James Fenimore Cooper
Der rote Freibeuter
James Fenimore Cooper

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Viertes Kapitel.

Die Gesellschaft unten bestand aus vier Personen, lauter Frauen. Die eine war eine Lady im sinkenden Alter, die andere über die Mitte der Jahre hinaus, die dritte auf der Schwelle der Tür, die man »Leben« nennt, insofern sie der Übergang zu den gesellschaftlichen Verhältnissen der Welt ist, die vierte war eine Negerin, die einige fünfundzwanzig Jahreswechsel gesehen haben mochte. Sie schloß sich den übrigen zwar in einem untergeordneten Verhältnisse an, denn Zeit und Umstände hatten sie in die dienende Klasse gebracht, allein sie genoß Vertrauen und Achtung von seiten der Herrschaft.

Die ersten verständlichen Worte der alten Lady an die junge waren folgende:

»Und nun, liebstes Kind, da ich dir die Weisung gegeben habe, die die Umstände und dein eigenes vortreffliches Herz nötig gemacht haben, will ich dieses unfreundliche Geschäft mit einem angenehmeren vertauschen. Du wirst deinen Vater von der Fortdauer meiner Zuneigung versichern und ihn an sein Versprechen erinnern, dich noch einmal zu mir zu schicken, ehe wir uns auf immer trennen.«

Die Anrede war, wie gesagt, an das jüngste Mädchen gerichtet und wurde, wie zu vermuten war, ebenso zärtlich und aufrichtig aufgenommen als gehalten. Die junge Person schlug die Augen auf, worin Tränen glänzten, die sie vergeblich zu unterdrücken bemüht war, und antwortete mit einer Stimme, deren Töne in den Ohren der beiden Lauschenden melodisch genug klangen.

»Liebste Tante, es ist unnötig, mich an ein Versprechen zu erinnern, woran mich mein eigener Vorteil so dringend mahnt. Ich hoffe Sie sogar öfter zu besuchen, als Ihnen vielleicht lieb ist; und wenn mein Vater nicht nächstes Frühjahr mit mir herüberkommt, so wird es gewiß nicht an meinen inständigen Bitten liegen.«

»Unsre gute Frau Wyllys wird uns beistehen«, erwiderte die Tante, sich gegen die ältere Frau mit einem Gesicht voll Freundlichkeit und Anstand neigend, das den eingeführten Formen der damaligen Zeit, wenn ein Oberer einen Untergebenen anredete, eigen und angemessen war. »Sie ist durch ihre treuen Dienste völlig zu dem Einfluß berechtigt, den sie über den General Grayson übt.«

»O, sie ist zu allem berechtigt, was Liebe und Herz geben kann!« rief die Nichte mit einer Hast und einem Ernste, der dazu dienen sollte, die zu förmliche Höflichkeit der Tante durch die Wärme ihrer eigenen Ausdrücke zu heben. »Mein Vater wird ihr schwerlich etwas versagen!«

»Sind wir auch gewiß, daß sich Mistreß Wyllys zu uns schlägt?« fragte die Tante, ohne sich durch die lebhafteren Gefühle der Nichte von ihrem angenommenen Gange ableiten zu lassen. »Mit einem so mächtigen Alliierten wird unser Bund unüberwindlich sein!«

»Ich bin so ganz der Meinung, daß die gesunde Luft dieser heilbringenden Insel meinem jungen Fräulein zuträglich ist, Madame, daß, wenn auch keine anderen Gründe in Betracht kommen sollten, Sie auf den geringen Beistand, den Sie von mir erwarten, sicher rechnen könnten.«

Frau Wyllys sprach dies mit Würde, aber auch mit jenem Grade von bescheidener Zurückhaltung, die ihr das Verhältnis der vermögenden, hochgeborenen Tante zu der bezahlten, abhängigen Erzieherin der Erbin ihres Bruders zur Pflicht machte. Dabei war ihr Anstand edel und ziemend, und ihre Stimme, wie die Stimme ihres jungen Zöglings, sanft und entschieden weiblich.

