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»Was gibt's Neues?«
»Nichts, gnädiger Herr, als daß die Welt ehrlich geworden ist.«
»Dann ist der jüngste Tag nahe!«
Hamlet.
Durch alle unsere weit ausgedehnten Staaten findet sich fast keine Spur mehr von der Lebensweise Derjenigen, welche sich zuerst in der Wildniß niederließen. Das Auge des Alterthumforschers trifft kaum je auf eine andere Ruine, als auf die Mauern irgend eines Fortes oder auf die Wälle einer Verschanzung aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges. Wir haben allerdings auch einige unbedeutende Ueberreste aus noch ferner liegenden Zeiten, und es finden sich sogar einige Wälle oder andere Vertheidigungswerke, die man den Rothhäuten zuschreibt; aber in keinem Theile des Landes stand je ein öffentliches oder Privatgebäude, das überhaupt wesentliche Aehnlichkeit mit einem Ritterschlosse besessen hätte. Damit nun der Leser ein so deutliches Bild, als unsere schwachen Kräfte zu zeichnen vermögen, von der Veste erhalte, auf welcher der stolze Ritter saß, der in unserer Legende eine bedeutende Rolle spielen soll, wird es nöthig, ausführlicher auf eine Schilderung des Gebäudes selbst und der benachbarten Oertlichkeit einzugehen. Wir sagen – der Leser, denn wir bekennen, daß wir nur für die Unterhaltung unserer Landsleute schreiben, obschon wir uns glücklich schätzen werden, wenn wir auch einige Belehrung mit einfließen lassen können. Sollte es noch Anderen belieben, diese unvollkommenen Blätter zu lesen, so werden wir uns geschmeichelt fühlen und es natürlich mit Dank erkennen; indeß hoffen wir, nachdem wir sie mit dem Zweck unseres Schreibens ausdrücklich bekannt gemacht haben, dabei auf den Vorrath von Nachsicht, dessen das gegenwärtige Werk so sehr bedarf.
Und hier wollen wir die Gelegenheit benützen, uns für einen Augenblick mit jenem Theile des lesenden Publikums aller Nationen zu benehmen, welches dem Schriftsteller gegenüber die sogenannte Lesewelt bildet. Wir beziehen uns häufig auf die Ansichten und Verhältnisse unseres eigenen Vaterlandes; möge man uns aber deshalb nicht nachsagen, daß wir von den sonst vorhandenen Zuständen nichts wissen. Wir stellen unsere Vergleichungen, so verbrecherisch sie auch in feindseligen Augen erscheinen mögen, blos deshalb an, weil sie überhaupt am besten dem Zwecke unserer Schriftstellerei entsprechen; denn sie beziehen sich auf einen Zustand der Gesellschaft, der uns selbst am genauesten bekannt ist, während wir glauben, daß dergleichen Gegenstände bisher großentheils nur dazu benützt wurden, der Unwissenheit und dem Vorurtheile Nahrung zu geben. Sollten wir unwillkürlich jenen, dem Amerikaner besonders eigenthümlichen, garstigen Makel der National-Eitelkeit verrathen, so bitten wir um Nachsicht, indem wir uns zu unserer Rechtfertigung auf die Geneigtheit eines noch jungen Landes beziehen, unversehens in das Feld der Nachahmung zu gerathen; möge daher der kritische Beobachter unsere Schwäche übersehen, wenn sich etwa unsere Feder nicht jener glücklichen Gabe der Ausführung rühmen kann, die nur die Frucht vieler Uebung ist. Wir glauben, daß man zur Zeit unserer Bescheidenheit mit Recht noch keinen Vorwurf machen kann; denn bis jetzt haben wir die Grundtugenden des Menschengeschlechtes der Allgemeinheit belassen, indem wir unseres Wissens noch nie von »amerikanischem Muth,« »amerikanischer Ehrlichkeit,« »amerikanischer Schönheit,« »amerikanischer Mannhaftigkeit« oder auch nur von amerikanischer Armeskraft,« als von Eigenschaften gesprochen haben, die abstrakt für sich dastünden und bei unseren Nebenmenschen nicht zu finden wären; wir haben uns einfach begnügt, in der ungekünstelten Sprache unseres westlichen Climas die Tugend Tugend, und das Laster Laster zu nennen. Allerdings wissen wir wohl, daß wir hierin weit hinter den zahl- und namenlosen klassischen Schriftstellern unserer Periode zurückbleiben, glauben aber doch, durch unsere Versäumniß nicht viel verloren zu haben, weil uns hinreichende Beweise dafür zu Gebot stehen, daß wir unseren Blättern die Abneigung des Ausländers hinlänglich sichern können, auch wenn wir uns weit weniger kräftige Anspielungen auf National-Vorzüge erlauben. Ueberhaupt haben wir allen Grund zu der Annahme, daß es eine gewisse Klasse unzufriedener Leser gibt, welche auch die zarteste und abgemessenste Empfehlung, die wir unserer westlichen Welt zu Theil werden lassen, für eine unvernünftige und unehrliche Schmälerung des Lobes betrachten, an das sie ausschließlich ein Anrecht zu haben glauben. Wir haben in unserem schönen Lande ein Häuflein, das um Erfolg buhlt, indem es dem Fremdling schmeichelt und in dem eigenen kleinen Kreise vermittelst erborgenen Lichts zu glänzen hofft; was nun diese betrifft, so überantworten wir sie behufs ihrer Besserung einer gewiß unausbleiblichen Rüge, welche in dem gedachten Falle noch bitterer wird durch das Bewußtseyn, sie sei durch eine eben so herabwürdigende, als unnatürliche Kriecherei verdient worden. Wer tiefer in die Geheimnisse des menschlichen Herzens eindringt, wird erfahren, daß es ein kerngesundes Gefühl gibt, das sich nicht ungestraft zurückweisen läßt – ferner daß man Diejenigen, welche offen und furchtlos ihre Rechte behaupten, am meisten achtet, während Niemand solche Geringschätzung auf sich häuft, als Diejenigen, welche feiger Weise dieselben aufgeben.
