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Dreiundvierzigstes Kapitel

Lady Harry lüftete ihren Schleier und sah Mountjoy mit traurigen, bittenden Augen an.

»Sind Sie mir böse?« fragte sie.

»Ich sollte es sein,« antwortete er. »Das ist sehr unklug gehandelt, Iris!«

»Es ist schlimmer noch,« bekannte sie, »es ist unbesonnen, es ist verzweifelt: sagen Sie nicht, ich hätte mich beherrschen sollen; ich kann das Schamgefühl nicht verwinden, welches ich empfinde, wenn ich an das, was sich ereignet hat, denke. Kann ich Sie gehen lassen – o, was für ein Lohn für Ihre Güte! – ohne Ihre Hand zum Abschied noch einmal zu drücken? Kommen Sie und setzen Sie sich hieher neben mich. Nach dem Benehmen meines armen Mannes werden wir uns wohl kaum jemals wiedersehen. Ich erwarte nicht, daß Sie es beklagen, wie ich es thue. Selbst Ihre Güte und Ihre Geduld, die so oft auf die Probe gestellt worden sind, müssen jetzt meiner überdrüssig sein.«

»Wenn Sie dies wirklich für möglich hielten, liebe Iris, dann würden Sie heute abend nicht hier sitzen,« erwiderte ihr Hugh. »So lange wir leben, haben wir noch die Hoffnung, uns wieder zu treffen. Nichts in der Welt ist von ewiger Dauer, Iris, selbst die Eifersucht nicht. Lord Harry sagte mir ja selbst, daß er ein sehr veränderlicher Mensch sei. Früher oder später wird er wieder zur Vernunft kommen.«

Diese Worte schienen Iris zu erschrecken.

»Sie werden hoffentlich nicht denken, daß mein Gatte gegen mich unfreundlich ist!« rief sie aus. Sie nahm immer noch selbst den Schein einer schlimmen Beurteilung ihrer Ehe übel auf und vergaß immer noch, was sie selbst gesagt hatte und was einen Zweifel an ihrem Glück rechtfertigte. »Haben Sie sich selbst eine falsche Meinung gebildet,« fuhr sie fort, »oder hat Fanny Mere unschuldigerweise –«

Mountjoy bemerkte jetzt erst die Abwesenheit des Mädchens. Das war ein Umstand, der ihn berechtigte, Iris zu unterbrechen, denn es konnte sehr ernste Folgen für sie haben, wenn ihr Besuch in dem Hotel zufälligerweise doch entdeckt würde.

»Wenn ich recht verstanden habe,« sagte er, »so sollte doch Fanny mit Ihnen hieher kommen.«

»Ja, ja, sie wartet unten in dem Wagen; wir hielten es so für besser, um nicht die Aufmerksamkeit an der Thür des Hotels zu erregen. Der Kutscher wird einstweilen auf und ab fahren, bis ich ihn wieder nötig habe. Lassen Sie sich das nicht kümmern. Ich habe etwas mit Ihnen über mein Mädchen zu sprechen. Die arme Fanny denkt immer an ihre eigenen schlimmen Erfahrungen, wenn sie von mir spricht, und übertreibt ein wenig, ohne daß sie es will. Ich hoffe, sie hat Sie nicht zu einer irrigen Meinung geführt, als sie mit Ihnen über meinen Gatten sprach. Es ist niedrig und schlecht von ihm und eines Gentlemans unwürdig, eifersüchtig zu sein, und er hat mich tief verwundet, aber, lieber Hugh, seine Eifersucht ist eine liebenswürdige Eifersucht. Ich habe von anderen Männern gehört, die ihre Frauen bewachen, alles Vertrauen in sie verloren haben, welche mir selbst eine solche Kleinigkeit wie das hier,« sie zeigte Mountjoy lächelnd ihren Schlüssel zur Thür der Villa, »genommen haben würden. O, Harry ist über einen solchen herabwürdigenden Verdacht erhaben! Es gibt Zeiten, wo er so von Herzen beschämt über seine eigene Schwachheit ist, wie ich es nur wünschen kann: ich habe ihn vor mir auf den Knieen liegen sehen, ganz zerknirscht über sein Benehmen. Er ist kein Heuchler; seine Reue ist wirklich aufrichtig, so lange sie dauert, nur dauert sie eben nicht lange. Seine Eifersucht steigt und fällt wie der Wind. Er sagte gestern abend, als der Wind sehr heftig wehte: ›Wenn Du mich zum glücklichsten Menschen auf der Erde machen willst, so ermutige Mr. Mountjoy nicht, in Paris zu bleiben.‹

»Sie wünschen auch, daß ich Paris verlasse?«

Sie saß sehr nahe bei ihm, näher vielleicht, als ihr Gatte gern gesehen hätte, und rückte jetzt ein wenig zur Seite.