»Folglich können wir den Sieg für entschieden achten, wie sich mein verstorbener Gemahl, der Konteradmiral, auszudrücken pflegte. Der Admiral de Lacey hatte, meine liebe Mistreß Wyllys, frühzeitig im Leben die Maxime zur Regel genommen und sein ganzes Handeln danach eingerichtet – und er verdankte dieser Maxime einen großen Teil des Rufes, worin er auf der See stand –, daß zum Gelingen nur eines erfordert werde, nämlich: Es zu wollen; eine schöne, edle und ermutigende Maxime, eine Maxime, wobei es nicht fehlen konnte, daß sie ihn zu den ausgezeichneten Erfolgen geführt hatte, die uns allen bekannt sind.«

Wyllys verneigte sich zum Zeichen, daß sie völlig der Meinung sei, und zum Beweis, wie sehr sie das Verdienst des verstorbenen Admirals anerkenne, hielt es aber nicht für nötig, etwas zu erwidern. Anstatt sich länger mit diesem Gemeinsatz zu beschäftigen und ihn wortreich auszuspinnen, drehte sie sich zu ihrer jungen Elevin um und bemerkte mit einem Tone und Wesen, aus dem alles, was Zwang und Zurückhaltung heißen mag, verbannt war.

»Liebste Gertraud, Sie werden das Vergnügen haben, wieder nach dieser lieblichen Insel zurückzukehren, die kühlenden Seewinde einzuatmen . . .«

»Und meine Tante wiederzusehen«, setzte Gertraud hinzu. »Meine Wünsche wären, daß sich mein Vater entschlösse, seine Güter in Karolina loszuschlagen, nach Norden zu ziehen und das ganze Jahr hier zuzubringen.«

»Es ist nicht so leicht, wie du wohl glauben magst, mein Kind, sich großer Landbesitzungen zu entäußern«, erwiderte Frau von Lacey. »So sehr ich auch wünschen mag, daß sich dein Plan verwirklichen lasse, so hab' ich doch nie meinen Bruder darum gebeten. Überdies weiß ich nicht, ob die Familie nicht ganz und gar nach Hause gehen würde, wenn sie eine Abänderung treffen wollte. Es ist jetzt über ein Jahrhundert, Mistreß Wyllys, daß die Graysons in die Kolonien gekommen sind, weil zwischen ihnen und der Regierung in England etwas vorgefallen war. Mein Urgroßvater, Sir Everard, war mit seinem zweiten Sohne unzufrieden, und die Spannung brachte meinen Großvater nach der Provinz Karolina. Doch, da der Bruch seit langer Zeit geheilt ist, so hab' ich oft gedacht, ob mein Bruder nicht wieder in die Hallen unserer Väter zurückkehren möchte. Doch wird viel darauf ankommen, wie wir unser Besitztum diesseits des Meeres unterbringen werden.«

Hier schloß die gutmütige, aber etwas redselige und mit sich zufriedene Dame ihre Rede und sah sich mit einem forschenden Blick nach ihrer jungen Nichte um, der der Schluß ihrer Rede vollkommen entgangen war. Gertraud hatte wie gewöhnlich, wenn Frau von Lacey die Gouvernante mit Familiennachrichten zu unterhalten geruhte, den Kopf gewendet, und die von Gesundheit, vielleicht auch diesmal von einer kleinen Scham brennenden Wangen dem kühlenden Abendwinde hingehalten. Aber sobald ihre Tante zu reden aufgehört hatte, schloß sie sich von neuem schnell den beiden an, und auf ein Schiff zeigend, dessen Masten – da es im innern Hafen lag – über die Stadtdächer vorragten, rief sie, in der Absicht, der Unterredung irgendeine andere Wendung zu geben:

»Und in jenem finstern Kerker sollen wir, liebste Wyllys, den ganzen nächsten Monat zubringen?«

