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Gedichte aus der Spätzeit

Gloria.

Auch ich – auch ich, in unseligem Drang,
Hab' mit zuckenden Fingern, so lang, so lang,
Von verzehrendem Fieber zerspalten,
Gehascht nach des Ruhmes Lorbeergezweig,
Mit fliegendem Atem, ringerbleich,
Eine üppige Krone zu halten!

Auch ich entrafft' mich dem heimischen Herd –
Was hat mich die Träne der Mutter geschert,
Was Marias geschluchzte Klagen? –
Es trieb mich so wild, so stürmisch hinaus
Auf des Lebens weißschäumigen Wogenbraus,
Den strahlenden Ruhm zu erjagen.

Wie ward's mir so schwül im umzäunten Kreis –
Nach Atem rang ich – aus altem Geleis
Zog's mich in phantastischem Wahne!
Die Mutter hat mich gesegnet beim Zieh'n
Und gab mir zum Abschied den Flammenrubin
Zum schirmenden Talismane.

Ich spannte mir Flügel zum Dädalusflug –
Nicht war mir ein dürres Zweiglein genug –
Ich lechzte nach üpp'gem Gewinde …
Da brachten mir die Töchter der Lust
Mit lachendem Auge, mit lockender Brust
Die süße, die lustige Sünde.

Und ich trank und ich trank und ließ die Spur,
Und mit heldengroßer Siegerbravour
Bracht' ich die Komödie in Stanzen …
Da nahten sie alle – beäugelten links,
Beäugelten rechts die schnurrige Sphinx
Und kamen mir einen Ganzen.

Holla hoch! Das war ein lustiges Fest –
Der Morgen ward mir weidlich durchnäßt,
Und die Stirne schwamm in Wonne:
Sie trug ja nun glänzende Lorbeerzier,
Und sie trug sie mit Würde, nicht bloß zum Pläsier –
Stolz leuchtete meine Sonne.

Da kam auch für mich der Damaskustag –
Die Binde fiel, und die brennende Schmach
Schlug zischend mir in die Seele …
O du Wahn! O du Wahn der Unsterblichkeit,
Wenn ein wetterwendisch Gesindel schreit
In hochwillkommnem Krakehle:

»Der Kerl – bei Gott! – ist ein Pionier –
Prophet – Messias – ein Wundertier –
Er schreibt brillante Sachen!
Gedankentief und doch populär
Und so bilderreich! Und so schneidig wie er
Kann keiner Verse machen!

Wie wär's drum, wir dächten beizeiten schon
An ein Säulchen, ein Denkmal – die Nation! –
Nur hurtig: die Sammelliste:
Wer unterschreibt? »Na ich!« »Und auch ich!«
(Der eine: »Rein fiel ich!« bei sich –
Der andere: »Wenn man nur nicht müßte!«) …

Da dankt' ich dir, Krämerbrut, für das Mal,
Und ich ließ den rauschenden Huldigungssaal. –
Entweiche wahnwitz'ge Verblendung!
» Der Ruhm ist keinen Dreier wert,
Und dreimal Schmach, wer ihn begehrt
Für seine göttliche Sendung!«

Ich rief's und schritt in die Nacht hinein,
Und beim ersten, blassen Frührotschein
Ist mir ein Wandrer begegnet …
Der sprach: »Glückselig bist du, Poet,
Dein wahrer Lohn, wenn im stillen Gebet
Ein getrösteter Armer dich segnet!« …

Deutsche Blätter, 10. Okt. 1887

Der verlorene Sohn.

Dein Mütterlein, zu dieser Stund',
Zu dieser Stund' in tiefer Nacht
Bist du aus leisem, kurzem Schlaf
Wohl jählings, jählings aufgewacht!
Du fährst empor und starrst und horchst;
Und eine bange Ahnung schwirrt
Dir durch die angstumschnürte Brust:
Daß ruhelos dein Kind noch irrt …

Noch irrt auf fernem, fremden Pfad,
Noch irrt in später, schwarzer Nacht –
Du aber weißt nicht seine Spur,
Weißt nicht, was es so ruhlos macht …
Weißt nur, daß es aus dieser Not
Die Mutterliebe einzig risse,
Und möchtest wohl es suchen gehn
Durch schwarze, schwarze Finsternisse …

Mein Mütterlein, dein armes Kind,
Es sucht dich nicht in seinen Aengsten,
Es taumelt durch die Nebelnacht,
Geschleift von seines Dämons Hengsten.
Hei! Wie es brennt in seiner Brust!
Wie schnürt's die Kehle ihm zusammen!
O Mutter, deine milde Hand
Beschwor mir nicht die Wahnsinnsflammen.

