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»Was war ich für ein siebenfacher Esel,
Den Saufbold da für einen Gott zu halten!«
Kaliban.
Physische Eigenschaften werden stets im Verhältniß des Werthes angeschlagen, welchen man den rein geistigen beilegt. So lange Macht und Ehre von dem Besitz roher Gewalt abhängen, sind körperliche Kraft und Behendigkeit Gaben von großer Wichtigkeit – nach demselben Grundsatze, der in einer Seiltänzerbande dem geschicktesten Springer die größere Bedeutung verleiht; und wer je Gelegenheit hatte, mit den tapferen und – ohne Scheu sey es gesagt – edlen Wilden des amerikanischen Continents zu verkehren, muß auch bemerkt haben, daß sie an einem Krieger den kräftigen Körperbau für das erste Erforderniß halten, während ihre Redner in der Regel einer Classe angehören, welche ihre Kunst nur in Ermangelung jener Eigenschaften ausbildet, die der öffentlichen Meinung zufolge noch höher stehen. Es ist ein denkwürdiges Aktenstück vorhanden, welches den Beweis liefert, wie weit sogar ihre Nachfolger – ein Volk, dem es keineswegs an Verstandesschärfe gebricht – sich einem ähnlichen Einflusse hingaben. Wir meinen damit ein Register, das während der kurzen Periode, welche der Unabhängigkeits-Anerkennung vorausging, über die Muskel- und Sehnenkraft der Häuptlinge von Washingtons Armee aufgenommen wurde. Aus diesem Aktenstücke scheint hervorzugehen, daß unsere Väter, als sie in so seltsamer Weise ihre Führer wählten, sich einigermaßen die Thiere zum Muster nahmen – ein Umstand, welchen wir wohl der Verehrung zuschreiben müssen, welche der Mensch instinctartig der physischen Vollkommenheit zollt, bis ihn bessere Bildung und Erfahrung mit dem Vorhandensein höherer Kräfte bekannt gemacht haben. Die ersten Eindrücke werden fast immer durch die Sinne eingenommen, und die Verwandtschaft von kriegerischer Tapferkeit und thierischer Stärke scheint so natürlich, daß es uns nicht wundern darf, wenn ein friedliches, unerfahrenes Volk in seiner Einfalt einige Rücksicht auf die Außenseite nahm. Glücklicher Weise fügte sich's übrigens, daß der redliche Eifer, welcher in unseren Reihen so allgemein herrschte, selbst in Lagen, wo geistige Gewalt besser am Ort gewesen wäre, den Sieg errang. Der Vorzug, welchen man im 16ten Jahrhundert allen männlichen oder körperlichen Eigenschaften zuerkannte, war der Grund, daß man die Menschen sogar um ihrer Ausschweifungen willen lobte, und wer am längsten dem Einflusse des Weines Stand halten konnte, galt im beschränkteren Sinne ebensosehr als ein Held, wie derjenige, welcher die schwerste Keule schwang oder in in der Schlacht die Kanone am sichersten richtete. Die Schlemmerei, welcher sich bei der erwähnten Gelegenheit der Abt von Limburg und sein Nachbar Emich von Leiningen hingaben, war daher keineswegs ungewöhnlich; denn in einem Lande, in welchem die Oberhäupter der Kirche so manche andere zweideutig Rolle spielten, konnte es nicht überraschen, wenn sich einer oder der andere geistliche Würdenträger bereitwillig zeigte, auf einen Kampf einzugehen, welcher, obschon er wenig Gefahr im Gefolge hatte, dennoch bei dem Adel sehr in Gunsten stand.
Der Leser hat bereits bemerkt, daß der glorreiche Wettstreit, welchen zu berichten unsere Pflicht fordert, schon bedeutende Fortschritte gemacht hatte, selbst ehe noch der Gegenstand desselben unter den feindlichen Parteien förmlich festgestellt worden war. Die Mönche kannten jedoch den Beweggrund des Kampfes, und waren, als sie in's Feld rückten, in jeder Hinsicht darauf vorbereitet, den Ruf ihrer alten, gastfreundlichen Brüderschaft aufrecht zu erhalten, während der Graf von Leiningen in finsterer Zuversicht auf seine eigene Kraft und noch zugäblich gespornt durch seine Verachtung gegen Pfaffentrug, seinen Hülfstruppen gegenüber eine ähnliche Vorsicht verabsäumt hatte. Es ist kaum nöthig beizufügen, daß der Abbé und der Johanniter bereits schon ziemlich lärmend gewesen waren, noch ehe sie völlig die Natur des Dienstes kannten, der von ihren Händen, oder wie wir vielmehr sagen sollten, von ihren Köpfen erwartet wurde. Nachdem wir dieß vorausgeschickt haben, wollen wir in unserer Erzählung fortfahren, und den Faden derselben zwei Stunden nach der Zeit, da wir ihn fallen ließen, wieder aufnehmen.
Nachdem der Kampf so weit gediehen war, fühlten sich die Väter Siegfried und Kuno von ihren Anstrengungen bedeutend erhitzt, und die gewohnte, tiefe Achtung gegen den Abt wich allmählig dem schnelleren Kreisen ihres Blutes. Die Augen des ersteren glänzten in einer Art Kanzelwildheit, denn er stritt sich voll glühenden Eifers über einen Controverspunkt mit Albrecht von Viederbach, dessen Fassungskraft unter seinen Libationen rasch zu verdunsten schien. Der andere Mönch und der Abbé mengten sich von Zeit zu Zeit als Sekundanten in den Wortwechsel, während die beiden am meisten betheiligten Personen vorsichtig ihre Kräfte zusammenhielten und sich gegenseitig finstere Blicke zuwarfen, nach der Weise von Männern, welche wissen, daß von keinem mäßigen Scherze die Rede ist.