»Ich will hoffen, Ihre Abneigung gegen die See hat bei Ihnen das Zeitmaß verlängert,« entgegnete sanft die Erzieherin; »die Überfahrt von hier nach Karolina ist oft in einem weit kürzeren Zeiträume gemacht worden.«

»Daß dies der Fall sei, kann ich bezeugen«, setzte hier die Admiralswitwe hinzu, die gar zu gern einen Gedanken verfolgte und ausspann, wenn er einmal in ihr rege geworden war und in ihr Lieblingsfach einschlug. »Mein verstorbener, würdiger und (ich bin überzeugt, niemand wird mir hierin widersprechen) mein tapferer Gemahl führte einst ein Geschwader seines königlichen Herrn von einem Ende der amerikanischen Besitzungen Sr. Majestät zum andern in kürzerer Zeit, als die von meiner Nichte angegebene. Freilich mag zur Eile, mit der er segelte, zum Teil der Umstand beigetragen haben, daß er die Feinde des Königs und des Reichs verfolgte; soviel aber bleibt gewiß und ausgemacht, daß die Reise in weniger als einem Monat vollendet werden kann.«

»Da ist das furchtbare Henlopen mit seinen Sandbänken und Schiffbrüchen von der einen Seite und der sogenannte Golfstrom von der andern!« rief Gertraud mit einem Schauder und Ausbruch weiblichen Entsetzens, das hin und wieder sogar die Furchtsamkeit anziehend macht, wenn es mit Jugend und Schönheit zusammenfällt. »Wäre nicht Henlopen, und die Stürme, und die Bänke, und der Golf, ich könnte mich dem Vergnügen, meinen geliebten Vater wiederzusehen, ganz überlassen.«

Frau Wyllys, die ihrem Zöglinge nie in solchen natürlichen Schwachheiten, so liebenswürdig sie auch in anderen Augen scheinen mögen, etwas nachsah, wandte sich mit fester Miene zu der jungen Lady, indem sie kurz und entschieden, und als wollte sie den Punkt der Furcht auf einmal ins reine bringen, bemerkte:

»Wenn alle Gefahren, liebe Gertraud, die Sie auf Ihrer Reise anzutreffen besorgt sind, wirklich stattfänden, so würde ja die Überfahrt nicht täglich, ja stündlich sicher geschehen können. Sie selbst, Madame, sind gewiß oft mit Ihrem Gemahl, dem Admiral de Lacey, aus Karolina hier eingelaufen?«

»Nie«, erwiderte die Witwe schnell und etwas trocken. »Die Wasserreise war meiner Konstitution zuwider; deswegen hab' ich jederzeit die Reise zu Lande gemacht. Dabei müssen Sie aber wissen, Wyllys, daß ich, die Gattin und Witwe eines Flaggenoffiziers, nichts weniger als unerfahren in der Seewissenschaft geblieben bin. Es werden gewiß wenige unter den britischen Damen sein, die mit Schiffen bekannter und vertrauter sind als ich, sowohl mit einzelnen Fahrzeugen, als mit ganzen Geschwadern. Diese Kenntnis hab' ich mir als die Gemahlin eines Offiziers verschafft, dessen höchstes Glück es war, Flotten anzuführen. Mit Ihnen, Wyllys, mag es anders sein: ich vermute, was zur Schiffahrt gehört, sind böhmische Dörfer für Sie.«

Die ruhige, würdevolle Haltung der Gouvernante nahm hier augenblicklich einen trübern Anstrich von Schwermut an. Es war ihr freilich schon vorher anzusehen, daß tiefliegende, lang gehegte, peinliche Erinnerungen ihren Zügen einen dauernden, doch sanften Kummer eingegraben hatten, der die Spuren ihres Grundcharakters, der immer noch aus ihren Augen sprach, mehr milderte als verwischte. Sie war eine Zeitlang unschlüssig, ob sie nicht lieber abbräche, faßte sich aber und antwortete:

»Ich bin keineswegs ein Fremdling auf der See. Mein Verhängnis hat gewollt, daß ich manche lange und manche gefährliche Fahrt habe machen müssen.«

