James Fenimore Cooper
Der rote Freibeuter
James Fenimore Cooper

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Achtes Kapitel.

Eben stieg die Sonne aus den Wassergefilden hervor, in denen die blauen Inseln von Massachusetts schwimmen, als die Einwohner von Newport anfingen, ihre Türen und Fenster zu öffnen und sich mit der Frische und Lebendigkeit an ihr Tagewerk zu machen, die einem Volke eigen ist, das seine Zeit weislich in zwei Hälften teilt, deren eine es der Ruhe, die andere den Geschäften und Erholungen widmet. Die Morgengrüße der Nachbarn erfolgten freundlich, sowie jeder seine Fensterläden und Türen aufschloß; die gewöhnlichen Fragen ergingen und wurden beantwortet, man erkundigte sich nach dem Fieber einer Tochter, nach der Gicht einer alten Großmutter.

Der Wirt zum »Unklaren Anker«, dem so sehr daran lag, den Ruf seines Hauses durch frühe Beurlaubung seiner Abendgäste zu erhalten, war einer der ersten, der des Morgens auf den Beinen war und vor seiner Tür stand, um etwa im Vorübergehen einen Kunden zu haschen, der das Bedürfnis fühlte, die bösen Dünste der Nacht wegzuwaschen und seinem Magen eine kleine Stärkung zukommen zu lassen. Eine solche Herzstärkung wurde in den britischen Provinzen allgemein, jedoch unter verschiedenen Namen, zu sich genommen. Je nachdem die Provinzen selbst voneinander abwichen, wichen auch die Namen ab und hießen: »Ein Gläschen Bitters«, »wider den bösen Nebel«, »eine Juleppe«, »ein Morgenschnaps«, »stärkende Tropfen« usw. Die Gewohnheit ist zwar etwas in Abnahme gekommen, behält aber noch viel von dem ehrwürdigen Charakter bei, den das Altertum mit sich führt. Es darf uns nicht wundernehmen, daß dieser an und für sich edle, löbliche Gebrauch, die Unreinigkeiten des physischen Menschensystems wegzuwaschen, seit einiger Zeit, wo es ihm überall an einem moralischen Fürsprecher fehlt, und er allen Begriffen und Übeln ausgesetzt ist, die das Erbteil des Fleisches sind, die Amerikaner den Witzeleien ihrer europäischen Brüder preisgegeben hat. Wir sind gewiß nicht die letzten, die den überseeischen Philanthropen dankbar sind für den warmen Anteil, den sie in dem Maße an unserm Wohl nehmen, daß sie eine republikanische Schwäche selten an uns bemerken, ohne ihr, wie sie es verdient, die kaustische Verdammnis ihrer Federn einzubrennen. Unsere Dankbarkeit ist vielleicht um so größer, da wir sie mit einer Gegenbemerkung erwidern können. Wir glauben nämlich bemerkt zu haben, daß sie den Eifer für unsere unmündige Staaten – denn obschon ziemlich robust und ein wenig widerbellerisch, sind sie doch noch als Kinder zu betrachten – soweit treiben, und sich in der Reform unserer cisatlantischen Sünden ihrem Feuer so sehr überlassen, daß sie über den Splitter in unserem Auge den Balken in dem ihrigen übersehen. Die Anzahl der Missionäre, die das Mutterland zu diesem frommen, wohlwollenden Bekehrungsgeschäft zu uns herübergeschickt hat, ist Legion; nur müssen wir bedauern, daß ihre Bemühungen so wenig mit Erfolg gekrönt worden sind.

Der Wirt zum »Unklaren Anker« war also früh auf den Beinen, und um so flinker dahinter her, weil sein Nachbar erst vor kurzem auf den Einfall gekommen war, um neue Kunden anzulocken, das rote Gesicht eines Mannes im Scharlachrock als Schild auszuhängen, und das geklexte Bild »Zum Kopfe Georg des Zweiten« zu benennen. Und wirklich blieb die Tätigkeit des früh muntergewordenen Wirts nicht unbelohnt, denn die Kundenflut strömte in der ersten halben Stunde dem Hafen seines einladenden Schenktisches so mächtig zu, daß er nicht ohne Hoffnung blieb, die eindringende Flut werde dieses Mal die gewöhnliche Zeitgrenze übersteigen, selbst als es schon wieder Ebbe zu werden anfing. Jedoch nahm letztere immer mehr zu; die Trinker begaben sich, einer nach dem andern, zur gewohnten Tagesverrichtung, so daß er es ratsam fand, seinen Standort hinter den Flaschen zu verlassen und sich vor die Türe hinauszumachen, sich mit beiden Händen in beiden Taschen hinstellend, und Vergnügen daran findend, mit den neuen runden Einquartierten zu klimpern. Ein Fremder, der nicht mit den übrigen in die Schenkstube gekommen war, und demnach auch nicht an ihren Libationen teilgenommen hatte, stand einige Schritte vor der Tür, die Hand in der Weste und den Kopf in Gedanken vertieft. Die Gestalt entging dem umschauenden Auge des Wirtes nicht; er wußte aus langer Erfahrung, daß wer schon so frühe auf seinem Gesicht die Spur der Tagessorgen trage, noch keinen Morgentrunk zu sich genommen habe. – Er zog hieraus den strengen logischen Schluß: bei jenem Fremden sei etwas zu verdienen, nur müsse man es beim rechten Ende anzufangen wissen. Somit leitete er das Gespräch ein.

