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Zwölftes Kapitel.

»Du hättest dann Penelope zum Vorgang.
Doch heißt's, daß alles Garn, das sie gesponnen,
So lang Ulysses fern blieb, Ithaka
Mit Motten nur gefüllt.«

Coriolan.

 

Sobald Ulrika sich mit dem Grafen und ihrem Gatten eingeschlossen sah und ruhig auf dem Schemel, den ihr ersterer, trotz der Einrede des Bürgermeisters, aufgedrungen, Platz genommen hatte, ließ sie ihre Augen mit jenem rührend-bittenden Ausdrucke umhergleiten, den man wohl an einer Frau zu finden pflegt, wenn sie sich berufen fühlt, als die Rathgeberin, wo nicht als die Hüterin dessen zu handeln, welchen die Natur bestimmt hat und das Gesetz sowohl für fähig als für geneigt dazu hält, beide gedachten Obliegenheiten an ihr zu üben. Obschon Heinrich in seinem Hauswesen ein starrköpfiger Polterer war, so hatten sich doch im Laufe seines Ehestandes häufige Gelegenheiten ergeben, welche in Beiden die geheime Ueberzeugung hervorriefen, daß in Betreff des gesunden Urtheils und der moralischen Autorität die Ordnung der Dinge ein wenig umgekehrt sey, indem der eine Theil große Neigung verrieth, sich aufzulehnen, wo er als Stütze dienen sollte, ohne übrigens sonderlich dankbar für die an ihm geübte Nachsicht zu seyn, der andere aber sich zuweilen versucht fühlte, über die Obliegenheiten seines Geschlechtes hinaus zu treten, wenn gleich dies stets unter instinctartiger Beobachtung dessen, was für eine Frau schicklich und gebührend war, geschah.

»Ich danke Euch für Eure Herablassung, Herr Graf, und auch Dir, Heinrich,« begann die nachdenksame Frau, »denn es ist für ein Weib nicht immer räthlich, sich unaufgefordert auch dem eigenen Gatten als Gesellschaft aufzudrängen.«

Ein bedeutsamer Ausruf, der fast eine derbere Bezeichnung verdienen dürfte, war das Einzige, wodurch der Bürgermeister während der kurzen Pause, die auf Ulrika's Entschuldigung folgte, seine Zustimmung ausdrückte. Der höflichere Wirth verbeugte sich mit Anstand; aber auch aus seinem Benehmen ging hervor, daß er ungeduldig war, den eigentlichen Beweggrund der stattgehabten Unterbrechung kennen zu lernen.

»Wir sind zu sehr erfreut, Dich bei uns zu sehen, als daß wir uns an die Gebräuche und Rechte der Männer erinnern möchten,« entgegnete der Graf leutselig, denn die gewinnenden Eigenschaften der Angeredeten übten, ohne daß er es merkte, einen zwingenden Eindruck auf ihn und milderten einigermaßen auch den hochfahrenden Ton seiner Sprache. »Fahre fort in Deinem Anliegen, denn Niemand kann bereitwilliger seyn, Dich anzuhören.«

»Du bemerkst, gute Ulrika, der Herr Graf ist geneigt, sich zu erinnern, daß Du die Frau des Bürgermeisters bist, und wie er vorhin zu sagen beliebte, wir sind in Wahrheit ungeduldig, zu erfahren, was Deinen plötzlichen Besuch veranlaßt hat.«

Die gedankenvolle Ulrika nahm diese Ermuthigung wie ein Wesen auf, welches daran gewöhnt ist, in Beziehung auf Einfluß und Fassungsvermögen ihrem Gatten gegenüber als untergeordnet behandelt zu werden, obschon sich in ihrem Antlitze ein Schatten kund gab, wie er sich wohl bei unverdienter Demüthigung auszudrücken pflegt. Mit einem Lächeln – und nur Wenige, sogar in früher, anziehender Jugend, sahen so hold und anmuthig aus, wie sie, wenn ihr Gesicht in Freude oder in Trauer glühte – mit einem Lächeln, in welchem sich zum Theil weibliche Zartheit, zum Theil Wehmuth aussprach, ging sie auf den Anlaß ihres Besuchs über, obschon sie sich nur mit großer Zurückhaltung und mit der Vorsicht einer Frau, die eher an einen stillen als an einen herrschsüchtigen Einfluß gewöhnt ist, ihrem eigentlichen Zwecke näherte.

