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Eilftes Kapitel.

– – – »Valeria ist hier,
Dich zu besuchen.«

Coriolan.

 

Nach kurzem Ritt hatte die Cavalkade des Grafen Emich das Thor der Hartenburg erreicht. Die Gesellschaft stieg ab, und die Gäste wurden nebst den regelmäßigeren Insassen des Schlosses nach der Halle geführt, wo der Herr der Veste Frau Ulrika und ihre Tochter abermals küßte. Diese Freiheit war das Vorrecht seines Ranges und seines Charakters als Wirth; auch versäumte Heinrich Frey nicht, die Ausübung derselben abermals dankbar anzuerkennen. Die Frauen wurden sodann der Obhut Giselas übergeben, welcher in Abwesenheit ihrer edleren Gebieterin das Amt oblag, unter Frauenzimmern die Ehren des Hauses zu machen.

»Du bist mir dreimal willkommen, mein fester und getreuer Heinrich!« rief der Graf mit Herzlichkeit, während er den Bürgermeister an der Hand nach einem der Ehrenzimmer führte. »Niemand kennt Deinen Werth und die Beständigkeit Deiner Freundschaft besser, als der Herr dieses armen Schlosses, welcher Dir dafür mit der innigsten Liebe zugethan ist.«

»Schönen Dank, hochgeborener Emich, und allen gehorsamst Dienst, den ein Mann von so geringer Geburt und Erziehung einem vielgeehrten und hochgepriesenen adeligen Herrn erweisen kann. Ich verstehe mich nicht viel auf Höflichkeiten, sofern sie über gewöhnlichen Bürgerbrauch hinausgehen, und benehme mich vielleicht in meinen Ausdrücken nicht so achtungsvoll, als ich sollte, weßhalb ich eben bitten muß, Herr Graf, den guten Willen für die That anzunehmen.«

»Wenn Du des Kaisers Lieblingskämmerling wärest; so könnte Dir Deine Sprache keine größere Ehre machen. Dürkheim ist zwar kein Madrid, aber dennoch eine achtbare, ehrenreiche Stadt und wer einmal darin gewohnt hat, braucht weder den Römer noch den Pariser zu beneiden. Hier ist mein Vetter von Viederbach, ein Ritter, welchen die Vorsehung seit dem Falle der Insel Rhodus ziemlich in der Welt herumgekugelt hat; er ist nah und weit gereist, betheuert aber täglich, daß Deine Stadt für ihren Umfang nicht ihres Gleichen habe.«

»Wenn man ins Auge faßt, daß sie keine sonderlich große Bergstadt ist, meine Herrn, so haben wir keinen Grund, über den Anblick unserer alten Mauern zu erröthen.«

»Nein, gewiß nicht, und Du mußt bemerkt haben, daß ich mit Rücksicht auf ihren beziehungsweisen Umfang sprach. Monsieur Latouche ist ein Mann, der unmittelbar von der Hauptstadt des Königs Franz herkömmt, und er lobte erst diesen Morgen die Reinlichkeit, den Reichthum und andere beachtenswerthe Dinge, die auf Deinem gut regierten und wohlhabenden Gebiete auch dem Fremdlinge auffallen müßten.«

Der Bürgermeister erkannte dieses Compliment mit einer tiefen Verbeugung und einem vergnügten Blicke an, denn keine Schmeichelei ist so greifbar, daß sie nicht willkommene Aufnahme bei denen fände, welche sich um öffentliche Auszeichnung abmühen; auch wußte Emich wohl, daß die gute Polizei und die Ordnung, welche er in seiner Stadt handhabte, schwache Seiten in Heinrich Frey's Demuth waren.

»Der Graf läßt mir kaum Gerechtigkeit widerfahren,« ergriff der geschmeidige Abbé das Wort, »denn ich habe noch manchen andern Grund zur Bewunderung gefunden. Besonders lobenswerth finde ich die Ehrerbietung, welche von Deiner Bürgerschaft dem Range gezollt wird, und die Art, wie man in Dürkheim den Vornehmen gegenüber die Schicklichkeit beobachtet.«

»Der Herr Abbé hat Recht, Graf Emich, denn ich glaube nicht, daß sich unter allen Städten Deutschlands leicht eine andere finden läßt, in welcher die Armen und Geringen so wohl angewiesen wären, die Vornehmen nicht mit ihrer Aufdringlichkeit zu behelligen, wie in unsrem Dürkheim. Ich denke, der Herr Graf muß bemerkt haben, wie strenge und umsichtig gerade in dieser Beziehung unsere Gesetze gehandhabt werden.«

