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Vater Carlet's Handel blüht.

Neunzehntes Kapitel.
Lehrjahre

Frau Terrasson hatte mit ihrem Gatten und später auch mit Carlet eingehend über Ella's nothwendige Erziehung gesprochen, und gemeinsam hatten sie einen wichtigen Entschluß gefaßt. Ella besuchte von jetzt ab zwar nicht wieder die Schule, aber doch sah man sie an den Vormittagen nie mehr in Vater Carlet's Gesellschaft. Nur am Nachmittag trippelte sie neben dem Alten durch die Straßen und verkaufte ihre kleinen Besen. Aber daheim bei Frau Peters blieb sie trotz alledem nicht. Die alte Wirthin sah der Kleinen kopfschüttelnd nach, wenn sie am Morgen das Haus verließ, und unzufrieden brummte sie vor sich hin: »Das ist nicht gut, man soll nur mit Seinesgleichen umgehen. Was soll das Kind bei den vornehmen Leuten?«

Frau Peters war eine gute, verständige Frau; aber sie war etwas ängstlich und mißtrauisch und bedachte nicht, daß es unter den vornehmen Leuten wohl ebensoviel brave und tüchtige Leute giebt, wie unter den geringen. So zweifelte sie denn auch lange Zeit, daß Ella etwas Ordentliches lerne, bis sie eines Tages vom Gegentheil überzeugt wurde. Während die Alte in der Küche beschäftigt war, hatte Ella ihr Strickzeug ergriffen und arbeitete fleißig an demselben. Als Frau Peters das Gestrick wieder zur Hand nahm, staunte sie. Die Maschen lagen so egal und dicht nebeneinander, daß sie nicht herausfinden konnte, an welcher Stelle Ella's Arbeit begann.

Wo hatte Ella denn nun plötzlich diese Künste erlernt, die ihr früher so unüberwindliche Schwierigkeiten machten? An jedem Morgen ging sie an Carlet's Hand bis zur Rosenstadt; dort trennte sie sich mit einem fröhlichen: »Auf Wiedersehn, Väterchen!« von ihm, und eilte dann dem gastlichen Hause der Familie Terrasson zu. Lächelnd würde Ella das blonde Köpfchen geschüttelt haben, hätte jemand die Frage an sie gerichtet, ob sie dorthin zur Schule ginge. Und doch war es so. Für sie war der Verkehr mit den Kindern dem Schulunterricht gleich, und alle Bewohner des kleinen Hauses waren ihre Lehrmeister. Beim kleinen Paul lernte Ella die Buchstaben; es war das Einzige, was er selbst wußte. Georg und Emil ließen sie buchstabiren und rechnen, und Pauline unterrichtete sie im Nähen. Die Mutter überwachte diesen Unterricht der Kinder, warf hie und da auch wohl eine Bemerkung dazwischen und unterwies Ella zuletzt noch selbst im Schreiben.

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Carlet war mit dieser Beschäftigung seines Kindes sehr zufrieden. Er hatte zuerst dem Vorschlag der guten Frau Terrasson nur beigestimmt, weil er sich für Ella viel Vergnügen von diesem Verkehr versprach. Den großen Nutzen desselben erkannte er erst, als Ella ihm triumphirend ihre ersten gelungenen Schreibversuche zeigte, und Frau Peters immer wieder die Sauberkeit von Ella's Handarbeiten lobte. Er fühlte mehr und mehr, daß Ella's Erziehung jetzt in verständigen Händen ruhte, und daß eine große Verantwortung von seinen Schultern genommen sei.

Jeden Abend berichtete Ella dem guten Alten, was sie während des Tages gelernt hatte, und mit Bewunderung und Stolz lauschte Carlet den Worten seines klugen Kindes. Sie sagte die Fabeln her, die sie gelernt und brachte Bücher mit nach Hause, aus denen sie dem Alten die kleinen, einfachen Geschichten vorlas, die er immer wieder mit Vergnügen und Interesse anhörte, wie oft Ella sie ihm auch schon gelesen hatte.

Frau Terrasson sah unterdessen mit Vergnügen, welche guten Früchte ihre Erziehung bei Ella trug. Sie hatte sich vorgenommen, aus dem begabten Kinde ein braves, tüchtiges Mädchen zu machen, das in späteren Jahren dem alten Vater eine treue Stütze sein konnte. Zunächst hatte Ella freilich noch eine Reihe von Lehrjahren vor sich, in denen sie dem alten Carlet wenig Verdienst einbrachte. Aber bis jetzt reichten seine Einnahmen ja auch noch immer für seine und Ella's Bedürfnisse aus, und Frau Terrasson versuchte auch auf jede Weise, dem guten Alten neuen Verdienst zu verschaffen. Mit Hilfe von Frau Robert war ihr dies leicht gelungen.

Durch die Vermittlung der guten Bäuerin verkaufte Carlet nicht nur an die Kinder des Dorfes eine zahllose Menge seiner kleinen Mühlen, sondern auch viele Kaufleute der umliegenden Ortschaften nahmen das zierliche Spielwerk in den Handel. Dutzend auf Dutzend wanderte in die benachbarten Dörfer, und Carlet war kaum im Stande, so viele Windmühlen anzufertigen, als von ihm verlangt wurden.

An jedem Abend, wenn er heimkehrte, übergab er seiner ehrlichen, alten Wirthin die Einnahmen des Tages. Sie verwaltete dieselben mit peinlicher Gewissenhaftigkeit und war glücklich, daß sie von dem Gelde des Alten nach und nach eine kleine Summe ersparen konnte. Freilich hatte sie außer der Miethe nur die Verköstigung ihrer beiden Miether von dem Gelde zu bestreiten, denn für Ella's Kleidung brauchte kein Pfennig ausgegeben zu werden. Frau Terrasson und eine andre, ihr befreundete Dame, die auch ein Töchterchen in Ella's Alter besaß, versorgten die Kleine reichlich mit noch brauchbaren Sachen, welche die eignen Kinder nicht gut mehr tragen konnten.

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Die einzige Ausgabe aber, die Vater Carlet während des ganzen Jahres für sich selbst machte, waren ein Paar Schuhe, die ihm ein alter Flickschuster in einer entlegenen Vorstadt anfertigte. Sie waren weder zierlich, noch schön, aber vom festesten Leder gemacht und von einer seltnen Dauerhaftigkeit. Denn obgleich Carlet den ganzen Tag auf den Füßen war, so verging doch mindestens ein Jahr, ehe sie den Dienst versagten.

Diese Schuhe wurden an Haltbarkeit nur durch Carlet's langen Ueberrock übertroffen. Wie lange dieser schon in seinem Besitz war, konnte der alte Mann selbst nicht sagen. So lange er durch die Straßen von Nantes ging, hatte er diesen Rock getragen. Er war alt, abgeschabt und verschossen. Aber Vater Carlet war kein eitler Mann; er dachte nicht daran, sich von dem Rocke zu trennen, so lange er noch warm und ganz war.

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