»Eine reine Luft,« sagte er, »eine frische Luft, guter Freund, die Nebel und Dünste der Nacht zu vertreiben.« Und zugleich schnupfte er den herrlichen, stärkenden Duft eines heitern Oktobermorgens ein. »Diesen Vorzug haben wir auf unsrer Insel; sie ist die allergesündeste auf Gottes Erdboden, sowie sie die allerschönste ist. Eine reine Luft! . . . Der Herr ist wahrscheinlich hier fremd?«

»Gestern abend spät angekommen«, war die Antwort.

»Ein Seefahrer, nach der Tracht zu urteilen? Wie es scheint, eine Anstellung suchend?« setzte der Wirt kichernd hinzu und sich auf seinen Scharfsinn etwas einbildend. »Wir haben hier oft dergleichen, die sich melden. Newport ist zwar ein blühender Ort; gleichwohl darf man nicht denken, daß immer Stellen offen sind. Hat der Herr schon in dem Hauptorte von Massachusettsbai sein Heil versucht?«

»Ich verließ Boston erst vorgestern.«

»Wie? das eingebildete StadtvolkBoston wurde Stadt Bosten (town of Bosten) genannt, bis es erst in der neuesten Zeit den Rang und Titel einer Hauptstadt (city) erhielt, da sich nur Städte von mehr als 50 000 Einwohnern dieses letzteren Rechtes wie auch einer demgemäß eingerichteten, besondern innern Verwaltung erfreuen.   A. d. Verf. konnte kein Schiff für Euch finden? Ja ja, sprechen können sie wie gedruckt, und es ist wahr, sie stellen ihr Licht nicht untern Scheffel, und ich muß sagen, es gibt unter ihnen Leute, die ich für aufgeklärte Köpfe halte, und die der Meinung sind, Narragansettbai sei auf gutem Wege, bald ebensoviel Segel zu zählen, als Massachusetts . . . Seht mal dort hin, Freund; da liegt eine stattliche Brigg segelfertig; sie geht noch diese Woche ab, um Pferde in Rum und Zucker umzusetzen; und hier ist ein Schiff, das schon gestern abend in den Strom angeholt worden. Ein schönes, prächtiges Fahrzeug, und hat Kajüten, wie sie kein Prinz besser wünschen kann! Es sticht mit dem ersten günstigen Winde in die See, und ich bin der Meinung, wer sich zu einem Dienste meldete, würde nicht mit leerer Hand abgewiesen werden. Dann ist noch im Außenhafen, am Fort vorüber, der Sklavenhändler, wenn Euch eine Anstellung belieben sollte, wo Ihr statt Geld ein paar Wollköpfe in Zahlung bekämet.«

»Und ist es gewiß, daß das Schiff im innern Hafen mit dem ersten Winde segelt?« fragte der Fremde.

»So gewiß als irgend sonst was. Meine Frau ist Geschwisterkind mit des Einnehmers Schreibers Frau; ich habe die Papiere mit Augen gesehen, alles ist fertig und expediert, es fehlt bloß am Winde. Ich treibe, wie Ihr denken könnt, einigen Verkehr mit den Blaujacken, denn bei den jetzigen schweren Zeiten darf ein ehrlicher Mann, wenn er durchkommen will, nichts von der Hand weisen . . . Nu ja, da liegt es, das Schiff, ein sehr bekanntes Schiff, die ›Royal Carolina‹; sie macht regelmäßig einmal des Jahres die Reise zwischen den Provinzen und Bristol, legt auf dem Hin- und Herwege hier an, bringt uns Vorräte und Bedürfnisse, nimmt Holz und Wasser ein, und geht von hier nach England oder nach den Karolinas, wie es die Umstände mit sich bringen.«

»Bitte, Sir, ist die Carolina gut bewaffnet?« fuhr der Fremde fort, der hier anfing, sein nachdenkendes Wesen zu verlieren und an der Rede des andern einen lebhaften Anteil zu nehmen.

»Ja, ja! Sie ist nicht ohne ein halbes Dutzend Bullenbeißer, für sie zu bellen, wenn es daraufs ankäme, ihr Recht zu verfechten, oder auch ein Wort für die Ehre Sr. Majestät des Königs mitzusprechen, den Gott erhalte . . . Judith! Judith!« rief er überlaut einem Negermädchen zu, das auf dem Schiffbauerdamm Späne sammelte, »spring' zu Nachbar Homespuns hin, klappre mit den Fensterläden seiner Schlafkammer, der Mann hat die Zeit verschlafen, 's muß ganz was Neues mit ihm vor sein: die Glocke hat sieben geschlagen, und die durstige Kehle hat ihr Bitteres noch nicht runter!«

Die Episode brachte eine kurze Pause im Gespräch hervor, und das Mädchen tat, was ihr der Herr befohlen hatte. Aber das Geklapper hatte weiter nichts zur Folge als ein schrilles »Wer da?« von seiten der Dame Desideria, deren gellende Stimme durch die dünne Wand hervordrang, wie durch ein durchlöchertes Sieb.

Einen Augenblick darauf öffnete sich das Fenster, und die verehrliche Dame schob ihr verstörtes Antlitz in die frische Morgenluft hinaus.