»Wollten Sie grausam sein, als Sie dies sagten?« fragte sie. »Ich verdiene es nicht.«

»Es war nur freundlich von mir gemeint,« versicherte Hugh. »Wenn ich Ihre Lage erträglicher machen kann dadurch, daß ich weggehe, so werde ich morgen Paris verlassen.«

Iris rückte wieder unbefangen an den Platz zurück, den sie vorher eingenommen. Sie war bestrebt, ihm in einer Weise zu danken – aus einem noch ungenannten Grund – wie sie ihm bisher niemals gedankt hatte. Schweigend bot sie ihm die Wange zum Kuß. Er hielt seine Lippen lange und innig auf diese zarte Wange gedrückt. Sie war es, die sich zuerst wiederfand. Sie kam auf das abenteuerliche Leben zu sprechen, das Lord Harry früher geführt. Die Ruhelosigkeit in seiner Natur, welche dieses Leben mit sich brachte, war kürzlich wieder zum Vorschein gekommen; seine Frau suchte die Veranlassung dafür in einem Brief aus Irland, der die Nachricht enthielt, daß der Mörder Arthur Mountjoys in London gesehen worden sei, und daß er sich dort vermutlich unter dem Namen Carrigeen aufhalte. Hugh würde verstehen, daß der verzweifelte Entschluß, den Mord seines Freundes zu rächen, mit dem einst Lord Harry England verlassen hatte, von neuem rege geworden sei. Er hatte es Iris nicht verheimlicht, daß sie sich darein schicken müsse, wenn er sie eine Zeit lang allein ließe, sobald sich die Nachricht aus Irland als wahr erwiese. Es würde nutzlos sein und schlimmer noch als nutzlos, den unbesonnenen Mann an die Gefahr zu erinnern, welche ihm von den Unüberwindlichen drohe, sobald er nach England zurückkehre. Nur allein dadurch konnte sie hoffen, Einfluß auf ihren Gatten, der sie noch immer liebte, zu gewinnen, daß sie sich allen den Forderungen unterwarf, aus welchen seine eigensinnige Eifersucht bestand. Würde diese traurige Notwendigkeit sie entschuldigen, wenn sie das Anerbieten Mountjoys, Paris zu verlassen, annähme, einzig und allein aus dem Grund, weil ihr Gatte es von ihr als eine Gunst erbeten hätte?

Hugh verstand sie sofort und versicherte sie seiner Zustimmung.

»Sie können fest darauf rechnen, daß ich morgen nach London zurückkehren werde,« sagte er. »Gibt es denn aber außerdem nicht noch ein anderes, besseres Mittel, durch das ich Ihnen vielleicht von Nutzen sein könnte? Wenn Ihr Einfluß es nicht vermag, wissen Sie dann nicht noch einen andern Weg, Lord Harry von seinem verzweifelten Vorhaben abzuhalten?«

Es war Iris an diesem Tag schon eingefallen, daß eine Aussicht dazu vorhanden sei, wenn es ihr gelänge, die Unterstützung Mrs. Vimpanys zu gewinnen. Die Frau des Doktors war wohl bekannt mit Harrys vergangenem Leben, während er in Irland weilte, und sie hatte auch viele von ihren Landsleuten getroffen, mit denen er in Verbindung stand. Wenn nun einer von diesen Freunden die diensteifrige Person gewesen wäre, die an ihn geschrieben hatte, so war es mindestens möglich, daß durch Mrs. Vimpanys geheime Vermittlung sein Unheil anstiftender Korrespondent von ferneren Mitteilungen abgehalten werden konnte. Lord Harry würde, wenn er auf fernere Nachrichten wartete, in diesem Fall umsonst warten. Er würde nicht wissen, wohin er zu gehen oder was er zunächst zu thun habe, und bei einer Natur wie der seinigen fiele dann wahrscheinlich das Ende seiner Geduld mit dem Ende seines Entschlusses zusammen.

Hugh händigte Iris sein Notizbuch ein. Von den traurigen Möglichkeiten, welche ihr günstig sein konnten, war die letzte nach seiner Meinung am wenigsten hoffnungslos.

»Wenn Sie den Namen des Mannes, der an Ihren Gatten geschrieben hat, wissen,« sagte er, »so schreiben Sie ihn mir, bitte, auf; ich will dann Mrs. Vimpany fragen, ob sie ihn kennt, und Sie dann auch entschuldigen, daß Sie ihr in jüngster Zeit nicht geschrieben haben. Jedenfalls verbürge ich mich für ihre Bereitwilligkeit, Ihnen zu helfen.«

Als Iris ihm dankte und den Namen aufschrieb, schlug die Uhr auf dem Kaminsims.

Sie stand auf, um ihm Lebewohl zu sagen. Mit zitternder Hand zog sie den Schleier halb über ihr Gesicht und schob ihn dann wieder zurück.