»Niemand weiß das besser, oder hätte es mit mehr Vergnügen wahrgenommen. Ich kann mich nicht erinnern, Vetter Albrecht, daß innerhalb Dürkheims Thoren auch nur ein einzigesmal meine Privilegien eine mißliebige Beeinträchtigung erlitten hätten. Doch ich halte euch von eurem Imbisse ab, würdige Freunde. Erlaubt uns ein wenig – wir werden euch wieder aufsuchen, sobald es euch gelegen ist.«

Der Ritter und der Abbé nahmen diese unverhohlene Andeutung, daß der Graf mit dem Bürgermeister allein zu sein wünschte, durchaus nicht übel auf und entfernten sich ohne Säumen. Sobald die Beiden allein waren, nahm Emich seinen Gast wieder bei der Hand und führte ihn nach einem Theile des Schlosses, wohin es Niemand wagen durfte, ohne ausdrückliche Berufung sich zu drängen. Hier betraten sie eines jener kleinen Gemächer, welche geheimen Diensten geweiht waren und mit Fug den Namen Closet führten, da sie in Wahrheit nur wenig größer und kaum besser erhellt waren, als die engen Räume, welche heutzutage diese Bezeichnung führen.

Nachdem sie sich also gegen Beobachtung gesichert und aus dem Bereiche aller Lauscher und Spione gezogen hatten, warf der Graf seinen Mantel ab, schnallte sein Wehrgehäng los und machte sich's gemächlich. Aus Rücksicht für den Rang seines Gefährten nahm der Bürgermeister auf einem Schemel Platz, während letzterer scheinbar achtlos an seiner Seite sich auf den einzigen Sessel setzte, der sich in dem Closet vorfand. Wer schon viel mit Asiaten oder mit den Muselmännern auf der Südküste des mittelländischen Meeres verkehrt hat, muß oft bemerkt haben, mit welch' stummer Bedeutsamkeit sie einander ansehen, wenn sie geneigt sind, gegenseitig Vertrauen auszutauschen. Das Auge wird allmählig leuchtender, und die Muskeln des Mundes gewinnen einen milderen Ausdruck, bis sich das gemeinsame Gefühl voll in einem Lächeln verräth. Wo der Mensch unter einer despotischen, gefährlichen Regierung lebt und die geselligen Verhältnisse durch Gewalt und Verrath getrübt werden, gehört ein derartiges Benehmen unter die Mittel, um sich gegenseitig im Geheim treue und bereitwillige Unterstützung zu sichern. Eine Art ähnlicher Freimauerei findet sich in allen Lebensverhältnissen, in welchen nicht gerechte, freisinnige Institutionen ihren Mantel eben so gut über den Schwachen wie über den Mächtigen breiten, und durch die Majestät des Gesetzes derartige geheime Berufungen an das Ehrgefühl oder die Theilnahme des Vertrauten unnöthig machen. Solcher Art war auch einigermaßen die Mittheilung, durch welche Emich von Hartenburg jetzt das Privatgespräch mit Heinrich Frey begann. Der Graf legte zuerst seine breite, knöcherne Hand auf das Knie des Bürgermeisters und drückte es dermaßen, daß sich seine eisernen Finger fast in der Fleischmasse begruben. Jeder wandte sodann den Kopf seinem Gefährten zu und blickte ihn von der Seite an, als begriffen sie wechselseitig wohl den Sinn dessen, was durch dieses stumme Mienenspiel angedeutet werden sollte. Aber ungeachtet der augenscheinlichen Gedankengleichheit und des zwischen ihnen obwaltenden Vertrauens war doch bei jedem nach Maßgabe des persönlichen Charakters und der gesellschaftlichen Stellung, der Ausdruck des Gesichtes verschieden. Der Blick des Grafen war bestimmter und offener, während das Lächeln des Bürgermeisters eher ein matter Wiederstrahl von der einladenden Miene des ersteren, als die Wirkung eines inneren Antriebes zu seyn schien.

»Hast Du nichts von dem Erfolge der letzten Nacht gehört?« fragte der Graf plötzlich.

