Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Wollt ihr kaufen keine Schnür'
Oder Spitz' zur Haubenzier?
Der Hausirer wohlbestellt
Gibt's euch gern' für baares Geld.
Baares Geld
Hilft zu Allem in der Welt!

Wintermährchen.

 

Da saßen sie, die vier jungen Wesen, eine wahre Milchstraße von klaren, funkelnden Augen. Es befand sich nicht ein einziges ausdruckloses Gesicht unter ihnen, und ich war betroffen von dem Umstande, daß man so gar selten unter der amerikanischen Jugend wirklich häßliche Frauenzimmer trifft. Auch Kitty war um die Zeit, als wir den Wagen erreicht hatten, unter der Thüre erschienen und bildete ein recht anziehendes, blühendes Seitenstück. Schade übrigens, daß sie redete, denn die Gemeinheit ihrer Aussprache und der Betonung ihrer Stimme, welche eine Art von singendem Weinen war, stand in einem grellen Gegensatz zu der gesunden, lebensvollen Zartheit, die sich in ihrem Aeußern ausdrückte. Alle die klaren Augen wurden noch leuchtender, als ich, meine Flöte in der Hand, näher trat; aber keine von den jungen Damen getraute sich, auch nur eine Sylbe laut werden zu lassen.

»Will von den Frauenzimmern Niemand eine Uhr kaufen?« begann Onkel Ro, indem er sich, die Mütze in der Hand und mit offener Truhe, seiner Mutter näherte.

»Ich danke Euch, Freund. Wir Alle sind hier, wie ich glaube, bereits mit Uhren versehen.«

»Die meinigen sind sehr wohlfeil.«

»Dieß glaube ich gerne,« versetzte meine theure Großmutter lächelnd; »aber wohlfeile Uhren sind nicht immer die besten. Ist dieses allerliebste Bleirohr von Gold?«

»Ja, Madame, es ist von gutem Gold. Wenn's nicht so wäre, würde ich's nicht sagen.«

Ich bemerkte ein unterdrücktes Lächeln unter den Mädchen; sie waren jedoch insgesammt zu gut erzogen, um den gewöhnlichen Beobachter bemerken zu lassen, wie possierlich ihnen die in gebrochenem Englisch gegebene Betheurung meines Onkels vorkam.

»Was soll das Rohr kosten?« fragte meine Großmutter.

Onkel Ro besaß zu viel Takt, um seine Mutter in einer Weise, die er bei Miller in Anwendung gebracht hatte, zu einem Kauf veranlassen zu wollen, und nannte deßhalb ungefähr den wahren Werth des Artikels, der sich auf fünfzehn Dollars belief.

»Ich will es nehmen,« entgegnete meine Großmutter, indem sie drei halbe Adler in die Truhe fallen ließ.

Dann wandte sie sich an Mary Warren und ersuchte sie, das Rohr als Geschenk anzunehmen. Dieß geschah übrigens in so achtungsvoller Weise, daß es vollkommen den Anschein hatte, als wolle sie nicht einen Gefallen erweisen, sondern erbitte sich eine Gunst.

Mary's schönes Antlitz wurde über und über roth. In ihren Zügen drückte sich Freude aus; und sie nahm die Gabe an, obschon es mir vorkam, als zögere sie einen Augenblick, ob sie auch füglicherweise sich mit einem so werthvollen Gegenstand dürfe beschenken lassen. Meine Schwester erbat sich die Bleifeder, um sie betrachten zu können, und nachdem sie dieselbe bewundert hatte, ging sie von Hand zu Hand, allenthalben um ihrer Form und ihrer Verzierung willen Lob erntend. Ueberhaupt waren alle Waaren meines Onkels sehr geschmackroll gearbeitet und von einem Kaufmann, der in überseeischen Artikeln Geschäfte machte, mit ziemlichem Aufwand erstanden worden. Die Uhren waren allerdings, mit einer oder zwei Ausnahmen, wohlfeil, und dasselbe konnte man auch von den meisten Schmucksachen sagen; aber mein Onkel hatte ein paar Uhren und einige schöne Kostbarkeiten bei sich, die er selbst aus Europa mitgebracht hatte, um sie zu Geschenken zu verwenden, und unter diesen befand sich die fragliche Bleifeder, welche er nur einen Augenblick vor dem Verkauf in die Truhe hatte gleiten lassen.

»Der Tausend, Madame Littlepage,« rief Miller mit der Zutraulichkeit eines Mannes, der auf dem Gute geboren war, »dieß ist einer der kuriosesten Uhrenhausirer, die mir je vorgekommen sind. Er verlangt fünfzehn Dollars für dieses Röhrlein und nur vier für diese Uhr.«

Bei diesen Worten zeigte er den Gegenstand vor, den er selber käuflich erworben hatte.

Meine Großmutter nahm die Uhr in die Hand und untersuchte sie aufs Sorgfältigste.

»Der Preis erscheint mir außerordentlich wohlfeil,« bemerkte sie – wie es mir vorkam – mit einem mißtrauischen Blick gegen ihren Sohn, als glaube sie, er möchte seine Besen nur deßhalb wohlfeiler verkaufen, als Derjenige, welcher nur das Material stahl, weil er die bereits fertige Waare auf unrechtmäßigem Wege an sich gebracht hatte. »Ich weiß zwar, daß in den Ländern Europa's, wo man wohlfeil lebt, dergleichen Uhren zu sehr niedrigen Preisen gefertigt werden; aber man kann es kaum für möglich halten, daß eine derartige Maschinerie sich für eine so kleine Summe zusammensetzen läßt.«

»Ich habe sie zu allen Preisen, Madame,« entgegnete mein Onkel.

»Ich hätte wohl Lust, eine gute Damenuhr zu kaufen, trage aber doch Bedenken, sich bei Jemand Anders, als bei einem bekannten und zuverlässigen Kaufmann auszunehmen.«

»Ihr habt von uns nichts zu befürchten, Madame,« wagte ich zu sagen. »Wenn wir auch alle Welt betrügen wollten, könnten wir dieß doch bei einer so guten Dame nicht über's Herz bringen.«

Ich weiß nicht, ob meine Stimme einen angenehmen Eindruck auf Patts Ohr machte, oder ob sie den Plan ihrer Großmutter unverweilt ausgeführt zu sehen wünschte: genug, sie legte sich in's Mittel und drang in die alte Dame, uns Vertrauen zu schenken. Letztere aber war durch die Jahre vorsichtig geworden und zögerte.