Mein Mütterlein, laß ab, laß ab!
Das du in Schmerzen einst geboren,
Dein Kind, du hast es einmal doch
An diesem Tage – ach, verloren!
Es fragt nichts mehr nach deiner Lust –
Es fragt nichts mehr nach deinem Kummer,
An seiner Leidenschaften Brust
Erwürgt es deiner Nächte Schlummer …

Mein Mütterlein, wenn's dich verzehrt,
Daß du dein Kind hast lassen müssen,
Dann ruh dich auf der Bahre aus
Von deines Lebens Kümmernissen …
Dann schließ die müden Augen zu,
Die oft um mich in Tränen lagen –
Dann laß zur allerletzten Ruh'
Dich heimlich auf den Kirchhof tragen …

Vielleicht bin ich des Wanderns müd,
Und ist die Unrast all' verlodert –
Vielleicht, daß dann mein Schicksal mich
Dort rasten läßt, wo du vermodert …
Dann sind wir beide ganz allein,
Und unsre Liebe darf nicht säumen – –
Dann will ich meines Lebens Traum
Mit dir noch einmal still durchträumen.

Dann will ich alles dir gestehn –
Wie Schuld auf Schuld sich lud, dir sagen –
Dann will ich mit dir heimwärts gehn
Zu meines Lebens ersten Tagen …
Mein totes Mütterlein, dann gibt
Es nichts, was dir verborgen bliebe –
Dann weißt du, wie ich dich geliebt
Und doch verraten deine Liebe!

Dann weißt du, wie es plötzlich mich
Mit heißem Atem angepfiffen –
Wie es in meine Seele schlug,
Das Feuer, dampfend, unbegriffen –
Wie es versengend mich gepackt,
Mich weggespült von deinem Herzen:
Ich schoß, ein Glutenkatarakt,
Ins Tal der Wonnen und der Schmerzen.

Mein Leben troff von Duft einmal –
Vom Duft der Rosen und Narzissen …
Mein Denken war ein Morgenstrahl,
Entbrochen schwarzen Finsternissen –
Ich lebte! O mein Mütterlein –
Und riß, umsprüht von Freudenfunken,
Die Sphären an mein Bruderherz,
Von Weltenmelodien trunken …

An ihrem Leib bin ich zerschellt.
Und all mein Denken ist verpestet – –
So irr' ich ruhlos durch die Welt,
Ein Narr, verzweiflungsqualgemästet …
Nicht grünt mein müder Wanderstab
Ein zweites Mal zur Sündensühne –
Kein Gott nimmt meine Reue ab
Und hebt von mir der Schuld Lawine.

Aus weißem Kelch den gelben Wein
Goß ich ins rote Blut der Wunden – –
Nur einmal wollt' ich stille sein,
Nur einmal von der Schmach gesunden!
Die aber preßt mich fest und läßt
Mich nicht aus ihren erznen Krallen –
Von Blut und Kot und Schweiß genäßt,
Schleif' ich durchs Leben, fluchverfallen … –

Ja, Mutter, stirb! Und bist du tot,
Dann wollen wir, ein seltsam Pärchen,
Vom Abend- bis zum Morgenrot
Eins plaudern von dem tollen Märchen,
Dem mich das Schicksal auserwählt,
Mich brav – recht brav drin auszuleben –
Und hab' ich's dir dann auserzählt,
Hast du auch schweigend mir vergeben …

Dann reck' ich hoch mein Haupt empor –
Und bei des Tages ersten Grüßen
Schmeiß' ich den eklen Erdenstaub
Von meinen wandermüden Füßen …
Es fliegt der Filz ins feuchte Gras,
Ich rüste mich zum letzten Traume –
Zerbreche meinen Knotenstock
Und häng' mich auf am nächsten Baume … –

Deutsche Blätter. November 1887

Ein Ende vor dem Anfang.

