James Fenimore Cooper
Der rote Freibeuter
James Fenimore Cooper

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Zwölftes Kapitel.

Die eben erwähnten Auftritte hatten einen geraumen Teil des Tages dahingenommen. Ein stehender Wind hatte sich wohl eingestellt, allein er war nichts weniger als stark. Sobald sich Wilder indessen von den Müßiggängern vom Lande und dem sich in alles mischenden Kommissionär befreit sah, warf er den Blick um sich her, um das Schiff unter den Wind zu bringen. Er ließ daher den Lotsen holen, teilte ihm seinen Entschluß mit und zog sich dann an einen Platz des Verdecks zurück, der geeignet war, ihm teils über die Gegenstände seines neuen Kommandos einen Überblick, teils über die unerwartete und außerordentliche Lage, in die er sich versetzt sah, Muße zum Nachdenken zu lassen.

Der Royal Carolina fehlten keineswegs gerechte Ansprüche auf den pompösen Namen, den sie führte. Es war ein Fahrzeug von jener glücklichen Mittelgröße, wo für die Bequemlichkeit am besten gesorgt zu sein pflegt. Der Brief des Freibeuters bestätigte, daß es wegen seines schnellen Segelns im Ruf stehe, und mit innigem Vergnügen gewahrte der junge Kommandeur, daß es dem Schiffe nicht an Mitteln fehlte, seine besten Eigenschaften entwickeln zu können. Eine gesunde, muntre und geübte Mannschaft, Spieren, die vollkommen der Größe des Fahrzeugs entsprachen, wenig Windfang Verursachendes in den Marsen und Masten, eine vortreffliche Form und Lage, mit einem Überfluß an leichten Segeln, boten alle Vorteile dar, die sich seine Erfahrung nur wünschen konnte. Sein Auge glänzte, als es über diese verschiedenen, seinem Kommando unterworfenen Gegenstände wegglitt, und seine Lippen bewegten sich wie die eines Menschen, der sich selbst halblaut beglückwünscht, oder sich einer Selbstgefälligkeit überläßt, die nach den Vorschriften der Bescheidenheit die Grenzen des Gedankens nicht überschreiten soll.

Jetzt war die Mannschaft unter den Befehlen des Lotsen am Bratspill versammelt und hatte schon angefangen, Kabel aufzuziehen. Diese Arbeit eignete sich ganz dazu, die Kräfte des einzelnen sowohl als die Gesamtkraft im vorteilhaftesten Lichte zu zeigen. Ihre Bewegung um das Bratspill war taktmäßig, rasch und kräftig; ihre Töne rein und munter. Unser Abenteurer, gleichsam als ob er sich seinen Einfluß fühlbar machen wollte, erhob nun mitten im »Ahoi!« der Matrosen seine eigne Stimme mit einem jener abgebrochenen und ermutigenden Zurufe, durch die Seeoffiziere ihre Leute aufzumuntern pflegen. Seine Aussprache war männlich, lebhaft und Gehorsam gebietend. Feurigen Rennern gleich hielten die Matrosen einen Augenblick inne, als sie zuerst dies Signal vernahmen, und jeder warf einen Blick hinter sich, als wollte er die Eigenschaften seines neuen Befehlshabers prüfen. Wilder lächelte mit einiger Selbstzufriedenheit, wandte sich, um auf der Schanze auf und ab zu gehen, und fand sich wieder dem ruhigen, sinnenden, aber doch erstaunten Blicke der Mistreß Wyllys gegenüber.

»Nach der Meinung, die Sie über dies Schiff zu erkennen zu geben beliebten,« sagte die Dame mit scharfer Ironie, »hatte ich nimmermehr erwartet, Sie darauf ein Amt von solcher Verantwortlichkeit verwalten zu sehen.«

»Wahrscheinlich wissen Sie, Madame, daß dem Schiffer ein trauriger Zufall begegnete?«

»Ja, auch hatte ich gehört, daß man vorläufig einem andern Offizier seine Stelle anvertraut hätte. Allein, ich sollte meinen, daß es Sie nicht befremden muß, wenn Sie selbst darüber nachdenken, mich erstaunt zu sehen, indem ich nun finde, wer dieser andere Offizier ist.«

»Unsere Unterredungen, Madame, haben Ihnen vielleicht eine ungünstige Idee von meiner Sachkunde beigebracht. Indessen hoffe ich, daß Sie sich über diesen Punkt beruhigen werden, da . . .«

»Sie verstehen sich ohne Zweifel auf Ihre Wissenschaft! Wenigstens scheint es, daß eine geringfügige Gefahr nicht imstande ist, Sie davon abzuschrecken, passende Gelegenheit zu suchen, Ihre Kenntnisse zu zeigen. Werden Sie uns mit Ihrer Gesellschaft für die ganze Reise oder nur bis zur Mündung des Hafens erfreuen?«

»Ich hab' es übernommen, das Schiff bis zum Ziele seiner Reise zu führen.«

»Dann dürfen wir ja wohl hoffen, daß Sie die Gefahr, die Sie entweder sahen oder doch zu sehen glaubten, jetzt für geringer halten, sonst würden Sie ja nicht so bereitwillig sein, sie mit uns zu teilen.«

»Sie tun mir unrecht, Madame,« erwiderte Wilder warm und unwillkürlich den Blick auf die ernste, aber mit der größten Spannung zuhörende Gertraud richtend: »Es gibt keine Gefahr, der ich nicht freudig die Stirn böte, um Sie oder diese junge Dame vor Leid zu schützen.«

