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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Dergleichen Dinge, wie gemein sie seyen,
Gehn in der Fremde zu dem Herzen, und
Zum Kopf vom Herzen, Vorurtheile bannend,
Die in der Heimath sproßten, und statt ihrer
Den guten Willen pflanzend überall.

Rogers.

 

Er wird nunmehr nöthig, einige Wochen vorwärts zu schreiten, ein Sprung, der uns in die Mitte des warmen und gesegneten Monats Juli führt. Die Stunde fällt gegen den Schluß des Tages und der Schauplatz war von der Art, wie wir ihn jetzt zu beschreiben die Aufgabe haben. Denke sich der Leser eine hoch gelegene nackte Sandfläche, die nur durch leichte Unebenheiten unterbrochen ward. Auf dem ganzen kahlen Striche zeigte sich kaum ein Baum, obschon einige verkümmerte Sträucher andeuteten, daß die Erde bemüht war, wenigstens einige magere Vegetation hervorzubringen. Die Luft war rein, dünn und flüchtig, gemeinschaftlich mit dem sanften Blau des Himmelsgewölbes eine bedeutende Erhebung über die Dünste und Unreinigkeiten bekundend, welche auf Gegenden ruhen, die in gleicher Höhe mit dem Meere liegen. Aber ungeachtet dieser nie fehlenden Zeichen eines Hochlandes ließen sich auch da und dort ferne Bergspitzen entdecken, die in dem klaren Lichte von ewigem Schnee erglänzten. Längs der einen Seite dieser kahlen Fläche fiel das Land plötzlich gegen einen langen, schmalen Wasserstreifen ab, der wohl tausend Fuß tiefer lag. Die Ufer dieses Sees waren mit zahllosen weiß getünchten Wohnungen besäet und mit Dörfern und Weinbergen geschmückt, während hin und wieder eine ummauerte Stadt mit ihren Thürmen und Zinnen das Gestade verdunkelte. Dies waren übrigens Gegenstände, die von der Stelle aus, nach welcher wir den Leser im Geiste versetzen möchten, kaum gesehen werden konnten. In der Ferne, stets in der gleichen Richtung fort, hätte man von einem günstigen Standpunkte aus einen weiten Strich wellenförmigen Landes erblicken können, der sich von Norden nach Osten erstreckte und die gewöhnlichen eigenthümlichen Merkmale einer Gegend an sich trug, in welcher das Alpengebirg allmählig mit der Ebene verschmilzt. Diese Landschaft wurde durch mehrere Flecken von tiefem Blau verschönert, welche die dunkeln Tinten des Himmels wiederspiegelten und aus ebenso vielen Flächen klaren, ruhigen Wassers bestanden. Gegen Süden und Westen wurde die Sandstrecke durch eine natürliche Mauer von rohem grauem Fels begrenzt, der sich fast in seinem ganzen Umrisse zu einem Berg erhob und in der Mitte zu zwei gespitzten Kegeln von schwindelnder Höhe anstieg – eine Gestaltung, welcher sie im Vereine mit andern Umständen, die bald erklärt werden sollen, den Namen der »Insuln« verdankte.

In der Nähe dieser Gebirgsschranke und fast unmittelbar unter diesen natürlichen Insuln befand sich ein kleines Dorf, dessen aus Holz gebaute Häuser die breiten Dächer, die zahlreichen Fenster und die eigenthümliche Harzfarbe zu Schau trugen, durch welche sich die Schweizerwohnungen auszeichnen.

Der Ort war klein, und das meiste ihn umgebende Land lag öde, gleich der übrigen Gegend, so weit sie auf Stunden im Umkreise sichtbar war. Aus einem sich hebenden Grunde in der Nähe des Dorfes, von dem es nur durch einen breiten Rasenplatz getrennt war, stand eines jener Labyrinthe von Dächern, Schornsteinen und Thürmen, die, wie heutzutage, so auch damals schon ein Kloster anzeigten. Die Gebäude waren groß, von gemischter Architektur und ohne viel künstlerischen Geist und Geschmack aufgeführt, indem das Ganze einzig auf rohen, überquellenden Reichthum hindeutete. In der Mitte stand eine Kirche oder Kapelle, augenscheinlich von hohem Alter und einfachem Ursprung, obschon ihre wunderlichen Umrisse nach der Sitte der Zeit ausgesucht verziert und mit allerlei Zugaben geschmückt waren, so daß man wohl sehen konnte, wie es nicht an Mitteln gefehlt hätte, das Ganze großartiger zu machen, indem der Fehler des Baues eher in der ersten Idee ihren Grund hatten, als in einem späteren Mangel an Fähigkeit oder Neigung, eine Verbesserung eintreten zu lassen.