Ganz leise erst, noch in den zartsten Fäden,
Spann sich ein Band von dir zu mir herüber …
Oh! Voll war ich des köstlichsten Erwartens,
Und süße Hoffnung hat mich oft berauscht.
Ich liebte dich vielleicht noch nicht … Und doch –
Ich wußte es: die Stunde, ja, sie käme,
Wo ich dich sanft in meine Arme nähme,
Dich an mich zöge, küßte … und tief atmend
Du dich auch mir zu eigen geben würdest …

Ich lebte dieser Stunde still entgegen
Und zehrte scheu von ihrer Freude Segen …
Und nun kam's doch noch anders. Zaghaft fast
Stand auf ein müder, milder Wind … und langsam,
Wie spielend, wie in harmlos neck'schem Zufall,
Hat er die weichen Flocken des Gewebes,
Das zart von dir zu mir sich angesponnen,
Zertändelt … Sieh, mein liebes Kind, nun flattern
Die kleinen, losen Maschen wie verwaiste,
Verlorne Seelchen durch die stummen Lüfte …
Und drüben nun stehst du, ich stehe hüben –
Und traurig sehn wir unser Glück zerstieben …

Ich liebte dich vielleicht noch nicht … Vielleicht
Lieb' ich dich jetzt noch nicht … vielleicht nicht mehr …
Nein! Aus dem Wege gehen wir uns nicht.
Ja! Wir begegnen uns noch ziemlich oft …
Und unsre Augen suchen sich und bleiben
Auf einen … Augenblick in tiefem Anschau'n,
Nicht scheu, nicht schüchtern und wohl vorwurfslos …
Und nur wie Neugier, wie ganz zarte Neugier
Liegt es in unserm Blick … dann gehen wir
Vorüber aneinander stumm und still …

Ich weiß: wir werden uns nicht wiederfinden –
Und auseinander weiter, immer weiter
Wird uns das Leben unsre Wege führen …
Nur manchmal zittert leis die Frage auf,
Das scheue Kind verschwiegner Stunden: wenn
Nun dieses Wissen dennoch trügrisch wäre?
So trügrisch wie das erste? Würd' ich säumen,
Da sich zum andern Mal das Glück mir böte,
Es zu ergreifen und es festzuhalten? …

Es folgt der Nacht die junge Morgenröte –
Doch meinem Leben blühet noch das Licht,
Doch meinem Leben blühet noch der Tag
Und seines Schaffens ungemess'ne Freude …
Noch darf ich meine Kraft im Kampf vergeuden,
Noch habe ich ein Recht auf rote Wunden,
Noch schiert's mich nicht: Ob träge Abseitsruh',
Ein Opfer der alltäglichsten Geschichten,
Im ersten besten Winkel ich gefunden,
Noch darf ich kühn auf »stilles Glück« verzichten!
Es zu ergreifen – ja! ich würde säumen –
Und dann auch: selbst, wär' ich zu feig dazu:
Nein! Nein! Ich halt' nicht viel von reparierten Träumen …

Die Gesellschaft. April 1888

Psalm der Leidenschaft.

Wie du mich lange, lange verlassen hattest,
Meiner Phantasie und meiner Kraft gewaltige Tochter,
Leidenschaft! –
Die du von mir gewichen wärest und von mir geflohen
In Dämmertiefen und Nebelgründe –
Die du mich hattest verdorren lassen und kläglich verkümmern –
Wiederum nun nach langem Entbehren
Feire ich in stürmisch klopfender Brust
Deine dithyrambische Einkehr!

Leidenschaft! Voll bin ich deiner und deiner trunken –
Alles Verstaubte tief, tief versunken –
Alle Gewöhnlichkeit glitt dahin –
Begeisterung! Ich schlürfe dich liebeglühend, Erlöserin!

Voll bin ich deiner! In starker Erregung –
In glüher Bewegung
Ist all mein Sein!
Leidenschaft, ich bin dein!