Während Berchthold in der Heidenmauer mit Meta geheime Zwiesprache hielt, pflegte Emich von Leiningen auf seinem Schlosse Hartenburg der Ruhe. Die Veste ward bereits als massiges Mauerwerk geschildert, dessen Hauptmaterial aus dem röthlichen Sandsteine bestand, welcher fast durch das ganze Gebiet der alten Pfalz in so reichlicher Menge gefunden wird. Das Gebäude hatte sich mit der Zeit erweitert und war aus dem einfachen Thurme, der es ursprünglich gewesen, zu einer furchtbaren und ausgedehnten Festung angewachsen. In der Periode, welche der Regierung Karl des Großen folgte, wurde derjenige, welcher eine Burg errichten und gegen seine Nachbarn vertheidigen konnte, zu einem Edlen, der gewissermaßen als unabhängiger Herrscher da stand. Ueber das benachbarte Gebiet galt sein Wille als Gesetz, und diejenigen, welche ihres Grundbesitzes nicht froh werden konnten, ohne sich seinem Wohlnehmen zu unterwerfen, fügten sich darein, durch Vasallendienste seinen Schutz zu erkaufen. Kaum hatte sich einer dieser kleinen Zwingherrn in seiner Burg festgesetzt und die Huldigungen des Landmannes entgegen genommen, so begann der Streit mit Demjenigen seiner Standesgenossen, welcher ihm am nächsten wohnte. Der Sieger wurde natürlich durch seine Eroberungen mächtiger, bis er zuletzt aus dem Gebieter eines einzigen Schlosses und eines Dorfes im Laufe der Zeit zum Herren von vielen wurde. In dieser Weise gelangten die kleineren Ritter zu Macht und Herrschaft, und sogar die größten Herrscher unserer Tage können ihre Stammbäume bis zu solchen wilden Wurzelsprossen verfolgen. Noch steht in dem schweizerischen Canton Aargau auf einer schroffen, schmalen Kuppe eine Ruine, vor vielen Jahrhunderten der Sitz eines Ritters, welcher von seinem Horste aus das nahe Dorf überschaute und über die Dienste eines Bauernhäufleins gebot. Die verfallene Burg führt den Namen Habsburg und wird als die Wiege jener mächtigen Familie geehrt, welche Deutschland eine Reihe von Kaisern gab und noch immer über einen großen Theil desselben, wie auch über Oberitalien herrscht. Der König von Preußen stammt aus dem Hause Hohenzollern, das auf einer anderen Ritterburg saß; und so gibt es noch zahllose Beispiele von Rittern, die in Zeiten, als Sicherheit nur durch gute Mauern zu erzielen war, mit dem Grundsteine zu einer Veste auch den Keim zu einer langen Reihe reicher und mächtiger Fürsten legten.
Indeß schien weder die Lage des Schlosses Hartenburg, noch die Periode, in welcher es gegründet wurde, so großartige Aussichten zu rechtfertigen. Wie schon bemerkt, beherrschte es einen Paß, der zwar für örtliche Zwecke wichtig, aber doch keineswegs bedeutungsvoll genug war, um dem Inhaber der Veste außer seinem unmittelbaren Einfluß sonstige wesentliche Rechte zu verleihen. Da übrigens die Familie Leiningen zahlreich war und ihre Nebenzweige in gesegneteren Gauen Besitzungen hatte, so war Graf Emich doch kein bloßer Berghäuptling. Das Lehensystem war lange vor seiner Geburt geregelt worden und die Reichsgesetze sicherten ihm als dem Erben Derjenigen, welche in früherer Periode Land und Leute gewonnen hatten, viele Städte und Dörfer in der Ebene. Als der Rechtsnachfolger eines verstorbenen Verwandten hatte er erst kürzlich sogar auf eine höhere Würde und auf weitere Gebiete Ansprüche gewonnen, obschon sein Versuch, seine Macht zu vergrößern und seinen Rang zu erhöhen, durch seine Standesgenossen vereitelt wurde. Diesem fruchtlosen Versuche seines Ehrgeizes verdankte er den Spottnamen »Sommerlandgraf« – denn dies war der Rang, den er in Anspruch nahm, und der Zeitraum, während dessen er die neuen Titel hatte tragen dürfen.
Nachdem der Leser also von der Bedeutsamkeit der fraglichen Familie unterrichtet ist, wird er sich nicht mehr wundern, wenn er hört, daß das Schloß der Grafen von Hartenburg, oder richtiger, der Grafen von Hartenburg-Leiningen in entsprechender Weise gebaut war. Es lag auf einem Gebirgsvorsprunge, wo das Thal am engsten zusammengedrängt war; die Stelle nun, wo das Flüßchen eine kurze Wendung machte, stellte den unten liegenden Paß in einer Weise blos, daß er hier von den Bogenschützen, welche auf den Zinnen aufgestellt waren, leicht bestrichen werden konnte. Im Vordergrunde hatte der ganze sichtbare Theil des Gebäudes einen durchaus kriegerischen Charakter und war noch außerdem einigermaßen für den Gebrauch der damaligen unvollkommenen Artillerie eingerichtet, während sich hinten das Labyrinth von Höfen, Kapellen, Thürmen, Thoren, Fallgittern, Staatszimmern, Amtsstuben und Familiengemächern erhob, welche den Gebräuchen und dem Geschmacke jener Zeit entsprachen. Das Dörflein, welches unmittelbar unter dem Gemäuer der vorspringenden Thürme oder der Basteien (wie man sie wohl nennen konnte) im Thale lag, war nur unbedeutend und bei dem Reichthum sowohl als bei den übrigen Hülfsquellen des Grundherrn von geringem Belang. Der Graf bezog seine Einkünfte hauptsächlich von Dürkheim und von den jenseits liegenden fruchtbaren Ebenen, obschon die Wälder in einem Lande, wo man schon so lange von der Art Gebrauch machte, nicht ohne Werth waren.