»Sey's mit Deinen Erzählungen von L'Isle Adam und der Ottomannenmacht, wie es wolle,« fuhr Pater Siegfrid fort, sein Gespräch von einem Punkte aus verfolgend, über den zurückzugehen wir für unnöthig halten; »den Damen an unsern deutschen Höfen läßt sich etwas der Art wohl erzählen, denn die Reise zwischen dem Rheinthal und der Insel Rhodus ist weit – auch dürften sich nur wenige geneigt zeigen, sie zu machen, um eure Oberhäupter der Nachlässigkeit und ihre geschworenen Jünger des Vergessens ihrer Gelübde zu überweisen.«
»Bei der Ehre meines Ordens, hochwürdiger Benedictiner, Du erlaubst Dir sehr ungebührliche Worte. Ist es nicht genug, daß die Auserlesensten und Edelsten Europa's Leib und Seele einem Dienste weihen, der weit besser für Deinen schläfrigen Orden paßte – daß Alles, was edel und tapfer ist, die grünen Gefilde und die lieblichen Ströme der Heimath verläßt, um unter Afrika's glühender Sonne und schwülen Winden die Ungläubigen in Schranken zu halten – müssen wir auch noch mit derartigem Gefasel verhöhnt werden? Geh hin und vergleiche die Gräber mit der Zahl der noch Lebenden, wenn Du erfahren willst, wie mannhaft unser erlauchter Großmeister gegen Soliman Stand hielt und wie sich seine Ritter im Dienste benahmen.«
»Es würde Dir nicht sonderlich zusagen, wenn ich Dich in's Fegfeuer gehen hieße, damit Du Dich daselbst nach den Früchten unserer Messen und Gebete erkundigtest, und doch ließe sich das eine eben so gut ausführen, wie das andere. Du weißt wohl, daß Rhodus keine christliche Insel mehr ist, und Niemand, der das Kreuz trägt, sich an seinen Ufern blicken lassen darf. Geh, Graf Albrecht, Dein Orden ist zu Unehren gekommen und soll sich nur hinter Nicaeas Schneebergen versteckt halten; es ist immer besser so, als daß er sich in den Vorderreihen der Christenheit breit macht. Jedes alte Weib beklagt in Deutschland die Ausartung eines Ordens, der ehedem so geschätzt war, und jede Jungfrau spricht mit Geringschätzung von seinen Thaten!«
»O himmlische Geduld! Hörst Du dies, Monsieur Latouche! – Und noch obendrein aus dem Munde eines näselnden Benedictiners, der hier im Herzen der Pfalz seine Tage hinter sicheren Steinmauern verbringt und Nachts in seiner warmen Decke nicht einmal das Rauschen des Windes vernimmt, wenn er nicht etwa gerade dem frommen Weibe eines Gläubigen einen mitternächtlichen Liebesdienst zu erweisen hat!«
»Junger Mensch, erfrechst Du Dich, die Kirche zu lästern und ihren Zorn herauszufordern?« fragte Bonifacius mit einer Donnerstimme.
»Hochwürdiger Abt,« antwortete Albrecht, ein Kreuz schlagend – denn Klugheit und Angewöhnung hielten auch ihn im Banne der herrschenden Autorität des Jahrhunderts, »das Wenige, was ich mir zu sagen erlaubte, ist mehr auf den Mann als auf sein Kleid gemünzt.«
»Mag er immerhin sprechen, was ihm gut dünkt –« nahm der verschmitzte Siegfried das Wort. »Ist ein Johanniter nicht ein jungfräuliches Wesen und sollten wir ihm das Recht der Rede verweigern?«
»Am Hofe des ritterlichen Valois,« bemerkte der Abbé, welcher zu Erhaltung des Friedens eine Vermittelung für nöthig erachtete, »ist man der Ansicht, bei der Vertheidigung von Rhodus sei große Tapferkeit entwickelt worden, und nur wenige überlebten sie, denen von christlichen Händen nicht hohe Ehren zu Theil wurden. Mir haben in den angesehensten Häusern von Paris, wie auch in dem heiteren Schloß Fontaine-bleau eine große Anzahl dieser tapfern Ritter unter uns gesehen, und Du darfst mir glauben, daß nicht leicht Jemand mehr Auszeichnung zu Theil wurde. Sogar die Narben, welche bei Marignano und Pavia geholt wurden, werden weniger hoch angeschlagen, als diejenigen, welche von den Waffen der Ungläubigen herrühren.«
»Du thust wohl, mein gelehrter und entsagender Bruder,« antwortete Siegfried mit einem höhnischen Lächeln, »uns an die Schlacht von Pavia und an Deines großen Herrn gegenwärtigen Aufenthalt zu erinnern. Sind in letzter Zeit Nachrichten von Castilien angelangt, oder ist es vielleicht Deinem Fürsten nicht einmal gestattet, Couriere nach seiner eigenen Hauptstadt zu schicken?«
»Deine Anspielungen sind sehr unzart, hochwürdiger Mönch, und Du vergißest, daß wir beide nicht weniger Diener der Kirche sind, als Du.«
»Dich zählen wir nicht mit, und den andern eben so wenig. Heiliger Märtyrer Petrus, was würde aus Deinen Schlüsseln werden, wenn man die Behütung derselben solchen Händen anvertrauen wollte! – Geh und thue Deinen eiteln Prunk von Dir, lege dieses Sammetkleid ab, wenn Du als zur Herde gehörig betrachtet werden willst.«
»Herr Latouche,« rief Emich, der zwar vor Unmuth kochte, aber noch immer seine Fassung bewahrte, um die Becher kreisen zu lassen und Sorge dafür tragen zu können. daß jeder im Kampfe seine Schuldigkeit thue – »erzähle ihm von seinem Bruder in Wittenberg und von dem sonstigen Gähren im Bienenstocke. Stoße ihm diesen Dorn in die Rippen und Du wirst ihn zurückprallen sehen wie eine abgehetzte und gedrückte Mähre unter dem Stachel des Sporns. – Wer bist Du, und warum störst Du unser Vergnügen?«
Diese plötzliche Unterbrechung der eigenen Rede galt einem sauber, aber anspruchlos gekleideten Jünglinge, welcher eben erst in den Bankettsaal getreten war, an dem Diener, der auf den Wink seines Gebieters die Gläser füllte, vorbeiging und mit fester, achtungsvoller Miene an der Seite des Grafen stehen blieb.