»Sie werden mein Weinen nicht beachten,« sagte sie mit schwacher Stimme und versuchte durch ihre Thränen zu lächeln. »Das ist der traurigste Abschied, den ich jemals genommen habe. Lieber, lieber Hugh, lebe wohl!«

Schwerwiegend ist das Gesetz der Pflicht, aber das ältere Gesetz der Liebe fordert sein höheres Recht. Niemals in den Jahren ihrer Freundschaft hatten sie sich so weit vergessen, wie sie sich jetzt vergaßen – denn zum erstenmal begegneten ihre Lippen den seinigen in ihrem Abschiedskuß. Aber schon im nächsten Augenblick erinnerten sie sich an die Schranken, die ihnen die Ehre setzte; sie waren wieder nur Freunde. Schweigend zog sie den Schleier über ihr Gesicht; schweigend nahm er ihren Arm und führte sie hinunter an den Wagen. Dieser war gerade eine kleine Strecke von ihnen entfernt gegen des andere Ende der Straße hingefahren. Anstatt auf seine Rückkehr zu warten, folgten sie ihm und holten ihn bald ein.

»Wir werden uns wiedersehen,« flüsterte er. Sie antwortete traurig:

»Vergessen Sie mich nicht!«

Mountjoy kehrte zurück. Als er sich wieder dem Hotel näherte, bemerkte er einen großen Mann, der von dem entgegengesetzten Ende der Straße auf ihn zukam. Keine zwei Minuten später, nachdem Iris sich wieder auf den Heimweg begeben hatte, begegneten sich ihr eifersüchtiger Gatte und ihr alter Freund vor der Thür des Hotels.

Lord Harry sprach zuerst.

»Ich habe außer dem Hause gespeist,« sagte er, »und komme nun auf meinem Heimweg hieher, um mit Ihnen, Mr. Mountjoy, noch einige Worte zu reden.«

Hugh antwortete mit förmlicher Höflichkeit:

»Erlauben Sie, Mylord, daß ich Ihnen den Weg zu meinen Zimmern zeige.«

»O, ich will Sie nicht unnötig bemühen,« erklärte Lord Harry. »Ich habe Ihnen nur wenig zu sagen; wenn es Ihnen recht ist, gehen Sie eine kleine Strecke mit mir.«

Mountjoy gab seine Einwilligung durch ein stummes Kopfnicken zu erkennen. Er dachte daran, was wohl geschehen wäre, wenn Iris ihren Weggang nur einige Minuten verzögert hätte, oder wenn der Wagen in der Richtung nach dem Hotel gefahren wäre anstatt umgekehrt. In jedem Fall wäre es für die junge Frau ziemlich schwierig gewesen, wegzukommen, ohne von ihrem Gatten bemerkt zu werden.

»Wir Irländer,« begann Lord Harry, »stehen in dem Ruf, nicht immer den Gesetzen gehorsam zu sein; aber es liegt in unserer Natur, jederzeit das Gesetz der Gastfreundschaft hochzuhalten. Als Sie gestern in meinem Hause waren, bin ich nicht gastfreundlich gegen meinen Gast gewesen. Mein taktloses Benehmen hat mir seitdem schwer auf der Seele gelegen, und aus diesem Grund bin ich hieher gekommen, um mit Ihnen zu sprechen. Es war ungezogen von mir, Ihnen Ihren Besuch vorzuwerfen und Ihnen zu verbieten, – o, ganz grundlos, ich bezweifle es nicht – mich wieder zu besuchen. Wenn ich gestehe, daß ich nicht den Wunsch habe, eine Erneuerung des freundschaftlichen Verkehrs zwischen uns anzubahnen, so werden Sie mich, wie ich sicher annehme, verstehen; je weniger wir uns in Zukunft sehen, um so besser wird es sein bei den Ansichten, die ich nun einmal habe. Für das jedoch, was ich sagte, als meine Selbstbeherrschung und Vernunft mit mir durchgingen, bitte ich Sie hiemit um Entschuldigung; empfangen Sie den aufrichtigsten Ausdruck meines Bedauerns.«

»Ich nehme Ihre Entschuldigung an, Mylord, so aufrichtig, wie Sie sie mir geboten haben,« antwortete Mountjoy. »So weit es mich betrifft, ist der Zwischenfall von jetzt an vergessen.«

Lord Harry drückte seine höfliche Zustimmung aus.

»Gesprochen wie es einem Gentleman zukommt,« sagte er. »Ich danke Ihnen.«

Damit endete die Unterredung. Sie grüßten sich und wünschten sich gegenseitig gute Nacht. »Eine bloße Förmlichkeit,« dachte Hugh bei sich, als sie sich getrennt hatten.

Er that mit dieser Annahme dem irischen Lord unrecht. Bevor jedoch die Ereignisse ihn seinen Irrtum erkennen ließen, sollte noch geraume Zeit ins Land gehen.


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