Sie – sie ist zu mir niedergestiegen
Und hat mich erwählt –
Und eine Beute von süßen, köstlichen Siegen
Hab' ich ihr wieder und wieder erzählt,
Wie sie all mein Suchen und all mein Sinnen
Einzig begreift –
Ob Tage, ob Wochen, ob Monde verrinnen –
Meine Liebe bleibt und reift …

Leidenschaft! Du erfüllst mich so ganz!
Mit magischem Schein überströmt mich dein Glanz,
In deinen Wirbeln so ganz verloren
Ward ich wiedergeboren!

Wie so anders nun leuchtet mir Leben und Welt!
Wie so heimisch nun ward mir mein irdisch Gezelt!
Stunden oft rast' ich und rege mich kaum …
Und mich erfüllt namenlos glücklicher Traum –
Alles gewährend, Leidenschaft, bist du genaht!
Siehe, ein Trunkener wandelt der Liebe rosentriefenden Sonnenpfad!

Die du mich lange, lange verlassen hattest, Leidenschaft –
Neu haftet's in mir von deinen Geschossen!
Neu dampft meiner Seele gebärende Kraft –
Ich habe genossen!

Und trunken ward ich von all dem heißen Genießen,
Rosen nur seh' ich, nur Rosen sprießen
Je und je –
Berauschende Düfte wehen mir zu die Winde,
Und mir seligem Kinde
Schweigt das Weh …

Sturm nur erfüllt mich und kühneres Wollen –
Ob Tage, ob Wochen, ob Monde verrollen,
Was kümmert's mich!
Laß sie in blödem Plunder verfliegen –
Die du zu mir herniedergestiegen,
Leidenschaft! Liebe! ich halte dich!

Halte dich – ob auch nur eine Stunde –:
Deine Saat gedeiht!
Geheimnisvoll mit dir im Bunde
Ueberwind' ich die zehrende Zeit …

Das literarische Anhalt. Herausgegeben von Jean Bernard Muschi und Dr. Hermann Wäschke. Dessau. 1888

Noch einmal! …

Nun knospet's in den Linden wieder,
Die unter meinem Fenster stehn …
Ich sah sie blühn und sich entblättern.
In pfeifenden Oktoberwettern
Ihr letztes Blatt verloren gehn.

Es kam des Winters weiße Stille –
Und ganz vereinsamt ward mein Herz …
Nur der Erinnerungen Fülle
Beschwor ein dunkler Schicksalswille
Und dem Verwaisten milden Schmerz …

Du gingst von mir. – Da nackt die Bäume,
Drückt' ich zum Abschied dir die Hand. –
Fahrt wohl, fahrt wohl, ihr Sommerträume,
Ihr zogt wie treulos Flutgeschäume –
Und nur die Sehnsucht wob das Band. –

Nun knospet's in den Linden wieder,
Die unter meinem Fenster stehn …
Braunrot seh' ich die Kraft sich schließen –
Ein Duft von nahendem Genießen
Spür' ich durch wärmre Lüfte wehn …

Wirst du noch einmal nordwärts kehren.
Den ich wie keinen je geliebt?
Laß uns den letzten Lenz durchträumen –
Wird's wieder nackt an Busch und Bäumen,
Ist's Zeit, daß auch der Wahn zerstiebt …

Das literarische Anhalt.

Motto zu »Adam Mensch«.

Laß fahren, was dich traurig macht,
Und was die Enge dir geboren –:
In dieser großen Freudennacht
Bleibt dir dein Genius unverloren.

Wir leben, mein geliebtes Weib –
Und unser Leben atmet Fülle –:
Der Dinge unverstandne Hülle
Fiel ab vom nackten Gottesleib.

Adam Mensch.

Widmungsgedicht zu »Adam Mensch«.

Oskar Hänichen zugeeignet.