»Ihr ritterliches Betragen kann selbst dieser jungen Dame nicht entgehen!« Mistreß Wyllys entledigte sich nun des Zwanges, den sie bis jetzt in ihren Reden beobachtet hatte, und fuhr in einem natürlicheren, mit ihrer sanften und sinnigen Miene mehr im Einklange stehenden Tone fort: »Das sonderbare Gefühl, daß Sie dennoch ein Freund der Wahrheit seien, wie sehr es auch meine Vernunft verwirft, bleibt immer ein mächtiger Fürsprech für Sie, junger Mann, in meinem Innersten. Da das Schiff Ihrer Dienste bedarf, so will ich Sie jetzt nicht aufhalten; es kann uns nicht an Gelegenheiten fehlen, die uns instand setzen werden, sowohl über Ihren Willen, als über Ihre Fähigkeit, uns nützlich zu sein, ein Urteil zu fällen. Liebe Gertraud, Frauen sind gewöhnlich nur im Wege auf einem Fahrzeuge, besonders wenn eine dringende und schwere Dienstpflicht ruft, wie es hier der Fall ist.«

Eine Röte überflog Gertrauds Wangen bei dieser Anrede, und sie folgte hastig ihrer Gouvernante zur entgegengesetzten Seite der Schanze, während ihr unser Abenteurer mit einem sehnsuchtsvollen Blicke nachsah, der deutlich genug ausdrückte, daß ihm ihre Gegenwart nichts weniger als lästig war. Da aber die Damen einen von allen anderen entfernten Platz einnahmen, wo sie bei einer bequemen Übersicht aller Manöver doch selber am wenigsten der Regierung des Schiffes im Wege waren, so konnte der arme Wilder nicht schicklich das Gespräch fortsetzen, obgleich er sehr gewünscht hätte, die angenehme Unterhaltung nicht eher abbrechen zu dürfen, bis er sich durch die Übernahme des Kommandos aus den Händen des Lotsen dazu gezwungen sähe. Inzwischen war der Anker bereits eingewunden, und die Matrosen waren vollauf damit beschäftigt, mehr Segel beizusetzen. Wilder gab sich nun in sehr aufgeregter Stimmung der Dienstpflicht hin, ließ sich von dem Offizier, der die nötigen Befehle erteilte, die Parole geben, und übernahm die unmittelbare Leitung des Schiffes selber.

Sowie ein Segeltuch nach dem andern von den Rahen fiel, und durch den zusammengesetzten Wind den Mechanismus auffing, gewann das Interesse, das ein Seemann stets an seinem Schiffe nimmt, mehr und mehr über jedes andere Gefühl die Oberhand. Als alles in Ordnung war, von den Oberbramsegeln an bis zum Verdeck, und das Schiff mit seinem Vorderteil nach der Mündung des Hafens zugewendet war, so hatte unser Abenteurer wahrscheinlich vergessen (freilich nur auf einen Augenblick), wie vollkommen fremd er noch immer denen sein mußte, über die er durch eine so außergewöhnliche Wahl das Kommando erhalten hatte, und welche kostbare Fracht man seiner Festigkeit und Entschlossenheit anvertraut hatte. Nachdem alles vom Verdeck bis zum Topp hinauf in die vorteilhafteste Lage und das Schiff dicht in die Windlinie gebracht war, maß sein Auge jede Rahe, jedes Segel von den obersten Flaggenknöpfen bis zum Rumpf und überschaute endlich auch noch die Außenseite des Schiffes, ob auch der Lauf nicht durch irgendein heraushängendes Seil gehemmt werde. Da erblickte er ein winziges Boot, an der Leeseite des Schiffes angebunden, in dem ein Knabe saß, und das, sowie die Masse des Schiffes sich vorwärts bewegte, leicht und elastisch wie eine Feder hinten nachtanzte. Wilder bemerkte, daß es ein Boot von der Küste sei, daher fragte er einen Seemann, wer der Eigentümer davon wäre. Jener wies auf Joram, der gerade in dem Augenblick vom Schiffsraume heraufgestiegen kam, wo er mit einem Delinquenten, oder, was bei ihm gleichbedeutend war, einem Gast, der noch nicht bezahlt hatte, seine Rechnung ins reine zu bringen beschäftigt war.

Der Anblick dieses Mannes erinnerte Wilder an alles, was am Morgen vorgefallen war, und wie bedenklich das Unternehmen sei, dem er sich hingegeben hatte. Der Gastwirt seinesteils, dessen Gedanken sich alle um den Angelpunkt des Profits drehten, schien bei dem Wiederbegegnen auf keine Weise bewegt. Er näherte sich dem jungen Seemanne, redete ihn mit dem Titel Kapitän an und wünschte ihm eine glückliche Reise, nebst allem andern, was man zu wünschen pflegt, wenn man zur See und bei einer solchen Gelegenheit voneinander scheidet.

»Der Herr Kapitän haben einen vorteilhaften Handel geschlossen,« endigte er, »und ich hoffe, Sie werden eine schnelle Fahrt machen. Es wird Ihnen diesen Nachmittag nicht an Wind fehlen, und wenn Sie bis nach Montauth hin brav Segel aussetzen, werden Sie beim zweiten Wenden die offene See gewinnen, so daß Sie morgen schon die Küste aus dem Gesicht haben. Wenn ich mich im geringsten aufs Wetter verstehe, so wird auch der Wind mehr von Osten blasen, als Euch vielleicht anstehen dürfte.«

»Und wie lange glaubt Ihr wohl, daß meine Fahrt dauern wird?« fragte Wilder in einem so leisen Tone, daß ihn außer dem Gastwirt niemand hören konnte. Joram sah sich verstohlen um, und als er sah, daß sie ohne Zeugen waren, erlaubte er seinen Zügen, die gewöhnlich eine abgestumpfte, sinnliche Zufriedenheit aussprachen, den Ausdruck einer verstockten Verschmitztheit, und, den Finger an die Nase legend, erwiderte er:

»Hab' ich dem Kommissionär nicht einen schönen Eid angeboten, Herr Wilder?«

»Ihr habt allerdings meine Erwartung übertroffen mit Eurer Bereitwilligkeit und . . .«

»Auskunft!« setzte der Gastwirt zum Unklaren Anker hinzu, wie er Wildern in Verlegenheit nach einem Worte sah; »ja, ja, ich bin stets merkwürdig gewesen wegen der Geschäftigkeit meines Geistes in derlei Kleinigkeiten; allein, wenn einer eine Sache schon durch und durch kennt, ei! da wär's ja töricht, seinen Atem mit zuviel Worten zu vergeuden.«

»Es ist freilich sehr vorteilbringend, so wohlunterrichtet zu sein. Ihr versteht Euch ohne Zweifel herrlich darauf, aus Euern Kenntnissen soviel Profit als möglich zu ziehen.«

»Du lieber Gott! was sollte denn auch in diesen schweren Zeiten aus uns allen werden, wenn wir einen redlichen Groschen nicht auf jede sich darbietende Art anlegen wollten? Hab' mit Ehren mehrere hübsche Kinder großgezogen, und an mir soll's nicht liegen, wenn ich ihnen nicht auch noch was zurücklasse, meinen guten Ruf gar nicht mitgerechnet. Nu ja, das Sprichwort sagt: Ein behender Groschen ist so gut wie ein müßiger Taler; ich aber lobe mir den Mann, der nicht dasteht und Maulaffen feil hat, wenn ein Freund seines guten Wortes oder des Aufhebens seines Fingers bedarf. Sie wissen nun, wo Sie jederzeit einen solchen Mann finden werden, wie unsere Staatsmänner zu sagen pflegen, wenn sie durch das Dicke und Dünne der Sache gegangen sind, sie mag nun gerecht oder ungerecht sein.«

»Sehr lobenswerte Grundsätze, in der Tat! Sie werden gewiß dazu beitragen, Euch früher oder später in der Welt zu erheben! Doch, Ihr vergeßt meine eigentliche Frage zu beantworten: Wird unsere Fahrt von langer oder kurzer Dauer sein?«

»Ei der Tausend, Herr Wilder! Muß ein armer Gastwirt, wie ich, dem Meister dieses stattlichen Schiffes erst sagen, woher der Wind zuerst blasen wird? Da haben Sie den werten und ehrenhaften Schiffer Nichols, der drunten in seiner Staatskajüte liegt, der kann Euch mit dem Fahrzeuge anfangen, was er will; und warum soll ich glauben, daß ein Herr, wie Sie, mit so guten Empfehlungen, nicht ebensoviel auszurichten vermag? Ich versehe mich keines andern, als mit nächstem zu hören, daß Sie was ganz Apartes von Fahrt gemacht, und das gute Wort, das ich zu Ihren Gunsten gesprochen, vollkommen gerechtfertigt hätten.«

Wilder verwünschte in seinem Herzen die vorsichtige Verschmitztheit des Spitzbuben, mit dem er unter den obwaltenden Umständen notwendig im Bunde stand; denn er sah klar ein, daß Joram durchaus entschlossen war, nicht mehr als das schlechthin Erforderliche von seinem Geheimnis zu verraten, und viel zuviel Umsicht beobachtete, um seinen eigenen Absichten zu entsprechen. Nach einem augenblicklichen Besinnen fuhr er hastig fort:

»Ihr seht, das Schiff läuft viel zu schnell, um uns zu erlauben, unsere Zeit mit ausweichenden Redensarten zu vergeuden. Sagt, was wißt Ihr von dem Billett, das ich heute früh empfangen habe?«

»Aber, lieber Gott! halten Sie mich denn für einen Postmeister, Herr Kapitän? Wie kann ich wissen, welche Briefe in Newport ankommen, und welche auf See bleiben?«

»Ein ebenso großer Hasenfuß als verschmitzter Schurke!« murmelte der junge Seemann. »Aber das könnt Ihr doch wenigstens sagen: Wird man mir auf der Ferse folgen, oder erwartet man, daß ich unter irgendeinem erdenklichen Vorwande das Schiff anhalten lasse, sobald es die offene See gewonnen hat?«

»Der Himmel behüte Euch, junger Herr! was sind das für seltsame Fragen von einem, der frisch von der See kommt, an einen Mann, der sie seit fünfundzwanzig Jahren nur vom Lande aus angesehen hat. Alles, worauf ich mich besinnen kann, ist, daß Sie das Schiff ziemlich Süd halten müssen, bis die Inseln zurückgelegt sind, und dann müssen Sie Ihre Berechnung nach dem Winde machen, damit Sie nicht in den Golf kommen, wo Sie, wie Sie wissen werden, der Strom dahin treibt, während Ihr Kommando dorthin lautet.«

»Luv an! beim Wind gehalten, Herr!« rief nun der Lotse mit barscher Stimme dem am Steuer zu: »So sehr als möglich beim Wind gehalten; um keinen Preis nach der Leeseite des Sklavenhändlers dort!«

Sowohl Wilder als der Gastwirt schreckten zusammen, als wenn das eben erwähnte Schiff etwas Besorgniserregendes für sie hätte; der erstere wies auf das winzige Boot und sagte:

»Wenn Ihr nicht mit uns zur See gehen wollt, Herr Joram, so ist es Zeit, daß dieses Boot jetzt seinen Eigentümer aufnimmt!«

»Ei, jawohl, ich sehe, Sie sind schon in vollem Gange, und muß Sie also verlassen, wie gern ich auch länger bliebe«, erwiderte der Gastwirt zum Unklaren Anker, indem er sich geschäftig und so gut es gehen wollte, über die Schiffsseite hinüber und in sein Schiffchen hinuntermachte.

