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IV.

Die Woche war schwer. Für seine Entdeckungsfahrten hatte er sich eine ganz neue Ruderstange ausgesucht und seinen Kahn gründlich überholt. Es war ein leichtes Boot, wie es, für die Jagd gebraucht wird, mit vier Spanten im Innern und ohne viel Tiefgang. Aus fünf gewöhnlichen Brettern und einem halben Hundert Nägel, etwas Werg zum Kalfatern – denn Pfuschen taugt beim Bootsbau nichts – hatte er es selbst gezimmert. Es war das beste von ganz Fédrun.

Schon in aller Frühe brach er auf; und nachdem er eine Weile prüfend nach den verschiedenen Himmelsrichtungen Ausschau gehalten hatte, fuhr er quer durch die Teiche und steuerte dann südwärts durch die Kanäle auf die kleinen, schwarzen Weiler zu, die unter dem nebelgrauen Himmel in ihren Pfützen fast ganz versanken inmitten ihrer schlammigen Wiesen. Das Herz mit großen Erwartungen und fester Zuversicht erfüllt, fuhr er los. Die Bedrohung der Insel erschien ihm jetzt nur noch wie ein Ammenmärchen. Er freute sich schon im voraus auf den Riesenspaß, den es geben würde, wenn die Dokumente den Kapitalisten den Weg versperrten, und wie all diese Tausende von Goldsäckchen, die er sich schon in seiner Phantasie als einen großen Heerhaufen vorgestellt hatte, der im Anmarsch« auf die Brière war, in den Sumpf fielen und sich wieder so rasch wie möglich aus dem Schlammbad herausarbeiten müßten.

Diese Vorstellung machte ihm viel Vergnügen; er mußte selber darüber lachen, während er sein Boot vorantrieb.

Boisineau, le Pin, Granache, Grand-Reignac, Bois-Joubert, alle diese Dörfer suchte er ab. Wenn er in ein Haus kam, schlug er zuerst zweimal mit dem Absatz auf die Türschwelle; dann ging er schnurstracks auf die Sache los, fragte die Leute aus, ließ sich die Papiere zeigen, fackelte nicht lange und lehnte jeden Trunk ab.

Im übrigen brachten ihm die armen Bewohner dieser Hütten alles, was sie an Papieren hatten, bereitwilligst herbei: Familienurkunden und alte Zeitungen, Kataloge und Matrosensoldbücher. Er sah sich alles an, hielt auch Nachschau unter den Wäschestücken und langte in die Schubladen.

Nach Hause kam er immer erst nachts, todmüde, weil er von früh an auf den Beinen stand und häufig durch Schlamm fahren mußte.

Am Samstagabend waren die Dokumente noch nicht gefunden. Aber er hatte ja auch erst den kleinsten Teil des Moorgebietes durchsucht. Herr Moyon brachte ihm ein neues Schriftstück. Darauf standen die Namen der Honoratioren, die seinerzeit für die Aufbewahrung vermutlich in Betracht gekommen waren. Er nahm die Liste in Empfang, doch meinte er, ehe er sich wieder auf den Weg mache, habe er seine Sonntagsruhe und die Annehmlichkeit eines frischen Hemdes redlich verdient.

 

Als er nun am anderen Morgen vor dem Hochamt seine Frau bat, ihm die wohlverdiente, frische Wäsche herauszulegen, bekam er wieder eine Kostprobe ihrer kleinlichen Rache zu verspüren, wie er es vorausgesagt hatte. Mit einer Leichenbittermiene gab ihm Nathalie zu verstehen, daß es ihr leider unmöglich sei, seinen Wunsch zu erfüllen, denn sie hätte mit der Wäsche Pech gehabt. Gleich wie sie einweichen wollte, hätte der Zuber geronnen; daraufhin habe sie sich bei der Chédotale einen anderen geliehen, dann sei zu allem Unglück das Brennholz feucht gewesen, außerdem habe es geregnet, so daß nichts trocknen wollte, die Hemden so wenig wie das andere Zeug auch.

»Also gut«, erwiderte er bloß und wunderte sich selbst, daß er in diesem Augenblick so ruhig bleiben konnte.