»Doch nur als Passagier. Wir Gattinnen von Seehelden sind die einzigen unseres Geschlechts, die auf die edle Wissenschaft Anspruch machen können. Kann es wohl ein schöneres und erhabeneres Schauspiel geben«, fuhr die verwitwete Seeheldin mit einer Art von Begeisterung über diesen Gegenstand fort, »als der Gang eines stattlichen Schiffs, das die Wellen durchschneidet, dessen Hackebord, wie mein seliger Admiral wohl tausendmal gesagt hat, die See pflügt, dessen Schaft einen hellen Streifen hinter sich läßt, wie die Windungen einer Schlange, wie ein lebendes Tier, das auf dem Lande daherfliegt und den Hinterfuß in die Stapfen des Vorderfußes setzt! Ich weiß nicht, liebste Wyllys, ob ich mich Ihnen verständlich mache, soviel aber ist gewiß, meinem geschärften, unterrichteten Auge stellt sich zugleich mit dieser reizenden Beschreibung ein Bild dar, das alles, was groß und schön ist, weit hinter sich läßt.«

Das heimliche Lächeln, das sich in den Mundwinkeln der Gouvernante zu zeigen anfing, weil sie sich nicht des Gedankens erwehren konnte, der selige Admiral sei ein Schalk gewesen, der die Frau Admiralin oft zum besten gehabt, würde sie vielleicht verraten haben, wenn sich nicht von oben herab ein Geräusch hätte hören lassen, das dem Rascheln des Windes in Blättern glich, aber im Grunde nichts weiter war, als ein unterdrücktes Gelächter. Noch schwebten die Worte: »O, wie allerliebst!« auf den Lippen der jungen Gertraud, die das soeben entworfene Gemälde der Tante bewunderte, ohne sich in die Kleinigkeitskrämerei der Wortkritik einzulassen, als auf einmal ihre Stimme stockte und ihre Stellung einem Standbilde glich. Nach einigen Sekunden fragte sie:

»Haben Sie nichts gehört?«

»Die Ratten treiben noch immer ihr Wesen in der Mühle!« war die ruhige Antwort der Frau Wyllys.

»In der Mühle? Liebste Wyllys, bleiben Sie noch immer dabei, diese pittoreske Ruine eine Mühle zu schelten?«

»So sehr das Gebäude dadurch in achtzehnjährigen Augen verlieren mag, so kann ich es nicht anders nennen als – eine Mühle

Das liebenswürdige Mädchen lachte, aber ihr feuriger Blick zeigte zugleich den Ernst, mit dem sie ihre Lieblingsmeinung verfocht: »Gibt es denn der Ruinen soviel hierzulande, daß Sie sich kein Gewissen daraus machen, den wenigen, in deren Besitz wir sind, Namen und Wert zu rauben?«

»Desto besser! Je weniger Ruinen, um so glücklicher das Land! Ruinen sind einem Lande, was sie dem Gesichte sind, nämlich Zeichen des Verfalls, traurige Folgen der Mißbräuche und Leidenschaften, die das Umsichgreifen der Zeit beschleunigen. Unsere Provinzen, liebste Gertraud, sind wie Sie, in ihrer Frische und Jugend, und, um den Vergleich fortzusetzen – in ihrer Unschuld. Lassen Sie uns hoffen, daß beide Teile noch lange in diesem glücklichen Zustande bleiben werden.«

»Ich danke Ihnen in meinem und meines Vaterlandes Namen für die Wünsche, kann mich aber nicht entschließen, diese malerische Ruine für eine ehemalige Mühle zu halten.«

»Was sie auch gewesen sein mag, soviel ist gewiß, sie hat den Platz hier lange eingenommen und wird ihn, allem Anschein nach, viel länger einnehmen, als das, was Sie soeben ›einen finstern Kerker‹ nannten, das stattliche Schiff dort, das wir in kurzer Zeit besteigen werden. Trügen meine Augen mich nicht, Madame, so bewegen sich die Masten langsam über die Schornsteine der Stadt hin.«