Wir haben gesagt, daß Emich von Leiningen auf seinem Schlosse Hartenburg der Ruhe pflegte. Denke sich der Leser in Mitten des vorerwähnten Häusergewühls ein massenhaftes Gebäude von roher Form, das nur geeignet war, den Bedürfnissen eines damaligen Hauswesens zu entsprechen, und wir wollen ihn dann einen Blick in das Innere thun lassen. Die Wände waren getäfelt und mit rohem Schnitzwerk versehen, die weiten Hallen düster, mit Rüstungen behangen und ebendamals mit bewaffneten Männern angefüllt, die Säle aber von mittlerer Größe und mit einem ritterlichen Prunke ausgestattet, der sich in seiner schwerfälligen Großartigkeit eindrucksvoll genug ausnahm, obschon er den Charakter jenes gemischten Geschmackes zeigte, der noch nichts von der Gemächlichkeit und dem Luxus unserer neueren Zeit kannte. Sogar heutigen Tages gehört Deutschland noch nicht unter die Länder, die sich durch besondere Eleganz im häuslichen Leben auszeichnen, obschon es manche und zwar sehr augenfällige Ausnahmen bietet. Sogar die Paläste sind sehr einfach in ihren Verzierungen, kunstlos in ihrem Luxus und im Betreff des Geschmacks selten dem unsrigen überlegen, ja demselben nicht einmal immer gleichkommend. Noch immer findet sich ein gothischer Anflug in den Gewohnheiten und Ansichten dieses beharrlichen Volkes, welches lieber die Verfeinerung des Geistes, als der greifbareren Genüsse der Sinne zu pflegen scheint.
Die Hauptzüge, welche auf dem Sitze des Grafen dem Auge entgegen traten, waren wunderliche und verworrene Ornamente, durch den geduldigen Fleiß eines Volkes geschaffen, welches wegen derartiger Erfindungen sprichwörtlich geworden ist: Schwerter, Dolche, Helme, Harnische und sonstige in jener Zeit übliche Waffen, weibliche Arbeiten, wie sie für die Hand einer edlen Dame paßten, Gemälde, welche die meisten Fehler und nur Weniges von den Schönheiten der niederländischen Schule in sich vereinigten, Möbelwerk, welches zu dem in den Palästen der Churfürsten in demselben Verhältnisse stand, wie heutzutage die Ausstattung ländlicher Besuchszimmer zu der Mode in großen Städten, eine verschwenderische Schaustellung von silbernen Geräthschaften, an welchen das Wappen von Leiningen in verschiedener Weise getrieben oder gravirt dem Blicke sich darstellte, nebst Stammbäumen und farbig ausgeführten heraldischen Bilderwerken.
Durch die ganze Masse von Gebäuden jedoch zeigten sich nur wenig Spuren, welche auf die Anwesenheit von Frauen oder auch nur auf die Mittel zu wohnlicher Unterbringung derselben hindeuteten. Nur etliche Frauengestalten ließen sich in den Gängen und Höfen blicken, obschon der Platz in ungewöhnlicher Anzahl von Männern überfüllt war. Letztere waren vorzugsweise wilde, bärtige Krieger, die wie müßiges Volk, welches dem ersehnten Anblicke der Thätigkeit entgegenharrt, in den Hallen oder in den offeneren Theilen des Schlosses umherschlenderten. Nicht ein einziger derselben war vollständig bewaffnet, obschon der eine seine Pickelhaube trug, der andere ein Bruststück vorgeschnallt hatte, und wieder ein anderer nachlässig auf seiner Hakenbüchse lehnte, oder mit dem Speere Schwenkungen machte. Hier stand eine Gruppe, die sich sorglos in den verschiedenen Angriffswaffen übte, dort unterhielt ein Spaßmacher ein Häuflein träger Zuhörer mit seinen Zoten und Possen, bei weitem der größte Theil aber ließ sich den Rheinwein des gnädigen Herrn belieben. Amerika war zwar damals schon entdeckt, aber der herrliche Theil, welcher uns seitdem als Erbe zufiel, befand sich noch in den Händen seiner ursprünglichen Eigenthümer, und die Pflanze, welche so lange als das Kraut von Virginien bekannt war, seitdem aber die Stapelwaare so vieler anderer Länder Amerika's geworden ist, stand damals unter den Deutschen nicht so allgemein im Gebrauche, wie heutzutage, denn in letzterem Falle könnten wir nicht umhin, diese hastige Skizze dadurch zu vollenden, daß wir Alles in einen dichten Nebel hüllten. Aber trotz dem allgemeinen Anschein von Gleichgiltigkeit und Nachlässigkeit, der innerhalb Hartenburgs Mauern herrschte, zeigte sich doch außerhalb der Thore, in den Thürmchen und auf den Zinnen der vorgeschobenen Basteien mehr als gewöhnliche Wachsamkeit; zudem würde ein aufmerksamer Beobachter außer den Posten, welche stets die Zugänge des Schlosses bewachten, im Dorfe, auf dem Felsen und längs der gewundenen Pfade mehrere schnellfüßige Spione entdeckt haben, die auf der Lauer standen, und da Aller Augen thalabwärts in die Gegend von Limburg gerichtet waren, so ließ sich daraus entnehmen, daß man das Ereigniß, welchem man entgegen sah, von dieser Seite her erwarte.
