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»Bei dem Apostel Paulus, heute Nacht
Hat Richards Geist der Schrecken mehr erfahren,
Durch Schatten blos, als durch zehntausend Krieger – –«
Richard III.
Es fand nun eine Berathung zwischen den vornehmsten Laien statt; denn die Art, wie die Kirche ihren Einfluß so lange durch übernatürliche Mittel aufrecht erhalten hatte, bewog Emich, welchem angelegentlich darum zu thun war, daß sie in dieser Gegend ihre verlorne Macht nicht wieder gewinnen solle, die Priester von der Entscheidung, welche sie jetzt treffen wollten, ganz und gar auszuschließen. Wenn wir sagen wollten, der Graf von Hartenburg habe den Gerüchten, welche den verstorbenen Förster als einen Geist darstellten, der wie zu seines Fleisches Leben der Jagd obliege – vollen Glauben geschenkt, so würden wir seinem Verstande sowohl, als seiner gewohnten Denkweise nicht ganz Gerechtigkeit widerfahren lassen; behaupteten wir übrigens, daß er in dem vorliegenden schwierigen Punkte ganz frei von Aberglauben und unheimlicher Angst war, so müßten wir ihm einen Grad von Philosophie und geistiger Unabhängigkeit beimessen, der in jenem Zeitalter nur bei gelehrten Denkern und nicht einmal immer bei diesen gefunden werden konnte. Namentlich hielt die Astrologie die Einbildungskraft derer noch gefangen, die sogar den Ruf einer allgemeinen wissenschaftlichen Bildung für sich in Anspruch nahmen, und wie der Geist einmal Theorien zugibt, die so wenig im Einklange mit dem schlichten Verstande stehen, so öffnet er einer Menge ähnlicher Schwächen, die als notwendige Folgerungen aus den Hauptsätzen zu fließen scheinen, den Zugang.
Alle, welche an der Berathung mit dem Grafen Theil nahmen, räumten ein, daß eine schleunige Lösung der Frage nothwendig sey. Viele hatten zu flüstern begonnen, daß die außerordentliche Heimsuchung eine Folge der Kirchenschändung sey, und man nicht hoffen dürfe, Frieden zu finden, oder von den unnatürlichen Plagen befreit zu werden, bis die Benedictiner wieder in ihre Abtei und in ihre früheren Rechte eingesetzt wären. Emich fühlte sich zwar überzeugt, daß diese Idee ursprünglich von den Mönchen ausging und durch geheime bezahlte Agenten verbreitet wurde; indeß sah er kein anderes Mittel, das Gerücht wirksam niederzuschlagen, als wenn er die Falschheit desselben darthat. In unseren Tagen und namentlich in den Vereinigten Staaten würde die Waffe eines Mirakels an sich schon nutzlos seyn; aber in der alten Welt gibt es noch immer ganze Länder, die sich theilweise durch derartige Einflüsse beherrschen lassen. In der Periode unsrer Erzählung war der öffentliche Geist so ununterrichtet und abhängig, daß sogar die Männer, denen am meisten daran gelegen war, den Volkswahn des Augenblicks zu bannen, nur mit Mühe ihre eigenen Zweifel überwältigen konnten. Man hat gesehen, daß Emich, trotz seiner großen Geneigtheit, die Herrschaft der Kirche ganz und gar abzuschütteln, doch noch tief genug in seinen alten Vorurtheilen stack, um im Geheim derselben Macht zu mißtrauen, gegen die er ankämpfte, und daß er nicht nur über die Politik, sondern auch über die Gesetzmäßigkeit des Schrittes, zu dem ihn sein Ehrgeiz veranlaßte, ernste Bedenken unterhalten hatte. So wird der Mensch das Werkzeug der verschiedenen Leidenschaften und Beweggründe, die