»Niemand ist dankbarer für die große Güte und Herablassung des Herrn Grafen gegen meinen Gatten und alle seine Angehörigen, als ich,« sagte sie. »Wenn es daher den Anschein gewinnt, als wolle ich ihn mit den Angelegenheiten einer Familie behelligen, die er bereits so reichlich mit seiner Gunst bedacht hat – –«

»Und mit seiner Freundschaft, gute Ulrika.«

»Und mit seiner Freundschaft, da Ihr mir einmal gestattet, dieses Wort zu gebrauchen, edler Graf – ich sage, wenn es jetzt den Anschein gewinnt, daß ich die Schranken einer guten Erziehung überschreite, indem ich Euch mit einer Angelegenheit lästig falle, die so gar nichts mit Euren Interessen zu thun hat, so hoffe ich, Ihr werdet der Zärtlichkeit einer Mutter etwas zu gut halten und dabei der hochgeborenen Irmengard gedenken, deren Besorgniß für ihr eigenes Kind diejenige entschuldigen mag, die ich für das meinige fühle.«

»Ist der blühenden Meta etwas zugestoßen?«

»Gott behüte mich!« rief der Bürgermeister, in dem plötzlichen Schrecken eines Vaters von seinem hochgepriesenen Sitze aufspringend. »Ist der Dirne vielleicht ein überfetter Rhein-Aal schlecht bekommen oder haben die verwünschten Mönche sie mit ihrer Messe zu todt gesungen?«

»Unser Kind ist körperlich wohl und – die gebenedeite Jungfrau sei dafür gepriesen – auch dem Geiste nach rein und unschuldig,« erwiederte Ulrika. »In dieser beiderseitigen Hinsicht haben wir nur Ursache, dem Himmel zu danken; aber sie ist in einem Alter, in welchem die mädchenhafte Phantasie unstet wird und der schmiegsame weibliche Geist Eindrücke von Anderen sucht, als von denen, welchen von der Natur das Hüteramt übertragen wurde.«

»Das ist wieder eine von deinen gewöhnlichen Unbegreiflichkeiten, gute Frau, und eine Sprache die nicht leicht Jemand außer Dir verstehen kann. Der edle Graf hat keine Zeit, neue Ideen aufzusagen, um ein so spitzfindiges Gespräch fortzuführen. Hätte das Mädchen etwa zu viel von dem trefflichen Gerichte gekostet, das mir der ehrenfeste Bürgermeister von Mannheim so freundlich übermachte, wie ich anfangs befürchtet hatte, so dürften sich ohne Zweifel in der Hartenburg die geeigneten Heilmittel vorgefunden haben; aber Du verlangst zu viel, Weib, wenn Du willst, daß außer Deinem Mann auch noch andere Leute auf die Grübeleien eingehen sollen, die bisweilen Deinem Gehirn zusetzen.«

»Nicht doch, Meister Heinrich – es könnte sich hier um einen dringlicheren Fall handeln, als Du glaubst. Deine Gattin ist keine Frau, deren Ansichten so obenhin behandelt werden dürfen. Willst Du in Deiner Rede fortfahren, gute Ulrika?«

»Unser Kind befindet sich in einer Lebensperiode,« fuhr die Mutter fort, die zu sehr an die Weise ihres Mannes gewohnt war, um durch seine Gegenreden ihre Gedanken von dem Hauptziele ablenken zu lassen – »in welcher alle jungen Leutchen an die Zukunft zu denken beginnen. Das ist ihnen von Gott eingepflanzt, Herr Graf, und muß daher gut sein. Uns aber, die wir die Jugend unseres Kindes mit so viel sorglicher Aussicht bewacht und so oft für den Mittag ihres Lebens gezittert haben, kommt es früher oder später zu, unser Jawort zu geben zu Lösung der süßen Bande, welche uns an unser zweites Ich knüpfen, damit die großen Zwecke der Schöpfung erfüllt werden.«

»Hum!« rief Heinrich.