Während es in der Burg und unter dem versammelten starken Vasallenhaufen also aussah, hatte sich Graf Emich nach einem verwunderlichen, halb rohen, halb großartigen Saale des Platzes zurückgezogen. Das Gemach selbst war durch zwanzig Kerzen erhellt und ließ noch verschiedene andere Merkmale blicken, welche auf die nahe Ankunft von Gästen deuteten. Der Graf schritt schweren, klirrenden Trittes auf und ab, und Sorge oder doch ernste Gedankenfülle hatte die Muskeln seiner Eisenstirne gefurcht, auf der sich die Spuren vertrauter Bekanntschaft mit dem Heime abdrückten. Vielleicht ist selbst jetzt noch Amerika das einzige Land, in welchem die Rechtspflege einen ehrenvolleren und geachteteren Beruf bietet, als das Waffenhandwerk – der beste Beweis von einer hohen, beneidenswerthen Stufe der Civilisation; aber in der Periode unserer Erzählung war der Mann von Stand, der nicht der Kirche angehörte – und diese umfaßte damals die ganze Summe der Gelehrsamkeit – nothwendiger Weise Soldat. Es verstund sich daher eben so sehr von selbst, daß Emich von Leiningen die Waffen führte, als daß heutigen Tags ein Mann von Bildung seinen Horaz oder Virgil lesen kann; und da ihm die Natur eine kräftige Gestalt, eine eherne Constitution und einen Geist verliehen hatte, dessen Gleichgültigkeit gegen physische Leiden sich zuweilen bis zur Grausamkeit steigerte, so brachte er sich in seinem wilden Gewerbe weit besser vorwärts, als mancher bleiche fleißige Student in der Pflege der Wissenschaften.
Der in tiefes Brüten versenkte Graf erhob kaum seine Blicke von dem eichenen Fußboden, während ein Diener um den andern erschien und sich nur leichten Trittes in die Nähe eines Mannes wagte, den sie alle fürchteten und doch zugleich zu hohem Grade liebten. Endlich glitt auch ein Mädchen, das mit einer der kleinen Obliegenheiten ihres Geschlechtes beschäftigt war, vor seinen halb träumerischen Blicken dahin. Die Jugend, die rosigen Wangen, die neckische Haltung, der zierliche Haarputz, das knappe Leibchen und die reichen Falten des weiten Gewandes schienen endlich seinem Auge die Gestalt der Dirne zu vergegenwärtigen.
»Bist Du es, Gisela?« begann er in dem milden Tone, in welchem man eine Lieblingsdienerin anzureden pflegt. »Wie geht es dem ehrlichen Karl?«
»Danke schön, Herr Graf – Euer alter und verwundeter Diener hat im Augenblicke weniger Plage, als gewöhnlich sein Loos ist. Das Glied, das er in dem Dienste des Hauses von Leiningen verlor –«
»Kömmst Du mir schon wieder mit dem Beine, Mädchen? Warum denn auch stets bei diesem Unfalle Deines Vaters verweilen?«
»Wenn der Herr Graf ein Glied auf dem Wahlplatze liegen ließe, so dürfte er es wohl vermissen, wenn man ihn zur Eile aufforderte.«
»Meinst Du, Kind, meine Zunge würde dann den Kaiser nie anreden können, ohne den Schaden namhaft zu machen? Geh, Gisela; Du bist eine berechnende Hexe und versäumst selten die Gelegenheit, auf diesen wachsenden Schatz Deiner Familie anzuspielen. Sind meine Leute – mögen sie nun Krüppel sein oder nicht – eifrig auf der Lauer?«
»Sie thun, was ihnen Natur oder Laune eingibt. Die gebenedeite heilige Ursula allein weiß, wo die Knappen eine so ungeschlachte Bande, wie die ist, welche jetzt die Hartenburg bewohnt, aufgetrieben haben. Der Eine beginnt zu zechen, sobald er Morgens die Augen aufschlägt, und macht fort, bis er sie Abends wieder schließt. Ein Anderer flucht schlimmer als die nordischen Kriegsknechte, welche die Pfalz verwüsten; dem Einen kommen nichts als die schnödesten Zoten über die Lippen, und der Andere ist ein so schlimmer Vielfraß, daß er nie die seinigen bewegt, ohne zu schlucken. Kein Einziger ist unter allen diesen Poltronen, der ein höfliches Wort für eine Jungfrau hätte, obschon sie von ihr wissen, daß sie in dem Haushalte ihres Gebieters sehr geschätzt wird.«
»Es sind meine Vasallen, Mädchen, und so mannhafte Leute, wie sie in der Stunde der Noth ganz Deutschland nicht wieder bietet.«
»Ja, mannhaft, wenn man sie sprechen hört, aber man sieht ihnen die Unverschämtheit schon von weitem an, Herr Graf. Für alle sittsamen Personen in der Burg könnte es keine abscheulichere Gesellschaft geben.«
»Die Nachsicht, welche Dir deine Gebieterin geschenkt hat, läßt dich bisweilen die Klugheit vergessen, Mädchen. Geh' und laß meinen Gästen mittheilen, daß die Stunde des Banketts zur Hand sey; ich erwarte das Vergnügen ihrer Anwesenheit.«
Gisela, deren natürlicher Vorwitz durch eine nachsichtige Gebieterin etwas verstärkt worden war, und in der das Bewußtsein von mehr Schönheit, als gewöhnlich Mädchen ihres Standes zu Theil wird, die Freiheit der Rede bisweilen zur Unbesonnenheit steigerte, bekundete ihre Unzufriedenheit über diesen Auftrag in einer Weise, wie man sie bei ihrem Geschlechte häufig genug findet, wenn es der Zucht entbehrt oder durch den Zwang einer heilsamen Erziehung wenig im Zaume gehalten wird. Sie achtete sorgfältig darauf, bis Emichs Auge wieder auf den Boden gerichtet war, warf dann schmollend ihr Köpfchen in die Höhe und entfernte sich aus dem Zimmer. Sobald der Graf wieder sich selbst überlassen war, versank er aufs Neue in seine Träumerei, und so entschwanden mehrere Minuten unbeachtet.