»Sie sehen ganz recht, Wyllys. Es sind die Matrosen, die das Schiff in den äußern Hafen bugsieren; dort werden sie es vor Anker legen und es so lange Warpen, bis sie die Segel aufrollen, um mit dem Frühesten in See zu stechen. Dieses ist ein Manöver, das oft unter meinen Augen vorgenommen wurde, eines von denen, die mir mein Admiral so deutlich erklärt hat, daß ich wenig Schwierigkeit finden würde, es in eigener Person anzuordnen, wenn es sich für mein Geschlecht und meinen Stand schickte.«

»Also ein Wink für uns, liebstes Kind, mit unsern Anstalten zur Reise zu eilen. So reizend auch dieser Ort – und Ihre Ruine – Ihnen scheinen mag, so müssen wir ihn doch, wenigstens auf einige Monate, verlassen.«

»Ja, ja,« fuhr Frau von Lacey fort, indem sie der Gouvernante, die sich bereits in Bewegung gesetzt, langsam nachfolgte: »Auf diese Weise sind oft ganze Flotten bugsiert, vor Anker gelegt, gewarpt worden, bis sich der günstige Wind zum Absegeln eingefunden. Keiner von unserem Geschlecht sind die Gefahren des Ozeans so bekannt als mir, die so eng mit Offizieren von hohem Rang und Diensten verbunden gewesen ist; keine von ihnen kann einen so vollen Begriff und Genuß von der wirklichen Größe des edelsten Berufs auf Erden haben. Kann es wohl ein schöneres Schauspiel geben, als das eines stattlichen Schiffs, dessen Hackebord die Wellen durchschneidet, dessen Schaft das spurlose Wasser furcht, wie ein Renner, der im schnellsten Lauf in seine eigene Fußtapsen tritt?«

Die Antwort der Frau Wyllys entging den lauschenden Ohren der beiden Turmbewohner. Gertraud hatte sich mit den anderen auf den Weg gemacht; aber in einiger Entfernung von ihrer lieben Ruine blieb sie stehen, um von den zerbröckelten Mauern einen zärtlichen Abschied zu nehmen. Die Pause hielt über eine Minute an. Dann aber sprach sie zu dem schmelzfarbenen Mädchen, das ihr den Arm gab: »Kassandra, dort in den Steinklumpen ist etwas . . . was mich wünschen ließe, es wäre mehr als eine Mühle.«

»Ratten sind's,« antwortete die Negerin, »nichts weiter als Ratten; habt Ihr's nicht gehört? Mistreß Wyllys hat's gesagt.«

Gertraud drehte sich zu ihr, lachte, klopfte ihr die schwarzen Backen mit Fingern, die dagegen wie Schnee aussahen, zur Strafe wie es schien, weil jene wünschte, ihr die süße Täuschung zu rauben, der sie sich so gern überließ: und nun sprang sie mit ein paar Sätzen den Hügel hinab, der Tante und Erzieherin nach, wie eine junge, rasche, fröhliche Atalante.

Die beiden Männer, die der Zufall so sonderbar im Turm zusammengebracht halte, standen jeder vor seinem Fensterloch und sahen dem lieblichen Mädchen nach, solange noch der schwächste Schimmer ihres weißen Gewandes zu erblicken war. Alsdann kehrten sie sich um, standen da, sahen einander an und suchten wechselseitig einer in des andern Augen den Ausdruck seiner Gedanken zu lesen. Endlich rief der Anwalt aus:

»Ich bin bereit, vor dem Lord-Großkanzler die eidliche Aussage zu machen, daß dieses hier nie eine Mühle gewesen!«

»Ei, ei! Ihr habt ja Eure Meinung schnell geändert!«

»O ich bin zur Überzeugung gekommen, so wahr ich hoffe, einst Richter zu werden. Der Prozeß ist von einem unwiderstehlichen Sachwalter geführt und mir sind die Augen geöffnet worden.«

»Und doch sind Ratten im Turme.«

»Landratten oder Wasserratten?« fragte schnell der Grüne, aus seinen Gefährten einen von den suchenden, eindringenden Blicken heftend, die seinem forschenden Auge so sehr zu Gebote standen.