»Meine wackere Ulrika,« entgegnete der Graf, »die mütterliche Liebe hat diesem Bilde stärkere Farben verliehen, als vielleicht nöthig ist. Wahrhaftig wenn einmal die Zeit zum Heirathen kömmt, so braucht Deine und des ehrlichen Heinrich Frey's Tochter das Jungfernhäubchen keinen Tag länger zu tragen, als die gebührende Ehrfurcht gegen die Kirche verlangt. Ich habe hier Jünglinge ohne Zahl, die sich der Gnade des Hauses Leiningen erfreuen, und jeder unter ihnen würde sich glücklich schätzen, das Mädchen zu heirathen, das ich ihm nahmhaft machte. Da ist der junge Friedrich Zantzinger, die Waise meines letzten Schaffners in den Dörfern der Ebene; er ist ein Bursche, der sich mit Freuden einem härteren Dienst unterzöge, um meine Liebe zu gewinnen.«

»Als der alte Friedrich zu seinen Vätern ging, ließ er den Jungen ohne einen Heller zurück,« versetzte der Bürgermeister trocken.

»Das ist ein Fehler, der sich verbessern läßt; aber ich habe noch Andere, die sich nennen lassen. Was hältst Du von dem ältesten Sohn meines Heidelberger Advokaten, des würdigen Konrad Walther?«

»Zum Henker mit dem Spitzbuben – ich kann ihn aus dem Grunde meiner Seele nicht leiden!«

»Du geräthst gegen einen Mann in Eifer, Meister Heinrich, der sowohl in meinem Vertrauen, als in meiner Gunst steht.«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, aber ein plötzliches Aufwallen der Galle, als Ihr den Namen dieses Menschen erwähntet, hat mich die pflichtschuldige Ehrerbietung vergessen lassen,« antwortete der Bürgermeister mit mehr Mäßigung. Da er jedoch aus Emichs finsterer Miene die Nothwendigkeit einer näheren Begründung seines Ausrufs erkannte, so fuhr er mit größerer Offenheit, als ihm vielleicht unter weniger dringlichen Umständen erforderlich geschienen hätte, fort: »der hochgeborne Graf kennt vermuthlich nicht den Thatbestand unseres letzten Streites?«

»Nein; ich maße mir nicht an, ein Urtheil über meine Freunde zu fällen –«

»So erweist mir die Gnade, mich anzuhören; Ihr mögt dann der Schiedsrichter zwischen uns seyn. Es ist Euch wohl bekannt, Herr Graf, daß für die Bauern, welche im vorigen Jahr durch die plötzliche Ueberschwemmung des Rheins gelitten haben, milde Beiträge gesammelt wurden. Unter Anderen hat man auch den guten Christen unserer Stadt sehr zugesetzt, und wir schenkten freigebig je nach unsern Mitteln, denn Niemand wird in Abrede ziehen, daß es eine traurige Heimsuchung der Vorsehung war. Um einer unpassenden Verwendung des Geldes vorzubeugen, wurde in allen Fällen einer namhafteren Schenkung die versiegelte Anweisung des Gebers, auf einen nahen Termin ausgestellt, dem Silber vorgezogen, und die meinige lautete auf die hübsche Summe von zwölf Kronen als eine Armengabe, wie sie meinen Ansichten und meiner Stellung angemessen war. Die Sache ging nun so, Herr Graf, daß die mit der Vertheilung Beauftragten das Geld brauchen konnten, ehe die Anweisungen fällig wären; sie schickten deßhalb Agenten zu uns, um nach Erfund der Sache Verhandlungen anzuknüpfen. Geld war im Augenblicke selten, und weil ich, als mir meine Verschreibung wieder zu Handen kam, auf meine eigenen Interessen Bedacht nahm, so wollte mich der abscheuliche Konrad wie einen Dieb vor die Heidelberger Behörden transportiren lassen, damit sie die Strafe des Wuchers über mich verhängten. Mit Eurer gnädigsten Erlaubniß, hochgeborner Graf von Leiningen – ein Sohn dieses Mannes soll mich nie Vater nennen!«

»Dieß ist allerdings ein kleines Hinderniß; aber wenn Ihr von dem jungen Konrad nichts wissen wollt, so habe ich noch Andere im Hinterhalt, die wohl als würdig einer solchen Ehre erscheinen dürften. Behellige deßhalb Dein Mutterherz nicht mit unnöthigen Schmerzen, gute Ulrika, und überlaß die Versorgung des Mädchens meiner thätigen Freundschaft.«