»Es ist Berchthold, der Förster Eurer Gnaden. Ich wurde aufgefordert, Eurem Befehle gemäß vor Euch zu erscheinen, edler Graf.«
»Du bist eben in rechter Zeit gekommen, um Frieden zu stiften zwischen einem geschworenen Ritter von Rhodus und einem geschwätzigen Mönche von Limburg. Der hochwürdige Herr Abt hat den Wunsch geäußert, Dich zu sehen, Junge.«
Berchthold verbeugte sich achtungsvoll und wandte sich an den Prälaten.
»Du bist wohl die Waise unseres alten Lehensmannes, der Deinen Namen trug und unter den Bürgern Dürkheims in guter Achtung stand.«
»Ich bin der Sohn dessen, den Euer Hochwürden meint, muß übrigens in Abrede ziehen, daß er je der Lehensmann eines Limburgers war.«
»Brav geantwortet, Junge,« rief Emich, mit seiner Faust auf den Tisch schlagend, daß Alles darauf in Trümmer zu gehen drohte – »ja, und wie es einem Dienstmann Deines Herrn gebührt! – Hast Du genug, Vater Bonifacius, oder willst Du den Burschen noch schärfer aus dem Gewissen fragen?«
»Der junge Mensch ist dazu erzogen, seine gegenwärtige gemächliche Lage zu schätzen,« versetzte der Abt, indem er sich anstellte, als betrachte er die Schadenfreude des Grafen und den Mangel an Achtung von Seiten des Försters nur mit Gleichgültigkeit. »Wenn er das nächstemal in unseren Beichtstuhl kommt, wird sich Gelegenheit geben, ihn eines Anderen zu belehren.«
»Gott verhüte, daß diese Stunde je komme. Wir sind halb und halb Willens, in unseren Sünden fortzuleben und es in diesen unruhigen Zeiten mit dem Soldatengeschicke zu versuchen, welches stets dem Auge einen plötzlichen Tod vergegenwärtigt, ohne daß man dafür den Paß der Kirche einholen könnte. Wir haben uns schon so ziemlich darauf gefaßt gemacht – ist's nicht so, wackerer Berchthold?« –
Der Jüngling verbeugte sich achtungsvoll, ohne jedoch zu antworten, denn er entnahm aus den glühenden Gesichtern und den schwimmenden Augen sämmtlicher Zecher, daß in einem solchen Augenblicke jede Erklärung fruchtlos seyn würde. Wäre über die Natur der Scene überhaupt noch ein Zweifel möglich gewesen, so hätte er sich durch die Art aufklären müssen, wie auf das Geheiß des Schenken Glas um Glas ausgeleert wurde. Soweit indeß Vater Bonifacius in Gemeinschaft mit den anderen Gästen bereits in der Trunkenheit vorgeschritten war, so besaß er doch noch ein zureichend klares Fassungsvermögen, um zu bemerken, daß Emichs Worte einen gefährlich ketzerischen Sinn bargen.
»Du bist also entschlossen, unseren Rath und unsere Warnungen zu verschmähen!« rief er, einen wilden Blick von dem Förster nach dem Grafen hingleiten lassend. »So sage es lieber unverhohlen heraus, daß Du es gerne sehen würdest, wenn die Mauern der Limburger Abtei zertrümmert im Thale lägen, statt auf der Höhe zu stehen.«
»Nicht doch, hochwürdiger und geehrter Priester, Du legst allzuviel in ein Paar übereilte Worte. Was kann es auch einem Grafen aus dem edeln Hause Leiningen verschlagen, wenn auf Kanonenschußweite von seinen Thürmen einige Mönche unter einem geweihten Dache Schutz für ihre Häupter und Ruhe für ihre Seelen finden? Fallen Deine Mauern nicht früher ein, als bis meine Hand sie einstürzen hilft, so mögen sie immerhin stehen bleiben, bis der gefallene Engel, der sie erbaute, sein eigen Machwerk wieder zusammenreißt. In der That, Vater Bonifacius, die Mähr von dem Ursprunge Deines Heiligthums verleiht einer gottseligen Gemeinschaft nicht das beste Herkunftszeugniß.«
»Hört ihr's?« sprudelte Albrecht von Viederbach, der jetzt nicht länger im Stande war deutlich zu sprechen, obschon seine Zunge bisher eine Art unregelmäßiger Begleitung zu den Reden seines Verwandten gebildet hatte – »hört ihr's, ihr Pfropfreiser des heiligen Benedict? Der Teufel hat Euch auf die Beine geholfen, und der Teufel wird euch zu Falle bringen. L'Isle Adam ist ein Heiliger gegen eure Heiligsten, und sein – gutes – Schwerdt –«
Mit diesen Worten unterlag der Ritter von Rhodus, denn er verlor mitten in einer lebhaften Geberde das Gleichgewicht und purzelte geradezu unter den Tisch. Ein spöttisches Lächeln überflog das Gesicht des Abts, als er einen seiner Gegner stürzen sah; Emich aber furchte verächtlich die Stirne über die unedle Schaustellung seines Vetters, der, weil er nicht mehr aufzustehen vermochte, sich darein ergab, auf dem Platze einzuschlafen, wo er gefallen war.
