Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundsiebenzigstes Kapitel

Bei einer außerordentlichen Zusammenkunft der Direktoren und Aufsichtsräte der Royal Unicorn Life Insurance Company, die für einen ganz besonderen Fall einberufen war, hatte der Vorsitzende eine höchst merkwürdige Eröffnung zu machen.

»Meine Herren,« sagte er, »ich fordere hiemit den Sekretär auf, ohne weitere Vorreden Ihnen einen Brief vorzulesen. Das ist der Grund, aus welchem Sie heute zusammenberufen worden sind.«

»Dieser Brief,« begann der Sekretär, »ist einfach überschrieben Paris und vor zwei Tagen aufgegeben.«

»Erst vor zwei Tagen!« betonte der Vorsitzende; »aber natürlich, das hat nichts zu bedeuten. Da ist noch vollständig Zeit, daß der Schreiber seinen Aufenthaltsort ändert; er kann ja zu derselben Zeit wie der Brief in London sein. Bitte, fahren Sie fort.«

»Meine Herren!« begann der Sekretär zu lesen. »Es sind jetzt gerade drei Monate vergangen, seitdem von der Firma Erskine, Mansfield, Denham & Co., Rechtsanwälte von Lincoln's Inn Fields, die Aufforderung zur Auszahlung der Summe von fünfzehntausend Pfund an die Erben des Lord Harry Norland an Sie ergangen ist.«

»Diese Forderung,« unterbrach der Vorsitzende den Leser, »ist als gesetzlich anerkannt und daher auch einige Wochen später ausbezahlt worden. Es war für uns allerdings ein schwerer Verlust, aber so etwas kann vorkommen, und es lag damals durchaus kein Grund vor, an der Richtigkeit der gemeldeten Thatsachen zu zweifeln und infolge dessen die Forderung zu beanstanden.«

»Ich schreibe diesen Brief in der Absicht, meine Herren,« fuhr der Sekretär zu lesen fort, »Ihnen mitzuteilen, daß diese Forderung eine betrügerische war und zwar deswegen, weil Lord Harry Norland zur Zeit, als ich das schreibe, noch am Leben ist.«

»Betrügerisch?! Der Mann lebt noch?« Diese Worte riefen unter den Mitgliedern des Verwaltungsrates eine heftige Erregung hervor; alle standen auf und verlangten das Nähere zu erfahren.

»Ich kann Ihnen nur das eine sagen, meine Herren.« entgegnete der Vorsitzende, »daß der Schreiber dieses Briefes kein anderer als Lord Harry Norland selbst ist. Ich ersuche Sie, den Sekretär jetzt in dem Vorlesen dieses Briefes ohne weitere Unterbrechungen fortfahren zu lassen.«

»In Verbindung mit einer andern Person faßte ich und führte erfolgreich einen Plan aus, durch den ich in stand gesetzt war, mit einemmal und ohne in die unangenehme Notwendigkeit versetzt zu sein, zu früh sterben und begraben werden zu müssen, die ganze Summe Geldes, für die ich mein Leben versichert hatte, zu erhalten. So viel ich weiß, haben schon andere denselben Versuch gemacht, aber sie haben kein Glück damit gehabt. In meinem besondern Fall ist die Sache mit einer wunderbaren Geschicklichkeit ausgeführt worden.«

Hier folgte ein eingehender Bericht über den Tod des Dänen und alles Wesentliche, was damit zusammenhing, nur daß dieser Tod als ein natürlicher, infolge Lungenleidens eingetretener dargestellt wurde. Dann fuhr der Briefschreiber fort:

»Ich bin verheiratet, aber ich habe keine Kinder, ich habe auch nicht in freundschaftlichen Beziehungen zu meinen Blutsverwandten gelebt; es war daher sehr natürlich, daß ich meine Frau als einzige Erbin und Testamentsvollstreckerin bestimmte; es war ebenso natürlich, daß sie zu meinen Rechtsanwälten ging und dieselben beauftragte, ihre Angelegenheit in Ordnung zu bringen. In dieser Hinsicht machte ich meine Frau mit dem Notwendigsten bekannt. Gleich vielen Frauen besitzt sie außer anderen Tugenden auch die, daß sie eine blinde Ergebenheit für ihren Gatten hegt. Wo ihr Mann in Betracht kommt, macht es keine Schwierigkeit, sie selbst von dem Pfad der Ehre abzubringen. Ich rechnete mit dieser blinden Liebe, ich benützte alle Ueberredungskünste, die eine Frau, das heißt eine liebende Frau, veranlassen konnten, an einem Verbrechen teilzunehmen. Mit kurzen Worten: ich machte meine Frau zur Mitwisserin des Betruges. Sie willigte ein, für mich zu handeln, in dem Glauben, daß, wenn sie nicht thäte, was ich von ihr verlangte, der ganze Betrug entdeckt werden würde. Infolge dessen wurde auch die ganze Angelegenheit zu einem erfolgreichen Ende geführt. Sie haben die volle Forderung ausbezahlt; ich habe aber immer das Bewußtsein mit mir herumgetragen, daß nur durch einen großen Betrug die fünfzehntausend Pfund in meinem Besitze waren. Unglücklicherweise hat nun meine Frau entdeckt, daß ihr Gewissen ihr niemals Friede oder Ruhe geben wird, bis das erschwindelte Geld bis auf den letzten Rest wieder an Ihre Gesellschaft zurückbezahlt ist. Sie hat mich von ihrer Absicht, Ihnen ohne Verzug den Teil des Geldes, der auf ihren Namen bei ihrem Bankier eingezahlt ist, zurückgeben zu wollen, benachrichtigt, das heißt, sie wird Ihnen fünftausend Pfund überschicken.

»Ich darf wohl voraussetzen, daß Sie als Ehrenmänner eine Frau, die bereit ist, das ihr nicht von Rechts wegen zukommende Geld zurückzuzahlen, nicht der Schande einer öffentlichen Verfolgung aussetzen werden, abgesehen davon, daß ein solches Vorgehen von gar keinem Nutzen sein würde.

»Da ich überdies wünsche, daß die Gewissensbedenken meiner Frau vollständig beruhigt werden, soll Ihnen auch die erschwindelte Summe mit Abzug von zweitausend Pfund zurückerstattet werden und, wie ich genau weiß, in kürzester Zeit.

»Was schließlich den andern Hauptteilnehmer an dem Betruge betrifft, so haben Sie kaum nötig, nach ihm suchen zu lassen. Ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie die Propositionen dieses Briefes rückhaltlos anerkennen und es mir erlassen, einen Namen zu nennen, der Sie in stand setzen könnte, diejenigen gerichtlich zu verfolgen, die ich in dieses Verbrechen hineingezogen habe. Ich sende Ihnen zugleich eine Adresse, unter welcher mich Ihre Antwort antreffen wird. Vielleicht hegen Sie den Wunsch, das Haus überwachen zu lassen; ich sage Ihnen aber im voraus, daß dies vollständig nutzlos sein wird, denn ich werde nicht dort sein.

»Ich verbleibe, meine Herren, mit der vorzüglichsten Hochachtung

Ihr ganz ergebener
Harry Norland.«

»Vermutlich, meine Herren,« sagte der Sekretär, »steht dieser Brief in Verbindung mit einem andern, der mir heute übersandt worden ist und der eine Anweisung von fünftausend Pfund enthielt. Die Unterschrift dieses Briefes lautete: ›Wiedererstattetes Geld‹.«

»Meine Herren,« nahm nun der Vorsitzende das Wort, »wenn uns Banknoten übersendet werden, so müssen wir ganz entschieden ihrem Ursprung nachforschen.«

Die Direktoren sahen sich gegenseitig an. Das war in der That eine eigentümliche Angelegenheit und wohl kaum jemals vor ein Direktorium gebracht worden.

»Meine Herren,« fuhr der Vorsitzende fort, »Sie haben jetzt den Inhalt des Briefes gehört. Die Angelegenheit liegt klar vor Ihnen. Ich bitte Sie daher, Ihre Meinungen darüber zu äußern.«

»Da wir, wie es wenigstens den Anschein hat, jedenfalls den größten Teil des Geldes wiedererhalten werden, so scheint es mir das Vernünftigste zu sein, über die ganze Angelegenheit zu schweigen; das ist nach meiner Meinung das Richtigste.«

»Wenn wir Lord Harry selbst bekommen könnten,« bemerkte ein anderer, »dann würde ich sagen, wir wollen ihn laufen lassen; aber ich bin nicht derselben Meinung, wo es sich um seine Frau handelt. Ob das erstere überhaupt möglich ist, scheint mir noch sehr zweifelhaft. Wenn alles das, was von dem irischen Lord erzählt wird, wahr ist, so steht es sehr schlimm um seine Persönlichkeit. Schon als Knabe lief er von seinem Elternhause davon und ging zur See. Dann wurde er ein herumziehender Schauspieler. Er ging nach Amerika und wurde dort, wie man sich erzählt, in den westlichen Staaten gesehen; dann soll er als Stewart auf einem Schiff angestellt gewesen sein; schließlich fand man ihn auf den Rennplätzen als Buchmacher. Was ist er denn überhaupt nicht gewesen?«

»Nun, meine Herren,« sagte ein anderer, »wir haben das Geld erhalten, und das ist die Hauptsache. Wir müssen uns daran erinnern, daß wir niemals den Betrug bemerkt hätten, wenn nicht –«

»Die Gesellschaft darf sich niemals damit zufrieden geben,« warf der Vorsitzende ein.