»Na, Jungens, wünsch' euch gute Zeit, viel Wind und von der rechten Sorte, sichere Reise auswärts und eine schnelle Zurückkunft. Werft ab!«

Man gehorchte seinem Ruf; kaum war das Boot außer Verbindung mit dem Schiffe gesetzt, so wich es aus der bisherigen Bahn, drehte sich drei- viermal um sich selbst und hielt dann einen Augenblick inne, während das große Schiff weiter zog mit der Stetigkeit eines Elefanten, von dessen Rücken eben ein Schmetterling ausgeflogen. Wilder folgte dem Boote eine Sekunde mit den Augen, allein seine Gedanken wurden zurückgerufen durch die Stimme des Lotsen, die sich nun wieder von der Vorderseite des Schiffes her vernehmen ließ:

»Etwas mehr in die Höhe mit den leichten Segeln, Junge, mehr in die Höhe, keinen Zoll breit vom Winde, sonst kommst du nie dem Sklavenhändler bei der Windseite vorbei. Luv an, sag' ich, Herr, Luv!«

»Der Sklavenhändler!« murmelte unser Abenteurer vor sich hin, indem er hastig nach einem Platz im Schiffe eilte, von wo aus er jenes wichtige, ihn zwiefach interessierende Schiff genau sehen konnte; »ach ja, der Sklavenhändler! Es mag freilich nicht leicht sein, dem Sklavenhändler die Windseite abzugewinnen!«

Ohne es zu wissen, fand er sich neben Mistreß Wyllys und Gertraud, die sich auf die Galerie der Schanze stützte, und das fremde, vor Anker liegende Fahrzeug mit einem Vergnügen betrachtete, das für ein so junges Mädchen natürlich genug war. »Sie werden mich auslachen, liebe Frau Wyllys, mich unbeständig, ja leichtgläubig nennen,« rief das arglose Mädchen, gerade als Wilder die bezeichnete Stelle eingenommen hatte, »aber bei alldem wünsche ich doch, wir kämen auf eine gute Manier aus dieser Royal Carolina und könnten unsre Fahrt in jenem schönen Schiffe dort machen.«

»Es ist allerdings ein schönes Schiff!« erwiderte Mistreß Wyllys, »doch möchte ich nicht behaupten, daß es ein sichereres und bequemeres wäre als das, in dem wir uns befinden.«

»Welch ein Ebenmaß, welche Ordnung in den Tauen! Und wie vogelähnlich es auf dem Wasser schwebt!«

»Wenn Sie es mit einer Ente verglichen hätten, so wäre das Bild durchaus der Schiffahrtskunst gemäß,« sagte die Gouvernante halb ernsthaft, halb lächelnd; »Sie zeigen Anlagen, liebes Kind, zur einstigen Frau eines Seemannes.«

Gertraud errötete ein wenig, und wie sie den Kopf umwandte, um ihrer Gouvernante in demselben scherzhaften Tone zu antworten, begegnete ihr Auge dem auf sie gehefteten Blicke Wilders. Nun wuchs das sanfte Erröten zum Hochrot, und sie verstummte; der große Strohhut, den sie auf hatte, diente dazu, ihr Gesicht und die Verwirrung zu verbergen, die sich so deutlich darauf malte.

»Sie antworten ja nicht, Kind, als überlegten Sie ernsthaft, was kommen könnte«, fuhr Mistreß Wyllys fort, deren nachdenkender, abwesender Blick jedoch hinlänglich bewies, daß sie kaum wußte, was sie gesprochen hatte.

»Die See ist ein zu unstetes Element für meinen Geschmack«, erwiderte Gertraud kalt. »Sagen Sie mir doch, liebe Wyllys, ist das Schiff, dem wir uns nähern, ein königliches Schiff? Es sieht so kriegerisch aus, ja fast drohend.«

»Der Lotse hat es schon zweimal einen Sklavenhändler genannt.«

»Ein Sklavenhändler! Wie trügerisch ist dann seine Schönheit und sein Ebenmaß! Nie will ich dem Scheine wieder trauen, da ein so hübscher Gegenstand zu einem so abscheulichen Zwecke gebraucht werden kann.«

»Jawohl, trügerisch!« rief Wilder mit einer ebenso unwiderstehlichen als unwillkürlichen Bewegung laut aus. »Ich wage es, zu behaupten, daß auf dem ganzen Ozean kein Schiff treibt, das so verräterisch wäre, wie dort der symmetrische, bewunderungswürdig ausgerüstete . . .«

»Sklavenhändler!« fügte Mistreß Wyllys hinzu, die nun Zeit gehabt hatte, sich umzuwenden und ihr ganzes Erstaunen durch ihre Blicke auszudrücken, bis der junge Mann in der Mitte seines Satzes stockte.

»Sklavenhändler!« wiederholte er mir Nachdruck, indem er zugleich eine Verbeugung machte, als wollte er ihr für das Wort danken. Nach dieser Unterbrechung folgte eine tiefe Stille. Mistreß Wyllys prüfte einen Augenblick die bewegten Züge des Jünglings mit einem Gesicht, das eine besondere, obgleich nicht ungemischte Teilnahme ausdrückte, dann ließ sie den Blick aufs Meer fallen, in tiefen, wo nicht schmerzlichen Betrachtungen versunken.