»Schlucke Deinen Rheinwein, Mönch, und zähle nicht auf den geringen Vortheil, den Du in der Niederlage dieses plauderhaften Thoren gewonnen hast,« sprach der Wirth, dessen Ton immer grämlicher wurde, je näher die Crisis herankam. »Doch um auf einen passenderen Gegenstand zu kommen – Berchthold ist seines Herrn würdig und trotz seiner Jugend ein Bursche, der von einer Sache denkt, wie sie erscheint. Du weißt, wir können Deine Beichtstühle aus verschiedenen Gründen verlassen. Da ist z. B. der Mönch von Erfurt – ha, was hältst Du von seiner neuen Lehre und der Art, wie er die Gläubigen an den Altar kommen heißt? Ihr habt ihn zu Rom, zu Worms und in vielen euren Concilien gehabt, und doch steht der ehrliche Mann fest in der guten Meinung aller Vernünftigen. Du hast doch auch schon von Luther gehört, junger Berchthold?«
»Wahrhaftig, mein Herr Graf, es gibt nur Wenige in dem Jägerthal, welche nicht von diesem Namen schon vernommen hätten.«
»Dann stehen sie in Gefahr, der verdammungswürdigsten Ketzerei anheim zu fallen!« unterbrach ihn Bonifacius mit einer Donnerstimme. »Warum schwatzest Du mir von diesem Erfurter Faseler vor, Graf Emich, wenn nicht im Geheim Deine Gebete dahin gerichtet sind, daß seine rebellischen Wünsche auf Kosten der Kirche Fortgang haben möchten? Aber wir wollen Dich auf's Kerbholz nehmen, pflichtvergessener Graf, damit wir Dir derartige kitzelnde Vorstellungen durch schwere und nachdrückliche Bußübungen vertreiben mögen –«
Der von Wein und Zorn glühende Abt hielt jetzt inne, denn im nämlichen Augenblicke stürzte der schweigsame Vater Cuno, gleich einem Soldaten, den in der Schlacht ein Schuß getroffen hat, von seinem Sitze herunter. Das einfache Mönchlein hatte sich der Kopfprobe mehr aus Liebhaberei für den edlen Saft, als mit Rücksichtnahme auf den Sieg angeschlossen, folglich auch dem Humpen so reichlich zugesprochen, daß er vor dem gemeinsamen Feinde als leichtes Opfer fiel. Der Abt blickte auf seinen ausgestreckten Untergebenen mit grimmiger Kälte nieder und bekundete durch den finsteren, zürnenden Blick seines Auges, daß er diesen Verlust in Beziehung auf das Endergebniß nicht sonderlich hoch anschlug.
»Was liegt an der Ohnmacht eines Thoren!« murmelte er, indem er sich mit einer vollen Ladung von Galle wieder an seinen allein gefährlichen Hauptgegner wandte. – »Wir wissen wohl, daß es den Teufeln gestattet ist, sich eines augenblicklichen, scheinbaren Triumphes zu erfreuen, Freiherr von Hartenburg –«
»Bei den Gebeinen meines Vaters, stolzer Priester, Du vergissest Dich seltsam. Bin ich nicht ein Fürst von Leiningen, und soll ein Kuttenträger nach Belieben mich geringer tituliren können?«
»Ich hätte Sommerlandgraf sagen sollen!« antwortete Bonifacius höhnend, denn der lange gedämpfte Haß begann nun die schwachen Schranken zu durchbrechen, welche ihre unsteten Geistesvermögen noch aufrecht zu halten versuchten. »Ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung, aber kurzes Regiment hinterläßt kurze Erinnerungen. Selbst Deinen Unterthanen dürfte es nicht allzu hoch anzurechnen seyn, erlauchter Emich, wenn sie den Titel ihres Herrn nicht kennten; denn ein Krönlein, das man eben nur vom Juni bis zum September trägt, kann sich kaum dem Kopfe anpassen.«
»Es wurde länger getragen, Abt, als je Dein Kopf durch eine heiligen Krone geschmückt seyn wird. Doch ich vergesse die Würde meines alten Hauses und die Nachsicht, die ich einem Gaste schuldig bin, in meinem ehrlichen Zorne über einen hinterlistigen, boshaften Mönch.«
Bonifacius verbeugte sich mit scheinbarer Fassung, und während beide in einem unstäten Rückblick auf das wahre Sachverhalten des obschwebenden Streites ihre Mäßigung wieder zu gewinnen suchten, wurde das Gespräch zwischen dem Abbé und Pater Siegfried aufs Neue vernehmlich, da es bisher durch die Stentor-Lungen der Hauptkämpfer übertönt worden war.