Ohne jede Hast zog er sein altes Hemd wieder an, ging dann aus dem Haus und kam nach einer halben Stunde mit einem Paket unterm Arm wieder, in dem sich schöne, neue Hemden befanden, die er auf die Tischecke legte.

Nathalie verschlug das die Sprache. Dieser Einkauf traf sie als sparsame Hausfrau besonders empfindlich, und Augustin freute sich diebisch, als er merkte, daß ihm kein besserer Einfall hätte kommen können, um sie die Folgen ihrer kleinlichen Bosheit mitfühlen zu lassen.

Dank dieses Einkaufes zog er sich schöner an als je. Dann ging er wieder fort; denn heute war Gemeindenratssitzung.

Jetzt konnte Nathalie sich nicht länger beherrschen. Sie warf Schürhaken und Feuerzange hin, stieß den Kochkessel mit dem Fuß beiseite, hütete sich aber wohlweislich, diese Wäsche, um die sie stets einen recht großen Bogen machte, auch nur mit einem Blick der Verachtung zu streifen. So kam es, daß Augustin, als er zum Mittagessen heimkehrte, die Hemden noch immer auf dem Tische vorfand, an der gleichen Stelle, wo er sie hingelegt hatte.

Ein starkes Stück aber war es denn doch, daß am Abend, als er von seinem Besuch bei Julie zurückkam, wo er diese Geschichte an die zehnmal zum größten Vergnügen aller Anwesenden zum besten gegeben hatte, die Hemden noch immer auf dem sauberen und blankgefegten Tische lagen, ohne auch nur im geringsten von der Stelle gerückt zu sein. »Teufelsbraten«, dachte Augustin, aber er ließ sich nichts anmerken.

Es war gerade die Zeit, da der ganze Tisch für die Zubereitung des Essens gebraucht wurde. Die Frau kam und ging, stellte ihre Sachen hin, kümmerte sich aber keinen Deut um die Wäsche. Ihm entging nichts von all dem. Er bemerkte sogar, wie sie in ihrer Unverschämtheit eine Schüssel brachte und sie auf den Boden stellte, um ja nicht das Paket auf dem vollen Tisch anrühren zu müssen. Das war ihm denn doch zu bunt. Wütend sprang er auf.

»Tu mir das weg! … Tu mir das weg!« tobte er und deutete auf die Hemden, »und in den Schrank damit! … Sofort! … Das möcht' ich sehen!«

Nathalie bekam einen Schrecken. Sie trocknete sich sofort die Hände ab und nahm die Hemden ohne jeden Widerspruch weg, wie er sie geheißen hatte.

»Natürlich räum' ich sie weg … natürlich! … Aber man muß mir auch Zeit dazu lassen.«

Und sie legte das Ganze auf den Backtrog.

Er war nicht dazu aufgelegt, sich mit dieser halben Erledigung zu begnügen, noch gewillt, das Spiel um ihrer fraulichen Ausflüchte willen unentschieden aufzugeben.

»Meinst du vielleicht, du kannst mich zum Narren halten? … In den Schrank sollst du sie tun, hab' ich gesagt.«

»Ich halte dich ja nicht zum Narren? aber du siehst doch, daß ich zu tun habe … Ich werde sie schon noch einräumen heute abend.«

»Jetzt wird mir's aber zu dumm!« sagte er und tat einen Schritt auf sie zu. »Willst du das jetzt auf der Stelle da wegnehmen! … Auf der Stelle!« Und er stellte sich in der Kammer vor den Wäscheschrank hin und stampfte wütend mit dem Fuß auf.

Mit zögernden Schritten brachte sie die Hemden hinein. Sie glich dabei mehr einem Schatten …

»Augustin, beherrsch dich in deinem Zorn … Ich bitt' dich … Der Schlüssel vom Schrank … Augustin … ich weiß nicht, wo er ist.«

Sie war ganz verängstigt und außerdem fing sie wieder mit ihrem Zittern an, das ihm so verhaßt war.

Theotist kam dazu. Auch ihr Gesicht war vor Angst entstellt.

»Du holst mir sofort den Pibard her … aber schnell! Er soll seinen Schlüsselbund mitbringen.«

Bei diesen Worten wurde es Frau Nathalie schlecht; ein Schwindelgefühl überkam sie; der Atem setzte aus. Die Füße versagten ihr den Dienst; sie mußte sich auf eine Treppenstufe setzen.