Auch Gertraud, obgleich ihre sylphenhafte, in den zartesten Umrissen gezeichnete Gestalt noch gegen die Galerie lehnte, hatte ihr vom Hut beschattetes Köpfchen abgewender, so daß sich Wilder vergebens bestrebte, noch einen Blick zu erhaschen. Inzwischen nahte die Stunde, wo Dinge vorfallen sollten, die geeignet waren, ihn selbst von seiner so angenehmen Beschäftigung abzuziehen und ganz in Anspruch zu nehmen.

Das Schiff war jetzt zwischen der kleinen Insel und dem Punkte hindurch, wo Homespun eingeschifft worden war, so daß es nun den inneren Hafen vollkommen klariert hatte. Schnurgerade dem Schiffe im Wege lag der Sklavenhändler dort, und jedermann war in der größten Spannung, um zu sehen, ob es noch möglich wäre, auf der Windseite vorbeizukommen. Wünschenswert war es, teils weil ein Seemann stolz darauf ist, jeden Gegenstand, der ihm begegnet, an der Ehrenseite zu passieren, teils und vorzüglich, weil die Lage des fremden Schiffes von der Art war, daß man, wenn bei seiner Windseite passiert werden konnte, nicht eher zu wenden brauchte, als bis zu dieser Bewegung ein vorteilhafterer Punkt als der gegenwärtige erreicht sein würde. Unsere Leser werden indessen leicht begreifen, daß die Spannung des neuen Kommandeurs der Carolina aus ganz anderen Gefühlen als bloßem Kunststolz oder Liebe zur Bequemlichkeit entsprang.

In jedem Nerv fühlte Wilder die Wahrscheinlichkeit, daß es nun zu einer Entscheidung kommen werde. Man erwäge wohl, daß ihm die unmittelbaren Absichten des Rover völlig unbekannt waren. Das Fort war keineswegs in dem Zustand, der letzteren hätte verhindern können, seine Beute im Angesicht der Stadtbewohner aufzubringen, und sie, deren schwachen Verteidigungsmitteln zum Hohn mit sich fortzuführen. Auch war die Stellung, in der sich beide Schiffe zueinander verhielten, einem solchen Unternehmen nichts weniger als ungünstig. Unvorbereitet und verdachtlos mußte ihm die Carolina, die sich überhaupt nicht mit einem so mächtigen Gegner messen konnte, ohne Mühe als Opfer fallen. Nur sehr wenig Aussicht war vorhanden, daß der Pirat mit seiner Prise nicht sollte weit genug absegeln können, um jeden Schuß von der Batterie wirkungslos, wo nicht vollkommen unschädlich zu machen. Überdies mußte das Wilde und Verwegene eines solchen Unternehmens für den verzweifelten Freibeuter, seinem Rufe nach zu urteilen, sogar etwas Verlockendes haben, so daß die Tat einzig von seiner zufälligen Stimmung abzuhängen schien.

Unter diesen Eindrücken, und mit der Aussicht einer baldigen Endschaft seines nagelneuen Kommandos, darf es wohl nicht wundernehmen, daß unser Abenteurer dem Ausgang mit weit größerer Gespanntheit entgegensah, als irgend jemand in seiner Umgebung. Er erstieg die Kühl des Schiffes und strengte sich an, den Plan seiner geheimen Verbündeten mittelst eines der Zeichen, womit Seefahrer so vertraut sind, durchschauen zu können. Allein es ließ sich in dem angeblichen Sklavenschiff auch nicht die mindeste Andeutung erspähen, daß es abzusegeln oder irgendwie seine Stellung zu ändern beabsichtige. Da lag es in derselben tiefen, schönen aber verratbrütenden Ruhe, in der es während des ganzen ereignisreichen Morgens gelegen hatte. In dem ganzen Labyrinth seines Tauwerks, längs dem weiten Bereich seiner Spierstangen, war nicht mehr als eine einsame Figur zu entdecken. Diese war ein Matrose, der auf dem einen Ende eines der unteren Rahen saß, wo er sich, wie das bei großen Schiffen beständig nötig ist, mit der Ausbesserung der Kardeelen zu beschäftigen und auf sonst nichts zu achten schien. Da der Mann auf der Windseite seines Schiffes saß, so durchzuckte Wilder die Idee, daß er dorthin postiert wäre, damit er in die Takelage der Carolina nötigenfalls einen Fanghaken werfe, um die Schiffe aufeinander treiben zu machen. Einer solchen unsanften Bewegung auszuweichen, beschloß er rasch den Plan zu hintertreiben. Er rief dem Lotsen zu, daß der Versuch bei der Windseite zu passieren von sehr zweifelhaftem Erfolg wäre, und stellte ihm vor, das sicherste sei wohl, bei der Leeseite vorüberzufahren.

»Fürchten Sie nichts, Kapitän, fürchten Sie nichts«, erwiderte der eigensinnige Leiter des Schiffes, der wegen der kurzen Dauer seiner Herrschaft nur desto entschlossener war, sie ohne Einschränkung auszuüben, und dem Usurpator eines Thrones gleich, voll Eifersucht gegen die mehr berechtigte Macht, die er gestürzt hat. »Lassen Sie mich nur machen, Kapitän! Ich bin schon öfter über diesen Boden getrollt, als Sie die See durchschnitten haben, und kann Ihnen die Namen der Felsen auf dem Grunde bei den Fingern herzählen, wie der Stadtbüttel die Straßen von Newport. Luv, Junge! Laß das Schiff gerade in den Wind reinsegeln, luv! soviel du kannst.«

»Ihr seht, Herr,« sagte Wilder ernst, »das Schiff zittert in allen Rippen. Wenn Ihr uns auf den Sklavenhändler treibt, wer zahlt die Zeche?«

»Ich habe Kaution für alles gestellt,« erwiderte der eingebildete Lotse; »meine Frau soll Euch jedes Loch, das ich in Eure Segel bringe, mit einer Nadel zusammennähen, nicht dicker als ein Haar und einem Platen, nicht größer, als der Fingerhut einer Fee.«