Die Frau Bürgermeisterin hatte während der kurzen, aber charakteristischen Abschweifung ihres Gatten geduldig zugehört. In den Ansichten der Zeit erzogen, fühlte sie vielleicht nicht Alles, was heutzutage eine Mutter und Gattin von gleich zartem Sinne bei einer so augenscheinlichen Erniedrigung ihres Geschlechtes empfinden würde; aber da die Gesetze der Natur stets dieselben bleiben, so mußte sie's doch schmerzlich berühren, als man so unverhohlen vor ihr die Auskunftsmittel besprach, um über die Zukunft eines Wesens zu verfügen, das ihr selbst zum größten Erdenglücke gereichte. Das hektische Roth, welches gewöhnlich einem Auge, das von Natur aus eher melancholisch, als lebhaft war, einen besondern Glanz verlieh, minderte sich, und sie fuhr mit bewegterer Stimme fort:

»Ich danke dem Herrn Grafen wiederholt für alle seine Sorgfalt um mich und die Meinigen; aber es giebt eine Gewalt, welche mächtiger auf die Jugend wirkt, als der Rath der Erfahrung oder auch als die Wünsche der Verwandten. Als ich mich so ungebeten in diese geheime Unterredung eindrängte, hatte ich die Absicht, zu sagen, daß Meta mehr auf die Stimme ihres Herzens als auf die Gebräuche ihres Standes gehört und für sich selbst eine Wahl getroffen hat.«

Der Graf, wie Heinrich Frey machten große Augen und sahen die Sprecherin in stummer Ueberraschung an, denn keiner von beiden hatte völlig begriffen, was sie sagen wollte, während Ulrika ihrerseits, nachdem sie ihren Zweck erreicht und die lang gefürchtete Erklärung in Gegenwart eines Mannes abgegeben hatte, der den Zorn ihres Gatten zu unterdrücken vermochte – stumm sitzen blieb und in ihrem Innern vor den Folgen zitterte.

»Willst Du mir nicht deutlicher auseinander setzen, was Dein würdiges Ehgemahl meint, Heinrich?« fragte der Graf abgebrochen.

»Zum Henker, Ihr muthet mir da etwas zu, Herr Graf, was sich besser für einen Benedictiner oder einen Schreiber eignete. Wenn Ulrika, die sonst eine vortreffliche und treugehorsame Ehefrau ist, einmal die Steigen ihrer Einbildungskraft besteigt, so getraue ich mir nicht, meine Gedanken nur bis zu der Höhe ihrer Schuhschnallen zu erheben. Geh' wieder fort, Frau; Du hast zwar gut gesprochen, aber es wird doch besser seyn, wenn Du jetzt unser Kind aufsuchst, damit nicht jener Herr von Rhodus ihre Ohren mit der Salbe seiner Schmeicheleien einöle.«

»Nein, bei den Ehren meines Hauses, ich muß tiefer sehen in dieser Sache, wenn es anders Dein schönes und tugendsames Gemahl zufrieden ist, Meister Heinrich. Willst Du die Güte haben, Dich deutlicher zu erklären, Frau?«

Mag es nun eine Folge des Instinkts, der Schwäche und des Zartgefühls oder nur eine Frucht beständig eingeprägter Vorschriften seyn – ein tugendhaftes weibliches Wesen gesteht selten die Einkehr der Liebe in dem eigenen oder in einem andern theuren Herzen zu, ohne dabei verschämt zu erröthen, vielleicht weil ihr dabei eine geheime Stimme zuruft, daß sie dadurch etwas von dem vortheilhaften Grunde ausgibt, welchen sie den Vorrechten ihres Geschlechts verdankt.

Auch bei Frau Ulrika war ein derartiges Gefühl nicht zu verkennen, denn ihre Wange glühte und sie suchte ungeachtet der ruhigen Fassung ihrer Jahre den Blicken Emichs auszuweichen.