Von einem Grabe komm' ich her. – Du weißt,
Mein lieber Freund –: von welchem Grabe –
Du weißt –: wie viele Träume, wie viel Glück –
Wie viele Vergangenheit ich da begraben habe …
Von des Vergessens Flut unüberspült
Mahnt dieser Hügel noch im fernen Süden –
Da wir so groß gelebt, so stark gefühlt,
So heiß gekämpft um unsres Willens Frieden.
Ob wir ihn fanden –? Nun, mein lieber Freund –
Wir lächeln schmerzlich – doch wir lächeln eben –
Wir sind allein – wir haben nur noch uns –
So bleiben wir zusammen für das Leben …
Der Regen klatscht an meine Fensterscheiben –
Ins Nordland wieder wurden wir verbannt –
Getrost mein Freund! Wir werden südwärts treiben
In unsrer Sehnsucht – unsres Sieges Land!
Ein Grab zu hüten gilt's. Mit weißen Kerzen
Hat's unterweil der junge Lenz geschmückt –
Für das Unsterbliche verglühn die Herzen –
Mit rotem Blut getauft der tiefsten Schmerzen
Ward uns der Geist, der Zukunftsfrüchte pflückt. –

Adam Mensch.

Das Ende vom Liede.

Vergessen können – ja! Das ist die Kunst,
Von allen Künsten dieser Welt die erste –
Von allen Künsten dieser Welt die schwerste,
Und bist du ihrer Herr, ist alles Dunst.

Ist alles Wurst, was jemals du gewesen,
Was du geliebt, gehaßt, getan, gefehlt, gewollt,
Ob sich dein Leben prunkvoll aufgerollt,
Ob du für andre warst bequemer Besen.

Ob Sklave oder Herr – dann ist's egal,
Vergessen können – und nicht dran ersticken,
Hinunterschlucken, lachen, weiterkrücken,
Ins Leben weiter noch ein dutzendmal.

Dann tut's ja nichts! – Nun gut! Ich will's probieren,
Den letzten Lorbeerkranz will ich entblättern,
Das letzte Amulett will ich zerschmettern,
Wie man vergißt, will ich genau studieren.

Und eines Tages dann – ist mir's geglückt,
Ich atme auf in grenzenloser Leere
Und breche in die Knie und bete: Kehre,
O kehre wieder, die du mich entzückt:

Geliebte Sünde, die ich froh beging,
Geliebte Reue, die ich kühn genossen. – –
Gemach, mein Freund! Dein Schicksal ist beschlossen
Und um dich schürzt sich des Vergessens Ring.

Deutsche Blätter. 1889

Erste Sonne.

Wie gerne lass' ich von der ersten Sonne
Mich bescheinen! – Wenn der Januar
Mit seiner Atemzüge Eishauch wich –
Wenn in der Monde Schnur die zweite Perle
Sich übertropfen läßt von Goldreflexen –
Der Winternebel Vorhang in zwei Stücke
Geborsten ist … und ihrer Gnaden Truhe
Nach träumerischer Rast die Sonne leert –
Den ganzen Köcher ihrer funkelnden Pfeile:
Wie gerne last' ich mich von dieser Sonne,
Von dieser Sonne sanft verkühltem Licht
Bescheinen! Leise kommt auf leichten Sohlen
Ein Sinnen über mich … ein dunkles Suchen –
Und doch, wie so klar und wunschlos still …
All' Winterunrast hab' ich abgetan –
Als schritte ich auf Wolken, treib' ich hin …
Die Augen halb geschlossen … seltsam müde –
Und an den Sonnenstrahl, der mich berührt …
Leise, ganz leise meine Wange streift,
Möcht' ich mich lehnen … und in seiner Goldspur
Verdämmern lassen meiner Seele Leben …

Deutsche Blätter. 1889

Meta.

Am Donnerstag kam Meta in die Schule,
Am Donnerstag nach Ostern. – Wie das Kind
Sich drauf gefreut hat! Wie sein kleines Herz
Der Mädchenträume bunte Fülle träumte!
Die Tage all vorher hat's von dem einen,
Von diesem einen immer nur geplaudert –
Selbst in den festen Jugendschlaf schlich sich
Die Neugier lockernd … Und dann kam der Tag …
Und kaum zu bändigen von der Hand der Mutter,
Die es zur Schule brachte, war das Mädchen …
Nachher kam's zu mir. In den braunen Augen
Stand klares Leuchten … und der Freude Schimmer
Entzückte hold das zarte Angesicht …
Die kleinen dünnen Finger hielten tapfer
Die rote Düte, die fast größer war,
Denn's ganze winzige Persönchen … »Onkel!
Das hat der Lehrer mir geschenkt –« ich nickte …
Und ließ die Hand nach einer Mandel suchen …
Und krabbelte ganz unten eine auf …
Und biß sie durch … und schob das größte Stück
Dem Leckermädchen durch die schmalen Lippen …
Dann lachten wir … und weich ward mir die Brust,
Verschollenes hob aus Dämmertiefen sich,
Drin's lang bedeckt gelegen … kam … und ging
Vorbei … die Mandelbrocken schluckt' ich hinter …
Und küßte Metas kleinen, roten Mund …