»Das klingt recht schön, aber Ihr könnt ja schon jetzt das Schiff nicht mehr regieren, und ehe Ihr noch mit Euern Prahlereien zu Ende seid, liegt es gefesselt wie ein verurteilter Dieb. Nicht höher mit den Segeln da, nicht höher damit. Junge!«

»Jawohl, nicht höher«, wiederholte nun auch der Lotse, der jetzt, da die Schwierigkeit, die Windseite zu passieren, mit jeder Sekunde wuchs, in seinem Entschlüsse zu wanken anfing. »Halt' die Segel voll und dicht bei Wind – ich hab's ja immer gesagt: voll und dicht bei Wind. – Es kann sein, Kapitän, da der Wind etwas konträr geworden ist, daß wir doch noch auf die Leeseite müssen: wenn das aber ist, so müssen Sie zugeben, daß wir werden wenden müssen.«

Eigentlich war aber erstlich gerade jetzt der Wind, obgleich etwas schwächer als vorher, nichts weniger als konträr, im Gegenteil um eine Kleinigkeit günstiger geworden, und zweitens war es Wildern nie beigekommen zu leugnen, daß das Schiff, wenn es die Leeseite des andern nähme, einige und zwanzig Minuten früher würde wenden müssen, als in dem Fall, wenn ihnen der schwierige Versuch, auf der Ehrenseite zu passieren, gelingen sollte. Allein, je gemeiner eine Seele ist, desto schwerer kommt es ihr an, begangene Fehler einzugestehen, daher suchte der überführte Lotse sein notgedrungenes Nachgeben auf diese Weise zu bemänteln, um die Meinung nicht zu verringern, die die Mannschaft von seinem Scharfsinn haben mochte.

»Aus dem Wind mit dem Schiffe!« schrie Wilder, der nachgerade anfing, aus dem Ton der Vorstellung in den des Befehls überzugehen; »aus dem Winde, Herr, solang' es noch geht, oder beim . . .« Seine Lippen wurden hier regungslos, denn sein Blick fiel auf das blasse, sprechende und ängstliche Antlitz Gertrauds.

»Es wird wohl geschehen müssen, da der Wind einmal geschralt hat. Laß fallen vorm Wind, Junge . . . nimm die Richtung nach dem Spiegel des Schiffes dort vor Anker! . . . Halt! . . . wieder nach der Luvseite hin! Rein in den Wind, bis ins Mark rein! . . . in die Höhe mit den Segeln . . . leichte Segel in die Höhe! Das fremde Schiff hat uns ja ein Ankerseil quer übers Kielwasser geworfen! Wenn noch Gesetz in den Plantagen ist, soll mir sein Kapitän dies vor Gericht verantworten.«

»Was will der Mensch?« fragte Wilder, sich rasch auf eine Kanone schwingend, um besser sehen zu können. Sein Gehilfe zeigte nach der Leeseite des andern Schiffes, wo man nur zu deutlich sehen konnte, wie ein langes Tau das Wasser peitschte, gerade als wenn man eben mit dem Ausspannen beschäftigt wäre. Die Wahrheit durchblitzte nun das Gemüt unseres jungen Seemanns. Der Pirat lag vor Anker mit einem heimlichen Spring auf dem Kapel, wahrscheinlich um nötigenfalls die Geschützseite seines Schiffes desto leichter nach der Batterie richten zu können, und nun bediente er sich dieses Springtaues, um dem Kauffahrteischiff die Leeseite abzuschneiden. Die Offiziere auf der Carolina waren nicht wenig über diese Vorkehrung befremdet und stießen nicht wenig Verwünschungen aus, obgleich niemand außer dem Kommandeur nur im entferntesten die eigentliche Ursache ahnen konnte, warum der Wurfanker so gelegt und ein Sperrtau so zur Unzeit quer über den Pfad gestreckt wurde. Einen gab es indessen auf dem Schiff, der sich über den Umstand freute, und das war der Lotse. Er hatte nämlich das Schiff in eine solche Lage gebracht, daß es ebenso schwierig war, auf der einen, wie auf der andern Seite vorwärts zu segeln; und es fehlte ihm nun nicht an einem hinlänglichen Grund zur Rechtfertigung, wenn sich bei dem höchst mißlichen und nunmehr unvermeidlich gewordenen Manöver ein Unfall ereignen sollte.

»Das ist eine außerordentliche Frechheit am Eingang eines Hafens«, brummte Wilder vor sich hin, als er sich durch den Augenschein von der Wirklichkeit überzeugt hatte. »Ihr müßt das Schiff bei der Windseite vorbeiführen, Lotse; es bleibt nichts anderes übrig.«

»Ich wasche meine Hände in Unschuld, was auch folgen möge, und rufe alle am Bord zu Zeugen auf«, erwiderte der Lotse mit der Miene eines tiefbeleidigten Mannes, obgleich er innerlich frohlockte, daß er dieselbe Maßregel, die er vor einer Minute hartnäckig durchsetzen wollte, notgedrungen wieder ergreifen mußte. »Die Gerechtigkeit muß sich dreinlegen, wenn's jetzt zerbrochene Stangen und zerzauste Takelage gibt. Luv auf ein Haar, Junge: luv kurz in den Wind und versuch' eine halbe Wendung!«

Der Mann am Steuer gehorchte dem Befehl, ließ die Spaken fahren, so daß das Steuerrad einen schnellen Umschwung machte. Das Schiff, von neuem durch den Wind getrieben, drehte sich schwerfällig mit dem Vorderteil nach der Seite, von der es gekommen war, während die Massen von Leinwand oben ein Geflatter machten, wie ein eben auffliegendes Volk Wasservögel. Allein kaum war es mit dem Steuer wieder in einer Richtung, so fiel es vom Winde ab wie vorher, kraftlos, weil es seinen Pfad verloren hatte, und quer auf den vermeinten Sklavenhändler hintreibend, mit einem Winde, der gerade jetzt, in dem bedenklichen Moment, wo seine vollste Gewalt höchst wünschenswert war, um vieles nachgelassen hatte.