Das Dorf und die Sandebene lag in dem berühmten Kanton Schwyz, einem kleinen Distrikt, der dem heldenmüthigen Bunde, welcher so viel von dem Lande der westlichen Alpen inne hat, seinen Namen geben mußte. Das Kloster, Mariä Einsiedeln genannt, gehörte dem Orden der Benedictiner, und die Kirche enthielt eines der Heiligthümer, welches schon damals nach dem von Loretto im größten Rufe stand. Die Zeit und politische Umwälzungen haben vielleicht die Kirche Unserer lieben Frau von Einsiedeln zu dem berühmtesten Wallfahrtsorte der Katholiken erhoben, denn wir sahen erst noch kürzlich Tausende um ihre Altäre sich drängen, während wir die Santa Casa hauptsächlich der Obhut ihrer Mönche überlassen oder der gelegentlichen Besichtigung neugieriger Ketzer ausgesetzt fanden.

Nachdem wir so den Schauplatz geschildert haben, auf dem unsere Geschichte jetzt spielt, ist es passend, auf die handelnden Personen selbst überzugehen.

An einer Stelle, nicht ganz eine Stunde von dem Dorfe entfernt und an der Seite des eben erwähnten Sandstriches, welche dem jähen Absturze nach dem Zürcher-See in der Richtung nach dem Rheine zunächst lag, zeigte sich eine Gruppe von Wanderern beiderlei Geschlechts und verschiedenen Alters von der kräftigen Jugend an bis zur Neige der Mannesjahre. Sie waren zu Fuß und trugen das Gewand sowohl, als die Abzeichen von Pilgrimen. Die Ermüdung hatte ihre Zeile verlängert, in der sie paarweise einhergingen, die Kräftigsten vornean, die Schwächeren und Erschöpfteren aber hintendrein.

Der Zug wurde von zwei Männern angeführt, deren einer die Tracht der Benedictiner trug, obschon er nach dem Beispiele der Uebrigen mit dem Stabe und dem Pilgerränzchen ausgestattet war. Sein Begleiter war in den gewöhnlichen, mit Kammmuscheln verzierten Mantel gehüllt und trug gleichfalls Stab und Pilgertasche. Die Uebrigen waren in den nämlichen Anzug gekleidet, mit den gewöhnlichen Ausnahmen, welche durch das Geschlecht bedingt wurden. Sie bestanden aus zwei Männern von mittlerem Alter, welche den Vorgängern folgten, zwei von jedem Geschlecht in Paaren, die noch jung und rüstig waren, zwei weibliche Gestalten in der Blüthe ihres Lebens, obschon sie erschöpft und traurig aussahen, und einem Mädchen, welches ihre Glieder mit einer Mühsamkeit nachschleppte, die nicht im Einklange mit ihren Jahren stand. Der letzteren zur Seite befand sich eine alte Frauensperson, die um ihrer Jahre und ihrer Gebrechlichkeit willen die Erlaubniß erhalten hatte, sich eines Esels zu bedienen, auf welchem sie in verhältnißmäßiger Gemächlichkeit saß, obschon die Nachsicht des Mönches ihren Sattel mit den Taschen der meisten weiblichen Bußgängerinnen hatte beladen lassen. Hintendrein kamen zwei Männer, welche die Nachhut der ganzen Partie zu bilden schienen. Die Gruppe bestand aus dem Prior und Emich, welche den Zug anführten – aus Heinrich Frey und dem Schmiede Dietrich – aus Gisela und Gottlob nebst einem Jüngling und einer Jungfrau aus Dürkheim – aus Ulrika, Lottchen, Meta und Ilse – ferner aus Monsieur Latouche und dem Ritter von Rhodus. Dies waren die Büßenden, welche die Wahl getroffen hatte, das kürzliche Vergehen gegen die Majestät Gottes durch Gebete und Kasteiungen vor dem Heiligthume zu Einsiedeln zu sühnen. Die zeitliche Frage war theilweise zur Ruhe gewiesen worden durch die Ränke und den Einfluß des Grafen, der es zu gleicher Zeit an passenden Goldspenden nicht fehlen ließ; auch hatte hiezu das Umsichgreifen der Ketzerei mitgewirkt, welche durch ganz Deutschland das Ansehen der Kirche nachdrücklich erschütterte un den schlauen Bonifacius nebst seinen Oberen einsehen ließ, daß es zweckmäßig sey, sich in ihren Forderungen einer größeren Mäßigung zu befleißen.

»Möge uns der heilige Benedict mit Dank erfüllen, hochwürdiger Vater,« begann der Graf, als sein erfreutes Auge zum erstenmal die lang ersehnten Dächer des Klosters erblickte. – »Wir haben einen mühsamen Weg zurückgelegt, und dieser Schneckengang, den wir aus Rücksicht für die Schwächeren einhalten müssen, paßt nur wenig zu der Ungeduld eines Kriegers, der an Roß und Sporen gewöhnt ist. Hast Du dieses Heiligthum schon öfters besucht, frommer Arnolph?«

Der Mönch hatte Halt gemacht und blickte mit thränenfeuchtem Auge und in heiliger Verehrung nach dem fernen Gotteshause hin. Dann kniete er auf dem Grafe nieder und betete, während die-Andern, die an derartige plötzliche Andachtsäußerungen schon gewöhnt waren, die kurze Frist gerne zum Ausruhen benützten.