»Gewiß nicht, das darf sie keineswegs; aber andererseits, würde denn aus einem öffentlichen Skandal mit einer vornehmen Familie uns irgendwelcher Nutzen erwachsen?«

»Das vornehme Haus,« bemerkte ein anderer Direktor, der zu den Radikalen gehörte, »soll gefälligst für sich selbst sorgen. Es fragt sich jetzt nur, ob es von irgend einem Nutzen sein kann, wenn wir gegen die Frau vorgehen.«

»Wer ist sie denn?«

»Man sollte erwarten, daß ein solcher Lump wie Lord Harry eine Frau heiraten würde, die nicht mehr wert ist als er selbst? das ist aber diesmal nicht der Fall. Er heiratete ein ungemein liebenswürdiges Mädchen, Namens Henley, Iris Henley, deren Vater in der City wohl bekannt ist. Ich hörte seinerzeit davon. Ich glaube daher auch, daß es sich vollständig verbietet, irgendwelche Schritte gegen die an und für sich schon unglückliche Frau zu unternehmen, die ja außerdem ihr Möglichstes gethan hat, um unserer Gesellschaft den Schaden zu ersetzen.«

»Die Gesellschaft darf sich dabei nicht beruhigen,« wiederholte der Vorsitzende.

»Wenn wir die zweitausend Pfund auch nicht zurückerhalten,« wurde entgegnet, »so verliert die Gesellschaft doch nur wenig, denn wir müssen doch die eingezahlte Summe auch berechnen.«

Ein anderer meinte:

»Wir wissen ja überhaupt nicht, wo Lady Harry auszufinden ist; sie wird wahrscheinlich unter einem ganz andern Namen leben, und es ist doch gewiß unser Geschäft nicht, ihr nachzujagen.«

»Und selbst wenn wir sie fänden, wäre es immer erst unsere Aufgabe, zu beweisen, daß sie an dem Betrug auch in vollem Sinn des Wortes teilgenommen hat,« sagte ein anderer. »Wie könnte dieser an und für sich sehr wertvolle Brief irgend ein Beweis dafür sein, da wir ja nicht einmal wissen, ob er auf Wahrheit beruht? Wir könnten ja den Leichnam auf dem Friedhof von Auteuil ausgraben lassen. Aber was würde dies beweisen, nachdem drei Monate darüber vergangen sind? Wir würden damit höchstens viel Geld verlieren und einen großen Skandal verursachen und schließlich doch nicht mehr erreichen, als wir bis jetzt erreicht haben. Mein Rat ist daher, wir lassen die Sache einfach fallen.«

»Das ist alles ganz gut,« entgegnete ein anderer, »aber angenommen, wir geben zu, daß der Mann noch lebt, dann wird er doch einmal sterben, und dann kann einer kommen und nochmals die Versicherungssumme fordern.«

»Darauf brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen,« sagte der Vorsitzende, »Sie haben ja alle den Brief Lord Harry Norlands gehört. Ich wiederhole aber noch einmal, die Gesellschaft darf sich damit nicht beruhigen.«

»Ich gebe zu,« sagte einer der Verwaltungsräte, der noch nicht gesprochen hatte, es war ein Advokat, »daß die Gesellschaft überhaupt nichts von Lady Harry weiß; dann haben wir es mit der Firma Erskine, Mansfield, Denham & Co. von Lincoln's Inn Fields zu thun; das ist eine sehr angesehene Firma. Auf ihren Antrag hin zahlten wir das Geld aus; wenn wir also beweisen können, daß wir betrogen worden sind, so haben wir uns an diese zu halten, und wenn wir deswegen irgend jemand gerichtlich belangen wollen, so kann es nur diese angesehene Firma sein.«

»Gut,« sagte der Vorsitzende, »ich schlage daher vor, daß der Sekretär an Lord Harry schreibt und ihm mitteilt, daß die Versicherungsgesellschaft überhaupt nichts mit seiner Frau zu thun hat und infolge dessen auch ihre Handlungsweise gar nicht beachtet. Wir können dann abwarten, was daraufhin geschieht, und darnach unsere weiteren Schritte überlegen.«

Gerade in diesem Augenblick wurde eine Karte in das Sitzungszimmer gebracht von Mr. Erskine selbst, dem ältesten Teilnehmer der Rechtsanwaltsfirma.