»Na! Und dann? Na! Und dann!« fragte die aufgebrachte und ihrer Meinung nach vernachlässigte Haus- und Ehefrau; denn sie zweifelte keinen Augenblick, daß es nicht ihr Herumläufer, ihr Nachtschwärmer sei, der so spät zu seiner häuslichen Lehnspflicht zurückkehrte, und sich unterstehe, sie im Schlafe zu stören. »Seid Ihr nicht zufrieden, die ganze lange Nacht aus Bett und Haus geblieben zu sein? Müßt Ihr Euch noch unterstehen, die unschuldige Ruhe einer Familie von sieben lieben Kindern und ihrer Mutter zu unterbrechen. O Hektor! Hektor! Was für ein Beispiel gebt Ihr der jungen, leichtsinnigen Brut? Was für Kummer macht Ihr der armen Mutter?«

»Bring' mir mein schwarzes Notandumbuch«, sagte der Wirt zu seiner Frau, die das Wehklagen der Schneiderin ans Fenster gelockt hatte. »Mich dünkt, die Frau murmelte so was von einem Abstecher ihres Mannes; ist er eines solchen Streiches fähig, der Philosoph, so muß ein Ehrenmann wie ich nach seinen Buchschulden sehen. Sieh' da, so wahr ich lebe, Ketzija, du hast dem hinkenden Bettler siebzehn und sechs Pence Kredit gegeben, und das für lauter Morgenschnäpse und Nachttränke!«

»Na, na! Guter Freund, nicht so hitzig, ohne allen Grund! Hat er unserm Jack nicht ein Kleidchen zur Schule gemacht? Du wirst finden . . .«

»Still, gutes Weib«, erwiderte der Wirt, das Buch zuschlagend, es der Frau zurückgebend, und ihr winkend, sich zu entfernen. »Wie ich sage, alles findet sich zu seiner Zeit, und je weniger Lärmen wir über die Seitensprünge unserer Nachbarn machen, desto weniger wird man uns selbst Böses nachsagen. Der Mann«, setzte er hinzu, sich an den Fremden wendend, »ist ein guter, fleißiger Arbeiter, aber einer, dem die Sonne niemals hat in die Fenster scheinen wollen, obschon, weiß der Himmel, das Glas nicht so dick ist, daß ihre Strahlen nicht durchkönnten.«

»Wie könnt Ihr aber auch nur, bei so schwachen Vermutungen und Beweisen glauben, daß sich ein solcher Mann wirklich davongemacht habe?«

»Ei,« entgegnete der Wirt, mit gefalteten Fingern beide Hände über die Brust legend, und sich ein wichtiges Ansehen gebend, »dergleichen Unglück ist wohl schon besseren Leuten begegnet! Wir Gastwirte sind so ziemlich im Besitz aller Stadtgeheimnisse, weil ein lustiger Trunk die Zunge zu lösen pflegt; wir müssen folglich wohl wissen, wie es bei unserm nächsten Nachbar zugeht. Könnte der gute Nachbar Homespun den Geist seiner Ehehälfte so zügeln und bügeln, wie eine Naht, so würde manches nicht geschehen, – aber . . . Wollt Ihr nicht eins trinken, Sir?«

»Ein Gläschen von Euerm Besten.«

»Nu, was wollt' ich sagen?« fuhr der andere fort, indem er den neuen Gast bediente. »Ja, das war's: wenn eine Gans von Schneider ebenso die Falten aus dem krausen Sinn seiner Frau plätten könnte, wie aus ihrem Rocke, ja dann ginge alles gut: oder wenn ein Mann, dem seine Frau alles mögliche Herzeleid auftischt, es runteressen könnte, wie z. B. die Gans, die hier an der Wand hängt . . . Wollt Ihr bei mir zu Mittag speisen, Sir?«

»Ich sage nicht nein, aber auch nicht ja«, erwiderte der Fremde, indem er für das Glas, woraus er nur genippt hatte, bezahlte. »Es wird vom Erfolg der Versuche abhängen, die ich bei den Schiffern im Hafen machen werde.«

»Alsdann würde ich Euch, Sir, bei meiner Euch bekannten Uneigennützigkeit raten und empfehlen, in diesem Hause Quartier zu nehmen, solange Ihr in Newport verweilet. Bei mir gehen die meisten Seefahrer ein und aus, und ich darf, ohne mich zu rühmen, den Wirt zum ›Unklaren Anker‹ als einen Mann aufstellen, der Euch mehr und besser als irgendein anderer alles sagen kann, was Ihr zu wissen wünscht und nötig habt.«

»Ihr habt mir schon den Rat gegeben, mich an den Kommandeur jenes Schiffes im Strome zur Anstellung zu melden; wird es gewiß so bald abgehen, wie Ihr sagt?«

»Mit erstem Winde. Ich bin mit der ganzen Geschichte des Schiffs bekannt, von dem Tage an, wo man die Blöcke zu seinem Kiel gelegt, bis zu der Minute, wo es auf der Stelle, wo Ihr es seht, die Anker fallen ließ. Die reiche Erbin von Süden, General Graysons schöne Tochter, ist eine der Passagiere: sie und ihre Erzieherin, ihre Gouvernante, wie man sie nennt, eine gewisse Frau Wyllys, warten nur auf das Zeichen der Abfahrt, hier ganz in der Nähe, im Hause der Frau von Lacey. Die Dame ist die Witwe des Konteradmirals dieses Namens, und eine leibliche Schwester des Generals, folglich die Tante der jungen Lady, wenn mich ihr Stammbaum nicht trügt. Man ist allgemein der Meinung, daß das Vermögen beider Köpfe auf sie übergehen wird, und in diesem Falle würde der Mann, dem Miß Getty Grayson ihre Hand gäbe, nicht bloß ein glücklicher, sondern auch ein reicher Gatte sein.«