»Aber alle diese Uhren sind von schlechtem Metall – ich möchte eine von gutem Gold und von schöner Façon,« bemerkte meine Großmutter.

Mein Onkel langte unverweilt eine Uhr hervor, die er bei Blondel in Paris für fünfhundert Franken gekauft hatte, und die jedem Damengürtel zur Zierde dienen konnte.

Meine Großmutter nahm sie hin und las mit einigem Erstaunen den Namen des Verfertigers. Die Uhr selbst wurde nun auf's Sorgfältigste untersucht und fand allgemeinen Beifall.

»Und wie hoch haltet Ihr sie?« ergriff meine Großmutter wieder das Wort.

»Zu hundert Dollars, Madame; sie ist für diesen Preis sehr wohlfeil.«

Tom Miller warf einen Blick auf den vergoldeten Tand, den er selbst gekauft hatte, und auf den kleineren, aber ausgesucht gearbeiteten »Artikel«, den meine Großmutter an dem kurzen Stückchen Band zum Betrachten in die Höhe hob. Der gute Farmer war augenscheinlich jetzt eben so verwirrt, wie eine kleine Weile vorher, als ihm der Unterschied zwischen reich und arm nicht recht in den Kopf wollte. Der Grund lag nahe – er wußte das Aechte von dem Falschen nicht zu unterscheiden. Meine Großmutter schien sich über diesen Preis durchaus nicht zu verwundern, obschon sie über ihrer Brille weg einige mißtrauische Blicke nach dem angeblichen Hausirer hingleiten ließ. Endlich wurde auch sie durch die Schönheit der Uhr bestochen.

»Wenn Ihr die Uhr nach jenem großen Hause bringen wollt, so will ich Euch die hundert Dollars bezahlen,« sagte sie. »Ich habe nicht so viel Geld bei mir.«

»Ja, ja – sehr gut. Ihr könnt die Uhr behalten, Lady, ich will dann kommen und das Geld holen, nachdem ich zuvor irgendwo ein Mittagessen eingenommen habe.«

Meine Großmutter trug natürlich kein Bedenken, den Kredit anzunehmen, und wollte eben die Uhr in ihre Tasche stecken, als Patt ihre kleine Hand darauf legte und rief:

»Ach, theuerste Großmutter, thut es lieber gleich – Ihr wißt ja, es sind nur wir Drei zugegen.«

»O welche kindische Ungeduld!« rief die ältere Dame lachend. »Nun, ich will dir den Willen thun. Ich habe Euch jenes Bleirohr nur en attendant als Andenken gegeben, Mary, denn es war meine Absicht, Euch, so bald ich Gelegenheit dazu fände, mit einer Uhr zu beschenken, als Anerkennung des Muthes, den Ihr zeigtet, indem Ihr während jener düstern Woche, in welcher wir von den Anti-Renters so sehr bedroht wurden, bei uns aushieltet. Hier ist nun ein passendes Geschenk, und ich erlaube mir die Bitte, es mit derselben Liebe anzunehmen, mit der es geboten wird.«

Mary Warren war bestürzt und die Glut stieg ihr zu den Schläfen; dann erblaßte sie plötzlich. Ich habe nie ein so liebliches Bild zarter weiblicher Verlegenheit gesehen – einer Verlegenheit, die aus widerstreitenden Gefühlen, aber gleichwohl aus Gefühlen entsprang, die ihr Ehre machten.

»Oh, Mistreß Littlepage,« rief sie, nachdem sie eine Weile in stummem Erstaunen die Gabe betrachtet hatte, »unmöglich könnt Ihr diese schöne Uhr für mich bestimmen wollen.«

»Für Niemand Anders, als für Euch, meine Theure; die schöne Uhr ist um kein Härchen zu gut für meine schöne Mary.«

»Aber meine liebe, meine theure Mrs. Littlepage – sie ist viel zu schön für meine Stellung – für meine Mittel.«

»Eine Lady kann recht wohl eine solche Uhr tragen; und Ihr seid eine Lady in jeder Beziehung des Wortes; um deßwillen braucht Ihr also keinen Anstand zu nehmen. Was aber die Mittel betrifft, so werdet Ihr mich nicht mißverstehen, wenn ich Euch daran erinnere, daß sie mit meinen Mitteln erkauft ist, und Euch daher kein Tadel treffen kann.«

»Aber wir sind so arm, und diese Uhr sieht so reich aus! Es scheint mir kaum recht zu sein.«

»Ich achte Eure Gefühle und Gesinnungen, mein theures Mädchen, und weiß sie zu schätzen. Vermuthlich ist Euch übrigens bekannt, daß ich einmal selbst so arm – ja, ich darf wohl sagen, viel ärmer war, als Ihr.«

»Ihr, Mrs. Littlepage? Nein, dieß ist kaum möglich. Ich weiß, daß Ihr von einer sehr achtbaren und wohlhabenden Familie herstammt.«

»Und gleichwohl verhält sich's so, meine Liebe. Ich will nicht eine so übermäßige Bescheidenheit erkünsteln und in Abrede ziehen, daß die Malbone's zu den ersten Familien des Landes gehörten und noch gehören; aber mein Bruder und ich, wir Beide waren einmal in unsern Glücksverhältnissen so weit heruntergekommen, daß er ganz in der Nähe dieser Güter den Geometern bei Vermessung der Wälder an die Hand gehen mußte. Wir hatten damals keine Ansprüche zu erheben, die besser gewesen wären, als die Eurigen, und in vielfacher Hinsicht waren wir weit dürftiger daran. Außerdem verdient die Tochter eines wohlerzogenen Geistlichen aus achtbarer Familie, schon vom weltlichen Standpunkt aus betrachtet, eine gewisse Anerkennung. Ihr werdet mir doch die Liebe erweisen, meine Gabe anzunehmen?«

»Theure Mrs. Littlepage, ich weiß nicht, wie ich Euch Etwas abschlagen soll, und doch scheue ich mich, ein so reiches Geschenk anzunehmen. Ihr werdet mir doch erlauben, zuvor meinen Vater darüber zu befragen?«