Zum ersten Male heute soll das Kind
Allein zur Schule gehn … Nun weint's und schreit:
Es kann den Weg nicht finden … und die Furcht
Schnürt ihm das kleine Herz zusammen … das
Vorgestern noch in heller Freude schlug
Und sich zum Richtplatz seiner Reinheit sehnte …
Tiefsinn der Kindheit! – Sich aufs Leben freuen,
Es nicht erwarten können. – Ach! Wir alle,
Die wir nun alt und müd geworden sind,
Wir haben's auch einmal getan! Doch keiner,
Den nicht auch einmal jäh die Furcht gepackt
Vor dieses Lebens ungeheurem Wirrwarr –
Der nicht auch einmal bangte, ob er nicht
In diesem Dickicht doch den Weg verlöre …
Und nimmermehr zu seinem Ziele kehre –?
Es stockt sein Fuß … und ratlos irrt sein Blick …
Sein Atem steht … Mein Gott! Nun doch zurück –?
Nein! Vorwärts! Nun? Ach irgendwo ein Pfad
Wird sich schon finden – ob's der rechte ist –
Wer wüßte es! – Das aber wissen wir:
Zur Wirklichkeit den Irrtum umzubiegen:
Wir klugen Menschen nennen's eine » Tat« –
Und für die allerletzte Nacht die Herberg' –
Kann schließlich auch an diesem Wege liegen …

Ob Meta morgen wieder weinen wird –? …

Deutsche Blätter. 1889

Nürnberger Tand.

Im fremden Gasthofszimmer,
Das unsäglich nüchtern und kalt,
Knistert's von seidenem Schimmer,
Perlt's auf von flirrendem Flimmer –
Nacht, deine geliebte Gestalt!

Längst schon ist die Nacht gekommen,
Hat alles schwarz verhängt –
Strömend ist's da erglommen …
Und was du mir jemals genommen,
Hast du alles mir wiedergeschenkt!

Ich hab' mich herumgetrieben
In der fremden, verworrenen Stadt –
Ich wollte dich nicht mehr lieben –
Da war mir treu geblieben,
Die mich verlassen hat …

Die Gesellschaft. 1889

Maria.

Ich war in deinen Kreis getreten, Weib,
Und meine Leidenschaft schrie auf zu dir –
Und alles bebte von mir hin zu dir –
Und meine Glut warf mich in deinen Staub –
Und meine Gier brach meines Stolzes Knie –
Und meine Brandung rang empört um dich –
Und alles schoß zusammen zu dem Schrei:
Nur einmal nimm das Opfer meiner Kraft –
Sieh, meine Arme stöhnen dir entgegen –
Entgürte deines Leibes Schönheitssegen
Dem Katarakte meiner Leidenschaft! – –

Gelegentlich traf ich dich mal allein – das heißt:
Auf deinen Armen, die mich trunken machten,
Sah ich des Fleisches feste, volle Wölbung,
Trugst du dein Kind – dein Kind, wie einen Schild,
Mit dem du meinem Frevel wehren wolltest –
Hm! Meinem Frevel, den du doch erlechzt –
Zusammenschauernd von dem Fremdling heischtest …

Ich haßte es, dein Kind – ich haßte es …
Und doch sah's mich mit seinen großen, blauen,
Neugierigen Augen furchtlos an … und patschte
Mit seinen kleinen, dicken, plumpen Händchen
Zu mir herüber … Und du zittertest …
Und schwiegst … halb überlidert stahl dein Blick
Zu deinem Kinde sich … an mir vorüber …