Er trat gleich darauf in das Zimmer, ein alter Herr, sehr ehrenwert, aber für den Augenblick in gewaltiger Aufregung.

»Meine Herren,« sagte er nervös, »ich beeile mich, Ihnen eine Mitteilung zu machen, eine ganz außerordentliche Mitteilung, die ich soeben empfangen habe. Es ist nichts weniger als ein Bekenntnis – ein vollständiges Bekenntnis von einer Person, die ich allen Grund hatte, für tot zu halten. Das Bekenntnis stammt von Lord Harry Norland.«

»Wir wissen schon,« sagte der Vorsitzende ganz ruhig, »was Sie uns mitteilen wollen. Wir sind deswegen heute zusammengekommen, um über diese Angelegenheit zu verhandeln. Es liegt ein sehr schlauer und geschickter Betrug vor. Er ist durch die Mitwirkung einer Frau zu einem erfolgreichen Ende geführt worden. Dieselbe Frau hat jedoch auch eine Entschädigung angeboten. Das Gesetz indessen –«

»Vielleicht gestatten Sie mir,« unterbrach ihn der Rechtsanwalt, »Ihnen den von Lord Harry Norland an uns geschriebenen Brief vorzulesen.«

»Bitte, thun Sie das,« entgegnete der Vorsitzende.

»Meine Herren,« las der Rechtsanwalt, »Sie werden erstaunt und zugleich auch betrübt sein, daß ich nicht, wie man Ihnen mitgeteilt hat, gestorben bin, sondern daß ich im Gegenteil lebe und mich der besten Gesundheit erfreue.

»Die Forderung, die Sie an die Royal Unicorn Life Insurance gerichtet haben, ist daher falsch. Sie war das Resultat eines schlau angelegten Betruges. Sie sind ohne Ihr Wissen zu unschuldigen Teilnehmern an diesem Verbrechen gemacht worden.

»Meine Frau, welche jetzt die volle Wahrheit kennt, hat das eifrige Bestreben, Ihnen die ganze Summe wiederzuerstatten. Sie wird Ihnen daher zunächst den Teil des Geldes zurückzahlen, der auf ihren Namen angelegt ist. Der Rest wird Ihnen von mir zugesandt werden in verschiedenen Zeiträumen.

»Ich verbleibe, meine Herren,

Ihr ganz ergebenster Diener
Harry Norland.«

»Das ist ein charakteristischer Brief,« bemerkte der Rechtsanwalt. »Lord Harry scheint dazu geboren zu sein, seiner Familie Sorge zu bereiten. Es hat keine Zeit gegeben, so weit ich mich erinnern kann, wo dies nicht der Fall gewesen. Bisher hatte er indessen ein wirkliches Verbrechen vermieden, wenigstens ist nichts davon bekannt geworden. Jetzt aber scheint das Spiel aus zu sein. Und doch, meine Herren, ist der Brief nicht der eines vollkommenen Schurken.«

»Er wird jedenfalls nicht zu erwischen sein,« bemerkte der Vorsitzende. »Der Brief ist zu kühl und zu vernünftig geschrieben. Er hat sich auf alle Fälle irgend einen sicheren Zufluchtsort vorbehalten und wird sich wahrscheinlich jetzt schon dort befinden in einer passenden Verkleidung. Wir sind daher für den Augenblick nur auf die Lady angewiesen. Sie hat das Geld von Ihnen erhalten, und wir haben es Ihnen auf Ihre Vorstellung ausgezahlt.«

»Bemerken Sie,« warf der Rechtsanwalt ein, »daß sie, sobald sie die Wahrheit erfahren hatte, sich beeilte, Ersatz zu leisten.«

»Hm,« machte der Direktor und drehte Lord Harrys Brief herum, so daß der Rechtsanwalt ihn nicht lesen konnte. »Haben Sie Lady Harry Norland gesehen?«

»Nein, ich habe sie nicht gesehen, aber ich erwarte schon seit langer Zeit, daß sie zu mir kommen soll, was gewiß auch geschehen wird.«