»Dieß ist nicht mehr als in der Ordnung, meine Liebe,« entgegnete meine Großmutter, indem sie ruhig die Uhr in ihre eigene Tasche gleiten ließ. »Glücklicherweise speist Mr. Warren heut bei uns, und die Sache kann also bereinigt werden, noch ehe wir uns zu Tisch niedersetzen.«

Dieß beendigte die Verhandlung, welche unter dem Impulse eines Gefühls begonnen hatte, dessen wir insgesammt Zeugen waren. Was meinen Onkel und mich betrifft, so brauche ich kaum zu sagen, daß uns die kleine Scene in hohem Grad erfreute. Einerseits der wohlwollende Wunsch, Jemand eine Liebe zu erzeigen, andererseits das natürliche Bedenken, eine so werthvolle Gabe anzunehmen – mit einem Worte, das Ganze war ein liebliches Bild, das uns Gelegenheit gab, mancherlei Betrachtungen daran zu knüpfen. Die drei Mädchen, welche gleichfalls Zeuge des Vorgangs waren, achteten Mary's Gefühle zu sehr, um sich in's Mittel zu legen, obschon Patt nur mit Mühe an sich hielt. Was dagegen Tom Miller und Kitty betraf, so waren sie ohne Zweifel nicht wenig verwundert, warum »Warrens Mädel« so einfältig war, nicht mit beiden Händen zuzugreifen, während man ihr doch eine Uhr im Werth von hundert Dollars anbot. Die andere Seite der Frage verstunden sie freilich nicht.

»Ihr habt von einem Mittagessen gesprochen,« fuhr meine Großmutter fort, indem sie nach Onkel Ro hinsah. »Wenn Ihr uns mit Eurem Begleiter nach dem Hause folgen wollt, so sollt Ihr nicht nur Zahlung für Eure Uhr, sondern auch ein Diner obendrein erhalten.«

Wir nahmen dieses Erbieten mit großer Freude an, machten unsere Verbeugung und drückten noch immer unsern Dank aus, als der Wagen weiter rollte. Dann blieben wir noch einen Augenblick zurück, um uns von Miller zu verabschieden.

»Wenn Ihr im Nest fertig seid,« sagte der gute Bursche, »so sprecht noch einmal hier ein. Es wär' mir lieb, mein Weib und Kitty könnten Eure Raritäten ansehen, eh' Ihr damit nach dem Dorf hinuntergeht.«

Wir versprachen, wieder nach dem Farmhaus zurückzukehren, und traten unsern Weg nach dem Gebäude an, welches in der familiären Redeweise des Landes von seinem wahren Namen Ravensnest her die Bezeichnung Nest oder Nesthaus führte, von Tom Miller aber in seinem bäurischen Dialekt das »Neest« genannt wurde. Die Entfernung zwischen beiden Häusern betrug kaum tausend Schritte und war theilweise mit den zu Ravensnest gehörigen Gründen ausgefüllt. Letztere waren so ausgedehnt, daß sie wahrscheinlich von manchen Personen mit dem Titel »Park« beehrt worden wären; bei uns aber führten sie nie einen so hochtrabenden Namen, obschon ihnen, um ihn zu verdienen, nichts gefehlt hätte, als daß außer den Hausthieren auch Hirsche oder ähnliches Wild darin gehalten worden wäre. Wir nannten sie gewöhnlich nur den Grund – ein Ausdruck, welcher große und kleine derartige Umfassungen bezeichnet, während die breite Fläche von Grün, die unmittelbar unter den Fenstern liegt, den Namen »Rasen« führt. Obschon in Amerika das Land sehr wohlfeil ist, hat doch die Landschafts-Gärtnerei nur sehr geringe Fortschritte gemacht, und wenn wir je Etwas besitzen, was einer Park-Scenerie ähnlich sieht, so haben wir dieß weit mehr den Gaben einer üppigen Natur, als den Leistungen der Kunst zu verdanken. Ehre dem gebildeten Geschmack Downings sowohl, als seinen wohlgeleiteten Arbeiten – dieser Vorwurf wird uns bald nicht mehr treffen, und das Landleben unter den vielen anderen Genüssen, welche ihm so eigenthümlich sind, dieses ansprechenden Reizes nicht länger entbehren. Nachdem die Gründe des weißen Hauses mehr als zwanzig Jahre – ein wahres Brandmal für den Nationalgeschmack – durch Kluften, Löcher und sonstige Mißstände entstellt, dagelegen hatten, sind sie endlich in einen Zustand gekommen, welcher bekundet, daß sie einem civilisirten Lande angehören. Die Amerikaner sind, obgleich viel mehr zum Wechsel geneigt, eben so nachahmungsfertig, wie die Chinesen, und man braucht wenig mehr als gute Modelle, um sie auf die richtige Bahn zu leiten. So viel ist übrigens zuverlässig, daß wir als Ration von der besagten Kunst nichts weiter kennen, als die Baum-Alleen oder hin und wieder einen Busch von Strauchwerk. Die Verschlingung der letzteren mit ihrer Wildniß von süßen Düften, die Massen von Blumenbeeten, welche die Oberfläche Europas besäen, die Schönheit gekrümmter Linien und die Anbringung überraschender Hintergründe und Vistas – dieß sind lauter Dinge, welche so wenig unter uns bekannt sind, daß man sie fast für aristokratisch halten sollte.

Zu Ravensnest war wenig mehr geschehen, als daß man den natürlichen Baumwuchs benützt und von der günstigen Bildung und Lage der Gründe Vortheil gezogen hatte. Die meisten Reisenden sind der Ansicht, es sei leicht, in dem jungfräulichen Urwald einen Park anzulegen, weil ja die Art das Dickicht, das Gebüsch und die Holzarten, die anderwärts eine Frucht der Zeit und künstlicher Anpflanzung sind, nur stehen zu lassen brauche. Dieß ist übrigens in der Regel ein großer Irrthum, obschon hin und wieder auch bedingte Ausnahmen vorkommen mögen. Der Baum der amerikanischen Wälder schießt gegen das Licht auf und bleibt bei seiner Höhe so dünn, daß er unscheinbar wird. Aber auch dann, wenn die Zeit dem Stamm eine passende Dicke gegeben hat, gewinnt doch der Wipfel selten die Breite, welche einem Park zur Zierde dienen kann, während die Wurzeln, welche ihre Nahrung in dem tausendjährigen Humus der gefallenen Blätter suchen, zu nahe unter der Oberfläche liegen, um nach Entfernung der schirmenden Nachbarbäume zureichenden Schutz zu finden. Dieß sind die Ursachen, warum die zierenden Gründe eines amerikanischen Landhauses gewöhnlich ab origine angelegt werden müssen, da die Natur nur wenig nachhilft oder zur Verschönerung beiträgt.