Mir aber war's, als kämen deine Augen
Weit … weit aus der Vergessenheiten Land –
Aus des Gewesnen ungeheurer Zone –
An eine andre Mutter mußt' ich denken –
An eine andre Mutter mit dem Sohne …

Und so – so schont' ich dich … und spielte träumend
Mit deinem Kinde, das nun lächelte
Und mir sein süßes, helles Papa! lallte …
Wie lieblich du errötetest! Indessen –
Ich hatte dich, geliebtes Weib, vergessen –
Vergessen, wie in schwülem Wahnsinn ich
Dich heiß begehrt … und deines Leibes Seele
In meine Seele hatte trinken wollen …

Dann bot ich dir zum Abschied still die Hand …
Und schonte dich ein andres Mal – denn da
Ich deine weichen, schlanken Finger spürte,
Da – allein ich ging … ich ging und freute mich,
Daß ich so Meister meiner Leidenschaft –
In einem dunklen Eckchen meiner Brust
Hatt' breit sich die Befriedigung aufgebläht –
Du zittertest – er hatte keine Lust
An deinem Leibe mehr – der Fremdling – geht …

Und ganz gemächlich, langsam, Schritt für Schritt,
Bin ich die Straße dann hinabgeschlendert …
Zu deinem Fenster blickt' ich nicht empor –
Ich wußte es: dort oben standest du …
Und sahest mir nach … und warest auch allein …
Ich hörte, wie gepreßt du atmetest –
Ich sah, wie du die weiße, heiße Stirn
Verzweifelnd an die kalte Scheibe drücktest –
Ich fühlte deine Hand auf meinem Arm –

Ich fühlte deinen Blick in meinem Auge –
Ich zitterte … und schritt doch ruhig weiter …
Und dachte dabei noch an dies und das –
Bis ich in meine stille Stube trat,
Drin ihre seidenweichen, grauen Flocken
Voll von verschwenderischer Zärtlichkeit
Die Dämmerung balsamgütig ausgesät …
Ich setze mich in meine Sofaecke …
Und fürchtete mich vor dem Licht – gewiß!
Es würde meine heißen Augen schmerzen …

Die Gesellschaft. 1889

Heimkehr?

Wie bin ich nur so jäh hierher verschlagen
In dein entfremdet Reich, Waldeinsamkeit?
Zu Gast war ich in schicksalskühnen Tagen
Des Südens formgewalt'ger Heiterkeit!

Und wieder nun des Nordlands Thymiandüfte
Und seiner Erlenwälder Herbstmusik?
Ein müder, summender Wind … und träumende Wolkenbilder …
Nach Mitternacht des Mondes Nebelblick …

Und meiner Heimat längstvergessene Sprache …
Und längst vergessener Menschen Angesicht –
Wie alles sich einschmeicheln will! – Ich starre
In meines Morgenrots erloschenes Licht …

Habt ihr mich wieder? – Bin ich fremd geworden? –
Braunrot quillt auf des Abends Dunstgeflecht …
Weit … weit das Land … die weißen Nebel leuchten –
Zu mir tritt meiner Sehnsucht Lichtgeschlecht –

Dort, wo das Leben reinere Glieder rundet,
Zu größerer Fülle seine Kräfte stimmt,
Möcht' ich mit dir, Geliebte, sonnumstundet
Mein Sein verträumen, bis es sanft verschwimmt …

Wir lugen weit … weit übers Meer, das blaue –
Um stillere Inseln noch wirbt unser Blick …
Und wenn ich dann in deine Augen schaue.
Find' ich erschweigend mein intimstes Glück …

Zu Zeiten, die gewesen … ungewesen …
Beruhigt unsere Gegenwart verfließt …
Und von der Dämmerung Schattenspiel genesen,
Ward uns der Geist, der lichterfüllt genießt –

Bis er, am Horizont ein Wolkenstäubchen,
Darauf die Sonne lag mit mildem Glühn,
Sich sanft entkräuselt … Weiter rollen Stunden …
Und Jahre, Menschen, Sterne weiterziehn …

Geliebte Heimat, den nun deine Krume
Zum letztenmal mit ihrem Herbst genährt –
Verzeihe ihm! Gib ihm zum Abschied deine letzte Blume –
Und laß ihn ziehn, der deiner nicht mehr wert …

Die Gesellschaft. Juni 1889

Erlebnis.