»Nie zuvor hat mein Auge jenen heiligen Tempel begrüßt,« antwortete der Prior, als sie langsam ihre Wallfahrt wieder aufnahmen, »obschon sich meine Seele oft in nächtlichen Träumen nach diesem Glücke sehnte.«

»Mich dünkt, Vater, Du hast wenig Grund zu Büßungen oder Wallfahrten – Du, dessen Leben in Werken christlicher Liebe dahin geschwunden ist.«

»Jeder Tag bringt sein Schlimmes, und jeder Tag sollte auch seine Sühne haben.«

»Aber nur nicht in Wanderungen über steinigte Gebirgspfade bestehend, wie der ist, den wir jetzt gehen. Einsiedeln muß mit besondern Kräften begabt seyn, daß es die Menschen von so weit her zur Verehrung zieht. Ist Dir die Geschichte des Heiligthums bekannt, hochwürdiger Prior?«

»Alle Christen sollten sie kennen, hauptsächlich aber die Pilger. Ich hätte Dich in so wichtigen Dingen für unterrichteter gehalten.«

»Bei den heiligen drei Königen, offen gesprochen, Vater Arnolph, das Bischen Freundschaft, das zwischen Limburg und meinem Hause bestanden, hat mir einen Widerwillen gegen alle Benedictiner-Mirakel eingeflößt, welcher Art sie auch seyn mögen; aber nun uns wahrscheinlich eine liebevolle Vereinigung bevorsteht, möchte ich gerne die Geschichte anhören, da sie wenigstens dazu dienen wird, unsern Gedanken einen weniger gemeinen Gegenstand zu bieten, als unsere Füße sind. Ehrlich gestanden, die meinigen machen höchst ungelegene Mahnungen an die Ruhe.«

»Unsere Wallfahrt nähert sich ihrem Ende; aber da Dein Gesuch vernünftig ist, so soll Deinem Wunsche entsprochen werden. So höre denn, Emich, und ziehe daraus eine Lehre für Deine Seele. Unter der Regierung des erlauchten und kriegerischen Carolus Magnus, der über Gallien, einen großen Theil von Deutschland und das Land der Franken herrschte, lebte ein Jüngling aus der alten Familie Hohenzollern, deren Zweige noch immer Fürstenthümer und Markgrafenschaften im Reiche besitzen. Der Name dieses gelehrten und frommen Jünglings war Menrad. Frühe der Eitelkeiten des Lebens überdrüssig, wählte er sich eine Einsiedelei, näher als diese dort an den Ufern des Sees gelegen, über den wir erst kürzlich bei Rapperschwyl setzten. Die Zahl der Neugierigen und Frommen, welche seine Zelle besuchten, belästigten übrigens den heiligen Mann bald so sehr, daß er sich nach sieben Jahren des Gebets an eine klare Quelle zurückzog, die noch in der Nähe jener Kirche fließen muß, und hier wurde auf ausdrückliches Geheiß Hildegardens, einer Dame aus königlichem Geschlecht, welche Aebtissin eines Klosters in der Stadt Zürich war, für ihn eine Klause und eine Kapelle erbaut. Da lebte nun Menrad und starb, von Gnade erfüllt und reichlich durch gottselige Uebungen gesegnet.«

»Vater, nahm er in dieser wilden Gegend ein ruhiges und glückliches Ende?«

»Geistig gesprochen hätte es nicht wünschenswerther seyn können, obschon es, vom weltlichen Standpunkte aus betrachtet, so schlimm als möglich war. Er starb durch die Hand schändlicher Meuchelmörder, denen er Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die Unthat wurde durch zwei Raben enthüllt, welche den Mördern nach Zürich folgten, wo sie ergriffen und hingerichtet wurden – so sagt wenigstens die Ueberlieferung. In späterer Zeit wurde der fromme Menrad durch Benedict VIII. heilig gesprochen, und fast ein halbes Jahrhundert blieb seine Zelle, obgleich sie viele fromme Seelen zum Gebet herbeizog, ohne Bewohner. Zu Ende dieser Periode aber ließ Bruno, ein Chorherr aus dem Hause Burgund, welches damals den größten Theil des Landes nah und fern beherrschte, Klause und Bethaus wiederherstellen, brachte das Bild der gebenedeiten Jungfrau wieder an seinen Ort und weihte sein eigenes Leben der Einsamkeit. Die benachbarten Herren und Edeln trugen dazu bei, den Ort zu begaben, und mehrere fromme Männer vereinigten sich zum Dienste des Altars – von diesem Umstande erhielt das Heiligthum den Namen ›Unsere liebe Frau von den Einsiedlern‹, der noch heutigen Tages die wahre Bezeichnung ist. Du würdest es überdrüssig werden, wenn ich Dir alle die Wunder erzählen wollte, die durch die Kraft ihrer Gebete schon in jener frühen Zeit, als das Kloster noch arm war, gewirkt wurden; aber sein Ruf verbreitete sich bald so weit, daß viele aus der Ferne herkamen, um zu sehen und zu glauben. Im Laufe der Zeit erweiterte sich der Gnadenort zu einer regelmäßigen Gemeinschaft, und die Kirche, die Du dort siehst, birgt in ihrem Schiffe die ursprüngliche Klause, die Kapelle und das Bildniß des heiligen Menrad. Aus der Brüderschaft wurde der heilige Eberhard zum Abt gewählt.«

»Ich hätte gedacht, der Ort besitze höhere Verdienste,« bemerkte Emich; er war augenscheinlich einigermaßen in seinen Erwartungen getäuscht, denn ein schwerer Sünder ist mit einer einfachen Buße ebenso wenig zufrieden, als ein Trinker mit kleinen Zügen.