»Wo ich dir gesagt habe«, wimmerte sie mit schwacher Stimme, »wo ich dir doch gesagt habe … daß ich sie heute abend einräumen werde!«

»So, du willst also nicht nachgeben?« Er sah sie aus drei Schritt Entfernung an, die Hände in die Seiten gestemmt.

Wie konnte sie nur so boshaft sein!

Sonderbarerweise wurde sie sofort wieder munter, als Pibard mit seinem klirrenden Schlüsselbund sich vernehmen ließ. Mit einem Ruck stand sie auf, und sobald der Mann geöffnet hatte, stieß sie ihn behende beiseite, um die Hemden wegzulegen und selbst den Schrank zu verschließen.

Doch Augustin hatte bereits seinen Arm zwischen die Schranktüren geschoben und die große Lücke da oben entdeckt, die dort gähnte, wo früher ganze Wäschestöße die Fächer füllten.

»Oho!« sagte er, »wo sind denn die Leintücher!«

»Die Leintücher?« hauchte sie erbleichend, »die Leintücher? … Die sind bei der Wäsche.«

»Bei der Wäsche? … Zwanzig Paar Bettücher? Tücher, die noch nie benutzt worden sind? … Die Wäsche möchte ich sehen! … Den Kessel, in den sie reingehen … Das muß komisch zugehen … Wo sind die Tücher?«

»In der Wäsche«, gab sie abermals zur Antwort,

»Das möchte ich sehen.«

Ein Gebet murmelnd rang sie die Hände. Das fehlte ihm gerade noch, um ihn vollkommen aus der Fassung zu bringen.

»Willst du mich rasend machen?«

Er packte sie am Mieder und stieß sie grob in die andere Stube, auf daß sie ihm die Wäsche zeigen sollte. Aber sie konnte seitlich zwischen Anrichte und Standuhr entwischen.

»Wo sind die Tücher?« wiederholte er wütend.

Sie antwortete nicht mehr. Sie zitterte am ganzen Körper vor Angst, weil er mit der Faust so heftig auf die Anrichte trommelte, daß das ganze Küchengeschirr klirrte.

In diesem Augenblick ließ sich eine Stimme von der Türe her vernehmen:

»Augustin, wenn du deine Leintücher sehen willst, dann komm auf einen Sprung zu mir.«

Es war die Capable aus der Nachbarschaft, ein böses Weib, die auf Theotist nicht gut zu sprechen war und immer Streit suchte.

»Wenn du wissen willst, wo deine Sachen sind«, sagte sie draußen zu ihm, »ich hab' sie.«

»Du bist ja verrückt!«

»Nein, nein, ich bin gar nicht verrückt. Vor einem Jahr hat dein Bub, der sich in Nantes verheiratet hat, seine Mutter hinter deinem Rücken um sechshundert Francs angebettelt. Sie hat sich nicht getraut, zum Krämer zu gehen, und deshalb ist sie zu mir gekommen und hat sich das Geld von mir geben lassen. Hoch und heilig hat sie mir damals versprochen, es mir in sechs Wochen zurückzugeben und noch zwanzig Francs dazu als Zinsen. Na, und dann – sieben, acht, neun Monate sind vorbei – keine Spur von Geld! Ich war selber in Verlegenheit; ich sag's also deiner Frau und sag' ihr auch, wenn ich in acht Tagen mein Geld nicht hab', dann erzähl' ich alles deinem Mann. Und so hat sie mir ihre Leintücher gebracht … Die gehören jetzt mir … Wenn du sie sehen willst?«

»Das hat keinen Wert«, erwiderte Augustin. »Was du da gemacht hast, ist ein schlechtes Stück … Aber nichtsdestoweniger bin ich dir dankbar.«

Damit trat er wieder in sein Haus und ging geradewegs auf die Schuldige zu. In seinen Augen glühte es wie von feurigen Nadeln.