ihn beherrschen, indem er bald nachgibt, bald Widerstand versucht, je nachdem seinem Geiste eine stärkere Verlockung sich vergegenwärtigt. Dabei gibt er nun vor, er lasse sich durch Vernunft und Grundsätze leiten, während er in Wahrheit selten auf die Stimme der einen oder der anderen hört, bis endlich beide gemeinsam wirken durch das Mittel eines alles Uebrige ausschließenden Interesses, welches schnelles und thätiges Handeln fordert. Dann allerdings werden die geistigen Fähigkeiten plötzlich aufgeklärt; er bietet nun eifrig jeden Beweisgrund, den scheinbaren sowohl, als den stichhaltigen, auf, und so kommt es, daß wir oft ganze Gemeinschaften eine athembenehmende Kreiselschwingung machen sehen, indem sie sich plötzlich für ein System von Grundsätzen erklären, das ganz im Widerspruche steht mit allen, die sie je vorher zur Schau getragen haben. Glücklicherweise bleibt dem, was in dieser Weise durch gediegene Grundsätze gewonnen wird, die Aussicht auf Nachhaltigkeit; denn das Princip selbst muß unveränderlich bleiben, wie verkehrt auch seine Bekenner handeln mögen, und ist es einmal anerkannt, so ist es keine leichte Aufgabe, es durch die Trugschlüsse der Zweckmäßigkeit und des Irrthums wieder zu verdrängen. In Vergleichung mit jenen Vorläufern des Gedankens, welche für das Fortschreiten der Völker den Weg bahnen, kommen solche Wechsel freilich nur langsam; denn erstere sind in der Regel schon so weit vor ihren Zeitgenossen voraus, daß man sie in dem Augenblick der Reformationen, Revolutionen oder wie man dergleichen plötzliche Purzelbäume nennen mag, schon ganz aus dem Gesichte verloren hat. Aber der Masse gegenüber mengen sie sich oft durch einen Handstreich ein und wecken fast wie mit Zaubergewalt ein ganzes Volk für die tiefe Bedeutung einer neuen Reihe von Grundsätzen, etwa so, wie sich das Auge von der ersten Scene eines Drama's der nächsten Entwicklung zuwendet.
Der Zweck unserer Erzählung besteht darin, die Gesellschaft mit ihren gewöhnlichen Zügen in dem Akte darzustellen, wie sie von dem Einflusse einer Reihe leitender Grundsätze zu dem einer anderen übergeht. Hätten wir versucht, dies in dem Wirken eines einzelnen Meistergeistes zu entwickeln, so wäre das Bild, ungeachtet seiner etwaigen individuellen Wahrheit, doch in Beziehung auf eine Gemeinschaft nothwendig falsch ausgefallen; denn eine derartige Studie hätte den Schlüssen der Philosophie und Vernunft folgen müssen – vielleicht eine um so mißlichere Aufgabe, weil das Menschliche doch nicht ferne gehalten werden kann – während derjenige, welcher die Welt oder was immer für einen wesentlichen Theil derselben darstellen will, die Leidenschaften und die gemeineren Interessen in den kühnsten Farben malen, dagegen aber sich begnügen sollte, die geistigen Partieen nur im Helldunkel zu lassen. Wir wissen nicht, ob Jemand geneigt seyn wird, auf die Betrachtungen einzugehen, die wir mit Gegenwärtigem anzudeuten beabsichtigen, und ohne welche die Frucht unserer Mühe vielleicht verloren ist; aber während wir bereitwillig die Unvollkommenheit unserer Leistungen anerkennen, glauben wir doch, uns der Ueberzeugung hingeben zu dürfen, daß der ruhige, redliche Denker einzuräumen geneigt seyn wird, unser Gemälde sey, für seinen Zweck wenigstens, in zureichend wahren Farben gehalten.