»Ich wollte blos sagen, Herr Graf,« entgegnete sie, »daß Meta gleich allen jungen, unschuldigen Mädchen sich ein Ideal gebildet, und das Original dazu in einem Jünglinge des Jägerthales gefunden hat. So lange sie auf dieser Gesinnung beharrt, kann sie als ehrsame Jungfrau nur die Braut des Einen werden, den sie liebt.«

»Die Sache wird jetzt klarer,« erwiederte der Graf mit einem Lächeln, welches anzudeuten schien, als habe die Angelegenheit kein sonderliches Interesse für ihn, »und ist jetzt so deutlich auseinandergesetzt, wie ein Herz es nur wünschen kann – wenigstens das Herz des in Frage stehenden Jünglings. Was hältst Du davon, Herr Bürgermeister?«

Heinrich Frey's Fassungskraft konnte doch eine so deutliche Erklärung nicht völlig mißverstehen; er saß von dem Momente an, als seine Gattin zu sprechen aufgehört hatte, mit offenen Augen und Lippen da, und blickte wie ein Mann, der eben erst Kunde von einer unerwarteten, wichtigen Neuigkeit erhalten hat, der milden Ulrika in das bekümmerte Antlitz.

»Herr Teufel!« rief Heinrich auf die letzten Worte des Grafen, ohne daran zu denken, welche Respektswidrigkeit er beging. »Sprichst Du von unsrem eheleiblichen Kinde?«

»Von niemand anders, denn gegen wen sonst könnte ich diese mütterliche Zärtlichkeit fühlen? Meinst Du, ich trüge für irgend eine andere Person so angelegentliche Sorge?«

»Willst Du damit sagen, daß Meta – meine Tochter, Meta Frey – außer der natürlichen Liebe und Ehrfurcht, die sie gegen ihren Vater hegt, eine Zuneigung zu dem Sohne eines Weibes trage? – Daß sich die Dirne mit müßigem ungebundenen Grillen abgebe?«

»Ich sage nichts, was zu einer solchen Meinung über Meta – meine Tochter Meta – Anlaß geben könnte,« entgegnete Ulrika mit frauenhafter Würde. »Unser Kind hat sonst nichts gethan, als daß es auf die geheimen Einflüsterungen der Natur hörte, und wenn sie ihre Zuneigung einem Jüngling schenkte, den sie oft gesehen hat und von lange her kennt, so folgte sie darin nur dem Beispiele der Tugendhaftesten, welche dem Verdienste vor Allem gerne Huldigung zollen.«

»Geh, Ulrika! Du bist zwar ganz gut in Deinem Hauswesen und eine Frau, vor der ich alle Achtung habe; aber die Träumereien, mit denen Du so oft geplagt bist, lassen Dich bisweilen in einem Lichte erscheinen, daß man meinen könnte, Du seyest viel weniger verständig, als Du doch in Wirklichkeit bist. Entschuldigt sie, Herr Graf, denn obschon ich, als ihr Gatte, vielleicht ein Bischen zu nachsichtig gegen ihre Schwächen bin, so muß ich ihr doch nachrühmen, daß eine tüchtigere Hauswirthin, ein treueres Eheweib und eine liebevollere Mutter in der ganzen Pfalz nicht zu finden ist.«

»Gegen mich bedarf es nicht erst dieser Versicherung, denn Niemand weiß Ulrika's Werth besser zu schätzen, und ich kann wohl beifügen, daß nicht leicht Jemand eine größere Achtung vor ihr haben kann. Es dürfte gut seyn, sie in dieser Sache fortfahren zu lassen, Heinrich, denn offen gesprochen, es liegt vielleicht in der Einleitung Deiner vortrefflichen Frau mehr, als man anfangs glauben konnte. Unsere Meta hat die Eigenschaften eines würdigen Jünglings früher aufgefunden, als der scharfe Blick ihres Vaters – wolltest Du nicht so sagen, Frau?«

»Ich wollte sagen, das Herz meines Kindes sey so fest an das eines Andern gefesselt, daß ihr nicht mehr viel Glück in Aussicht steht, wenn die ehelichen Pflichten ihr gebieten sollten, sein zu vergessen.«

»Du glaubst also, gute Frau, daß die jugendlichen Träumereien eines Mädchens durch die Pflichten der Gattin und der Mutter nicht beseitigt werden können – daß eine Laune der Einbildungskraft stärker sey, als das am Altar abgelegte Gelübde?«