»Ich habe nicht das Vergnügen gehabt, Herr Graf; aber mein Herz sehnt sich darnach, Alles zu erfahren, falls es auf die Interessen Eurer Gnaden Beziehung hat.«

»Die messensingenden Spitzbuben sind um ihren Weintribut gekommen. Diesen wenigstens habe ich ihnen ehrlich und gesetzlich abgejagt. Du weißt, wie wir uns längst vorgenommen hatten, gegenseitig die Stärke unserer Köpfe zu erproben; ich hatte im Sinne, mir Deine Sekundantschaft zu erbitten, aber die Anwesenheit jener Faullenzer legte meiner Gastlichkeit einigen Zwang auf. Du würdest Dich in einem solchen Kampfe als eine mannhafte Stütze erwiesen haben, Heinrich.«

»Ich danke schönstens, Herr Graf, und nehme die Gnade für empfangen an. Bei Tafel laß ich mich nicht schlechter finden, als irgend ein Anderer, und kann mich rühmen, daß ich mein Weinlein hübsch ordentlich zu führen vermag; aber der Ernst der Zeiten mahnt uns bürgerliche Obrigkeiten zur Klugheit. Unter dem Volke regt sich der Wunsch nach gewissen unvernünftigen und belangreichen Privilegien – z. B. nach dem Recht, zu unpassenden Stunden, welche die Bequemlichkeit der Bürgermeister sehr beeinträchtigen würden, Waaren auf dem Markt zu verkaufen. Auch spucken noch andere ähnliche Neuerungen in den Köpfen, und wir müssen kräftig dagegen auftreten, damit nicht zuletzt gar unser Ansehen Noth leide und als Folge davon eine unnatürliche Erschütterung Platz greife. Wenn wir solchen übertriebenen Forderungen nachgeben wollten, Herr Graf, so würde das städtische Wesen bald in die größte Verwirrung gerathen, und das wohlgeordnete, achtbare Dürkheim verdiente dann mit den Hütten jener Länder verglichen zu werden – wie heißen sie doch? – in dem fernen Amerika, das in letzter Zeit so vielen Anlaß zum Schreiben und Sprechen gegeben hat. Wir müssen deßhalb ein gutes Beispiel geben, denn wir haben geschäftige Freunde, welche von dem kleinsten Uebersehen gewaltig viel Aufhebens machen würden. Zu andern Zeiten aber würde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Euer Gnaden zu Ehren sogar das heidelberger Faß trocken zu legen.«

»Die Gefahr einer Beobachtung wäre hier nicht zu besorgen gewesen, und bei den heiligen drei Königen von Cöln, der Schuft, der es etwa wagte, sein naseweises Gesicht in diesen Mauern blicken zu lassen, sollte mir übel genug wegkommen! Deine Klugheit ist übrigens löblich, Heinrich, denn ich bin mit Dir der Ansicht, daß die Zeiten gar bedenklich sind für alle Freunde der guten Ordnung und des Friedens unter den Menschen. Was wollen denn die Schurken, daß sie die Obrigkeit also behelligen? Haben sie nicht ihr Essen und ihre Kleider – sind sie nicht bereits jetzt schon im Besitze zahlloser Privilegien? Wenn man das gierige Pack gewähren ließe, so dürften ihre Vorgesetzten bald keinen guten Bissen mehr nach dem Munde führen, noch ihre Lippen mit edlem Rheinweine netzen, ohne daß darüber gemäckelt würde!«

»Ich fürchte, hochgeborner Emich, daß dieser gierige Sinn in ihrer schlimmen Natur begründet ist. Man darf nur ihren Bitten einmal ein klein wenig nachgeben, wie z. B. mit Verspäterung der Polizeistunde oder mit diesem Marktplatzwunsche da, so kann man richtig darauf zählen, daß die Nachsicht nur ein Verlangen nach mehr zur Folge hat. Nein, wer ruhig und gemächlich regieren will, muß durchweg regieren, oder wir werden zu lauter ungebildeten Wilden, die weit besser für die Wälder hinten in Amerika passen, als für unsere gegenwärtige vernünftig-humane Civilisation.«

»Wackrere Worte sind nie auf Deinem Rathhause gesprochen worden, und ich kenne den Kopf, dem sie entsprungen sind! Wenn ich nur Anlaß hätte finden können, Dich zu dem Bankette einzuladen, so hätte die Ausrede zureichen müssen, obwohl der hohe Preis der Weinberge auf dem Spiele stund. Doch sage mir, Freund Heinrich, was denkst Du von dem heutigen Treiben der Mönche und von ihrem Kriegsvolke?«

»Es ist augenfällig, daß ihnen der Churfürst noch immer die Stange hält; und um offen mit Euch zu sprechen, Herr Graf, die Reisigen sehen mir nicht darnach aus, als ob sie den Berg ohne mannhaften Streit aufgeben würden.«

»Meinst Du, Bürgermeister? Na, es wäre jammerschade, wenn Männer von erprobtem Muthe sich gegenseitig schädigen sollten – blos zum Nutzen und Vergnügen eines Haufens geschorener Mönche! Was läßt sich zu Gunsten der dreisten Ansprüche sagen, die sie festhalten, – und die sowohl für mich, der ich zum Reichsadel gehöre, als für jeden vermöglichen und angesehenen Dürkheimer Bürger so beleidigend sind?«