Meine Vorfahren hatten in der Nähe des Nestes der Natur wohl einige Nachhilfe geleistet, glücklicherweise aber nur wenig gethan, um die Anstrengungen derselben zu verkümmern; denn dieser letzte Umstand war bei der Sachkenntniß welche vor sechzig Jahren in Amerika über diesen Gegenstand herrschte, von fast eben so großer Wichtigkeit. In Folge davon besitzen die Gründe von Ravensnest eine Breite, welche wir der Ausdehnung unserer Ländereien verdanken, und eine ländliche Schönheit, die dennoch anziehend ist, obschon die Kunst nicht viel nachgeholfen hat. Das Gras wurde von den Schafen kurz gehalten, und wir sahen ein ganzes Tausend dieser Thiere von der feinsten Wolle, die, als wir unsern Weg nach dem Haus verfolgten, auf den Wiesen, an den Abhängen, und namentlich an den fernen Höhen weideten.

Das Nesthaus war eine achtbare New-Yorker Landwohnung, wie sie im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts unter uns gebaut wurden, natürlich durch die zweite und dritte Generation der Eigenthümer ein wenig verschönert und erweitert. Das Material bestand aus Gestein, welches die niedrige Anhöhe, auf welcher das Gebäude errichtet war, in trefflicher Qualität geliefert hatte. Die Form des Haupt- Corps de bâtiment war so nahezu im Quadrat gehalten, als es nur anging. Jede Seite dieses Gebäudetheils bot dem Blicke fünf Fenster dar, denn dieß ist heutigen Tags fast die vorgeschriebene Anzahl für einen Landsitz, da die drei sich seither in die Städte geflüchtet haben. Besagte Fenster waren übrigens ziemlich groß, da der Hauptbau sechzig Fuß im Geviert hatte, also nach jeder Richtung hin zehn mehr, als bald nach der Revolution üblich wurde. Das ursprüngliche Gebäude hatte übrigens Flügel erhalten, und zwar nach einem Plan, welcher im Einklang stand mit der Gestalt eines Hauses aus viereckigen Blöcken, das zuvor an demselben Platze gestanden. Die Flügel waren nur anderthalb Stock hoch und hingen auf jeder Seite mit dem Hauptbau nur so weit zusammen, daß der Durchgang vermittelt wurde; sie liefen nach dem Rand einer etwa vierzig Fuß hohen Klippe zurück und boten an ihren Enden den Ueberblick über einen sich schlängelnden Bach und eine weite, ergiebige Felderfläche, die jährlich meine Scheunen mit Heu und meine Krippen mit Mais füllten. Von diesem ebenen fruchtbaren Bottomland erstreckten sich nahezu tausend Acres in drei Richtungen, und etwa zweihundert davon gehörten zu der sogenannten Nestfarm. Der Rest war unter die Farmen der benachbarten Pächter vertheilt. Dieser kleine Umstand unter den tausend Ungeheuerlichkeiten, die mir zur Last gelegt wurden, hatte Grund zu einer Anschuldigung gegeben, von der ich bald zu sprechen Gelegenheit finden werde. Ich thue dieß um so bereitwilliger, weil die Thatsache die Ohren der Gesetzgeber – Gott behüte uns, wie durch den vielen Gebrauch Worte nicht schimpfirt werden können – noch nicht erreicht hat, und sie also ihre Zungen noch nicht in Bewegung setzen konnte, um auch diesen Punkt unter den Beschwerden der im Staat ansässigen Pächter aufzuzählen.

In der Umgebung des Nestes war Alles in vollkommener Ordnung und in einem Zustande erhalten, welcher der Thätigkeit und dem Geschmack meiner Großmutter große Ehre machte, denn während der letzten paar Jahre oder vielmehr seit dem Tod meines Großvaters hatte sie sämmtliche derartige Angelegenheiten besorgt. Dieser Umstand in Verbindung mit der Thatsache, daß das Gebäude größer und kostspieliger war, als die der meisten andern Bewohner der Gegend, hatte dazu Anlaß gegeben, daß Ravensnest ein »aristokratischer Sitz« genannt wurde. Wie ich seit meiner Rückkehr nach der Heimath finden muß, hat der Ausdruck »aristokratisch« eine sehr umfassende Bedeutung gewonnen, welche ihrem Sinn nach hauptsächlich von der Lebensweise und den Meinungen der Personen abhängt, die zufälligerweise das Wort gebrauchen. Wer z. B. Tabak kaut, hält es für aristokratisch, wenn ein Anderer diese Angewöhnung für garstig erklärt, und wer gebückt einhergeht, wirft Jedem, der sich einer aufrechten Haltung erfreut, seine aristokratischen Schultern vor. Ich bin sogar einmal mit einem Individuum zusammengetroffen, welches es für ungemein aristokratisch erklärte, wenn Jemand die Nase nicht mit den Fingern schneuzen wollte. Auch wird es bald als aristokratisch erscheinen, wenn man die Wahrheit des alten lateinischen Sprichworts »de gustibus non est disputandum« behauptet.

Als wir uns der Thüre des Nesthauses näherten und die Piazza betraten, die sich um die drei Seiten des Hauptgebäudes und die äußeren Enden der beiden Flügel herzog, führte eben der Kutscher die Pferde ihrem Stalle zu.

Die Damen hatten, nachdem sie die Farm verlassen, einen beträchtlichen Umweg gemacht und waren nur eine Minute vor uns angelangt. Sämmtliche Mädchen, mit Ausnahme Mary Warrens, befanden sich bereits im Hause, ohne der Ankunft zweier Hausirer Aufmerksamkeit zu schenken; die Tochter des Geistlichen jedoch war an der Seite meiner Großmutter zurückgeblieben, um uns zu empfangen.