»Ei, du bist ja so gelb wie ein irdener Topf aus Osca. Aber ich werde dir zeigen, daß ich noch Herr hier im Hause bin! … Ausräubern! … Mein Haus ausräubern lassen von dir? Und dazu noch, um einem Menschen Geld zu geben, der mich um mein ganzes Ansehen gebracht hat! … Und jetzt sage ich dir: Auf der Stelle wirst du deine Baracke von Pendille verkaufen und die Leintücher wieder herschaffen. Drei Monate geb' ich dir Zeit; in drei Monaten werde ich wieder im Schrank Nachschau halten … Es dreht sich nicht ums Geld, es geht darum, daß du mich hintergangen hast. Gerechtigkeit muß sein! Die Zunge an der Waage muß wieder ins Lot; die Waagschalen müssen wieder ins Gleichgewicht kommen. Auf die eine kommen die Tücher, auf die andere kommt das Haus.

Nachdem er das heftig herausgepoltert hatte, füllte er sich einen Teller mit Suppe.

»Ach!« stöhnte die Frau, »mein Haus verkaufen, das sich meine Eltern so sauer verdient haben!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie dabei, »nie!«

»Wir werden ja sehen.«

»Es gehört mir. Du hast kein Recht dazu, mich zu zwingen, es zu verkaufen.«

»Das wird sich schon noch zeigen.«

Er warf ihr das verächtlich über die Schulter hin zu, während er stehend seine Suppe hinunterschlang.

Mit dem Essen war er schnell fertig; und sobald er seinen Teller geleert hatte, verschwand er wieder.

Im Hause Augustins gab es manche Stürme, aber drückender als je lastete dieser Vorfall heute auf ihm. Nach dem Weggang des Alten war alles totenstill.

Von Angst gepeinigt, ging Frau Nathalie ins Bett. All die schlimmen Erinnerungen standen ihr wieder vor der Seele. Es wurde eine schlaflose Nacht, und als sie am Morgen nach kurzer Ruhe die Augen öffnete, bangte ihr schon wieder davor, was der neue Tag bringen würde.

Das Bett neben ihr war unberührt. Sie stand auf, stellte den Kaffee aufs Feuer und begann ihre Arbeit. Aber ihre Gedanken kreisten fortgesetzt um das Leid, das ihr das Leben aufgebürdet hatte.

Theotist kam herunter. Ihr einsilbiges Benehmen war kaum dazu angetan, die düsteren Eindrücke vom Vortag zu verwischen und dem neuen Tag frisch ins Auge zu sehen. Im Schnürleibchen und mit nackten Armen, wie es ihre Gewohnheit war, kämmte sie stillschweigend auf dem Gang vor der Tür ihr üppiges, lockeres Haar, das sie dabei über das Gesicht herabfallen ließ. Sie flocht es zusammen, legte den schweren, dunklen Zopf zu einem Knoten und steckte ihn mit Nadeln fest, die sie zwischen den Zähnen hielt. Auf einmal wandte sich die Mutter zur Tür und stieß fast einen Schrei aus: Augustin war soeben ins Zimmer getreten. Seine Tochter hatte er zur Seite geschoben. In seinem Gesicht standen noch deutlich die Spuren einer sorgenschweren Nacht. In den Fingern hielt er ein Blatt Papier, das er auf den Tisch legte und mit seiner breiten Hand beschwerte:

»So, da ist ein Blatt Stempelpapier. Du wirst mir hier deine Unterschrift hersetzen«, sagte er in seiner groben Art, indem er mit dem Zeigefinger unten auf die Seite deutete.

Nathalie stand hilflos da wie ein kleines Kind; denn das Blatt war leer, vollständig leer. Keine Silbe stand darauf.

»Unterschrift?« sagte sie. Ihre erstaunten Augen und ihr zuckender Mund schienen ängstlich nach dem Grund dieser sonderbaren Zumutung zu fragen.

»Der Notar wird schon noch alles Nötige schreiben.«

»Ich weiß nicht, was du willst, Augustin … Ich weiß nicht.«

»So, du weißt nicht? … Du wirst mir auf diesem Papier die Vollmacht geben, dein Haus zu verkaufen … Hier unterschreib!«

Wenn er ihr ein glühendes Eisen hingehalten hätte, sie hätte ihre Hand nicht heftiger zurückziehen können. Statt einer Antwort nahm sie einen Rock her, der auf dem Stuhle lag, und begann ihn abzubürsten und mit der Hand auszuklopfen.

Mit einem wütenden Griff riß ihr Augustin den Rock aus der Hand. Dann holte er das Tintenfaß.