Der Fremde, der bis zum Schluß dieses genealogischen Vortrags einen ziemlich gleichgültigen Zuhörer abgegeben hatte, fing nun an, einen Anteil daran zu nehmen, der mit den darin erwähnten Personen in näherer Verbindung stand, und benutzte die erste Pause, die der Wirt, um Atem zu schöpfen, machen mußte, ihm in die Rede zu fallen und schnell zu fragen:

»Ihr sagt also, das Haus in der Nähe, auf der Anhöhe, sei die Wohnung der Frau von Lacey.«

»Hab' ich das gesagt, so weiß ich nicht, was ich gesagt habe. In der Nähe soll heißen: über ein paar tausend Schritte von hier. Dort liegt nämlich ein Haus, wo eine Dame von ihrem Range wohnen darf, und nicht in einer von den Hütten hier herum, wo man sich nicht umdrehen kann, ohne sich an den Ellbogen zu stoßen. O, Ihr würdet das Haus schon allein an den schönen grünen Blenden, und an den hohen grünen Bäumen erkennen. Ich will behaupten, daß es in ganz Europa keinen so kühlen Schatten gibt, als vor der Haustüre der Frau von Lacey.«

»Sehr wahrscheinlich«, murmelte der Fremde, der, kein so großer Enthusiast seiner Provinz wie der Wirt, schon wieder in sein Nachsinnen verfallen war. Anstatt den Gegenstand des Gesprächs fortzusetzen, brach er es plötzlich nach einigen Gemeinplätzen ab; dann wiederholte er, daß er wahrscheinlich zum Essen zurückkommen werde, und nahm seinen Abmarsch, schnurgerade in der angegebenen Richtung des Hauses der Frau von Lacey. Dem schlauen, beobachtenden Wirte würde dieser abgebrochene Schluß der Unterredung und der ebenso plötzliche Abzug des Fremden nicht entgangen sein, und zu mancher Überlegung Anlaß gegeben haben, wäre nicht eben in diesem Augenblick Frau Desideria aus ihrer Wohnung herausgestürmt, und hätte durch die pikante Art und Weise, womit sie ihren armen Sünder von Mann abschilderte, die ganze Nachbarschaft, folglich auch den Wirt, aufmerksam gemacht.

Unsere Leser haben gewiß schon längst vermutet, daß die Person, die sich mit dem Wirt als Fremder unterhielt, kein Fremder für sie, mit einem Worte kein anderer als Wilder ist. Nachdem er, einem geheimen Zuge folgend, den wortreichen Mitredner hatte stehen lassen, war er schnell die Höhe hinangestiegen, an die sich die Stadt lehnt, und hatte schon die Vorstadt erreicht.

Es fiel ihm nicht schwer, selbst von weitem, unter einem Dutzend ähnlicher Landwohnungen das gesuchte Haus herauszufinden, da es sich durch seine Schatten, wie sich der Wirt in einem gewohnten Provinzialismus ausdrückte, von den anderen unterschied. Tiefe Schatten bestanden in einigen hohen Ulmen, die den kleinen Vorhof überdeckten. Seine Vermutung ging bald in Gewißheit über: Vorübergehende, die er befragte, bestätigten sie, und nun eilte er sinnend der Wohnung zu.

Es war voller Morgen geworden, ein schöner Morgen, der Vorbote eines schönen, milden Herbsttages, wie sie in dortiger Gegend so gewöhnlich, so wohltuend sind. Ein Lüftchen, das aus Süden wehte, fächelte wie ein Kühlwind im Juni das Gesicht des jungen Mannes an, wenn er bisweilen im Steigen stillstand, um die Schiffe im Hafen zu überschauen. Mit einem Worte, es war ein Wetter, wie es der Spaziergänger sich nur wünschen kann, wie es aber der Schiffer unter die verlorenen Tage rechnet.

Wilder ging immer weiter. Als er eine niedrige Mauer entlang kam, weckten ihn aus seinen Betrachtungen Stimmen, die ihm ganz nahe zu sein schienen. Unter anderen war eine, die seine Pulse in Bewegung setzte, und auf eine ihm unerklärliche Weise jede Saite seines Nervensystems anschlug. Der Ort war ihm günstig; es fand sich in einem Einbug der Mauer eine Bank. Auf diese stieg er, und war nun, selbst ungesehen, den Redenden ganz nahe.

Die Mauer lief um den Garten und das Mittelbeet der Besitzung, die er nicht mehr verkennen konnte. Ein ländlicher Pavillon, zu seiner Zeit in Laub und Blumen begraben, stand auf einer kleinen Anhöhe nahe an der Straße. Lage und Aussicht waren unvergleichlich. Man übersah die Stadt, den Hafen, nach Osten zu die Inseln der Massachusettsbai, nach Westen die Pflanzungen von Providence, nach Süden den unermeßlichen Ozean. Die Laubdecke war ziemlich dünn geworden, man konnte durch die freistehenden Pfeiler, die den Dom des Lusthäuschens trugen, bis tief hinein sehen. Hier war es, wo Wilder eben die Personen entdeckte, deren Unterredung er tags vorher, als er mit dem Rover in der Ruine verborgen war, zugehorcht hatte. Die Admiralswitwe und Frau Wyllys standen im Vordergrunde, im Gespräch mit einem Manne begriffen, der, wie er schloß, außerhalb der Mauer am Wege stand, aber Wilders scharfes Auge entdeckte bald die reizenden Umrisse der blühenden Gertraud im Hintergrund des Pavillons. Doch wendete er ebenso bald den Blick von ihr ab, um die Stimme aufzusuchen, die soeben der alten Dame Antwort gab. Er traf bald die Richtung, und bemerkte nun einen alten Mann, der, auf einem Steine sitzend und seine müden Glieder ruhend, sich mit den Damen in der Sommerlaube unterhielt. Sein Haar war grau; der lange Stab, der ihm zur Stütze dienen sollte, zitterte ab und zu in seiner Hand, dabei war in seinem Wesen, seiner Haltung, seiner Stimme etwas, woraus sich augenscheinlich schließen ließ, er sei früherhin ein Seemann gewesen.