»Ich glaube wahrhaftig,« flüsterte Onkel Ro, »meine liebe alte Mutter hat eine geheime Vorahnung, wer wir wohl sein mögen, da sie uns sonst kaum so viele Aufmerksamkeit schenken würde. – Tausend Dank, Madame, tausend Dank,« fuhr er in seinem gebrochenen Englisch fort, »für die große Ehre, denn wir konnten nicht wohl erwarten, daß die Dame des Hauses an ihrer Thüre unserer harre.«

»Diese junge Lady sagt mir, sie habe euch schon früher gesehen und in Erfahrung gebracht, daß ihr Beide Personen von Erziehung und guten Sitten seiet, welche in Folge politischer Wirren aus ihrem Vaterlande vertrieben wurden. Wenn dieß der Fall ist, kann ich euch nicht als gewöhnliche Hausirer betrachten, denn ich weiß, was es heißt, vom Unglück verfolgt zu werden« – bei diesen Worten erbebte die Stimme meiner theuren Großmutter ein wenig – »und kann mit Denen fühlen, gegen welche das Schicksal eine Stiefmutter ist.«

»Madame, hierin liegt viel Wahres,« antwortete mein Onkel, indem er seine Mütze abnahm und sich ganz in der Weise eines Gentlemans verbeugte – ein Beispiel, welchem ich augenblicklich selber auch nachkam. »Wir haben allerdings bessere Tage gesehen, und mein Sohn da wurde auf einer Universität erzogen. Jetzt aber bin ich nur ein armer Uhrenhändler, und Dieser hier macht Musik in den Straßen.«

Das Benehmen meiner Großmutter war jetzt von der Art, wie es sich für eine Dame von Bildung unter solchen Umständen gebührte – weder zu frei, um die dermalige Außenseite zu vergessen, noch zu kalt, um die Vergangenheit außer Acht zu lassen. Sie wußte, daß sie ihren eigenen Verhältnissen Rechnung tragen und in ihrem Haushalt mit gutem Beispiel vorangehen mußte, fühlte aber noch weit mehr, was sie der Sympathie schuldig war, welche stets unter Personen von guter Erziehung ein Bindeglied bildet. Sie ersuchte uns, in's Haus zu treten, ließ eine Mahlzeit für uns zubereiten, und wir wurden mit freigebiger, rücksichtsvoller Gastfreundlichkeit behandelt, ohne daß übrigens die alte Dame der Würde ihres Charakters oder Geschlechtes um das Mindeste vergeben hätte, da sie, was edle Haltung betraf, jeder Lady an die Seite gestellt werden konnte.

Mittlerweile nahm das Geschäft mit meinem Onkel seinen Fortgang. Er erhielt seine hundert Dollar, worauf er alle seine werthvollen Vorräthe, einschließlich der Ringe, Vorstecknadeln, Ohrenringe, Ketten, Armspangen und anderer Schmucksachen, die er zu Geschenken für seine Mündel bestimmt hatte, aus seinen Taschen hervorholte und vor den Augen der drei Mädchen ausbreitete; denn Mary hielt sich mehr in den Hintergrund, weil sie es nicht für geziemend hielt, Dinge zu betrachten, die nicht zu ihren Vermögensverhältnissen paßten. Ihr Vater war übrigens angekommen und zu Rath gezogen worden, so daß jetzt die schöne Uhr bereits an dem Gürtel des noch schöneren Leibes hing. Die Thräne der Dankbarkeit, die noch in ihrem heitern Auge schwamm, war für mich ein weit werthvolleres Kleinod, als alle diejenigen, die mein Onkel zur Schau stellen konnte.

Wir waren nach der Bibliothek gewiesen worden – einem Gemache, das sich auf der Vorderseite des Hauses befand und mit allen seinen Fenstern nach der Piazza hinausging. Anfangs fühlte ich mich ein wenig ergriffen, als ich mich nach so vieljähriger Abwesenheit in dieser Weise unbekannt unter dem väterlichen Dach und in meiner eigenen Wohnung befand. Soll ich's bekennen? Nach den Gebäuden, die ich in der alten Welt kennen gelernt hatte, kam mir Alles winzig und gemein vor. Ich will keine Vergleichungen mit den Palästen der Fürsten und den Wohnsitzen der Großen anstellen, an die der Amerikaner so gern denkt, wann immer von Gegenständen die Rede ist, welche die ihm gewohnte Umgebung übertreffen, wohl aber habe ich den Baustyl und die Bequemlichkeiten des häuslichen Lebens im Auge, wie man sie im Ausland unter Personen trifft, die in Nichts einen Vorzug vor mir ansprechen, ja, sich kaum meines Gleichen nennen konnten. Mit einem Worte, die amerikanische Aristokratie, oder vielmehr das, was man Mode halber bei uns als aristokratisch zu brandmarken pflegt, würde unter den meisten Nationen Europa's für sehr demokratisch gehalten werden. Unsere republikanischen Brüder aus der Schweiz haben ihre Schlösser und ihre Gewohnheiten, die, ohne daß die Freiheit Anstoß daran nähme, hundert Mal aristokratischer sind, als nur irgend Etwas um Ravensnest, und ich bin überzeugt, wollte man die stolzeste Wohnung von ganz Amerika einem Europäer als einen aristokratischen Sitz zeigen, so würde er darüber in's Fäustchen lachen. Das Geheimniß, welches diesen Anschuldigungen zu Grund liegt, besteht in nichts Anderem, als in dem angeblichen Widerwillen gegen Jeden, der sich in irgend Etwas, und sollte es auch durch Verdienste sein, von der ihn umgebenden Masse unterscheidet. Es handelt sich blos um die Erweiterung des Grundsatzes, welcher im Beginn dieses Jahrhunderts zu der herkömmlichen Fehde zwischen den »Plebejern und Patriziern« Albany's Anlaß gab – zu einer Fehde, die jetzt viel weiter gediehen ist, als die soit disant-Plebejer jener Zeit selbst im Sinne hatten, da nunmehr ihre eigenen Nachkommen die mißliebigen Folgen davon empfinden müssen. Doch um auf mich selbst zurückzukommen:

Ich will zugestehen, daß mir der Anblick meiner heimischen Besitzungen nichts weniger als Anlaß zu frohem Jubel über meinen aristokratischen Glanz, sondern im Gegentheil eher Stoff zu Gefühlen schmerzlich getäuschter Erwartung gab. Was mir die Erinnerung als wirklich achtbar und sogar schön vorgespiegelt hatte, erschien mir im Lichte der Alltäglichkeit und kam mir sogar in vielen Einzelnheiten als gemein vor. »In der That,« sagte ich unwillkürlich leise vor mich hin, »Alles Dieß ist kaum der Mühe werth, daß man darob vom Recht abgehen, aller Gewissenhaftigkeit Trotz bieten und die göttlichen Gebote vergessen sollte!« Vielleicht war ich noch zu unerfahren, um zu begreifen, wie weit der Magen eines gierigen Menschen, und wie mikroskopisch das Auge des Neides ist.