Sollte es jetzt noch nöthig seyn, uns über die Bedenken zu verbreiten, welche den Grafen und Heinrich quälten, als sie an der Spitze der neuen Procession den Limburger Berg hinunterstiegen, so haben wir umsonst geschrieben. Politik und der Entschluß, sich die Vortheile zu sichern, die sie so theuer erkauft hatten, drängten sie vorwärts, während Zweifel und die ganze Sippschaft aller alten Vorurtheile ihre innere Unruhe erhöhen helfen. Die Wallfahrer zogen in derselben Ordnung weiter, in welcher sie zu den Trümmern der Abtei hinangestiegen waren. Diejenigen, welche den Pilgerzug nach Einsiedeln gemacht hatten, gingen voran; hinter ihnen kamen die Pfarrgeistlichen mit ihren Ministranten, während der Rest in einem wirren, zitternden, neugierigen und andächtigen Drängen nachfolgte. Der religiöse Wechsel hatte sich bis jetzt erst auf das Dogma erstreckt und zählte in seiner wirksamen Entfaltung unter der Menge nur wenige Anhänger; man beobachtete deshalb bei gegenwärtigem Anlasse alle die Ceremonien, welche die römische Kirche bei Exorcismen oder bei besonderen Bittgängen um Abwendung einer geheimnisvollen Kundgebung des himmlischen Zornes in Anwendung zu bringen pflegte. Der Graf und Heinrich gingen, wie es ihrer Stellung zukam, kühn voraus und verbargen die innere Unruhe ebenso klug und erfolgereich vor allen Anderen, sich selbst ausgenommen; denn der würdige Bürgermeister gewann eine gar hohe Meinung von der Festigkeit seines hochgeborenen Nachbars, während letzterer nicht wenig verwundert war, daß ein Mann von Heinrichs Erziehung und Lebensweise eine Entschlossenheit zu zeigen vermochte, wie sie, seiner Ansicht nach, nur eine Frucht der Philosophie seyn konnte. Sie zogen durch den Hohlweg, dessen wir auf diesen Blättern bereits zweimal Erwähnung gethan haben – einmal in der Einleitung, und dann als des Pfades, auf welchem Ulrika in der Zerstörungsnacht zu der Abtei gelangte – nach der Ebene der Heidenmauer hinauf. Sie näherten sich dem Gipfel, ohne daß etwas vorgefallen wäre, was neue Unruhe hätte verbreiten können; und da die Chorknaben den Nachdruck ihres Gesanges steigerten, so begannen die Führer sich der unbestimmten Hoffnung hinzugeben, daß sie wohl einer weiteren Störung entgehen dürften. Eine Minute entschwand um die andere, und der Graf athmete freier; denn er glaubte bereits, den Beweis geliefert zu haben, daß die Heidenmauer ein so harmloser Platz sey, wie irgend ein anderer in der Pfalz.
»Ihr habt wohl oft Euren Renner über diese wilde Teufelshaide gespornt, edler und furchtloser Graf?« begann Heinrich, als sie sich dem Rand der oberen Fläche näherten. »Wer an ihren Anblick so gewöhnt ist, läßt sich nicht leicht durch das Gebell und die Sprünge eines Paars unruhiger Hunde anfechten, und wenn sie auch ihren Stall unter dem Schatten des Teufelssteins haben.«
»Du kannst wohl sagen, ich sey oft hier oben gewesen, guter Heinrich. Als ich noch ein kleiner Knabe war, pflegte mein edler Vater auf dieser Höhe seine Rasse zu dressiren, und es machte mir oft Vergnügen, mich der Partie anzuschließen. Auch während unserer Jagden stürzte der Hirsch oft aus dem Dickicht des Waldes nach diesem offenen Grunde.« Der Graf hielt inne, denn ein schnelles, trappelndes Geräusch, wie von dahin schießenden Hunden ließ sich jetzt unmittelbar über ihren Köpfen vernehmen, obschon der Rand des Gebirgs den ebenen Grund noch vor den Blicken verbarg. Die beiden Führer machten trotz ihrer Entschlossenheit plötzlich Halt – eine Zögerung, welche die Hinteren gleichfalls zum Stillstehen nöthigte.
»Die Haide hat ihre Bewohner, Herr Frey,« sagte Emich ernst, aber im Tone eines Mannes, der entschlossen ist, um seine Rechte zu kämpfen. »Es wird sich jetzt bald zeigen, ob sie geneigt sind, die Souverainetät ihres Lehensherrn anzuerkennen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, murmelte der Graf unwillkührlich ein Ave vor sich hin und stieg mit männlichen Schritten nach dem Gipfel hinan. Der erste Blick, den er umher warf, war rasch, unruhig und argwöhnisch; aber da war nichts zu erschauen. Der nackte Fels des Teufelssteins befand sich an seinem alten Platze, wo er wahrscheinlich in Folge einer Revolution der Erdrinde schon vor dreitausend Jahren gelegen hatte – grau, einsam und verwittert wie bis auf diese Stunde. Die Haide ließ auf ihrer ganzen Oberfläche keinen Huf- oder Fußeindruck erkennen, und die Cedern des verlassenen Lagers gaben im Winde das gewöhnliche, düster melancholische Aechzen von sich, welches so sehr im Einklange mit den Sagen stand, die ihnen Interesse verliehen hatten.