»Herr Graf, sie legen großen Nachdruck auf die Kraft des Herkommens und auf den heiligen Ursprung ihrer Sendung.«

»Alle Achtung vor Rechten, welche durch die Zeit besiegelt werden, denn diese ist ein Stempel, welcher auch meinen eigenen gerechten Ansprüchen Gewicht verleiht; und viele Deiner Stadt-Privilegien verdanken gleichfalls dem Herkommen ihre Kraft. Zwischen uns aber handelt sich's um eine Sache, die nicht aus dem Brauch, sondern aus dem Mißbrauch entstanden ist, und Schande dem Manne, der Unrecht leidet, wenn er sich selbst Recht verschaffen kann. Setzen die Mönche Eurer Stadt noch immer wegen der Abgaben zu?«

»Mit anstößiger Dringlichkeit. Wenn der Sache nicht bald Einhalt gethan wird, so muß es zu einem offenen und ungebührlichen Streite kommen.«

»Ich gäbe die Jagdlust eines ganzen Winters drum, wenn der Churfürst noch ein bischen schärfer in der Klemme wäre!« rief der Graf, indem er seine Hand abermals auf das Kniee des Bürgermeisters legte und dessen Gesicht mit einer Angelegentlichkeit musterte, welche an seinem Gefährten nicht verloren ging. »Ich meine dieß nur, damit ihn die Noth lehrte, seine treuen und anhänglichen Freunde von den falschen zu unterscheiden.«

Heinrich Frey blieb stumm.

»Der Churfürst ist ein milder, liebevoller Fürst, dem aber Rom schwer auf dem Halse liegt. Ich fürchte, wir werden, ungeachtet unserer langen Geduld, nie eine ruhige Nachbarschaft halten können, wenn die Kirche nicht dahin zu bringen ist, daß sie ihr Ansehen blos auf ihre gottesdienstlichen Verrichtungen beschränkt«.

Die Augenlider des Bürgermeisters senkten sich wie in Nachdenken.

»Und hauptsächlich macht mir Sorge, Heinrich, meine guten und anhänglichen Dürkheimer könnten diese Gelegenheit, sich selbst Recht zu verschaffen, verlieren,« fuhr der Graf fort, indem er das Knie, welches er noch immer umfaßt hielt, abermals drückte, bis sogar der feste Bürger schmerzlich das Gesicht verzog. »Was spricht man auf Eurem Rathhause von der Sache?«

Dem Bürgermeister war nun jeder annehmbare Vorwand zu weiterem Schweigen benommen; indeß waren die schweren Muskeln seines Gesichtes bei der Antwort in einer Weise thätig, als koste es ihn Mühe, sich seiner Ansichten zu entledigen.

»Hochgeborener Graf, unsere Rathsherrn modeln ihre Ansichten ganz nach dem Kriegsglücke des Churfürsten. Erfahren wir von der andern Seite des Stromes her gute Neuigkeiten, so kömmt in unsern Gesprächen das Kloster übel weg; siegen aber Friedrichs Kriegsknechte, so halten wir es für klug, daran zu denken, daß die Herren Benedictiner auch ihre Freunde haben.«

»Bei Gott, es ist hohe Zeit, Herr Heinrich, daß ihr zu einer bestimmten Entscheidung kommt, sonst müssen wir uns bis an das Ende unserer Tage von diesen scharfreitenden Pfaffen satteln lassen! Bist Du ihrer habsüchtigen Erpressungen noch nicht satt, daß Du noch immer geduldig auf mehr wartest?«

»Was dies anbelangt, so genügt schon eine Kleinigkeit, um uns in üble Stimmung zu bringen; denn es gibt keine Stadt zwischen Constanz und Leyden, die das Zahlen schneller satt hätte, als unser Dürkheim. Doch wir sind Gatten und Väter, Herr Graf, und Leute, welche die schwere Bürde amtlicher Gewalt tragen; wir müssen daher behutsam seyn, damit sich nicht, wenn ein Theil der Last bei Seite geworfen wird, auf unsern Schultern Raum finde, um eine schwerere darauf zu legen. Auch gibt es, wenn ich von Eurer großen Zuneigung für die Stadt sprechen will, mißtrauische Zungen, welche mich in beißender Weise nach den Früchten derselben und nach den ehrenhaften Absichten fragen, die Ihr mit uns habt.«