»Hier unterschreib!«

Aber sie unterschrieb nicht. Sie nahm nicht einmal den Federhalter, den er ihr mit Gewalt aufnötigen wollte.

Glühend vor Scham hatte Theotist die Türe zugestoßen wegen der Nachbarschaft. Dann hantierte sie emsig mit dem Besen, um vor den Leuten den Anstand zu wahren.

»Du willst also nicht unterschreiben? … Du willst nicht?« wiederholte er und kam drohend auf sie zu. »Gib Antwort, wenn ich dich frag'!«

»Laß mich überlegen!« flehte sie. »Laß mir Zeit, darüber nachzudenken.«

»Du willst nicht unterschreiben?«

Im Vorbeigehen hatte er nach einer großen Blumenvase gegriffen, die ihm gerade unter die Hände kam. Er schwang sie drohend, knirschte mit den Zähnen und ging in einem solchen Wutanfall auf sie los, daß seine Nasenflügel weiß wurden.

Nathalie hielt furchtsam ihre Arme vors Gesicht und wich schutzsuchend zurück. Unter seinem gewalttätigen Blick, der unheimlich aus seinen Augen funkelte und den sie nur zu gut kannte, sank sie ganz in sich zusammen.

»Also gut, meinetwegen … meinetwegen«, sagte sie.

Sie rang nach Luft. Ein lautes Stöhnen kam aus ihrer gequälten Brust. Dann sagte sie mit halblauter, aber deutlich hörbarer Stimme das unglaublich kühne Wort:

»Wenn du … Wenn du deine Zustimmung zu Theotists Heirat gibst, werde ich unterschreiben.«

Es wurde ganz still. Eine heftige Bewegung durchschnitt die Luft.

Nathalie schrie auf: »Jesus, dein bin ich!«

Dann ein Krachen und Splittern: Die Blumenvase lag in Scherben.

Mit verkrampften Händen starrte Augustin einen Augenblick auf die überall am Boden zerstreuten Trümmer, warf einen Blick auf die an die Wand geduckte Frau, zuckte mit den Achseln, spuckte ins Feuer und ging aus der Stube.

 

Er glühte förmlich vor Wut. Knurrend wie eine Bulldogge ging er in seinen Garten und fuchtelte unausgesetzt mit den Händen. In solchen Augenblicken brauchte er unbedingt eine Betätigung. Jetzt auf seine Erkundigungsfahrt zu gehen, wäre ihm unmöglich gewesen. Heute hätte er ohnedies seine Gedanken nicht beisammen gehabt. Aber das steigerte nur noch seinen Zorn. Er machte sich am Schilfstroh zu schaffen, das getrocknet werden mußte. Mit der Heugabel stach er zu und fluchte und wetterte dabei. Er hätte ein Haus anstecken können vor Wut. Auch der Aufenthalt in der frischen Luft ließ ihn nicht ruhig werden. Alles um ihn herum trug dazu bei, seinen Groll nur noch neu anzufachen. Der Brand, der in seinem Innern lohte, war nicht zu löschen. Hundertmal war er versucht, wieder ins Haus zu stürzen, dorthin, wo am Fenster die roten Geranienstöcke seiner Tochter in der Sonne leuchteten.

Er machte sich in der Nähe des alten, zerfallenen Brunnens zu schaffen vor dem Schuppen, in dem Torfabfälle herumlagen, Blumentöpfe, alte Körbe und frische Sägspäne, die unter dem Sägebock verstreut waren.

Riesige Büschel packte er auf und stemmte sich beim Binden mit voller Wucht auf jede Garbe. Wenn er dann mit einer wütenden Bewegung in der Schulter das Weidenband anzog und verknebelte, sah es aus, als wollte er das Rohrbüschel, das er unter seinen Knien hielt, erwürgen.

Ja, so hätte er am liebsten alle beide unter seinen Fingern haben mögen … und dann ziehen, ziehen!