»Willkommen in Ravensnest,« sagte Mr. Warren, indem er auf mich zutrat und mir in so wohlwollender Weise die Hand anbot, als begrüße er einen jungen Freund. »Wir sind ein wenig vor euch angekommen, und ich habe weder Ohren noch Augen ruhen lassen, weil ich hoffte, in der Nähe des Pfarrhauses Eure Flöte zu hören, oder auf der Straße Eure Gestalt zu sehen, da Ihr ja versprochen habt, mich zu besuchen.«

Mary erblickte ich jetzt zuerst wieder an der Seite ihres Vaters, und sie faßte angelegentlich meine Flöte in's Auge, was sie wahrscheinlich nicht gethan haben würde, wenn ich in meinem gewöhnlichen Anzug und Charakter aufgetreten wäre.

»Ich danke Euch, Sir,« lautete meine Antwort. »Wir werden immer Zeit genug haben zu ein bischen Musik, wenn die Ladies es verlangen sollten. Ich kann allerlei blasen – den Yankee-Doodle, Heil Columbia, das sternbesprenkelte Banner und was dergleichen Arien mehr sind, die man in den Schenken und an der Straße so gerne hört.«

Mr. Warren lachte und nahm mir die Flöte aus der Hand, um sie näher zu besichtigen. Ich zitterte jetzt für mein Incognito, denn das Instrument, ein ausgezeichnetes Stück Arbeit mit silbernen Klappen und schöner Verzierung, war schon viele Jahre mein Eigenthum. Wenn Patt – wenn meine liebe Großmutter es erkannte! Ich würde das schönste Geschmeide in meines Onkels Sammlung darum gegeben haben, wenn ich nur die Flöte wieder zurück gehabt hätte. Aber ehe sich hiezu Gelegenheit bot, ging sie von Hand zu Hand, und Alles bewunderte das Werkzeug, welchem am Morgen die schönen Töne entlockt worden waren, bis es endlich auch an Martha kam. Das gute Mädchen dachte aber nur an die Schmucksachen, die, wie man sich erinnern wird, sehr reich und theilweise ihr zugedacht waren, weßhalb sie das Instrument weiter gehen ließ und hastig dazu sagte:

»Seht, theure Großmutter, dieß ist die Flöte, von der Ihr erklärtet, sie habe den süßesten Klang, den Euer Ohr je vernommen.«

Meine Großmutter nahm die Flöte und gerieth in Verwirrung; sie drückte die Brille näher an ihre Augen, untersuchte das Instrument und erblaßte – denn ihre Wangen hatten noch immer Einiges von dem Roth ihrer Jugend bewahrt; dann warf sie mir einen hastigen ängstlichen Blick zu. Ich konnte bemerken, daß sie einige Minuten in ihrem tiefsten Innern über Etwas brütete, und zum Glück waren die Uebrigen zu sehr mit der Truhe des Hausirers beschäftigt, als daß sie auf die Bewegungen der alten Dame hätten achten können. Sie ging langsam zur Thüre hinaus, wobei sie mich fast mit ihren Kleidern streifte, und trat in die Halle. Hier wandte sie sich um, fing meinen Blick auf und winkte mir, ihr zu folgen. Ich entsprach diesem Signal und ließ mich von ihr nach einem kleinen Gemach in einem der Flügel führen, das, wie ich mich noch wohl erinnerte, als eine Art von Privatsprechzimmer an die Schlafstube meiner Großmutter stieß. Es ein Boudoir zu nennen, hieße die Sache karikiren, denn die Möblirung war die eines einfachen, netten, gemächlichen Wohnstübchens, wie man sie auf dem Lande findet. Hier setzte sich meine Großmutter auf das Sopha nieder, denn sie zitterte dermaßen, daß sie nicht mehr stehen konnte; dann warf sie mir mit einer Beklommenheit, die ich vergeblich zu beschreiben suchen würde, einen ernsten Blick zu.

»Haltet mich nicht länger in der Ungewißheit!« sagte sie im Tone tiefer Ergriffenheit. »Habe ich Recht in meiner Vermuthung?«

»Ja, meine theuerste Großmutter, ich bin es selbst!« antwortete ich mit meiner natürlichen Stimme.

Weiter war nicht nöthig. Wir lagen uns gegenseitig in den Armen, wie dieß früher so oft der Fall gewesen war.

»Aber wer ist jener Hausirer, Hugh?« fragte meine Großmutter nach einer Weile. »Darf ich an die Möglichkeit glauben, daß es mein Sohn Roger ist?«

»Nicht anders; wir sind hieher gekommen, Euch incognito zu besuchen.«

»Und warum diese Verkleidung? – hängt sie vielleicht mit den jetzt herrschenden Unruhen zusammen?«

»Allerdings. Wir haben gewünscht, vom Stand der Dinge persönlichen Augenschein zu nehmen, und hielten es für unklug, uns frei und offen blicken zu lassen.«

»Hieran habt ihr wohl gethan, obschon ich kaum weiß, wie ich euch in euren gegenwärtigen Rollen bewillkommen kann. Unter keinen Umständen dürfen eure wirklichen Namen bekannt werden; denn die bösen Geister vom Theerfaß und Federnsack, die Söhne der Freiheit und Gleichheit, welche ebensogut ihre Grundsätze, als ihren Muth kund geben, indem sie in ganzen Haufen ein paar Leute angreifen, würden im Augenblick ein gewaltiges Wesen erheben und sich für Helden und Märtyrer in der Sache der Gerechtigkeit halten, wenn sie erführen, daß ihr hier seid. Ich glaube, zehn gut bewaffnete entschlossene Männer könnten ein ganzes Hundert von diesen Wichten in die Flucht schlagen, denn sie sind so feig, wie der nächtliche Dieb, obschon sie bei Schwachen und Unbewaffneten die Großhänse spielen. Aber es ist ein neues Gesetz gegen Verkleidung ergangen – glaubt ihr in euren gegenwärtigen Rollen sicher sein zu können?«

»Wir sind nicht bewaffnet und führen nicht einmal eine Pistole bei uns. Dieß wird uns schützen.«