»Du sollst hören.

Als die Gebäude standen und es nothwendig wurde, den Platz nach den Formen und Gebräuchen der Kirche einzuweihen, wurde der Bischof Conrad von Konstanz eingeladen, das heilige Amt zu verrichten. Jetzt zeigte sich erst die wunderbare Huld des Himmels! Als Konrad von Konstanz in der Mitternacht vor dem für die Feierlichkeit anberaumten Tage mit andern frommen Männern zum Gebete aufstand, hörten sie plötzlich eine himmlische Musik mit dem lieblichsten Engelsgesang. Trotz ihres tiefen Erstaunens blieben sie übrigens doch hinreichend ihrer Vernunft mächtig, um zu entdecken, daß die unsichtbaren Wesen die vorgeschriebene Eidesformel sangen, – ein Amt, das sie selbst einige Stunden später verrichten sollten. Zufrieden mit dieser ausdrücklichen und wunderbaren Kundgebung wollte Konrad einen Dienst nicht wiederholen, der bereits in solcher Weise verrichtet worden war, so daß er nur durch das dringende Geschrei der Unwissenden dazu bewogen werden konnte. Als er jedoch nach einem Zögern von mehreren Stunden im Begriffe war, ihrer Ungeduld nachzugeben, warnte ihn dreimal eine deutliche Stimme, sich einer solchen Lästerung zu enthalten, indem sie ihm zurief: ›Halt inne, Bruder, Deine Kapelle ist durch Gott selbst eingeweiht!‹ Von diesem Augenblicke an steht der Ort in so hoher Achtung, und jede gottesdienstliche Handlung wird dort in einem Heiligthume begangen, das ebenso gesucht ist, als sich an ihm eine besondere Gnadenwirkung ausgesprochen hat.«

Emich bekreuzte sich andächtig, denn er hatte in vollkommenem Glauben und mit tiefer Theilnahme zugehört: in jenem Augenblicke waren die früheren Eindrücke stärker, als die neueren Zweifel.

»Hier ist gut seyn, Vater,« entgegnete er ehrfurchtsvoll. »Ich wünschte, Irmengarde und mein ganzes Haus wären mir zur Seite. Doch kommen nicht auch denen, welche in einer geeigneten Gemüthsstimmung aus weiter Ferne herbeiwallen, Gnadenerweisungen in zeitlichen Gaben oder politischer Auszeichnung zu Gute? Denn wenn ich einmal vor einem so wichtigen Heiligthum erscheine, möchte ich gerne aus der Mühe und den Entbehrungen, durch die ich so glücklich geworden bin, es zu schauen, auch Vortheil ziehen.«

Der Prior schien schmerzlich berührt, denn obgleich er der Legende, welche er eben erzählt hatte, den vollen Glauben schenkte, welchen die Ansichten des Zeitalters forderten, so war er doch zu gut unterrichtet in den wahren Lehren seiner Kirche, um nicht die falsche Richtung in dem Gemüthe seines Begleiters zu bemerken. Die Verlegenheit hatte eine Pause zur Folge, und der Leser mag sich vorstellen, wie die Pilgrime weiter ziehen und andern Personen unserer Erzählung Platz machen.

Ehe wir uns übrigens zu einer andern Gruppe wenden, müssen wir ausdrücklich bemerken, daß wir, indem wir die wunderbare Art, wie die Kapelle ›Unserer lieben Frau von den Einsiedlern‹ eingeweiht wurde, berichteten, – unserem Leser blos die Legende zu geben wünschten, ohne uns für oder gegen die Wirklichkeit der Thatsache Aeußerungen zu erlauben. Es ist bekannt, daß der Glaube an dergleichen übernatürliche Kundgebungen einer göttlichen Gewalt selbst in der Kirche, die am meisten damit begünstigt seyn soll, nicht zu den nothwendigen Dogmen gehört, und man sollte stets eingedenk seyn, daß diejenigen Sekten, welche solche sichtbare und physische Zeichen der Allmacht anfechten, selbst auch Ansichten, freilich von geistigerer Natur unterhalten, die kaum weniger von dem gewöhnlichen Gange der Dinge abweichen. In Fällen, wo nur ein so feiner Unterschied stattfindet und die Wahrheit so schwer ermittelt werden kann, ist es unsere Pflicht, uns auf die vom Volke angenommenen Thatsachen zu beschränken, und in diesem Sinne haben wir auch die Geschichte von Einsiedeln, seiner Abtei und seinem Gnadenbilde gegeben.

Die Ansicht des Pater Arnolph wird an Ort und Stelle auch heute noch getheilt und findet sich namentlich unter den Tausenden, welche jährlich dieses Heiligthum besuchen.