»Auf alles dies kann es Dir doch nicht an Erwiederungen fehlen, denn hab' ich Dich nicht oft mit meinen liebevollen Wünschen für Deine Bürger unterhalten?«

»Wenn Wünsche für uns auch unseren Interessen dienen könnten, so dürften wohl die Städtler, Kraft ihres eigenen Rechts, Anspruch auf hohe Vergünstigungen machen. Was die Sehnsucht nach einem glücklichen Fortgang unserer städtischen Angelegenheiten betrifft, so wird es uns nicht einmal Antwerpen darin zuvorthun.«

»Nicht doch, Du deutest den Sinn meiner Rede nicht freundlich. Wenn Emich von Hartenburg seinen Freunden etwas wünscht, so findet er auch die Mittel, es auszuführen. Uebrigens wollen wir, da uns ein Imbiß bevorsteht, unsere Verdauung nicht mit dergleichen verdrießlichen Einzelnheiten schwächen –«

»Ich bitte, Herr Graf, zweifelt nicht an meinen Mitteln. Ich mache mir wenig Sorge, wenn – –«

»Du mußt mir den Willen thun. Wie, ist der Graf von Leiningen nicht Herr in seinem eigenen Schlosse? Ich will kein Wort mehr hören, bis Du meiner armen Gastfreundschaft Ehre angethan hast. Ist Dir, wie ich gestern befahl, der fette Bock, den ich eigenhändig erlegt hatte, überbracht worden, Heinrich?«

»Tausend Dank, Herr Graf, es ist geschehen, und das Thier hat mir große Freude gemacht. Ich gab den Burschen einen Silberpfennig Trinkgeld und ließ sie den Staub des Jägerthals in schweren Zügen unseres Weins aus der Ebene hinunterspülen.«

»Recht so, zwischen Freunden darf, wo sich's um Höflichkeiten handelt, keine knauserige Zurückhaltung stattfinden,« entgegnete Emich, sich von seinem Sitze erhebend. »Hast Du Dich unter den Dürkheimer Jünglingen noch nicht um einen Schwiegersohn umgesehen, Bürgermeister, der Deinem Alter zur Stütze werden könnte? Meta steht bereits in den Jahren, in welchen die Mädchen gerne Weiber werden möchten.«

»Die Dirne weiß wohl, wie alt sie ist, und das Spähen nach einem passenden Gatten hat mir schon manche väterliche Sorge gemacht. Ich maße mir zwar nicht an, über unsere Lagen und unsere frühere Lebenszeit in achtungswidriger Weise Vergleichungen anstellen zu wollen, Herr Graf; aber in allem, was auch der Große mit dem Kleinen gemein hat, scheint mir heutigen Tags die Jugend nicht mehr zu seyn, was sie in unseren Zwanzigen war.«

»Die Pfaffen sind daran Schuld, Bürgermeister; es steckt zuviel von Rom in unsern Gesetzen und Gewohnheiten. Gott behüte mich! als ich zum erstenmal im Hof drunten ein Roß bestieg, hätte ich über die Klosterthürme wegspringen können, wenn sich ein Benedictiner unterstanden hätte, das Kunststück untersagen zu wollen.«

»Das wäre ein Mirakel gewesen, welches dem der Entstehung ihrer Klostermauern wenig nachgegeben hätte,« antwortete Heinrich mit einem Gelächter über den hohen Flug seines Gefährten, indem er zugleich achtungsvoll aufstand, weil es dem Grafen zuvor beliebt hatte, dieselbe Haltung einzunehmen. »Diese Benedictiner sind sehr gleichgültig gegen ihren Vortheil, denn sonst würden sie den Thatbestand jenes Wunders noch ebenso steif und fest behaupten, wie in unsern jungen Tagen.«

»Und was spricht man jetzt in Dürkheim von der Sache?«

»Je nun, man behandelt sie eben wie die übrigen bestrittenen Gegenstände. Seit der Mönch Luther so viel Lärm gemacht hat, sind Viele aufgetreten, welche nicht nur diese, sondern auch verschiedene andere Großthaten des Klostervolkes in Frage ziehen.«

Der Graf bekreuzte sich unwillkührlich und schien in düsterer Stimmung über den Gegenstand mit sich selbst zu Rathe zu gehen. Dann blickte er nach seinem Gefährten hin und bemerkte, daß er stand.