Obschon sowohl der Graf, als der Bürgermeister ihre Augen auf Ulrikas schönes, sprechendes Antlitz geheftet hielten, war doch für sie Beide dieses inhaltsvolle Buch, welches so offen vor ihren Blicken dalag, wenig besser, als ein leeres Blatt. Starke und dramatische Gefühlsäußerungen sind sogar der blödesten Fassungskraft ziemlich verständlich; aber es gibt in der That nicht Viele, welche im Stande sind, das geheime Schaffen eines reinen Geistes in der Zurückhaltung eines tugendhaften, aber unglücklich verheiratheten Weibes zu begreifen. Vielleicht gibt es in der ganzen menschlichen Natur keinen Anblick, der gewöhnlicher oder leichter faßlich wäre, als derjenige, welcher sich mit jeder Stunde an einer weltlich gesinnten, launenhaften Schönen darbietet. Sie schweift auf ihrer kleinen Bahn scheinbar so regellos dahin, wie ein Komet, obschon in Wahrheit ihr Lauf stets nach den untrüglichen Grundsätzen der Eitelkeit und Selbstsucht berechnet werden kann; aber kein Geheimniß ist so sicher vor ungebührlicher, gemeiner Neugierde bewahrt, als die edlen und kräftigenden Gefühle einer still duldenden Frau, die von den hohen Eigenschaften ihres Geschlechtes getragen wird.

Die Herrschaft des Mannes ist für uns kein Gegenstand des Spottes, denn wir sind überzeugt, man verkennt kläglich die erhabene Ordnung der Natur, welche das Schlußglied der Schöpfung in zwei große Klassen theilte, damit sie sich wechselseitig trösten und beglücken sollten – wenn man das Wesen, welches zur Trösterin und Gefährtin des Mannes, zu seiner Führerin in moralischer Finsterniß und zur Theilnehmerin an seinen Freuden und Leiden geschaffen ist, zu einem weltlichen Mitbewerber machen will und seine Liebe und sein Vertrauen in Zwist und Eifersucht umwandelt.

Hätte sich die Frau des Bürgermeisters erhoben und in gewählten Ausdrücken sich an das Mitgefühl der Männer gewendet, für Erreichung ihres Zweckes die Kraft ihrer Rede mit dem Nachdruck der Geberde unterstützend, so hätte man sie begriffen, wie etwa der Alltagsleser alle derartigen Bilder des weiblichen Charakters versteht; aber sie saß da, stumm, leidend und sanftmüthig, so daß sie für das Fassungsvermögen ihrer Gefährten ein völliges Räthsel war. Ihr Auge leuchtete nicht, denn ein langer, geduldiger Gehorsam hatte sie gelehrt, sich den Mißdeutungen ihres Gatten zu unterwerfen; auch erhöhte sich kaum das matte Roth ihrer Wange, denn die Last, welche ihr Herz bedrückte, kämpfte an gegen die natürlichen Gefühle des Stolzes und der Empfindlichkeit.

»Ich glaube, Herr Graf,« sagte sie, »wenn ein unschuldiges Mädchenherz sich einer Gewalt hingibt, die von Natur aus vielleicht unwiderstehlich ist, so verdient sie wenigstens schonsame Behandlung. Meta birgt wenig von den Launen, deren Ihr Erwähnung thut, und Ihre Neigung ist nur die natürliche Folge häufigen Umgangs und eines hohen Werthes auf Seiten des jungen Mannes, obschon ihr ohne Zweifel dieses Gefühl in einem Colorit erscheint, in welchem die Jugend, die noch so gar nichts von den Wahrheiten des Lebens erfahren hat, sich gerne ergeht.«

»Es wird immer deutlicher, Herr Graf,« bemerkte Heinrich Frey mit Nachdruck, »und man muß Einsicht von der Sache nehmen. Willst Du so gut seyn, Ulrika, mir den Jüngling, den Du meinst, namhaft zu machen?«

»Berchthold Hintermayer.«

»Berchthold Teufelsstein!« rief der Bürgermeister lachend, obschon sogar in der Art, wie er seiner Heiterkeit Luft machte, das geheime Bewußtseyn einer Gefahr zu liegen schien. »Ein bettelarmer Kerl ist in der That ein passender Ehemann für das Kind des Bürgermeisters von Dürkheim.«

Ulrikas ruhiges, blaues Auge haftete auf ihrem Gatten, aber sie wandte es mit empfindlicher Hast ab, damit es nicht verrathe, was in ihrem Innern vorging. Sie gedachte nämlich der Zeit, in welcher ihr eigener Vater die Zustimmung zu ihrer Heirath mit einem fast ebenso armen Menschen gegeben hatte, aus dem einfachen Grunde, weil der Scharfsinn des Alten in dem jungen Mitbürger jene Eigenschaften von Klugheit und Gewerbfleiß entdeckt hatte, welche sich im späteren Leben so fruchtbar entwickelten.