Das Paar, welches unmittelbar auf den Grafen und den Prior folgte, bestand aus Heinrich Frey und dem Schmied, die wir natürlich zunächst über die Bühne gehen lassen müssen.

»Es unterliegt keinem großen Zweifel, oder ich möchte überhaupt beifügen, wie Ihr sagt, gestrenger Herr Bürgermeister – –«

»Bruder Pilger« – unterbrach ihn Heinrich mit einer Jammermiene.

»Ich hätte sagen sollen, gestrenger Bruder Pilger, obgleich der Himmel weiß, daß mir die Vertraulichkeit fast im Halse stecken bleibt! – Aber es ist ganz so wie Ihr sagt: mögen wir uns an Rom halten oder zuletzt in aller Ruhe zu der neuen Lehre des Bruder Luther übergehen, diese Wallfahrt muß uns billigermaßen als verdienstvolles Werk auf Rechnung geschrieben werden; denn seht Ihr, gestrenger Herr Bruder, sie geschieht auf Kosten christlichen Fleisches und Blutes, und sollte daher Gott wohlgefällig seyn ohne viel Rücksicht auf bloße äußere Umstände. Offen gesprochen, ich glaube nicht, daß ein zwölfmonatliches Schwingen des Hammers meinen Füßen so beschwerlich geworden wäre.«

»Habe Erbarmen mit Dir selbst und mit mir, guter Schmied, und denke weniger an dergleichen kleine Leiden. Was der Himmel haben will, muß geschehen, sonst würde sich gewiß ein Mann von Deinen Verdiensten in der Welt schon höher hinauf geschwungen haben.«

»Danke, gestrenger Herr Bruder Pilger und Bürgermeister; ich will mich bemühen, den Gang in Ergebung hinzunehmen, obschon diese spannenden Schmerzen einem Mann von guter Muskulatur und großem Muthe nie zusagen können. Ein Schlag vor den Kopf oder die Kugel einer Arkebuse sind weit weniger unbehaglich, als kleinere Leiden, die kein Ende nehmen wollen. Wenn's mit rechten Dingen zuginge, so müßten Bußübungen, Wallfahrten und andere Sühnmittel der Kirche hauptsächlich den Weibern überlassen bleiben.«

»Wir werden später sehen, wie Luther dies eingerichtet hat; aber da wir einmal zum Besten unserer guten Vaterstadt, unserer eigenen Seelen gar nicht zu gedenken, die Reise unternahmen, so ziemt uns, mannhaft auszuhalten – eine Pflicht, die sich um so leichter erfüllen läßt, da wir jetzt ihr Ende absehen können. Offen gesprochen, Dietrich, ich kann mich nicht erinnern, daß mir ein Benedictinerkloster je so viele Freude gemacht hätte, als das, welches wir am Fuße jenes Berges erblicken!«

»Seyd wohlgemuth, hochedler und vortrefflicher gestrenger Herr Bruder Pilger, die Zeit der Prüfung naht ihrem Ende, und wenn wir so weit her kommen, um unserer eigenen Gemeinschaft diese Ehre zu erweisen – je nun, so ist es nur der Preis dafür, daß wir uns eine andere vom Hals geschafft haben.«

»Du kannst in Wahrheit sagen, ›seyd wohlgemuth‹, Bruder Schmied, denn es handelt sich nur um ein bischen Knieen und ein paar Striemen, die jeder seinem eigenen Rücken versetzt; der Rückweg ist dann natürlich angenehmer, als das Herkommen.«

So sich gegenseitig ermuthigend, humpelte das edle Pilgerpaar weiter, und ihre massenhaften Körper schwankten mit jedem Tritt wie die von überfetten Ochsen, welche nur mit schlechten Hufen versehen sind. Nachdem sie vorübergegangen waren, traten an ihre Stelle die Vier, von denen Gisela und Gottlob einen Theil bildeten. Die Unterhaltung der letzteren war leicht und tändelnd, denn die körperliche Ermüdung hatte nur geringen Einfluß auf die lebensfrohe Schwungkraft solcher Gemüther üben können, namentlich in einem Augenblicke, der ihnen das baldige Ende ihrer Mühe in Aussicht stellte. Nicht so verhielt sich's mit dem nächsten Paare – Ulrika und ihrer Freundin, welche ihres Weges zogen wie Leute, deren Seelen mit schwerem Gram beladen sind.

»Gott ist unter diesen Bergen der Gleiche, wie auf unsern Ebenen, Lottchen!« sagte die erstere in Fortsetzung eines begonnenen Gespräches. »Jener Tempel ist sein Heiligthum, wie es der von Limburg war, und es wäre ebenso eitel, wenn der Mensch sein hier auf Erden vergessen wollte, als wenn er versuchte, zu ihm in jenen Himmel einzudringen, der sein Thron ist! Was er thut, ist weise, und wir wollen uns Mühe geben, uns mit Geduld in seine Schickungen zu fügen.«

Ulrikas Ergebung drückte sich vielleicht mehr in ihren Worten, als in ihrer Miene aus; denn letztere war gedrückt und sorgenvoll, während ihre Stimme fast in Thränen bebte. Aber obgleich ihre Wehmuth tief und augenfällig war, so ließ sich darin doch erkennen, daß der Bußgängerin die Hoffnung noch nicht ganz erstorben war. Die Züge, der Blick und das ganze Benehmen ihrer Freundin dagegen trugen den trüben, verhängnisvollen Stempel eines unheilbaren Grames.