»Lieber Gott,« sagte er mit zitternder Stimme, worin sich jedoch die unverkennbaren charakteristischen Töne seines Gewerbes hören ließen, »Euer Gnaden müssen wissen, daß wir alten Seehunde niemals in den Kalender gucken, wenn wir in See stechen, um zu erfahren, was es am morgenden Tage für Wetter sein wird. Uns genügt es, daß der Befehl zum Absegeln am Bord ist, und der Kapitän von seiner Lady Abschied genommen hat.«

»Die nämlichen Worte meines armen beweinten Admirals!« rief die alte Dame aus, mit inniger Freude über die Gelegenheit, von ihrem Steckenpferde herab mit einem alten Seeinvaliden weiter sprechen zu können, »also seid Ihr der Meinung, mein ehrlicher Freund, daß wenn ein Schiff segelfertig ist, es in See gehen muß, sei das Wetter wie es wolle?«

»Hier kommt ein zweiter Seekundiger wie gerufen!« unterbrach Gertraud, die soeben ihrerseits den jungen Wilder bemerkt hatte. Sie sprach die Worte mir einigem Ungestüm, denn ihr war daran gelegen, ihre Tante zu verhindern, im Streite über Wind und Wetter, der sich vorhin zwischen ihr und Frau Wyllys angesponnen hatte und mir der Abreise in Verbindung stand, mit Beistand des alten Mannes einen entscheidenden dogmatischen Ausspruch zu tun. Darum setzte sie hinzu: »Lassen Sie jenen Schiedsmann sein.«

»Gertraud hat recht«, sagte Frau Wyllys. »Bitte, Sir, was halten Sie vom Wetter? Ist es ratsam, heute abzufahren oder nicht?«

Ungern wendete der junge Seefahrer den Blick von der errötenden Gertraud, die schnell näher gerückt war, als sie ihn zuerst gewahrte, um sich zu überzeugen, ob's auch ein Seemann sei, jetzt sich verschämt in die Mitte des Sommerhäuschens zurückzog, wie eine, die sich ihre Dreistigkeit vorwirft. Er richtete nun seine Augen auf die Fragende, und heftete sie dabei so lange und so unverwandt auf sie, daß Frau Wyllys, in der Meinung, was sie gesagt, sei nicht deutlich genug gewesen oder nicht recht verstanden worden, die Frage wiederholte.

»Dem Wetter ist nicht zu trauen, Madame«, war die spät erfolgende Antwort. »Man müßte nur wenig Kenntnis von der Seefahrt haben, um daran zu zweifeln.«

In Wilders Stimme lag etwas so Sanftes, Wohlerzogenes, und doch zu gleicher Zeit Männliches, daß sich die Damen wie durch einen gemeinschaftlichen Impuls zu ihm hingezogen fühlten. – Dabei war sein Anzug, obschon ganz der eines Matrosen, so nett, so schmuck und glatt, so gentlemanartig, daß man leicht auf die Vermutung kommen konnte, er gehöre zu einer höheren Klasse der Gesellschaft, als die, in deren Tracht er auftrat. Dies alles erhöhte den Eindruck, den er machte. – In der Ungewißheit, wen sie vor sich habe, und mit dieser Ungewißheit die Absicht verbindend, gegen den Unbekannten höflich zu sein, machte ihm Frau von Lacey eine tiefere Verbeugung, als sie getan haben würde, wenn sie nicht geglaubt hätte, im zweifelhaften Falle etwas weitergehen zu müssen, und fuhr fort:

»Diese beiden Ladys sind im Begriff, sich jenes Schiffes zu bedienen, um nach Karolina zu segeln, und wir waren eben beschäftigt, uns zu befragen, von welcher Seite der Wind heute kommen werde. Doch bei einem solchen Schiffe, Sir, ist wohl nichts zu befürchten, er mag günstig sein oder nicht?«

»Im Gegenteil«, war die Antwort. »Mir scheint das Schiff so beschaffen, daß es nicht viel leisten werde, wie auch der Wind sei.«

»Es steht im Rufe ein guter Segler zu sein. Was sage ich: im Rufe! Wir haben davon die volle Überzeugung, da es in der kurzen Zeit von sieben Wochen von England in die Kolonien gekommen ist. Aber Seeleute haben, glaub' ich, wie wir arme Sterbliche zu Lande, ihre Vorliebe und ihre Vorurteile. Entschuldigen Sie mich daher, Sir, wenn ich diesen ehrlichen Veteran über seine Meinung in dieser Sache weiter befrage . . . Lieber Freund, was haltet Ihr von jenem Schiffe? Ist es ein guter Segler? Ich meine das Schiff dort mit den überhohen Vorbrambäumen und den vorragenden runden Marsen.«