»Du hast Recht, hochwürdiger Pater,« sagte der erstere, »aber wenn unsere schönen und lebenslustigen französischen Damen zu den fernen Heiligthümern, von welchen Du sprichst, wallfahrten wollten, so würden rauhe Behandlung unterwegs, schlechte Gesellschaft und vielleicht auch hinterlistige Beichtväter den Glanz ihrer Anmuth beflecken, so daß sie nicht mehr als die lieblichen Zierden unseres prunkvollen, ritterlichen Hofes auftreten könnten, die sie gegenwärtig sind. Nein, ich will nichts von gefährlichen Ansichten wissen, sondern mir lieber Mühe geben, durch sanften Zuspruch und artige Beweisführung ihre kostbaren Seelen dem Himmel näher zu führen, den sie so wohl verdienen, und dem sie, wie ich wohl ohne Frivolität sagen kann, zu einem so seltenen Schmuck gereichen werden.«
»Das mag meinetwegen bei der schwindelköpfigen Phantasie Deiner Franzosen angehen, aber unsere trägeren deutschen Gemüther müssen anders behandelt werden. Bei der Messe, ich gebe wenig auf die Wirksamkeit eines Beichtvaters, der nur mit sanftem, geschmeidigem Zuspruch kommen will. Wir brauchen da und dort einen kräftigen Wink über die ewige Verdammniß, der in deutlicher, kernhafter Sprache hingeworfen werden muß.«
»Ich verwerfe keinen Gebrauch, der sich begründen läßt, Pater Benedictiner, aber in Wahrheit, eine so unmittelbare Hinweisung auf die Verdammniß würde unserer gebildeteren Zuhörerschaft sehr unanständig erscheinen. Außerdem wirst Du mir zugeben, daß wir bis jetzt weit weniger von Ketzerei angesteckt sind, als Deine nordischen Höfe.«
Hier übertönte die tiefe Stimme des Grafen, welcher seine Fassung wieder ein wenig gewonnen hatte, das Zwischenspiel der untergeordneten Personen.
»Wir sind keine Kinder, hochwürdiger Bonifacius,« nahm er wieder auf, »um uns mit Namen in Harnisch zu jagen. Daß man mir die Ehren und Rechte meiner Geburt und Familie verweigert hat, weil meine Abstammung nicht in gerader Linie stattgefunden, ist freilich wahr, aber wir wollen dies vergessen. Du bist willkommen an meiner Tafel, und es gibt keinen Würdenträger der Kirche oder Deines Ordens, den ich auf scharfe Rittweite von diesen Thürmen mehr schätzte, als Dich und die Deinigen. So laß uns denn Freunde seyn, heiliger Abt, und auf unsere nachbarliche Liebe das Glas leeren.«
»Graf Emich, ich thue Dir Bescheid und bete für Dich, wie Du es verdienst. Wenn zwischen unsrem Kloster und Deinem Hause Mißverständnisse vorfielen, so kommen sie auf Rechnung eines zwietrachtsäenden Teufels. Wir sind eine friedliche Gemeinschaft und geben uns mehr mit Gebet und den Pflichten der Gastfreundschaft ab, als mit dem gierigen Wunsche, unsere Truhen zu bereichern.«
»Bei diesen Punkten wollen wir nicht weiter verweilen, Vater, denn es wird dem Ritter wie dem Abte, dem Laien wie dem Priester nicht leicht, zu allen Zeiten mit gleichen Augen zu sehen. Wenn nur einmal die Frage über die Oberherrlichkeit in Dürkheim ausgeglichen wäre, daß wir doch im Thal stets gute Nachbarschaft halten könnten! Unsere Berge schließen keinen so weiten Raum ein, wie die am Rheine – warum sollten wir daher das Bischen ebenes Land in ein Schlachtfeld verwandeln? Bei der Messe, sehr heiliger Abt, Du würdest gut thun, die Truppen des Churfürsten zu entlassen und die Sache einem gütlichen, freundlichen Vergleich zwischen uns anheim zu geben.«
»Und wäre es das letzte Gebet, das ich spräche, eh' ich zum Genuß eines selbstverleugnenden und heiligen Lebens eingienge, fürstlicher Emich, so sollte es Deinem Wunsche nicht an Unterstützung fehlen. Haben wir uns nicht oft bereit gezeigt, die Frage dem heiligen Vater oder einer sonstigen hohen Kirchenbehörde, die füglicherweise von einem so schwierigen Punkte Kenntniß nehmen kann, vorzulegen? Ein weniger hochstehendes Schiedsgericht würde kaum unserer apostolischen Sendung ziemen.«
»Bei Gottes Wahrheit, mein Herr Wilhelm, Du bist doch zu gierig für Diejenigen, welche ihr Fleisch kasteien sollten! Ist es auch am Orte, frage ich, daß ein hübsches Häuflein mannhafter und fleißiger Bürger am Tage der Schlacht, in Freud und Leid, in Schlecht und Recht von Glatzköpfen angeführt werden sollen wie eben so viele armselige Weiber, die nach einem Leben voll Müßiggang, Eitelkeit, Klatschsucht und Verleumdung nichts Besseres hoffen können, als die Sünden ihres Geschlechts durch eine Mönchskutte gedeckt zu sehen? Verzichte daher immerhin auf Deine Ansprüche an Dürkheim auf gewisse andere Rechte, die Du vielleicht auf dem Papiere hast, und sogar die Heiligen im Paradies sollen in keiner schöneren Harmonie zusammenleben, als wir in dem Jägerthal.«
»In der That, Graf Emich, sind die Mittel, uns für den von Dir genannten himmlischen Zustand zuzustutzen, nicht vergessen geblieben, sintemal Du seit so vielen Jahren das Thal zu einem Fegfeuer gemacht hast –«
»Bei der Messe, Priester, Du überschreitest in Deinen Bemerkungen schon wieder die Grenzen der Bescheidenheit. Was hab' ich denn irgend gethan, um das Lästern der ganzen Umgegend zu verdienen, als daß ich auf mein eigenes Interesse Bedacht nahm? Hast Du nicht die Thore Deiner Abtei unchristlichen Bewaffneten geöffnet – werden nicht Deine Ohren stündlich durch rohe Flüche und Deine Augen durch Scenen verletzt, die sich gar übel für eine heilige Stätte ziemen? Ja, damit Du nicht glaubest, ich sey über Deine geheimen Absichten so ganz im Irrthum – liegen nicht die bewaffneten Banden des Churfürsten diesen Augenblick in Deinem Kloster auf der Lauer?«
»Wir sind nur behutsam in Betreff unserer Rechte und der Ehre der Kirche,« antwortete Bonifacius, der sich keine Mühe gab, das verächtliche Lächeln zu verbergen, das durch diese Frage hervorgerufen wurde.