Die Garbe bog sich, die Halme knickten und raschelten, und er zog immer noch fester an. Er berauschte sich förmlich an diesen rachgierigen Gedanken. »Wenn du deine Zustimmung gibst, werde ich unterschreiben.« Eine solche Zumutung mußte er sich bieten lassen, er, der im Leben gestählt war, ein Kerl so hart wie Eisen, dessen Charakterstärke sprichwörtlich war. »Gib dein Einverständnis! … Deine Zustimmung!« Dieser Knochen blieb ihm im Halse stecken. Er nagte und kaute daran herum, sog all sein bitteres Mark aus ihm heraus. Das Schilf bekam seine ganze Wut zu spüren; es rauschte und knackte zusammen unter seinen Fäusten wie Stroh unterm Dreschflegel.

Den größten Teil des Vormittags schuftete er so und barst schier vor Zorn und Schaffenswut.

Es war ein herrlicher Tag; kein Wölkchen trübte den blauen Himmel. Alles flimmerte wie Gold. Die alten Strohdächer leuchteten auf im Glanze der Sonne, und eine Flut von Licht lag über den Wiesen. Ganze Scharen von Spatzen piepsten wie toll, und auf dem kleinen Kanal unter den Ulmenbüschen fuhren ein paar Leute, die vom Torf stechen kamen, in ihrem Nachen lautlos vorüber.

Augustin war nicht mehr zu sehen. Er kramte in seinem Schuppen herum, hob Fässer und Kisten beiseite, räumte auf, machte den Handwagen frei, riß und zerrte ihn heraus, als wollte er den ganzen Schuppen samt Dach und Tragbalken mit fortziehen.

Der Wagen fuhr aus dem Garten hinaus, holperte über die Straße und hielt dann vor der Haustür.

Nathalie beugte sich gerade über den Herd, so daß ihre dicken, wollenen Strümpfe unter ihrem Rock hervorschauten. Augustin nahm einen Schemel, warf vom Schrank ein Paar Stiefel herab, holte seinen alten Schiffskoffer herunter und trug dazu noch alle möglichen Dinge zusammen, die er am Boden aufstapelte: Schuhe, einen Hut, einen Tragkorb, eine Pfanne, die Flinte, sein Zwillingsgewehr, weiter ein paar Bücher, kurz, eine ganze Einrichtung.

»Jetzt gib mir meine neuen Hemden her!« sagte er zu seiner Frau, die ihm mit Erstaunen dabei zusah.

»Die neuen Hemden? … Was willst du denn mit deinen neuen Hemden?« fragte sie zaghaft.

Aber es half ihr nichts, sie mußte die Hemden aus dem Schrank holen.

Auch die Taschentücher und seine Unterwäsche ließ er sich geben. Alle diese Wäschestücke wanderten der Reihe nach in den Koffer. Den trug er dann auf den Karren hinaus, danach die Fischkästen, die Gewehre und alles übrige. Nun war er voll beladen.

Theotist, die dazu kam, machte große Augen, als sie die seltsame Fracht auf dem Karren sah. Der Vater band soeben noch einen Eimer fest.

»So«, sagte er, als er noch einmal ins Zimmer gekommen war. »Einen Notar braucht's jetzt nicht mehr, und die Herren Advokaten werden wir auch nicht belästigen … Ich lasse euch dreihundertsechzig Francs hier, das ist der halbe Erlös vom Torfverkauf. Ihr bekommt dann monatlich die Hälfte von meinem Gehalt. Auch die Kuh lasse ich euch.«

»Ein paar Sachen werde ich mir noch holen«, fügte er hinzu, »ich komme wieder.«

Unter der Tür wandte er sich noch einmal um; und wie er so im Gegenlicht auf der Schwelle stand, schien er größer als je.

»Die Hauptsache habe ich vergessen: Du hast mir heute morgen erklärt: ›Wenn du deine Zustimmung gibst, werde ich unterschreiben.‹ Nun, wir werden ja sehen. Aber wegen der Heirat, die ihr da angezettelt habt, habe ich nur noch eines zu sagen: Nie, so lange ich lebe, wird dieser blöde Gänserich seine Brut in das Augustinsche Nest legen. Dann muß sie sich schon anderweitig umtun.«

Das war alles. Er gab keine weiteren Erklärungen ab, sagte nicht Lebewohl und Gute Nacht.

Die beiden Frauen standen wie angewurzelt. Sie sahen noch, wie er mit vorgeneigtem Körper zwischen den Deichseln losfuhr. Nathalie hatte es die Sprache verschlagen; nur eine Art Schluchzen entrang sich ihrer Brust. Ihr Atem ging in heftigen Stößen.