Die Lage der Carolina war eine solche, die ein Seemann leicht begreifen wird. Durch Beisetzung vieler Segel hatte sie sich weit genug nach vorne hingearbeitet, daß sie gerade auf der Windseite des fremden Schiffes lag, allein zu nahe, um nur im mindesten vom Winde abfallen zu können, ohne die höchste Gefahr, auf den Sklavenhändler zu stoßen. Der Wind war unbeständig, bald in leichten Stößen blasend, bald wieder still und lauernd. Bei jedem Stoße beugten sich die hohen Masten zierlich nach dem Sklavenhändler zu, als wollten sie ihm Lebewohl sagen, doch kaum ließ der augenblickliche Druck nach, so rollte das Schiff schwerfällig nach der Windseite hin, ohne einen Fuß weiterzukommen. Indessen bewirkte jeder solcher Wechsel eine wachsende Annäherung an den gefährlichen Nachbar, so daß es jetzt dem unerfahrensten Seemann im Schiffe klar sein mußte, daß nichts als ein schnelles Wenden des Windes das Schiff in den Stand setzen konnte, gerade vorbeizusegeln, zumal da die Flut eben vom Meere hereinzukommen schien.

Da die untergeordneten Offiziere der Carolina mit ihren Bemerkungen über die Dummheit, die sie in eine so unbehilfliche und demütigende Lage gebracht hatte, nicht sparsam waren, so versuchte der Lotse seinen Verdruß hinter zahllosen und lärmenden Befehlen zu verbergen. Vom Schreien ging er bald zur Verwirrung über, bis die Mannschaft müßig dastand und nicht wußte, was von den schwankenden und sich widersprechenden Kommandos sie zuerst ausführen sollte. Inzwischen stand Wilder neben seinen weiblichen Passagieren mit verschränkten Armen und scheinbar vollkommen gleichgültig. Mistreß Wyllys studierte emsig seine Blicke, um sich durch deren Ausdruck über die Beschaffenheit und Größe der Gefahr Gewißheit zu verschaffen, sollte überhaupt Gefahr darin sein, wenn ein Schiff, sich auf spiegelflachem Wasser fast unmerklich vorwärtsbewegend, endlich auf ein anderes stößt, das ruhig vor Anker liegt. Die düstere und unbewegliche Wolke, die sich auf seiner Stirn zusammenzog, gab ihr eine Unruhe, die sie sonst, da der Anschein von großer Gefahr nicht sehr lebendig war, nicht gefühlt haben würde.

»Ist wirklich Gefahr da, mein Herr?« fragte die Gouvernante, indem sie ihre eigenen Besorgnisse vor Gertraud zu verbergen strebte.

»Ich sagte Ihnen, Madame, es würde sich ausweisen, daß die Carolina ein unglückbringend Schiff ist.«

Beide Damen betrachteten das eigentümliche bittere Lächeln, womit Wilder diese Erwiderung machte, als ein schlimmes Zeichen, und Gertraud schmiegte sich an ihre Reisegefährtin, auf die sie längst gewohnt war, sich kindlich vertrauend zu stützen.

»Warum lassen sich die Matrosen des Sklavenschiffs nicht sehen, um uns beizustehen, um abzuwehren, daß wir nicht zu nahe kommen?« fragte sie ängstlich.

»Jawohl, warum nicht! Doch wir werden sie, denk' ich, bald genug zu sehen bekommen.«

»Nach Ihren Reden und Blicken zu urteilen, junger Mann, halten Sie dies Sehen für gefahrvoll!«

»Bleiben Sie an meiner Seite«, erwiderte Wilder mit halbunterdrückten Worten. »Auf jeden Fall bleiben Sie mir so nahe als möglich zur Seite.«

»Den kleinen Leesegelbaum windwärts angeholt!« schrie der Lotse; »laßt die Boote hinab und zieht das Schiff beim Vorderteil rum . . . Tau vom Wurfanker los . . . Klüversegel angeholt . . . große Segeltaue wieder zugesetzt!«

Die erstaunten Leute standen da wie Bildsäulen, nicht wissend, wohin zuerst, indem einige einen Befehl kaum weiter gefördert hatten, als andere schon wieder ein entgegengesetztes Kommandowort riefen. Da ertönte eine achtunggebietende, ruhige Stimme: »Schweigt im Schiff!« Die Töne waren von jener Art, die die vollkommene Besonnenheit des Sprechers bekunden und daher den Untergeordneten stets viel von der Zuversicht des Befehlenden mitteilen. Jedes Ohr richtete sich nach der Seite hin, woher der Ton kam, als wollte ein jeder den nun zu folgenden Befehl zuerst auffangen. Wilder stand auf dem Gangspill, von wo aus er nach jeder Seite hin sehen konnte, und es bedurfte nur eines einzigen Kennerblicks, um ihn über die Lage des Schiffs genau zu unterrichten. Dann haftete sein ängstlicher Blick an dem Sklavenschiff, als wollte er die verratschwangere Stille, die dort noch immer herrschte, durchdringen, um zu erkennen, wieweit man ihm erlauben würde, seinem Schiffe nützlich zu sein. Allein das fremde Fahrzeug lag bewegungslos wie auf das Wasser hingezaubert; im ganzen Bereich seines künstlich verschränkten Baues war auch nicht eine menschliche Gestalt sichtbar, ausgenommen der schon erwähnte Matrose, der seine Arbeit noch immer emsig fortsetzte, so ruhig, als ob die Carolina hundert Meilen weit von dem Orte entfernt wäre, wo er saß. Wilders Lippen bewegten sich, ob aus innerem Unmut, ob aus Freude, war nicht zu verkennen, denn ein höchst zweideutiges Lächeln hellte seine Gesichtszüge auf, als er in der vorherigen tiefen gebieterischen Stimme fortfuhr: »Legt alle Segel flatt gegen die Masten, vorn und hinten!«