»Ich bitte um Verzeihung, würdiger Bürgermeister, daß meine Unachtsamkeit Dir diese Mühe machte. Mein Bein ist letzter Zeit so viel im Bügel gewesen, daß es wohl ein Bischen Streckens brauchen kann, aber es wäre nicht recht, wenn ich Dich darunter leiden lassen sollte. Nimm wieder Platz, Heinrich.«

»Das würde in Eurer Gegenwart einem Manne von meiner Stellung übel ziemen, edler, hochgeborener Emich, und ich wüßte es nicht vor der Hochachtung und Liebe, die ich gegen Euch hege, zu verantworten.«

»Sprich nicht so, Meister Heinrich, sondern nimm ohne Zögerung Deinen Sitz wieder ein; es gewänne ja sonst den Anschein, als wüßte ich Deine Verdienste nicht zu würdigen.«

»Herr Graf, ich bitte, thut Euch nicht selbst dieses Unrecht an. Nun ja, wenn es denn durchaus Eurer Gnaden Wille ist – aber ich erröthe über meine Dreistigkeit – wenn ich noch einmal nachgeben muß, so rufe ich Euch zum Zeugen auf, daß mich nur die hohe Achtung vor Euren Wünschen dazu veranlaßte.«

In diesem Weltstreite der Höflichkeit gelang es dem Grafen, unter Anwendung sanfter Gewalt, den Bürgermeister zu bewegen, daß er wieder Platz nahm. Heinrich hatte mit einer Art mädchenhafter Sprödigkeit nachgegeben; als er aber fand, daß er, statt wie früher den bescheidenen Schemel einzunehmen, unwillkührlich in den Armstuhl des Grafen gezwängt worden war, sprang er von dem Polster wieder auf, als berge das Leder hinreichend elektrischen Stoff, um den nicht leitenden Eigenschaften der weiten Wollenbekleidung, in welche seine untere Person gehüllt war, Trotz zu bieten.

»Gott bewahre!« rief der Bürgermeister. »Das ganze Reich würde ein Geschrei erheben über dieses Aergerniß, wenn es bekannt würde! Ich bin es meinem Rufe schuldig, daß ich eine so wenig verdiente Ehre ablehne.«

»Mich aber fordert mein Ansehen auf, meinen Willen durchzusetzen. Laß mich daher immerhin Deine Verdienste ehren.«

Jetzt begann aufs Neue von Seiten des Grafen die Anwendung freundlicher Gewalt, von Seiten des Bürgermeisters aber die höfliche Koketterie, bis Letzterer, der durch längeren Widerstand Anstoß zu geben fürchtete, sich zum Nachgeben genöthigt sah; er verwahrte sich jedoch bis auf's Letzte gegen die augenscheinliche Anmaßung von seiner Seite und das große Unrecht, das der Graf durch ein solches Ansinnen an seiner eigenen Person begehe.

Ein ausgezeichneter fremder Redner erklärte einmal die Ehrentitel und die gesellschaftlichen Auszeichnungen, welche die europäischen Regierungen verleihen, als die »wohlfeilste Wehr der Nationen.« Diese Ansicht scheint uns übrigens blos eine von der endlosen Zahl kecker Trugschlüsse zu seyn, die zu Unterstützung bestehender Interessen auf die Bahn gebracht wurden, ohne daß man es dabei mit ihrer Wahrheit oder ihren eigentlichen Wirkungen genau nahm. Diese »wohlfeile Wehr« ist gleich dem unsterblichen Falstaff, der nicht nur selbst witzig war, sondern auch Andern zum Witze Anlaß gab, eine Quelle von vielen sehr kostspieligen Gewohnheiten, so daß derjenige, welcher die Last trägt, nur wenig Grund hat, über eine solche Erfindung zu jubeln. Wir empfehlen allen einäugigen Staatswirthschaftslehrern, welche noch immer in obgedachten wohlbekannten Satz des englischen Redners Vertrauen setzen, den Brief im Spektator zu lesen, in welchem ein Stadtjüngling erzählt, wie er gezwungen gewesen, seine Zurückhaltung gegen ein hübsches Paar Landbäschen zu rechtfertigen, welche ihm eine unzarte Nichtachtung seiner Festtags-Privilegien zum Vorwurf machen wollten; in dieser Absicht erinnert er sie an die Berechnungen des Mannes, der keine Käsekuchen essen wollte, weil sie so vielen anderen unnöthigen Aufwand mit sich führten.