»Von beiden Gattungen, wie mich dünkt,« war die trockene, stechende Antwort; »wenigstens von der ersten, oder das Gerücht müßte den Herren im langen Talar sehr unrecht tun.«

Der Anwalt lachte und schien ganz und gar nicht empfindlich über den Stich, der seinen gelehrten und hochachtbaren Kollegen versetzt worden war.

»Ihr Herren vom Ozean habt einen so verehrlichen und kurzweiligen Freimut an euch,« sagte er, »daß ich bei Gott versichere, ihr seid unwiderstehlich. Ich muß überhaupt eure Seesprache bewundern. Sie ist so edel und bisweilen so geschickt und gewählt in ihren Ausdrücken und Redensarten. ›Kann es wohl ein herrlicheres Schauspiel geben, als ein stattliches Schiff, die Wellen mit seinem Hackebord zerteilend und mit seinem Schafte jagend, wie ein Roß im Wettlauf‹.«

»Und den Hinterfuß einsetzend, daß es einen Streifen gibt, wie eine Feuerbacke, usw., usw., usw.«

Beide fanden eine solche Ergötzlichkeit an den Bildern und Gleichnissen der würdigen Witwe des tapfern Admirals, daß sie zugleich in ein unmäßiges, weitschallendes Gelächter ausbrachen, so daß der Turm, wie in den Zeiten seines besten Windes, erklang. Der Anwalt war der erste, der über sich Herr wurde, denn die Lustigkeit des jungen Seemanns war leichterer Art und mehr ausgelassen.

»Dies ist hier ein gefährlicher Grund,« sagte er, nachdem er sein Lachen ebenso plötzlich eingestellt, als er es sich erlaubt hatte, »ein gefährlicher Grund, eine Sandbank für alle, nur nicht für die Witwe eines Seemanns. Was für ein leckerer Bissen, was für ein heiteres, liebenswürdiges Geschöpf ist aber jene Jüngere, die keine Liebhaberin von Mühlen ist! Es scheint, sie ist die Nichte der alten seekundigen Dame.«

Jetzt hörte auch der junge Seemann zu lachen auf, weil es ihm unangenehm auffiel, wie unschicklich es sei, eine so nahe Verwandte der schönen Erscheinung, die er soeben gehabt hatte, zum Gegenstand des Spottes zu machen. Er mochte sich insgeheim denken, was er wollte, genug, er begnügte sich mit der kurzen Antwort:

»Sie hat es ja selbst gesagt.«

»Sagt mir, Freund,« fuhr jener fort, dem Seemann näherrückend, wie einer, der ein wichtiges Geheimnis in eine Frage einkleidet, »kommt es Euch nicht vor, als liege etwas Merkwürdiges, Inniges, Außerordentliches, Herzrührendes in der Stimme der Frau, die sie Wyllys nannten?«

»Habt Ihr es auch bemerkt?«

»Sie klang in meinen Ohren wie die Töne eines Orakelspruches, wie das Gelispel der Phantasie, wie die Worte der Wahrheit selbst. Es war eine seltsame, überredende Stimme.«

»Ich gestehe ebenfalls, daß sie einen tiefen Eindruck auf mich gemacht und mich angesprochen hat, ich kann nicht erklären, wie.«

»Es steckt eine Art von Zauber dahinter!« sagte der Rechtsgelehrte, im kleinen Raum auf und ab schreitend. Jede Spur von Humor und Ironie war von ihm gewichen, oder hatte sich in einem Blick tiefen und sorgsamen Nachsinnens verwandelt. Sein Gefährte schien wenig gestimmt, ihn und seine Betrachtungen zu stören. Er stand gegen die nackte Wand gelehnt und überließ sich ebenfalls seinen Gedanken. Endlich schüttelte der erste mit jener Raschheit, die in seinem Wesen lag, die ungewohnte Last ab, stellte sich an ein Fenster, zeigte Wildern das Schiff im äußern Hafen und fragte ihn kurz und abgebrochen:

»Hat bei Euch aller Anteil, den Ihr an jenem Schiff nahmt, aufgehört?«

»Gerade das Gegenteil: es ist just ein Fahrzeug, wie es ein Seemannsauge am liebsten betrachtet.«

»Wollt Ihr versuchen, es zu besteigen?«

»In dieser Stunde des Tages? Allein? Ich kenne weder den Kapitän noch die Mannschaft.«

»Es braucht ja nicht eben diese Stunde zu sein, und ein Schiffer ist bei seinen Kameraden immer willkommen.«

»Nicht doch; die Sklavenschiffe haben gewöhnlich nicht gern, daß man sie besucht; sie sind bewaffnet und wissen, wie man die Fremden zurückweist.«

»Gibt es nicht in der Maurerei Eures Gewerbes Losungsworte, woran ein Bruder den andern erkennt? Worte z. B. wie ›die Wellen mit dem Hackebord zerteilen‹ oder dergleichen Kunstphrasen, wie wir soeben gehört haben?«

Hier warf Wilder einen festen Blick auf den andern, als er sich so befragt sah, und schien seine Antwort lange abzuwägen.

»Wozu diese Fragen?« sagte er endlich kühl.

»Wie ich glaube, daß ein blödes Herz keine Schöne gewinnt, so glaube ich auch, daß ein unschlüssiges kein Schiff erobert. Ihr wünscht, sagt Ihr, eine Anstellung; und soviel ist gewiß, wäre ich Admiral, ich machte Euch zum Flaggenkapitän. Wenn wir anderen in den Assisen ein Dokument nachsuchen, so haben wir unsere Weise, den Wunsch zu erkennen zu geben. Vielleicht gehe ich aber mit einem Fremden, wie Ihr mir seid, aufs Geratewohl zu weit. Nur vergeßt nicht, daß der Rat, wenn er auch von einem Rechtskundigen kommt, Euch unentgeltlich gegeben wird.«

»Und kann ich mich aus diesem Grunde um so mehr darauf verlassen, daß er gut sei?«

»Darüber müßt Ihr selbst urteilen«, sagte der Grünrock, setzte den Fuß auf die Leiter und stieg so weit hinab, bis der Kopf allein über der Öffnung zu sehen war. »Hier durchschneide ich buchstäblich die Wellen mit einem Hackebord!« setzte er hinzu, indem er rücklings weiter hinabstieg, und schien auf die Worte einen besondern Nachdruck zu legen. »Adieu, Freund: sollten wir uns nicht wiedersehen, so vergeßt wenigstens die Ratten in der Ruine von Newport nicht!«

Mit diesen Worten verschwand er, und im zweiten Augenblick war seine leichte Gestalt auf dem Boden. Mit bewundernswürdiger Kälte drehte er sich um und gab der Leiter mit dem Fuße einen Stoß, daß sie abrutschte, umfiel, und dem Manne oben den einzigen Weg zur Rückkehr unmöglich machte. Hierauf zum bestürzten Wilder hinaufblickend, nickte er ihm mit dem Kopfe vertraulich zu, wiederholte sein: »Adieu Freund!« und schlüpfte mir einem Satze aus dem Gewölbe ins Freie.

»Das ist seltsam, ja sogar unverschämt«, murmelte Wilder, der auf diese Weise in der Ruine gefangen blieb. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihm ein Sprung durch die Öffnung ein Bein und vielleicht beide kosten könnte, lief der junge Schiffer nach einem von den Fenstern, um seinen Gefährten mit Vorwürfen zu überhäufen und sich vor allem zu vergewissern, ob es ihm Scherz oder Ernst dabei sei. Aber der Anwalt war schon über alle Berge, und ehe sich Wilder noch besinnen konnte, was zu tun sei, hatte der Leichtfuß schon die Vorstadt erreicht und sich zwischen den Gebäuden verloren.