»Hier ist nichts!« sagte der Graf mit einem tiefen Athemzuge, den er gerne auf Rechnung des beschwerlichen Bergsteigens geschrieben hätte.
»Herr von Hartenburg, Gott ist hier wie auf den Bergen, die wir eben verlassen haben – hier, wie auf jener schönen weiten Ebene unten – oder in Eurer Veste!« –
»Ich bitte, gute Ulrika, wir können hievon ein andermal sprechen. Es handelt sich jetzt um die Enthüllung einer einfältigen Sage und um Zerstreuung der daraus geflossenen Besorgnisse.«
Einem Winke seiner Hand gehorsam, ging die Procession weiter in die Richtung des alten Lager-Thorwegs – dieselben Führer wieder voraus, während die Chorknaben abermals ihren Gesang aufnahmen.
Wir brauchen nicht zu sagen, daß der Zug sich bei dieser feierlichen Gelegenheit mit klopfenden Herzen der Heidenmauer näherte. Kein denkender und gefühlvoller Mann kann je einen derartigen Ort besuchen, ohne sich ein Bild zu vergegenwärtlgen, das ihn mit erhebender Wehmuth erfüllt. Die Gewißheit, daß sich vor seinen Augen die Ueberreste eines Werks von Menschen aufschließen, die so viele Jahrhunderte vor ihm in der großen Kette der Ereignisse wirkten, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden – und die Ueberzeugung, daß sein Fuß eine Erde betritt, auf der sich die Römer und die Hunnen umgetrieben haben – diese Momente sind an sich schon hinreichend, um einen Gedankenflug zu erzeugen, der an's Großartige und Wundervolle streift. Aber zu diesen unabweislichen natürlichen Empfindungen kam jetzt noch die Furcht vor der Allmacht und die Besorgniß, daß sich mit jedem Augenblick ein übernatürliches Walten kund geben könnte.
Lautlos ging der Zug vorwärts, bis Emich und der Bürgermeister umbogen, um vermittelst des bereits erwähnten Thorwegs an den Steinhaufen, welcher die Lage der alten Mauer bezeichnete, vorbeizukommen. Durch die Stille ermuthigt, begann der Erstere zu sprechen:
»Das Ohr ist oft ein trügerisches Organ, Bürgermeister,« sagte er, »und kann, wenn es nicht gebührend bewacht wird, gleich der Zunge zu Mißverständnissen führen. Ohne Zweifel haben wir beide uns noch vor einem Augenblick der Vorstellung hingegeben, als hörten wir das Trappeln jagender Hunde, und Du bemerkst nun vermittelst des einen Sinnes, daß uns der andere getäuscht hat. Wir nähern uns übrigens dem Ende unserer kleinen Wallfahrt und wollen deshalb Halt machen, damit ich den Leuten unser Dafürhalten und unsere Absichten mittheilen kann.«
Der Bürgermeister gab ein Zeichen, und der Chor hörte auf, zu singen, während die Menge selbst näher kam, um zuzuhören. Der Graf sah und fühlte, daß er den entscheidenden Punkt berühren mußte, wenn er seine eigenen Absichten, die denen der Brüderschaft so entgegengesetzt waren, fördern wollte, und beschloß daher durch eine Gewaltanstrengung nicht nur über seine Feinde, sondern auch über sich selbst Herr zu werden. In diesem Sinne begann er seine Anrede folgendermaßen:
»Meine wackeren Freunde und Lehensleute, ihr seyd hier als getreue Männer, welche die Nützlichkeit nach Gebühr bedienter Altäre achten, aber auch geneigt sind, mit eigenen Augen zu sehen und für sich selbst zu urtheilen. Wie ihr aus den noch vorhandenen Resten entnehmen könnt, war dieses Lager vordem von bewaffneten Kriegerhaufen besetzt, die zu ihrer Zeit kämpften und Festungswerke aufwarfen, litten und sich freueten, bluteten und starben, siegten oder besiegt wurden, gerade so, wie diejenigen, welche heutzutage die Waffen tragen, ein Gleiches thun, oder sich ähnlichem Mißgeschick unterwerfen. Die Sage, daß ihre Geister diese Stelle heimsuchen, kann eben so wenig wahr seyn, als daß die körperlosen Wesenheiten derer, welche mit den Waffen in der Hand starben, in der Nähe der Erde bleiben, die ihr Blut eingesaugt hat; denn wenn man etwas der Art glauben müßte, so gäbe es keinen Fleck in unserer ganzen schönen Pfalz, der nicht seinen gespenstischen Bewohner hätte. Was nun diesen letzteren angeblichen Spuck meines Försters, des armen Berchthold Hintermayer betrifft, so wird er durch den Charakter des Jünglings um so unwahrscheinlicher, da er bei seinen Lebzeiten wohl wußte, wie zuwider mir alle derartigen Mährchen sind und wie sehr ich wünschte, sie aus dem Jägerthal zu verdrängen. Es ist deshalb von seiner Bescheidenheit und von seinem dienstwilligen Gehorsam nichts dergleichen zu erwarten. Ihr seht aber auch deutlich mit euren eigenen Augen, daß hier keine Hunde sind –«
Jetzt mußte Emich einen verblüffenden Widerspruch erfahren, denn seine Zunge, welche in Folge der Ungestörtheit, mit der er seine Erklärung so weit fortsetzen konnte, hübsch geläufig geworden war, hatte kaum die letzteren Worte ausgesprochen, als sich das gedehnte Bellen von Hunden vernehmen ließ. Fünfzig kräftige deutsche Rufe entwischten dem Gedränge, das wie ein wild bewegtes Meer wogte. Die Töne kamen von den Bäumen in der Mitte der gefürchteten Heidenmauer her und schienen noch unheimlicher zu klingen, weil sie durch die düstere Ueberwölbung der Cedern gedämpft wurden.
»Laßt uns vorwärts gehen!« rief der Graf, fast zum Wahnsinn aufgeregt, indem er mit eherner Faust nach dem Knauf seines Schwerdtes griff. »Es ist nur ein Hund! Irgend ein Bube hat ihn vom Riemen losgemacht, und er wittert die Fußstapfen seines Herrn, der den heiligen Einsiedler, welcher vor einiger Zeit hier oben wohnte, zu besuchen pflegte – –«
»Bst!« unterbrach ihn Lottchen, mit unstätem Blicke aus dem Gedränge der Frauen hastig auf ihn zutretend, »Gott ist im Begriffe, um irgend eines großen Zweckes willen seine Macht kund zu geben! Ich kenne – ich kenne – diese Fußspur –«
Sie wurde in einer höchst unheimlichen Weise unterbrochen; denn während sie noch sprach, stürzten die Jagdhunde in der raschen tollen Weise, welche diesen Thieren eigenthümlich ist, aus dem Haine und umkreisten die Gestalt des betäubten schwindelnden Weibes. Im nächsten Augenblicke wich wankendes Mauergestein unter dem gewaltigen Sprunge eines menschlichen Fußes und Lottchen lag bewußtlos an der Brust ihres Sohnes.
Wir ziehen einen Schleier vor den plötzlichen Schrecken, die allgemeine Ueberraschung, die Thränen, das Entzücken und die geregeltere Freude der nächsten Stunde.
Nach Ablauf dieser Zeit hatte sich die Scene ganz und gar geändert. Der Gesang war zu Ende, die Ordnung der Procession vergessen und eine brennende Neugierde an die Stelle aller abergläubischen Befürchtungen getreten. Emichs Machtgebot hatte jedoch die Menge nach der Haide des Teufelssteins zurückgewiesen, wo sie sich für den Augenblick mit Vermuthungen und mit Sagen über ähnliche schnelle Umwandlungen vom Geist zum Fleisch begnügen mußten, die in der ereignißvollen Geschichte des Rheingaus stattgefunden haben sollten.