»Gott ist unter diesen Bergen!« wiederholte Lottchen, obschon sie kaum die Worte zu hören schien. »Gott ist unter diesen Bergen!«

»Wir nahen uns jetzt einem viel geschätzten Heiligthum, theures Lottchen. Das hehre Wesen, in dessen Namen es errichtet wurde, wird uns nicht ohne Trost von hinnen ziehen lassen.«

»Wir werden Trost finden, Ulrika!«

»Du hängst hoffnungslos an Deinem Verluste, Lottchen! Wollte Gott, Du dächtest weniger an die Vergangenheit und mehr an die Zukunft!«

Das Lächeln, mit welchem jetzt die Wittwe ihre Freundin anblickte, trug die Spuren tiefen Schmerzes.

»Für mich gibt es keine Zukunft, Ulrika, als das Grab!«

»Theures Lottchen, wir wollen von jenem Heiligthum reden.«

Die innere Aufregung erstickte ihre Stimme.

»Sprich, von was Du willst, meine Freundin,« antwortete die kinderlose Wittwe mit fürchterlicher Ruhe. »Ich sehe keinen Unterschied in den Dingen.«

»Lottchen, auch nicht, wenn wir vom Himmel reden?«

Die Wittwe senkte den ausdruckslosen Blick zur Erde, und sie gingen weiter. In ihre Fußstapfen traten das Thier, welches Ilse ritt, und Metas wankende Schritte.

»Ja – dort ist das Heiligthum unserer lieben Frau von den Einsiedlern!« sagte die Erstere – »ein Gotteshaus voll der unendlichsten Gnadenwirkungen! Nun, der Himmel ist nicht in den Kirchen und Kapellen, und die von Limburg kann man entbehren, um so mehr, weil ihre Mönche nichts weniger als den besten Wandel führten. Sey wohlgemuth, Meta, und denke nicht an Deine müden Füße, denn es gibt in diesem Jammerthale keinen Schmerz, der sich nicht seiner Zeit in Freude oder in eine andere köstliche Gabe umwandelte. Dieß ist die Gerechtigkeit des Himmels, die zuverläßig gleiche Vergeltung üben wird für das Gute wie für das Böse. Gott sey Dank, diese Gewißheit tröstet den Frommen und gibt dem Wankenden Muth.«

Sie redete jedoch zu tauben Ohren. In Metas Antlitz war, wie in Lottchens Zügen, Hoffnungslosigkeit ausgedrückt, obgleich sich bei der Ersteren die Spuren weniger bestimmt und augenfällig zu erkennen gaben. Ihr Auge war unstät, die Wange blaß, der Schritt matt, der Mund preßte sich zuweilen krampfhaft zusammen, und das ganze Wesen des jungen, unschuldigen Geschöpfs schien unter einem frühen, unnatürlichen Grame hinzuwelken. Sie blickte gleichgültig nach dem Kloster hin, obschon sie dort Ruhe für ihre körperliche Erschöpfung hoffen durfte. Das Gebirge stieg in der Nähe dunkel und zackig in die Höhe oder glänzte in der Ferne wie Alabaster, ohne der Pilgerin auch nur einen einzigen Ausruf jenes Entzückens zu entlocken, welches derartige Scenen in einer jugendlichen Brust zu wecken so sehr geeignet sind. Auch das reine Himmelsgewölbe oben war für sie bedeutungslos, obschon es zu einem ruhigeren Daseyn einzuladen schien.

»Ach du mein Himmel!« fuhr Ilse fort, deren Beobachtung sich selten über ihre eigenen Gefühle hinaus erstreckte, und deren Zunge nicht zu ermüden war. – »Ach du mein Himmel, Meta, es muß eine gottlose Welt seyn, daß sie aller dieser Wallfahrten und dieses Brennens bedarf. – Doch sie sind nur die Bilder der Vergangenheit und der Zukunft, Kind, die Bilder von dem, was gewesen ist und was kommen wird. Erstlich ist das ganze Leben nur eine Wallfahrt und ein Bußgang, obschon nur Wenige von uns während ihrer Pilgerfahrt durch das Erdenthal so denken; aber dennoch ist es dies für Alle, namentlich für die vom Glück wenig Begünstigten – und ein Bußgang ist's obend'rein von wegen unserer Leiden und Gebrechen, namentlich im Alter. Und deshalb trage ich's auch wohlgemuth, sintemal man sich einer Buße unterwerfen muß; und das Brennen der Klöster und Dörfer ist nur ein Abbild von dem Brande der Gottlosigkeit. Du antwortest mir nicht, Kind?«

»Glaubst Du, Ilse, daß diejenigen, welche durch das Feuer sterben, selig werden?«

»Von was sprichst Du, Meta? Der arme Berchthold Hintermayer ist, wie Du weißt, in den Flammen von Limburg umgekommen, und ebenso erging es dem Pater Johann und noch einem Anderen, der weit schlimmer war, als sie Beide – oh, ich könnte Geheimnisse enthüllen, wenn ich nicht eine so kluge Zunge hätte! Aber die Weisheit liegt in der Klugheit und ich sage nichts; darum sey still, Meta.«

»Ich werde Dir Folge leisten, Ilse.«

Die Töne des Mädchens zitterten, und das Lächeln, mit welchem sie sich bereitwillig in die Aufforderung der alten Dienerin fügte, war etwa von der Art, wie man es an einem hinsterbenden Kranken bei dem Aufblicke zu einer liebevollen Wärterin findet.