»Mein edler Emich, träumst Du schon wieder, wie gewöhnlich, von Sturmleitern und Bannstrahlen?« rief eine heitere Stimme an seiner Seite, deren Inhaber unbemerkt in den Saal getreten war, »von rachsüchtigen Priestern, von Vasallendienst, von glatzköpfigen Aebten, von Beichtstühlen und schwerer Buße, von wieder errungenen Rechten, von dem düstern Conclave, vom Abtei-Keller, von Deiner Pickelhaube, von Rache und – um Alles in ein Wort zusammenzufassen, das jede Todsünde in sich begreift – von jenem gefallenen Engel, dem Teufel?«
Emich zwang sich bei dieser unceremoniösen und nachdrücklichen Begrüßung zu einem herben Lächeln, nahm jedoch die Hand des Sprechers mit der freimüthigen Offenheit eines munteren Gesellen entgegen.
»Du bist mir von Herzen willkommen, Albrecht,« versetzte er, »denn der Augenblick der Ankunft meiner geistlichen Gäste ist nahe. Offen gesprochen, es ist mir bei einem Wortgefechte mit diesen scheinheiligen Schurken nie ganz wohl zu Muthe; indessen wird deine Unterstützung zureichen, und wenn sich uns die ganze Brüderschaft der Abtei gegenüber stellen sollte.«
»Der Tausend, wir sind ja verwandt mit einander, wir Söhne des heiligen Johannes und diese Bastarde des heiligen Benedict. Obgleich kriegerischer, als die Mönche auf dem Berge da drüben, sind wir auf unserer Insel doch für eben so viele Tugenden in Pflichten genommen. Laß einmal sehen,« fügte er bei, indem er mit der Miene frecher Dreistigkeit an den Fingern zählte. »Erstlich haben wir das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt wie die Benedictiner; ferner haben wir uns der Keuschheit ergeben, und das Gleiche ist bei den Limburger Mönchen der Fall; zunächst achten wir unsere Eide so gut, als der Pater Bonifacius, und schließlich sind wir beide Diener des heiligen Kreuzes,« – vermöge einer besondern Eingebung machten bei den letztern Worten der Sprecher so wohl, als der Graf das heilige Zeichen auf die Brust – »weßhalb ich nicht zweifle, der ganzen hochwürdigen Brüderschaft gewachsen zu seyn. Es heißt ja, eine Sünde könne es mit der andern aufnehmen, und so wird doch wahrhaftig ein Heiliger nicht hinter dem andern zurückbleiben dürfen. Aber Emich, Du bist ernster, als sich für ein so scharfes Zechgelage, wie das von uns beabsichtigte, ziemen will.«
»Und Du so geschniegelt, als seyest Du im Begriffe, die Damen von Rhodus zu einem von euern Inselfesten zu laden.«
Der Johanniter betrachtete selbstgefällig seinen Anzug und stolzirte neben seinem Wirthe, der seinen Spaziergang wieder aufnahm, mit der Haltung eines Vogels von bewundertem Gefieder hin und her. Die Bemerkung des Grafen von Hartenburg war nicht ganz am unrechten Orte, denn sein Vetter und Gast hatte in Wirklichkeit weit mehr Mühe auf seine Toilette verwendet, als bei der Abwesenheit von Frauen in der rohen Veste sonst üblich war. Ungleich dem ernsten, männlichen Emich, der sich nur selten all seines kriegerischen Schmucks entkleidete, zog der geschworene Vertheidiger des Kreuzes in völlig friedlicher Tracht auf, wenn man nicht etwa den langen Degen, der an seiner Seite hing und auch in viel späterer Zeit noch als eine unerläßliche Zugehör des Ranges galt – für eine Kriegswehr zählen wollte. Sein reich mit Stickerei, Fransen, Litzen und Knöpfen verziertes Wams war aus blaß-orangegelbem Stoffe gefertigt und bauschte sich in der Blähsucht der herrschenden Mode um ihn her auf, während die aus demselben Material bestehende und in gleich verschwenderischem Schnitte gehaltene Beinbekleidung, wie wesentlich sie auch seyn mochte, kaum sichtbar wurde. Die rosenrothen Strümpfe waren weit über das Knie heraufgezogen und verliehen dem ganzen Bilde die Wirkung eines reichen Colorits. Das Oberleder der Schuhe stieg hoch am Beine hinan und war auf dem Rüst mit Schnallen versehen, während Hals und Armgelenke in reichen Spitzenkrausen prunkten. Das wohlbekannte Maltheser-Kreuz hing an rothem Bande in einem Knopfloche des Wams – nicht über dem Herzen, wie es heutzutage unter den Edlen der andern Hemisphäre die Gewohnheit mit sich bringt, sondern in Folge einer Grille des Geschmacks so niedrig, daß, wenn man sich überhaupt unter der zufälligen Lage dieser Kleinodien eine Anspielung dachte, das ehrenvolle Abzeichen eine directe Beziehung zu jenem wesentlichen Theile des menschlichen Körpers zu haben schien, welchen man für das Receptakel eines guten Mahles zu halten pflegt. Allerdings würde man auch in dem Falle Albrechts von Wiederbach, des fraglichen Ritters, durch eine derartige Auslegung der Wahrheit weit näher gekommen seyn, als der edle Herr wohl selbst zuzugestehen geneigt war. Nachdem der Krieger des heiligen Johann von Jerusalem das Gewicht seines Körpers zuerst auf der andern Schuhspitze gewiegt hatte, strich er sich seine Krausen zurecht, schob seinen Degen mehr bei Seite, brachte noch anderweitig seinen Anzug in Ordnung und fuhr dann folgendermaßen fort:
»Mein Aeußeres ist blos anständig, Vetter, und, wenn Du so willst, von der Art, daß ich darin in Abwesenheit der schönen Hausfrau an Deiner wirthlichen Tafel erscheinen kann, weiter aber durchaus nicht der Rede werth. Was die Damen unseres unglücklichen und schwer heimgesuchten Rhodus betrifft, mein lieber Vetter, so kennst Du ihre Liebhabereien wenig, wenn Du Dir vorstellst, daß dieses schlechte Gewand im Stande sey, ihren an's Schöne gewöhnten Augen irgend einen Reiz zu bieten. Unsere Ritter pflegten den Geschmack und die Verfeinerungen aller fernen Länder nach der Insel zu bringen, und so klein auch ihr Umfang ist, so giebt es doch wenige Gegenden, in welchen die humanen Künste – denn so nenne ich die Verschönerung des menschlichen Körpers – einen höheren Aufschwung nahmen, als auf unserem kleinen, wackeren und viel beklagten Rhodus. So war es wenigstens, bis der schnöde Ottomanne seinen Triumph feierte.«
»Gott behüte; ich hätte geglaubt, Du seiest auf alle Arten von Mäßigung in Rede, Leben und sonstiger Enthaltsamkeit beeidigt.«
»Und bist Du denn, mein höchstrebellischer Emich, nicht in Pflicht genommen, Deinen Lehnsherrn, dem Kaiser und dem Churfürsten, treu und gewärtig zu sein – ja und ist es nicht für gewisse Ländereien und Vorrechte Deine Schuldigkeit, sogar dem heiligen Abt von Limburg Ritterdienst und Vasallenpflicht zu leisten?«
»Gottes Fluch über ihn und das ganze gierige Klosterpack!«
»Hum, das ist nur die ganz natürliche Folge Deines Eides, wie dieses Wams die Folge des meinigen ist. Wenn die strenge Erfüllung eines Gelübdes dem Körper eben so angenehm wäre, als sie, wie man uns glauben machen will, heilsam für die Seele ist, Graf von Leiningen, wo bliebe dann das Verdienst einer treuen Befolgung seiner Pflicht? Ich lege nie diese zierlichen Kleider an, ohne daß sich eine wohlthätige Erinnerung an Nachtwachen auf den Bollwerken, an scharfe Belagerungen, an feuchte Laufgräben oder an leidige Kreuzzüge gegen die Muselmänner meinem Geiste in der Gestalt von vergangenen Bußübungen vergegenwärtigte. In dieser Weise versüßen wir die Sünde, indem wir uns dabei der körperlichen Beschwernisse und der Stunden ritterlich bestandener Gefahren erinnern.«
»Bei den heiligen drei Königen von Köln und den eilftausend Jungfrauen in derselben ehrenwerthen Stadt, Du warst auf Deiner kleinen Insel sehr begünstigt, Junker Albrecht, wenn Du in dieser Weise sündigen und dabei darauf zählen konntest, die Strafe durch einen so leichten Dienst abzukaufen. Meine gierigen Limburger Mönche thun ungemein kostbar mit ihren Vergünstigungen, und wer mit heiler Haut von ihnen abkommen will, muß zum Voraus einen theuren Ablaßzettel lösen. Ich weiß zwar nicht mehr die Anzahl schöner Fäßlein des edelsten Rheinweins, welche mich von Anfang an bis zum letzten Male dergleichen kleine Launenausbrüche in solcher Art fürstlichen Aufwandes gekostet haben; so viel aber ist gewiß, – wenn sich eine Gelegenheit zu messen darböte, so würden die vereinigten Beiträge wenig leeren Raum in dem weitberühmten Heidelberger Fasse übrig lassen.«
»Ich habe oft von diesem königlichen Behälter des edeln Saftes sprechen hören und schon darauf gedacht, eine Pilgerfahrt zu Ehren von Dero Geräumigkeit zu machen. Empfängt der Churfürst edle Reisende mit der Gastfreundschaft, die ihm sein Rang und seine Mittel möglich machen?«
»Allerdings und zwar recht gerne, obschon ihn dieser Krieg schwer bedrängt und ihm alle Hände voll zu schaffen gibt. Deine Pilgerschaft wird nicht sehr anstrengend seyn, denn Du kannst die Heidelberger Thürme von unseren Bergen aus sehen, und ein gutes Thier nebst einem scharfen Sporne kann Dich in etlichen Stunden scharfen Rittes von hieraus bis in den Hof des Churfürsten bringen.«
»Laß uns zuerst die Tugenden Deines Kellers erschöpfen, edler Emich; dann wird es immer noch an der Zeit seyn, aus der Heidelbergerin ein Pröbchen zu zapfen,« versetzte der Ritter von Rhodus. »Unser geschätzter Freund hier, der Abbé, wird der gleichen Ansicht seyn, und zwar allen Reformirern, mit denen unser Deutschland geplagt ist, zum Trotze.«