Die Hauptgruppe der handelnden Personen hatte sich ein wenig unter den Schutz der Cedern zurückgezogen, wo sie durch die Mauern und Bäume gegen die Blicke der Neugierde geschützt waren. Der junge Berchthold saß auf zerfallenem Gestein und hielt seine Mutter, die noch immer ihren Sinnen nicht glauben wollte, in den Armen – eine Lage, die er auf den entschiedenen, bestimmten, aber freundlichen Befehl des Grafen eingenommen hatte. Meta kniete vor Lottchen, deren Hand sie in der ihrigen hielt, obgleich das funkelnde Auge und das glühende Antlitz des Mädchens mit ungeheuchelter, warmer Theilnahme jedem Blick und jeder Bewegung in dem Gesichte des Jünglings folgte. Die Aufregung dieses Moments war zu gewaltig, um verhehlt werden zu können, und wenn sie auch ihre Gefühle hätte verbergen wollen, so würde doch die Ueberraschung und das darauf folgende plötzliche Aufwallen ihres Innern ihrem Herzen das Geheimniß entrungen haben. Ulrika kniete gleichfalls und unterstützte das Haupt ihrer Freundin; aber auf ihren Zügen lag ein glückliches Lächeln. Der Ritter von Rhodus, der Abbé, Heinrich und der Schmied schritten als Schildwachen auf und ab, um die Neugierigen fern zu halten, obgleich sie hin und wieder Halt machten, um einzelne Sätze des Gesprächs aufzufangen. Emich stand auf sein Schwert gestützt und freute sich, daß seine Besorgnisse grundlos gewesen waren; auch würden wir seinem rauhen aber nicht unedelmüthigen Herzen Unrecht thun, wenn wir nicht sagten, daß er entzückt war, Berchthold noch im Fleische zu finden. Fügen wir noch bei, daß die Hunde unter dem Menschen-Gedränge, welches noch immer kaum an ihre irdische Wesenheit glauben konnte, lustig umhersprangen, so ist unser Gemälde beendigt.
Die Verdienstvollen dieser Erde lassen sich in zwei große Klassen abtheilen – in die thätig und in die leidend guten. Ulrika gehörte zu den ersteren; denn obgleich sie so tief empfand, als die meisten Anderen, versäumte doch ein unbewußtes Rechtsgefühl nie, ihr für jede eintretende Crise irgend eine positive Pflicht an die Hand zu geben. Bei jener Gelegenheit war sie es (und wir nehmen uns hier die Freiheit, dem Leser unverhohlen zu bemerken, daß sie unsere Heldin ist), welche dem Gespräche eine Wendung gab, die am schnellsten zu einer Aufklärung des Geheimnisses führen konnte, ohne aufs Neue Gefühle zu verletzen, die so lange und so schwer geprüft worden waren.
»Du bist also jetzt von Deinem Gelübde losgesprochen, Berchthold?« fragte sie nach einer jener kurzen Unterbrechungen, in welchen sich das Glück eines solchen Wiedersehens am besten durch stumme Theilnahme kund gibt. »Haben die Benedictiner kein Recht mehr an Dein Schweigen?«
»Sie haben selbst die Rückkehr der Pilger als Frist bestimmt, und da ich die angenehme Kunde zuerst durch den Umstand erfuhr, daß ich euch Alle in der Procession herankommen sah, so rief ich die Hunde herbei, die den Wald durchstreiften. und war eben im Begriffe, hinunterzueilen und mich zu zeigen, als ich an dem Thorwege des Lagers auf euch traf. Unsere Begegnung würde schon in dem Thale stattgefunden haben, wenn mich meine Pflicht nicht aufgefordert hätte, zuerst Herrn Odo von Ritterstein aufzusuchen – –«
»Den Herrn von Ritterstein?« rief Ulrika, und ihr Antlitz erblaßte.