Wilders Lippe zuckte, er mußte ein unfreiwilliges Lächeln zurückhalten; aber er verbiß es und schwieg. Der alte Seemann hingegen stand auf, schaute aus nach der Gegend des Schiffes, schien es sorgfältig zu untersuchen, und die etwas untechnische Kunstsprache der Admiralswitwe vollkommen zu verstehen. Jetzt erst, nach vollendeter Prüfung, wandte er sich wieder zur Lady und sagte:

»Das Schiff da im innern Hafen, das Ew. Gnaden meinen, ist gerade solch ein Schiff, wie es der Seemann liebt und gern betrachtet. Es ist ein braves, sicheres, oder wie wir zu sagen pflegen, ein heiles Schiff, darauf will ich schwören: und was das Segeln anbelangt, so ist's zwar kein Zauberer, kein Luftsegler, aber kunst- und kraftvoll eingerichtet, und vollkommen gut beschaffen, oder ich will nichts vom blauen Wasser oder von solchen verstehen, die darauf leben.«

»Hier sind also zwei verschiedene Meinungen«, sagte Frau von Lacey. »Es ist mir lieb, daß Ihr das Schiff ein heiles nennt: denn wenn schon Seefahrer ein schnelles Schiff lieben, so möchten diese Damen hier doch lieber ein sicheres . . . Ich hoffe, Sir, Sie werden dem Schiffe nicht abdisputieren, daß es ein heiles sei?«

»Eben diese Eigenschaft ist es,« war Wilders lakonische Antwort, »die ich ihm streitig mache.«

»Seltsam! Höchst seltsam! Hier steht ein alter Seemann, der ganz verschiedener Meinung ist.«

»Er mag zu seiner Zeit gute Augen gehabt haben und bessere als ich, Madame, aber ich zweifle, ob sie jetzt noch so gut sind als vordem. Wir sind etwas zu weit vom Schiffe, um von hier aus die Eigenschaften und Mängel beurteilen zu können: ich bin ihm näher gewesen.«

»Also sind Sie wirklich der Meinung, Sir, daß Gefahr ist?« fragte Gertrauds sanfte Stimme, deren Furcht über das Mißtrauen die Oberhand gewann.

»Ja, gewiß. Hätte ich Mutter oder Schwester« – hier, bei dem Worte Schwester rückte er am Hute, verbeugte sich vor der schönen Zitternden, und sprach das Wort mit Nachdruck aus – »würde ich Bedenken tragen, sie sich einschiffen zu lassen. Auf meine Ehre, Myladys, ich halte das Schiff da für gefährlicher als irgendeines, das diesen Herbst aus einem der Häfen der Provinz ausgelaufen ist oder noch auslaufen wird.«

»Mir unbegreiflich!« bemerkte Frau Wyllys. »Dies ist ganz und gar nicht die Beschreibung, die man uns von dem Schiffe gemacht hat; und ist diese Beschreibung nicht übertrieben, so kann man sich ihm als einem sichern, bequemen anvertrauen. Dürft' ich bitten, Sir, auf welche Umstände Sie Ihre Meinung gründen?«

»Sie springen in die Augen. Es ist zu scharf in der Rundung vom Bug bis zu den Vorsteven; es ist zu voll in der Billing des Spiegels zum Steuer. Dann stehen die Seiten gerade wie Kirchenmauern, und haben keine Einweichung, und das Schiff staut zu hoch über der Wasserlinie. – Überdies hat es kein Vorsegel, und wird überhaupt nach hinten gepreßt, dadurch in den Wind geklemmt, und mehr als sein sollte, back gedrängt. Es kommt gewiß mit ihm dahin, daß das Vorderste sich zu hinterst kehrt.«

Die weiblichen Zuhörer hörten diesem Vortrage, den Wilder entschieden und im Orakeltone hielt, mit der Aufmerksamkeit, dem blinden Glauben und der demütigen Folgsamkeit zu, die der Ununterrichtete gewohnt ist, dem Manne vom Fache zu zollen, wenn dieser die Geheimnisse seiner Kunst oder Wissenschaft vorträgt. Keine von beiden hatte freilich einen deutlichen Begriff von seiner Auseinandersetzung; so viel aber fanden sie in seinen Worten: es sei augenscheinliche Gefahr und selbst Lebensgefahr vorhanden. Frau von Lacey suchte jedoch wie immer, so auch bei dieser Gelegenheit, zu zeigen, wie sehr sie in der Schiffskunst bewandert sei. Sie versicherte, die angegebenen Fehler vollkommen einzusehen, nannte sie große, ernsthafte, wesentliche Fehler, konnte es nicht begreifen, wie es möglich sei, daß sie ihr Agent nicht darauf aufmerksam gemacht habe, und schloß mit der Frage, ob es noch sonst etwas gebe, was dem Auge des jungen Tadlers in dieser Ferne nicht entgangen sei und die Gefahr noch vermehren könne?