Während der Zeit, als alles dieses, vom ersten Besteigen des Turmes an, vorfiel, hatten sich Fid und der Neger fleißig an den Inhalt des Kobers gehalten. Nur als die Eßlust des ersten etwas befriedigt war, stellte sich seine didaktische Stimmung wieder ein, und gerade in dem Augenblick, wo Wilder in den Turm eingesperrt wurde, hielt Fid dem Neger eine Vorlesung über das Benehmen in gemischten Gesellschaften.

»Folglich siehst du, Guinea,« so schloß er sie, »daß, wenn es in Gesellschaft heißt: Rückwärts das Ruder! Du niemals ganz abfallen und das hinterste voran, aus einem Disput steuern mußt, wie es dir zu tun beliebt hat. Wenn ich selbst kein Dummkopf bin, so ist es ausgemacht, daß Master Nightingale besser hinter einen Gasttisch in der Wirtsstube gehört als in eine Bö. Hättest du luv angemacht und in seine Windvierung geschossen, als du sahst, daß ich mich dwarsab mit meinen Gründen quer vor seine Klüsen legte, so siehst du wohl, daß wir ihm die Rede regelmäßig bekniffen und ihm vor allen Umstehenden Schande gemacht hätten . . . Was ist das? Wer praiet da? Wo wird ein Schwein abgestochen?«

»Herjemine! Misser Fid,« rief der Neger, »da steckt Misser Harry den Kopf aus einer Stückpforte, dort oben, des Weges da, in dem Leuchtturm, und gröhlt wie ein Matrose im Boote, das er auspropt!«

»Ei! Laß ihn praien, soviel er Lust hat, als wenn er beim Bramsegel oder beim Klüverbaum stände! Der Kerl hat eine Stimme wie ein Waldhorn, wenn er sie anstrengt. Aber was Teufel fällt ihm ein, sich an das vom Wind und Wetter gepeitschte Wrack zu machen. Auf jeden Fall laß ihn seine Künste allein treiben, wie's ihm beliebt – warum geht er zum Sturm ohne die Trommel gerührt, ohne Posten ausgestellt und die Mannschaft gemustert zu haben!«

Da gleichwohl Dick und sein Kumpan sich gleich anfangs auf die Beine gemacht hatten, dem Rufenden zu Hilfe zu kommen, sobald sie seine Not inne geworden, so waren sie während des Redens soweit vorgerückt, daß sie sich ihm verständlich machen konnten. Wilder rief ihnen mit dem kurzen nachdrücklichen Tone eines kommandierenden Seeoffiziers zu, sie möchten die Leiter wieder aufstellen. Sie taten es, und als er sich befreit sah, fragte er sie mit sehr bedeutender Miene, ob sie die Richtung bemerkt hätten, die der Mann in Grün genommen habe?

»Meint Ihr den gestiefelten Kunden, der vorhin dort auf der Kaje sein Ruder in eines andern Rojeklampen schieben wollte?«

»Richtig, den meine ich!«

»Der hat den Wind quer durchschnitten, bis er luvwärts um die Scheune gekommen ist: dann hat er laviert Ostsüdost, dann ist er mit Leesegeln oben und unten in die hohe See gegangen und hat schon, wie ich glaube, eine tüchtige Strecke zurückgelegt.«

»Ihm nach!« schrie Wilder, sich auf den Weg hinstürzend, den Fid angegeben, ohne weiter auf die mit Seeredensarten ausstaffierten Weisungen der andern zu achten.

Ihm folgten beide: doch war die Jagd vergebens, obschon sie ihre Nachforschungen bis nach Sonnenuntergang fortsetzten. Niemand konnte ihnen die geringste Nachricht geben, was aus dem grünen Mann geworden war. Einige hatten ihn zwar gesehen und sich über sein sonderbares Kostüm und seinen kecken, um sich schauenden Blick gewundert: aber aus allem ergab sich's, daß er ebenso geheimnisvoll aus der Stadt verschwunden, als er hineingekommen war.


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