»Was weißt Du von meinem alten Kameraden, dem Herrn Odo, Junge?« fragte Emich. »Ich höre zum erstenmal wieder von ihm seit der Nacht, in welcher die Abtei fiel.«
»Ich habe meine Geschichte schlecht angefangen,« versetzte Berchthold lachend und erröthend, denn er war für das letztere weder zu alt noch zu welterfahren, »da ich vergessen konnte, den Herrn Odo zu nennen.«
»Du sagtest uns von einem Gefährten,« entgegnete seine Mutter mit einem Blick auf Ulrika, indem sie sich zugleich aus den Armen ihres Sohnes erhob, denn sie empfand unwillkührlich die Verwirrung ihrer Freundin mit, »erwähntest aber seiner blos als Religiösen.«
»Ich hätte ihn als den heiligen Eremiten nennen sollen, den wir Alle jetzt als den Edlen von Ritterstein kennen. Als ich dem einstürzenden Dach ausweichen mußte, traf ich Herrn Odo vor dem Altare knieend, und da ich mich der Gestalt dessen, welcher mir so viel Gunst erzeigt hatte, schnell erinnerte, so schleppte ich ihn mit mir in die Gruft hinunter. Unserer Wunden und Hülflosigkeit habe ich aber doch Erwähnung gethan?«
»Freilich, aber ohne den Namen Deines Gefährten zu nennen.«
»Der Himmel sey dafür gepriesen, es war der Herr Odo. Durch Hunger und Blutverlust geschwächt und keines Widerstands fähig, fanden uns am andern Tage die Mönche und schafften uns, wie ihr bereits gehört habt, mit einander fort; auch sorgten sie in einer Weise für uns, daß wir bald wieder zu Kräften und zum Gebrauch unsrer Glieder kamen. In welcher Absicht uns die Benedictiner verborgen halten wollten, weiß ich nicht; aber das einfältige Mährchen von dem gespenstischen Jäger und von dem losgekuppelten Hund scheint zu beweisen, daß sie noch immer auf den Aberglauben der Gegend zu wirken hofften.«
»Damit hatte Wilhelm von Venloo nichts zu schaffen!« rief Emich, der in tiefem Nachsinnen dagestanden hatte. »Die Tröpfe haben das Spiel fortgesetzt, nachdem es von besseren Leuten bereits aufgegeben war.«
»Möglich, gnädiger Herr Graf, denn es kam mir vor, als sey der Abt Bonifacius mehr als geneigt, uns ziehen zu lassen. Wir wurden jedoch festgehalten, bis die Entschädigungs-Angelegenheiten und die Wallfahrt bereinigt waren. Sie konnten uns leicht für ihre Zwecke benutzen, wenn es anders in ihrer Absicht lag, durch Furcht auf Dürkheim zu wirken; denn als sie mir ihr Ehrenwort zum Pfande gaben, meine beiden Mütter und die theure Meta seyen in das Geheimnis unsres Wohlbefindens eingeweiht, war es mir nicht darum zu thun, so schnell die geschickten Aerzte zu verlassen, welche eine baldige Heilung unsrer Wunden in Aussicht stellten.«
»Und hat Bonifacius diese Lüge bestätigt?«
»Ich spreche nicht von dem Abt, gnädiger Herr Graf; aber zuverlässig sagten die Brüder Cuno und Siegfried Alles dies und noch mehr. Der Fluch eines gekränkten Sohnes und einer schändlich behandelten Mutter –«
Aber Metas hübsche Hand schloß ihm den Mund.
»Wir wollen vergangene Leiden um der gegenwärtigen Freude willen vergeben,« flüsterte das weinende Mädchen.
Das vor Zorn glühende Antlitz Berchtholds wurde ruhiger, und das Gespräch nahm einen milderen Gang.
Jetzt trat Emich bei Seite, um sich dem Bürgermeister anzuschließen, mit dem er die Beweggründe, welche die Mönche zu einer solchen Täuschung veranlaßt haben mochten, zu ergrübeln suchte. Im Besitze eines so wichtigen Schlüssels hatte die Lösung des Räthsels keine Schwierigkeit. Das Zusammentreffen des Abts von Limburg und des Grafen in Einsiedeln war reiflich überdacht; auch hatte man den schwankenden Zustand der Volksstimmung im Thal und in der Stadt ermuthigen wollen, um der schließlichen Vereinigung der Klosteransprüche einen weiteren Nachdruck zu geben. In jener Zeit verstanden sich die Ordensleute wohl darauf, jede menschliche Schwäche für ihre Zwecke zu benützen, wenn ihre eigenen Interessen in Frage kamen.