»Glaube mir, Abt von Limburg, weit entfernt, ein Feind unsrer heiligen Religion zu seyn, bin ich vielmehr ihr geschworner Freund. Wenn dies nicht der Fall wäre, hätte ich mich längst den Proselyten jenes Bruders Luther angeschlossen und offen meine Leute gegen Dich anrücken lassen.«
»Das würde immerhin besser seyn, als bei Tag an unsern Altären zu beten, und Nachts über den Umsturz derselben Anschläge zu schmieden.«
»Ich schwöre es bei dem Leben des Kaisers, daß Du mich zu weit treibst, stolzer Priester.«
Der Lärm, welchen jetzt der Abbé und Pater Siegfried erhoben, veranlaßte die beiden Hauptsprecher, ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick den untergeordneten Streitern zuzuwenden. Nach einer ursprünglich höflichen Verhandlung war der Gegenstand der Debatte nachgerade so verwirrt und hitzig geworden, daß die Disputanten ihre Stimmen nach Kräften erhoben, beiderseits vergeblich bemüht, den Gegner zu überschreien. Monsieur Latouche übrigens, der während der Schlemmerei nur durch Betrug seinen Platz so lange hatte behaupten können, konnte einem so rohen Angriffe nicht lange Stand halten; mit wirbelnden Sinnen wankte er nach einem Polstersitz, wo er unter wilden Gestikulationen bald seiner ganzen Länge nach niedersank, ohne den Kopf wieder aufrichten zu können. Pater Siegfried feierte den Rückzug seines quecksilbernen Feindes mit einem jubelnden Grinsen und erhob dann ein wildes Freudengeschrei, das, weil es aus denselben Lungen kam, welche noch am nämlichen Tage zur Ehre Gottes gesungen hatten – den jungen Berchthold entsetzt zusammenschaudern ließ. Indeß zeugte der gläserne Blick und das erdfahle Gesicht des Mönchs dafür, daß er nicht im Stande war, weiter zu leisten. Er stierte mit dem unsteten, blödsinnigen Ausdrucke eines Trunkenen um sich her, drückte sich in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen zu einem tiefen Schlafe, wie ihn die Natur nur ungerne denjenigen zu Theil werden läßt, welche ihre Gaben mißbrauchen.
Der Abt und der Graf sahen in finsterem Schweigen mit an, wie ihre beiderseitigen Sekundanten in dieser Weise hors de combat gesetzt wurden. Ihre steigende Wärme und der Groll, der durch die Erwähnung ihrer verschiedenen Beschwerdegründe geweckt worden war, hatten unmerklich Beider Aufmerksamkeit von dem Fortgange des Wettstreites abgelenkt; aber jetzt wurde ihnen die Natur desselben, nebst den daran sich knüpfenden Folgen, wieder einigermaßen klar. Dieser Rückblick diente dazu, beide wieder etwas gelassener zu machen, denn sie waren in derartigen Scenen zu gut bewandert, um nicht zu begreifen, wie werthvoll Geistesgegenwart ist, wenn es gilt, seine Sinne beisammen zu halten.
»Unser Bruder Siegfrid ist der Schwäche der Natur erlegen, edler Emich,« nahm Bonifacius mit einem so geschmeidigen Lächeln wieder auf, als sein rothes Gesicht und die erhitzten Augen es gestatten wollten. »Das Fleisch eines Priesters kann nicht mehr aushalten, als das eines Laien, sonst würde er alle seine Flaschen bis auf den letzten Tropfen geleert haben; denn eine bessere Absicht hat nie ein dankbares Herz erfüllt, wenn sich's darum handelte, den Gaben der Vorsehung Ehre anzuthun.«
»Ha, du rechtfertigst Deine Schlemmereien mit einer Spitzfindigkeit, Herr Abt, während wir Männer vom Schwerdt heute Nacht sündigen und morgen um Vergebung bitten, ohne daß wir dazu einen andern Vorwand nehmen, als unser Belieben. Aber die Mönchskapuze ist eine Maske, und wer sie trägt, glaubt Maskenrecht zu haben. Ich möchte nur, bis auf Einen Schnürleib hinaus, die Zahl der Bürgerweiber kennen, die Du seit dem Frohnleichnam im Beichtstuhl gehabt hast.«
»Scherze nicht mit den Geheimnissen des Sakraments, Graf Emich, denn der Gegenstand ist zu heilig für ungeweihte Zungen. Ich kenne Größere als Du, die dafür zu schwerer Bußübung verurtheilt wurden.«
»Verkenne mich nicht, heiliger Abt,« entgegnete der Graf unter einer hastigen Bekreuzung; »aber es gibt dreiste Schwätzer, welche behaupten, daß die Dürkheimer in Betreff dieses Punktes gar nicht zufrieden seyen, und ich halte es für Freundespflicht, Dir die Beschuldigungen Deiner Feinde mitzutheilen. Unsere deutschen Mönche stehen zur Zeit in nicht geringer Gefahr, denn in Wahrheit, Dein Erfurter Bruder ist in seinem Geschrei gegen Rom kein Faseler.«
Das Auge des Abtes schoß Blitze, denn Niemand ist so bereit, Angriffen auf vermeintliche Rechte zu begegnen, oder so ungestüm in Erwiederung derselben, als Diejenigen, welche sich lange eines Alleinbesitzes erfreuen durften, wie gebrechlich und ungerecht auch ihre Ansprüche seyn mochten.