»O ja, sehr viel. Sie sehen, Madame, daß die Bramstengen nach hinten zu mir Splitzhörnern versehen sind: daß keines der obersten Segel flattert, und dann noch, Madame, daß sich das Bugspriet, dieser wesentliche Teil, auf das Wasserstag und die Wuhlingen verläßt.«

»Nur zu wahr! Nur zu wahr!« sagte Frau von Lacey mit innerem Schauder. »Dies alles war mir entgangen, aber jetzt, da ich darauf aufmerksam gemacht werde, sehe ich es deutlich. Eine solche Fahrlässigkeit ist höchst strafbar: und sich vor allem auf Wuhlingen und Wasserstag zu verlassen, wenn der Bugspriet fest sein soll! Gewiß und wahrhaftig, Mistreß Wyllys, ich kann's nun und nimmer zugeben, daß sich meine Nichte solch einem Schiffe anvertraue.«

Während Wilder sprach, weilte das ruhende Auge der Frau Wyllys auf seinen Zügen, und als er zu Ende war, wandte sie sich mit ungetrübter Heiterkeit an die Admiralswitwe. »Vielleicht mag aber die Gefahr etwas vergrößert werden«, bemerkte sie. »Sollten wir nicht den andern Seefahrer über die verschiedenen Punkte befragen und anhören? . . . Hört, lieber Freund, seid auch Ihr der Meinung, daß es so gefährlich mit dem Schiffe aussieht, und daß wir unrecht täten, uns in dieser Jahreszeit nach Karolina einzuschiffen und jenes Schiff zu besteigen?«

»Ei, du lieber Gott, Madame!« sagte der alte Seefahrer, sich vor Lachen ausschüttend, »der junge Mann da hat dem Schiffe ganz neumodische Fehler und Mängel abgesehen, wenn es überhaupt wirklich Fehler und Mängel sind. Zu meiner Zeit wurde dergleichen nie erwähnt, und ich muß meine Unwissenheit gestehen, und daß ich nicht die Hälfte von dem, was er Ihnen vorgesagt, verstanden habe.«

»Es mag wohl eine gute Zeit seit Eurer letzten Fahrt verflossen sein, guter Alter«, sagte Wilder.

»Fünf bis sechs Jahre seit der letzten; fünfzig seit der ersten«, war die Antwort.

»Also seht Ihr keinen Grund zur Besorgnis?« fragte Frau Wyllys wieder.

»So alt und abgenutzt ich bin, Madame, würde ich eine Anstellung auf dem Schiffe als eine Vergünstigung ansehen und annehmen.«

»Not sucht sich zu helfen«, bemerkte Frau von Lacey mit leiser Stimme und bedeutendem Blick, der für die Beweggründe des alten Mannes nicht sonderlich schmeichelhaft war. »Ich halte es mit dem jungen Schiffer, der seine Meinung mit substantiellen, wissenschaftlichen Gründen unterstützt.«

Frau Wyllys hielt mit Fragen ein, solange sie glaubte, der Dame hierin aus Gefälligkeit willfahren zu müssen. Nach dieser Pause wendete sie sich zu Wilder und setzte die Unterredung fort.

»Wie erklären Sie sich aber, Sir, die Verschiedenheit der Meinungen zwischen zwei Männern vom Fach, deren jedem man ein kompetentes Urteil zuschreiben kann?«

»Ich sollte denken,« versetzte der junge Mann lächelnd, »wir haben ein Sprichwort, das sich hier anwenden ließe. Sollte aber auch nichts darauf gegeben werden, daß sich der Schiffbau vervollkommnet hat? Sollte nicht Rücksicht darauf genommen werden, auf welcher Gattung von Schiffen jeder von uns gedient hat?«

»Beides sehr wahr«, sagte Frau Wyllys. »Aber mich dünkt, in einem so alten Gewerbe kann ein halbes Dutzend Jahre keinen Unterschied machen.«

»Ich bitte sehr um Verzeihung, Madame. Für Schifffahrer ist eine beständige Übung durchaus notwendig. Und ich möchte wohl behaupten, daß jene würdige alte Teerjacke nicht mit der Weise bekannt ist, wie ein Schiff mit vollen Segeln die Wellen mit seinem Hackebord zerteilt

»Unmöglich!« rief hier die Admiralswitwe. »Der jüngste, gemeinste Seefahrer müßte ja von dem Anblick eines so herrlichen, einzigen Schauspiels entzückt sein!«

»Ja, ja!« fiel der alte Mann ein, dem anzusehen war, daß er sich beleidigt fühlte, und der sich, wäre ihm auch irgendein Zweig seiner Kunst verborgen geblieben, wohl gehütet haben würde, es einzugestehen, »o wie oft hab' ich dieses Schauspiel genossen; wie manches stolze Schiff bestiegen, das durch die Wellen flog! Ja, ja, wie die Lady sagt: Es ist ein großes, herrliches, einziges Schauspiel!«

Wilder schien beschämt und vernichtet. Er biß sich in die Lippen, wie jemand, den entweder die Unwissenheit oder die Verschmitztheit eines andern zuschanden gemacht hat; aber die Selbstliebe der Frau von Lacey sparte ihm die Verlegenheit der Antwort und ließ ihm Zeit zur Besinnung.

