß wir als Menschen Vieles gemein haben mit Königreichen; aber daraus folgt noch nicht, daß dieses Gemeinsame auch in Dingen von so aristokratischer Natur bestehen müsse. Ein freies Land muß freie Leute haben, und wie kann ein Mann frei sein, wenn ihm das Land nicht eigen gehört, auf dem er seinen Lebensunterhalt gewinnt?«

»Und wenn er auf dem Eigenthum eines Andern seinen Lebensunterhalt gewinnt, so denke ich, er sollte ehrlich genug sein, für die Benützung Zahlung zu leisten.«

»Aber wir sind der Ansicht, es sollte nicht das Eigenthum eines Andern sein, sondern dem gehören, der es bearbeitet.«

»Sagt mir nur Eines – laßt Ihr nie ein Stück Feld an einen armen Nachbar ab und bedingt Euch dabei einen Antheil am Ertrag aus?«

»Ja wohl, wir alle thun dieß – einmal um den Leuten einen Gefallen zu erweisen, und dann um doch noch etwas Weiteres zu erzielen, wenn wir mit eigener Arbeit überhäuft sind.«

»Und warum soll nicht die ganze Ernte dem gehören, der das Feld bearbeitet?«

»Oh dieß ist nur ein Geschäft im Kleinen und kann Niemand schaden. Aber die amerikanischen Institutionen haben nie beabsichtigt, daß eine große privilegirte Klasse unter uns bestehen solle, wie die der Lords in Europa.«

»Ist's Euch nie schwer geworden, für ein so abgelassenes Stück Feld den ausbedungenen Antheil zu erhalten?«

»Ja wohl. Es gibt eben so gut erbärmliche Nachbarn, als es rechte Leute darunter gibt. Erst letzthin hab' ich einen solchen Kerl verklagen müssen.«

»Und hat Euch der Gerichtshof zu Euren Ansprüchen verholfen?«

»Natürlich. Zu was wären auch Gerichtshöfe gut, wenn sie Einen nicht zu seinem Rechte hälfen?«

»Und zahlen die Pächter dieses Eigenthums an Hugh Littlepage die Renten, die sie ihm schuldig sind?«

»Dieß ist etwas ganz Anderes, sag' ich Euch. Hugh Littlepage hat mehr, als er braucht, und verschlemmt sein Geld in fremden Ländern.«

»Gut. Setzen wir den Fall, Eure Nachbarn würden Euch fragen, was Ihr mit den Dollars anfangt, die Ihr für Euere Schweine und für Eure Ochsen erlöst – nur um zu sehen, ob Ihr guten Gebrauch davon macht – wäre das Freiheit?«

»Das? Zum Henker, wer, glaubt Ihr denn, wird sich um meine Ersparnisse kümmern? Nur der große Fisch ist's, von dem in solchen Dingen die Leute sprechen.«

»Dann machen also die Leute Hugh Littlepage zum großen Fisch, und zwar durch ihren eigenen Vorwitz, ihren Neid und ihre Habgier – ist's nicht so?«

»Laßt Euch sagen, Freund, ich meine, Ihr haltet's mit königlichen Ansichten und mit den Ideen, in denen Ihr erzogen wurdet; aber wenn ich Euch gut zu Rath bin, so gebt nur Alles dieß auf, sobald Ihr könnt, sonst werdet Ihr in diesem Theil der Welt nie populär werden.«

»Populär!« wie breit ist die Bedeutung dieses Ausdruck geworden! In den Augen von zwei Drittheilen der Bevölkerung hat es bei der Frage: »was ist recht?« keinen anderen Sinn, als: Vox populi, vox dei. Welche Ausdehnung hat dieses kleine Wort nicht gewonnen, daß es sich um alle Interessen des Lebens winden muß! Wenn man es für passend hält, dem Volk gewisse Ansichten beizubringen, so gibt man sich zuerst Mühe, die Einwohner von New-York zu bereden, daß die Einwohner von Pennsylvanien bereits so gesinnt seien. Eine angebliche öffentliche Meinung ist in der That der kräftigste Hebel, der bei jedem Anlaß, bei jeder öffentlichen Verhandlung eines bestrittenen Punktes in Anwendung gebracht wird. Wer über die meisten Stimmen zu gebieten im Stande ist, hat bei weitem den Vorzug vor dem, welcher die meisten Gründe aufbringt; denn Zahlen wiegen unendlich schwerer, als Thatsachen oder gesetzliche Bestimmungen. Ein solches System kann zwar in manchen Dingen eine gute Wirkung üben; aber augenscheinlich gibt es auch andere und zwar hochwichtige Fragen, in welchen es unmittelbar der schnödesten Verderbniß zuführt. Sobald Tubbs sich dieser wohlmeinenden Ermahnung entledigt hatte, holte er mit seiner Peitsche aus und trabte weiter, während wir in so gutem Schritt, als wir ihn Tom Millers Mähre abnöthigen konnten, hintendrein holperten.


 


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