Hast du es einmal schon verspürt –?
Ganz wunderseltsam wird's dich fassen,
Ziehst du zur Nacht, da sich kein Hauch mehr rührt
Kein Menschenhall mehr auf den Gassen –
Vereinsamt deine Straße hin …
Du bist bei dir … und bist's auch nicht –
Wie Schatten flirrt's vor deinem Sinn …
Und halbverhängt ist dein Gesicht …
Was du gewesen, wird zur Gegenwart –
Noch einmal will sich alles geben …
Du darfst bereu'n, versteh'n … und deutest dir
Dein kleines Stück vom großen Leben …
Du atmest tief und schwer … und hebst den Blick –:
Zur Seiten steht, gleich unerfüllten Bitten,
Der Häuser schwarz Spalier … die Fenster tot –
Und sacht bist du vorbeigeschritten …
Noch einmal dann … und ganz von ungefähr …
Hebt sich dein Auge –: das mag richtig sein –
Ja! dieses Haus war's, diese Fenster dort –
Und alles still. – Erst jetzt bist du allein. –
Erst jetzt – ganz recht! Und jetzt erst hältst du's fest –
Und wunderst dich, daß du's noch nicht gewußt –
Du gingst doch wahrlich oft genug vorbei –
Und fraglos, klaglos blieb dir Mund und Brust!
Und nun? Ob er noch lebt? – was sollt' er nicht!
Wo er wohl jetzt –? Ein trauriger Begehr!
Was geht dich der verschollene Fremdling an,
Der nun so lange schon dein Freund nicht mehr …!
Er zog von dir. – Und jetzt bist du zu Haus.
Du denkst noch dies und das … der Lampe gelber Schein
Bleicht durch den Raum … du gähnst … und gehst zu Bett …
Du gähnst noch einmal … lächelnd schläfst du ein …

Deutsche Blätter. 1889

Erfüllung.

Verhaltenes Geigengeriesel
zittert in mein Gemach –
Ich horche auf … und denke
Den stillen Tönen nach …

Sie betasten meine Seele
Liebkosend, scheu und mild –
Es kommt in werbender Schöne
Zu mir dein liebes Bild …

Das ist eine alte Geschichte –
Man sieht's auf den ersten Blick:
Ein lyrischer Dichter wird immer
Das Opfer diskreter Musik …

Sie flockt so krauses Getändel,
Sie plaudert entzückendes Zeug –
Sie stöbert aus Seelengründen
Vergeßner Gefühle Gesträuch!

Auch mich hat sie ergriffen …
Tiefinnerstes aufgewühlt –
Wie sehr ich dich doch liebe:
Das habe ich da erst gefühlt!

Nun schweigen die stillen Töne,
Und alles hat sich erfüllt –
Und in unendlicher Schöne
Schau' ich dein liebes Bild …

Deutsche Blätter. 1889

Frieden.

Ich flüchte aus dem Marktgedränge,
Das mich zu Tod hat müd gemacht,
In deine traumumlaubten Gänge,
In deine süße dunkle Enge,
O schattenscheue stille Nacht!
Das Trostgeschmiege deiner Schleier
Deck um dies angstverzehrte Herz,
Daß es in deiner Segensfeier
Vergesse seinen letzten Schmerz!

Es stand der Horizont in Gluten,
Nun stirbt der Feuer Brandgeloh!
Das letzte Weh will sacht verbluten –
Ich höre sie vorüberfluten
Die Siege, denen ich entfloh!
Du ziehst mich auf dein Balsamlager,
Geliebte Sterngebärerin,
Und es erlischt dem müden Klager
Die letzte seiner Phantasien …

Nun ward ich ganz, so ganz dein eigen,
Und jede Unrast ist gebannt –
Dein großes, dein gewalt'ges Schweigen,
Vor dem sich alle Stürme neigen,
Trug mich in meiner Sehnsucht Land …
Ein unbegreiflich süß Ermatten
Löst meines Leibes Gliederhaft –
Vorüber huscht der letzte Schatten,
Und es verströmt die letzte Kraft …

Moderne Dichtung, 1. Januar 1890


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