Die Nachbarn sahen beim Auszug zu. Aber keiner tat dies offen; sie spitzten verstohlen hinter den Fenstern hervor. Nur die Capable stand breit unter ihrer Haustür und verfolgte mit schadenfrohem Gesicht den Hergang. Augustin ging vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Als er, vor seinen Wagen gespannt, das Gäßchen hinunterfuhr, war alles wie ausgestorben. Nur die Katze folgte ihm, indem sie von einer Schwelle zur andern rannte.

Mächtig ratterte das Eisenzeug auf dem Uferweg unter den Ulmen, so daß man es überall hören konnte. Der Ausreißer mußte an allen Hütten vorbei, aber er schaute weder nach rechts noch nach links; er sah nur die Steine auf seinem Weg. Er hatte es sehr eilig.

Im Laufe seines unglücklichen Familienlebens hatte er sich schon mehr als einmal den Kopf darüber zerbrochen, ob er nicht eines Tages fortgehen und sich in sein kleines Häuschen zurückziehen sollte; denn abgesehen von dem Unfrieden in seinem Hause, seinen täglichen Sorgen und Streitigkeiten, hauste er gern allein. Er war der geborene Junggeselle; das lag so in seinem Blute. Nur ein solches Leben sagte ihm eigentlich zu. Doch zwischen Lipp' und Kelchesrand, zwischen diesem Wunschtraum, der so verführerisch aus den Rauchwolken seiner Pfeife vor ihm aufstieg, und der Verwirklichung der tatsächlichen Flucht aus diesen Fesseln, an die er durch das Sakrament gebunden war, lag ein weiter Weg, den er nicht so ohne weiteres gehen mochte. Das Ärgernis einer Scheidung wollte er unter allen Umständen vermeiden. Seinetwegen sollte der Herrgott in seinen Registern nichts ändern müssen. Auch war es für ihn ganz selbstverständlich, daß er als Erster hinter ihrem Sarge hergehen würde, falls sie vor ihm sterben sollte. Nachdem nun aber die Sache einmal so entschieden war, mußte er sich damit abfinden, auch wenn der Himmel darüber eingestürzt wäre.

Nun, da es wirklich soweit war, oder besser, diese entscheidende Wendung jetzt genommen hatte, strahlte der Himmel in heiterstem Blau, und die großen Wolken zogen ungestört weiter ihren Weg.

Nur ein paar Frauen hatten sich beim Anblick des Karrens, der so zornig daherrollte, ein wenig weiter zur Inselspitze hin vorgewagt und sahen von ferne zu, wie er jetzt vor der einsamen, im Unkraut versunkenen Hütte hielt.

Augustin kümmerte sich nicht im geringsten um diese Neugierigen. Er ging geschäftig hin und her. Zu guter Letzt trat er dabei auf seine Katze.

»So, du Ausreißer, du bist ja auch da! Dir ist es wohl auch zu dumm geworden.«

So rasch es ging, trug er den Haufen alten Gerümpels in einen Schuppen hinten im kleinen Hof. Sein Zorn war noch nicht verraucht. Es war ihm warm geworden; er trank aus dem Brunneneimer zwei große Becher Wasser. Dieser plötzliche Sprung in die Freiheit ging ihm nun doch ein wenig im Kopf herum. Aber das währte nicht lange, und ohne jegliche Reue sagte er sich: »Sie brauchen ja nicht betteln zu gehen.«

Zunächst räumte er die Stube aus. Der fade Geruch nach Fischen und alten Kartoffeln hing zwischen den vom Salpeter zerfressenen Wänden, denen ein neuer Kalkbewurf sehr gut getan hätte.

Der Raum war nicht groß; aber je kleiner der Stall, umso wärmer fürs Tier, um so schöner wächst ihm das Fell. Auf die Größe kommt es im übrigen wenig an. Ein Haus ohne Nachbarschaft ist gleich seine tausend Francs mehr wert.

Von früher her war noch das alte Bett da, ein niederes Gestell mit zwei von Motten zerfressenen Strohsäcken darin, sodann der Tisch, ein Stuhl und der zerfallene Kleiderschrank.