»Du bist gehorsam und das ist ein Verdienst. Nie habe ich Dich so geschmeidig und so wenig aufgelegt zu mädchenhafter Ausgelassenheit gesehen, als eben auf dieser unserer Wallfahrt – ein sicheres Merkzeichen, daß Dein Geist in einer glücklichen Stimmung ist und ganz für die heilige Handlung taugt. Ei da! – der fromme Pater Arnolph hat Halt gemacht, und nun werden wir wahrhaftig die Frucht unserer Mühe bald erndten können. Oh, welchen Führer hättest Du nicht an mir gehabt, wenn ich ein Mönch geworden wäre!.«

Ilse peitschte die Seiten des geduldigen Thieres, das sie ritt, und Meta schleppte sich so gut nach, als es ihre zitternden Glieder gestatteten. Zuletzt kam der Ritter und der Abbé.

»Du hast wohl schon oft derartige fromme Bußgänge gemacht, hochwürdiger Abbé?« bemerkte der Erstere, als sie den Hügel erreicht hatten, von dem aus sie das Kloster überblicken konnten.

»Noch keinen außer diesem; und hätte mich nicht der Zufall zu einem unschuldigen Theilnehmer an der Zerstörung von Limburg gemacht, so wäre mir auch diese Schmach erspart geblieben.«

»Wie? Nennst Du eine Wallfahrt und das Gebet vor einem Heiligthum eine Schmach, – Du, ein Diener der Kirche?«

»Tapferer Ritter, ich spreche mit Dir als mit einem Kameraden, der Einsicht besitzt und mit dem ich von vielen Tagen her, welche uns zum Theil in mühsamer Wallfahrt entschwunden sind, bekannt bin. Du kennst die Beschaffenheit der Welt und die verschiedenen Bestandtheile, aus denen die bürgerliche Gesellschaft zusammengesetzt ist. Wir haben Lehren für alle, aber die Anwendung muß eine Milderung erleiden, gleich den Arzneien für einen Kranken. Die Wallfahrten sind gut genug für den Bauern, den Bürger oder meinetwegen auch noch für den Landedelmann; aber in den großen Städten wird ihr Werth sehr in Zweifel gezogen – es müßte sich denn irgend eine Hoffnung für die Zukunft darein mischen. Bußen für Handlungen übrigens, die bereits vollbracht sind, halten wir für eine Sache, in der mehr geleistet wird, als nöthig ist.«

»Bei meinem Degen, derartige Ansichten waren in Rhodus nicht üblich; denn alle Vorschriften der Kirche wurden dort sehr geachtet und fanden keinen Widerspruch.«

»Dergleichen religiöse Uebungen waren also bei euch an der Tagesordnung, Herr Ritter?«

»Ich will nicht gerade sagen, daß wir ihnen Folge gaben, aber doch wurde ihre Zweckmäßigkeit nie angefochten. Du kennst den Unterschied zwischen der Reinheit einer Lehre und der Art, wie sie sich in der Praxis zu gestalten pflegt, Herr Abbé?«

»Ohne Zweifel. Wollten wir den Edeln eine Beobachtung aller Vorschriften und Anforderungen einer strengen Theorie aufbürden, so müßten zahllose Unbequemlichkeiten daraus entspringen. Wäre es möglich gewesen, unter dem üblen Geruche meines unglücklichen, aber ganz zufälligen Besuchs bei unserem Wirthe, dem Grafen, meinen geistlichen Charakter ohne Unbequemlichkeit beizubehalten, so hätte ich mir für meine Person den letzten Akt des Schauspieles ersparen können.«

»Man raunt sich in die Ohren, Herr Latouche, mein Vetter habe sich's in den Kopf gesetzt, die Anwesenheit eines Dieners der Kirche könnte einen Deckmantel für seine Pläne abgeben; wir hatten also das Vergnügen, Deine angenehme Gesellschaft einer Politik zu danken, die weit tiefer liegt, als ein blos zufälliger Umstand.«