»Er ist nicht reich, Heinrich,« lautete ihre Antwort, »aber ein würdiger junger Mensch, und warum sollten wir Metas Herz quälen, indem wir für sie Dinge verlangen, die sie bereits in reichlicher Menge besitzt?«

»Hört Ihr dieß, Herr Graf? Meine Frau lüpft vor Eurer Gnaden Blicken den Vorhang des Privatgeheimnisses mit einer Freiheit, für die ich gerne um Verzeihung bitten möchte.«

»Berchthold ist ein Jüngling, den ich liebe,« bemerkte der Graf mit Ernst.

»In diesem Falle will ich nichts Achtungswidriges gegen ihn sagen, denn er ist ein wackerer Förster und paßt vortrefflich für seinen Posten in der Familie Hartenburg. Aber dennoch ist er nur ein Förster und obendrein ein blutarmer Förster. Ich hatte zwar nicht im Sinne, so bald über das Mädchen zu verfügen, denn ein Bischen warten bringt den Jungfern keinen Schaden, Herr Graf; da sie aber ihren Kopf auf diesen Berchthold gesetzt hat, so wird es gut seyn, sie unter die Haube zu bringen, und zwar in einer Weise, die sie auf Gedanken bringt, welche besser für ihre Aussichten passen.«

»Das Heilmittel könnte bedenklich werden, Heinrich!« bemerkte Ulrika mild, indem sie das thränenfeuchte Auge zu dem Angesicht des starrköpfigen Bürgermeisters erhob.

»Warum nicht gar – ich muß doch die Constitution der Familie kennen. Was bei der Mutter so gut gelungen ist, kann dem Kinde nicht schaden.«

Die Frau gab keine Antwort; aber Emich von Hartenburg hatte tiefen Antheil an ihrer sanften, gewinnenden Weise genommen. Da er fast kein Auge von ihr verwandte, so war ihm nicht entgangen, welche Anstrengung es sie kostete, den Anschein der Ruhe zu bewahren, weshalb er jetzt mit freundlichem Lächeln seine Hand auf die Schulter des Bürgermeisters legte und gegen ihn bemerkte:

»Herr Heinrich, Du hast eine schöne und sanfte Ehefrau; indeß glaube ich, daß Du auch in mich kaum weniger Vertrauen setzest, als in Deine Gattin. Laß uns allein – ich möchte gerne diese Angelegenheit mit Ulrika verständig und ohne Beihülfe Deines Einflusses besprechen.«

»Tausend Dank für diese Ehre gegen mich und die Meinigen, hochgeborener Graf! Was das Vertrauen betrifft, so wollte ich meine Frau ein ganzes Jahr unter den Mönchen von Limburg lassen, ohne dabei an etwas Anderes zu denken, als ob sie's auch gemächlich habe; denn Niemand kennt Ulrikas Werth besser, obschon sie so schwer zu begreifen ist, wenn ihre Phantasie sich mausig macht. Gib mir einen Kuß, Frau, und sieh Dich vor, daß Du mir in Deiner Berathung mit dem Herrn Grafen keine Unehre machst.«

Nach diesen Worten drückte Heinrich Frey einen schallenden Kuß auf die zarte Wange, welche Ulrika gehorsam darbot, und ließ seine Gattin mit dem Grafen allein, ohne an etwas Anderes, als an die hohe Auszeichnung zu denken, welche dabei seinem Namen widerfuhr. Die Art, wie er die Aufmerksamkeit des Grafen schätzte, ließ sich hinreichend aus der Redseligkeit erkennen, mit welcher er Allen die darauf hören mochten, den Umstand mittheilte, daß sich Emich und seine Frau miteinander eingeschlossen hätten, um eine Angelegenheit zu besprechen, welche mit den Interessen der Familie Frey in engem Zusammenhange stünden.



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