»Jawohl!« wiederholte der Lotse wie ein Echo, »alles flatt gegen die Masten.«

»Ist keine Schluppe an Bord des Schiffes?« fragte unser Abenteurer. Ein Dutzend Stimmen antwortete bejahend. »Werft den Lotsen dort hinein.«

»Dies ist eine gesetzwidrige Order,« schrie dieser, »und ich verbiete es, irgendeinem Kommando, außer dem meinigen, zu gehorchen.«

»Werft ihn hinein!« wiederholte Wilder strenge.

Bei dem Geklatter, das das Umbrassen der Rahen verursachte, erregte der Widerstand des Lotsen wenig oder gar kein besonderes Aufsehen. Die nervigen Arme zweier Matrosen hoben ihn, trotz seinem Sträuben, das sich in den sonderbarsten Bewegungen seiner Glieder äußerte, leicht in die Höhe und warfen ihn dann ins Boot mit ebensowenig Umständen, als wäre er ein Klotz gewesen. Das andere Ende der Fangleine wurde ihm nachgeworfen, und so überließ man den besiegten Wegweiser höchst gleichgültig seinen eigenen erbaulichen Betrachtungen.

Inzwischen war der Befehl Wilders ausgeführt; die ungeheuren Segeltücher, die noch vor einem Augenblick teils in der Luft flatterten, teils sich bald ein- bald auswärts füllten, preßten nun alle gegen ihre Masten und nötigten das Schiff, seinen irrtümlich genommenen Weg wieder zurückzumessen. Das Manöver war von der Art, daß es nur die ungeteilteste Aufmerksamkeit und eine selbst das Geringfügigste berücksichtigende Pünktlichkeit glücklich ausführen konnte. Allein der junge Befehlshaber war seiner Aufgabe ganz gewachsen. Hier schob sich ein Segel; dort wurde ein anderes flacher dem Winde zugekehrt; bald sah man die leichteren Segeltücher flattern; bald waren sie wie ein durchsichtiger Nebel, der plötzlich von der Sonne zerstreut wird, wieder verschwunden. Gebieterisch und doch ruhig erklang die Stimme Wilders während der ganzen Szene. Das Schiff selber schien einem belebten Wesen gleich, sich bewußt, daß sein Schicksal nun anderen und geschickteren Händen als vorher anvertraut sei. Gehorsam der neuen Wendung rollte dies unermeßliche Gewölk von Leinwand mit seinem ganzen hohen Wald von Spieren und Tauwerk zuerst hin und her; bald aber war die bisherige Untätigkeit des Schiffes überwunden, und dem Drucke nachgebend trat es den beabsichtigten Rückweg an.

Während der ganzen Zeit, die erforderlich war, um die Carolina aus ihrer mißlichen Stellung zu bringen, war Wilders Aufmerksamkeit zwischen seinem eigenen Schiffe und seinem rätselhaften Nachbar geteilt, dessen imposante, totenähnliche Stille auch nicht durch einen Laut unterbrochen wurde. Kein Menschenantlitz, ja kein einziges lauerndes Auge konnte man in irgendeinem der zahlreichen Luglöcher entdecken, durch die die Mannschaft eines bewaffneten Schiffs auf die See blicken kann. Der Matrose oben auf der Rahe setzte seine Arbeit fort, wie einer, für den alle Gegenstände außer ihm so gut wie nicht da sind. Jedoch machte jetzt das Schiff langsam und fast unbemerklich eine Bewegung, die der trägen Wendung eines schlafenden Walfisches ähnlich, mehr die Folge bewußtloser Willkür, als einer durch Menschenhände bewirkten Tätigkeit zu sein schien.

Aber nicht die geringste dieser Veränderungen entging der scharfen und kennermäßigen Prüfung Wilders. Er sah, wie sich die Seite des Sklavenschiffes nach und nach, sowie sich sein Schiff zurückzuziehen begann, ihm gleichfalls zukehrte. Unaufhörlich klafften die Kanonenrachen des fremden Schiffes auf das seinige, so wie das Auge des lauernden Tigers die Bewegungen seines Opfers verfolgt; und während der Zeit der größten Annäherung beider Schiffe war auch kein Augenblick, wo nicht eine volle Ladung des erstern das ganze Verdeck des letztern hätte bestreichen können. Bei jedem Befehl wandte unser Abenteurer sein Auge mir steigender Spannung seitwärts, um zu sehen, ob man ihm die Ausführung vergönnen werde; nicht eher fühlte er sich überzeugt, daß das Schiff wirklich von seinem alleinigen Befehl geleitet werde, als bis er sah, daß es sich aus seiner gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen und der neuen Richtung der Segel folgend, von dem leichten Winde abzufallen begann und einer Stelle zusteuerte, wo er es nach Belieben handhaben konnte. Hier angelangt, fand er, daß der Strom ungünstig und der Wind zu leicht war, um mit dem Vorsteven davor liegen zu bleiben; daher wurden die Segel an ihren Rahen in Festons zusammengezogen und ein Anker auf den Grund hinabgelassen.


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