»In Deinem Herzen hältst Du es doch mit dieser Ketzerei, hoher Emich!« sagte er. »Sieh Dich vor, ehe Du das Gewicht Deines Beispiels und Deines Namens gegen die Gebote Gottes und das Ansehen der Kirche in die Wagschaale legst. Was diesen Luther betrifft, so ist er ein abtrünniger Elender, den unruhiger Ehrgeiz und unkeusche Glut für eine eingekleidete, aber irregeführte Nonne zum Aufruhr getrieben haben. Die Teufel freuen sich seines schändlichen Treibens, und die Kobolde der Finsterniß stehen bereit, über seinen baldigen unabwendbaren Fall zu jubiliren.«
»Bei der Messe, Vater, einem einfachen Kriegsmann scheint es besser, die Schwester ehrlich als Weib heimzuführen, als in Dürkheim all dies Aergerniß zu geben und anderweitig in den schönen Ebenen der Pfalz den Hausfrieden so mannigfaltig zu stören. Wenn Bruder Luther nicht mehr gethan hat, als Du da sagst, so hat er den Teufel säuberlich hinter's Licht geführt, geradeso wie vor Zeiten Dein Orden, als er den bösen Geist dung, an dem Bau der Kapelle mitzuhelfen, und ihn dann ohne sonderliche Rücksicht auf die Verpflichtungen eines Schuldners ohne einen Heller von hinnen schickte.«
»Wie, Emich, wenn man die Sache untersucht, so stellt sich am Ende heraus, daß Du an dieses einfältige Mährlein glaubst?«
»Wenn ihr den Teufel nicht überlistet habt, Priester, so geschah es nur, weil er klug genug war, sich nicht in einen Handel mit Leuten einlassen zu wollen, deren überlegene List er kannte. Bei der Ruthe Aarons, es gehört ein kühner Geist dazu, Witz gegen Witz mit den Mönchen von Limburg handgemein zu werden.«
Der Abt schwieg aus Geringschätzung, denn er war über den gemeinen Volkswahn zu sehr erhaben, als daß er eine derartige Beschuldigung nur hätte empfindlich nehmen sollen. Der Graf übrigens bemerkte jetzt, daß er nachgerade seinen Boden zu verlieren begann, und das allmählige Schwinden seiner Besinnung belehrte ihn, daß er in größter Gefahr stand, den wichtigen Einsatz zu verwirken, der nun ganz und gar von der Ausdauer seiner Kräfte abhing. Der Abt stand in dem wohlverdienten Ruf, unter allen Kirchendienern der Pfalz den stärksten Kopf zu besitzen, und Graf Emich, dem es gleichfalls nicht an einer derartigen physischen Auszeichnung gebrach, fing an, jene Art von Schwäche zu fühlen, die gemeiniglich der Vorläufer, oft aber auch die Ursache der Niederlage ist. In dem rücksichtslosen Verlangen, seinen Gegner zu überwältigen, goß er Humpen um Humpen hinunter, ohne an die Angriffe zu denken, die dadurch gegen seine eigenen geistigen Fähigkeiten geübt wurden. Bonifacius, der seine Ueberlegenheit sah und fühlte, gab bereitwillig dem fieberischen Drange seines Gegners, den Kampf zu einem baldigen Ende zu bringen, nach, und so wurden mehrere Gläser in einer Art finsteren Trotzes geleert, ohne daß beiderseits nur eine Sylbe verlautete. In dieser Klemme wandte der Graf seine schwimmenden Augen nach seinem Diener um, der unbestimmten Hoffnung Raum gebend, diejenigen, welche bei gewöhnlichen Anlässen so treu an ihm hingen, könnten ihm auch in dem gegenwärtigen verzweifelten Nothstande beispringen.
Der junge Berchthold Hintermayer stand in der Nähe seines Gebieters und harrte achtungsvoll seiner Befehle, denn die Gewohnheit hatte ihn gehindert, sich ohne Weisung zu entfernen. Die Zecher hatten genug über ihren seltsamen Wettstreit fallen lassen, um den Jüngling in das Geheimniß seines Zweckes einzuweihen. Er verstand augenscheinlich die stumme Berufung seines Herrn und trat heran, um das Amt des Schenken zu übernehmen, der allerdings wohl eines Stellvertreters bedurfte, weil er sich zu eifrig das Beispiel derer am Tische zum Muster genommen hatte, um länger im Stande zu seyn, sich seiner Obliegenheiten mit Anstand zu entledigen.
»Wenn sich der hochwürdige Herr Abt die Kurzweil nehmen wollte,« begann Berchthold, als er den Wein eingoß, »jene Ketzerei ein wenig näher zu beleuchten, so könnte er das Werkzeug werden, eine zweifelnde Seele zu retten. Ich bekenne unverhohlen, daß ich nicht nur einen, sondern viele Gründe sehe, in den Glauben meiner Väter Mißtrauen zu setzen.«
Dies war ein Angriff auf die schwächste, wo nicht die einzige verwundbare Seite des Abts.