Albrecht von Viederbach lachte, als er auf Emichs List hindeutete, und sein Begleiter, welcher längst bemerkt hatte, wie ganz und gar er der Spielball seines Wirthes gewesen war – denn er hatte in Wahrheit von dem beabsichtigten Angriff zuvor nichts gewußt, – suchte seiner Lage den besten Gesichtspunkt abzugewinnen. Er lachte gleichfalls in der Weise eines Menschen von leichtfertigen Grundsätzen, der sich über einen Unfall, die Folge eines allzufreien Wandels, lustig macht, und so gingen denn die Zwei, sich gegenseitig mit den verschiedenen Rollen neckend, die sie in den letzten Ereignissen gespielt hatten, gemächlich auf die Stelle zu, wo der Prior und Emich, als die Führer des Zugs, jetzt Halt gemacht hatten. Wir wollen diese Gelegenheit zu einigen nothwendigen Erklärungen benützen. In unsrem protestantischem Lande sind wir zu sehr an den Glauben gewöhnt, die Frömmigkeit derer, welche zu der römischen Kirche halten, bestehe vorzugsweise in Aeußerlichkeiten. Wenn man das große Alterthum dieser Kirche und überhaupt die allgemeine Neigung früherer Jahrhunderte, die Formen und Gewohnheiten der nächsten Vorfahren nachzuahmen, in Anschlag bringt, so kann es Niemand wundern, wenn manche Bräuche beibehalten wurden, die weder mit dem apostolischen Vorgang, noch mit den Anforderungen der Vernunft in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die Verbreitung einer abstrakten Wahrheit faßt nicht nothwendig ein Abweichen von Gewohnheiten in sich, die durch das Herkommen Bedeutung gewannen, selbst wenn sie nicht gerade wesentlich zu Erreichung des großen Zweckes selbst beitragen. Wir haben Manches von der Tracht und, den Ceremonien der heidnischen Priester geerbt und behalten es noch in den protestantischen Kirchen bei, da kein hinreichender Grund für deren Verbannung vorhanden ist, so lange sie die Würde des Gottesdienstes unterstützen, ohne seine wahre Absicht zu schwächen. Die Heiden selbst leiteten viele solcher Bräuche von Leuten ab, die man uns als Männer bezeichnet, welche in unmittelbarem Verkehr mit Gott standen und daher der Annahme zufolge am besten wissen mußten, in welcher Weise menschliche Anbetung dem Lenker des Weltalls am angenehmsten war.

In den Vereinigten Staaten ist der Katholicismus in seiner beschränkten und populären Bedeutung nicht mehr katholisch, sofern er in einer so geringen Minderzahl steht, daß er keinen merklichen Einfluß auf die Ansichten und Gebräuche des Landes üben kann. Die äußeren Symbole, die Processionen und alle die eigenthümlichen Ceremonien der römischen Kirche beschränken sich auf die Gotteshäuser, und das Auge trifft selten oder nie außer den Mauern derselben auf ein Merkzeichen ihres Vorhandenseyns. In Europa jedoch ist der Fall ganz anders, besonders in den Ländern, in welchen der geistliche Scepter des Kirchenoberhauptes noch nicht durch zufällige Wechsel, die aus politischen Umwälzungen entstanden, oder durch andere gewaltig wirkende Ursachen unterbrochen wurde. Das Crucifix, die Lanze, der Schwamm, der Hahn und die Nägel sind an den Kreuzstraßen aufgerichtet, und an mancher Quelle, oder auf dem Gipfel irgend eines ermüdenden Berges sieht man Kapellen, die der heiligen Jungfrau geweiht sind, während man die gewöhnlichen Symbole der Erlösung an den Landstraßen zerstreut findet, wo sie etwa die Stelle eines plötzlichen Todesfalles oder den Schauplatz eines Mordes bezeichnen.

In keinem Theil der andern Hemisphäre sind diese Merkzeichen eines gläubigen Eifers gewöhnlicher, als in den katholischen Kantonen der Schweiz. Man findet daselbst unter den zackigen Felsen des Landes noch häufig Einsiedeleien, in deren Nähe man gewöhnlich eine Art kleiner Kapellen sieht, welche gemeinhin »Stationen« genannt werden. Dies sind an den Wegen aufgerichtete Tabernakel, und jeder enthält die bildliche Darstellung eines der zwölf Leiden Christi. Aehnliches bemerkt man an der Seite des Vesuvs, wo sie das herrliche Meer und die Ufer dieses unvergleichlichen Landes überschauen – auf den kahlen Einöden des Apennins oder in prachtvollen Hainen versteckt, wie ihnen der Zufall eben eine Stelle anweisen mochte. In einigen Thälern der Schweiz punktiren diese kleinen Kapellen die Bergabhänge auf große Strecken hin und zeigen durch Zickzacklinien und weiße Mauern den Pfad an, der von einem unten liegenden Dorfe zu irgend einem Heiligthume führt, welches vielleicht auf dem Gipfel eines nackten Felsens oder auf einem Ausläufer der nächsten Gebirgskette steht.

Einsiedeln besaß die gewöhnliche Anzahl derartiger Stationen, welche an dem Wege gebaut waren, der nach dem Zürcher See führte. Die Bilder waren in der gewöhnlichen Weise gehalten und stellten je einen der großen Leidensmomente dar, welche der Kreuzigung vorangingen; auch hatten sie insgesammt Stellen aus den Evangelien, welche die Andacht des frommen Wallfahrers zu heben geeignet waren, zu Inschriften. Hier begannen die Pilger in der Regel die dem Gnadenorte eigenthümliche Gottesverehrung, und eine dieser Stellen war es auch, wo der Prior seine Begleiter erwartete.



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