»Ich muß dir leider sagen, Hugh, daß Amerika nicht mehr ist, was es sonst war. Die Gerechtigkeit, wenn sie nicht ganz abhanden gekommen ist, muß sich auf ihre Schwingen und auf die Binde vor dem Aug' berufen, nicht etwa um deßwillen, weil sie kein Ansehen der Person kennt, sondern um die Thatsache zu bemänteln, daß sie für die schwächere Seite blind ist. Ein Grundbesitzer würde meiner Ansicht nach von seinem Schwurgericht nicht viel zu hoffen haben, wenn er wegen eines Schrittes verklagt würde, den sich Tausende von Pächtern ungestraft zu Schulden kommen ließen, und täglich zu Schulden kommen lassen. Ja, sie werden sogar ihr Unwesen forttreiben, bis einmal irgend eine blutige Katastrophe den allgemeinen Unwillen weckt und so die öffentlichen Würdenträger zu Erfüllung ihrer Pflicht zwingt.«

»Der Stand der Dinge ist höchst beklagenswerth, theuerste Großmutter, und die Sache wird noch schlimmer durch die ruhige Gleichgültigkeit, mit der die meisten Menschen zusehen. Es kann keinen triftigeren Beleg für die arge Selbstsucht des menschlichen Wesens geben, als die Art, wie die Masse des Volks sich benimmt, während vor ihren Augen einer kleinen Anzahl aus ihrer Mitte das schreiendste Unrecht geschieht.«

»Personen, wie Mr. Seneka Newcome, würden erwiedern, das Publikum sympathisire mit dem Armen, der durch den Reichen unterdrückt wird, obschon Letzterer weiter nichts will, als daß ihn der Erstere seiner Habe nicht beraube! Man hört zwar viel von den Gewalttätigkeiten, die durch die ganze Welt von dem Starken an dem Schwachen geübt werden, aber leider sind nur Wenige unter uns scharfblickend genug, um zu sehen, welch' ein schlagendes Beispiel von dieser Wahrheit eben jetzt unter uns selbst stattfindet.«

»Nennt Ihr die Pächter die Starken und die Grundbesitzer die Schwachen?« entgegnete ich.

»Allerdings. Die Zahlen bilden die Kraft unseres Landes, in welchem alle praktische und großentheils auch die theoretische Gewalt auf Majoritäten beruht. Wären eben so viele Grundbesitzer als Pächter vorhanden, so setze ich mein Leben daran, daß Niemand im gegenwärtigen Stand der Verhältnisse auch nur die geringste Ungerechtigkeit sehen würde.«

»Mein Onkel ist derselben Ansicht. Doch ich höre die leichten Fußtritte der Mädchen – wir müssen auf der Hut sein.«

In diesem Augenblicke trat Martha, von den drei übrigen Mädchen begleitet, in das Zimmer, und hielt eine sehr schöne Manillakette in der Hand, die mein Onkel auf der Reise zu einem Geschenk für eine künftige Gattin, wer dieselbe auch sein mochte, gekauft hatte. Er war so unvorsichtig gewesen, sie seinen Mündeln zu zeigen, und diese hatten sogleich Hand daran gelegt. Als die Mädchen eintraten, warfen sie der Reihe nach einen Blick der Ueberraschung auf mich, ohne übrigens ein Wort zu sprechen, und ich kann mir wohl einbilden, wie nach der ersten Betroffenheit Keine ein Arges dabei dachte, daß ich allein bei einer achtzigjährigen Frau betroffen wurde, selbst wenn sie in diesem Augenblick Zeit zu derartigen Erwägungen gefunden hätten.

»Seht doch dieß an, theuerste Großmama!« rief Patt, beim Eintritt in's Zimmer die Kette erhebend. »Die allerschönste Kette, die nur je gefertigt wurde, und dazu noch vom reinsten Gold. Aber der Hausirer will sie nicht verkaufen!«

»Vielleicht hast du nicht genug geboten, mein Kind. Es ist in der That eine wunderschöne Kette. Wie hoch hat er den Werth angeschlagen?«

»Zu hundert Dollars, sagte er, und ich glaube es gerne, denn sie hat fast die Hälfte dieses Werthes in Gold. Wenn nur Hugh zu Hause wäre; ich bin überzeugt, er würde sie ihm schon abschwatzen und mir ein Geschenk damit machen.«

»Nein, nein, junge Lady,« fiel ihr der Hausirer in's Wort, welcher sehr unceremoniös den Mädchen nach dem Zimmer gefolgt war, obschon er natürlich recht gut wußte, wohin er kam; »dieß wäre nicht möglich. Die Kette ist das Eigenthum meines Sohnes da, und ich habe geschworen, er dürfe sie Niemand anders, als seiner Frau geben.«

Patt erröthete ein wenig und verzog den Mund; dann lachte sie laut hinaus.

»Wenn sie nur unter dieser Bedingung zu haben ist, so fürchte ich, daß ich nie so glücklich sein werde, sie zu besitzen,« versetzte sie muthwillig, aber doch in einem Tone, der darauf berechnet war, daß ich es nicht hören sollte. »Ich will übrigens die hundert Dollars aus meinem eigenen Taschengeld zahlen, wenn man sie darum bekommen kann. Legt ein Fürwort für mich ein, Großmama!«

Wie allerliebst der kleine Schelm dieses Wort der Liebkosung aussprach – so ganz anders, als das »Pa« und »Ma«, welches man unter den Schmutznasen in den Schlammpfützen so häufig hören muß. Aber unsere Großmama war verlegen, denn sie wußte wohl, mit wem sie zu thun hatte, und sah natürlich ein, daß hier mit Geld nichts auszurichten war. Gleichwohl machte es der Stand der Dinge nöthig, daß sie Etwas sagte, um wenigstens zu thun, als wolle sie Patty's Ansprache willfahren.

»Bin ich vielleicht glücklicher in meinem Versuch, Euch zu Aenderung Eures Sinnes zu bereden?« sagte sie, ihrem Sohn einen Blick zuwerfend, der ihn mit einem Male wissen oder wenigstens muthmaßen ließ, daß sie in das Geheimniß eingeweiht sei. »Es würde mir eine große Freude machen, wenn ich im Stande wäre, meiner Enkelin mit dieser schönen Kette eine Freude zu machen.«

Onkel Ro trat auf seine Mutter zu, ergriff die Hand, welche sie ausgestreckt hatte, um die Kette besser bewundern zu können, und küßte sie mit tiefer Achtung; indeß benahm er sich hiebei doch in einer Weise, daß die Zuschauer nur eine europäische Sitte, nicht aber den warmen Gruß, den das Kind seiner Mutter zollt, darin erblicken konnten.