»Das sollst Du mir büßen, kecker Bursche!« rief er, indem er mit der geballten Faust auf den Tisch schlug. »Du birgst Ketzerei in Deinem Innern, Du unreifer, jämmerlicher Bekrittler einer apostolischen Sendung! Schon gut – schon gut – Dein unverschämtes Zugeständniß soll nicht in Vergessenheit kommen.«
Emich drückte seinen Dank durch eine Geberde aus, denn der Priester hatte in seiner Wuth, ohne zu bedenken was er that, einen schweren Humpen hinuntergestürzt.
»Ich hoffe, der hochwürdige Herr Abt wird einem Menschen, der von derartigen Dingen so wenig versteht, eine unkluge Rede wohl vergeben. Handelte sich's darum, ein Wildschwein zu erlegen, einen Rehbock zu stellen, oder auch den Feinden meines Gebieters auf den Leib zu gehen, so dürfte diese Hand einigermaßen in Betracht kommen; aber kann man es uns verargen, wenn auch unser einfacher Verstand ein wenig verwirrt wird, da die Gelehrtesten in Deutschland nicht einmal wissen, was sie glauben sollen? Ich habe sagen hören, dieser Meister Luther gebe recht mannhafte Antworten in den weisen Versammlungen, vor denen er in letzter Zeit aufgetreten ist.«
»Er spricht mit der Zunge Lucifers!« brüllte der Abt, fast schäumend in dem Ungestüm einer Wuth, die jetzt alle Bande sprengte. »Woher kömmt diese neue, erst kürzlich aufgefundene Religion? Wo ist ihr Stamm und ihre Wurzel? Warum ist sie so lange verborgen geblieben, und wo finden wir ihre frühere Geschichte? Steigt sie bis zu Peter und Paul hinauf, oder ist sie nicht vielmehr eine Erfindung frechen Dünkels und neumodischer Anmaßung?«
»Ei, Vater, das Nämliche könnte man ja von Rom selbst auch fragen, da es eine Zeit gab, in welcher es keinen Apostel kannte. Der Baum bleibt Baum, auch wenn man ihm die morschen Zweige genommen hat – nimmt sich im Gegentheil nur noch schöner aus.«
Vater Bonifacius war wohl ein scharfsinniger und gelehrter Mann, der unter gewöhnlichen Umständen sogar dem Mönche von Wittenberg zu schaffen gemacht haben würde; aber in seinem dermaligen Zustande konnte ihn auch die sophistischste Bemerkung, wenn sie nur einen Anschein von Begründung trug, in Flammen setzen. So angegriffen, bot er daher ein abschreckendes Bild von der Wildheit menschlicher Leidenschaften, wenn sie durch Trunkenheit unter die des Viehs herabsinken. Seine Augen quollen aus ihren Höhlen, seine Lippen zitterten und die Zunge versagte ihm den Dienst. Er befand sich jetzt ganz in der Lage, in welcher sich der Graf noch kurz zuvor befunden, und obgleich er die Folgen voraussah, so suchte er doch mit der Verzweiflung eines Trunkenen Erneuerung seiner Kräfte in demselben Mittel, das sie untergraben hatte. Graf Emich war seinerseits längst über ein verständliches Sprechen hinaus; da übrigens Beredsamkeit nicht zu seinen stärksten Waffen gehörte, so behauptete er mit knapper Noth seine physischen Kräfte noch so weit, um den Kampf fortsetzen zu können. Er schwenkte herausfordernd die Hand und murmelte Worte, welche Haß und Verachtung zu athmen schienen. In dieser Weise saßen ein edler Abkömmling eines erlauchten Fürstenhauses und ein infulirter Kirchenfürst einander gegenüber, ohne der besseren Fähigkeiten ihres Wesens sich weiter bewußt zu seyn, als eben für die Erreichung des gemeinsamen feilen Zweckes, welcher sie zu dieser tollen Wette getrieben hatte, erforderlich war.
»Den Fluch der Kirche über euch Alle!« vermochte endlich der Abt hervorzustottern. Dann sank er in seinen wohlgepolsterten Armstuhl zurück, besinnungslos sich dem häßlichen Einflusse des genossenen Weines hingebend.
Bei dem Falle des letzten Gegners blitzte ein Strahl triumphirenden Bewußtseyns unter den zottigen Brauen des Grafen hervor. Mit verzweifelter Anstrengung richtete er sich auf, streckte seinen Arm aus und bemächtigte sich der Urkunde, kraft welcher das Kloster Limburg seine Ansprüche auf den Ertrag der bestrittenen Weinberge förmlich aufgab. Dann winkte er mit der Miene eines Mannes, der selbst in der Trunkenheit zu befehlen gewohnt ist, seinen Förster heran, stützte sich auf dessen kräftigen Arm und wankte aus dem Gemache, die Banketthalle gleich einem ausgegebenen Schlachtfelde als ein empörendes Bild menschlicher Schwäche in ihrer größten Herabwürdigung zurücklassend.
Als der Graf, ohne seine Kleider abzulegen, schwerfällig auf sein Lager sank, schüttelte er rasselnd das Pergament gegen seinen jungen Begleiter und schloß dann die Augen; aber sein tiefes, röchelndes Athmen verkündigte bald, daß der Sieger in dieser tollen Schlemmerei, gleich dem Besiegten, entmannt, fieberisch und ohne Besinnung dalag.
So schloß das wohlbekannte Gelag auf der Hartenburg – ein Heldenstück physischer Ausdauer von Seiten des mannhaften Grafen, der den Sieg davon getragen. Auch gewann er dadurch unter den lustigen Zechern der Pfalz einen fast eben so hohen Ruf, als hätte er auf dem Schlachtfeld einen Sieg errungen, während andererseits, so sonderbar es auch in unseren Tagen klingen mag, den Eigenschaften der Besiegten nur geringer Abtrag durch die garstige Wette geschah.