Da wir hier eine neue Person einführen, so müssen wir die Geduld unseres Lesers für eine kurze Abschweifung in Anspruch nehmen. Was man auch über die Bedeutung und Rechtmäßigkeit der hauptsächlich durch Luthers Muth bewerkstelligten Reformation sagen mag (und wir sind weder Sektirer noch Ungläubige, um den heiligen Ursprung der Kirche, von der er sich lossagte, in Abrede zu ziehen), so wird doch allgemein eingeräumt, daß in jener Periode die durch Jahrhunderte hindurch unbestrittene Gewalt einer ausschließlichen Autorität zu Mißbräuchen geführt hatte, welche den lauten Ruf um Aenderung in ihrem Verwaltungssysteme zur Folge hatten. Zwar waren Tausende von denen, welche ihr Leben dem Dienste des Altars geweiht hatten, gewiß ihres heiligen Amtes eben so würdig, als es der Mensch in Betracht seiner gebrechlichen Natur nur werden kann; aber Tausende hatten dagegen die Tonsur, die Kutte oder andere Sinnbilder kirchlicher Würde nur deßhalb angenommen, um sich der Vorrechte und der Behaglichkeit zu erfreuen, welche ihnen der geistliche Stand bot. Das lange Zeit fast unbestrittene Monopol der Wissenschaften, der Einfluß, welchen sie einer natürlichen Verbindung von geistlicher und weltlicher Macht verdankten, und die abhängige Lage des öffentlichen Geistes, welche nothwendig daraus hervorging, verleitete alle diejenigen, welche nach geistiger Auszeichnung rangen, diesen betretensten und deßhalb sichersten Pfad zu Macht und Ansehen einzuschlagen. Wir erblicken nicht allein in dem Christenthum, wie es zu Luthers Zeiten bestand, die Beispiele jenes verderblichen Einflusses, welchen geistliche und weltliche Autorität in ihrer wechselseitigen menschlichen Vermengung üben; denn handle sich's um Christen oder Muhamedaner, Katholiken oder Protestanten, so liegt das Uebel jedenfalls in der Grundschwäche unseres Wesens, die den Starken verlockt, den Schwachen zu unterdrücken, und den Gewaltigen so leicht zum Mißbrauch des ihm geschenkten Vertrauens veranlaßt. Gegen diesen Mangel scheint es durchaus keine andere Sicherheit zu geben, als die Aussicht auf eine nachdrückliche und unumgängliche Rechenschaftsabforderung. So lange die strenge Sittlichkeit, welche die christliche Religion von ihren Dienern fordert, nicht durch eine grobe Beimischung weltlichen Ansehens oder weltlicher Vortheile verderbt ist, darf man mit Grund annehmen, daß der Altar wenigstens einer ernstlichen Befleckung entgehen könne; aber kaum hat man diesen gefährlichen Feinden Zutritt zum Heiligthum gestattet, so stürzen auch sogleich tausend von wilden Leidenschaften entflammte Geister in den Tempel, um unter der Maske des Glaubens nur nach zeitlichen und greifbaren Belohnungen zu trachten.
Wie rein übrigens auch ein gesellschaftliches System oder eine Religion im Beginne ihrer Macht seyn mag, so verlockt doch der Besitz eines unbestrittenen Uebergewichts stets in gleicher Weise zu Abschweifungen, welche für ihren Fortbestand wie für die Sache der Wahrheit und Gerechtigkeit verhängnißvoll werden. Dies ist die Folge einer unabhängigen Uebung des freien Willens und sie scheint sich von der menschlichen Gebrechlichkeit nicht trennen zu lassen. Wir setzen allmählig an die Stelle des Rechts unsere Neigungen und die Gebote der Selbstsucht, bis zuletzt alle sittlichen Grundlagen untergraben sind, und was man früher mit dem Widerwillen betrachtete, welchen das Unrecht stets in dem Reinen weckt, wird am Ende nicht nur eine Sache der Gewohnheit, sondern scheint uns sogar durch die Zweckmäßigkeit und den Nutzen gerechtfertigt zu werden. Es gibt kein sichreres Zeichen von dem Verfalle der Grundsätze, welche erforderlich sind, um sogar unsere unvollkommene Höhe von Tugend festzuhalten, als wenn man den Vorwand der Nothwendigkeit geltend macht, um eine Abweichung von ihren ursprünglichen Geboten zu rechtfertigen; denn man ruft damit das Edle zur Unterstützung der Leidenschaften auf und geht so einen Bund ein, welcher selten versäumt, die mürben Bollwerke einer wankenden Moral vollends in den Staub zu malmen.
Es ist somit kein Wunder, wenn die Welt in einer Periode, in welcher sich sogar die Kirchendiener wider Willen genöthigt sahen, gegen die religiösen Mißbräuche im Ungehorsam Schutz zu suchen – dreiste Beispiele maßloser Ausschweifungen zu Tage förderte. Kriegerischer Ehrgeiz, Bestechlichkeit, Gemächlichkeitsliebe und sogar verschwenderische Schlemmerei suchten in gleicher Weise ihre Zwecke durch den Mantel der Religion zu verhüllen. Wenn der sorglose Ritter bereit war, sein Schwerdt in das Blut der Ungläubigen zu tauchen, um als ein Held des Kreuzes in der Achtung der Menschen zu leben, so schloß sich auch der Pflastertreter, der Schlemmer und sogar der Witzling der großen Städte einer derartigen Bewegung an, um selbst auch Geltung zu erhalten durch ein Gepräge, das jeder Münze, mochte sie von reinerem oder schlechterem Metalle seyn, Umlauf sicherte, bloß weil sie den äußeren Stempel der Kirche Gottes trug.