»Lady,« erwiederte er mit Nachdruck, »wenn Jemand im Stande wäre, einen so lang' gehegten Entschluß zum Weichen zu bringen, so würde es zuverlässig eine so ehrwürdige, anmuthige und gute Frau sein, wie Ihr – denn ich bin überzeugt, daß Euch alle diese Eigenschaften zukommen. Aber ich habe ein Gelübde gethan, die Kette nur der Gattin meines Sohnes zu geben, wenn er eines Tages eine hübsche junge Amerikanerin heirathet. Aus diesem Grunde muß ich also auch Euch gegenüber nein sagen.«

Die liebe Großmutter lächelte; aber da sie der Erklärung ihres Sohnes entnahm, die Kette sei wirklich zu einem Geschenk für meine künftige Gattin bestimmt, so wünschte sie nicht länger, der Gabe ein anderes Ziel anzuweisen. Nachdem sie die Kette einige Zeit betrachtet hatte, sagte sie zu mir:

»Wünscht Ihr dieß eben so wie Euer On– Vater wollte ich sagen? Es ist ein sehr reiches Geschenk, fast zu reich für einen armen Mann.«

»Ja, ja, Lady – Ihr habt hierin Recht; aber wenn einmal das Herz verschenkt ist, so geht das Gold nur als wohlfeile Waare mit in den Kauf.«

Die alte Dame hatte halb Lust, über diesen meinen Versuch in geradbrechtem Englisch mir in's Gesicht zu lachen; aber das Wohlwollen, die Freude und die Zärtlichkeit, die sich noch immer in ihren schönen Augen aussprachen, machten den Wunsch in mir rege, mich wieder in ihre Arme zu werfen und sie zu küssen. Patt fuhr noch eine Weile fort, zu schmollen; aber bald trug ihr treffliches Wesen den Sieg über die augenblickliche üble Laune davon, und das Lächeln brach wieder aus ihrem Antlitz hervor, wie die Maisonne aus einer Wolke.

»Nun, so muß ich mich eben drein fügen,« sagte sie gutmüthig, »obschon es die schönste Kette ist, die mir jemals zu Gesicht kam.«

»Sorge nicht, Patty – die passende Person wird eines Tages eine eben so schöne finden, um sie dir zum Geschenk zu machen,« bemerkte Henriette Coldbrooke etwas spitzig.

Diese Sprache gefiel mir ganz und gar nicht. Es war eine Anspielung, die sich ein gebildetes junges Frauenzimmer nicht hätte erlauben sollen, am allerwenigsten aber vor Andern oder gar vor Hausirern. Für ein Frauenzimmer von gutem Ton schickt sich dieß nun einmal nicht. Von diesem Augenblick an schwor ich mir in meinem Innern, daß die Kette nie Miß Henriette gehören solle, obschon sie ein hübsches stattliches Mädchen war und ein solcher Entschluß von meiner Seite die Plane meines Onkels kläglich zu Schanden machte. Ich war ein wenig überrascht, Patt's Wange von einem leichten Roth überfliegen zu sehen, erinnerte mich aber dann an den Namen des Reisenden Beekman. Als ich mich gegen Mary Warren wandte, bemerkte ich deutlich genug, daß sie unzufrieden war – aber aus keinem andern Grund, als weil die Hoffnung meiner Schwester getäuscht wurde.

»Wenn Eure Großmutter nach der Stadt geht, wird sie wohl eine andere Kette für Euch auffinden, ob der Ihr diese vergessen könnt,« flüsterte sie mit liebevoller Theilnahme meiner Schwester in's Ohr.

Patt lächelte und küßte ihre Freundin mit einer Wärme, welche mich überzeugte, daß die beiden bezaubernden jungen Wesen sich gegenseitig innig liebten. Doch die Neugierde meiner theuren alten Großmutter war geweckt worden, und sie fühlte jetzt ein Verlangen, sie zu befriedigen. Sie hielt noch immer die Kette in der Hand, und als sie dieselbe endlich mir, der ihr zufälligerweise am nächsten stand, zurückgab, sagte sie:

»Es ist also auch Euer fester aufrichtiger Entschluß, Sir, diese Kette Niemand anders, als Eurer künftigen Gattin zu geben?«

»Ja, Lady – oder, wie ich lieber sagen möchte, der Jungfrau, ehe sie mit mir an den Altar tritt.«

»Und ist Eure Wahl schon getroffen?« fügte sie bei, nach den Mädchen hinsehend, die in einer Gruppe beisammen standen und die übrigen Schmucksachen meines Onkels musterten. »Habt Ihr die Jungfrau bereits gefunden, welche eine so schöne Kette besitzen soll?«

»Nein, nein;« antwortete ich, ihr Lächeln erwiedernd und gleichfalls nach den Mädchen hinblickend. »Es gibt so viele schöne Ladies in Amerika, daß man nicht nöthig hat, sich zu übereilen. In guter Zeit wird sich die schon finden, welche mir bestimmt ist.«

»Großmama,« unterbrach uns jetzt Patt, »da anders als unter gewissen Bedingungen Niemand die Kette erwerben kann, so sind hier drei andere Gegenstände, die ich für Anne, Henrietta und mich ausgelesen habe – ein Ring, ein paar Armspangen und ein paar Ohrringe. Zusammen werden sie zweihundert Dollars kosten – habt Ihr nichts gegen den Kauf einzuwenden?«

Da meine Großmutter jetzt wußte, wer der Hausirer war, so begriff sie vollständig den Stand der ganzen Sache und erhob deßhalb kein Bedenken. Der Handel war bald abgeschlossen, und dann schickte sie uns Alle aus dem Zimmer, dafür den Vorwand benutzend, daß wir sie stören würden, während sie mit dem Uhrenhändler die Rechnung bereinige. Ihr eigentlicher Zweck war übrigens nur der, daß sie mit ihrem Sohn allein sein wollte; der Leser kann sich denken, daß von Dollars zwischen ihnen keine Rede war.


 


 << zurück weiter >>