Mögen übrigens Ehrenbezeugungen, wie die erwähnten, in das System der Staats-Oekonomie zu zählen seyn, oder nicht, so kann doch kaum in Frage gestellt werden, daß eine Schmeichelei, wie sie Emich dem Bürgermeister gegenüber in Anwendung brachte, zu den feinen und gewaltigen Hebeln gehört, durch welche die Großen ihre geheimen Zwecke erreichen. Es gibt nur Wenige – ach, und wie Wenige! – die klar genug sehen und von einem so wahrhaft edlen Ehrgeize beseelt sind, um über die engen, gemeinen Schranken menschlicher Selbstsucht wegzublicken und die Wahrheit zu betrachten, wie sie von Gott kam, ohne auf Personen und Dinge anders Rücksicht zu nehmen, als sofern sie Werkzeuge Seines Willens sind. So viel ist gewiß, daß Heinrich Frey wenig Anspruch darauf machen konnte, unter die edlere Klasse der Prüfenden gezählt zu werden; denn als er, wie er leibte und lebte, in dem Sessel des Grafen von Hartenburg saß und der Graf selbst vor ihm stand, erging es ihm just wie einem Philosophen der alten Welt, der die Erlaubniß erhalten hat, ein Band in seinem Knopfloche zu tragen – oder auch einem Gewerbsmann der neuen, welcher in den Rath seiner Vaterstadt gewählt worden ist. Sein bitterstes Leidwesen bestand blos darin, daß Niemand zugegen war, um ihm diese Auszeichnung neiden zu können; denn schon nach dem ersten wonnigen Taumel seiner Eigenliebe flüsterte ihm jener unruhige Geist, der uns bis auf den letzten Augenblick umspuckt, die schönsten Bilder entstellt und in jeden Glücksentwurf seine falschen Beimengungen schleudert, in die Ohren, daß sein Triumph ohne Zeugen doch nur unvollkommen sey. Gerade, als diese rebellischen Gefühle recht lästig wurden, erschien an der Thüre des Closets das Wesen, welches der Bürgermeister vor allen anderen ausgewählt haben wurde, damit es ihn im Genusse so hoher Ehren schaue. Ein sanftes Pochen verkündigte die Nähe eines Eindringlings, und nachdem die gebieterische Stimme des Grafen herein gerufen hatte, zeigte sich die milde Ulrika auf der Schwelle.

In den Zügen der schönen Frau Bürgermeisterin drückte sich die lebhafteste Ueberraschung aus. Ihr Gatte hatte gemächlich die Beine gekreuzt und schwelgte eben in einer Art vornehmer Gleichgültigkeit über die ungewohnte Lage, in der er sich befand, als dieser außerordentliche Anblick den Augen seiner erstaunten Ehehälfte entgegentrat. Die Regeln der Eticette wurden in Deutschland so unbedingt und beharrlich gehandhabt, daß sogar ein Wesen, welches so wenig vom Ehrgeize geplagt war, als die bescheidene Ulrika, kaum ihren Sinnen trauen konnte, wie sie Heinrich Frey in der Gegenwart eines Grafen von Leiningen zu einem solchen Ehrensitze erhoben sah.

»Nur ohne Scheu eingetreten, meine gute Ulrika,« redete sie Emich huldreich an. »Dein würdiger Gatte und ich ergehen uns nur in wechselseitiger Freundschaft, während meine Dienerschaft ein kleines Bankett zurüstet. Fürchte nicht, unsere Unterhaltung zu stören.«

»Ich trage nur deßhalb Bedenken, edler Emich, weil ich Heinrich Frey auf jenem Sitze sehe, während der Herr von Hartenburg gleich einem Manne von geringer Geburt an seiner Seite steht

»Berühre die Sache nicht, Frau,« sagte der Bürgermeister herablassend. »Du bist ein treues Eheweib und im Kreise Deines Geschlechts gut genug, wenn sich's um Fragen handelt, wie sie für Deine Erziehung passen; aber in einer Angelegenheit, wie diejenige ist, welche zwischen dem Herrn Grafen und mir obschwebt, kannst Du statt zu verbessern nur verschlimmern.«

»Ha, beim Leben des Kaisers, Meister Heinrich, Du läßt Ulrika's Verstande nur schlechte Gerechtigkeit widerfahren! Wäre meine Irmengard unter uns, so solltest Du sehen, daß wir Deine liebevolle Frau nicht viel weniger hochschätzen, als Dich. Doch es ist vielleicht besser, wir fragen Ulrika um den Grund ihres Besuchs, als daß wir sie über ihr Benehmen schulmeistern.«