»Dann muß sie aber sehr schlecht beraten sein,« sagte der Vorsitzende, »wenn sie gerade jetzt jemand aufsuchen würde. Ich gestehe Ihnen, Sir, daß es mir sowohl wie jedem von uns, die wir hier versammelt sind, aufrichtig leid thun würde, die Lady neben ihrem Gatten auf der Anklagebank sitzen zu sehen.«

»Im Interesse der vornehmen Familie, die von so einem Skandal auf das empfindlichste getroffen werden würde, hoffe ich, daß weder der Lord noch die Lady auf die Anklagebank kommt.«

»Wissen Sie, wer der andere Hauptteilnehmer an dem Verbrechen ist?«

»Ich kann es mir denken. Ich weiß indessen nicht, wo er sich befindet. Ich habe Ihnen überhaupt alles, was ich weiß, mitgeteilt, das heißt das, was in diesem Brief enthalten ist.«

»Es wäre gut, wenn man diesen andern erwischen könnte,« bemerkte der Vorsitzende; »wahrscheinlich gehört er nicht zu einer edlen Familie. Ich weiß zwar noch nicht, was geschehen wird, Sir, aber das eine wiederhole ich Ihnen: Unsere Gesellschaft kann sich mit dem, was bis jetzt geschehen ist, nicht zufrieden geben.«

»Sicherlich nicht. Indessen liegt noch sehr wenig vor, woran Sie sich halten und worauf hin Sie weiter in der Sache vorgehen können.«

»Wir wollen uns über diesen Teil der Angelegenheit nicht in längere Erörterungen einlassen,« sagte der Vorsitzende. »Ein Verbrechen ist ja ganz unzweifelhaft begangen worden. Wir können daher möglicherweise dazu veranlaßt werden, eine Klage irgendwelcher Art gegen Ihre Firma anzustrengen, Mr. Erskine. Was die Lady Harry Norland betrifft, wenn sie schuldig sein sollte –«

»Nein, nein,« fiel ihm der Rechtsanwalt ins Wort; »sie hat freilich nicht ganz korrekt gehandelt, aber schuldig ist sie nicht.«

Der Vorsitzende faltete den Brief Lord Harrys zusammen und übergab ihn dem Sekretär.

»Wir sind Ihnen zum Dank verpflichtet, Sir, für Ihr rasches Handeln. Man konnte selbstverständlich nichts anderes von Ihrer Firma erwarten. Sie dürfen indessen nicht vergessen, daß die Forderung von Ihnen gemacht wurde, und daß Sie das Geld empfingen und – aber wir werden Ihnen das Weitere in einigen Tagen mitteilen.«

Der Sekretär schrieb auch eine Antwort an Lord Harry. Kurz darauf wurde jedoch mit der Post eine Anweisung eingesendet, unterzeichnet von einem gewissen William Linville auf die Summe von achttausend Pfund. Die Versicherungsgesellschaft hatte daher von den fünfzehntausend Pfund dreizehntausend wieder erhalten. Der Sekretär hatte darauf noch eine andere Unterredung mit Mr. Erskine, deren Ergebnis war, daß die Gesellschaft auch noch in den Besitz der übrigen, an der Gesamtsumme noch fehlenden zweitausend Pfund kam.

Jede Rechtsanwaltsfirma hat ihre eigenen Geheimnisse und bewahrt sie sorgfältig. Deshalb brauchen wir auch nicht weiter nachzuforschen, ob das Geld von der Firma oder von der Familie, zu der Lord Harry gehörte, bezahlt wurde. Es ist indessen erwiesen, daß einige Tage darauf Mr. Hugh Mountjoy in dem Bureau der Firma erschien und dort mit dem älteren Teilnehmer eine lange Besprechung hatte und daß er, als er wegging, eine Anweisung auf eine große Summe Geldes dort zurückließ.

Der Gegenstand kam niemals wieder vor die Direktoren der Gesellschaft; privatim wurde natürlich viel darüber gesprochen und zwar sehr oft. Jedenfalls hatte man auch außerhalb des Beratungszimmers über die Geschichte geflüstert. Solche Dinge verbreiten sich ja ungemein rasch. Man hatte indessen doch das Gefühl, daß diese Sache, bei der es sich um eine Dame handelte, mit etwas mehr Zartheit behandelt werden müsse, als dies gewöhnlich der Fall ist. Außerdem trat einige Tage später ein tragisches Ereignis ein, welches jeden weiteren Schritt in dieser Angelegenheit unmöglich machte. Dieses Ereignis war an und für sich genügend, die ganze Geschichte vergessen zu machen.


 << zurück weiter >>