»Reformirer oder vielmehr Lästerer, denn dieß ist der Ausdruck, der am besten auf sie paßt,« erwiederte der Abbé mit Bezugnahme auf die letzten Worte des Johanniters. »Ich überantworte sie alle ohne Bedenken dem Teufel. Was übrigens die Zusage unseres tapfern Ritters vom heiligen Johann betrifft, edler Graf Emich, so soll sie, sofern meine Person in Frage kommt, erfüllt werden, denn ich bin überzeugt, daß die Keller von Heidelberg einen schwereren Angriff aushalten können, als irgend einer seyn mag, den man allenfalls mit derartigen Mitteln durchzusetzen gedenkt. Es ist übrigens schon spät, und ich gestehe, daß ich unsere Brüder von Limburg schon früher zu sehen hoffte. Es wird doch kein unnöthiges Mißverständnis dazwischen gekommen seyn, um uns des Vergnügens ihrer Gesellschaft zu berauben?«
»Das ist schwerlich zu besorgen, soweit nämlich ein vereiteltes Gelage in Frage kommt; denn wenn je der Teufel jene Mönche vom Berg in Versuchung führte, so geschah es in der Gestalt von Völlerei. Wenn mir aus der vierzigjährigen Erfahrung, die ich mir in ihrer Nachbarschaft gesammelt habe, ein Urtheil zusteht, so möchte ich fast behaupten, daß sie die Tugend der Mäßigkeit als die achte Todsünde betrachten.«
»Ein Benedictiner ist dazu berechtigt, die Gastfreundschaft als eine Tugend zu betrachten, und der Abt hat die Erlaubniß, seinem Leibe gütlich zu thun; beurtheilen wir sie deßhalb nicht zu hart, sondern bilden uns lieber aus ihren Handlungen eine Ansicht über ihre Verdienste. Ihr habt viele Diener draußen, Graf, die ihnen heute Nacht Ehre erweisen können.«
Der Graf von Leiningen runzelte die Stirne und wechselte, ehe er antwortete, mit seinem Vetter Blicke, denen der Abbé wohl einen geheimen Sinn hätte beilegen können, wenn sie seiner Beobachtung nicht entgangen wären.
»Meine Leute sammeln sich pflichtmäßig um ihren Gebieter, denn sie haben von dem Beistand gehört, welchen der Churfürst zur Unterstützung der trägen Benedictiner geschickt hat,« lautete die Antwort. »Vierhundert Söldlinge liegen heute Nacht in dem Kloster, Herr Latouche, und es sollte wohl Niemand wundernehmen, wenn die Vasallen Emichs von Hartenburg mit Hand und Schwerdt bereit sind, zu seiner Vertheidigung Dienst zu thun. Gott erbarme sich – die pfiffigen Mönche mögen zwar wohl dergleichen thun, als lebten sie in Angst und Sorgen, aber wenn Jemand Ursache hat, in Sorgen zu leben, so ist's doch in Wahrheit kein anderer, als der rechtmäßige und viel benachtheiligte Herr des Jägerthales.«
»Deine Lage, Vetter von Hartenburg,« bemerkte der Träger des Johanniterkreuzes, »bekundet in Wahrheit eine meisterhafte Diplomatik. Du hast das Schwerdt auf den Abt von Limburg gezückt und bist bereit, jeden Augenblick tödtliche Stöße mit ihm zu wechseln, um so die lang bestrittene Oberherrlichkeit an den Ausgang einer Schlacht zu setzen; aber dennoch bietest Du Deinen Kellermeister auf und läßt ihn Deine besten Fäßlein anzapfen, um Deinem Todfeinde Gastfreundschaft und Ehre zu erzeigen. Monsieur Latouche, dieß überbietet in der That an Bedenklichkeit die Lage eines Abbé von Deinem Schrote, der kaum genug Kirchendiener ist, um Erlösung zu verdienen, aber doch nicht tief genug in Sünden steckt, um mit dem großen Haufen der Uebelthäter auf ewige Zeiten verdammt zu werden.«
»Es steht zu hoffen, daß wir das gemeinsame Loos der Sterblichen theilen und mehr nach Barmherzigkeit, als nach Verdienst werden beurtheilt werden,« entgegnete der Abbé – ein Titel, welcher in Wahrheit kaum eine wirkliche Kirchenwürde bezeichnete. »Indeß hoffe ich, daß die diesmalige Begegnung der feindlichen Kräfte harmlos ausfallen wird, denn offen gesprochen, ich gehöre nicht zu einem kriegführenden Orden, wie unser Freund der Ritter da.«
»Horcht!« rief der Wirth, indem er seinen Finger erhob, um damit Aufmerksamkeit einzuschärfen. »Habt ihr nichts vernommen?«
»O ja, Vetter, die Musik Deiner Lärmmacher im Hof drunten und einige deutsche Flüche, die erst übersetzt werden müßten, wenn man sie verstehen sollte; aber von dem gesegneten Ton der Glocke, die zur Mahlzeit läutet, will noch immer nichts verlauten.«
»Nicht doch – 's ist der Abt von Limburg mit seinen Brüdern, den Vätern Siegfried und Kuno. Wir wollen nach dem Thore gehen, um ihnen die übliche Ehre zu bezeugen.«
Auf diese willkommene Kunde legten der Ritter und der Abbé ein sehr tödliches Verlangen an den Tag, die Ersten zu seyn, um einem so wichtigen Manne, als in jener Gegend das reiche und mächtige Oberhaupt des benachbarten Klosters war – die erforderliche Aufmerksamkeit zu erweisen.