Nun ging er ans Einräumen. Schon stand eine Schüssel auf dem Tisch, daneben lagen Löffel und Messer. Er stellte alles an seinen Platz, schlug Nägel ein, leimte Füße an und entfernte den gröbsten Schmutz. Damit ließ er es für heute genug sein. Da es im Zimmer sehr düster war, riß er von den Eisenstäben am Fenster die Efeuranken weg, und zum Schluß beseitigte er die Brennesseln vor der Haustüre.

Es war ein prächtiger Abend. Wie feine Filigranarbeit hoben sich die Ulmen mit ihren Wipfeln vom rötlichen Abendhimmel ab. Golden versank die große Sonnenscheibe im Meere hinter der Insel, und friedlich spiegelten sich die letzten Strahlen noch einmal in den Schlammlöchern am Ufer und den Fenstern des Hüttchens.

Einen Augenblick stand Augustin draußen auf seinem Weg in der Dämmerung still, um den herrlichen Abend zu genießen. Dann steckte er den Schlüssel in die Tasche, und schon ein paar Minuten später war er bei Julie, der er gleich unter der Türe zurief:

»Guten Abend! … Heute hab' ich das Schifflein zum Kentern gebracht.«

Julie verharrte mit offenem Munde; sie verstand nicht, was er meinte.

»Du begreifst nicht? Nun … es ist jetzt alles aus. Ich habe reinen Tisch gemacht.«

Er hatte ein sonderbares Benehmen, wie einer, der aus Erbitterung etwas angestellt hat.

»Na also!« Er zog einen Stuhl herbei und machte sich's bequem. »Ich will dir's erklären: So wie du mich da siehst, bin ich wieder dort angekommen, wo meine Wiege stand.«

Und nun erzählte er vom Anfang bis zum Ende, wie sich alles zugetragen hatte.

Weder Herr Ulrich noch die Kinder waren da.

Julie hörte zu. Sie pflichtete ihm nicht bei. Als er mit Erzählen fertig war, machte sie ein recht bekümmertes Gesicht.

»Also doch, also doch«, murmelte sie; und in dem Gedanken an das große Ärgernis runzelte sie sorgenvoll die Stirne.

»Hör einmal … Du bist doch wirklich keiner von diesen Windhunden, wie sie draußen in der Weltgeschichte herumlaufen.«

»Oh«, meinte Augustin, »ganz im Gegenteil!« Aus Julies Gesicht sprach eher Mitleid als ein Vorwurf.

»Und nun willst du so ein Leben führen ganz allein! … Ist denn das nötig? … Siehst du, Augustin, du hast dich zu sehr in deinen Zorn verrannt. Das ist es, was dir zum Verhängnis wird, dein Zorn.«

»Was du nicht sagst …«, lachte Augustin. »Aber ich bin nicht hergekommen, damit du mir eine Strafpredigt hältst.«

»Und was werden jetzt die Leute alles über dich reden«, fuhr sie fort. »Du wirst schön durch den Dreck gezogen werden.«

»Meinetwegen … das sollen sie nur machen … Aber, was ich dich fragen wollte: Willst du mir nicht ein wenig waschen?«

Julie weilte mit ihren Gedanken anderswo.

»Mein Gott, selbst für den Fall, daß du dir jetzt gar nichts vorzuwerfen hast, wenn du nur nicht für deine Schuld von früher büßen mußt.«

»Das will ich ja gar nicht von dir wissen. Ich frage dich ja nur, ob du mir waschen willst.«

»Aber natürlich! … Hab' ich dir schon jemals Vorwürfe gemacht?«

»Das brauchst du mir ja gar nicht zu sagen. Ich frage dich ja bloß, ob du mir waschen willst … meine Wäsche waschen willst, du einfältiges Ding!«

Und er lachte verlegen.

Ihr aber war es nicht danach zumute; sie war sehr niedergeschlagen.

»Ich werde dir waschen … Du brauchst es mir nur zu bringen.«

Jetzt kehrten die Kinder heim. Das Abendessen kam auf den Tisch. Augustin aß mit. Er scherzte, sprach von seinem »Gutshof« und sagte, daß er sich jetzt wirklich als Freiherr fühle. Julie lieh ihm eine Decke für die Nacht. Dann verabschiedete er sich, und vom Himmel leuchteten die Sterne auf seinen neuen Weg.


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