Obgleich Emich in vielen Punkten, die man heutzutage selbst bei einem nicht hohen Grade der Civilisation für unerläßlich hält, nur rauh und ungebildet war, so wußte er sich doch rasch in einen Charakter zu finden; auch besaß er immerhin so viel von der Feinheit, welche eine höhere Lebensstellung bezeichnet, als der Stand des Zeitalters und die Verhältnisse seines eigenen Landes gestatteten. Man kann keinen größeren Irrthum begehen, als wenn man sich vorstellt, der bloße Namensrang sey eine Bürgschaft für einen entsprechenden Grad von Bildung, sintemal Alles in dieser Welt nur beziehungsweise Geltung hat, und wo der Fuß einer Säule rauh und kunstlos ist, würde ja ein Kapital von ganz anderem Styl gegen alle architektonische Ordnung verstoßen. Daher kommt es auch, daß wir da, wo keine andern gesellige Ordnungen herrschen, als die der Convention, so viele grellen Widersprüche zumal unter Völkern finden, dessen Patrizier, obschon sie sich alle Mühe gegeben haben, eine ansprechende künstliche Bildung zu gewinnen, dennoch in den großen Wesentlichkeiten der Vernunft und Humanität aus dem einfachen Grunde mangelhaft erscheinen, weil die Wurzeln der Gesellschaft, deren üppigere Zweige sie sind, in dem Boden der Unwissenheit und Herabwürdigung treiben. Der Graf von Hartenburg hatte oft genug Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, wie weit die geistigen Fähigkeiten der Frau Bürgermeisterin denen ihres Gatten überlegen waren; auch besaß er hinreichend Unterscheidungsgabe und Erfahrung, um einzusehen, wie wichtig ihm eine solche Verbündete in Förderung seiner eigenen Plane werden mußte. In solcher Absicht also hatte er es mit der plumpen Rüge, die sich Heinrich in seinem Hochmuth erlaubte, aufgenommen und der Gattin ein Compliment gemacht, letzteres wahrscheinlich aus dem Grunde, weil er sich überzeugt fühlte, daß die meisten Männer nicht ungerne diejenigen loben hören, die so vollkommen unter ihrer Gewalt stehen, als ihre Weiber.

»Sintemalen es Eurer Gnaden also beliebt, Herr Graf, so mag die Frau in Gottes Namen hereinkommen,« antwortete Heinrich, ohne übrigens eine Haltung zu verändern, die seiner Eigenliebe so wohl that. »Sieht sie mich dann in der Gegenwart eines Mannes sitzen, vor dem ich weit eher knieen sollte, so mag sie daraus entnehmen, daß Gott ihr einen Gatten gegeben hat, dem es nicht ganz an der Achtung der Welt mangelt, wie wenig er sie auch vielleicht verdient. Tritt deshalb wohlgemuth ein, gute Ulrika, da es doch der Herr Graf so haben will; aber sündige nicht auf seine Herablassung gegen mich, die eher ein Beweis seiner großen Liebe für unsere Stadt, als eine Sache ist, die mit unsrem häuslichen Leben in Verbindung steht.«

»In allem, worin der hochgeborene Graf einem von uns Ehre erwiesen hat, mag sie uns als Dürkheimern oder als seinen unwürdigen Nachbarn gelten – wünsche ich, mich mit aller Achtung dankbar zu erzeigen,« erwiederte die Frau, die sich inzwischen von ihrem Erstaunen erholt hatte und nun mit der bescheidenen Ruhe ihres Wesens in dem engen Gemache weiter vortrat. »Wenn ich nicht etwa angelegen komme, so erbitte ich mir von euch beiden in einer Angelegenheit, die das Herz einer Mutter nahe berührt, Gehör. Da ich nämlich von Heinrich Frey's Kind sprechen möchte, so hoffe ich, daß sich der Herr Graf gleichfalls dafür interessiren wird.«

»Und wäre von meinem eigenen Kunigundchen die Rede, so sollte mir der Gegenstand nicht willkommener seyn,« versetzte der Graf. »Sprich Dich unverhohlen aus, meine gute Ulrika, und benimm Dich ganz so, als wärest Du mit Deinem Gatten allein.«

»Du hörst, Frau, der Herr Graf nimmt an allen unseren Freuden und Trübsalen Theil, nicht anders, als ob er ein Bruder wäre. So drücke also nicht lange und geh' frei heraus mit der Rede, obschon ich damit nicht sagen will, Du sollest Dich in Deinen Worten der Vertraulichkeit eines Familiengesprächs bedienen.«

»Da sich's um einen so nahen Gegenstand handelt, so bitte ich um die Erlaubniß, die Thüre schließen zu dürfen, ehe ich weiter spreche.«

Ulrika's Worte wurden durch eine hastige Zustimmungsgeberde von Seiten ihres Gatten und des Grafen selbst abgeschnitten, welcher als Mann von Bildung den gewünschten Dienst eigenhändig vollzog und so die Frau gewissermaßen in ihren geheimen Rath aufnahm.



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