»Es würde freilich ein ganz eigener, außerordentlicher Fall gewesen sein,« sagte sie, »wenn ein Mann, dessen Haar auf der See grau geworden, niemals hätte Gelegenheit haben sollen, von einem so nobeln Anblick entzückt zu werden. Gleichwohl, mein würdiger Alter, kommt es mir vor, daß Ihr das Schiff nicht gehörig untersucht habt, weil Euch die Fehler entgangen sind, die der junge . . . Gentleman doch so umständlich und namentlich angeführt hat.«

»Erlauben, Ew. Gnaden, es sind keine Fehler. Geradeso pflegte mein verstorbener, braver, trefflicher Kommandeur sein Schiff zu takeln: und ich bin stolz, versichern zu können, daß nie ein besserer Seemann und ein edlerer Mann auf der Flotte Sr. Majestät ein Kommando geführt.«

»Also habt Ihr dem Könige gedient? Wie hieß Euer lieber Kommandeur?«

»Wie hieß er? . . . Wir anderen, die unter ihm dienten und ihn von innen und außen kannten, hießen ihn nie anders als den Kommandeur Fairweather, denn unter seinen Befehlen gab's immer schön Wetter und gute Zeit; doch zu Lande war er unter dem Namen des tapfern, siegreichen . . . Konteradmirals de Lacey bekannt.«

»Und ließ mein hochverehrter und erfahrener Gemahl wirklich seine Schiffe auf diese Weise auftakeln?« fiel die Witwe mit einer bebenden Stimme ein, die das deutlichste Zeugnis ablegte, wie groß und innig ihre angenehme Bestürzung und ihr geschmeichelter Stolz war.

Der alte Mann trat langsam und ehrfurchtsvoll näher, verneigte sich tief vor der Dame und sagte:

»Hab' ich wirklich die Ehre und das Glück, die Lady meines Admirals zu sehen, so ist dies ein Trost und eine Freude für meine alten Tage, die sich nicht beschreiben läßt. Sechzehn Jahre hab' ich auf seinem Schiffe gedient und zwanzig in seinem Geschwader. Ich sollte fast denken, Ew. Gnaden müßten vom Aufseher seines großen Mars gehört haben, von Bob-Bunt, von Robert Bunt.«

»Ja, mir scheint, mir scheint! Der Admiral sprach gern, sehr gern von seinen treuen Dienern.«

»Gott hab' ihn selig und schenke ihm einen glorreichen Nachruhm! Er war ein guter Herr, ein unvergleichlicher Offizier, der keines Freundes vergaß, gleichviel, ob auf der Rahe oder in der Kajüte. Ja, er war des Seemanns Freund, der edle, brave Admiral!«

»Wie dankbar der Mann ist,« sagte Frau von Lacey, sich die Augen trocknend, »und dabei ein kompetenter Richter in seinem Fach. Seid Ihr auch ganz gewiß, lieber Freund, daß mein Gemahl, der selige Admiral, alle seine Schiffe ebenso einrichten ließ, wie jenes da, von dem wir sprechen?«

»So gewiß als ich hier vor Ihnen stehe, Madame: mit diesen meinen eigenen Händen hab' ich sie vor seinen Augen so getakelt.«

»Auch den Wasserstag?«

»Und die Wuhlingen, Mylady. Wäre der Admiral noch am Leben und hier, er würde das Schiff ein heiles, gesundes, gut ausgerüstetes nennen: darauf will ich schwören.«

Frau von Lacey drehte sich jetzt mit Majestät, Würde und Entschlossenheit zu Wilder und fuhr fort:

»Mein Gedächtnis hat mich einen Augenblick verlassen: und das ist kein Wunder, da ich solange der Belehrung und des Beistandes eines Gatten habe entbehren müssen, der mich leiten könnte. Wir sind Ihnen, Sir, recht sehr für Ihre Meinung verbunden, können uns aber nicht enthalten, zu denken, daß Sie die Gefahr ein wenig übertrieben haben.«

»Auf Ehre, Madame,« unterbrach Wilder, die Hand aufs Herz legend und mit besonderem Nachdruck die Worte sprechend, »auf meine Ehre, ich bin aufrichtig, wenn ich sage, daß ich der Meinung bin, es sei große Gefahr vorhanden, wenn man mit jenem Schiffe abreist: und ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß ich, indem ich so spreche, nicht im geringsten die boshafte Absicht habe, dem Kommandeur, den Eignern des Schiffs, oder irgend jemanden, der mit Ihnen in Verbindung steht, nahe zu treten.«

»Wir zweifeln nicht im mindesten an Ihrer Aufrichtigkeit, Sir: wir glauben nur, daß Sie sich vielleicht in Ihrem Urteil irren«, erwiderte die Witwe mir einem mitleidigen, oder, wofür sie selbst es hielt, mir einem herablassenden Lächeln. »Wir danken Ihnen nochmals recht für Ihre gute Absicht . . . Kommt, ehrlicher Veteran, wir müssen näher bekannt werden. Ihr dürft nur an die Haustür klopfen: ich habe noch mehr mit Euch über die Sache zu sprechen.«

Sie verneigte sich nochmals kalt gegen Wilder und ging von der Mauer tiefer in den Garten zurück, begleitet von den beiden andern. Sie schritt mehr einher, als sie ging, und stolzierte wie jemand, der sich aller seiner Vorteile bewußt ist, während Frau Wyllys ihr still, langsam und nachdenkend folgte. Gertraud schloß sich den letztern an, mit gesenktem Haupt und das Gesicht unter den Strohhut verbergend. Wilder schien zu bemerken, daß sie einen verstohlenen, ängstlichen Blick auf ihn zurückwarf; doch da er von den Gefahren der Fahrt gesprochen hatte, konnte er nicht wissen, ob dies ein Blick der Teilnahme, des Gefühls, oder nur der Besorgnis und Furcht war. Er sah ihr nach, bis sich die Gruppe unter das Gesträuch verloren hatte. Als er aber seinen Bruder Seefahrer aufsuchen wollte, um seinen ganzen Unwillen an ihm auszulassen, fand er, daß der alte Seemann seine Beine und seine Zeit gut angewendet hatte und schon im Hause war, um den Lohn seiner Schmeichelei einzuernten.


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